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Neunzehntes Kapitel.

O säße ich so hoch, als hoch mein Ehrgeiz strebt,
Kühn setzt' ich diesen Fuß auf der Monarchen Rücken.

Die geheimnißvolle Mutter.

Der mißlichste und unglücklichste Augenblick in Hugo von Lacy's Leben war unstreitbar der Zeitpunkt, in welchem er, mit aller bürgerlichen und religiösen Feierlichkeit sich mit Eveline verlobend, dem Ziele zu nahen schien, das seit einiger Zeit der Hauptgegenstand seiner Wünsche gewesen war. Er war des baldigen Besitzes eines schönen und liebenswürdigen Weibs versichert, das mit allen den weltlichen Gütern begabt war, die seinem Ehrgeize wie seinen Neigungen zusagten. – Dennoch verdunkelte sich selbst in diesem glücklichen Augenblicke sein Horizont auf eine nur Sturm und Unheil verkündende Weise. In der Wohnung seines Neffen erfuhr er, daß der Puls des Patienten sich gehoben und sein Phantasiren zugenommen habe – kurz Alles verkündigte ihm, daß es höchst zweifelhaft sei, ob sein Neffe wieder genesen, oder eine Krisis, welche sich schnell zu nahen schien, überstehen werde.

Der Constabel schlich sich an die Thüre des Gemachs, das ihm seine Gefühle nicht zu betreten gestatteten, und hörte dem Irrereden zu, das eine Folge des Fiebers war. Nichts kann niederschlagender und betrübender sein, als den Geist sich mit seinen gewöhnlichen Beschäftigungen befassen sehen, wenn der Körper den Leiden und Gefahren eines harten Krankenlagers preisgegeben ist. Der Abstich gegen den gewöhnlichen Gesundheitszustand, seinen Freuden oder Mühen, macht die Hülflosigkeit des Patienten, in dessen Seele diese Visionen aufsteigen, doppelt ergreifend, und wir fühlen ein tiefes Mitleiden mit dem Leidenden, dessen Gedanken sich so weit von seinem wirklichen Zustande verirren.

Tief empfand dieß der Constabel, als er seinen Neffen das Kriegsgeschrei der Familie zu wiederholten Malen erheben hörte. Nach den Befehlen, welche Damian von Zeit zu Zeit ertheilte, zu urtheilen, schien er thätig damit beschäftigt, seine Krieger gegen die Walliser zu führen. In einem andern Augenblicke murmelte er verschiedene Ausdrücke der Reitkunst, der Falkenbeize, der Jagd. Er erwähnte hiebei den Namen seines Oheims zu wiederholten Malen, als ob die Idee seines Vetters sich sowohl seinen kriegerischen Unternehmungen, als seinen Fischfangs- und Jagdbelustigungen beigemischt hätte. Er murmelte auch noch andere Töne, allein sie waren durchaus unverständlich. Mit einem Herzen, das noch mehr durch die Leiden seines Vetters erweicht wurde, als er die Gegenstände vernahm, mit denen sich sein irrender Geist beschäftigte, legte der Constabel seine Hand zwei Mal auf die Klinke der Thüre, in der Absicht, das Schlafgemach zu betreten; allein zwei Mal hielt er inne, da seine Augen mit reichlicheren Thränen gefüllt waren, als er den Anwesenden zu zeigen für gut fand. Endlich gab er seinen Vorsatz auf, verließ eilig das Haus, bestieg sein Pferd, und ritt nur von vier Dienern begleitet, nach dem Palaste des Bischofs, wo, wie ihm das öffentliche Gerücht sagte, der Erzbischof Baldwin seinen momentanen Wohnsitz aufgeschlagen hatte.

Der Schwarm von Reitern, Handpferden, Saumrossen und weltlichen und geistlichen Dienern, die das Thor der erzbischöflichen Wohnung umlagerten, in Verbindung mit der gaffenden Menge Einwohner, die theils um das prachtvolle Schauspiel anzustaunen, theils aber auch, um zufällig den Segen des heiligen Prälaten zu erhaschen, herbeigelaufen waren – war so groß, daß der Constabel nur mit Mühe bis zu der Pforte des Palastes dringen konnte; und als dieses Hinderniß überwunden war, fand er ein anderes in der Hartnäckigkeit der Diener des Erzbischofs, die ihm, obschon er Namen und Rang angab, nicht gestatten wollten, die Schwelle der Wohnung zu überschreiten, bevor sie von ihrem Herrn den ausdrücklichen Befehl dazu erhalten hätten.

