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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

O, ich seh' es, Fee Maab war bei Euch.

Romeo und Julie.

Der Gegenstand, mit dem sich unser Geist vor unserm Einschlafen zuletzt beschäftigt hat, nimmt nicht selten auch während des Schlummers noch unsere Gedanken in Anspruch, wenn die Einbildungskraft, unbezähmt durch die Sinnorgane, ihr phantastisches Gewebe aus jedweder Idee webt, die zufällig in dem Schläfer aufsteigt. Kein Wunder also, daß de Lacy dunkel die Idee vorschwebte, er sei eine und dieselbe Person mit dem unglücklichen Mark von Cornwall, und daß er aus diesem unfreundlichen Traume mit einer umwölktern Stirne erwachte, als er am Abende zuvor eingeschlafen war. Er beobachtete ein düsteres Schweigen und schien in tiefe Gedanken verloren, als sein Knappe ihn bei seinem Aufstehen mit einer Ehrfurcht bediente, die jetzt nur noch Monarchen gezollt wird.

»Guarine,« sagte er endlich, »kennst du den kräftigen Flamänder, der sich, sagt man, bei der Belagerung von Garde doloureuse so tapfer benommen hat? – Ein großer, dicker und korpulenter Mann!«

»Sicherlich, Mylord,« antwortete der Knappe, »kenne ich Wilkin Flammock; ich sah ihn erst gestern.«

»Wirklich?« erwiederte der Constabel; – hier meinst du? in der Stadt Glocester?«

»Ohne Zweifel, mein guter Herr; er kam theils des Handels wegen hieher, theils aber auch, wie ich glaube, um seine Tochter Rosa zu besuchen, die zu dem Gefolge der huldreichen Lady Eveline gehört.«

»Er ist ein tüchtiger Krieger, nicht wahr?«

»Gleich den meisten seines Volkes –« sagte der normannische Knappe. – »Ein Wall für eine Burg, allein unbrauchbarer Schutt im offenen Felde.«

»Auch treu, nicht wahr?« fuhr der Constabel fort.

»Treu, wie die meisten Flamänder, so lang Ihr sie für ihre Treue bezahlen könnet,« antwortete Guarine, der sich ein wenig über den ungewöhnlichen Antheil wunderte, den sein Gebieter an einem Menschen nahm, der seiner Meinung nach zu der niederen Menschenklasse gehörte. Nach einigen weitern Erkundigungen befahl der Constabel, den Flamänder augenblicklich herbeizurufen.

Andere Geschäfte des Morgens boten sich jetzt dar (denn der schnellen Abreise wegen mußten viele Vorkehrungen in aller Eile getroffen werden), als, indem der Constabel gerade mehreren seiner Offiziere Audienz ertheilte, die wohlbeleibte Gestalt Wilkin Flammocks sich am Eingange des Zeltes, in einer Jacke von weißem Tuche, und bloß ein Messer an der Seite, zeigte.

»Verlaßt das Zelt, meine Herren,« sagte de Lacy; »allein bleibt in der Nähe; hier kommt Jemand, mit dem ich unter vier Augen sprechen muß.« Die Offiziere entfernten sich, den Constabel und den Flamänder allein lassend. »Ihr seid Wilkin Flammock, der gegen die Walliser in Garde doloureuse so tapfer focht?«

»Ich that mein Möglichstes,« antwortete Wilkin. »Mein Vertrag verpflichtete mich dazu, und ich hoffe, ich werde stets als ein Mann handeln, auf den man sich verlassen kann.«

»Es scheint mir,« sagte der Constabel, »daß Ihr, die Ihr so viele körperliche Kraft, und wie ich höre, so große Geisteskühnheit besitzt, den Blick wohl nach etwas Höherem, als dieses Euer Weberhandwerk ist, richtet.«

»Jedermann sucht seine Lage zu verbessern, gnädiger Herr,« sagte Wilkin; »doch bin ich so weit entfernt, mich über die meinige zu beklagen, daß ich mich gerne dazu verstehen wollte, sie nie besser zu wünschen, falls ich versichert sein könnte, daß sie nie schlimmer würde.«

»Wohl, Flammock,« sagte der Constabel; »allein ich habe Euch höhere Dinge zugedacht, als Eure Bescheidenheit begreift – ich habe im Sinne, dir ein wichtiges Amt anzuvertrauen.«

»Falls es Tuchballen betrifft, gnädigster Herr, so wird ihm Niemand besser vorstehen, als ich« sagte der Flamänder.

