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Dreiunddreißigstes Kapitel.

Ein Schwur, ein Schwur – ich that ihn einst dem Himmel.
Soll Meineid meine Seele schänden?
Nein um Venedig nicht.

Der Kaufmann von Venedig.

Das letzte Kapitel enthält die Nachrichten, welche der Minstrel seinem unglücklichen Gebieter Hugo de Lacy überbrachte. Zwar mangelte ihnen die Umständlichkeit, mit der wir die Erzählung auszustatten im Stande waren, allein sie enthielten doch die allgemeine und erschreckende Thatsache, daß seine Braut und sein geliebter Neffe sich miteinander zu seiner Unehre verbunden, und das Banner der Empörung gegen ihren gesetzmäßigen Oberherrn erhoben hatten, daß ferner das Mißlingen ihres gewagten Unternehmens das Leben des einen Theils derselben wenigstens in die größte Gefahr gestürzt, und das Haus Lacy, wenn nicht eine plötzliche Hülfe gefunden wurde, an den Rand des Verderbens gebracht hatte.

Vidal beobachtete die Geberden seines Herrn, während dieser sprach, mit der scharfen Aufmerksamkeit, mit der der Wundarzt die Fortschritte seines Zergliederungsmessers verfolgt. Kummer, tiefer Kummer sprach aus den Gesichtszügen des Constabels, allein die Muthlosigkeit und Niedergeschlagenheit, die ihn gewöhnlich begleiten, lag nicht in ihnen. Zorn, Scham zeigten sie – aber beide Empfindungen trugen einen edlen Charakter, denn sie schienen mehr durch das Bewußtsein, daß seine Braut und sein Neffe gegen ihre Lehenspflicht gesündigt und ihre Ehre und Tugend befleckt hatten, als durch das Unglück und den Schaden, den er selbst durch ihr Verbrechen erlitten hatte, erzeugt worden zu sein. Der Minstrel erstaunte so sehr über diesen Uebergang seines Benehmens aus dem stechenden Schmerze, den ihm der Anfang seiner Erzählung verursacht hatte, daß er zwei Schritte zurücktrat, den Constabel mit Staunen und Bewunderung anblickte und ausrief: »Wir haben in Palästina viel von Märtyrern gehört, allein dieß übertrifft sie.«

»Wundere dich nicht so sehr, guter Freund,« sagte der Constabel, »der erste Streich ist es, der verwundet oder betäubt – die Uebrigen werden wenig gefühlt.«

»Bedenkt, Mylord,« sagte Vidal, »Alles ist verloren – Liebe, Eigenthum, hoher Rang und glänzender Ruhm – erst »noch ein Haupt der edlen – jetzt ein armer Pilger«

»Willst du meines Unglücks spotten,« sagte Hugo erzürnt; »allein dieß wird doch wie natürlich hinter meinem Rücken geschehen, warum sollt' ich es daher in meiner Gegenwart nicht dulden? – So wißt nun, Minstrel, und schafft es in ein Lied um, wenn Ihr Lust dazu habt, daß Hugo de Lacy, der Alles verloren hat, was er nach Palästina brachte, und Alles, was er in seiner Heimath zurückließ, doch noch Herr seiner selbst ist. Unglück kann ihn hinfort nicht mehr erschüttern, eben so wenig als der Wind, der die Eiche ihrer Blätter beraubt, den Stamm derselben zu entwurzeln vermag.«

»Ja beim Grabe meines Vaters,« sagte der Minstrel entzückt, »dieses Mannes edle Würde überwiegt meinen Entschluß!« Mit diesen Worten eilte er auf den Constabel zu, und ergriff seine Hand mit größerer Zutraulichkeit, als Männer von de Lacy's Range zu gestatten pflegten.

