Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreißigstes Kapitel.

Kaum hatte sie geendet, so eilte Amelot hinweg und versammelte alle Reiterei, die er zusammenbringen konnte, so daß sich bald vierzig Mann zu Pferde im Schloßhofe befanden.

Allein obschon dem Pagen in so weit willig gehorcht wurde, so zeigten doch die Krieger, als sie hörten, daß sie zu einem gefährlichen Zuge aufbrechen sollten, von keinem erfahrenern Anführer, als einem fünfzehnjährigen Knaben, geleitet, einen entschiedenen Widerwillen, das Schloß zu verlassen. Die alten Krieger de Lacy's erklärten, Damian selbst sei noch zu jung, um ihnen zu befehlen, und habe kein Recht, seine Gewalt einem Knaben zu übertragen. Die Reisigen Berengers dagegen äußerten, ihre Gebieterin sollte mit ihrer Befreiung an diesem Morgen zufrieden sein, ohne die Besatzung durch weitere gefährliche Unternehmungen zu verringern.

»Die Zeiten,« sagten sie, »sind stürmisch, und am klügsten ist es, unter einem steinernen Obdache zu bleiben.«

Je mehr sich die Krieger ihre Ansichten und Besorgnisse mittheilten, je stärker wurde ihre Abneigung gegen die Unternehmung. Als daher Amelot, der nach Pagenart sein Pferd vor seinen Augen hatte satteln und vorführen lassen, auf den Schloßhof zurückkam, fand er sie unordentlich und verwirrt umherstehen. Einige waren zu Pferde, andere zu Fuß, alle sprachen laut und keiner war in der Ordnung. Ralph Genvil, ein Veteran, dessen Gesicht mit mancher Schramme besetzt war, und der sich lange Zeit als Glückssoldat umhergetrieben hatte, stand von den Uebrigen getrennt da, in der einen Hand den Zaum seines Pferdes und in der andern den Bannerspeer haltend, um den das Panier de Lacy's noch gewickelt war.

»Was soll das, Genvil?« sagte der erzürnte Page. »Warum besteigt Ihr Euer Pferd nicht, und entfaltet das Banner? Und was veranlaßt alle diese Unordnung?«

»Es ist wahr, Herr Page,« sagte Genvil gelassen, »ich sitze nicht in meinem Sattel, weil ich einige Achtung für diesen alten seidenen Lappen habe, den ich sonst manchmal dahin trug, wo Ehre gewonnen wurde, und nun nicht gerne dahin führen möchte, wohin man ihm nicht folgen und wo man ihn nicht vertheidigen will.«

»Kein Marsch – kein Angriff – kein Entfalten des Banners heute!« riefen die Krieger aus, um der Rede des Fahnenträgers größern Nachdruck zu geben.

»Wie, Ihr Memmen? Wollt Ihr Euch empören?« so rief Amelot, seine Hand an das Schwert legend.

»Drohe mir nicht, Knabe,« sagte Genvil, »und erhebe das Schwert nicht gegen mich. Ich sage dir, Amelot, sollte deine Waffe sich mit der meinigen messen, so versichere ich dich, daß nie ein Dreschflegel mehr Spreu in die Luft gesandt hat, als ich Splittern aus deinem vergoldeten Bratspieß machen wollte. Schau, hier sind Graubärte, die nicht Lust haben, um der Laune eines jeden Knaben willen auszuziehen. Was mich betrifft, so streite ich mich nicht lange darum; es ist mir gleichgültig, ob dieser oder jener Knabe mich anführt. Allein für jetzt bin ich de Lacy's Krieger und nicht überzeugt, daß wir de Lacy einen angenehmen Dienst erweisen würden, wenn wir diesem Wenlock zu Hülfe zögen. Warum führte er uns nicht diesen Morgen dahin, wo er uns nach den Bergen zu ziehen befahl?«

»Ihr wißt die Ursache wohl,« sagte der Page.

»Ja, wir wissen die Ursache, oder wenn wir sie nicht wissen, so können wir sie errathen,« antwortete der Fahnenträger mit einem schallenden Gelächter, das von einigen seiner Gefährten wiederholt wurde.

»Ich will dir die Verleumdung in deine falsche Gurgel hinunterzwängen, daß du daran zu worgen hast,« sagte der Page, zog sein Schwert und stürzte jählings auf den Bannerträger los, ohne die große Verschiedenheit ihrer Stärke zu beachten.