»Still! du bist zu niedrigen Sinnes,« sagte der Constabel. »Wie, wenn du, was deine Tapferkeit wohl verdient, zum Ritter geschlagen und zum Kastellan von Garde doloureuse ernannt würdest?«

»Was die Ritterwürde anbelangt, Mylord, da muß ich um Verzeihung bitten; denn sie würde eben so wenig für mich passen, als ein vergoldeter Helm für einen Eber. Allein jedem Amte, sei es nun auf einer Burg, oder in einem Dorfe, getraue ich mir eben so gut vorzustehen, als irgend ein Anderer.«

»Ich fürchte, dein Rang muß etwas erhöht werden,« sagte der Constabel, die unkriegerische Kleidung der vor ihm stehenden Person betrachtend; »er ist jetzt noch zu niedrig für den Beschützer und Wächter einer jungen Dame von hohem Rang.«

»Ich der Beschützer einer jungen Dame von hohem Rang!« rief Flammock aus, und seine lichten und großen Augen wurden, während er sprach, noch größer, lichter und runder.

»Ja, du,« sagte der Constabel. »Lady Eveline wird ihren Aufenthalt wieder nach der Burg Garde doloureuse verlegen. Ich habe darüber nachgedacht, wem ich die Beschützung ihrer Person so wie der Festung anvertrauen könne. Würde ich irgend einen berühmten Ritter, deren mir viele zu Gebot stehen, wählen, so würde er sich durch Kriegsthaten im Kampfe mit den Wallisern auszeichnen wollen, und sich in Unruhen stürzen, die die Sicherheit des Schlosses gefährden könnten; oder er würde sich von der Burg wegbegeben, um ritterlichen Uebungen, Turnieren und Jagdparthien beizuwohnen; oder vielleicht unter den Mauern der Festung, ja in dem Hofraume des Schlosses sogar solche Lustbarkeiten veranstalten, und so die einsame und stille Wohnung, welche sich für Evelinens Lage schickt, durch wilden Lärm und tobende Gelage entweihen. Auf dich kann ich bauen – du wirst fechten, wenn es die Noth erfordert, nicht aber Gefahren blos um der Gefahren willen entgegengehen. Deine Geburt und deine Gewohnheiten werden dich jene Lustbarkeiten vermeiden lassen, die, so viel Angenehmes und Lockendes sie auch für Andere haben mögen, dir nicht anders als mißfallen können. – Deine Amtsführung wird so regelmäßig sein, als ich sie ehrenvoll zu machen suchen werde; und deine Blutsverwandtschaft mit Rosa, dem Lieblinge der Lady Eveline, wird dieser deine Obhut angenehmer machen, als vielleicht die eines Mannes von ihrem Range; und um mit dir eine Sprache zu reden, welche deine Nation leicht versteht, so erkläre ich dir, Flamänder, daß der Lohn für die regelmäßige Erfüllung dieses höchst wichtigen Auftrags deine schmeichelhaftesten Hoffnungen übertreffen soll!«

Der Flamänder hatte den ersten Theil dieser Rede mit einem Ausdrucke des Erstaunens angehört, das allmählig einem tiefen und bekümmerten Nachdenken Platz machte. Er blickte, als der Constabel ausgeredet hatte, etwa eine Minute lang starr auf den Boden und dann schlug er plötzlich die Augen auf und sagte: »Es bedarf hier keiner weitschweifigen Entschuldigungen. Ihr könnt die Sache nicht im Ernste meinen – doch ist dem so, so wird nichts aus dem Plane.«

»Wie, und warum?« fragte der Constabel mit unmuthigem Erstaunen.

