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Siebenunddreißigstes Kapitel.
Der Ausfall.

Er blickte hin und sah zahllose Zahlen
Dem Thor der Stadt entströmen.

Wiedergewonnenes Paradies.

Ein tiefes Schweigen herrschte bald über dem großen Heere, welches im Lager vor Lüttich ruhte. Lange Zeit tönte der Ruf der Soldaten, welche ihre Signale wiederholten und zu ihren verschiedenen Fahnen zu gelangen suchten, gleich dem Heulen verirrter Hunde, die ihre Herren suchen. Endlich jedoch durch des Tages Anstrengungen an Kraft erschöpft, drängten sich die zerstreuten Soldaten unter solchen Zufluchtsorten zusammen, welche sie aufzufinden im Stande waren, und diejenigen, denen dies nicht gelang, sanken zwischen Mauern, Zäunen und ähnlichen Schutzorten, die sich eben boten, nieder, um hier den Morgen zu erwarten, einen Morgen, den viele von ihnen nie erblicken sollten. Ein Todtenschlaf befiel fast Alle, mit Ausnahme derjenigen, welche eine beschwerliche Wache bei den Wohnungen des Königs und des Herzogs halten mußten. Die Gefahren und Hoffnungen des morgenden Tages, selbst die Plane der Ehrsucht, welche viele der jungen Edelleute auf den glänzenden Preis gegründet hatten, der demjenigen zu Theil werden sollte, der den Tod des Bischofs von Lüttich rächen würde, entschwanden ihrer Erinnerung, als sie so von Ermattung und Schlaf überwältigt lagen. So war es jedoch keineswegs mit Quentin Durward. Das Bewußtsein, daß er allein im Besitz der Mittel sei, den von der Mark im Gefechte zu unterscheiden, – die Erinnerung, durch wen er zu dieser Kenntniß gekommen war, und die schöne Vorbedeutung, die er daraus zog, daß sie ihm eben durch sie mitgetheilt worden, – der Gedanke, daß ihn sein Geschick zwar zu einer höchst gefährlichen und ungewissen Krisis geführt hatte, doch aber zu einer solchen, wo ihm wenigstens die Hoffnung blieb, als Sieger daraus hervorzugehen, verscheuchten jede Neigung zum Schlafe und stärkten seine Nerven mit Kraft, die der Ermüdung trotzte.

Auf des Königs ausdrücklichen Befehl auf den äußersten Punkt zwischen den französischen Quartieren und der Stadt gestellt, ein gutes Stück rechts von der Vorstadt, die wir erwähnt haben, schärfte er sein Auge, um die Masse zu durchdringen, welche vor ihm lag, und strengte sein Ohr an, um den leisesten Ton aufzufangen, der ihm irgend eine Bewegung in der belagerten Stadt andeuten könnte. Allein ihre großen Glocken hatten nach und nach drei Uhr nach Mitternacht verkündigt, und Alles blieb still und schweigend wie das Grab.

Endlich, als Quentin schon glaubte, der Angriff werde bis Tagesanbruch verschoben werden, und sich freute, daß es dann hinreichend hell sein würde, um den schrägen Balken über der Lilie von Orleans zu unterscheiden, meinte er in der Stadt ein dumpfes Getöse zu vernehmen, wie wenn aufgestörte Bienen sich zur Vertheidigung ihrer Körbe regen. Er horchte – das Geräusch dauerte fort, allein es ließ sich dabei so wenig ein besonderer Ton und Klang unterscheiden, daß es dem Murmeln des Windes unter den Zweigen eines fernen Waldes glich, oder auch dem Rauschen eines vom letzten Regen geschwollenen Stroms, der sich mit mehr als gewöhnlichem Geräusch in die schlammige Maas ergoß. Quentin wurde durch diese Betrachtungen abgehalten, augenblicklich Lärm zu machen, welches, wenn es unbedachtsam geschehen wäre, zu großem Nachtheil hätte gereichen können.

Als aber das Geräusch lauter wurde und zugleich die Richtung nach seinem Posten und der Vorstadt zu nehmen schien, hielt er es für Pflicht, sich so leise als möglich zurückzuziehen und seinen Oheim zu rufen, der die kleine Abtheilung von Bogenschützen befehligte, die zu seiner Unterstützung bestimmt war. Alle waren augenblicklich auf den Beinen, und zwar mit so wenig Lärm als möglich. Binnen weniger als einer Secunde stand Lord Crawford an der Spitze, und nachdem er einen Bogenschützen abgesandt hatte, um den König und sein Gefolge in Bewegung zu bringen, zog er seinen kleinen Trupp in einiger Entfernung hinter die Wachtfeuer zurück, damit sie beim Lichte derselben nicht gesehen würden. Das rauschende Getöse, welches sich ihnen sehr genähert hatte, schien jetzt auf einmal zu schweigen, aber sie vernahmen doch immer sehr deutlich den fernen schweren Tritt eines bedeutenden Corps, welches sich der Vorstadt näherte.

