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Vierunddreißigstes Kapitel.

Ihr guter Lord, o glaubet, glaubet nicht,
Daß auf Verrath an Euch ich sann –
Daß ich mich einer Schuld entbinden will.
Die die Natur nicht zahlen kann.

Seid Zeugen, o ihr heil'gen Mächte alle –
Ihr Sterne, die ihr golden scheinet,
In dieser Nacht soll sich das Band bewähren,
Das dein und meine Treu vereinet.

Alte schottische Ballade.

Von ihrem Gebieter zurückgelassen, wanderten die beiden Diener Hugo de Lacy's in düstrem Stillschweigen fort, gleich Menschen, die sich gegenseitig hassen und einander mißtrauen, obschon sie, zu gemeinschaftlichem Dienste verbunden, dieselben Hoffnungen und dieselben Besorgnisse hegen. Der Haß war in der That hauptsächlich auf Guarine's Seite; denn nichts konnte Renault Vidal gleichgültiger sein, als sein Gefährte, so daß er sogar beinahe vergaß, daß Philipp ihn nicht liebte, und er wohl gar einige Pläne, die ihm nahe am Herzen lagen, hätte vereiteln können. Er summte, als geschehe es zur Hebung seines Gedächtnisses, Romanzen und Gesänge vor sich hin, von denen viele in Sprachen verfaßt waren, die Guarine, der bloß für seine normannische Mundart Ohren hatte, nicht verstand.

Auf diese unfreundliche Weise hatten sie ungefähr einen Weg von zwei Stunden mit einander zurückgelegt, als ihnen ein berittener Stallmeister, der einen gesattelten Klepper führte, entgegen kam.

»Pilger,« sagte der Mann, nachdem er sie mit einiger Aufmerksamkeit betrachtet hatte, »welcher von Euch nennt sich Philipp Guarine?«

»Ich, in Ermanglung eines Bessern,« rief der Knappe.

»Dein Gebieter grüßt dich in diesem Falle,« sagte der Stallmeister, »und sendet dir dieses Zeichen, an welchem du erkennen kannst, daß ich ein ächter Bote bin.« Mit diesen Worten zeigte er dem Knappen einen Rosenkranz, den dieser sogleich als den des Constabels erkannte.

»Ich erkenne das Zeichen an,« sagte er, »sprecht meines Herrn Befehle aus.«

»Er trug mir auf, Euch zu sagen,« erwiederte der Reiter, »daß sein Unternehmen den besten Fortgang hat, und er heute noch, bei Sonnenuntergang, im Besitze seines Eigenthums sein wird. Er wünscht deßhalb, Ihr sollet diesen Zelter besteigen, und mit mir nach Garde doloureuse kommen, da Eure Gegenwart daselbst erfordert wird.«

»Gut, ich bin bereit, ihm zu gehorchen,« sagte der Knappe, höchlich erfreut über den Inhalt der Botschaft, und keineswegs darüber betrübt, daß er sich von seinem Reisegefährten trennen mußte.

»Und welchen Auftrag habt Ihr für mich,« fragte der Minstrel den Boten.

»Wenn Ihr, wie ich vermuthe, der Minstrel Renault Vidal seid, so habt Ihr Euren Herrn, dem früher ertheilten Befehle gemäß, an der Schlachtenbrücke zu erwarten.«

»Ich werde ihn dort treffen, wie es meine Pflicht erheischt,« antwortete Vidal, und kaum hatte er ausgeredet, so eilten die zwei Reiter schnell hinweg, und kamen ihm bald aus dem Gesichte.