Der Constabel empfand die ganze Wirkung dieser geringschätzigen Aufnahme. Er war vom Pferde gestiegen, in der vollen Zuversicht, augenblicklich, wo nicht in des Prälaten Gegenwart, doch wenigstens in den Palast gelassen zu werden, und als er nun unter den Knappen, Aufwärtern und Stallknechten des geistlichen Herrn stand, war er so empört, daß er anfänglich im Sinne hatte, sein Pferd wieder zu besteigen, und in sein vor den Mauern der Stadt aufgeschlagenes Zelt zurückzukehren, es sodann dem Bischofe überlassend, ihn da zu suchen, wenn er wirklich eine Zusammenkunft mit ihm wünsche. Allein die Nothwendigkeit einer Aussöhnung drang sich fast im nämlichen Augenblicke seinem Geiste auf, und er bezwang die erste trotzige Eingebung seines beleidigten Stolzes. »Wenn unser weiser König,« so dachte er bei sich selbst, »einem Erzbischofe von Canterbury bei dessen Lebzeiten den Steigbügel hielt und sich nach seinem Tode den entwürdigendsten Bußübungen vor seinem Heiligenschrein unterwarf, so darf ich sicherlich seinem Nachfolger in derselben mächtigen Würde gegenüber nicht bedenklicher sein.« Ein anderer Gedanke, den er kaum aufkommen zu lassen wagte, empfahl ihm dasselbe demüthige und unterwürfige Betragen. Er konnte sich nicht verhehlen, daß er durch den Versuch, seinem Gelübde als Kreuzfahrer zu entgehen, den gerechten Tadel der Kirche auf sich lade. Er nahm daher nicht ungerne an, daß sein kalter und verächtlicher Empfang von Seiten Baldwins als ein Theil der Strafe betrachtet werden müsse, die er sich, wie ihm sein Gewissen sagte, durch sein Betragen zugezogen habe.

Nach einem kurzen Zwischenraume erging endlich an de Lacy die Einladung, den Palast des Bischofs von Gloucester zu betreten, in dem er mit dem Primas von England zusammentreffen sollte; allein mehr als eine kurze Pause in der Halle und den Vorzimmern verstrich, bevor er vor Baldwin erscheinen durfte.

Der Nachfolger des berühmten Becket hatte weder die ausgedehnten Absichten noch den hochstrebenden Geist dieses merkwürdigen Mannes; allein andererseits mag es, so heilig der Letztere auch gesprochen ward, immer bezweifelt werden, ob er in seinen Bestrebungen für das Wohl des Christenthums halb so aufrichtig war, als der gegenwärtige Erzbischof. Baldwin war in der That höchst geeignet, die Macht zu schützen, welche die Kirche gewonnen hatte, allein er war vielleicht zu aufrichtigen und edeln Sinnes, als daß er sie hätte ausdehnen können. Die Beförderung des Kreuzzuges war das Hauptgeschäft seines Lebens, der Erfolg desselben der Hauptgegenstand seines Stolzes, und wenn auch das Bewußtsein der Macht seiner Beredtsamkeit, und der Kunst, die Gemüther der Menschen für sein Vorhaben zu gewinnen, mit seinem religiösen Eifer vermischt war, so bewieß doch sein ganzes Leben und späterhin sein Tod vor Ptolemais, daß die Befreiung des heiligen Grabs aus den Händen der Ungläubigen das wahrhafte Ziel aller seiner Bestrebungen war. Hugo von Lacy wußte dieß wohl, und die Schwierigkeit, einen solchen Geist zu beugen, erschien ihm, da nun der Augenblick der Ausführung herbeigekommen war, weit größer, als er früher, da er die Krisis noch in der Ferne sah, geglaubt hatte. Der Prälat, ein Mann von schöner und stattlicher Gestalt, mit Zügen, die zu strenge waren, als daß sie hätten angenehm und einnehmend sein können, empfing den Constabel mit dem ganzen Gepränge geistlicher Würde. Er saß auf einem Stuhle von Eichenholz, der reichlich mit geschnitzten gothischen Zierden versehen war, und über dem Fußboden unter einer Nische von ähnlicher Arbeit stand. Sein Gewand war das reiche erzbischöfliche Oberkleid, das mit reicher Stickerei geziert und um den Nacken und an den Aermeln mit Borten besetzt war.