»Ein Anderer mag sich Eure Güte zu Nutzen machen, und es dahin gestellt sein lassen, ob Eurer rechten Erwartung entsprochen wird; allein ich bin ein ehrlicher Gewerbsmann und mag für Dienste, die ich nicht leisten kann, keine Bezahlung annehmen.«

»Allein ich frage dich noch einmal, weßhalb du dieses Amt nicht annehmen kannst oder nicht annehmen willst,« sagte der Constabel. »Und wahrlich, du darfst wohl antworten, wenn ich ein solches Zutrauen in dich setze.«

»Wohl wahr, gnädiger Herr,« sagte der Flamänder; »allein mir dünkt, der edle Lord von Lacy sollte wohl fühlen, daß ein flamändischer Weber kein geeigneter Beschützer für seine Braut ist. – Denkt sie Euch in jenes einsame Schloß, unter einem so achtbaren Schutze, eingeschlossen, und überlegt, wie lange wohl die Festung in diesem Lande der Liebe und der Abenteuer so einsam bleiben wird. Minstrels werden herbeieilen um in der Dämmerung unter unsern Fenstern Balladen zu singen; und wir werden ein Harfengeklimper hören müssen, das unsere Mauern aus unsern Grundvesten würde reißen können, wie es, nach der Erzählung der Priester, denen von Jericho ergangen ist. – Wir werden so viele irrende Ritter um uns haben, als je Carl der Große oder der König Arthur um sich hatte. Der Himmel erbarme sich meiner! Etwas weit Geringeres, als eine schöne und edle Einsiedlerin – wie sie es nennen werden –, in einen Thurm eingemauert, unter dem Schutze eines alten flamändischen Webers, würde im Stande sein, die halbe Ritterschaft England's um uns zu sammeln, um Lanzen zu brechen, Gelübde zu schwören, Leibesfarben zur Schau zu tragen, und wer weiß was noch für Thorheiten zu begehen. – Glaubt Ihr, daß solche Helden, denen das Blut gleich Quecksilber durch die Adern rinnt, viel darauf achten würden, wenn ich sie weggehen hieße?«

»Verriegelt die Thore! auf mit der Zugbrücke! nieder mit dem Fallgatter!« sagte der Constabel mit einem gezwungenen Lächeln.

»Und glauben Ew. Herrlichkeit, daß solche Galans sich durch diese Hindernisse abschrecken lassen würden; sie sind die wahre Würze der Abenteuer, nach denen sie jagen. – Der Ritter vom Schwane würde über den Schloßgraben schwimmen, der Ritter vom Adler über die Mauern fliegen, und der vom Donnerkeile die Thore sprengen.«

»Begrüße sie mit der Armbrust und der Steinschleuder,« sagte de Lacy.

»Und laß dich förmlich belagern,« sagte der Flamänder »gleich dem Schlosse Tintadgel auf den alten Tapeten, und das Alles aus Liebe zu der schönen Lady? – Und dann jene lustigen Frauen und Jungfern, die von Schloß zu Schloß, von Turnier zu Turnier auf Abenteuer ausgehen, mit bloßem Busen, prangenden Federn, Dolchen und Wurfspießen, und dabei geschwätzig wie Elstern, flatterhaft wie Dohlen, und zuweilen so girrend wie Turteltauben, wie könnte ich sie wohl aus Evelinens Einsamkeit verbannen?«

»Dadurch, daß du die Thore wohl verschlossen hältst,« antwortete der Constabel, noch in demselben Tone gezwungener Scherzhaftigkeit. »Durch einen hölzernen Riegel kann dir geholfen werden.«

»Ja! aber wenn der flamändische Weber zugeschlossen sagt, und die normannische junge Dame aufgemacht! wessen Wille wird wohl am schnellsten befolgt werden? – Mit einem? Worte, Mylord! was das Hüteramt und ähnliche Dinge betrifft, so will ich meine Hände rein davon erhalten; ich möchte selbst nicht der Wächter der keuschen Susanna sein, und lebte sie auch in einem Zauberschlosse, dem sich kein lebendes Wesen nähern könnte.«

»Deine Sprache und deine Gedanken sind die eines gemeinen Wüstlings, der über weibliche Treue lacht, weil er nur mit den werthlosesten dieses Geschlechtes in Berührung gekommen ist,« sagte der Constabel, »und doch solltest du vom Gegentheile überzeugt sein, da du, so viel ich weiß, eine sehr tugendhafte Tochter hast.« –

