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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Der König versammelt die Mannen alle;
Zu einem, zu zweien und zu drei'n.
Graf Marschall war stets der erste Mann,
Doch jetzt wollt' er der letzte sein.

Alte Ballade.

Wenn Lady Eveline nach der Zusammenkunft mit de Lacy zufrieden und vergnügt war, so erreichte die Freude des Constabels einen höhern Grad des Entzückens, als er je zu empfinden oder auszudrücken gewohnt war. Sie ward noch durch einen Besuch der Aerzte seines Neffen erhöht; denn sie statteten ihm einen genauen und umständlichen Bericht von seiner Krankheit ab, und versicherten ihn, daß er in Kurzem genesen werde.

Der Constabel ließ den Klöstern und den Armen Almosen austheilen, Messen lesen und Kerzen anzünden. Er besuchte den Erzbischof und erhielt von ihm die vollkommene Billigung der Maßregeln, welche er ergreifen wollte, mit dem Versprechen, daß der Prälat seiner von dem Papste erhaltenen unumschränkten Vollmacht zufolge seinen Aufenthalt in dem heiligen Lande, in Betracht seines augenblicklichen Gehorsams, auf den Zeitraum von drei Jahren, von seiner Abreise aus Britannien an gerechnet, und die zu seiner Rückkehr in sein Vaterland nöthige Zeit mit eingeschlossen, beschränken wolle. Kurz, nachdem der Erzbischof in der Hauptsache gesiegt hatte, hielt er es für rathsam, in jedem geringeren Punkte einem Manne von dem Range und Charakter des Constabels zu willfahren, da sein guter Wille zum Gelingen der beabsichtigten Unternehmung fast ebenso nothwendig war, als seine persönliche Gegenwart.

Kurz, der Constabel kehrte in sein Zelt höchst zufrieden mit der Art zurück, auf die er sich von den Schwierigkeiten losgewickelt hatte, die ihm am Morgen beinahe unüberwindlich geschienen hatten; und als seine Diener sich versammelten, um ihn auszukleiden (denn große Lehensherren hatten, gleich souveränen Fürsten, ihre Levers und Couchers), so theilte er Geschenke unter sie aus, und scherzte und lachte in einer weit frohern Laune, als sie je zuvor an ihm bemerkt hatten.

»Was dich betrifft,« sagte er, sich an Vidal, den Minstrel, wendend, der prächtig gekleidet unter den andern Anwesenden stand, um seinem Herrn seine Ehrfurchtsbezeugungen darzubringen, »so will ich dir gegenwärtig nichts geben, allein bleibe neben meinem Lager, bis ich eingeschlafen bin, und am nächsten Morgen werde ich dich für deinen Gesang in dem Maaße belohnen, als ich Gefallen daran finde.«

»Mylord,« sagte Vidal, »ich bin bereits belohnt, sowohl durch die Ehre, die Ihr mir habt widerfahren lassen, als durch den prachtvollen Anzug, der sich besser für einen königlichen Minstrel schickt, als für Einen, der in einem so niedrigen Rufe stehet, wie ich; allein bezeichnet mir einen Gegenstand, und ich will mein Möglichstes thun, nicht aus Gier nach künftigem Lohne, sondern aus Dankbarkeit für bereits genossene Wohlthaten.«

»Großen Dank, guter Bursche,« sagte der Constabel. »Guarine,« fügte er dann, sich an seinen Knappen wendend, hinzu, »sorgt dafür, daß die Wachen ausgestellt werden; du selber aber bleibe in dem Zelte. – Lege dich auf die Bärenhaut nieder, und schlafe oder höre dem Gesange des Minstrels zu, je nachdem du es für gut findest; du hältst dich ja, wie ich gehört habe, für einen Kenner solcher Dinge.«

In jenen unsichern Zeiten herrschte der Gebrauch, daß in dem Zelte eines jeden großen Barons irgend ein getreuer Diener die Nacht über schlief, damit, im Falle einer Gefahr, einiger Schutz und Beistand nahe war. Demzufolge entblößte Guarine sein Schwert, nahm es in die Hand und legte sich in einer solchen Stellung auf den Boden nieder, daß er bei dem geringsten Vorfalle, das Schwert in der Hand, aufspringen konnte. Seine großen und schwarzen Augen, in welchen der Schlaf mit dem Wunsche, den Gesang anzuhören, rang, waren auf Vidal geheftet, der sie, im Widerscheine der silbernen Lampe, gleich denen eines Drachen oder Basilisken funkeln sah. Nach wenigen vorläufigen Griffen auf den Saiten seiner Laier bat der Minstrel den Constabel, ihm den Gegenstand zu nennen, an dem er seine Kräfte versuchen solle.