In der Gegend des Halses und in der Mitte stand es offen, und zeigte ein gesticktes Unterkleid, unter dessen Falten, gleichsam als nur unvollkommen verborgen, das enge härene Hemd des Prälaten hervorsah, das er stets unter allen seinen Prachtgewändern trug. Seine bischöfliche Mütze lag neben ihm auf einem eichenen Stuhl. An demselben lehnte auch sein geistlicher Amtsstab, der die Form eines ganz einfachen Hirtenstabs hatte, obwohl er sich weit mächtiger und furchtbarer, als Schwert und Lanze bewiesen, als ihn die Hand Thomas a Beckets geschwungen hatte.

In einiger Entfernung kniete in einem weißen Chorhemde ein Kaplan vor einem Pulte, und las aus einem buntgemalten Buche eine theologische Abhandlung vor, in die Baldwin scheinbar so sehr vertieft war, daß er den Eintritt des Constabels nicht zu bemerken schien. Dieser, höchlich erzürnt über diese neue Geringschätzung, blieb am Eingange stehen, unentschlossen, ob er den Leser unterbrechen und den Prälaten anreden, oder sich, ohne ihn zu begrüßen, wieder entfernen solle. Ehe er aber einen Entschluß faßte, kam der Kaplan an eine zum Abbrechen passende Stelle, wo ihm der Erzbischof mit den Worten: » Satis est, mi fili,« Schweigen gebot.

Vergeblich bemühte sich der stolze weltliche Baron, die Verlegenheit zu verbergen, mit der er sich dem Prälaten nahte, dessen Haltung ganz darauf berechnet war, ihn mit Ehrfurcht und Unruhe zu erfüllen. Er versuchte zwar, ein freies und offnes Betragen, wie es sich für ihre Freundschaft schickte, oder wenigstens eine von einer vollkommenen Ruhe zeugende Gleichgültigkeit anzunehmen; allein Beides mißlang ihm, und seine Anrede drückte gekränkten Stolz, mit einem nicht geringen Antheil von Verlegenheit vermischt, aus. Der Geist der katholischen Kirche war bei solchen Gelegenheiten seines Sieges über die Stolzesten unter den Laien stets gewiß.

»Ich bemerke,« sagte de Lacy, seine Gedanken sammelnd, und sich schämend, daß ihm dieß nur mit Mühe gelang, – »ich bemerke, daß hier ein alter Freundschaftsbund aufgelöst ist. Mir scheint es, Hugo von Lacy hätte wohl durch einen andern Boten in diese ehrwürdige Gegenwart berufen werden, und eine andere Bewillkommnung bei seiner Ankunft erwarten dürfen.«

Der Erzbischof erhob sich langsam von seinem Sitze, und machte eine halbe Verbeugung gegen den Constabel, der sie vermöge eines instinktmäßigen Wunsches, sich mit dem Bischofe auszusöhnen, tiefer erwiederte, als er im Sinne gehabt hatte, oder als diese karge Höflichkeit verdiente. Der Prälat gab zu gleicher Zeit seinem Kaplan ein Zeichen, worauf sich dieser erhob und, nachdem er durch die Worte » do veniam« Erlaubniß dazu erhalten hatte, ehrfurchtsvoll zurückzog, ohne seinen Rücken zu wenden oder aufwärts zu schauen – den Blick fest auf den Boden geheftet, und seine über der Brust gekreuzten Hände noch immer in sein Kleid gehüllt.

Als dieser stumme Diener verschwunden war, entwölkte sich die Stirne des Prälaten ein wenig, allein doch blieb noch immer ein finsterer Schatten ernsten Mißfallens auf ihr zurück, und er beantwortete die Anrede de Lacy's ohne sich von seinem Sitze zu erheben. »Umsonst wäre es jetzt, Mylord,« sagte er, »zu erwähnen, was der tapfere Constabel von Chester dem armen Priester Baldwin war, oder mit welcher Fülle von Stolz und Liebe wir ihn sich mit dem heiligen Zeichen der Erlösung schmücken und der Befreiung des heiligen Landes weichen sahen, um Den zu ehren, durch den er selbst zu Ehren erhoben worden war. Sehe ich noch diesen edlen Lord vor mir, und trägt er noch denselben heiligen Entschluß in seiner Brust, o so verkündigt mir die freudige Nachricht, und ich will Chorrock und Mitra Bischofsmütze ablegen, und gleich einem Stallknechte sein Pferd hüten, falls es nöthig wäre, ihm durch solche Knechtsdienste die innige Achtung zu bezeugen, die ich für ihn hege.«

