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Zwanzigstes Kapitel.
Das Billet.

»Wohlan – du bist ein gemachter Mann
wenn du es sein willst – wo nicht, so will ich dich noch
als Genossen von Dienern sehen, der nicht werth ist,
Fortunens Finger anzurühren.

Zwölfte Nacht.

Als die Tafel aufgehoben war, führte der Kaplan, der besonderes Gefallen an Quentin Durward's Gesellschaft zu haben schien, oder auch vielleicht einige nähere Nachricht von seinen Morgenbegegnissen zu erlangen wünschte, ihn in ein Nebenzimmer, dessen Fenster an der einen Seite in den Garten gingen; als er sah, daß seines Gefährten Blick sich verlangend dorthin heftete, schlug er Quentin vor, hinab zu gehen und die seltnen fremden Gewächse zu betrachten, mit welchen der Bischof seine Beete geziert hatte.

Quentin entschuldigte sich, daß er sich nicht eindrängen möge, und theilte die Zurückweisung mit, die er am Morgen erfahren hatte. Der Kaplan lächelte und sagte, es bestehe allerdings ein altes Verbot in Bezug auf des Bischofs Privatgarten; »aber dieß,« fügte er mit einem Lächeln hinzu, »war nur geltend, als unser ehrwürdiger Herr ein junger fürstlicher Prälat und nicht älter als dreißig Jahre war, wo denn viele schöne Damen das Schloß des geistlichen Trostes wegen besuchten. Und da war nöthig,« sagte er mit niedergeschlagenem Blick und einem halb einfältigen, halb klugen Lächeln, »daß diese büßenden Damen, welche immer in den Gemächern wohnten, die jetzt die edle Stiftsdame inne hat, einigen Raum hatten, um frische Luft zu schöpfen, wo sie vor profanen Blicken gesichert waren. Aber in den letzten Jahren ist dies Verbot, obwohl nicht förmlich aufgehoben, doch gänzlich außer Anwendung gekommen, und es bleibt nur noch übrig wie ein Aberglaube, der in dem Hirn eines gealterten Ceremonienmeisters spukt. Gefällt es Euch also, so gehen wir sogleich hinab und wagen es darauf.«

Nichts konnte für Quentin angenehmer sein, als die Aussicht, freien Zutritt in den Garten zu erlangen, mittelst dessen, wenn der Zufall seine Leidenschaft wie bisher begünstigte, er hoffte, den Gegenstand seiner Neigung zu sprechen oder wenigstens zu sehen, etwa in einem solchen Thurm, oder Balkonfenster, oder dergleichen, wie im Gasthaus zur Lilie bei Plessis, oder wie im Dauphinthurme im Schlosse selbst. Isabelle schien immer, wo sie auch wohnen mochte, dazu bestimmt, die Dame vom Thurme zu sein.

Als Durward mit seinem neuen Freunde in den Garten hinabstieg, schien derselbe ganz wie ein irdischer Weiser einzig mit den Dingen der Erde beschäftigt; während Quentins Augen, wenn sie auch nicht den Himmel, gleich denen eines Astrologen, suchten, wenigstens an den Fenstern umherschweiften, auch an den Balkonen und vorzüglich an den Thürmen, welche an jeder Seite der innern Fronte des alten Gebäudes hervorragten, um die zu erspähen, die sein Leitstern sein sollte.

So beschäftigt hörte der junge Liebende ganz unaufmerksam zu, wenn er überhaupt zuhörte, wie sein ehrwürdiger Führer die Pflanzen, Sträucher und Kräuter herzählte; das eine war vorzüglich als Arzneimittel gut, ein anderes spendete ein seltenes Gewürz für die Küche, und ein drittes, das erlesenste von allen, hatte kein anderes Verdienst, als seine außerordentliche Seltenheit. Doch war es immer nothwendig, wenigstens scheinbar einige Aufmerksamkeit zu zeigen, und dieß fand der junge Mann so schwierig, daß er den dienstfertigen Naturkundigen sammt dem ganzen Pflanzenreiche recht herzlich zum Teufel wünschte. Endlich erlöste ihn der Schall einer Glocke, der den Kaplan zu einer Amtspflicht rief.

Der ehrwürdige Mann machte viele unnöthige Entschuldigungen, daß er seinen neuen Freund verließe, und endigte mit der angenehmen Zusicherung, daß er in dem Garten bis zum Abendessen wandeln könne, ohne Störung fürchten zu müssen.

»Es ist,« sagte er, »der Ort, wo ich stets meine Predigten studire, da ich hier am ungestörtesten von Fremden bin. Ich bin im Begriff, jetzt eine in der Kapelle zu halten, wenn es Euch belieben sollte, mich als Zuhörer zu beehren. – Man glaubte immer, ich besäße einiges Talent; aber der Ruhm sei ihm, dem er gebührt.«

Quentin entschuldigte sich für diesen Abend, indem er ein heftiges Kopfweh vorschützte, welches die freie Luft am besten heilen dürfte; und endlich ließ ihn der wohlmeinende Priester allein.

Man kann sich denken, daß bei der neugierigen Betrachtung, welcher er nun mit mehr Muße jedes Fenster und jede Oeffnung nach dem Garten zu unterwarf, auch diejenigen nicht übersehen wurden, welche sich in der unmittelbaren Nachbarschaft der kleinen Thür befanden, bei welcher er Hayraddin und Marthon gesehen hatte, als jener vorgab, nach dem Zimmer der Gräfinnen zu gehen. Aber nichts rührte oder zeigte sich, was die Rede des Zigeuners widerlegen oder bestätigen konnte, und schon fing es an, dunkel zu werden; Quentin fing an, zu fürchten, er wußte kaum warum, daß sein so langes Verweilen im Garten Gegenstand des Mißfallens oder Argwohns werden könnte.