»Hier,« sagte Vidal – »auf dieser Hand – dieser edlen Hand – entsage ich,« – allein, ehe er weiter sprechen konnte, zog Hugo de Lacy, der vielleicht dieses freie Benehmen als eine Folge seiner gesunkenen Lage betrachtete, rasch seine Hand zurück, und gebot dem Minstrel mit finsterer Stirne, aufzustehen und sich zu erinnern, daß das Unglück de Lacy's Person keineswegs zu einem Gaukelspiel geeignet gemacht habe.«

Beleidigt stand Renault Vidal auf. »Ich hatte,« sagte er, »die weite Kluft zwischen einem armorikanischen Geiger und einem hohen normännischen Baron vergessen. Ich glaubte dieselbe Tiefe des Kummers, derselbe Ausbruch der Freude habe, für einen Augenblick wenigstens, die künstlichen Schranken niedergerissen, die die Menschen von einander trennen; aber es ist gut, wie es ist. Lebt innerhalb der Gränzen Eures Ranges wie bisher, Mylord, von Euren Thürmen und Gräben umgeben. Die Theilnahme eines Mannes meines Gelichters soll Euch nicht stören. Auch ich habe Pflichten zu erfüllen.«

»Und nun nach Garde doloureuse!« sagte der Baron, sich an Philipp Guarine wendend – »Gott weiß, wie gut sie diesen Namen verdient – auf, damit wir daselbst mit eigenen Augen und Ohren die Wahrheit dieser traurigen Nachrichten prüfen können. Steige ab, Minstrel, und gib mir deinen Klepper – ich wünschte, Guarine, ich hätte auch einen für dich – was Vidal betrifft, so ist seine Begleitung minder nothwendig. Ich will meinen Feinden oder meinem Unglück, wie ein Mann entgegen gehen – davon sei überzeugt, Geiger, und blicke nicht so düster, Mensch – ich werde alte Anhänger nicht vergessen.«

»Einer von ihnen wenigstens wird Euch nicht vergessen, Mylord,« erwiederte der Minstrel, in seinem gewöhnlichen zweideutigen Tone.

Aber gerade, als der Constabel vorwärts reiten wollte, zeigten sich zwei Personen, auf einem Pferde sitzend, auf demselben Wege. Durch einiges Gebüsch versteckt, waren sie ihnen nahe gekommen, ohne entdeckt zu werden. Es war ein Mann und eine Frau. Der Mann, der vornen auf dem Pferde saß, war ein Hungerbild, desgleichen die Pilger in allen den verwüsteten Ländern, durch die sie gereist waren, nicht gesehen hatten. Sein von Mutterleibe aus mageres Gesicht war ganz von dem grauen Barte und seinen ungekämmten Haaren von gleicher Farbe überschattet. Man sah nur noch den Schimmer einer langen Nase, die so dünn schien, als ein Messerrücken, und das blinzelnde Leuchten seiner grauen Augen – seine Beine in den weiten alten Stiefeln, die sie umgaben, glichen dem Stiele eines zufällig in einem Waschzuber gelassenen Besens – seine Arme waren ungefähr so dick als Reitgerten – und die Theile seines Körpers, die nicht von den Lumpen eines alten Jagdkleides verhüllt waren, schienen mehr einer Mumie, als einem lebenden Menschen, anzugehören.

Das Weib, welches hinter diesem Gespenste saß, zeigte auch einige Spuren von Abzehrung, allein, da sie von Natur eine wackere und rüstige Dame war, so war der Hunger nicht im Stande gewesen, sie zu einem so kläglichen Jammerbilde zu machen, wie das Skelett, hinter welchem sie ritt. Dame Gillians Wangen – denn es war diese alte Bekannte des Lesers – hatten in der Thal die rosige Farbe des Frohsinns und die Sanftheit, welche die Kunst und ein gemächliches Leben früher an die Stelle der zarteren Jugendblüthe gesetzt hatten, verloren. Ihre Augen waren eingesunken, und hatten viel von ihrem kühnen und schelmischen Glanze verloren; allein sie war doch gewissermaßen immer noch dieselbe, und die obwohl schon ziemlich verblichenen Ueberbleibsel eines früheren Putzes, so wie die enganliegenden scharlachrothen Strümpfe, zeigten noch einen Ueberrest kokettischer Ansprüche.