»Dessen Mutter es nicht minder war,« sagte Wilkin, des Constabels Rede mit etwas mehr Rührung, als er sonst an den Tag zu legen pflegte, unterbrechend; »allein das Gesetz, mein Gebieter, gab mir das Recht, mein Weib zu regieren und zu leiten, wie auch Gesetz sowohl als Natur mir Macht und Gewalt über meine Tochter einräumte. Für das, was ich regieren darf, kann ich verantwortlich sein; allein ob ich einen Auftrag jener Art ebensowohl vollziehen könnte, das ist eine andere Frage. – Bleibt zu Hause, mein guter Herr,« fuhr der ehrliche Flamänder fort, als er bemerkte, daß seine Rede einigen Eindruck auf de Lacy machte. »Laßt einmal eines Narren Rath eines weisen Mannes Vorsatz ändern, der, erlaubt mir die Rede, in keiner klugen Stunde gefaßt worden ist. Bleibt in Eurem Lande – beherrscht Eure Vasallen und beschützt Eure Braut. Ihr allein könnt zärtliche Liebe und willigen Gehorsam von ihr fordern; und ohne errathen zu wollen, wie sie sich, wenn sie von Euch getrennt lebte, betragen würde, bin ich versichert, daß sie unter Euren Augen die Pflichten einer treuen und liebenden Gattin erfüllen wird.«

»Und das heilige Grab,« seufzte der Constabel, dessen Herz die Weisheit des Rathes anerkannte, den zu befolgen ihn die Umstände hinderten.

»Laßt diejenigen das heilige Grab wieder erobern, welche es verloren haben,« entgegnete Flammock. »Wenn jene Lateiner und Griechen, wie man sie nennt, keine bessern Leute sind, als ich sie schildern gehört habe, so gilt es gleich, ob sie oder die Heiden das Land beschützen, das Europa so viel Blut und Schätze gekostet hat.«

»Wahrhaftig,« sagte der Constabel, »deine Worte haben Sinn und Verstand, allein ich warne dich, sie nicht zu wiederholen, damit man dich nicht für einen Ketzer oder Juden hält. Was mich betrifft, so habe ich mich durch Wort und Eid unwiderruflich verpflichtet, und es bleibt mir nichts übrig, als zu überlegen, wem ich am füglichsten den wichtigen Posten anvertrauen kann, den dich deine Vorsicht nicht ohne einen Schatten von Recht abzulehnen veranlaßt hat.«

»Es gibt keinen Mann, dem Ew. Herrlichkeit ein solches Amt mit mehr Ehre oder Schicklichkeit übertragen können,« sagte Wilkin Flammock, »als Eurem nahen Verwandten, der Euer ganzes Vertrauen besitzt; besser wäre es jedoch, wenn gar kein solches Vertrauen in irgend Jemand gesetzt werden dürfte.«

»Wenn Ihr,« sagte der Constabel, »unter meinem nahen Verwandten Randal von Lacy verstehet, so scheue ich mich nicht, Euch zu sagen, daß ich ihn für einen ganz werthlosen Menschen halte, der keines ehrenvollen Zutrauens würdig ist.«

»Nein, ich meine einen andern,« sagte Flammock, »der Euch noch näher verwandt ist, und wenn ich nicht sehr irre, Eure Gunst in einem weit höhern Grade besitzt. – Ich meine Euren Neffen Damian von Lacy.«

Der Constabel fuhr zusammen, als ob ihn eine Wespe gestochen hätte; allein augenblicklich erwiederte er mit gezwungener Fassung: »Damian hätte an meiner Statt nach Palästina gehen sollen, und nun scheint es, daß ich statt seiner gehen muß, denn seit seiner letzten Krankheit haben die Aerzte ihre Meinung gänzlich geändert, und behaupten, daß ein wärmeres Clima, das sie früher als heilsam erklärt hatten, höchst schädlich für ihn sein würde. Allein unsere gelehrten Aerzte, wie unsere gelehrten Priester müssen immer Recht behalten, und wenn sie ihre Meinung tausendmal ändern; wir armen Laien hingegen müssen stets unrecht haben. Wahr ist es, ich kann mich mit dem höchsten Vertrauen auf Damian verlassen. Allein er ist jung, Flammock, sehr jung, und gleicht in diesem Punkte nur zu sehr der Lady, die sonst wohl seinem Schutze anvertraut werden könnte.«

»Noch einmal denn, mein Gebieter, bleibt zu Hause und werdet selbst der Beschützer des Schatzes, der Euch, wie natürlich, so theuer ist.«

»Noch einmal Flammock, ich kann nicht,« antwortete der Constabel, »der Schritt, zu dem ich mich, als zu einer großen Pflicht, entschlossen habe, mag vielleicht ein großer Irrthum sein, allein ich weiß bloß, daß er unwiderruflich ist.«

