Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Der Haushalt der Lady Eveline trug, obschon er auf eine ihrem gegenwärtigen und zukünftigen Range angemessene Weise eingerichtet war, einen feierlichen und einsamen Charakter, der ihrem Aufenthaltsorte so wie der von ihrer Lage gebotenen Eingezogenheit entsprach; denn abgeschieden von der Classe der Mädchen, deren Hand noch frei ist, gehörte sie noch nicht zu der Zahl der Frauen, die den unmittelbaren Schutz des verheiratheten Standes genießen. Ihre Dienerinnen, mit denen der Leser bereits bekannt ist, machten fast ihre ganze Gesellschaft aus. Die Besatzung der Burg, außer den Dienern ihres Haushalts, bestand aus Veteranen von geprüfter Treue, die in mehr als einer blutigen Schlacht Raymond Berengers und de Lacy's Waffengefährten gewesen waren, und denen die Pflicht der Bewachung gleichsam zur zweiten Natur geworden war, indessen ihr durch Alter und Erfahrungen geregelter Muth sich nicht leicht in irgend ein rasches Abenteuer oder einen zufälligen Streit verwickelte. Diese Leute hielten, von dem Haushofmeister befehligt, beständig und sorgfältig Wache. Vater Aldrovand führte indessen die Oberaufsicht, da er, neben der Erfüllung seiner geistlichen Pflichten, manchmal Gefallen daran fand, einige Beweise von seiner frühern kriegerischen Erziehung zu geben.

Während diese Besatzung gegen jeden plötzlichen Ueberfall von Seiten der Walliser Sicherheit gewährte, war eine bedeutende bewaffnete Macht einige Stunden von Garde doloureuse stets bereit, bei der geringsten Gefahr vorzurücken, um die Festung gegen jede auch noch so zahlreiche feindliche Macht zu schützen, die unabgeschreckt durch Gwenwyns Schicksal, die Kühnheit haben könnte, eine regelmäßige Belagerung zu unternehmen.

Mit dieser Schaar, die unter Damians Aufsicht stets kampfbereit gehalten wurde, konnte in dringenden Fällen auch noch die ganze Kriegsmacht der Gränzlande vereint werden, die hauptsächlich aus den zahlreichen Truppen der Flamänder und anderer Fremden, die gegen die Verpflichtung, Kriegsdienste zu thun, Ländereien besaßen, bestand.

Während die Festung so vor feindlicher Gewaltthat beschützt war, floß das Leben ihrer Bewohner so gleichförmig und einfach dahin, daß Jugend und Schönheit wohl entschuldigt werden konnten, wenn sie sich, selbst mit einiger Gefahr, mehr Mannigfaltigkeit wünschten. Die einzige Erholung von den Arbeiten der Nadel bestand in einem Spaziergange um die Zinnen der Burg, wo Eveline, Arm in Arm mit Rosa gehend, von jeder Schildwache einen militärischen Gruß erhielt; oder sie erging sich auf dem Schloßhofe, wo die Mützen der Diener ihr dieselbe Ehrfurcht erwiesen, die sie oben von den Picken und Wurfspießen der Wächter erhalten hatte. Wünschte sie aber ihren Spaziergang über das Schloßthor hinaus auszudehnen, so war es nicht hinreichend, daß die Thore geöffnet und die Brücken herabgelassen wurden; es mußte auch noch eine bewaffnete Bedeckung zu Fuß oder zu Pferd, je nach den Umständen, ausrücken, um Lady Evelinen Sicherheit und Schutz zu gewähren. Ohne diese militärische Begleitung konnten sie sich, wenn sie gesichert sein wollten, nicht einmal bis zu den Mühlen wagen, wo der ehrliche Wilkin Flammock, seine kriegerischen Thaten vergessend, mit den Arbeiten seines Gewerbes beschäftigt war. Allein wenn man eine weitere Ergötzlichkeit beabsichtigte, und die Gebieterin von Garde doloureuse der Falken- oder sonst einer Jagd einige Stunden zu weihen beschloß, so wurde ihre Sicherheit einer so schwachen Obhut, als die Besatzung der Burg gewähren konnte, nicht anvertraut. Es war erforderlich, daß Raoul durch einen besondern, des Abends zuvor abgeschickten Boten, Damian von ihrem Vorsatze benachrichtigte, damit man noch vor Tages-Anbruch, mit einer Abtheilung leichter Reiterei, die Gegend durchstreifen konnte, in der sie sich zu ergötzen beschlossen hatte; auch wurden, so lange sie sich auf dem offenen Felde befand, auf allen verdächtigen Punkten Wachen ausgestellt. Zwar versuchte sie Einigemale, ohne eine förmliche Ankündigung ihrer Absicht, einen Ausflug zu machen; allein alle ihre Vorsätze schienen Damian bekannt zu sein, sobald sie sie gefaßt hatte, und sie war nicht sobald auf dem freien Felde, als man auch schon starke Abtheilungen von Bogenschützen und Lanzenträgern die Thäler durchziehen und die Gebirgspässe besetzen sah; ja Damians eigenen Federbusch sah man gewöhnlich die Köpfe der fernen Krieger wallend überragen.