Jetzt war es vier Uhr Nachmittags, und schon neigte sich die Sonne, doch blieben dem Minstrel noch immer mehr als drei Stunden bis zur Zeit der Zusammenkunft, und die Entfernung von dem dazu entfernten Orte betrug nicht weiter als vier Meilen Englische Meilen, von denen etwas mehr als vier auf eine deutsche Meile gehen. Anmerk. d. Uebers.. Vidal lenkte daher, entweder um auszuruhen, oder um seinen Gedanken nachzuhängen, von dem Pfade ab und schlich sich in ein Dickicht zur linken Hand, aus welchem die Wasser eines Bächleins hervorströmten, das aus einer kleinen unter dem Gebüsche aufsprudelnden Quelle entsprang. Hier setzte sich der Reisende nieder, und heftete mit einer Miene, die von dem, was er that, nichts zu wissen schien, sein Auge über eine halbe Stunde lang auf die schimmernde Quelle, ohne seine Stellung zu verändern, so daß er in heidnischen Zeiten die Statue eines Wassergottes, der sich über seine Urne hinbeugt, und bloß auf die Wasser aufmerksam ist, die sie ausströmt, dargestellt haben würde. Endlich jedoch schien er aus dieser tiefen Zerstreuung zu erwachen. Er stand auf und nahm einige rauhe Nahrungsmittel aus seiner Pilgertasche, als ob er sich plötzlich erinnert hätte, daß das Leben ohne Speise nicht erhalten werden könne. Allein es lag ihm wahrscheinlich etwas auf dem Herzen, das ihm seinen Appetit raubte, oder die Gurgel zuschnürte. Nach einem vergeblichen Versuche, einen Bissen hinunter zu schlucken, warf er diesen voll Ekel hinweg, und nahm eine kleine Flasche zur Hand, in der er etwas Wein oder sonst ein geistiges Getränk hatte. Allein auch dieser ekelte ihn, wie es schien, an, denn er warf sowohl den Becher als die Pilgertasche von sich, beugte sich über die Quelle hin, trank in langen Zügen von dem reinen Elemente, wusch sodann in demselben Gesicht und Hände, und anscheinend gestärkt und erfrischt von der Quelle sich erhebend, setzte er seinen Weg langsam fort, und sang während des Gehens in einem tiefen und melancholischen Tone wilde Bruchstücke alter Poesie in einer gleich alten Sprache.

Auf diese trübe Weise wanderte er vorwärts, und bekam endlich die Schlachtenbrücke zu Gesicht, in deren Nähe das berühmte Schloß Garde doloureuse sich in stolzer und düsterer Hoheit erhob. »Hier also,« sagte er, »soll ich den stolzen de Lacy erwarten. Sei's in Gottes Namen! – er soll mich besser kennen lernen, ehe wir von einander scheiden.«

So sprechend, eilte er mit großen und entschlossenen Schritten über die Brücke, erstieg eine Anhöhe, die sich in einiger Entfernung auf der entgegengesetzten Seite erhob, und betrachtete einige Zeit lang das vor seinen Blicken entfaltete Schauspiel – den schönen Fluß, der im Golde des Abendhimmels herrlich erglänzte, – die Bäume, welche für das Auge durch die Farbe des Herbstes bereits lichter und heller, für die Phantasie und Einbildungskraft aber düsterer und trüber geworden waren – und die finstern Wälle und Thürme des lehnsherrlichen Schlosses, von dem manchmal ein Lichtschimmer herüber blitzte, wenn die Waffen der Schildwachen einen vorübergehenden Strahl der untergehenden Sonne auffingen und zurückstrahlten.

Die Miene des Minstrels, die bisher finster und zerstört gewesen war, schien durch die Ruhe des Schauspiels einen sanftern Ausdruck anzunehmen. Er warf sein Pilgergewand zurück, so daß dessen dunkle Falten ihn gleich einem offenen Mantel umfloßen, unter dem der Waffenrock eines Minstrels sich zeigte. Hierauf nahm er eine rote (eine kleine Art von Laute, die vermittelst eines Rades gespielt wurde), spielte von Zeit zu Zeit einen walliser Triller, und sang sodann ein Lied, von dem wir bloß einige Bruchstücke mittheilen können, die aus der alten Sprache, in der sie gesungen wurden, buchstäblich übersetzt worden sind. Wir müssen nur noch die Bemerkung vorausschicken, daß sie in jenem abschweifenden symbolischen Stiele geschrieben sind, den Taliessin Clewarch, Hen und andere Barden vielleicht aus den Zeiten der Druiden herleiteten:

Ich fragte meine Harfe, wer hat deine Saiten beschimpfet?
Da sprach sie, der gekrümmte Finger, den meine Töne verhöhnten.
Es krümmt sich die Klinge von Silber – die stählerne dauert aus –
Liebe sie schwindet dahin – Rache sie währet fort.
Sanft fließt über die Lippen der süße Meth,
Aber des Wermuths Saft zernaget sie lange.
Das Lamm wird zur Schlachtbank geführt, –
Doch frei auf den Bergen schwärmet der Wolf.
Liebe sie schwindet dahin, Rache sie währet fort.
Ich fragte das glühende Eisen, das auf dem Ambos flimmerte,
Warum glühest du länger als der Feuerbrand?
»Mich gebar der finstre Schooß der Erde, die Fackel der grünende Wald,«
Liebe sie schwindet dahin, – Rache sie währet fort.
Ich fragte die Eiche im Wald, warum ihre Zweige den Hörnern des Hirsches gleichen.
Und sie zeigte mir an der Wurzel einen kleinen nagenden Wurm,
Der Knabe, der Peitsche gedenkend, öffnete die Pforte des Schlosses um Mitternacht.
Liebe sie schwindet dahin, Rache sie währet fort.
Der Blitz zerstöret die Tempel, ob ihre Spitzen die Wolken berühren.
Stürme zerstören Armadas, ob ihre Segel den Wind auffangen;
Er, der pranget im Glanze des Ruhms, Er fällt durch die Hand des schwächern Feindes.
Liebe sie schwindet dahin, Rache sie währet fort.