»Die trägen Burgunder schlafen auf ihrem Posten,« flüsterte Crawford; »geh' in die Vorstadt, Cunningham, und wecke die dummen Ochsen.«

»Gebt zugleich wohl auf den Nachtrab Acht,« sagte Durward; »wenn ich je den Tritt sterblicher Menschen unterscheiden konnte, so hat sich ein bedeutendes Corps zwischen uns und die Vorstadt geschoben.«

»Recht, mein wackrer Quentin,« sagte Crawford; »du bist ein Soldat über deine Jahre. Sie machen blos Halt, bis die Andern vorwärts kommen. – Ich wünschte wohl einige Kunde, wo sie stehn.«

»Ich will vorwärts schleichen, Mylord,« sagte Quentin, »und Euch Nachricht zu bringen suchen.«

»Thu' das, mein wackrer Bursch; du hast scharfe Ohren und Augen, und guten Willen. – Aber sei auf der Hut – ich möchte dich nicht für zehn Andre verlieren.«

Quentin schlich sich, nachdem er sein Gewehr in Bereitschaft gesetzt, vorwärts auf dem Boden, den er im Zwielicht des vorigen Abends sorgfältig erkundet hatte, bis er nicht nur gewiß war, sich in der Nähe eines starken Corps zu befinden, welches zwischen des Königs Quartier und den Vorstädten Posto gefaßt hatte, sondern daß auch ein kleinerer Theil desselben noch weiter vorgerückt sei und dicht neben ihm stehe. Sie schienen leise untereinander zu flüstern, als ob sie unentschlossen wären, was zu thun sei. Endlich kamen die Schritte von zwei oder drei Enfants perdus, die sich von der kleinern Abtheilung getrennt hatten, ihm auf zwei Pikenlängen nahe. Da er die Unmöglichkeit einsah, sich unentdeckt zurückzuziehen, so rief Quentin laut: » Qui vive!« und erhielt die Antwort: » Vive Li – Li – ege – c'est à dire,« (fügte der Sprechende, sich verbessernd hinzu) » Vive la France!« – Quentin feuerte augenblicklich sein Gewehr ab – ein Mann stöhnte und fiel, und er selber zog sich, unter dem augenblicklichen aber unsichern Abfeuern einer Menge von Stücken, welche auf unregelmäßige Weise die ganze Colonne hinablief, und auf ziemlich bedeutende Truppenzahl schließen ließ, nach der Hauptwache zurück.

»Trefflich gemacht, mein braver Bursch!« sagte Crawford; »nun, Leute, zieht euch in den Hof zurück, – sie sind zu zahlreich, um es im offenen Felde mit ihnen zu wagen.«

Demnach zogen sie sich in den Hof und den Garten zurück, wo sie Alles in großer Ordnung fanden und den König selbst im Begriff, zu Pferde zu steigen.

»Wohin, Sire?« sagte Crawford; »Ihr seid hier am sichersten bei Euren eigenen Leuten.«

»Nicht doch,« sagte Ludwig; »ich muß sogleich zum Herzog. Er muß in diesem kritischen Momente von unsrer Treue überzeugt werden, sonst werden wir Lütticher und Burgunder auf einmal auf dem Halse haben.« Und sich auf das Pferd schwingend, trug er Dunois den Befehl über die französischen Truppen außerhalb des Hauses auf, und Crawford hieß er die Bogenschützengarde und andre Truppen seines Haushalts zur Vertheidigung des Lusthauses und seiner Umgebungen anwenden. Er befahl ihnen noch zwei größere und zwei kleinere Stücke Geschütz herbeizubringen, die etwa eine halbe Meile zurückgeblieben waren, unterdessen aber ihren Posten zu behaupten, keineswegs jedoch vorzudringen, so glücklich sich auch das Gefecht für sie wenden möchte. Nachdem er diese Befehle gegeben, ritt er mit geringer Begleitung nach dem Quartiere des Herzogs.

Den Verzug, welcher gestattete, daß man all diese Einrichtungen gehörig treffen konnte, verdankte man nur dem glücklichen Umstande, daß Quentin den Eigenthümer des Hauses erschossen hatte, welcher der Colonne zum Führer diente, die es angreifen sollte, und deren Angriff, wenn er sogleich unternommen worden wäre, jetzt sicher gelungen sein würde.

Durward, der auf des Königs Befehl diesen zum Quartiere des Herzogs begleitete, fand den letztern in einem Zustande reizbaren Unmuthes, welcher ihn fast unfähig machte, die Pflichten eines Generals zu erfüllen, was nie nothwendiger war, als eben jetzt, denn außer dem Lärmen eines heftigen Gefechts, welches sich nun in der Vorstadt auf dem linken Flügel ihrer ganzen Armee entsponnen hatte, – außer dem Angriffe auf des Königs Quartier, welches auf dem Mittelpunkte standhaft behauptet wurde, – war eine dritte Colonne Lütticher, noch zahlreicher als jene, aus einer entferntern Bresche hervorgedrungen, und durch Weingärten und ihnen wohlbekannte Pässe auf die rechte Flanke der burgundischen Armee gefallen, die dann, bestürzt über ihren Ruf: Vive la France! und Denis Montjoie! der sich mit dem: Liege und Rouge Sanglier! vermischte und den daraus entstehenden Gedanken eines Verrathes von Seiten ihrer Verbündeten, der Franzosen, nur einen unvollkommenen und unordentlichen Widerstand leistete; indeß der Herzog, schäumend vor Wuth, seinen Lehensherrn und alles zu ihm Gehörende verwünschend, laut befahl, mit Bogen und Geschütz auf Alles was französisch sei, schwarz oder weiß, – er spielte hier auf die Schärpen an, womit sich Ludwigs Soldaten bezeichnet hatten, – zu schießen.

Die Ankunft des Königs, der blos vom Balafré, Quentin und einer kleinen Anzahl Bogenschützen begleitet war, stellte das Vertrauen zwischen Frankreich und Burgund wieder her. D'Hymbercourt, Crèvecoeur und andere burgundische Anführer, deren Namen damals der Stolz und der Schrecken der Krieger waren, eilten bereitwillig zum Kampfe; indeß einige sich beeilten, verschiedene entfernte Truppen heranzuziehen, bis zu welchen der panische Schrecken noch nicht gedrungen war, warfen sich andre selber in das Getümmel, belebten die Mannszucht von Neuem, und stellten, indeß der Herzog im Vordertreffen wie ein gewöhnlicher Kriegsmann arbeitete, ihre Leute in Ordnung, indem sie die Angreifenden durch den Gebrauch ihres Geschützes entmuthigten. Ludwigs Betragen war hingegen das eines ruhigen, besonnenen, scharfsichtigen Anführers, der die Gefahr weder aufsuchte noch vermied, sondern so viel Selbstbeherrschung und Scharfblick verrieth, daß die burgundischen Anführer gern den von ihm ertheilten Befehlen gehorchten.