»Ehrwürdiger Vater,« antwortete de Lacy stockend, »ich hatte gehofft, die Vorschläge, welche Euch der Dechant von Herefort in meinem Namen that, werden Euch genügender erschienen sein.« Dann fuhr er, sein natürliches Zutrauen wieder erlangend, mit größerer Festigkeit in Sprache und Benehmen fort; denn die kalten und unveränderlichen Blicke des Erzbischofs empörten ihn. »Wenn diese Vorschläge noch einer Verbesserung fähig sind, Mylord, so laßt mich wissen, in welchen Punkten, und Euer Wille soll, wo möglich erfüllt werden, selbst wenn er sich als etwas unbillig erweisen sollte. Mylord, ich wünschte mit der heiligen Kirche im Frieden zu leben, und bin sicherlich der Letzte, der sich ihren Befehlen widersetzen wird. Dieß haben meine Thaten im Felde und meine Vorschläge in den Rathsversammlungen bewiesen; auch kann ich nicht glauben, daß meine Dienste kalte Blicke und eine kalte Sprache von Seiten des Primas von England verdient haben.«

»Wollt Ihr der Kirche Eure Dienste vorrücken, eitler Mann?« sagte Baldwin. »Ich sage dir Hugo von Lacy, daß, was der Himmel für die Kirche durch deine Hand verrichtet hat, er eben so leicht durch die Hand des geringsten Stallknechts in deinem Heere hätte vollbringen können. Du bist es, der geehrt ist, wenn du zum Werkzeuge auserkoren wirst, durch das große Dinge in Israel geschehen. – Nein, unterbrich mich nicht – ich sage dir, stolzer Baron, daß in den Augen des Himmels deine Weisheit nur Narrheit, der Muth, mit dem du stolz dich brüstest, nur die Feigheit eines Landmädchens – deine Kraft, Schwachheit – dein Speer eine Weidengerte, und dein Schwert eine Binse ist.«

»Alles das weiß ich, guter Vater,« sagte der Constabel, »und habe es stets zur Genüge gehört, wenn die armseligen Dienste, die ich geleistet habe, vorüber sind. Aber wenn man der Hülfe meiner Hand bedurfte, dann war ich der weitgepriesene Lord der Priester und Prälaten – ein Mann, den man ehren und für den man beten mußte, wie für die Schutzheiligen und Kirchenerbauer, die unter dem Chor und Hochaltare schlafen. Wenn ich aufgefordert wurde, meine Lanze einzulegen, oder mein Schwert zu ziehen, wahrlich! dann dachte Niemand an Weidengerten oder Binsen. Bloß wenn man der Waffen nicht mehr bedarf, werden sie und ihr Eigenthümer verachtet. – Nun gut, ehrwürdiger Vater, es mag so sein – wenn die Kirche die Sarazenen durch Stallknechte und Troßbuben aus dem heiligen Lande verjagen kann, warum predigt Ihr Ritter und Edle von der Heimath und dem Lande weg, das sie zu beschützen und zu vertheidigen geboren sind?«

Fest den Constabel anblickend, erwiederte der Erzbischof: »Nicht Eures fleischlichen Wohles willen entreißen wir Euch Ritter und Barone Euren Festlichkeiten und mörderischen Fehden – was Ihr die Heimath genießen und Eure Güter beschützen heißt – nicht jedoch, als ob die Allmacht Eurer Hülfe zur Ausführung des großen längst bestimmten Befreiungswerkes bedürfte – sondern zum Wohle Eurer unsterblichen Seelen.« Diese letztern Worte sprach er mit großem Nachdrucke aus.