Genvil begnügte sich damit, seinen Angriff durch eine einzige und, wie es schien, leichte Bewegung seines gigantischen Armes zu vereiteln, indem er den Pagen mit demselben auf die Seite drückte, zu gleicher Zeit aber seinen Hieb mit der Fahnenstange abwehrte.

Ein abermaliges lautes Gelächter erfolgte, und Amelot, der sah, daß alle seine Anstrengungen erfolglos blieben, warf sein Schwert von sich, und eilte, vor Stolz und Unwillen weinend, zu Lady Evelinen zurück, um ihr den schlechten Erfolg seiner Bemühungen zu berichten.

»Alles,« sagte er, »ist verloren – die feigen Schurken haben sich empört und wollen nicht ausziehen; und ihre Trägheit und Muthlosigkeit wird meinem theuern Gebieter zur Last gelegt werden.«

»Das soll nie und nimmer geschehen,« sagte Eveline, »und kostete es mich auch das Leben – folgt mir, Amelot.«

Hastig warf sie eine scharlachrothe Schärpe über ihre schwarze Kleidung und eilte in den Schloßhof hinab, begleitet von Gillian, die während des Gehens verschiedene, Erstaunen und Mitleid ausdrückende Geberden annahm, und von Rosa, die die Gefühle, welche sie wirklich empfand, sorgfältig zu verbergen suchte.

Eveline betrat den Schloßhof mit dem feurigen Auge und der glühenden Stirne, welche ihre Vorfahren in Gefahr und Noth zu zeigen pflegten, wenn ihre Seelen sich waffneten, um dem Sturme zu begegnen, und in Miene und Blick hohen Herrschersinn und tiefe Verachtung der Gefahr an den Tag legten. Ihre Gestalt schien in diesem Augenblicke vergrößert und erhöht, und in einer klaren und leichtvernehmlichen Stimme, die jedoch die Zartheit des weiblichen Tones nicht überschritt, hörten sich die Meuterer also anreden. »Was ist dieß, ihr Herren?« sagte sie, und während sie so sprach, schienen sich die massiven Gestalten der bewaffneten Krieger näher aneinander anzuschließen, als suchten sie ihrem individuellen Tadel zu entgehen.

»Was bedeutet dieß?« fragte sie nochmals; »glaubt ihr, daß jetzt die geeignete Zeit zum Aufruhr sei, da euer Gebieter abwesend ist, und sein Neffe und Stellvertreter auf dem Krankenbette liegt? Haltet ihr so euern Eid? Lohnet ihr so eures Führers Güte? Schande über euch, ihr lässigen Hunde, die ihr träge zurückweicht, sobald ihr den Jäger aus dem Gesichte verloren habt.«

Hier trat eine Pause ein – die Soldaten richteten den Blick bald auf sich selbst, bald auf Evelinen, gleich als schämten sie sich nicht minder, zum Gehorsam zurückzukehren, als ihre Meuterei fortzusetzen.

»Ich sehe, wie es um die Sache steht, meine wackern Freunde – ihr braucht einen Anführer – allein laßt euch dadurch nicht zurückhalten – ich will euch selbst anführen, und obschon ich nur eine Jungfrau bin, so braucht doch keiner unter euch Unehre zu fürchten, da wo ein Sprößling der Berenger an eurer Spitze steht. – Bedecke meinen Zelter mit einem Stahlsattel,« sagte sie, »und das augenblicklich.« Mit diesen Worten hob sie des Pagen leichten Helm vom Boden auf, drückte ihn schnell auf ihr Haupt, ergriff sein gezücktes Schwert und fuhr also fort: »Hier verspreche ich euch meine Aufsicht und Führung; dieser Edelmann,« sie deutete auf Genvil, »soll meinen Mangel an Kriegskunst ersetzen. Er sieht wie ein Mann aus, der schon manche heiße Schlacht gesehen hat, und wohl geeignet ist, eine junge Führerin ihre Pflicht zu lehren.«

»Wahrlich,« sagte der alte Krieger, unwillkürlich lachend, und zu gleicher Zeit den Kopf schüttelnd, »ich habe schon manche Schlacht gesehen, aber nie eine unter einem solchen Anführer.«