»So traut denn Eurem Neffen, Mylord, er ist ehrlich und ohne Falsch, und besser man traut jungen Löwen als alten Wölfen. Er mag vielleicht in Irrthum gerathen, allein nie wird dieß aus vorsätzlicher Verrätherei geschehen.«

»Du hast recht, Flammock,« sagte der Constabel, »und vielleicht sollte ich wünschen, dich früher schon um deinen Rath gefragt zu haben, so dreist er auch ist. Allein haltet das, was zwischen uns vorgegangen ist, geheim, und denket auf Etwas, das Euch größern Vortheil bringen kann, als das Recht über meine Angelegenheiten zu sprechen.«

»Diese Sache wird bald abgemacht sein, gnädiger Herr,« erwiederte Flammock, »denn ich hatte im Sinne, Euch um Eure Beihülfe zur Erlangung gewisser Erweiterungen unserer Privilegien, in jenem schmutzigen Winkel, in den wir Flamänder uns zurückgezogen haben, zu bitten.«

»Du sollst sie erlangen, wenn sie nicht übertrieben sind,« sagte der Constabel.

Der ehrliche Flamänder, unter dessen guten Eigenschaften ein ängstlicher Zartsinn nicht den ersten Rang einnahm, beeilte sich nun, mit großer Genauigkeit, die einzelnen Punkte seiner Bitte vorzutragen, um die er schon lange vergeblich nachgesucht hatte, zu deren Gewährung ihm aber diese Unterredung die sichersten Mittel an die Hand gab. Begierig, den gefaßten Entschluß auszuführen, eilte der Constabel nach der Wohnung Damians von Lacy, und kündigte ihm, zu seinem nicht geringen Erstaunen, die Veränderung seiner Bestimmung an. Seine eilige Abreise, Damians noch nicht ganz überstandene Krankheit, und den für Lady Evelinen so nothwendigen Schutz führte er als die Gründe an, die seinem Neffen zurückzubleiben gebieten, – um ihn während seiner Abwesenheit zu vertreten, – die Rechte der Familie zu vertheidigen, und die Familienehre des Hauses von Lacy aufrecht zu erhalten, – vor Allem aber, um die junge und schöne Braut zu beschützen, die sein Oheim und Schutzherr auf einige Zeit lang zu verlassen gewissermaßen gezwungen worden war. Damian hütete noch das Bett, als ihm sein Oheim diese Veränderung seines Vorsatzes mittheilte. Vielleicht hielt er dieß für einen günstigen Umstand, weil er so der Beobachtung seines Oheims die verschiedenen Empfindungen verbergen konnte, deren er sich nicht zu erwehren vermochte. Der Constabel dagegen eilte, mit der Hast eines Menschen, der das, was er über einen unangenehmen Gegenstand zu sagen hat, schnell zu beendigen wünscht, über die Aufzählung der Anordnungen hinweg, die er bereits getroffen hatte, um seinen Neffen in den Stand zu setzen, dem ihm anvertrauten wichtigen Amte gebührend vorzustehen.

Der Jüngling glaubte zu träumen, als er dieß hörte, und besaß nicht die Kraft, seinen Oheim zu unterbrechen, ob ihm schon eine innere Stimme sagte, die Klugheit und Rechtschaffenheit gebieten ihm Einwendungen gegen den veränderten Plan desselben zu machen. Etwas versuchte er wirklich zu sagen, als der Constabel endlich schwieg; allein es war zu unkräftig und schwach gesprochen, als daß es einen zwar eilig, aber fest gefaßten Entschluß hätte erschüttern können, den ein Mann so deutlich ausgedrückt hatte, der nicht gewohnt war, seinen Vorsatz auszusprechen, bevor er ihn fest und unwiderruflich gefaßt hatte, oder ihn zu ändern, wenn er ihn einmal ausgesprochen hatte.