Ungeduldig schritt der Constabel auf und nieder, und murmelte vor sich hin: »Dies ist der luftige Lohn, wegen dessen Heere auf Heere aus Europa getrieben wurden, um die Sandwüsten Palästina's mit ihrem Blute zu tränken. Dies sind die eitlen Versprechungen, um die wir unsere Heimath, unser Eigenthum und unser Leben hingeben sollen.«

»Ist es Hugo von Lacy, der so spricht?« fragte der Erzbischof, sich von seinem Sitze erhebend. »Ist er es, der den Ruf eines Ritters – die Tugend eines Christen – die Beförderung seiner irdischen Ehre – den unermeßlichern Gewinn seiner unsterblichen Seele verschmäht? – Ist er es, der einer wirklichern und wesentlichern Belohnung – d. h. Ländereien oder Schätzen, die er sich in den Kämpfen mit seinen minder mächtigen Nachbarn zu Hause erwerben kann – nachstrebt, während ihn ritterliche Ehre und himmlischer Glaube, sein Gelübde als Ritter und seine Taufe als Christ zu einem ruhmvollern und gefährlichern Kampfe rufen? Kann es wirklich Hugo von Lacy sein, der Spiegel der anglo-normännischen Ritterschaft, dessen Seele solche Gedanken erzeugen, dessen Mund solche Worte aussprechen kann?«

»Mylord, Schmeichelei und schöne Worte, mit Hohn und Vorwürfen geziemend vermischt,« antwortete der Constabel erröthend und sich in die Lippen beißend, »mögt Ihr bei Andern zur Erreichung Eurer Plane anwenden; allein ich bin zu fester Sinnesart, als daß ich mich durch Schmeicheleien oder Stachelreden zu wichtigen Maaßregeln verleiten ließe; gebt daher dieses scheinbare Erstaunen auf, und glaubt mir, daß der Charakter Hugo von Lacy's, mag er nun in's heilige Land ziehen, oder zu Hause bleiben, in Hinsicht des Muthes eben so untadelhaft bleiben wird, als der Charakter des Erzbischofs Baldwin in Hinsicht der Heiligkeit.«

»Möge er weit höher stehen,« sagte der Erzbischof, »als der Ruf, mit dem Ihr ihn zu vergleichen geruht! allein eine Flamme kann so gut ausgelöscht werden als ein Funke; und ich sage dem Constabel von Chester, daß der Ruhm, der schon so viele Jahre auf seinem Banner gethront hat, in einem Augenblicke unwiderruflich von demselben entfliehen kann.«

»Wer wagt es, so zu sprechen?« sagte der Constabel, ängstlich für die Ehre besorgt, um derentwillen er so viele Gefahren bestanden hatte.

»Ein Freund,« sagte der Prälat, »dessen Streiche als Wohlthaten aufgenommen werden sollten. Ihr sprecht von Lohn und Bezahlung, Herr Constabel, als ob Ihr noch auf dem Markte stündet und die Macht hättet, über die Bedingungen Eures Dienstes zu schachern. Ich sage Euch, Ihr seid nicht mehr Euer eigener Herr. – Ihr seid vermöge des gesegneten Zeichens, das Ihr freiwillig genommen habt, der Krieger Gottes; auch könnt Ihr nicht von Eurer Fahne entfliehen, ohne die Schmach auf Euch zu laden, der sich sogar Memmen und Troßknechte Preis zu geben scheuen.«

»Ihr verfahrt all zu hart mit uns, Mylord,« sagte Hugo von Lacy, seinen unruhigen Gang plötzlich hemmend, »Ihr geistlichen Herren macht uns zu Euren Packpferden, und erklimmt die Höhen des Ehrgeizes mit Hülfe unserer überladenen Schultern; – aber Alles hat seine Gränzen – Becket überschritt sie – und –«

Ein finsterer und ausdrucksvoller Blick entsprach dem Tone, in welchem er diesen abgebrochenen Satz aussprach.

Der Prälat, der wohl begriff, was er sagen wollte, erwiederte mit fester und entschlossener Stimme; »und er wurde ermordet – Das ist es, was Ihr mir zu sagen wagt – Mir – dem Nachfolger jenes verherrlichten Heiligen – Dadurch wollt Ihr mich zur Gewährung Eures selbstsüchtigen und wankelmüthigen Wunsches, Eure Hand von dem Pfluge abzuziehen, vermögen. Ihr wißt nicht, gegen wen Ihr eine solche Drohung aussprecht. Wahr ist es, Becket, der ehemalige heilige Streiter auf Erden, gelangte auf dem blutigen Pfade des Märtyrerthums zu der Würde eines Heiligen im Himmel, und nicht minder wahr ist es, daß um einen Sitz tausend Stufen unter dem seines gesegneten Vorgängers zu erhalten, der unwürdige Baldwin bereit ist, unter dem Schutze Unserer Frau sich Allem zu unterwerfen, was die Ruchlosesten unter den Menschen seiner irdischen Hülle immer nur anthun können.«