Sobald sie der Pilger ansichtig wurde, begann sie den Raoul mit der Reitgerte zu berühren; »nun, Mann, versuche jetzt dein neues Gewerbe, da du zu jedem andern untauglich bist. Hin zu den guten Leuten – hin zu ihnen, sprich ihre Barmherzigkeit an.«

»Von Bettlern betteln?« – murmelte Raoul, »das hieße den Falken nach Sperlingen ausschicken.«

»Es wird doch wenigstens unsere Hand in Uebung bringen,« sagte Gillian, und begann in weinerlichem Tone; »Gott liebt euch, heilige Männer, die ihr das Glück gehabt habt, in's heilige Land zu gehen, und was noch mehr ist, aus demselben zurückzukehren. Ich bitte euch, schenkt meinem armen alten Manne, der eine so jämmerliche Person ist, ein Almosen, und auch mir, die ich das Unglück habe, sein Weib zu sein – der Himmel helfe mir!«

»Still, Weib, und höre, was ich zu sagen habe,« sagte der Constabel, seine Hand an den Zügel ihres Pferdes legend. – »Ich bedarf gegenwärtig dieses Pferdes und –«

»Bei dem Jägerhorne des heiligen Hubert, du erhältst es nicht ohne Püffe,« sagte der alte Jäger; »wahrlich dann sieht es schön in der Welt aus, wenn Pilger Pferdediebe werden.«

»Still, Kerl!« sagte der Constabel in ernstem Tone, »ich bedarf in diesem Augenblick der Dienste deines Pferdes. Hier sind zwei goldene Byzantiner, damit du mir das Thier auf einen Tag lang zum Gebrauche überläßst. Das ganze Pferd wäre damit bezahlt, wenn du es auch nimmer zurückerhieltest.«

»Allein der Klepper ist ein alter Bekannter, meine Herrn,« sagte Raoul, »und wenn vielleicht –«

»Still mit Eurem wenn und vielleicht,« sagte die Dame, ihrem Gatten einen so derben Stoß gebend, daß er fast vom Pferde stürzte, – »herunter von dem Pferde, und Gott und diesem würdigen Manne für die Hülfe gedankt, die er uns in dieser Noth geschickt hat. Was nützt uns der Klepper, wenn wir weder für uns noch für ihn Nahrung haben? Ja selbst dann nicht, wenn wir mit ihm Gras und Hafer essen wollten, wie jener König, von dem uns der gute Vater vorzulesen pflegte, um uns dadurch einzuschläfern.«

»Still mit deinem Geplauder,« rief Raoul aus, und bot ihr seinen Beistand zum Herabsteigen von dem Kreuze des Pferdes an; sie zog jedoch Guarine's Beistand vor, der, obschon vorgerückt an Jahren, doch noch ein Mann von kriegerischem und kräftigem Aussehen war.

»Ich danke Euch demüthig für Eure Güte,« sagte sie, als sie der Knappe, nach einem Kusse auf die Wange, auf den Boden gesetzt hatte. »Sagt doch, Herr, ich bitte Euch, kommt ihr aus dem heiligen Lande? – Habt ihr da etwas von einem Manne vernommen, der ehedem Constabel von Chester war? –«

De Lacy, der eben beschäftigt war, das Kissen hinter dem Sattel loszumachen, unterbrach plötzlich sein Geschäft und sagte: »Ha Frau, was wollt Ihr von ihm?«

»Sehr Vieles, guter Pilger; wenn ich ihn treffen könnte; denn seine Ländereien und Aemter werden wahrscheinlich jenem falschen Diebe, seinem Vetter, übergeben.«

»Wie! – Damian, seinem Neffen?« rief der Constabel in hastigem Tone aus.

»Himmel! wie Ihr mich erschreckt, Herr!« sagte Gillian, und fuhr dann, an Philipp Guarine sich wendend, fort: »Euer Freund ist, meine ich, ein heftiger Mann«

»Dieß kommt von der heißen Sonne her, unter der er so lange gelebt hat,« sagte der Knappe; »allein seht Euch wohl vor, daß Ihr seine Fragen der Wahrheit gemäß beantwortet. Es wird Euch dann um so besser ergehen.«