Die Scene war nun im höchsten Grade belebt und furchtbar geworden. Auf der linken Seite war die Vorstadt, nach einem heftigen Treffen, in Brand gesteckt worden, und eine fürchterliche Feuersbrunst hinderte nicht, daß man sich noch um die brennenden Ruinen stritt. Im Centrum unterhielten die französischen Truppen, obgleich durch eine ungeheure Uebermacht gedrängt, ein dichtes und ununterbrochenes Feuer, so daß das kleine Lusthaus durch die immer aufblitzenden Schüsse einen Schein um sich verbreitete, als ob es von einer leuchtenden Märtyrerkrone umgeben gewesen wäre. Auf dem linken Flügel schwankte die Schlacht mit ungewissem Erfolge bald vor- bald rückwärts, je nachdem entweder neue Verstärkungen aus der Stadt hervordrangen, oder vom Nachtrabe des burgundischen Heeres in's Treffen geführt wurden. Drei Stunden währte der Kampf so mit gleicher Wuth, bis endlich der den Belagerern so erwünschte Tag anbrach. Der Feind schien um diese Zeit in seinen Anstrengungen auf dem rechten Flügel und im Centrum nachzulassen, und man hörte verschiedene Kanonensalven von dem Lusthause her.

»Geht!« sagte der König zum Balafré und Quentin, in dem Augenblicke, als dieser Ton vernommen ward; »sie haben die Falconets und die Feldschlangen aufgepflanzt; das Lusthaus ist gerettet, gepriesen sei die heilige Jungfrau! Sagt Dunois, er soll auf diesem Wege heranrücken, aber näher den Stadtmauern, mit all unsern Waffenleuten, ausgenommen, was er zur Vertheidigung des Lusthauses für nöthig hält, und dann soll er sich zwischen diese dickköpfigen Lütticher auf der rechten Seite und die Stadt werfen, denn von ihr werden sie mit neuer Mannschaft versehn.«

Der Oheim und sein Neffe sprengten hinweg zu Dunois und Crawford, die, des Vertheidigungskrieges müde, freudig dem Befehle Folge leisteten, und an der Spitze eines tapfern Corps von ungefähr zweihundert französischen Edelleuten, außer den Knappen und dem größten Theile der Bogenschützen, aufbrachen, quer über's Feld zogen über die Verwundeten hinweg, bis sie die Flanke des großen Corps der Lütticher erreichten, durch welches die Rechte der Burgunder so heftig angegriffen worden war. Das wachsende Tageslicht zeigte, daß der Feind noch fortwährend aus der Stadt hervordrang, sei es in der Absicht, die Schlacht auf diesem Punkte fortzusetzen, oder die Truppen, welche bereits in Thätigkeit waren, glücklich herauszuziehen.

»Beim Himmel!« sagte der alte Crawford zu Dunois, »wüßte ich nicht gewiß, daß du es bist, der an meiner Seite reitet, so wollt' ich behaupten, ich sähe dich dort unter den Banditen und Bürgern, sie mit dem Streitkolben anführend und ordnend, – bist du wirklich jener dort drüben, so bist du nur dicker als gewöhnlich. Weißt du auch gewiß, ob jener gewappnete Führer nicht dein Doppelgänger ist, wie es diese Flamänder nennen?«

»Mein Doppelgänger!« sagte Dunois; »ich weiß nicht, was Ihr meint. Aber Jener ist ein Schuft, der mein Wappen auf Helm und Schild führt, und den ich für seine Unverschämtheit sogleich strafen will.«

»Im Namen von Allem, was edel ist, Herr, laßt die Rache mir!« sagte Quentin.

» Dir, fürwahr, junger Mann?« sagte Dunois; »das ist eine bescheidne Bitte. – Nein, dazu brauch' ich keinen Gehilfen.« – Dann drehte er sich im Sattel um und rief denen, die ihn umgaben, mit lauter Stimme zu: »Edle von Frankreich! Bildet eure Linie! Legt eure Lanzen ein! Laßt die Strahlen der aufgehenden Sonne durch die Bataillone jener Schweine von Lüttich und den Ardennen leuchten, die unsre alten Waffenkleider nachäffen.«

Die Gewappneten antworteten mit einem lauten Geschrei: »Dunois! Dunois! – lang lebe der kühne Bastard! – Orleans zur Hilfe!« – Und mit ihrem Führer in der Mitte, eilten sie im vollen Galopp zum Angriff. Sie trafen auf keinen furchtsamen Feind. Das große Corps, auf welches sie den Angriff machten, bestand, einige berittene Offiziere ausgenommen, ganz aus Fußvolk, welches, den Schaft der Speere gegen den Fuß gestemmt, die vorderste Reihe knieend, die zweite gebückt, und die hinterste ihre Lanzen über die Köpfe der vordern haltend, dem stürmischen Angriffe der Gewappneten einen Widerstand entgegenhielten, wie der Igel seinem Feinde. Wenige nur waren im Stande, sich durch diese Eisenmauer Bahn zu brechen, aber unter diesen Wenigen befand sich Dunois, der seinem Pferde die Sporen gab, daß es einen Satz von fast zwölf Fuß machte, und so in die Mitte dieser Phalanx einbrach und auf den Gegenstand seines Hasses losging. Wie groß aber war sein Erstaunen, Quentin Durward stets an seiner Seite und mit ihm in gleicher Linie fechtend zu sehen. Jugend, verzweifelter Muth, und der Entschluß, zu siegen oder zu sterben, hatten ihn immer bei dem besten Ritter Europas gehalten; denn als solcher ward Dunois, und zwar mit vollem Rechte, zu jener Zeit anerkannt.