»Ehrwürdiger Vater, es bedarf dieses Muth-Gepränges nicht,« sagte Lacy, sich wieder fassend, »wo es weder Gefahr gibt, noch geben kann. Ich bitte Euch, laßt uns die Sache ruhiger überlegen. Es ist mir nie in den Sinn gekommen, mein Vorhaben, nach dem heiligen Lande zu ziehen, aufzugeben; nur verschieben will ich es. Ich glaube, daß das Anerbieten, das ich gemacht habe, billig ist, und ich dadurch erlangen sollte, was auch andere in ähnlichen Fällen erlangt haben – Einen kurzen Aufschub meiner Abreise.«

»Ein kurzer Aufschub von Seiten eines solchen Anführers, de Lacy,« antwortete der Prälat, »wäre ein Todesstreich für unser heiliges und edles Unternehmen. Geringern Leuten mögen wir wohl das Recht ertheilen, zu heirathen und zu verheirathen, selbst wenn ihnen der Kummer Jacobs nicht sehr am Herzen liegt; allein Ihr, Mylord, seid eine Hauptstütze unsers Unternehmens, und wenn Ihr Euch zurückzieht, stürzt vielleicht der ganze Bau zusammen. Wer in England wird sich für verpflichtet halten, auszuziehen, wenn Hugo von Lacy abtrünnig wird? Mylord, denkt weniger an Eure verlobte Braut und mehr an Euer gelobtes Wort, und glaubt nicht, daß je etwas Gutes aus einer Verbindung entstehen kann, die Eure Vorsätze in Betreff unseres heiligen, die Ehre des Christenthums bezweckenden, Unternehmens zerstört.«

Der Constabel gerieth durch die Hartnäckigkeit des Erzbischofs in sichtliche Verlegenheit, und begann seinen Vorstellungen, obgleich mit dem größten Widerwillen, und einzig und allein, weil die Gewohnheiten und Meinungen seiner Zeit ihm zur Widerlegung seiner Beweisgründe kein anderes Mittel als das der Bitten an die Hand gaben, Gehör zu schenken. »Ich erkenne,« sagte er, »meine Verpflichtungen zum Kreuzzuge an, auch wünsche ich, ich wiederhole es, nichts, als einen kurzen Zeitraum, um meine wichtigen Angelegenheiten in Ordnung bringen zu können. Indessen werden meine Vasallen unter Anführung meines Neffen –

»Versprich, was du versprechen kannst,« sagte der Prälat. »Wer weiß, ob nicht zur Strafe dafür, daß du andern Dingen als Seiner heiligen Sache nachstrebst, dein Neffe in dem Augenblicke, in welchem wir mit einander sprechen, von hinnen gerufen worden ist?«

»Verhüte Gott,« sagte der Baron und fuhr auf, als ob er seinem Neffen zu Hülfe eilen wollte – dann hielt er plötzlich wieder inne, und heftete einen scharfen und festen Blick auf den Prälaten. »Es ist nicht schön,« sagte er, »daß Eure Ehrwürden mit den Gefahren, welche unser Haus bedrohen, tändeln. Damian ist mir theuer wegen seiner guten Eigenschaften – theuer wegen meines einzigen Bruders. Gott verzeihe uns Beiden. – Er starb, als wir mit einander uneinig waren. – Mylord, Eure Worte sollen mir andeuten, daß mein geliebter Neffe meiner Vergehungen wegen leidet und in Gefahr schwebt?«

Der Erzbischof merkte, daß er endlich die Saite berührt habe, der die Herzfibern seines widerspenstigen Beichtkindes erzittern müssen. Wohl wissend, mit wem er es zu thun habe, erwiederte er mit großer Behutsamkeit – »Fern sei es von mir, die Rathschlüsse des Himmels erklären zu wollen! Allein wir lesen in der heiligen Schrift, daß wenn die Väter saure Trauben essen, die Zähne der Kinder dadurch stumpf werden. Was ist wohl natürlicher, als daß wir für unsern Stolz und unsre Halsstarrigkeit durch eine Strafe gezüchtigt werden, die so geeignet ist, jenen Geist des Uebermuthes zu zähmen? Ihr selbst werdet am Besten wissen, ob diese Krankheit Euern Neffen befiel, ehe Ihr auf Abfall von dem Banner des Kreuzes sannet?«