Gillian faßte augenblicklich den Wink. – »War es nicht Damian de Lacy, nach dem Ihr fragtet. – Ach der arme junge Mann, für ihn gibt es keine Würden, keine Ländereien, – viel wahrscheinlicher ist's, daß er einen Platz am Galgen bekommt, der arme Junge – und Alles für Nichts, so wahr ich eine ehrliche Frau bin. Damian! nein, nein, nicht Damian, noch das Fräulein selbst ist es, sondern Randal von Lacy, der den Braten fischt und alle Ländereien, Würden und Einkünfte des alten Mannes erhält.«

»Wie,« sagte der Constabel, »ehe sie wissen, ob der alte Mann tobt ist oder nicht? – Ich glaube, dieß wäre wider alles Recht und Gesetz.«

»Ja, aber Randal Lacy hat noch weit unwahrscheinlichere Dinge zu Stande gebracht. Denkt nur, er hat dem Könige geschworen, er habe glaubwürdige Nachrichten von dem Tode des Constabels. – Ja, seid unbesorgt, er wird die Nachrichten schon wahr machen, wenn ihm der Constabel einmal in die Hände fällt.«

»Wirklich,« sagte der Constabel, »allein Ihr schmiedet da Lügen über einen Edelmann. Kommt, Frau, und gesteht, daß Ihr dieß bloß deßwegen sagt, weil Ihr Randal de Lacy nicht leiden könnt.«

»Ihn nicht leiden? und welche Ursache habe ich, ihn leiden zu können?« sagte Gillian, »etwa deßhalb, weil er mich in meiner Einfalt verleitete, ihn in das Schloß Garde doloureuse einzulassen, – und dieß noch öfter, als nur ein- oder zweimal – wenn er als Krämer verkleidet kam, und mich bewog, ihm alle Geheimnisse der Familie zu verrathen, und wie der Knabe Damian und das Mädchen Eveline aus Liebe zu einander fast starben, allein nicht den Muth hatten, ein Wort davon verlauten zu lassen, aus Furcht vor dem Constabel, obschon er mehr als tausend Meilen entfernt war. – Ihr scheint sehr bekümmert, werther Herr; darf ich Euch einen kleinen Schluck aus meiner Flasche anbieten, die ein unübertreffliches Mittel gegen jedes tremor cordis und alle Anfälle von spleen ist.«

»Nein, nein,« rief de Lacy aus, »es durchzuckte mich bloß der Stich einer alten Wunde, allein nicht wahr, Dame, dieser Damian und jene Eveline, wie Ihr sie heißt, wurden mit der Zeit bessere und nähere Freunde?«

»Sie! – nein in der That nicht, die armen Tropfen! – Es fehlte ihnen an einem weisen Rathgeber, um ihnen an die Hand zu gehen und sie zu leiten. Denn seht, Herr, wenn der alte Hugo todt ist, was wohl der Fall sein wird, so wäre es am natürlichsten, daß seine Braut und sein Neffe seine Ländereien erbten, nicht aber jener Randal, der bloß ein entfernter Verwandter und noch obendrein ein meineidiger Schurke ist. Könnt Ihr es wohl glauben – nach den Goldbergen, die er mir versprach – als das Schloß eingenommen war, und er sah, daß ich ihm nichts mehr nützen konnte – da nannte er mich ein altes Plaudermaul, und drohte mir mit dem Büttel und dem Tauchschemel; ja, ehrwürdiger Herr, altes Plaudermaul und Tauchschemel waren seine schönsten Worte, als er wußte, daß ich Niemanden hatte, der mich beschützen konnte, als den alten Raoul, der sich selbst nicht beschützen kann; allein, wenn der grimmige alte Hugo sein altes Gerippe aus Palästina zurückbringt, und nur noch halb der Teufelskerl ist, wie damals, als er Narr genug war, fortzuziehen, heilige Maria, ich will ihm dann seines Vetters Schurkenstreiche erzählen.«

Als sie dieß gesprochen hatte, trat eine Pause ein.