Zudem widersprachen Damians Gegenvorstellungen, wenn man sie so nennen konnte, einander zu sehr, als daß sie hätten verständlich sein können. In dem einen Augenblicke bedauerte er, daß er auf die Lorbeeren verzichten müsse, die er in Palästina zu sammeln gehofft habe, und bat seinen Oheim, seinen Vorsatz nicht zu ändern, sondern ihm zu erlauben, seinem Banner dorthin zu folgen, und in dem andern erklärte er sich bereit, Lady Evelinens Sicherheit bis zum letzten Blutstropfen zu vertheidigen. De Lacy sah in diesen Gefühlen nichts Ungereimtes, ob sie gleich dem ersten Anscheine nach einander widersprachen. Es war, dachte er, natürlich, daß ein junger Ritter Ehre zu gewinnen strebe – natürlich auch, daß er ein so ehrenvolles und wichtiges Amt, wie das war, welches er seinem Neffen übertragen wollte, gern und willig annehme, und deßwegen fand er nichts Sonderbares darin, daß der junge Mann, indem er sein neues Amt willig übernahm, einiges Bedauern darüber empfand, daß er die Aussicht auf ehrenvolle Abenteuer verlor. Er beantwortete daher die abgebrochenen Einwendungen seines Neffen nur durch ein mildes Lächeln, und verließ, nachdem er seinen frühern Entschluß bekräftigt hatte, den jungen Mann, um nach Muße über die Veränderung seiner Bestimmung nachzudenken, er selbst aber machte einen zweiten Besuch in dem Benediktinerkloster, und theilte den gefaßten Entschluß der Aebtissin und seiner Braut mit. Der Mißmuth der Aebtissin ward durch diese Mittheilung keineswegs vermindert. Denn sie stellte sich, als ob sie sehr wenig Antheil daran nehme. Sie berief sich auf ihre religiösen Pflichten und ihre Unkenntniß in weltlichen Dingen, falls sie sich in den Gebräuchen der Welt irren sollte; doch habe sie, sagte sie, bisher geglaubt, daß die Beschützer der jungen und schönen Individuen ihres Geschlechtes aus den bejahrtern Individuen des andern gewählt werden.

»Eure eigene Ungefälligkeit, Lady,« antwortete der Constabel, »läßt mir keine bessere Wahl zu, als diejenige, welche ich getroffen habe. Da Evelinen ihre nächsten Freunde nicht gestatten wollen, unter einem Dache zu wohnen, des Anrechts wegen, mit dem sie mich beehrt hat, so wäre ich meinerseits mehr als undankbar, wenn ich ihr nicht den Schutz meines nächsten männlichen Erben sicherte. Damian ist jung, allein treu und redlich; auch bietet mir Englands Ritterschaft keine bessere Wahl dar.«

Eveline schien erstaunt, und sogar tief bestürzt, als sie den so schnell angekündigten Entschluß ihres Bräutigams vernahm, und vielleicht war es ein glücklicher Umstand, daß die Bemerkung der Aebtissin den Constabel zu einer Antwort nöthigte, und ihn zu bemerken verhinderte – daß ihre Farbe mehr als einmal von der tiefsten Blässe in das hellste Hochroth überging.

Rosa, die man nicht von der Unterredung ausgeschlossen hatte, trat dicht zu ihrer Gebieterin hin; und sich stellend, als wolle sie ihren Schleier zurecht legen, während sie ihr im Geheimen innig die Hand drückte, gab sie ihr Zeit und Aufmunterung, sich zur Ertheilung einer Antwort zu fassen. Sie war kurz und bestimmt, und mit einer Festigkeit ausgesprochen, die bewies, daß die Unschlüssigkeit des Augenblicks verschwunden oder unterdrückt worden war. Im Falle einer Gefahr werde sie nicht ermangeln, Damian de Lacy um seinen Beistand zu bitten, den er ihr schon früher einmal habe zu Theil werden lassen; allein sie fürchte in ihrem festen Schlosse Garde doloureuse, wo sie, bloß von ihrem eigenen Haushalte umgeben, sich aufzuhalten gedenke, keine Gefahr. Sie sei, fuhr sie fort, in Betracht ihrer Lage, entschlossen, in der größten Zurückgezogenheit zu leben, die, wie sie erwarte, selbst von dem jungen edlen Ritter, dem ihre Beschützung anvertraut sei, nicht unterbrochen werden solle, falls nicht irgend eine Besorgniß für ihre Sicherheit seinen Besuch unumgänglich nothwendig machen würde.

Die Aebtissin schenkte, wiewohl in kaltem Tone, einem Entschlusse ihren Beifall, den ihre Begriffe von Anstand billigten. Eilig wurden nun die nöthigen Anstalten zur Rückkehr Evelinens auf die Burg ihres Vaters getroffen. Zwei Zusammenkünfte, die, bevor sie das Kloster verließ, statt hatten, waren ihrer Natur nach peinlich. Die erste fand statt, als ihr Damian von seinem Oheim förmlich als der Bevollmächtigte vorgestellt wurde, dem er die Beschützung seines Eigenthums und was ihm, wie er versicherte, noch weit wichtiger war, die Beschützung ihrer Person und ihrer Habe anvertraut habe.

