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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Vor Zeiten war's, sagt man, ein lust'ger Ort;
Doch jetzt fehlt ihm etwas – er ist verflucht!

Wordsworth.

Der Platz, auf dem das Scharmützel vorfiel, und Lady Evelinens Befreiung bewirkt wurde, war ein wilder und einsamer Ort. Er bildete eine kleine Ebene und eine Art von Ruheplatz zwischen zwei rauhen Pfaden, von denen einer sich von unten an dem Flusse hinaufwand und der andere sich noch weiter nach den Felsen hinaufzog. Von Hügeln und Gehölz umgeben, war er ein berühmter Jagdplatz, und in früheren Tagen hatte ein walliser Fürst, der seiner ungemeinen Gastfreundschaft und seiner Liebe zum Crw und zur Jagd wegen, weit umher bekannt war, daselbst eine Waldhütte erbaut, in der er seine Freunde und Anhänger mit einer in Cambria beispiellosen Freigebigkeit bewirthete.

Die Phantasie der Barden wird stets durch die Pracht angelockt; und da sie keine Einwendungen gegen die besondere Art der Freigebigkeit dieses Fürsten zu machen hatten, so gaben sie ihm den Zunamen »Edris, der Becherfürst;« ja sie erhoben ihn in ihren Gesängen so hoch, als die Helden des berühmten Hirlas Horn. Doch fiel der Gegenstand ihres Lobes endlich als Opfer seiner schwelgerischen Neigungen; denn er wurde bei einem jener unruhigen Auftritte, die nicht selten seine berüchtigten Gastmahle beschlossen, erstochen. Empört über diesen Vorfall, begruben die versammelten Britten die irdischen Ueberreste des Fürsten an dem Orte, wo er starb, nämlich in dem engen Gewölbe, in welches Eveline eingekerkert gewesen war. Nachdem sie den Eingang der Gruft mit Felsenstücken versperrt hatten, häuften sie über demselben einen unermeßlichen Cairn oder Steinhaufen zusammen, auf dessen Spitze sie den Mörder tödteten. Der Aberglaube behütete den Ort, und viele Jahre lang blieb dieses Grabmal des Fürsten Edris unangetastet, selbst als die Waldhütte schon in Ruinen zerfallen und jede Spur von ihr verschwunden war.

In spätern Jahren hatten einige wallisische Raubhorden den geheimen Eingang entdeckt, und in der Absicht geöffnet, in der Gruft Waffen und Schätze zu suchen, die in alten Zeiten oft mit den Todten begraben wurden. Doch sie sahen sich getäuscht, und erlangten durch die Entweihung der Ruhestätte des Fürsten Edris nichts, als daß sie mit einem Schlupfwinkel bekannt wurden, der ihnen zur Niederlegung ihrer Beute, oder in dringenden Fällen selbst als Zufluchtsort dienen konnte.

Als die Begleiter Damians, fünf oder sechs an Zahl, Wilkin Flammock ihren Theil von der Geschichte des Tages mittheilten, so zeigte es sich, daß Damian ihnen, nebst einer beträchtlichen Schaar, befohlen hatte, mit Tagesanbruch zu Pferde zu sitzen, um gegen eine Bande aufrührerischer Bauern aufzubrechen.

Allein plötzlich hatte er seinen Entschluß geändert, seine Mannschaft in mehrere kleine Abtheilungen getheilt, und mit ihnen mehr als einen Gebirgspaß zwischen Wales und den Gränzen des englischen Gebiets, in der Nähe von Garde doloureuse ausgekundschaftet. Dieß war eine seiner gewöhnlichsten Beschäftigungen, und erregte daher keine Aufmerksamkeit.

Diese Streifzüge wurden häufig von den kriegerischen Gränzrittern unternommen, um die Walliser im Allgemeinen, insbesondere aber die Banden der Geächteten, die, keiner regelmäßigen Regierung unterthan, diese Gränzen beunruhigten, einzuschüchtern. Jedoch erlaubte man sich verschiedenartige Bemerkungen über den Umstand, daß Damian, indem er in diesem Augenblicke einem solchen Dienste sich unterzog, den Plan aufzugeben schien, die Rebellen aus einander zu jagen, was man als das Hauptgeschäft des Tages betrachtet hatte.