Er strömte noch mehr dieser wilden Bilder aus, von denen jedes in irgend einer, obschon seltsamen und entfernten, Beziehung mit dem Thema stand, das gleich einem Chor am Ende einer jeden Stanze sich fand. So glich diese Poesie einem Musikstücke, das nach den mannigfaltigsten und seltsamsten Exkursionen zuweilen wieder zu der einfachen Melodie zurückkehrt, der jene als Ausschmückung dienen.

Während der Minstrel sang, waren seine Augen auf die Brücke und deren Umgebung geheftet; allein als er beim Ende seines Gesanges den Blick nach den fernen Thürmen von Garde doloureuse erhob, so sah er, daß die Thore geöffnet, und Diener und Truppen außerhalb der Festung aufgestellt wurden, als ob irgend eine Expedition sich in Bewegung setzen, oder eine wichtige Person auf dem Platze erscheinen sollte. Zu gleicher Zeit warf er sein Auge rings um sich her, und gewahrte, daß die Landschaft, die so einsam war, als er seinen Sitz auf dem grauen Stein einnahm, von welchem aus er sie überschaute, sich jetzt mit Gestalten anfüllte.

Während seiner Träumerei hatten sich verschiedene Personen einzeln und in Gruppen, Männer, Weiber und Kinder auf beiden Seiten des Flusses versammelt, und verweilten daselbst, als ob sie irgend ein Schauspiel erwarteten. Auch in der Nähe der flamändischen Mühlen, die er, obschon sie etwas weiter entfernt waren, ebenfalls übersehen konnte, gewahrte man ein reges Leben. Hier schien sich eine Procession zu ordnen, die sich bald unter Pfeifenklang und Trommelschlag in Bewegung setzte, und bald dem Orte, wo Vidal saß, in vollkommener Ordnung nahe kam.

Wie es schien, war das hier beginnende Geschäft friedlicher Art; denn die graubärtigen alten Männer der kleinen Niederlassung kamen zuerst in ihrer anständigen Bauernkleidung nach den Musikanten, je drei und drei gehend, auf ihre Stäbe gestützt und die Bewegung des ganzen Zuges durch ihren ruhigen und ernsten Schritt ordnend. Nach diesen Vätern der Niederlassung kam Wilkin Flammock, auf seinem gewaltigen Schlachtrosse sitzend und in voller Rüstung, das Haupt ausgenommen, wie ein Vasall, der bereit ist, Kriegsdienste für seinen Lehensherrn zu thun. Nach ihm folgte in Schlachtordnung der Kern der Colonie. Er bestand aus dreißig wohlbewaffneten und gut gekleideten jungen Männern, deren starke Gliedmaßen sowohl, als ihre schön geputzte und glänzende Rüstung von Festigkeit und Mannszucht zeugten, obschon ihnen der Feuerblick des französischen Kriegers, oder der finstere Trotz, der den Engländern eigen war, oder endlich das wilde brausende Ungestüm, das sich damals in den Blicken der Walliser aussprach, mangelten. Jetzt kamen die Frauen und Mädchen der Colonie; dann folgten die Kinder mit so pausbäckigen Gesichtern, so ernsthaften Gesichtszügen und so gemessenen Schritten als ihre Aeltern; und endlich zeigten sich als Nachhut die Jünglinge von 14 bis 20 Jahren, mit leichten Lanzen, Bogen und ähnlichen ihrem Alter angemessenen Waffen.

Dieser Zug wand sich um den Fuß des Hügels, auf welchem der Minstrel saß, überschritt hierauf die Brücke in demselben regelmäßigen und langsamen Schritte, und stellte sich in eine doppelte Reihe auf, so jedoch, daß die Gesichter nach Innen gekehrt waren, als ob man irgend eine wichtige Person empfangen oder irgend einer Ceremonie beiwohnen wollte. Flammock blieb am Ende des von seinen Landsleuten so gebildeten Ganges, und war ruhig doch ernstlich beschäftigt, einige Anordnungen und Vorkehrungen zu treffen.