Eveline wagte kaum einen einzigen Blick auf Damian zu werfen; allein dieses schon reichte hin, um sie mit den Verwüstungen bekannt zu machen, welche Krankheit und Kummer an der früher so männlichen Gestalt und den schönen Zügen des Jünglings angerichtet hatten. Sie empfing seine Begrüßung mit eben so großer Verlegenheit, als sie dargebracht wurde; und antwortete auf das stotternd vorgebrachte Anerbieten seiner Dienste, sie hoffe, ihm während der Abwesenheit seines Oheims bloß für seinen guten Willen Dank schuldig zu werden.

Ihr Abschied von dem Constabel war die nächste Prüfung, die sie zu bestehen hatte. Nicht ohne Rührung schieden sie, obschon Eveline ihre bescheidene Haltung und de Lacy den ruhigen Ernst seines Benehmens beibehielt. Seine Stimme schwankte jedoch, als er ihr erklärte, es sei ungerecht, daß sie durch eine Verpflichtung gebunden sein solle, die sie mit so ungemeiner Güte eingegangen habe. Drei Jahre bestimmte er für ihre Dauer, da der Erzbischof Baldwin seine Abwesenheit auf diesen Zeitraum beschränkt habe. »Erscheine ich nicht, wenn diese Frist verstrichen ist,« sagte er, »so mag Lady Eveline annehmen, daß de Lacy im Grabe wohnt, und sich dann einen glücklichern Mann zum Gatten wählen. Sie kann keinen dankbarern finden, obschon es Viele gibt, die ihrer würdiger sind.«

So schieden sie. Der Constabel schiffte sich jetzt in aller Eile ein, und nahm seine Richtung nach den Küsten von Flandern, wo er sich mit dem Grafen dieses reichen und kriegerischen Landes, der kurz vorher das Kreuz genommen hatte, zu vereinigen, und den Weg einzuschlagen gedachte, der sie am leichtesten und sichersten nach ihrem Bestimmungsorte, dem heiligen Lande, bringen würde. Die große Flagge, mit dem Wappen der de Lacy's geschmückt, wallte auf dem Vordertheile des Schiffes, von einem günstigen Winde entfaltet, vorwärts, als ob sie die Himmelsgegend angezeigt hätte, in der ihr Ruhm erhöht werden sollte; und den Ruf des Anführers so wie die Vortrefflichkeit der ihm folgenden Krieger in Betracht gezogen, zog, in verhältnißmäßiger Zahl, nie eine herrlichere Schaar aus, um an den Sarazenen die Leiden zu rächen, die die Lateiner in Palästina durch sie erduldeten.

Indessen trat Eveline, nach einem kalten Abschiede von der Aebtissin, deren beleidigte Würde ihr die geringe Rücksicht, die sie auf ihre Meinung genommen, noch nicht verziehen hatte, ihre Reise nach ihrem väterlichen Schlosse an, wo ihr Haushalt, auf eine von dem Constabel vorgeschlagene und von ihr selbst gebilligte Weise eingerichtet werden sollte.

An jedem Ruheorte waren dieselben Anstalten getroffen, die sie auf ihrer Reise nach Gloucester gefunden hatte, und wie zuvor, blieb der Fürsorger unsichtbar, obwohl sie seinen Namen leicht errathen konnte. Jedoch aber schien es, als ob die Art und Weise dieser Anstalten einigermaßen verändert sei. Alle Erfordernisse der Convenienz und der Bequemlichkeit, verbunden mit der unbezweifeltsten Sicherheit, begleiteten sie zwar überall auf ihrem Wege; allein der feine Geschmack und die zärtliche Galanterie, die bewiesen, daß diese Aufmerksamkeiten einer schönen und jungen Dame galten, wurden nunmehr vermißt. Die klarste Quelle und der schattigste Hain wurden nicht mehr zum Behufe des Mittagsmahls erwählt; sondern die Wohnung irgend eines Gutsbesitzers, oder eine kleine Abtei gewährte die nöthige Gastfreundschaft.