»Dessen ungeachtet,« sagte Eveline, wohlbemerkend, wie die Blicke der übrigen auf Genvil gerichtet waren, »werdet – könnt und wollt ihr euch nicht weigern, mir zu folgen – ihr werdet dieß nicht thun als Krieger; denn meine Stimme ertheilt euch die Befehle eures Anführers – Ihr könnt es nicht thun als Edelmann, denn eine Dame, eine hartbedrängte und unglückliche Jungfrau, bittet Euch um Hülfe – Ihr wollt es nicht thun als ein Engländer, denn Euer Vaterland fordert Euer Schwert, und Eure Kameraden sind in Gefahr. So entfaltet denn Euer Banner und brecht auf!«

»Bei meiner Seele, schöne Lady, ich wollte es gerne thun,« erwiederte Genvil, sich stellend, als wolle er das Banner entfalten – »und Amelot könnte uns, durch meinen Rath ein wenig unterstützt, gut genug anführen. Allein ich weiß nicht, ob Ihr uns auf den rechten Weg schickt.«

»Gewiß, gewiß,« rief Eveline in ernstem Tone aus. »Es muß wohl der rechte Weg sein, der Euch zum Beistande Wenlocks und seiner Krieger gegen die rebellischen Bauern führt.«

»Ich weiß nicht,« sagte Genvil noch zögernd, »unser Führer, Sir Damian de Lacy, beschützt den gemeinen Mann. Die Leute sagen, er begünstige ihn – und ich weiß, daß er einst mit Wild Wenlock einen Streit anfing, einer unbedeutenden Beleidigung wegen, die dieser des Müllers Weibe in Twinefort zugefügt hatte. Es würde uns schlecht ergehen, wenn unser feuriger Anführer nach überstandener Krankheit erführe, daß wir gegen die von ihm begünstigte Partei gefochten hätten.«

»Seid überzeugt,« rief das Mädchen in besorgtem Tone aus, »je mehr er den gemeinen Mann gegen Unrecht schützt, um so kräftiger wird er ihn bändigen, wenn er Andere unterdrückt. Steigt zu Pferde und ziehet aus – rettet Wenlock und seine Mannen, Leben und Tod hängt an jedem Augenblicke. Mit meinem Leben und meinem Eigenthum verbürge ich mich, daß Alles, was Ihr thut, von de Lacy als ein angenehmer Dienst aufgenommen werden wird. – Auf denn! und folget mir.«

»Sicherlich kann Niemand besser mit Sir Damians Absichten bekannt sein als Ihr, schönes Fräulein,« antwortete Genvil. »Ja, was diese Sache betrifft, so könntet Ihr ihn sogar nach Eurem Wohlgefallen zur Veränderung seiner Plane bewegen – und so will ich denn mit den Reisigen ausziehen und Wenlock helfen, wenn es noch Zeit ist, woran ich keineswegs zweifle; denn er ist ein rauher Eber, und wenn er zum Angriff kommt, wird das Blut der Bauern reichlich fließen, bevor sie in's Hüfthorn stoßen Zum Zeichen seiner Erlegung.. Allein bleibt Ihr im Schlosse zurück, schönes Fräulein, und verlaßt Euch auf Amelot und mich. Kommt, Herr Page! übernehmet den Befehl, da es so sein muß, obschon es bei meiner Treu Schade ist, den Helm von diesem schönen Kopfe und das Schwert aus dieser schönen Hand zu nehmen – beim heiligen Georg, da die Waffen zu erblicken, das muß einen edlen Stolz auf das Soldatenhandwerk einflößen.«

Das Fräulein übergab dem zu Folge Amelot die Waffen, und ermahnte ihn in wenigen Worten, die erlittene Beleidigung zu vergessen, und seine Pflicht männlich zu erfüllen. Unterdessen entfaltete Genvil langsam das Banner – dann erhob er es in die Lüfte und schwang sich, ohne den Fuß in den Steigbügel zu setzen, und sich nur ein wenig auf die Lanze stützend, in den Sattel, so schwer er auch gewappnet war. »Wir sind jetzt bereit, wenn es Euch, mein junges Herrchen, gefällig ist,« sagte er zu Amelot, und flüsterte dann seinen nächsten Kameraden, während der Page die Schaar ordnete, die Worte zu:

»Mir scheint es, wir würden uns besser um einen gestickten Weiberunterrock, als um diesen alten Schwalbenschwanz versammeln – ein verbrämter Weiberrock geht mir über Alles – sieh' Stephen Pontoys – ich kann es dem armen Damian jetzt wohl verzeihen, daß er seinen Oheim und seinen Ruhm über diesem Mädchen vergißt; denn bei meiner Seele, sie ist eine von denen, die ich par amour zu Tode lieben könnte. Ah! Fluch den Weibern – sie beherrschen uns bei jeder Gelegenheit und in jedem Alter! Wenn sie jung sind, bestechen sie uns durch schöne Blicke und überzuckerte Worte, durch süße Küsse und Liebeszeichen. In den mittleren Jahren lenken sie uns durch Geschenke und Schmeicheleien, durch rothen Wein und rothes Geld, und sind sie alt, so thun wir gern was sie wollen, nur um ihre alten ledernen Gesichter aus den Augen zu verlieren. Besser wäre es gewesen, der alte de Lacy wäre zu Hause geblieben und hätte seinen Falken bewacht. Aber uns ist Alles eins, Stephen, wir erobern vielleicht heute Etwas; denn diese Bauern haben mehr als ein Schloß geplündert.«

»Ja, ja,« antwortete Pontoys, »der Bauer fällt über die Beute her und der Reisige über den Bauern – ein recht kräftiges Sprüchwort! Aber ich bitte dich, kannst du nicht sagen, warum seine Pagenschaft uns noch nicht vorwärts führt?«

»Ha!« erwiederte Genvil, »der Stoß, den ich ihm gab, hat ihm den Kopf schwindlicht gemacht, oder vielleicht hat er noch nicht alle seine Thränen verschluckt; denn er ist für sein Alter ein sehr verwegenes Hähnlein, wo Ehre zu gewinnen ist – sieh' jetzt fangen sie an, sich zu rühren – es ist doch ein sonderbares Ding, Stephen, um dieses edle Blut; dieses Kind hier, das ich so eben erst wie einen Schulknaben abgefertigt habe, darf uns Graubärte hinführen, wo uns die Hälse gebrochen werden können, und das auf den Befehl einer leichtsinnigen Dame.«

»Ich wette, Herr Damian ist der Geheimrath meiner schönen Lady,« antwortete Stephen Pontoys, »wie dieser Springinsfeld Amelot der des Sir Damian ist, und so müssen wir armen Leute schweigen und unsern Mund zuhalten.«

»Aber die Augen offen lassen; Stephen Pontoys, vergiß das nicht.«

Jetzt befanden sie sich außerhalb der Thore des Schlosses, und auf dem Wege nach dem Dorfe, in welchem, der diesen Morgen erhaltenen Kunde zufolge, Wenlock durch einen an Zahl bei weitem überlegenen Haufen aufrührerischer Bauern belagert war.

Amelot ritt an der Spitze der Schaar, noch immer durch den in Gegenwart der Soldaten erlittenen Schimpf etwas beschämt, und über dem Gedanken brütend, wie er den Mangel an Erfahrung, dem bei früheren Gelegenheiten der Rath des Fahnenträgers abgeholfen hatte, ersetzen sollte, da er sich schämte, eine Versöhnung mit ihm zu suchen.

Allein, obschon von Natur ein Murrkopf, war Genvil doch nicht ganz finsterer und mürrischer Gemüthsart. Er ritt zu dem Pagen hin, und fragte ihn nach einer ehrerbietigen Verneigung, ob es nicht räthlich wäre, daß einige von ihnen auf guten Pferden schnell vorwärts eilten, um zu sehen, wie es mit Wenlock stehe, und ob sie ihm noch zu rechter Zeit zu Hülfe kommen können.

»Mir scheint es, Fahnenträger,« antwortete Amelot, »Ihr solltet die Führung des Zugs übernehmen, da Ihr so gut wißt, was zu thun ist. Ihr würdet um so geeigneter zum Anführer sein, als – allein ich will Euch nicht kränken.«

»Als es ausgemacht ist, daß ich so schlecht zu gehorchen weiß,« erwiederte Genvil. »Das wolltet Ihr wohl sagen? und meiner Treu, ich kann nicht läugnen, daß etwas Wahres daran ist; allein ist es nicht kindisch von dir, daß du eines albernen Wortes oder einer übereilten Handlung wegen, eine schöne Expedition schlecht geleitet werden läßst? Komm – Friede sei zwischen uns.«

»Was mich betrifft, von ganzem Herzen,« erwiederte Amelot. »Ich will, wie du mir gerathen hast, eine Vorhut aussenden.«

»Laßt es den alten Stephen Pontoys und zwei der Chester Lanzenträger sein, – er ist so verschmitzt, wie ein alter Fuchs, und weder Furcht noch Hoffnung bringen ihn ein Haar breit weiter, als ihm die Klugheit räth.«

Amelot befolgte den Wink, und auf seinen Befehl sprengten Pontoys und zwei Lanzenträger alsbald voraus, um den vor ihnen liegenden Weg auszukundschaften, und die Lage derer zu untersuchen, denen sie zu Hülfe eilten.