Indessen versammelten sich Müssiggänger aus verschiedenen Gegenden, die augenscheinlich bloße Neugierde hierher geführt hatte, und bildeten ein buntes Gedränge an dem andern Ende der Brücke, das dem Schlosse zunächst lag. Zwei englische Bauern gingen sehr nahe an dem Steine vorbei, auf welchem Vidal saß. »Willst du uns ein Lied singen, Minstrel,« sagte einer von ihnen, »da hast du ein Silberstück,« mit diesen Worten warf er ihm eine kleine silberne Münze in den Hut.

»Mich bindet ein Gelübde,« antwortete der Minstrel, »und ich mag die frohe Wissenschaft jetzt nicht ausüben.«

»Oder vielmehr, du bist zu stolz, um englischen Bauern zu spielen,« sagte der ältere Landmann, »denn deine Sprache verräth den Normannen«

»Behalte jedoch die Münze,« sagte der jüngere Mann. »Laßt den Pilger annehmen, was der Minstrel verschmäht.«

»Ich bitte Euch, spart Eure Güte auf,« sagte Vidal, »ich bedarf ihrer nicht – und seid dafür so gefällig, mir zu sagen, was für Dinge hier vorgehen.«

»Wie, wißt Ihr nicht, daß wir unsern Constabel von Lacy wieder erhalten haben, und daß er die flamändischen Weber, mit allen den schönen Dingen, welche ihnen Heinrich von Anjou geschenkt hat, feierlich belehnen soll? – Wäre Eduard, der Bekenner, noch am Leben, und hätte er den niederländischen Hallunken ihren Lohn zu ertheilen, so würden sie wohl mit einem Galgen zufrieden sein müssen. Aber komm, Nachbar, ehe die Sache vorüber ist.«

Mit diesen Worten eilten sie den Hügel hinab.

Vidal heftete seine Blicke auf die Thore des Schlosses. Das ferne Wallen der Fahnen und die Aufstellung der Krieger zu Pferde, so undeutlich er die Sache auch in einer so großen Entfernung beobachten konnte, zeigten ihm, daß eine Person von Bedeutung an der Spitze einer ansehnlichen kriegerischen Begleitung aufzubrechen im Begriff stand. Ferne Trompetenstöße, die schwach, jedoch aber deutlich zu seinem Ohre drangen, schienen dasselbe zu bezeugen. Bald darauf bewiesen ihm die Staubwolken, die zwischen der Brücke und dem Schlosse aufzusteigen begannen, so wie der nähere Schall der Trompeten, daß der Zug sich ihm nahe.

Vidal seinerseits schien unentschlossen, ob er seine gegenwärtige Stellung, wo er einen vollkommenen, wiewohl entfernten Ueberblick über das Schauspiel hatte, beibehalten, oder sich in das Gedränge mischen solle, das sich jetzt an beiden Seiten der Brücke – außer da, wo die bewaffneten und in Reihe und Glied gestellten Flamänder den Zugang offen erhielten – immer mehr vergrößerte.

Ein Mönch eilte jetzt an Vidal vorüber, und antwortete, von diesem um die Ursache des Gedrängs befragt, in einem murmelnden Tone, »der Constabel von Lacy werde hier erscheinen, und als die erste Handlung seiner Lehensgewalt den Flamändern einen königlichen Freibrief über ihre Gerechtsame einhändigen.«

»Er beeilt sich sehr, scheint es mir, sein lehensherrliches Recht auszuüben.«

»Wer so eben ein Schwert erhalten hat, ist stets ungeduldig, es zu ziehen;« entgegnete der Mönch, und fügte noch andere Worte hinzu, die aber der Minstrel nicht ganz verstand; denn der Schaden, welchen Vater Aldrovand während der Belagerung erlitten hatte, war noch nicht ersetzt.

Jedoch glaubte Vidal, er habe ihn sagen gehört, daß er hier den Constabel treffen wolle, um ihn um seine gütige Verwendung zu bitten.

