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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Julie – – – – mein tapfrer Herr,
Ihr seid Gefangener hier – doch sollt Ihr finden,
Daß Eures Kerkers Freuden siegend buhlen
Mit allen Wonnen, die ihr, frei, gekannt.
Roderick – zu lange, Schönste, tändelten wir hier;
Um deiner Wangen Rosen blüh'n zu sehen,
Ließ meine Lorbeern ich hinwelken.

Altes Schauspiel.

In Trauergewänder gehüllt, deren Schnitt vielleicht matronenmäßiger war, als es ihrer Jugend geziemte, und ohne allen Schmuck, ihren Rosenkranz ausgenommen, erfüllte nun Eveline die Pflicht, ihren verwundeten Befreier zu besuchen, – eine Pflicht, welche die Etikette jener Zeit nicht nur erlaubte, sondern auch ernstlich gebot. Rosa und Dame Gillian begleiteten sie. Margerey, deren Element eine Krankenstube war, hatte man bereits nach dem Gemache des jungen Ritters abgeschickt, um ihm alle Dienste zu leisten, die seine Lage erforderte.

Leichten Trittes, als fürchtete sie, den Kranken zu stören, trat Eveline in das Zimmer. Sie blieb an der Thüre stehen, und warf einen Blick ringsumher. Das Gemach war ehedem das Zimmer ihres Vaters gewesen, und seit seinem gewaltsamen Tode hatte sie es nicht mehr betreten. An den Wänden umher hing ein Theil seiner Waffen und Rüstungen nebst verschiedenartigem Jagdgeräthe. Diese Reliquien führten ihrer Einbildungskraft den alten Sir Raymond, so zu sagen, in leibhafter Gestalt vor. »Runzle die Stirne nicht, mein Vater,« – ihre Lippen bildeten die Worte, – allein ihre Stimme ließ sie nicht ertönen – »runzle die Stirne nicht – Eveline wird deiner nie unwürdig sein.«

Vater Aldrovand und Amelot, Damians Page, saßen am Bette. Als Eveline eintrat, standen sie auf, und der Erstere, der sich ein wenig mit der Heilkunde abgab, sagte zu Evelinen, »der Ritter habe eine Zeit lang geschlummert, und werde jetzt aufwachen.«

Zu gleicher Zeit trat Amelot vor, und bat, mit eilender aber leiser Stimme, das Zimmer möchte ruhig gehalten und die Zuschauer entfernt werden. »Mein Gebieter,« sagte er, »pflegt seit seiner Krankheit in Gloucester, wenn er vom Schlafe aufwacht, etwas phantastisch zu reden, und er würde sehr unzufrieden mit mir sein, wenn ich Jemanden erlaubte, um eine solche Zeit in seiner Nähe zu sein.«

Eveline gebot dem zu Folge ihren Frauen und dem Mönche, sich in das Vorzimmer zurückzuziehen; sie selbst aber blieb auf der Schwelle der Verbindungsthür stehen, und hörte Damian ihren Namen nennen, als er sich mühsam auf seinem Lager umwandte. »Ist sie unverletzt und in Sicherheit?« war seine erste Frage, und der Ungestüm, mit welchem er sie that, zeigte deutlich, wie sehr sie alle anderen Rücksichten überwog. – Als Amelot bejahend antwortete, so seufzte er, wie einer, dessen Herz von einer schweren Last befreit worden ist. In einem ruhigern Tone fragte er sodann den Pagen, wo sie sich befänden; »dieses Gemach,« sagte er, »mit allem seinem Geräthe ist mir ganz fremd.«

»Mein theurer Gebieter,« sagte Amelot, »Ihr seid jetzt zu schwach, um Fragen zu thun, und Erklärungen zu erhalten.«

»Wo ich immer auch sein mag,« sagte Damian, »ich bin nicht an dem Orte, wohin meine Pflicht mich ruft. Gebiete, daß die Trompeten zum Aufbruche blasen – zum Aufbruche, und Ralph Genvil soll mein Banner tragen. Zu Pferde! – wir haben keinen Augenblick zu verlieren.«

Der verwundete Ritter machte einige Versuche, sich aufzurichten, allein in seinem kraftlosen Zustande war es Amelot ein Leichtes, sie zu vereiteln. »Du hast recht,« sagte er, in seine vorige liegende Stellung zurücksinkend, – »du hast recht – ich bin schwach – allein warum sollte die Kraft zurückbleiben, wenn die Ehre verloren ist!«

Der unglückliche junge Mann bedeckte sich das Gesicht mit den Händen, und seufzte in tiefem Schmerze, der mehr der Seele als dem Körper anzugehören schien. Unsichern Trittes näherte sich Lady Eveline seinem Lager, etwas fürchtend, das sie selbst nicht kannte, doch ernstlich wünschend, ihre Theilnahme an den Leiden des Kranken an den Tag zu legen.