»Die Treue der Weiber,« antwortete Hugo von Lacy, sein Haupt auf's Kopfkissen niederlegend.

Nach einem kurzen Vorspiele gehorchte der Minstrel und sang ungefähr Folgendes:

1.

Weiber Treu und Weiber Wort –
Schreib' auf jenen Staub es dort,
Drück's der raschen Welle ein,
Präg' es auf des Mondes Schein,
Jeder Zug, den deine Hand
Ziehet so, hat mehr Verstand,
Und mehr Klarheit als was man
Von dem Ding verstehen kann.

2.

Wie Spinngeweb', das leicht zerreißt,
Ist, was ein Mädchen dir verheißt.
Dem Sandkorn gleichen an Gewicht
Des Mädchens Wort und Schwüre nicht.
Daß ihre Liebe so geschwind
Hinschwand, klagt' sich dem harten Kind.
Gleich gab sie wieder Schwur und Hand
Und schnell sie wieder Glauben fand.

»Wie! Schalk,« sagte der Constabel, sich auf den Ellenbogen stützend; »von welchem betrunkenen Reimschmied hast du diese halbwitzige Satyre gelernt?«

»Von einem alten, mürrischen Freunde, Erfahrung genannt,« antwortete Vidal; »ich bitte den Himmel, er möge Eure Herrlichkeit, oder jeden andern würdigen Mann, nie durch seine Schule gehen lassen.«

»Still, Bursche!« erwiederte der Constabel, »ich sehe schon, du bist einer von jenen Narren, die gerne für witzig gehalten werden möchten, weil du mit Dingen scherzen kannst, welche weisere Leute hoch verehren – ich meine die Ehre der Männer und die Treue der Weiber. Nennst du dich einen Minstrel, und kennst keine Erzählung von weiblicher Treue?«

»Ich kannte deren viele, edler Herr, allein ich legte sie bei Seite, als ich der Ausübung des scherzenden Theils der frohen Wissenschaft Joyous Science, Science gaie, gaya Scienza, Gesang und Dichtkunst. Anmerk. d. Uebers. entsagte. Nichts destoweniger aber kann ich, wenn Ew. Herrlichkeit darauf hören wollen, ein altes Lied über einen solchen Gegenstand singen.«

De Lacy gab ihm seine Einwilligung durch ein Zeichen, und legte sich nieder, als wolle er schlafen. Vidal aber begann eines jener endlosen, und fast unzählbaren Abenteuer des Ausbunds der wahren Liebenden, nämlich der schönen Ysolte. Er besang die standhafte und ununterbrochene Treue und Liebe, welche sie in zahllosen, schwierigen und gefährlichen Lagen gegen ihren Buhlen, den tapfern Sir Tristrem, auf Kosten ihres minder begünstigten Gatten, des unglücklichen Königs Mark von Cornwall, bewahrte, dessen Neffe, wie Jedermann weiß, Sir Tristrem war.

Nicht einen solchen Gesang der Lieb und Treue würde de Lacy gewählt haben, allein eine gewisse Scham hielt ihn ab, den Sänger zu unterbrechen, vielleicht weil er den unangenehmen Gefühlen, die der Inhalt der Erzählung in ihm erweckte, nicht nachhängen oder sie anerkennen wollte. Er schlief bald ein, oder stellte sich wenigstens so, und der Minstrel, der noch einige Zeit seinen Gesang fortsetzte, begann endlich selbst den Einfluß des Schlummers zu fühlen. Seine Worte und die Töne, die er seiner Leier zu entlocken fortfuhr, waren abgebrochen und unzusammenhängend, und schienen seinen Fingern und seiner Stimme höchst lässig und schläfrig zu entsinken. Endlich hörten die Klänge ganz auf, und der Minstrel schien in tiefen Schlummer versunken zu sein. Sein Haupt neigte sich nach seiner Brust, und einer seiner Arme hing regungslos an seiner Seite herab, während der andere auf dem Instrumente ruhte. Sein Schlaf war jedoch nicht von langer Dauer, und als er aus demselben erwachte und seine Augen ringsumher warf, beim Scheine der nächtlichen Lampe Alles in dem Zelte erspähend, fühlte er eine schwere Hand seine Schulter drücken, als wollte sie seine Aufmerksamkeit erregen.

Zu gleicher Zeit flüsterte ihm die Stimme des wachsamen Guarine die Worte in's Ohr: »Für diese Nacht ist dein Geschäft beendet, – begib dich, so leise als möglich, nach deiner eigenen Schlafkammer.« Der Minstrel hüllte sich in seinen Mantel, ohne etwas zu erwiedern, obschon vielleicht nicht ohne einigen Unmuth darüber zu empfinden, daß er auf eine so unhöfliche Weise entlassen wurde.



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