»Folgt mir denn,« murmelte der Priester; »die Flamänder kennen mich, und werden mich durchlassen.«

Allein da Vater Aldrovand in Ungnade stand, so war sein Einfluß nicht so mächtig, als er sich geschmeichelt hatte, und er und der Minstrel wurden im Gedränge hin und her geschoben und von einander getrennt. Vidal aber ward von den englischen Bauern, die zuvor mit ihm gesprochen hatten, erkannt. »Verstehst du einige Gaukeleien, Minstrel?« sagte der Eine. »Du könntest dir ein Schönes erwerben, denn unsere normännischen Gebieter lieben die Taschenspielerstreiche.«

»Ich kenne bloß Ein Kunststück,« sagte Vidal, »und ich will es Euch zeigen, wenn Ihr mir einigen Raum gewähren wollt.«

Sie traten hierauf ein wenig zurück, und ließen ihm Zeit, seine Mütze abzulegen, Knie und Beine zu entblößen, indem er die ledernen Halbstiefel, in die sie eingehüllt waren, hinwegthat, und nur seine Sandalen am Fuß behielt. Dann band er ein buntfarbiges Tuch um seine schwärzliche und sonnenverbrannte Stirne, schleuderte sein Ueberwamms weg, und zeigte seine kräftigen und muskeligen Arme bis zu den Schultern entblößt; allein während er die ihn unmittelbar Umgebenden mit diesen Vorbereitungen belustigte, entstand eine lebhaftere Bewegung unter der Menge. Diese und der nahe Schall der Trompeten, der durch alle flamändischen Blasinstrumente, und durch den Jubelruf der Normänner und Engländer: »Lang lebe der tapfere Constabel! – Unsere Frau beschütze den kühnen de Lacy,« beantwortet wurde, verkündeten, daß der Constabel in der Nähe war.

Vidal machte unglaubliche Anstrengungen, um sich dem Führer des Zuges zu nahen, dessen durch den wallenden Federbusch ausgezeichneter Helm und rechte Hand, in der er den Commandostab hielt, Alles war, was er von ihm sehen konnte; so enge umschloß ihn die Schaar der Reiter und Diener. Endlich siegten seine Anstrengungen und er sah sich nur noch einige Schritte von dem Constabel entfernt; dieser befand sich in einem kleinen Kreise, der mit großer Mühe für die Feierlichkeit des Tages leer erhalten worden war. Dem Minstrel kehrte er den Rücken, und war gerade im Begriff, sich von seinem Pferde herabzubeugen um den königlichen Freibrief Wilkin Flammock zu überreichen, der sich auf ein Knie niedergelassen hatte, um ihn desto ehrfurchtsvoller zu empfangen. Seine Stellung nöthigte den Constabel, sich so tief niederzubeugen, daß sein wallender Federbusch sich mit der fliegenden Mähne seines edlen Rosses zu vermischen schien.

In diesem Augenblicke schwang sich Vidal mit unglaublicher Gewandtheit über die Köpfe der Flamänder, die den Kreis bewachten, und ehe ein Auge zu zucken vermochte, fußte sein rechtes Knie auf dem Hintertheile des Pferdes des Constabels, und hatte seine linke Hand den Kragen seines Büffelwamses erfaßt. Dann haschte er seine Beute, wie der Tiger nach dem Sprunge, zog in demselben Augenblicke einen kurzen und scharfen Dolch hervor, und bohrte ihn in den untern Theil des Nackens gerade da, wo der Rückgrad, der durch den Stich getrennt wurde, dazu dient, dem Rumpfe des menschlichen Körpers die geheimen Einflüsse des Gehirns mitzutheilen. Der Stoß wurde mit der größten Genauigkeit und der angestrengtesten Kraft beigebracht. Der unglückliche Reiter fiel von dem Sattel, ohne Seufzer oder Zuckung, wie ein Stier im Amphitheater unter dem Stahle des tauridor sinkt. In demselben Augenblicke saß sein Mörder, den blutenden Dolch schwingend und das Roß zur eiligen Flucht antreibend, in dem Sattel.

Es war in der That die Möglichkeit vorhanden, daß ihm seine Flucht gelingen konnte. So erstarrt waren im ersten Augenblicke alle Umstehenden durch die Schnelligkeit und Kühnheit der Unternehmung – allein Wilkin Flammock verließ seine Geistesgegenwart nicht – er faßte den Zügel des Rosses und mit Hülfe derer, die nur eines Beispiels bedurften, nahm er den Reiter gefangen, band ihm die Arme und rief laut, er müsse vor König Heinrich geführt werden. Dieser Vorschlag, in Flammocks starkem und entschiedenem Tone gesprochen, beschwichtigte das tobende Geschrei über Mord und Verrath, das dadurch entstanden war, daß die verschiedenen Völkerschaften angehörenden und daher feindlich gegen einander gesinnten Zuschauer sich gegenseitig den Vorwurf der Verrätherei machten.