»Was bedeutet diese sonderbare Erschütterung, Herr Ritter,« fragte Eveline mit einer Stimme, die, anfangs schwach und zitternd, allmählig mehr Festigkeit und Kraft erhielt. »Kann es Euch, die Ihr zur Fahne der Ritterlichkeit geschworen habt, so sehr kränken, daß der Himmel zweimal schon durch Eure Hand die unglückliche Eveline Berenger gerettet hat?«

»O, nein, nein!« rief er hastig aus; »seit Ihr gerettet seid, ist Alles gut; allein die Zeit drängt mich, es ist nothwendig, daß ich augenblicklich von hier aufbreche, – nirgends sollte ich mich jetzt verweilen; am allerwenigsten aber in diesem Schlosse; – noch einmal Amelot, befiehl ihnen, daß sie sogleich aufsitzen.«

»Nein, mein guter Herr,« sagte die Jungfrau, »das darf nicht geschehen. Als Eure Mündel kann ich meinen Vormund nicht so schnell abreisen lassen, – als Arzt kann ich meinem Patienten nicht erlauben, sich selbst den Untergang zu bereiten – unmöglich könnt Ihr ein Pferd besteigen.«

»Eine Sänfte – eine Bahre – einen Karren, um den entehrten Ritter und Verräther fortzuschleppen. Alles wäre zu gut für mich, – ein Sarg wäre das Beste von Allem, – aber sorge dafür Amelot, daß er wie der des gemeinsten Bauern verfertigt wird – keine Sporen sollen auf dem Bahrtuche schimmern – kein Schild mit dem alten Wappen der de Lacy – kein Helm mit ihrem ritterlichen Busche soll den Leichenwagen Desjenigen zieren, dessen Name entehrt ist.«

»Ist sein Verstand zerrüttet?« fragte Eveline, mit Schrecken von dem Verwundeten nach seinem Diener hinblickend; – »oder liegt in diesen abgebrochenen Worten irgend ein furchtbares Geheimniß? Ist dem so, so sprecht es aus, und wenn durch Leben oder Güter zu helfen ist, so soll meinem Befreier nichts Böses widerfahren.«

Amelot sah sie mit trübsinnigem Auge an, schüttelte den Kopf, und blickte dann auf seinen Gebieter mit einer Miene hin, die zu sagen schien, daß ihre Frage klüglicherweise nicht wohl in Damians Gegenwart beantwortet werden könne. Lady Eveline, die diese Geberde verstand, trat in das Vorzimmer zurück, und gab Amelot ein Zeichen, ihr zu folgen. Er gehorchte, nach einem Seitenblicke auf seinen Gebieter, der noch immer trostlos da lag, das Angesicht in seine Hände verhüllt, gleich einem, der das Licht und Alles, was das Licht sichtbar macht, zu verbannen wünscht.

Als sich Amelot in dem Vorzimmer befand, gebot Eveline ihren Begleitern durch ein Zeichen, sich so weit von ihr zu entfernen, als es der Raum erlaubte; hierauf fragte sie den Pagen leise über die Ursache des Kummers und der Verzweiflung seines Herrn. »Du weißt,« sagte sie, »daß ich verpflichtet bin, deinem Herrn Beistand zu leisten, wenn es in meiner Macht steht. Sowohl die Dankbarkeit, da er mich mit Gefahr seines Lebens gerettet hat, als auch unsere Verwandtschaft erheischen dies von mir. Sage mir deßhalb, in was für einer Lage er sich befindet, damit ich ihm helfe, wenn ich kann – das heißt,« fügte sie hinzu während ein glänzendes Roth ihre bleichen Wangen überströmte, »wenn die Ursache seines Kummers geeignet ist, von mir gehört zu werden.«

»Glaubt mir, edle Lady,« sagte Amelot, »Eure Befehle würden augenblicklich erfüllt worden sein, fürchtete ich nicht meines Gebieters Zorn, wenn ich ohne seine Erlaubniß von seinen Angelegenheiten spreche; gleichwohl aber will ich auf Euer Gebot, da ich weiß, daß mein Gebieter Euch höher schätzt, als irgend ein irdisches Wesen, Euch soviel sagen, daß wenn sein Leben durch die Wunden, welche er erhalten hat, nicht gefährdet ist, seine Ehre und sein Ruf sich in großer Gefahr befinden, wenn der Himmel keine Hülfe schickt.«

»Sprecht weiter,« sagte Eveline, »und seid überzeugt, daß Ihr Sir Damian de Lacy durch das Zutrauen, das Ihr in mich setzt, keinen Nachtheil bringen werdet.«

»Ich glaube es gerne, Lady,« sagte der Page. »Wißt also, wenn es Euch nicht bereits bekannt ist, daß der Pöbel und die Bauern, die im Westen die Waffen gegen den Adel ergriffen haben, vorgeben, sie werden in ihrem Aufstande nicht bloß von Randal Lacy, sondern auch von meinem Herrn, Sir Damian, unterstützt.«

»Lügner sind es, die ihn eines so schändlichen Verraths an seinem eigenen Blute, und seinem Monarchen anklagen,« entgegnete Eveline.