»Du sagst,« rief endlich der Constabel aus, »daß Damian von Lacy und Eveline einander lieben, doch frei von Schuld, Falschheit oder Undankbarkeit gegen mich – ich wollte sagen, gegen ihren Verwandten in Palästina geblieben sind?«

»Daß sie sich lieben, Herr? In der That, so ist es,« antwortete Gillian, »sie lieben einander, allein wie Engel, oder wie Thoren, wenn Ihr wollt. Denn ohne einen Schelmenstreich jenes Randal von Lacy würden sie niemals nur miteinander gesprochen haben.«

»Wie!« fragte der Constabel, – »einen Schelmenstreich Randals? Was konnte ihm daran liegen, daß sie zusammentrafen?«

»Ja, ihr Zusammentreffen war gar nicht, was er wollte; sondern er hatte den Plan gefaßt, Lady Evelinen selbst zu entführen; denn er war ein wilder Wüstling, dieser Randal Lacy. So kam er als Falkenhändler verkleidet, und bewog meinen alten hirnlosen Raoul und Lady Evelinen und uns Alle, angeblich auf die Falkenjagd auszuziehen. Allein er hatte eine Bande wallisischer Räuber im Hinterhalt, die uns nun überfielen, und wäre uns nicht plötzlich Damian zu Hülfe geeilt, so läßt es sich gar nicht bestimmen, was aus uns hätte werden können. Damian, der beim Angriffe gefährlich verwundet worden war, wurde aus bloßer Nothwendigkeit nach Garde doloureuse gebracht; und wenn nicht sein Leben auf dem Spiele gestanden wäre, so würde, glaube ich, die Lady ihm nie erlaubt haben, die Zugbrücke zu überschreiten, selbst wenn er auch darum nachgesucht hätte.«

»Weib!« rief der Constabel aus, »bedenke was du sagst! Wenn du in diesen Dingen, wie ich aus deiner eigenen Erzählung schließe, übel gehandelt hast, so glaube nicht, daß du dein Vergehen durch einen neuen Betrug, den du dir bloß deßwegen erlaubst, weil dir dein Lohn entgangen ist, wieder gut machen kannst.«

»Pilger,« sagte der alte Raoul, mit einer durch manchen Jägerruf gebrochenen kraftlosen Stimme, »ich bin gewohnt, das Geschäft der Plauderei meinem Weibe Gillian zu überlassen, die es hierin mit jedem Zankmaule in der Christenheit aufnimmt. Aber du sprichst wie Einer, der Antheil an diesen Dingen nimmt, und deßwegen will ich dir ganz offen sagen, daß dieses Weib ihre eigene Schande aufdeckte, indem sie ihr Einverständniß mit jenem Randal Lacy eingestand; doch was sie sagte, ist so wahr, wie das Evangelium, und wäre es mein letztes Wort, ich würde behaupten, daß Damian und Lady Eveline von jeder Verrätherei und jeder Unehre so frei sind, als das Kind im Mutterleibe; allein was hilft es, was unseresgleichen davon sagen, die wir, um nicht Hunger zu sterben, betteln müssen, nachdem wir in einem guten Hause gelebt haben und im Dienste eines gnädigen Herrn – Gottes Segen ruhe mit ihm! – gestanden sind.«

»Aber hört!« fuhr der Constabel fort, »sind keine alte Diener des Hauses mehr vorhanden, die die Wahrheit so gut sagen können, als Ihr?«

»Hm,« antwortete der Jäger, »die Leute sind nicht Willens, zu plaudern, wenn Randal de Lacy seine Peitsche über ihren Köpfen schwingt. Viele sind erschlagen, – Viele verhungert – Einige anderswohin gesendet, und Andere hinweggetrieben. Allein da ist noch der Weber Flammock und seine Tochter Rosa, die so viel von der Sache wissen, als wir.«

»Wie! Wilkin Flammock, der wackere Niederländer?« sagte der Constabel, »er und seine offene, aber rechtliche und treue Tochter Rosa? – Mit meinem Leben würde ich mich für ihre Treue verbürgen – wo wohnen sie? Was für ein Schicksal haben sie während dieser vielfältigen Ereignisse gehabt?«

»Und in Gottes Namen, wer seid Ihr, daß Ihr diese Fragen an uns richtet?« sagte Dame Gillian. »Raoul, Raoul, wir sind zu dreist gewesen; es liegt Etwas in diesem Blicke und in dieser Sprache, an das ich mich erinnern sollte.«

»Ja, betrachtet mich nur aufmerksamer,« sagte der Constabel, die Kaputze zurückwerfend, die bisher sein Gesicht einigermaßen verhüllt hatte.