Ihre Speere waren bald zerbrochen; aber die Lanzknechte vermochten den Hieben ihrer langen gewichtigen Schwerter nicht zu widerstehen, indeß die Rosse und Reiter, ganz mit Stahl gewappnet, nur wenig von den Lanzen derselben zu leiden hatten. Immer bestrebten sie sich im lebhaftesten Wetteifer, nach dem Orte vorzudringen, wo derjenige, der das Wappen Dunois' angenommen hatte, das Amt eines tüchtigen und tapfern Anführers erfüllte; da bemerkte Dunois auf einem andern Punkte des Gefechtes den Eberkopf mit den Hauzähnen, und sogleich rief er Quentin zu: »Du bist würdig, das Wappen Orleans zu rächen! ich überlasse dir dies Geschäft. – Balafré, unterstützt Euren Neffen; aber laßt sich Niemand in Dunois' Eberjagd mischen!«

Daß Quentin Durward sich freudig diese Theilung der Arbeit gefallen ließ, kann nicht bezweifelt werden, und Jeder drängte sich vorwärts zu seinem besondern Ziele, gefolgt und vertheidigt im Rücken von denen, die fähig waren, Schritt mit ihnen zu halten.

Aber in diesem Augenblick hatte die Colonne, die Wilhelm von der Mark zu unterstützen beabsichtigte, als sein Lauf durch Dunois' Angriff war aufgehalten worden, alle die Vortheile wieder eingebüßt, welche sie während der Nacht errungen hatte, während die Burgunder mit dem rückkehrenden Tage diejenigen wieder gewannen, welche der höhern Mannszucht gebühren. Die große Masse der Lütticher wurde zum Rückzug genöthigt, und endlich gar zur Flucht, und da sie sich auf diejenigen warf, welche mit den französischen Gewappneten handgemein waren, so gerieth Alles in einen großen Strom von Fliehenden, Fechtenden und Verfolgenden, welche sämmtlich nach den Stadtmauern zuströmten, und endlich in die große, unvertheidigte Bresche gedrängt wurden, durch welche die Lütticher den Ausfall gemacht hatten.

Quentin machte übermenschliche Anstrengungen, den besondern Gegenstand seiner Verfolgung zu erreichen, der ihm stets im Gesichte blieb, und durch Stimme und Beispiel die Schlacht zu erneuern suchte, tapfer unterstützt durch eine auserlesene Anzahl von Lanzknechten. Balafré und mehrere seiner Kameraden hielten sich zu Quentin, nicht wenig verwundert über die außerordentliche Tapferkeit, die ein so junger Krieger entwickelte. Auf der Kante der Bresche gelang es dem von der Mark, – denn er selbst war es, – einen momentanen Stillstand hervorzubringen und einige der Vordersten von den Nachsetzenden zurückzutreiben. Er hielt in der Hand einen hölzernen Streitkolben, vor dem Alles zu Grunde zu gehen schien, und war so mit Blut bedeckt, daß man kaum noch das Wappen auf dem Schilde unterscheiden konnte, welches Dunois so erzürnt hatte.

Quentin fand nun wenig Schwierigkeit, ihn zum Einzelkampfe zu bringen, denn die gebietende Stellung, worein er sich gebracht hatte, und der furchtbare Gebrauch, den er von seinem Streitkolben machte, veranlaßte mehrere der Stürmenden, sich sicherere Angriffspunkte zu wählen, als der war, wo sich ein so verzweifelter Vertheidiger zeigte. Aber Quentin, der die Wichtigkeit des Sieges über seinen fürchterlichen Gegner besser kannte, sprang an der Bresche vom Pferde, und indem er das edle Thier, ein Geschenk des Herzogs von Orleans, ledig durch das Getümmel laufen ließ, stieg er die Trümmer hinauf, um sich im Schwertkampfe mit dem wilden Eber der Ardennen zu messen. Der letztere, gleich als hätte er des Gegners Absicht errathen, wandte sich mit erhobenem Streitkolben gegen Durward, und eben waren sie auf dem Punkte, zusammenzutreffen, als ein furchtbares Geschrei von Sieg, Tumult und Verzweiflung ankündigte, daß die Belagerer auf einem andern Punkte in die Stadt eindrangen, und zwar im Rücken derer, welche die Bresche vertheidigten. Durch Ruf und Hörnerschall die verzweifelten Gefährten seines verzweifelten Schicksals um sich sammelnd, verließ Wilhelm von der Mark bei diesen schreckenden Tönen die Bresche, und suchte seinen Rückzug nach einem Theile der Stadt zu bewerkstelligen, aus welchem er leicht an die andere Seite der Maas entkommen konnte. Seine unmittelbaren Begleiter bildeten eine dichte Masse wohldisciplinirter Streiter, die, da sie nie Pardon gegeben, auch jetzt entschlossen waren, um keines zu bitten, und die in dieser Stunde der Verzweiflung sich in solcher Ordnung fortbewegten, daß ihre Fronte die ganze Breite der Straße einnahm, durch welche sie sich langsam zurückzogen, indem sie von Zeit zu Zeit den Verfolgern die Spitze boten, von denen manche eine sicherere Beschäftigung suchten, indem sie, um zu plündern, in die Häuser brachen. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß Wilhelm von der Mark glücklich entkommen sein würde, da ihn eine Verkleidung vor denen verborgen hielt, welche sich es vorgenommen hatten, Ehre und Größe mit seinem Kopfe zu verdienen, wenn ihm nicht Quentin, sein Oheim, der Balafré, und einige der Kameraden desselben so hart zugesetzt hätten. Bei jeder Pause, welche die Lanzknechte machten, fand ein wüthendes Gefecht zwischen ihnen und den Bogenschützen statt, und in jedem Handgemenge suchte Quentin immer den von der Mark auf; der letztere jedoch, der jetzt nur an den Rückzug dachte, schien der Absicht des Schotten, ihn zum Zweikampfe zu bringen, zu entschlüpfen. Die Verwirrung war allgemein in jeder Richtung; das Geschrei und Geheul der Weiber, das Jammern der erschreckten Einwohner, die sich nun allen Schrecknissen kriegerischer Zügellosigkeit preisgegeben sahen, tönte furchtbar durch das Getöse der Schlacht, – gleich der Stimme des Elends und der Verzweiflung, im Kampfe mit der Wuth und Gewaltthätigkeit, welche eigentlich am weitesten und lautesten gehört werden sollte.