Alles schien mit der gewissenhaftesten Rücksicht auf Rang und Anstand angeordnet zu sein – es schien, als ob eine Nonne von irgend einem strengen Orden, nicht aber ein junges Mädchen von hoher Geburt, und eine reiche Erbin durch das Land reise; und obschon Evelinen der Zartsinn gefiel, der auf diese Art ihre schutzlose und eigenthümliche Lage zu achten schien, so wollte sie es doch manchmal für unnöthig finden, daß dieselbe ihrer Erinnerung durch so viele indirecte Winke aufgedrungen werden sollte. So befremdete es sie auch, daß Damian, dessen Sorge sie so feierlich anvertraut worden war, ihr auf ihrem Wege nicht einmal seine Aufwartung machte. Manchmal flüsterte ihr zwar eine gewisse innere Stimme zu, daß nahes und häufiges Zusammentreffen unschicklich, ja selbst gefährlich sein würde; allein sicherlich verpflichteten ihn, so dachte sie, die gewöhnlichen Pflichten eines Ritters und Edelmanns zu einigem persönlichen Umgange mit dem seinem Schutze anvertrauten Mädchen, und wäre es auch nur, um zu fragen, ob sie mit den zu ihrer Sicherheit getroffenen Anstalten zufrieden sei, oder ob sie irgend einen besondern Wunsch erfüllt haben möchte. Der einzige Verkehr jedoch, der zwischen ihnen statt hatte, geschah durch Amelot, Damians von Lacy jungem Pagen, der jeden Morgen und Abend Evelines Befehle in Betreff des einzuschlagenden Weges, und der Stunden der Reise und Ruhe einholte.

Diese Förmlichkeiten machten Evelinen die Einsamkeit ihrer Rückkehr noch unangenehmer, und ohne Rosa's Gesellschaft würde sie sich zu einem unerträglichen lästigen Zwange verurtheilt gesehen haben. Sie wagte sogar ihrer Begleiterin einige Bemerkungen über das sonderbare Betragen de Lacy's zu machen, der seiner Stellung ungeachtet, ihre Nähe fast eben so sehr, als die eines Basilisken, zu scheuen scheine.

Rosa ließ die erste Bemerkung dieser Art hingehen, als ob sie sie nicht gehört habe; als aber ihre Gebieterin ihr eine zweite ähnliche Bemerkung nachschickte, so antwortete sie mit der Freimüthigkeit und Aufrichtigkeit ihres Charakters, obwohl nicht ganz mit ihrer gewöhnlichen Klugheit: »Damian von Lacy thut wohl daran, edles Fräulein. Derjenige, dem die Bewachung eines königlichen Schatzes anvertrauet ist, sollte sich wohl billig enthalten, seine Blicke zu oft auf denselben zu werfen.«

Eveline erröthete, hüllte sich dichter in ihren Schleier, und nannte während der ganzen Reise den Namen Damian von Lacy nicht mehr.

Als am Abende des zweiten Tages die grauen Thürme von Garde doloureuse ihren Blick begrüßten, und sie ihres Vaters Banner auf dem höchsten Wachtthurme, ihrer Ankunft zu Ehren, wieder wehen sah, so mischte sich etwas Peinliches in ihre Empfindungen; allein im Ganzen genommen, betrachtete sie diese alte Wohnung als einen Zufluchtsort, wo sie die neue Gedankenbahn, welche ihr die Umstände eröffnet hatten, auf demselben Schauplatze, der ihre Kindheit und Jugend beschirmt hatte, ungestört würde verfolgen können.

Sie spornte ihren Zelter an, um das alte Portal sobald als möglich zu erreichen, verneigte sich eilig gegen die wohlbekannten Gesichter, die sich auf allen Seiten zeigten, ohne jedoch mit irgend Jemand ein Wort zu sprechen, stieg, an der Kapelle angelangt, ab, und eilte zu der Nische, in welcher das wunderbare Gemälde aufbewahrt wurde. Hier warf sie sich auf den Boden nieder und flehte die heilige Jungfrau an, sie durch das Labyrinth, in das sie sich durch die Erfüllung des vor derselben Nische in ihrer Angst abgelegten Gelübdes verirrt habe, zu leiten und zu beschützen. Wenn ihr Gebet übel angebracht war, so war wenigstens sein Inhalt tugendhaft und aufrichtig; auch sind wir nicht zu zweifeln geneigt, daß es jenen Himmel erreichte, zu dem es in Andacht und Frömmigkeit gerichtet war.



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