»Auf deine Kniee nieder, Raoul!« rief Gillian aus, indem sie selbst niedersank, »es ist der Constabel selbst, ach! er hörte, wie ich ihn den alten Hugo nannte.«

»Es ist wenigstens Alles, was von dem übrig ist, der ehedem Constabel war,« entgegnete de Lacy, »und der alte Hugo verzeiht Euch, in Betracht Eurer guten Nachrichten, gerne Eure Kühnheit. Wo ist Flammock und seine Tochter?«

»Rosa ist bei der Lady Eveline,« sagte Dame Gillian; »Ihre Herrlichkeit wählte sie, glaube ich, statt meiner zur Kammerfrau, obschon Rosa nie im Stande war, auch nur eine holländische Puppe anzuziehen.«

»Das treue Mädchen!« rief der Constabel, »und wo ist Flammock?«

»O, was ihn betrifft, er hat Verzeihung und Gnade erhalten«, sagte Raoul; »er ist mit seinem Weberpack in seinem eigenen Hause, nahe bei der Schlachtenbrücke, wie sie jetzt den Platz nennen, wo Eure Herrlichkeit die Walliser schlugen.«

»Dahin will ich gehen«, sagte der Constabel, »und wir wollen dann sehen, wie König Heinrich von Ajou einen alten Diener bewillkommt. Ihr Zwei müßt mich begleiten.«

»Mylord,« sagte Gillian zögernd, »arme Leute erwerben sich wenig Dank, wenn sie sich in großer Herren Angelegenheiten mischen. Ich hoffe, Eure Herrlichkeit werden im Stande sein, uns zu beschützen, wenn wir die Wahrheit sagen, und Ihr werdet nicht mit Mißfallen auf das zurücksehen, was ich durchaus nicht in böser Absicht that.«

»Still Weib, schäme dich«, sagte Raoul, »willst du an dein altes sündhaftes Gerippe denken, wenn es sich davon handelt, unsere theure junge Gebieterin von Schande und Unterdrückung zu retten? – Und was deine böse Zunge und deine schlechten Streiche betrifft, so wissen Seine Herrlichkeit, daß sie dir nur einmal angeboren sind.«

»Still, Freund!« sagte der Constabel, »wir werden der Irrthümer deines Weibes nicht gedenken, und Eure Treue soll belohnt werden. – Und ihr, meine treuen Begleiter,« sagte er, zu Guarine und Vidal sich wendend, »wenn de Lacy wieder in seine Rechte eingesetzt werden wird, woran er keineswegs zweifelt, so wird es sein erster Gedanke sein, eure Treue zu belohnen.«

»Die meinige, so wie sie nun einmal ist, war und wird ihr eigener Lohn sein,« sagte Vidal, »ich werde keine Wohlthaten von dem im Glücke annehmen, der mir im Unglücke seine Hand verweigerte – unsere Rechnung ist noch nicht abgeschlossen.«

»Geh, du bist ein Thor, allein dein Stand gibt dir das Recht, launisch zu sein,« sagte der Constabel, dessen verwitterte und ungeschlachte Züge sich so zu sagen verklärten, wenn Dankbarkeit gegen den Himmel und Wohlwollen gegen die Menschen sie beseelte. »Wir wollen uns,« fuhr er fort, »bei der Schlachtenbrücke eine Stunde vor der Vesper treffen – bis dahin werde ich viel zu Stande gebracht haben.«

»Der Zeitraum ist kurz,« sagte sein Knappe.

»In einem noch kürzeren gewann ich eine Schlacht,« entgegnete der Constabel.

»In welcher,« sagte der Minstrel, »mancher umkam, der sich des Lebens und Sieges für versichert hielt.«

»So soll auch mein gefährlicher Vetter Randal seine Plane scheitern sehen,« antwortete der Constabel, und ritt vorwärts, von Raoul und seinem Weibe begleitet, die ihren Klepper wieder bestiegen hatten, während der Minstrel und der Knappe zu Fuße und folglich viel langsamer nachfolgten.



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