Es war ungefähr Mittag, als Damian und seine unmittelbaren Begleiter mit einem der fliehenden Reitknechte zusammentrafen, und von der an Lady Evelinen verübten Gewaltthat Nachricht erhielten. Durch ihre genaue Kenntniß des Landes waren sie im Stande, den Räubern bei dem sogenannten Edrispasse, durch welchen die wallisischen Räuber gewöhnlich in ihre festen Plätze im Innern des Landes zurückkehrten, den Weg abzuschneiden. Wahrscheinlich ist es, daß die Banditen nicht wußten, welch' eine kleine Macht Damian befehligte, und daß sie zu gleicher Zeit eine unmittelbare und heiße Verfolgung in ihrem Rücken erwarteten. Diese Umstände veranlaßten ihren Anführer zu dem sonderbaren Entschlusse, Evelinen in der Gruft zu verbergen, während einer der Räuber, in ihre Kleider gehüllt, ihre Angreifer täuschen, und sie von dem Orte, wo sie wirklich verborgen war, und wohin die Banditen ohne Zweifel sogleich nach dem Rückzuge ihrer Verfolger zurückzukehren gedachten, hinweglocken mußte.

Demzufolge hatten sich die Räuber bereits vor der Gruft aufgestellt, um sich regelmäßig zurückzuziehen, bis sie einen geeigneten Ort finden würden, wo sie entweder Halt machen, oder falls sie übermannt werden sollten, ihre Pferde verlassen, und sich in die Felsen retten könnten, um dem Angriffe der normännischen Reiterei zu entgehen. Ihr Plan ward durch Damians Hastigkeit vereitelt, der, da er die Federn und den Mantel der Lady Eveline in dem Rücken ihres Trupps zu bemerken glaubte, sie angriff, ohne die geringste Rücksicht auf ihre Uebermacht oder auf die Leichtigkeit seiner Rüstung zu nehmen, die bloß aus einem Helme und einem büffelledernen Ueberrocke bestand, und daher den walliser Messern und Hellebarden nur einen unvollkommenen Widerstand entgegensetzte. Er wurde deßwegen beim Angriffe schwer verwundet, und wäre vielleicht niedergehauen worden, hätten seine männlichen Begleiter nicht ihrer ganzen Kraft zu seiner Rettung aufgeboten, und die Walliser befürchtet, sie möchten, während sie so den Kampf von vorn fortsetzten, im Rücken von Evelinens Vasallen angefallen werden, die, wie sie wähnten, bereits insgesammt bewaffnet anrückten. Sie zogen sich daher zurück, oder flohen vielmehr, und der verwundete Damian befahl seinen Begleitern, ihnen eiligst nachzusetzen, und, was auch immer geschehen möge, nicht eher von der Verfolgung abzustehen, als bis die gefangene Gebieterin von Garde doloureuse ihren Entführern wieder entrissen sei.