Hugo von Lacy erinnerte sich schnell an das Vergangene und fand, daß seines Neffen Gesundheit in der That keine Veränderung erlitten, bevor er eine Vereinigung mit Evelinen beabsichtigt hatte. Sein Schweigen und seine Verwirrung entgingen dem listigen Bischofe nicht. Er faßte die Hand des Kriegers, als er so vor ihm stand, von dem Gedanken gequält, ob nicht der Umstand, daß er die Erlösung des heiligen Grabes der Fortdauer seines Hauses hintangesetzt habe, durch die lebensgefährliche Krankheit seines Neffen bestraft worden sei. »Komm! edler de Lacy,« sagte er – »die durch einen augenblicklichen Dünkel verschuldete Strafe kann vielleicht jetzt noch durch Gebet und Buße abgewendet werden. Der Sonnenzeiger wich auf das Gebet des guten Königs Hesekiel zurück – Nieder! nieder! auf deine Kniee und zweifle nicht, daß du jetzt noch durch Beichte, Buße und Absolution deinen Abfall von der Sache des Himmels sühnen kannst.«

Niedergeschlagen durch die Gebote der Religion, in der er erzogen worden war, so wie durch die Furcht, seine Zögerung möchte durch die Gefahr seines Neffen bestraft werden, sank der Constabel auf seine Kniee vor dem Prälaten nieder, dem er kurz zuvor fast getrotzt hatte, beichtete als eine tief zu bereuende Sünde den Vorsatz, seine Abreise nach Palästina zu verschieben, und empfing mit Geduld, wo nicht mit williger Ergebung, die ihm von dem Erzbischof auferlegte Buße, die in dem Verbote bestand, in seiner beabsichtigten Verbindung mit Lady Evelinen weiter fortzufahren, bevor er aus Palästina zurückgekehrt sei, wo ihn sein Gelübde drei Jahre zu bleiben verpflichtete.

»Und nun, edler de Lacy,« sagte der Prälat; – »wiederum mein geliebtester und geehrtester Freund, fühlst du deine Brust nicht erleichtert, seit du dem Himmel deine Schuld so edel abgetragen, und deinen muthigen Geist von den selbstsüchtigen und irdischen Flecken gereiniget hast, die seinen Glanz verdunkelten?«

Der Constabel seufzte: »Das größte Glück in diesem Augenblicke könnte mir die Ueberzeugung gewähren, daß mein Neffe sich wieder besser befindet.«

»Betrübt Euch nicht wegen des edlen Damian, Eures hoffnungsvollen und tapfern Vetters« – erwiederte der Bischof. »Denn ich glaube zuversichtlich, daß Ihr in Kurzem die Nachricht von seiner Genesung erhalten werdet; oder daß, wenn es Gott gefallen sollte, ihn in eine bessere Welt abzurufen, der Uebergang so leicht und seine Ankunft im Hafen des Glückes so schnell sein wird, daß es besser für ihn ist, gestorben zu sein, als noch länger gelebt zu haben.«

Der Constabel blickte ihn an, als wolle er auf seinem Gesichte sicherere Kunde, als seine Worte anzudeuten schienen, über das Schicksal seines Neffen einziehen. Der Prälat hingegen, der weitern Nachforschungen über einen Gegenstand zu entgehen wünschte, über den er vielleicht bereits zu weit sich eingelassen zu haben befürchtete, schellte mit einer silbernen Glocke, die vor ihm auf einem Tische stand, und gebot dem auf dieses Zeichen eintretenden Kaplan, einen sichern Boten nach der Wohnung Damian de Lacy's abzusenden, um genaue Kunde über seine Gesundheit einzuziehen.

»Ein Fremder,« erwiederte der Kaplan, »der so eben vom Krankenzimmer des edlen Damian von Lacy kommt, wünscht in diesem Augenblicke eingelassen zu werden, um den Lord Constabel zu sprechen.«

»Laßt ihn augenblicklich vor,« sagte der Erzbischof – »mein Geist sagt mir, daß er uns erfreuliche Botschaft bringt – nie noch sah ich so demüthige Buße – eine so willige Hingebung natürlicher Wünsche für den Dienst des Himmels – die nicht durch ein zeitliches oder geistliches Glück belohnt worden wäre.«

Während er so sprach, trat ein sonderbar gekleideter Mann in das Gemach. Seine buntscheckigte und auffallend angelegte Tracht gehörte weder zu den neuesten noch reichlichsten; auch war sie durchaus nicht für die Gesellschaft geeignet, in der sich der Mann jetzt befand.