»Wohl glaube ich, daß sie lügen,« sagte Amelot, »allein dieß verhindert nicht, daß ihre Lügen von denen geglaubt werden, die ihn weniger genau kennen. Mehr als ein Schurke ist von unserm Herrn entlaufen, um sich zu diesem Gesindel zu gesellen, und das verleiht der Verunglimpfung einige Wahrscheinlichkeit. Und dann, sagen sie – sie sagen – daß – kurz, daß mein Herr die Ländereien, die er bloß als Verwalter seines Oheims besitzt, ganz an sich zu reißen sucht, und daß der alte Constabel – ich bitte um Eure Verzeihung, Mylady – wenn er aus Palästina zurückkehren sollte, es ziemlich schwierig finden werde, wieder in den Besitz seines Eigenthums zu gelangen.«

»Die elenden Wichte beurtheilen Jedermann nach ihren eigenen schlechten Gesinnungen, und glauben, daß die Versuchungen, denen sie selbst nicht widerstehen zu können sich bewußt sind, auch für würdige Männer zu mächtig seien. Allein sind die Insurgenten so frech und so stark? Wir haben von ihren Gewaltthaten gehört, allein auch vernommen, daß bloß ein unbedeutender Volksauflauf stattgefunden habe.«

»Wir haben in der vorigen Nacht die Nachricht erhalten, daß sie sich in großer Masse zusammengerottet und Wild Wenlock mit seinen Reisigen in einem ungefähr 10 Meilen von hier gelegenen Dorfe belagert haben. Er hat einen Boten an meinen Herrn, als an seinen Verwandten und Waffengefährten, abgeschickt, und ihn gebeten, ihm zu Hülfe zu eilen. Wir waren diesen Morgen aufgesessen, um ihm zu Hülfe zu kommen, als –«

Er schwieg und schien nicht Willens fortzufahren. Eveline faßte das Wort auf, und sagte; »als ihr von meiner Gefahr hörtet, nicht wahr? Ich wollte, ihr hättet lieber meinen Tod vernommen!«

»Sicherlich! edle Lady,« sagte der Page, mit auf den Boden geheftetem Blicke, »nur ein so dringender Umstand konnte meinen Herrn bewegen, mit seinen Truppen Halt zu machen, und den besten Theil derselben nach den walliser Gebirgen zu führen, als das Unglück seines Landsmanns und die Befehle des königlichen Lieutenants seine Gegenwart an einem andern Orte so gebieterisch forderten.«

»Ich wußte es,« sagte sie – »ich wußte, daß ich geboren ward, ihn in's Verderben zu stürzen! Doch glaube ich, dies ist noch schlimmer, als das Schlimmste, wovon ich je träumte. Ich fürchtete, die Ursache seines Todes, nicht aber des Verlustes seiner Ehre zu werden – um Gottes Willen, Amelot, thue was du kannst, und das ohne Zeitverlust. Steige augenblicklich zu Pferde, und versammle von deinen und meinen Leuten, so viele du kannst – Geh – zu Pferde, tapferer Jüngling – Laß deines Gebieters Fahne wehen, und zeige ihnen, daß seine Macht und sein Herz bei ihnen ist, obschon seine persönliche Gegenwart mangelt. Eile! eile! denn die Zeit ist kostbar.«

»Allein die Sicherheit dieses Schlosses – allein Eure eigene Sicherheit?« sagte der Page. »Gott weiß, wie gerne ich zur Rettung seines Rufs mitwirken wollte! Allein ich kenne meines Gebieters Sinnesart; und solltet Ihr durch meine Entfernung von Garde doloureuse leiden; so würde ich, selbst wenn ich ihm dadurch Land, Leben und Ehre rettete, wahrscheinlicher seinen Dolch, als seinen Dank oder seine Güte zu fühlen bekommen.«

»Dennoch gehe, theurer Amelot,« sagte sie, »sammle so viel Leute um dich, als dir nur immer möglich ist, und eile von dannen.«

»Ihr spornet ein williges Pferd an, Mylady,« sagte der Page, zum Forteilen bereit; »und in der Lage, in welcher sich mein Gebieter befindet, sehe ich keinen andern Ausweg, als daß sein Banner gegen diese Schurken entfaltet wird.«

»Zu den Waffen also!« rief Eveline hastig aus; »zu den Waffen und gewinne deine Sporen. Bringe mir die Gewißheit, daß deines Gebieters Ehre gerettet ist, und ich selbst will deine Füße damit schmücken. Hier – nimm diesen geheiligten Rosenkranz – befestige ihn an deinen Helm, und der Gedanke an unsere Frau von Garde doloureuse, die dem Flehenden ihr Ohr nie verschloß, stärke dich in der Stunde des Kampfes.«



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