Gerade während sich Wilhelm von der Mark durch diese höllische Scene zurückzog und die Thür einer kleinen Kapelle von vorzüglicher Heiligkeit betrat, lehrte ihn der Ruf: ›Frankreich! Frankreich! Burgund! Burgund!‹ daß ein Theil der Belagerer am äußersten Ende der Straße, die zu den engsten gehörte, eindrang, und daß ihm so der Rückzug abgeschnitten ward. »Konrad,« sagte er, »nimm alle Mannschaft mit dir und greif jene Bursche geradezu an, durchbrich sie, wenn du kannst, und rette dich; – ich bin Mannes genug, jetzt, wo ich mich zum Aeußersten gebracht sehe, einige dieser schottischen Landstreicher vor mir zur Hölle zu senden.«

Sein Lieutenant gehorchte und stürzte sich, mit den wenigen Lanzknechten, die am Leben blieben, mit dem Vorsatze nach dem äußersten Ende der Straße, die Burgunder anzugreifen, welche eben anrückten, um sich so einen Weg zu bahnen. Ohngefähr sechs der besten Leute von der Marks blieben bei ihm, mit ihrem Herrn zu fallen, und boten den Bogenschützen die Spitze, welche an Zahl nicht mehr stark waren. – »Sanglier! Sanglier! holla, ihr schottischen Edelleute!« rief er, seine Keule schwingend, »wen gelüstet, eine Grafenkrone zu gewinnen? Wer führt den Hieb auf des Ebers Haupt? Ihr, junger Mann, scheint gar große Lust darnach zu haben; aber erst müßt Ihr sie gewinnen, eh' Ihr sie tragt!«

Quentin hörte die Worte nur unvollkommen, da sie zum Theil in dem hohlen Helm verloren gingen; die Bewegung aber konnte nicht mißverstanden werden, und er hatte nur Zeit, seinen Oheim und seine Kameraden zu bitten, zurückzutreten, denn schon sprang Wilhelm von der Mark wie ein Tiger auf ihn los, mit der Keule einen Streich gegen ihn führend, so daß er Hand und Fuß zugleich in Bewegung setzte, um seinem Hiebe die volle Kraft des Niederfalles zu sichern; allein, leicht zu Fuß und scharf von Blick, sprang Quentin bei Seite, und entging so glücklich dem Streiche, der tödtlich hätte sein müssen, wenn er getroffen hätte.

Sie waren nun dicht aneinander, wie der Wolf und der Wolfshund, indeß ihre Kameraden auf jeder Seite unthätige Zuschauer blieben; der Balafré gab nur brüllend seine Freude zu erkennen über den schönen Kampf, indem er hinzufügte: »er wolle seinen Neffen an ihn wagen, und wär' er ein Kerl wie Wallace.«

Auch täuschte sich des erfahrenen Kriegers Vertrauen nicht; denn obwohl die Streiche des verzweifelnden Räubers wie die Schläge des Hammers auf den Ambos fielen, machten es doch die schnellen Bewegungen und die geschickte Führung des Schwertes dem jungen Bogenschützen möglich, ihnen zu entgehen und sie mit der Spitze seiner minder lärmenden, aber auch tödtlicheren Waffe zu vergelten, und dies that er so oft und so wirksam, daß die ungeheure Stärke seines Gegners schon zu ermatten begann, während der Boden, auf dem er stand, sich mit Blut überzog. An Muth und Zorn jedoch immer derselbe, focht der wilde Eber mit gleicher geistiger Energie wie zuvor, und Quentins Sieg schien zweifelhaft und entfernt, als eine weibliche Stimme hinter ihm seinen Namen nannte mit dem Rufe: »helft! helft! um der heiligen Jungfrau willen!«

Er wandte sein Haupt und erkannte mit einem einzigen Blicke Gertrud Pavillon, welche, mit von den Schultern gerissenem Mantel, von einem französischen Soldaten fortgeschleppt wurde. Dieser war einer von denen, die in die nahe Kapelle gedrungen waren und sich der erschrockenen Frauen, die hier Zuflucht suchten, als Beute bemächtigt hatten.

»Wartet auf mich einen Augenblick,« rief Quentin Wilhelm von der Mark zu, und eilte fort, um seine Wohlthäterin aus einer Lage zu befreien, deren Gefahren er leicht vermuthen konnte.

»Ich warte auf keinen Menschen,« sagte von der Mark, seine Keule schwingend und den Rückzug beginnend – ohne Zweifel froh, eines so furchtbaren Gegners los zu sein.

»Ihr sollt dennoch auf ihn warten, mit Eurer Erlaubniß,« sagte Balafré; »ich will nicht, daß mein Neffe getäuscht werde.« – So sagend, griff er augenblicklich den von der Mark mit seinem zweihändigen Schwerte an.