»Wie, Bursche,« sagte der Prälat, »seit wann drängen sich Gaukler und Minstrels ohne Erlaubniß in eine Gesellschaft, wie die Unsrige?«

»Mit Eurer Erlaubniß,« sagte der Mann, »mein eigentliches Geschäft gilt nicht Ew. Herrlichkeit, sondern dem Lord Constabel, den hoffentlich die guten Nachrichten, die ich ihm zu überbringen habe, mit meinem schlechten Anzuge aussöhnen werden.«

»Sprich! Bursche, ist mein Vetter noch am Leben?« rief der Constabel aus.

»Und wird wahrscheinlich am Leben bleiben,« antwortete der Mann – »eine günstige Crisis, wie die Aerzte sagen, ist in seiner Krankheit eingetreten, und sie fürchten nun nicht mehr für sein Leben.«

»Nun sei Gott gelobt, der mir so große Gnade hat widerfahren lassen,« sagte der Constabel.

»Amen! Amen!« fiel der Erzbischof in feierlichem Tone ein – »um welche Zeit trat diese glückliche Veränderung ein?«

»Ungefähr von einer halben Stunde,« erwiederte der Bote, »sank ein sanfter Schlaf auf den Jüngling herab, wie im Sommer der Thau auf ein versengtes Feld – Er athmete nun freier, die brennende Hitze verschwand – und wie ich sagte, die Aerzte fürchten nicht mehr für sein Leben.«

»Merktet Ihr die Stunde, Lord Constabel,« rief der Erzbischof frohlockend aus, »gerade in jenem Augenblicke schenktet Ihr den Rathschlägen Gehör, die Euch der Himmel durch den geringsten seiner Diener ertheilte – Nur zwei Worte der Buße – nur ein kurzes Gebet – und schon hat irgend ein gnadenreicher Heiliger eine augenblickliche Erhörung und eine ungeschmälerte Gewährung deiner Bitte erfleht. Edler Hugo,« fuhr er fort, seine Hand in einer Art von Enthusiasmus ergreifend, »sicherlich gedenkt der Himmel große Dinge durch die Hand dessen auszuführen, dem seine Fehler so bereitwillig vergeben, dessen Gebete so schnell erhört werden. Deßhalb soll ein Te Deum Laudamus in jeder Kirche und jedem Kloster von Gloucester angestimmt werden, ehe die Welt um einen Tag älter wird.«

Nicht weniger erfreut, obschon vielleicht minder fähig, in seines Neffen Genesung eine besondere Einwirkung der Vorsicht zu gewahren, drückte der Constabel dem Ueberbringer der frohen Botschaft seine Dankbarkeit dadurch aus, daß er ihm seine Börse zuwarf.

»Ich danke Euch, edler Herr,« sagte der Mann; »allein wenn ich mich niederbücke, um dieses Zeichen Eurer Güte aufzuheben, so geschieht es bloß, um es dem Geber wieder zuzustellen.«

»Was soll das?« sagte der Constabel, »deine Jacke ist, glaube ich, doch wahrlich nicht von der Art, daß du einen solchen Lohn verschmähen dürftest.«

»Wer Lerchen fangen will,« erwiederte der Bote, »muß sein Netz nicht über Sperlingen zusammenziehen – ich habe eine größere Gnade von Eurer Herrlichkeit zu erbitten, und deßwegen schlage ich Euer gegenwärtiges Geschenk aus.«

»Eine größere Gnade?« fragte der Constabel – »Ich bin kein irrender Ritter, und daher nicht gewohnt, Dinge zu versprechen, die ich nicht genau kenne; allein komme morgen in mein Zelt, und du wirst mich bereit finden, zu thun, was recht und billig ist.«

Nachdem er dies gesagt hatte, verabschiedete er sich von dem Prälaten, und begab sich nach Hause. Im Vorbeigehen kehrte er jedoch in seines Neffen Wohnung ein, und erhielt daselbst dieselben erfreulichen Versicherungen, die ihm durch den Boten mit dem buntfarbigen Anzuge ertheilt worden waren.



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