Allein alle Ströme vereinten sich jetzt in Einen Kanal und drängten sich nach Garde doloureuse hin. Nur wenige von dem Gefolge des gemordeten Edelmanns blieben zurück, um den Leichnam ihres Gebieters mit der geziemenden feierlichen Trauer von dem Orte weg zu tragen, den er mit so großem Glanze und Triumphgepränge betreten hatte.

Als Flammock die Garde doloureuse erreichte, wurde er mit seinem Gefangenen und den Zeugen, welche er zur Ueberführung des Verbrechers gewählt hatte, willig eingelassen. Auf seine Bitte um eine Audienz aber ward ihm geantwortet, der König habe befohlen, Niemanden zu ihm einzulassen. Allein die Nachricht von des Constabels Ermordung war so befremdend, daß der Hauptmann der Garde Heinrichs Einsamkeit zu stören wagte, um ihm dieses Ereigniß mitzutheilen; auch kehrte er alsbald mit dem Befehle zurück, Flammock und sein Gefangener solle augenblicklich in das königliche Gemach eingelassen werden. Hier fanden sie Heinrich, von mehreren Personen umgeben, die ehrfurchtsvoll hinter dem königlichen Sitze in einem finstern Theile des Gemachs standen.

Als Flammock eintrat, bildeten seine starken und massiven Glieder einen auffallenden Gegensatz mit seinen aus Entsetzen über das eben Geschehene erbleichten Wangen, so wie mit der Scheu, die er darüber empfand, daß er sich in dem königlichen Audienzzimmer befand. Neben ihm stand sein Gefangener, uneingeschüchtert durch die unglückliche Lage, in der er sich befand. Das Blut seines Schlachtopfers, das aus der Wunde gespritzt war, zeigte sich auf seinen nackten Gliedern und seinen kargen Kleidern; besonders aber auf seiner Stirne und dem Tuche, mit dem sie umwunden war.

Heinrich sah ihn mit einem finstern und wilden Blicke an, den der Mörder nicht nur ohne Zagen ertrug, sondern sogar mit mürrischem Trotze zu erwiedern schien.

»Kennt Niemand diesen Bösewicht,« sagte Heinrich rings umher schauend.

Keine unmittelbare Antwort erfolgte, bis Philipp Guarine aus der Gruppe, welche sich hinter dem königlichen Stuhle befand, hervortrat, und wiewohl nicht ohne Stocken sagte: »Erlauben Eure Gnaden, mein Lehensherr, aus seiner sonderbaren Tracht möchte ich schließen, daß er ein zum Haushalte meines Gebieters gehörender Minstrel ist, Renault Vidal genannt.«

»Du irrst dich, Normann,« erwiederte der Minstrel, »mein dienender Stand und meine niedrige Abkunft waren bloß angenommen – ich bin Cadwallon der Britte – Cadwallon der Hauptbarde Gwenwyns, des Fürsten von Powisland – und sein Rächer.«

Als er die letzten Worte aussprach, begegneten seine Blicke denen eines Pilgers, der allmählig aus dem Hintergrunde, in welchem er sich befunden hatte, hervorgetreten war, und jetzt ihm gegenüber stand.

Des Wallisers Augen starrten so wild und gräßlich, als ob sie aus ihren Höhlen hätten dringen wollen, während er in erstauntem und schreckhaftem Tone ausrief: »Erscheinen die Todten vor Monarchen? oder wenn du zu den Lebenden gehörst, wen habe ich ermordet? – Ich träumte doch wohl nicht, als ich jene kühne That vollbrachte, und dennoch steht mein Schlachtopfer vor mir! Habe ich nicht den Constabel von Chester erschlagen?«

»Du hast in der That den Constabel erschlagen,« antwortete der König; »aber wisse, Walliser, es war Randal von Lacy, dem dieses Amt diesen Morgen übertragen worden ist, weil wir glaubten, unser loyaler und treuer Hugo de Lacy sei auf seiner Rückkehr vom heiligen Lande umgekommen, da das Schiff, auf welchem er sich befand, gescheitert sein sollte. Du hast jedoch Randals kurze Erhöhung nur um einige Stunden verkürzt, denn die morgende Sonne würde ihn wieder ohne Land und Würden gesehen haben.«

Der Gefangene senkte sein Haupt in sichtlicher Verzweiflung auf seine Brust nieder. »Ich glaubte,« murmelte er, »er habe seine Haut so schnell verändert und sei plötzlich so glorreich aufgetreten. So mögen die Augen ausfallen, die sich durch solchen Tand, – einen Federbusch und einen lackirten Rock betrügen ließen!«