Die Räuber machten mit Hülfe ihrer Kenntniß der Pfade und der Schnelligkeit ihrer kleinen walliser Pferde einen regelmäßigen Rückzug, zwei oder drei Mann ihres Nachzugs ausgenommen, die Damian bei seinem wüthenden Angriffe niederhieb. Sie schossen von Zeit zu Zeit Pfeile auf die Gewappneten ab, und lachten über die unwirksamen Bemühungen dieser schwer bewaffneten Krieger, die mit ihren gepanzerten Rossen sie einzuholen suchten. Allein die Scene veränderte sich durch die Erscheinung Wilkin Flammocks, der auf seinem gewaltigen Schlachtrosse und an der Spitze eines aus Reitern und Fußgängern bestehenden Truppencorps den Paß zu ersteigen begann. Die Furcht, abgeschnitten zu werden, veranlaßte die Geächteten, ihre Zuflucht zu ihrer letzten Kriegslist zu nehmen; sie verließen daher ihre walliser Pferde, flüchteten sich in die Felsen, und vereitelten so durch ihre überlegene Schnelligkeit und Gewandtheit, im Allgemeinen gesprochen, die Versuche ihrer beiderseitigen Verfolger. Alle von ihnen jedoch waren nicht gleich glücklich, denn zwei oder drei fielen in die Hände der Flamänder, unter andern auch derjenige, der Evelinens Kleider hatte anlegen müssen, und der, wie es sich jetzt zum großen Mißvergnügen seiner Verfolger zeigte, nicht die Lady war, die sie mit so großem Eifer zu befreien gesucht hatten, sondern ein schön gelockter, junger Walliser, dessen wilde Blicke und unzusammenhängende Reden von einer verwirrten Einbildungskraft zu zeugen schienen. Dieß würde ihn jedoch nicht von einem augenblicklichen Tode, dem gewöhnlichen Loose derer, die in solchen Gefechten gefangen genommen wurden, gerettet haben, hätte nicht Damians schwacher Hörnerklang dessen Leute zurückgerufen, und auch Wilkin Flammocks Trupp die Rückkehr geboten; denn in der Verwirrung und Hast, mit der sie dem Zeichen gehorchten, hatte der Gefangene durch das Mitleiden oder die Nachlässigkeit seiner Wächter das Glück, zu entkommen. Sie hätten auch in der That wenig von ihm erfahren können, selbst wenn er geneigt oder im Stande gewesen wäre, ihnen Aufschluß zu geben. Alle waren hinlänglich überzeugt, daß ihre Gebieterin einem Hinterhalte in die Hände gefallen sei, den ihr Dawfyd, der Einäugige, ein gefürchteter Freibeuter jener Zeit, gestellt habe, um ein großes Lösegeld für die gefangene Eveline zu erheben. Empört über diese freche Vermessenheit, schwuren Alle, seinen Kopf und seine Glieder den Adlern und Raben zum Fraße vorzuwerfen.

Dieß waren die Einzelnheiten, welche Flammocks und Damians Begleiter durch ihre gegenseitige Mittheilung dessen, was sie von den Vorfällen des Tages wußten, erfuhren. Als sie auf dem Wege, der an dem rothen Teiche vorbeiführte, zurückkehrten, trafen sie mit Dame Gillian zusammen, die nach manchem Frohlocken über die unerwartete Befreiung ihrer Gebieterin und eben so vielen Schmerzensrufen über Damians unerwarteten Unstern die Gewappneten benachrichtigte, daß der Kaufmann, dessen Falken die einzige Ursache der ganzen Begebenheit waren, von einigen Wallisern auf ihrem Rückzuge gefangen genommen worden sei, und sie selbst und der verwundete Raoul dasselbe Schicksal erfahren haben würden, wäre noch ein Pferd für sie vorhanden gewesen, und hätte man nicht den alten Raoul weder eines Lösegeldes noch der Mühe des Todtschlagens werth gehalten. Einer hatte zwar einen Stein nach ihm geworfen, als er auf der Seite des Hügels auf dem Boden lag, allein glücklicher Weise, sagte Dame Gillian, erreichte er ihn nicht ganz – es war bloß ein kleiner Bursche, der ihn nach ihm schleuderte, – aber es war ein dicker Mann unter ihnen; wenn der es versucht hätte, so würde wahrscheinlich der Stein, durch die Gnade Unserer Frau, etwas weiter geflogen sein. Mit diesen Worten raffte sich die Dame auf, und ordnete ihre Kleidung, um wieder zu Pferde zu sitzen.

Der verwundete Damian wurde auf eine, in aller Eile aus Baumzweigen verfertigte Sänfte gelegt, und nebst den Frauen in den Mittelpunkt des kleinen Trupps genommen, der noch durch die übrigen Begleiter des jungen Ritters, die sich wieder unter seinem Banner zu versammeln begannen, vergrößert wurde. Das vereinigte Corps rückte jetzt mit militärischer Ordnung vor, und durchzog die Gebirgspässe mit der Aufmerksamkeit von Leuten, die auf Angriffe gefaßt und sie abzuwehren bereit sind.



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