Die Förmlichkeit dieser Vorbereitungen verringerte das Vergnügen der Jagd so sehr, daß Eveline nur selten einer Ergötzung nachhing, die so viel Lärmen erregte und so viele Personen in Bewegung setzte.

Wenn der Tag, so gut es sich thun ließ, hingebracht war, so pflegte Vater Aldrovand des Abends aus irgend einer heiligen Legende, oder aus den Homilien eines verewigten Heiligen solche Stellen vorzulesen, die er für seine kleine Gemeinde am geeignetsten fand. Zuweilen las und erklärte er auch ein Kapitel der heiligen Schrift; allein in solchen Fällen war des guten Menschen Aufmerksamkeit so ausschließlich auf den kriegerischen Theil der jüdischen Geschichte gerichtet, daß er sich nie von den Büchern der Richter und Könige, so wie von den Triumphen des Judas Maccabäus trennen konnte, obschon die Art und Weise, auf welche er die Siege der Kinder Israel erläuterte, ihn selbst in einem weit höhern Grade ergötzte, als sie seine weibliche Zuhörerschaft erbaute.

Zuweilen, jedoch aber selten, erhielt Rosa die Erlaubniß, einen wandernden Minstrel einzuführen, damit er mit seinem Gesange von Liebe und Ritterthaten eine Stunde ausfüllen möchte; zuweilen vergalt auch ein Pilger, der von einem fernen Heiligthume kam, durch seine langen Erzählungen von den Wundern, die er in fremden Ländern gesehen hatte, die ihm von der Burg Garde doloureuse dargebotene Gastfreundschaft; und zuweilen trat auch der Fall ein, daß auf die Fürbitte der Putzfrau reisende Kaufleute oder Hausirer eingelassen wurden, die mit Gefahr ihres Lebens den Stoff zu reichen Kleidungen, und weibliche Putzwaaren von Schloß zu Schloß trugen.

Die gewöhnlichen Besuche der Bettler und Gaukler, oder reisenden Lustigmacher dürfen auf dieser Liste der Ergötzlichkeiten, deren man sich auf der Burg Garde doloureuse erfreute, nicht vergessen werden; und obschon seine Nation ihn zu strenger Wache und Aufmerksamkeit verpflichtete, so wurde doch auch der walliser Barde mit seiner großen, mit Pferdehaaren bezogenen Harfe eingelassen, um mehr Mannigfaltigkeit in die Gleichförmigkeit ihres einsamen Lebens zu bringen. Allein diese Ergötzungen und die regelmäßige Erfüllung der religiösen Pflichten in der Kapelle abgerechnet, war's unmöglich, daß eines Menschen Leben in einer lästigern Eintönigkeit hinschleichen konnte, als auf der Burg Garde doloureuse. Seit dem Tode ihres braven Eigenthümers, der sich ebensowohl durch seine gastliche und freundschaftliche Bewirthung, als durch seine strengen Begriffe von Ehre und seine ritterlichen Thaten auszeichnete, hätte es scheinen können, als ob die Düsterheit eines Klosters die alte Behausung Raymond Berengers umhüllte, hätte ihr nicht die Gegenwart so vieler bewaffneter Hüter, die feierlich auf den Zinnen umherschritten, vielmehr das Ansehen eines Staatsgefängnisses gegeben. Allmählig ging auch auf die Gemüthsstimmung der Bewohner ein Theil der Düsterheit ihres Wohnortes über.