»Ich werde dafür sorgen, Walliser, daß deine Augen dich nicht wieder betrügen,« sagte der König in finsterem Tone. »Ehe die Nacht um eine Stunde älter ist, sollen sie über Alles, was irdisch ist, geschlossen sein.«

»Darf ich Euer Gnaden,« sagte der Constabel, »um die Erlaubniß bitten, einige Fragen an den Walliser zu richten?«

»Wenn ich ihn,« sagte der König, »selbst gefragt habe, warum er seine Hände in das Blut eines edeln Normannen getaucht hat.«

»Weil der, den mein Streich treffen sollte,« sagte der Britte, sein Auge stolz bald auf den König und bald auf de Lacy richtend, »das Blut des Abkömmlings von tausend Königen vergossen hat, ein Blut, mit dem das des Constabels oder das deinige, stolzer Graf von Anjou, ungefähr dieselbe Aehnlichkeit hat, die zwischen einer reinen Silberquelle und einer Kothlache stattfindet.«

Drohend blickte Heinrichs Auge auf den kühnen Sprecher; allein der Monarch zügelte seine Wuth, als er den flehenden Blick seines Dieners bemerkte. »Was wolltest du ihn fragen,« sagte er, »sei kurz, denn meine Zeit ist beschränkt.«

»Mit Eurer Erlaubniß, mein Lehnsherr, ich wollte ihn fragen, warum er mir das Leben nicht geraubt hat, als es in seine Macht gegeben war, – ja als es ohne seine anscheinend treue Dienste rettungslos verloren gewesen wäre?«

»Normann,« sagte Cadwallon, »ich will dir antworten. Als ich zuerst in deine Dienste trat, war es wohl mein Vorsatz, dich in jener Nacht zu ermorden. Hier steht der Mann,« fügte er auf Philipp Guarine deutend, hinzu, »dessen Wachsamkeit du deine Sicherheit verdankst.«

»In der That,« sagte de Lacy, »ich entsinne mich einiger Anzeichen eines solchen Vorsatzes. Allein warum brachtest du ihn nicht zur Ausführung, als die fernere Zeit dir Gelegenheit dazu darbot?«

»Als der Mörder meines Gebieters Gotteskrieger war und seiner Sache in Palästina diente, durfte ihn meine irdische Rache nicht treffen.«

»Eine wunderbare Enthaltsamkeit bei einem wallisischen Mörder,« sagte der König höhnisch.

»Ja,« antwortete Cadwallon, »welche gewisse christliche Fürsten so bieder ausüben – daß sie die Gelegenheiten zu Eroberungen und Plünderungen, welche ihnen die Abwesenheit eines nach dem heiligen Lande gezogenen Nebenbuhlers darbietet, nie unbenutzt vorbeigehen lassen.«

»Nun bei dem heiligen Kreuze,« sagte Heinrich, im Begriffe loszubrechen, denn dieser Hohn kränkte ihn persönlich. Allein plötzlich hielt er inne und sagte mit verächtlicher Miene: »an den Galgen mit dem Bösewicht.«

»Noch eine Frage,« sagte de Lacy. »Renault Vidal, oder wie du sonst auch heißen magst, – selbst nach deiner Rückkehr aus dem heiligen Lande hast du mir Dienste geleistet, die sich mit deinem finstern Mordanschlage auf mein Leben nicht vereinigen lassen. – Du standest mir im Schiffbruche bei – du führtest mich hieher durch Wales, wo schon mein Name mir den Tod zugezogen haben würde; und Alles dieses geschah, nachdem der Kreuzzug bereits beendet war?«

»Ich könnte dir hierüber Aufschluß ertheilen,« sagte der Barde; »allein man möchte glauben, ich suche mir das Leben zu sichern.«

»Zaudere deßwegen nicht,« sagte der König; »denn legte unser heiliger Vater selbst Fürbitte für dich ein, es wäre dennoch vergebens.«