»Und nun, da wir wieder auf dem alten Fuße stehen,« sagte der Lanzenträger, »so sage mir, wenn du kannst, liebt jene schöne Dame nicht unsern stattlichen Ritter par amours?«

»Das ist eine schändliche Verleumdung,« rief Amelot zürnend aus; »da sie mit seinem Oheim verlobt ist, so bin ich überzeugt, daß sie lieber sterben, als solch' einen Gedanken nähren wollte, und so auch unser Gebieter. Ich habe schon früher diesen ketzerischen Glauben an dir bemerkt, Genvil, und dich gebeten, ihn zu verbannen; Ihr wißt, die Sache kann nicht sein, denn sie haben sich kaum ein paar Male gesehen.«

»Wie könnte ich das wissen?« sagte Genvil – »wie kannst selbst du es genau wissen? Bewache sie so sorgfältig als du willst. Viel Wasser schlüpft durch die Mühle, ohne daß Hob Müller etwas davon weiß. Sie führen einen Briefwechsel mit einander, das kannst du wenigstens nicht läugnen.«

»Ich läugne es,« sagte Amelot, »wie ich Alles läugne, was ihre Ehre beflecken kann.«

»In's Himmels Namen, wie kommt er dann zu der genauen Kenntniß ihres ganzen Thun und Treibens, von der er erst diesen Morgen einen so bündigen Beweis geliefert hat?«

»Wie könnte ich das sagen?« antwortete der Page; »es gibt gewiß Wesen, die wir Heilige und gute Engel nennen, und ist ein irdisches Geschöpf ihres Schutzes würdig, so ist es Dame Eveline Berenger.«

»Gut gesagt, Herr Geheimrath,« erwiederte Genvil lachend; »allein das will einem alten Kriegsmanne nicht einleuchten. – Heilige und Engel, hört doch! – gewiß ein sehr heiliges Treiben ist's, ich stehe dafür.«

Der Page war im Begriff, seine Rechtfertigung fortzusetzen, als Stephen Pontoys und seine Begleiter in größter Eile zurückkehrten. »Wenlock hält wacker Stand,« rief er aus, »obschon ihm diese Bauern grimmig auf den Leib gehen. Die breiten Armbrüste thun gute Dienste, und ich zweifle nicht, daß er sich halten wird, bis wir herbeikommen, wenn es Euch beliebt, etwas stärker zu reiten. Sie haben die Verschanzungen gestürmt und drängten sich so eben ganz nahe hinzu, allein sie wurden zurückgeschlagen.«

Die Schaar eilte jetzt so schnell vorwärts, als es sich mit der nothwendigen Ordnung vertrug, und erreichte bald die Spitze einer kleinen Anhöhe, an der das Dorf lag, in dem sich Wenlock vertheidigte. Die Luft erbebte von dem Geschrei und dem Jubelrufe der Insurgenten, die zahlreich, wie Bienen, und mit jenem trotzigen und mürrischen Muthe, der den Engländern so eigen ist, ausgestattet, sich wie Ameisen nach den Verschanzungen drängten und die Pallisaden niederzureißen oder zu ersteigen suchten, trotz des Pfeil- und Steinhagels, durch den sie großen Verlust erlitten. Auch brachten ihnen die Schwerter und Streitäxte der Gewappneten, wenn es zum Handgemenge kam, beträchtlichen Schaden.