Besonders fühlte Evelinens Seele eine gewisse Niedergeschlagenheit, der ihr sonst so lebhaftes Temperament durchaus nicht zu widerstehen vermochte, und als ihr Nachsinnen ernsthafterer Art wurde, so wandte sie sich jener ruhigen Beschauung zu, die so oft mit einer feurigen und schwärmerischen Gemüthsart vereinigt ist. Tief sann sie über die früheren Vorfälle ihres Lebens nach; auch darf man sich nicht wundern, daß ihre Gedanken bloß auf die zwei verschiedenen Perioden, in denen sie eine übernatürliche Erscheinung gesehen oder wenigstens zu sehen geglaubt hatte, zurückkehrten. Dann schien es ihr zuweilen, als ob eine gute und böse Macht sich um die Herrschaft über ihr Schicksal stritten.

Die Einsamkeit begünstigt das Gefühl unserer eigenen Wichtigkeit. Während sie allein und bloß mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt sind, haben die Fanatiker Traumgesichte, und verlieren sich eingebildete Heilige in träumerische Entzückungen. Bei Evelinen ging zwar der Einfluß des Enthusiasmus nicht so weit; jedoch aber glaubte sie manchmal in nächtlichen Träumen die Gestalt der Frau von Garde doloureuse zu gewahren, die Blicke des Mitleids, des Schutzes und des Trostes auf sie heftete. Zuweilen sah sie aber auch die unheilvolle Gestalt des sächsischen Schlosses Baldringham, die die blutige Hand, als Zeugen des Unrechts, das sie in ihrem Leben erlitten hatte, emporhielt, und dem Sprößlinge ihres Mörders Rache drohte. Wenn Eveline aus solchen Träumen erwachte, so pflegte sie sich zu erinnern, daß sie der letzte Zweig ihres Hauses war – eines Hauses, das schon seit langen Jahren unter dem besondern Schutze des wunderthätigen Bildes, so wie unter dem besondern ungünstigen und feindseligen Einflusse der rachsüchtigen Vanda stand. Es schien ihr, als ob sie der Preis sei, um den die gütige Heilige und der finstere und rachesinnende Bahrgeist ihren letzten und kühnsten Kampf kämpfen.

Voll von diesem Gedanken und in ihrem Nachsinnen wenig durch äußere Zerstreuungen gestört, wurde sie nachdenkend, und verlor sich in Betrachtungen, die ihre Aufmerksamkeit von ihrer Umgebung ablenkten, so daß sie in der wirklichen Welt wie im Traume umherwandelte. Wenn sie ihrer gegen den Constabel eingegangenen Verpflichtungen gedachte, so geschah es mit Ergebung, allein ohne den Wunsch und fast ohne die Erwartung, daß sie aufgefordert werde, sie zu erfüllen. Sie hatte ihr Gelübde erfüllt, indem sie den Treuschwur ihres Befreiers gegen ihren eigenen empfangen hatte; und ob sie schon bereit war, das Pfand zu lösen, ja kaum sich selbst den Widerwillen eingestand, mit dem sie an diese Handlung dachte, so ist es doch gewiß, daß sie die unanerkannte Hoffnung nährte, unsere Frau von Garde doloureuse werde kein strenger Gläubiger sein, und zufrieden mit der Bereitwilligkeit, die sie zur Erfüllung ihres Gelübdes gezeigt habe, ihre Ansprüche nicht in ihrer ganzen Strenge zu behaupten suchen; nur der schwärzeste Undank hätte wünschen können, daß ihr tapferer Befreier, für den sie zu beten so gegründete Ursache hatte, einen jener Unfälle erleiden möchte, die in dem heiligen Lande den Lorbeerkranz so oft in Cypressen verwandelten. Allein wie viele andere Vorfälle veränderten nicht oft bei Leuten, die sich lange im Auslande aufhielten, die Vorsätze, mit denen sie ihre Heimath verlassen hatten?