Quentin fand unterdessen, daß Gertrudens Rettung ein schwierigeres Werk war, als daß er es in einem Augenblicke hätte vollenden können. Ihr Räuber, von seinen Kameraden unterstützt, wollte seinen Raub nicht fahren lassen, und indeß Durward mit Hilfe einiger seiner Landsleute jenen dazu zu zwingen suchte, ersah sich der erste den Vortheil, den ihm das Glück zur Rettung darbot, und entschlüpfte aus Quentins Bereich, so daß, als er endlich mit Gertrud, die er befreit, allein auf der Straße stand, kein Mensch weiter in seiner Nähe sich zeigte. Gänzlich vergessend der hilflosen Lage seiner Gefährtin, war er eben im Begriffe fortzuspringen und den Eber der Ardennen zu verfolgen, etwa wie ein Jagdhund der Spur des Wildes nacheilt, da hielt sich jene in der Verzweiflung an ihn fest, indem sie rief: »Bei der Ehre Eurer Mutter beschwöre ich Euch, laßt mich nicht allein hier! – Ihr seid ein Edelmann, beschützt mich, bis zu meines Vaters Hause, welches einst Euch und die Gräfin Isabelle schützte! – Um ihretwillen verlaßt mich nicht!«

Ihr Ruf war von Todesangst ausgepreßt, aber er war unwiderstehlich; und mit einem unaussprechlich bittern Gefühle all' den frohen Hoffnungen im Innern Lebewohl sagend, die ihn angefeuert und an diesem blutigen Tage begleitet hatten, und deren Erfüllung gerade in diesem Augenblicke sich zu nähern schien, leitete Quentin, wie ein widerstrebender Geist, der einem Zauberer gehorcht, dem er nicht zu widerstehen vermag, Gertruden zu Pavillons Hause, und langte daselbst eben zu rechter Zeit an, um dieses, so wie den Syndicus selbst gegen die Wuth der ausschweifenden Soldaten zu schützen.

Unterdessen zogen der König und der Herzog zu Pferde in die Stadt, und zwar durch eine der Breschen. Sie waren beide in vollständiger Rüstung; aber der letztere, mit Blut bedeckt von der Feder bis zum Sporn, trieb sein Roß wüthend nach der Bresche hinauf, welche Ludwig mit dem gemessenen Schritte eines Mannes bestieg, der eine Prozession anführt. Sie ertheilten zwei Befehle, mit der Plünderung der Stadt, die schon begonnen hatte, inne zu halten, und die zerstreuten Truppen zu sammeln. Die Fürsten selbst begaben sich nach der Hauptkirche, sowohl um die vornehmern Einwohner zu schützen, welche daselbst Zuflucht gesucht hatten, als auch nach Anhörung des Hochamts eine Art von Kriegsrath zu halten.

Beschäftigt, gleich andern Officieren seines Ranges, die unter seinem Befehl stehenden Soldaten zu sammeln, begegnete Lord Crawford, in eine Straße biegend, die nach der Maas führte, dem Balafré, wie er ganz ruhig nach dem Flusse hinging, in seiner Hand bei dem verworrenen Haar ein Menschenhaupt haltend, und zwar mit demselben Gleichmuth, als trüge er eine Jagdtasche.

»Wie steht's? Ludwig!« rief sein Befehlshaber; »was willst du mit diesem Aas anfangen?«

»'s ist Alles, was von dem Stück Arbeit übrig blieb, welches mein Neffe sich ausdachte und beinah' auch vollendete, ich habe nur die letzte Hand angelegt!« sagte le Balafré, – »ein tüchtiger Bursch, der, den ich hinüber beförderte, und der mich noch bat, seinen Kopf in die Maas zu werfen. – Die Menschen haben närrische Einfälle, wenn sie der alte Klapperbein anpackt; aber Klapperbein wird zu seiner Zeit einmal mit uns allen den Tanz beginnen.«

»Und Ihr geht um, den Kopf in die Maas zu werfen?« sagte Crawford, indem er aufmerksamer das grausige Erinnerungszeichen der Sterblichkeit betrachtete.

»Ja, das will ich freilich,« sagte Ludwig Lesly. »Wenn Ihr einem sterbenden Manne seine Bitte abschlagt, so wird Euch sein Geist plagen, und ich schlafe gern gut zur Nacht.«

»Ihr müßt es auf den Geist ankommen lassen, Mann,« sagte Crawford; »denn bei meiner Seele, es liegt mehr an diesem Stücke des Todten, als Ihr glaubt. Kommt mit mir – kein Wort mehr – kommt mit mir.«

»Ei, wenn es weiter nichts ist,« sagte Balafré, »ein Versprechen hab' ich ihm nicht gemacht; denn, in Wahrheit, ich hatte den Kopf schon herunter, eh' er die Zunge noch bewegen konnte. Im Leben hab' ich mich nicht vor ihm gefürchtet, bei St. Martin von Tours, und ebensowenig fürcht' ich ihn, da er todt ist. Ueberdies wird mir mein Gevatter, der lustige Pater zu St. Martin, einen Topf voll Weihwasser geben.«

Als das Hochamt in der Kathedralkirche zu Lüttich beendigt war, und sich die geängstigte Stadt wieder einigermaßen in Ordnung befand, schickten sich Ludwig und Karl, umgeben von ihren Pairs, an, die Ansprüche derjenigen zu vernehmen, welche während der Schlacht einen ausgezeichneten Dienst geleistet hatten. Diejenigen, welche sich auf die Grafschaft von Croye und ihre schöne Herrin bezogen, wurden zuerst vorgenommen, und zum großen Mißvergnügen verschiedener Bewerber, welche bereits des schönen Preises gewiß zu sein meinten, schienen ihre Ansprüche großem Zweifel und vieler Ungewißheit zu unterliegen. Crèvecoeur wies die Haut von einem Eberkopf auf, die Wilhelm von der Mark zu tragen gewohnt war; Dunois brachte einen zerspaltenen Schild zum Vorschein, mit seinem Wappen bezeichnet; und so gab es noch andere, die auf das Verdienst Anspruch machten, den Mörder des Bischofs in die andere Welt geschickt zu haben, indem sie irgend ein ähnliches Merkmal vorlegten; denn der hohe Preis, der auf Wilhelms Kopf gesetzt war, hatte Allen den Tod zugezogen, die nur einigermaßen ihm ähnlich gewaffnet gewesen waren.