»Wir kommen gerade noch zur rechten Zeit,« sagte Amelot, die Zügel schießen lassend, und fröhlich in die Hände klatschend. »Erhebe dein Banner, Genvil – und zeige es Wenlock und seinen Getreuen – Kameraden, halt – laßt eure Pferde einen Augenblick ausschnaufen – höre, Genvil, wenn wir auf jenem breiten Fußwege nach der Wiese, wo das Vieh geht, hinabeilten.«

»Brav, mein junger Falke,« erwiederte Genvil, dessen Kampfeslust sich gleich der des Schlachtrosses Job's beim Anblicke der Speere und dem Klange der Trompeten entzündete. »Wir erlangen so einen schönen Standpunkt zum Angriffe gegen jene Schurken.«

»Was die Schufte für eine dicke schwarze Wolke bilden,« sagte Amelot. »Allein bald soll das Tageslicht durch sie brechen, dafür sind uns unsere Lanzen gut. – Sieh' Genvil, die Vertheidiger erheben ein Zeichen, zum Beweise, daß sie uns gesehen haben.«

»Ein Zeichen für uns?« rief Genvil aus. »Beim Himmel, es ist eine weiße Flagge – ein Zeichen der Uebergabe.«

»Uebergabe! das können sie sich nicht träumen lassen, wenn wir ihnen zu Hülfe eilen,« erwiederte Amelot, als zwei oder drei melancholische Klänge aus den Trompeten der Belagerten und der donnernde und gewaltige Jubelruf der Belagerer die Thatsache unbestreitbar machten.

»Wenlocks Fahne sinkt,« sagte Genvil, »und auf allen Punkten dringen die Bauern in die Verschanzungen ein. – Hier fand Feigheit oder Verrätherei statt – was ist zu thun?«

»Gegen sie anrücken,« sagte Amelot, »den Platz wieder nehmen und die Gefangenen befreien.«

»Vorrücken?« fiel der Fahnenträger ein, »nach meinem Rath nicht eine Pferdeslänge. Jeden Nagel in unsern Brust-Harnischen würden ihre Pfeile zu finden gewußt haben, ehe wir Angesichts einer solchen Menge den Hügel hinab kämen, und dann noch den Platz erstürmen – das wäre reiner Unsinn.«

»So geh' ein wenig vorwärts mit mir,« sagte der Page, »vielleicht finden wir einen Pfad, auf dem wir unbemerkt hinab steigen können.«

Dem zu Folge ritten sie ein wenig vorwärts, um die Vorderseite des Hügels zu beschauen. Der Page suchte Genvil noch immer zu überzeugen, daß es wohl möglich wäre, während der Verwirrung unbemerkt hinab zu steigen; als der Fahnenträger ungeduldig ausrief: »unbemerkt! Ihr seid bereits bemerkt – hier jagt ein Bursche, so schnell sein Pferd nur traben kann, auf uns zu.«

Während er so sprach, erreichte sie der Reiter. Es war ein kurzer, dicker Bauer, in einer gewöhnlichen Friesjacke und gleichen Unterkleidern. Auf seinem Kopfe ruhte eine blaue Mütze, die er kaum über die borstigen rothen Haare, die sich dagegen aufzusträuben schienen, zu ziehen vermocht haben würde. Seine Hände waren blutig, und an seinem Sattelbogen hing ein linnener Beutel, der ebenfalls mit Blut befleckt war. »Ihr gehört zu Damian de Lacy's Truppen, nicht wahr?« fragte dieser rauhe Bote, und als sie seine Frage bejahten, fuhr er mit derselben plumpen Höflichkeit fort: »Hob Müller von Twyfort empfiehlt sich Damian de Lacy, und da er seinen Vorsatz, dem Uebelstand des Gemeinwesens abzuhelfen, kennt, so sendet er ihm eine Gebühr von dem Korn, welches er gemahlen hat;« mit diesen Worten nahm er ein Menschenhaupt aus dem Sacke, und hielt es Amelot hin.

»Es ist Wenlocks Haupt,« sagte Genvil, »wie seine Augen starren!«

»Sie werden nun nicht mehr nach den Weibern starren, ich habe ihm das Katzengeschrei Caterwauling, das Geschrei der Katzen in der Brunstzeit. vertrieben.«

»Du!« sagte Amelot, mit Entsetzen und Unwillen zurücktretend.

»Ja ich selbst,« erwiederte der Bauer, »ich bin Großjustitiarius der Gemeinen, in Ermanglung eines Bessern.«

»Großhenker, wolltest du sagen,« erwiederte Genvil.