»Gut denn,« sagte der Barde, »vernimm die Wahrheit. – Ich war zu stolz, um der Welle oder dem Walliser zu erlauben, Antheil an meiner Rache zu haben. Vernimm auch, was vielleicht Cadwallons Schwäche genannt werden muß. Umgang und Gewohnheit hatten meine Gefühle gegen de Lacy zwischen Abscheu und Bewunderung getheilt. Ich gedachte noch immer meiner Rache, allein als einer Sache, die ich niemals vollführen zu müssen glaubte, und die mir mehr ein Wolkenbild zu sein schien, als ein Gegenstand, dem ich mich eines Tages nähern mußte. Und als ich dich,« sagte er, sich gegen de Lacy kehrend, »an dem heutigen Tage so entschlossen, so mannhaft entschlossen sah, dein finsteres Schicksal als ein Mann zu ertragen, – daß du mir dem letzten Thurme eines zertrümmerten Pallastes zu gleichen schienst, der noch immer sein Haupt gen Himmel emporhebt, wenn die prachtvollen Mauern und die glänzenden Gemächer ringsum in Trümmern liegen – da sprach ich bei mir selbst, eher mag ich untergehen, ehe ich ihn dem Untergang weihe! Damals, ja damals – nur vor einigen Stunden noch – würde ich, hättest du meine angebotene Hand angenommen, dir getreuer gedient haben, als je ein Diener seinem Herrn diente. Mit Verachtung wieset Ihr sie zurück – aber auch dann noch mußte ich Euch, wie ich glaubte, über den Kampfplatz, auf welchem Ihr meinen Herrn erschlugt, in dem ganzen Stolze normännischen Uebermuthes traben sehen, ehe der Entschluß, den Streich zu führen, der Euch zugedacht, wenigstens einen Eurer frechen Brut tödtete, in mir zur Reife gelangen konnte. – Mehr Fragen mag ich nicht beantworten – führt mich zum Beile oder zum Galgen – für Cadwallon ist dieß gleichgültig. – Bald wird meine Seele bei ihren freien und edlen Vorfahren sein.«

»Mein Lehnsherr und Fürst,« sagte de Lacy, sein Knie vor König Heinrich beugend. »Könnt Ihr dieß hören, und Eurem alten Diener eine Bitte abschlagen? – Schonet dieses Mannes! verlöscht ein solches Licht nicht, weil es wild und ungeregelt leuchtet!«

»Auf, auf, de Lacy! und schäme dich deiner Bitte,« sagte der König. »Deines Vetters Blut – das Blut eines edlen Normannen klebt an der Stirne und den Händen des Wallisers an. So wahr ich gekrönter König bin, er soll sterben, ehe es abgewischt ist – hier! führt ihn ab zur augenblicklichen Hinrichtung.«

Unverzüglich wurde Cadwallon unter starker Bedeckung abgeführt.

»Du bist toll, de Lacy – du bist toll, mein alter und treuer Freund, daß du dieses von mir verlangst,« sagte der König, indem er de Lacy zum Aufstehen nöthigte. »Siehst du nicht, daß ich in dieser Sache nur für dich Sorge trage? – Dieser Randal hat sich durch Freigebigkeit und Versprechungen viele Freunde erworben, die vielleicht nicht so leicht zum Gehorsam gegen dich zurückkehren würden, da du arm an Macht und Reichthum deine Heimath wieder betreten hast. Lebte er noch, so würden wir Mühe haben, ihn der erworbenen Gewalt ganz zu berauben. Wir danken dem walliser Mörder, daß er uns von ihm befreit hat; allein seine Anhänger würden uns des falschen Spiels bezüchtigen, falls jetzt der Mörder verschont bliebe. Wenn Blut mit Blut bezahlt wird, so wird Alles vergessen werden, und ihre Treue wiederum in ihrem alten Bette Dir, ihrem rechtmäßigen Lehensherrn, zuströmen.«

Hugo von Lacy erhob sich von seinem Knie und versuchte ehrfurchtsvoll, die politischen Gründe seines schlauen Monarchen zu bekämpfen, die, wie er deutlich sah, minder aus der Besorgniß für sein Wohl, als aus dem Wunsche, den Wechsel der lehnsherrlichen Oberherrschaft mit der geringsten Unruhe für das Land und den Monarchen zu Stande zu bringen hervorgegangen waren.

Geduldig hörte Heinrich seine Beweisgründe an, und bekämpfte sie mit Gelassenheit, bis man die Todesstimme der Trommel vernahm, und die Schloßglocke ertönte. Dann führte er de Lacy an's Fenster, auf das, denn es war jetzt Nacht, ein starkes von Außen brennendes Licht seinen düsterrothen Glanz warf. Eine Anzahl Bewaffneter, deren Jeder eine brennende Fackel hielt, kehrten die Terrasse entlang von der Hinrichtung des wilden, doch hochherzigen Britten zurück, und weit tönte durch die Nacht der Ruf: »lang lebe König Heinrich! so mögen alle Feinde der edlen Normannen untergehen.«



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