Es entstand großer Lärm und Streit unter den Mitbewerbern, und Karl, innerlich das rasche Versprechen bereuend, welches die Hand und den Reichthum seiner schönen Vasallin so dem Zufall preisgegeben, hoffte noch ein Mittel ausfindig zu machen, allen diesen widerstreitenden Anforderungen auszuweichen, als sich Crawford in den Kreis drängte, den Balafré hinter sich dreinziehend, welcher scheu und niedergeschlagen folgte, gleich einem großen Bullenbeißer, der widerstrebend in einer Koppel fortgezogen wird.

»Weg mit Euren Eberköpfen und Klauen und Eurem gefärbten Eisen!« rief Crawford, »Keiner, als der den Eber selbst erschlug, kann die Hauzähne zeigen!«

So sagend warf er das blutige Haupt auf den Boden, welches man leicht als das Wilhelms von der Mark erkannte, vorzüglich an den eigenthümlich gestalteten Kinnbacken, die wirklich einige Aehnlichkeit mit denen des Thiers hatten, dessen Namen er führte, und die sogleich von Allen wieder erkannt wurden, die ihn gesehen hatten.

»Crawford,« sagte Ludwig, während Karl schweigend und in mißvergnügtem, düsterm Staunen dasaß, »ich glaube es ist einer meiner treuen Schotten, der den Preis gewonnen hat?«

»Es ist Ludwig Lesly, Sire, den wir le Balafré nennen,« erwiderte der alte Krieger.

»Aber ist er ein Edelmann?« sagte der Herzog; »ist er von edler Geburt? – Sonst ist unser Versprechen ungiltig.«

»Er ist allerdings ein ziemlich unlenksames Stück Holz,« sagte Crawford, indem er auf die große, linkische und unbeholfene Gestalt des Bogenschützen blickte; »aber ich bürge, daß er ein Zweig Vom Stamme der Rothes ist – und die sind immer so edel gewesen, als irgend ein Haus in Frankreich oder Burgund, seit von ihrem Stifter gesagt wurde:

›Zwischen dem Laß-lee und der Wies'
Erschlug er den Ritter, den er dort ließ.‹«

»Dann hilft es also nichts,« sagte der Herzog, »und die schönste und reichste Erbin in Burgund muß die Gemahlin eines rohen Miethsoldaten, gleich diesem, werden, oder einsam in einem Kloster sterben, und sie, die das einzige Kind unsers treuen Reginald von Croye ist! – Ich bin zu vorschnell gewesen.«

Und seine Stirn umwölkte sich, zum Erstaunen seiner Pairs, die ihn selten das geringste Zeichen von Reue bei den nothwendigen Folgen eines gefaßten Entschlusses hatten zeigen sehen.

»Halt, nur einen Augenblick,« sagte Lord Crawford, »es kann sich besser fügen, als Ew. Gnaden vermuthen. Hört nur, was dieser Krieger zu sagen hat. – Sprich, Mann, und es wird dein Schade nicht sein,« fügte er leise gegen Balafré hinzu.

Aber dieser unbeholfene Kriegsmann, obwohl er sich dem König Ludwig hinlänglich verständlich zu machen wußte, an dessen Vertraulichkeit er gewöhnt war, sahe sich doch außer Stande, seinen Entschluß vor solch einer glänzenden Versammlung auszusprechen, als diejenige war, vor welcher er jetzt stand; und nachdem er seine Schulter gegen die Fürsten gewandt und mit einem rauhen, seltsamen Lachen den Eingang gemacht hatte, wobei er seltsame Gesichter schnitt, war er bloß im Stande, die Worte hervorzubringen: »Saunders Souplejaw« – und dann konnte er nicht weiter.

»Mit Erlaubniß Ew. Majestät und Ew. Gnaden,« sagte Crawford, »werde ich für meinen Landsmann und alten Kameraden sprechen müssen. Ihr müßt wissen, daß ihm durch einen Seher seiner Heimath prophezeit worden ist, er würde das Glück seines Hauses durch Heirath machen; aber da er so ziemlich mit mir übereinstimmt und das Weinhaus mehr liebt, als einer Dame Wohnzimmer, und da er überhaupt so wunderliche Neigungen und Eigenheiten besitzt, daß ihn die Vornehmheit an seiner eignen Person nur belästigen würde, so hat er sich meinem guten Rathe gefügt und die Ansprüche, die er durch Tödtung Wilhelms von der Mark erwarb, dem abgetreten, durch den der wilde Eber eigentlich zu Falle gebracht ward, und der sein Neffe von mütterlicher Seite ist.«

»Des Jünglings gute Dienste und Klugheit kann ich bezeugen,« sagte König Ludwig, überfroh, daß ein so schöner Preis Jemand zu Theil geworden war, auf den er Einfluß hatte. »Ohne seine Klugheit und Wachsamkeit hätte uns Verderben getroffen – er war es, der uns die Kunde vom nächtlichen Ueberfalle gab.«

»Also bin ich ihm,« sagte Karl, »Ersatz für den Zweifel an seiner Wahrhaftigkeit schuldig.«

»Und ich kann seine Tapferkeit als Kriegsmann bezeugen,« sagte Dunois.