»Nenne es, wie du willst,« erwiederte der Bauer; »wahrlich es geziemt sich für die Staatsdiener, ein gutes Beispiel zu geben. Ich heiße keinen Menschen etwas thun, das ich nicht selbst zu thun bereit bin. Es ist eben so leicht, einen Menschen aufzuhängen, als zu sagen: »hängt ihn auf!« Keine Zerstückelung der Aemter soll es in dieser neuen Welt mehr geben, die jetzt glücklicher Weise in Altengland erschaffen wird.«

»Elender!« rief Amelot aus, »trage dein blutiges Zeichen denen zurück, welche dich gesendet haben. Wärest du nicht in der Gewißheit einer guten Aufnahme gekommen, so hätte ich dich mit meiner Lanze an den Erdboden geheftet – aber sei überzeugt, eure Grausamkeit soll furchtbar gerächt werden. Kommt, Genvil, laßt uns zu unsern Leuten zurückkehren. Umsonst ist es, länger hier zu verweilen.«

Der Bauer, der einen ganz andern Empfang erwartet hatte, blickte ihnen einige Augenblicke starr nach, dann steckte er seine blutige Trophäe wieder in den Sack, und ritt zu denen zurück, welche ihn gesandt hatten.

»So geht's, wenn man sich in die Liebeshändel Anderer mischt,« sagte Genvil; »Sir Damian mußte sich neulich mit Wenlock wegen dessen Verfahren gegen die Tochter dieses Müllers zanken, und Ihr seht, daß sie ihn deßwegen für einen Begünstiger ihres Unternehmens halten. Es wäre gut, wenn Andere nicht auch diese Meinung faßten – ich wünschte, wir wären der Plackereien los, die uns ein solcher Verdacht auf den Hals laden muß – ja! kostete es mich auch mein bestes Pferd – doch ich werde es ja in jedem Falle durch die harte Anstrengung des Tages verlieren, und ich wollte, es wäre noch das Schlimmste, was uns die Sache kosten wird.«

Mißmuthig und ermüdet kehrten die Krieger nach Garde doloureuse zurück. Sie verloren jedoch unterwegs manchen ihrer Gefährten, indem einige der Müdigkeit ihrer Pferde wegen zurückbleiben mußten, andere aber gelegentlich den Ausreiß nahmen, um zu den Banden der Insurgenten und Plünderer zu stoßen, die sich jetzt auf verschiedenen Punkten sammelten, und durch immer neue Ankömmlinge von dem zügellosen Kriegsvolke verstärkt wurden.

Nach seiner Zurückkehr fand Amelot, daß sich sein Herr immer noch in einem bedenklichen Zustande befinde, und Lady Eveline, obschon sehr erschöpft, noch keine Ruhe genossen hatte, sondern seine Rückkehr mit Ungeduld erwartete. Er wurde dem zu Folge sogleich bei ihr eingeführt, und berichtete mit schwerem Herzen den fruchtlosen Erfolg ihrer Expedition.

»So mögen sich die Heiligen Unserer erbarmen!« sagte Lady Eveline, »denn es scheint, als ob ich eine Pestkranke wäre, die alle Diejenigen ansteckte, die sich um meine Wohlfahrt bekümmern. Sobald sie dieß thun, werden ihre Tugenden zu Fallstricken für sie, und was sie in jedem andern Falle mit hohen Ehren krönen würde, stürzt die Freunde der Eveline Berenger in's Verderben.«

»Fürchtet nichts, schöne Lady,« erwiederte Amelot, »es sind noch Männer genug im Lager meines Herrn, um diese öffentlichen Ruhestörer zu bändigen. Ich will hier nur verweilen, bis ich seine Befehle erhalten habe; morgen eile ich von dannen, um eine hinreichende Macht zur Wiederherstellung der Ruhe in diesem Theile des Landes zusammen zu ziehen.«

»Ach, Ihr kennt das Schlimmste noch nicht,« erwiederte Eveline. »Seit Ihr von hier ausgezogen seid, haben wir die sichere Nachricht erhalten, daß, als die Krieger in Sir Damians Lager den Unfall erfuhren, der ihn diesen Morgen traf, sie insgesammt, schon längst des unthätigen Lebens, das sie bisher führten, müde, und durch das Gerücht seines Todes entmuthigt, aufbrachen und sich zerstreuten. – Doch sei gutes Muths, Amelot,« sagte sie, »dieses Haus ist noch stark genug, um ein noch weit stärkeres Ungewitter zu ertragen als das, welches wahrscheinlich über dasselbe ausbrechen wird, und wenn Alle Euren verwundeten und betrübten Gebieter verlassen, so ist es um so mehr Eveline Berengers Pflicht, ihren Befreier zu beschützen und zu beschirmen.«



 << zurück weiter >>