Ein wandernder Minstrel, der Garde doloureuse besuchte, hatte zur Unterhaltung der Lady und ihrer Umgebung das berühmte Lied vom Grafen von Gleichen vorgetragen, der, obschon bereits in seinem Lande verheirathet, sich im Morgenlande mit einer sarazenischen Fürstin, die ihm seine Freiheit ausgewirkt hatte, in so starke Verbindungen einließ, daß er sie endlich auch heirathete. Der Papst und sein Conclave genehmigten in einem so außerordentlichen Falle die Doppelheirath; so theilte der Graf von Gleichen sein Ehebett mit zwei Weibern vom gleichen Range, und ruht jetzt zwischen ihnen unter demselben Grabsteine.

Mannigfaltig und widersprechend waren die Bemerkungen, welche die Bewohner des Schlosses über die Legende machten. Vater Aldrovand erklärte sie für erdichtet, und für eine unwürdige Verleumdung des Oberhaupts der Kirche, das in keinem Falle eine solche Unregelmäßigkeit geduldet haben würde. Mitleidsvoll weinte Margery, mit der Zärtlichkeit einer alten Amme, während der ganzen Erzählung, und freute sich herzlich, daß für eine Liebesnoth, aus der es fast keine Errettung zu geben schien, ein Auskunftsmittel gefunden wurde. Dame Gillian erklärte es für unbillig, daß, da einer Frau nur ein Ehemann zugestanden sei, einem Manne, unter was immer für Umständen, erlaubt sei, zwei Frauen zu haben; Raoul aber bemitleidete, Dame Gillian einen herben Blick zuwerfend, die jämmerliche Thorheit eines Mannes, der von einem solchen Vorrechte Gebrauch machen könnte.

»Still, alle ihr Uebrigen,« sagte Lady Eveline, »du aber, meine theure Rosa, sage mir dein Urtheil über diesen Grafen von Gleichen, und seine zwei Weiber.«

Rosa erröthete und erwiederte: »Ich bin nicht sehr gewöhnt, an solche Dinge zu denken, allein meiner Einsicht nach hätte die Frau, die sich bloß mit der Hälfte der Zuneigung ihres Gatten begnügte, niemals verdient, den kleinsten Theil derselben zu besitzen.«

»Du hast recht zum Theil,« sagte Eveline, »und ich glaube, als die europäische Dame sich von der schönen ausländischen Prinzessin überstrahlt sah, so hätte sie am besten gethan, wenn sie, ihre Würde beachtend, ihren Platz abgetreten, und dem heiligen Vater keine andere Mühe verursacht hätte, als die, den Ehekontrakt aufzulösen, wie dieß in andern Fällen schon so oft geschehen ist.«

Dieses sagte sie in einem gleichgültigen und fröhlichen Tone, der ihren Begleiterinnen zeigte, mit welcher geringen Anstrengung sie selbst ein solches Opfer gebracht haben würde, und zugleich über ihre Zuneigung gegen den Constabel Licht verbreitete.

Allein es gab einen andern Gegenstand, als den Constabel, mit dem sich ihre Gedanken, obwohl unwillkürlich, häufiger beschäftigten, als vielleicht mit der Klugheit vereinbar war.

Die Erinnerungen an Damian de Lacy waren noch nicht in Evelinens Seele verloschen. Sie wurden zwar durch die öftere Nennung seines Namens und durch das Bewußtsein erneuert, daß er sich fast beständig in ihrer Nähe befand, und ihrer Bequemlichkeit, ihrem Interesse und ihrer Sicherheit seine ganze Aufmerksamkeit widmete, allein andererseits war er weit entfernt, ihr seine persönliche Aufwartung zu machen, ja er erschien selbst niemals bei ihr, um sie über Dinge, die ihre höchsten Interessen berührten, um ihr Wohlgefallen zu fragen.