»Doch,« fiel Crèvecoeur ein, »obwohl der Oheim von schottischem Adel ist, so folgt daraus nicht nothwendig, daß es auch der Neffe sei.«

»Er ist aus dem Hause Durward,« sagte Crawford; »entsprossen von dem Allan Durward, welcher Großsteward von Schottland war.«

»Ei, wenn es der junge Durward ist,« sagte Crèvecoeur, »so hab' ich nichts weiter zu bemerken. Das Glück hat seinerseits zu deutlich erklärt, daß es für ihn ist, als daß ich seinen Launen noch ferner widersprechen sollte; – aber es ist seltsam, wie diese Schotten, vom Obersten bis zum Niedrigsten, zusammenhalten.«

»Hochländer, Schulter an Schulter!« antwortete Lord Crawford, indem er zu dem Aerger des stolzen Burgunders lachte.

»Wir haben noch zu untersuchen,« sagte Karl nachdenklich, »wie die schöne Dame gegen diesen glücklichen Abenteurer gesinnt sein mag.«

»Bei Allem, was heilig ist!« sagte Crèvecoeur, »ich habe nur zu viel Grund, zu glauben, Ew. Gnaden werde sie diesmal weit williger finden, sich Eurem Willen zu fügen, als bei frühern Gelegenheiten. – Aber warum sollte ich diesem jungen Manne seinen Vorzug nicht gönnen? da doch allem Anschein nach Klugheit, Festigkeit und Tapferkeit es waren, die ihn in Besitz von Reichthum, Rang und Schönheit setzten!«


Ich hatte diese Blätter bereits zur Druckerei gesandt, nachdem ich, meiner Meinung nach, mit einer Moral geschlossen hatte, die sich trefflich eignete für die Aufmunterung aller schöngelockten, blauäugigen, lang aufgeschossenen und hochherzigen Emigranten aus meiner Heimath, welche etwa willens sein möchten, in aufgeregten Zeiten das ritterliche Gewerbe von Glücksrittern wieder zu ergreifen. Aber ein freundlicher Warner, einer von denen, die dem Reste des Zuckers gleichen, der sich gewöhnlich auf dem Boden einer Theetasse findet, hat mir eine herbe Einwendung gemacht und behauptet, ich müßte nun auch so einen ganz genauen und umständlichen Bericht von der Hochzeit des jungen Erben von Glen-Houlakin und der liebenswürdigen flamändischen Gräfin geben, und erzählen, was für Turniere bei einer so interessanten Gelegenheit gehalten, und wie viel Lanzen dabei zerbrochen worden wären; auch dürfte ich dem wißbegierigen Leser die Zahl der derben Knaben, welche die Tapferkeit Quentin Durward's ererbt hätten, und der schönen Mädchen, in denen sich die Reize der Isabelle von Croye erneuert, nicht vorenthalten. Ich erwiderte darauf mit umgehender Post, die Zeiten hätten sich geändert und öffentliche Hochzeiten wären gänzlich aus der Mode. In Zeiten, deren ich mich selbst noch zu entsinnen vermag, wurden nicht nur die »fünfzehn Freunde« des glücklichen Paares als Zeugen der Verbindung eingeladen, sondern der Brautgesang fuhr fort, wie im »alten Seemanne,« ihnen den Kopf zu betäuben, bis sie der Morgen beschienen. Das Sack-Posset wurde im Brautgemach gegessen – der Strumpf ward ausgezogen – und um das Strumpfband der Braut kämpfte man in Gegenwart des glücklichen Paars, welches Hymen zu einem Fleisch gemacht hatte. Die Schriftsteller dieser Zeit waren lobenswürdig genau in Befolgung ihrer Sitten. Sie sparten kein Erröthen der Braut, keinen entzückten Blick des Bräutigams, keinen Diamant in ihrem Haar, keinen Knopf an seiner gestickten Weste; bis sie am Ende sich geziemend zu Bette begaben. Aber wie wenig verträgt sich dies mit der bescheidnen Verschwiegenheit, womit sich unsre modernen Bräute – süße, verschämte Püppchen! – dem prächtigen Zimmer der Bewunderung und Schmeichelei entziehen, und, gleich dem ehrlichen Shenstone,

»Freiheit in einem Gasthaus suchen!«

Diesen würde unstreitig eine öffentliche Darstellung der Umstände, womit eine Hochzeit im fünfzehnten Jahrhundert stets gefeiert wurde, im höchsten Grade zuwider sein müssen. Isabelle würde in ihrer Meinung tief unter einer Viehmagd stehen, welche die niedrigsten Geschäfte zu besorgen hat; denn selbst diese würde, und wär' es in der Kirche, die Hand ihres Schuhmachergesellen ausschlagen, wenn er den Vorschlag machte, » faire des noces,« wie man es in Paris ausdrückt, statt alsbald mit der Postkutsche abzufahren, um den Honigmond incognito zu Deptford oder Greenwich zuzubringen. Ich werde daher nichts weiter von dieser Sache erwähnen, sondern stehle mich von dieser Hochzeit hinweg, wie Ariost von der der Angelica, indem ich es jedem nach Belieben überlasse, sich die einzelnen Umstände selber, so gut er es vermag, auszumalen.

»Ein beßrer Barde singt es Euch wohl vor,
Wie Bracquemont's Schloß aufthat sein gothisch Thor,
Als dem wildfremden Schotten liebend sie
Mit ihrer Schönheit eine Grafschaft lieh.« »E come a ritornare in sua contrada
Trovasse e buon naviglio e miglior tempo
E dell' India a Medor desse lo scettro
Forse altri canterà con miglior plettro.«
Orlando Furioso. Canto XXX. Stanza 16.


Druck von C. Hoffmann in Stuttgart.

 


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