Die Botschaften, die Vater Aldrovand oder Rosa, an Amelot, den Pagen Damians, überschickte, ertheilten ihrem Verhältnisse eine gewisse Förmlichkeit, die Eveline für unnöthig, ja selbst für unfreundlich hielt; zugleich aber diente sie doch dazu, ihre Aufmerksamkeit auf die zwischen ihnen bestehende Verbindung zu richten, und sie ihrem Gedächtnisse stets zu vergegenwärtigen. Die Bemerkung, wodurch Rosa die von ihrem jugendlichen Beschirmer beobachtete Entfernung gerechtfertigt hatte, drang sich zuweilen ihrer Erinnerung auf, und während ihre Seele mit Unwillen den Verdacht von sich wies, seine Gegenwart könnte dem Interesse seines Oheims schaden, so suchte sie doch mannigfaltige Gründe auf, um ihm sehr häufig ihr Andenken zu weihen – war es nicht ihre Pflicht, oft und freundlich Damians zu gedenken, da er des Constabels nächster, treuester und zuverlässigster Verwandter war? War er nicht früher ihr Befreier, und jetzt ihr Beschützer? – und konnte er nicht als ein Werkzeug betrachtet werden, dessen sich ihre himmlische Beschützerin vorzugsweise bediente, um den Schutz, den sie ihr in manchen Drangsalen so gnädig verliehen hatte, in Ausführung zu bringen?

Evelinens Geist empörte sich gegen die Beschränkungen, die ihrem Verkehre auferlegt waren, als gegen Etwas, das von Verdacht und Herabwürdigung zeugte, gleich der gezwungenen Abgeschiedenheit, der, wie sie gehört hatte, die Ungläubigen des Morgenlandes ihre Frauen unterwarfen. Warum sollte sie ihren Beschützer bloß in den Wohlthaten sehen, die er ihr erwies, und in der Fürsorge, die er für ihre Sicherheit trug? warum sollte sie seine Gesinnungen nur aus dem Munde Anderer vernehmen, als ob der eine Theil von ihnen mit der Pest oder irgend einer sonstigen ansteckenden Krankheit, die ihr Zusammentreffen für den andern Theil gefährlich gemacht hätte, behaftet gewesen wäre, – und wenn sie gelegenheitlich zusammentrafen, was anders konnte wohl die Folge davon sein, als daß die Sorge eines Bruders für eine Schwester – eines treuen und freundschaftlichen Beschützers der Braut seines nahen Verwandten und geehrten Beschützers – die melancholische Abgeschiedenheit von Garde doloureuse einer so jungen Person, die, obschon durch die gegenwärtigen Umstände niedergeschlagen, doch von Natur heiter und fröhlich war, erträglicher machen mußte.

Allein obschon diese Schlußfolge Evelinen in der Einsamkeit so natürlich und überzeugend schien, daß sie mehrmals beschloß, ihre Ansicht hierüber Rosa Flammock mitzutheilen, so fürchtete sie doch, so oft sie in die klaren und ruhigen blauen Augen des flamändischen Mädchens blickte und sich erinnerte, daß sie mit ihrer wankellosen Treue eine jeder Rücksicht trotzbietende Aufrichtigkeit und Freimüthigkeit verband, sie möchte sich in der Meinung ihrer Begleiterin einem Argwohne aussetzen, von dem sie ihr Gewissen lossagte, und ihr stolzer normännischer Geist empörte sich bei dem Gedanken, sich vor einem andern Menschen rechtfertigen zu müssen, wenn sie ihr Inneres freisprach. »Laß die Sache, wie sie ist,« sagte sie bei sich selbst, »und erdulde lieber den ganzen Ueberdruß eines Lebens, das so leicht angenehmer gemacht werden könnte, als daß diese eifrige, aber zu strenge, Freundin in ihrem überspannten Zartsinne mich für fähig halten könnte, einen Verkehr aufzumuntern, der den gewissenhaftesten Mann oder Menschen bewegen könnte, eine minder würdige Idee von mir zu fassen.« Allein gerade diese Unstätigkeit ihrer Meinungen und Entschlüsse diente nur dazu, das Bild des schönen jugendlichen Damian ihrer Seele häufiger vorzuführen, als vielleicht sein Oheim, hätte er es wissen können, gebilligt haben würde. Solchen Betrachtungen überließ sie sich jedoch nicht lange, denn bald führte sie die Erinnerung an das sonderbare Geschick, das sie bisher regiert hatte, zu den melancholischeren Betrachtungen zurück, von denen sie die Lebhaftigkeit ihrer jugendlichen Einbildungskraft auf eine kurze Zeit befreit hatte.



 << zurück weiter >>