Eben hatte er sich entschlossen, hinwegzugehen, und ging eben zum letzten Male, wie er sich zugesagt hatte, unter den Fenstern vorüber, die solche Anziehungskraft für ihn hatten, als er von oben ein leises und vorsichtiges Husten hörte, als wolle es seine Aufmerksamkeit erregen und zugleich der Beobachtung anderer entgehen. Als er in freudiger Ueberraschung aufblickte, öffnete sich ein Fenster – eine weibliche Hand ließ sich sehen, die ein Billet fallen ließ, welches auf einen Rosenbusch, der unten an der Mauer stand, herabsank. Die Vorsicht, mit welcher man dieß Briefchen hatte fallen lassen, machte eine gleiche Klugheit und Verschwiegenheit dem Leser zur Pflicht. Der Garten, der, wie wir sagten, von zwei Seiten durch die Gebäude des Schlosses umgeben ward, war natürlich auch von den Fenstern vieler Zimmer beherrscht; doch befand sich hier eine Art von Felsengrotte, die der Kaplan mit großer Selbstgefälligkeit Durward gezeigt hatte. Das Billet ergreifen, in den Busen verbergen und nach jenem Versteck eilen, war das Werk einer Minute. Hier öffnete er das kostbare Briefchen und segnete zugleich das Andenken der Mönche zu Aberbrothock, deren Unterweisung ihn fähig gemacht hatte, den Inhalt zu entziffern.

Die erste Zeile enthielt die Weisung: »lies dieß insgeheim,« – und der fernere Inhalt lautete so: »Was Eure Augen zu kühn gestanden, haben die meinen vielleicht allzurasch begriffen. Aber ungerechte Verfolgung macht ihr Opfer kühn, und es war vielleicht besser, mich der Dankbarkeit eines Einzigen zu vertrauen, als ein Gegenstand der Verfolgung Vieler zu bleiben. Fortuna hat ihren Thron auf einem Felsen; aber tapfere Männer scheuen sich nicht, ihn zu erklimmen. Wenn Ihr etwas zu thun wagt für Eine, die sich großer Gefahr aussetzt, so findet Euch nur bei Tagesanbruch in diesem Garten ein, und tragt auf Eurer Mütze eine blau und weiße Feder; aber erwartet keine weitere Mittheilung. Eure Sterne haben, wie man sagt, Euch zur Größe bestimmt und mit dankbarem Gemüth ausgestattet. – Lebt wohl – seid treu, pünktlich und entschlossen, und zweifelt an Eurem Glücke nicht.« In diesen Brief war ein Diamantring eingeschlossen, auf welchen rautenförmig das alte Wappen des Hauses von Croye eingeschnitten war.

Quentins erste Empfindung bei dieser Gelegenheit war ungemischtes Entzücken – ein Stolz und eine Freude, die ihn zu den Sternen zu heben schienen – eine Entschlossenheit, Alles zu thun, oder zu sterben, unter deren Einflusse er all' die tausend Hindernisse, die sich zwischen ihn und das Ziel seiner Wünsche stellten, nur verachtete.

In diesem Zustande des Entzückens, und unfähig, eine Unterbrechung zu dulden, die seine Seele auch nur für einen Moment von solchen seligen Betrachtungen abziehen konnte, benutzte Quentin, nachdem er in's Schloß zurückgekehrt war, das früher schon vorgeschützte Kopfweh wieder als Entschuldigung für sein Nichterscheinen bei dem gemeinsamen Abendessen, zündete sein Licht an und zog sich auf das ihm angewiesene Zimmer zurück, um zu lesen, und immer wieder zu lesen, und den Ring, der nicht minder köstlich als das Briefchen war, tausendmal zu küssen.

Aber solche hochgespannte Gefühle konnten nicht lange in derselben schwärmerischen Weise anhalten. Ein Gedanke lastete auf ihm, obwohl er ihn als undankbar, ja, als eine Lästerung zu verbannen strebte: daß nämlich ein so freies Bekenntniß von Seiten jener, die es machte, weniger Zartgefühl verrathe, als sich mit dem hochromantischen Gefühle, womit er bisher die Gräfin Isabelle verehrt hatte, verträglich schien. Kaum wollte sich dieser unedle Gedanke eindrängen, als er ihn zu ersticken eilte, wie er eine zischende, verhaßte Natter erdrückt haben würde, die sich in sein Lager geschlichen hätte. War es an ihm – an ihm, dem Begünstigsten – um dessen willen sie von ihrer hohen Sphäre niedergestiegen war, ihre herablassende Handlung zu tadeln, ohne welche er nicht hätte wagen dürfen, die Augen zu ihr zu erheben? Ueberhob sie nicht ihr hoher Rang, so wie ihre Lage im gegenwärtigen Falle der üblichen Regeln, welche der Dame Schweigen auflegen, bis zuerst der Liebende gesprochen hat? diesen Beweisgründen, die er kühn zu Vernunftschlüssen machte, fügte auch wohl seine Eitelkeit noch einen andern bei, den er selbst im Innern nicht mit derselben Dreistigkeit anzuerkennen wagte: – daß das Verdienst des Geliebten der Dame gestatten möge, etwas von den üblichen Regeln abzuweichen; und bei alledem gab es auch für diesen Fall, wie bei Malvolio, ein Beispiel in der Chronik. Der Knappe von niederem Rang, von dem er nur erst gelesen hatte, war, gleich ihm selber, ein Edelmann ohne Land und Güter, und doch erwies ihm die edle Prinzessin von Ungarn ohne Bedenken mehr wesentliche Zeichen ihrer Gunst, als das Briefchen war, welches er eben empfangen: –

»Willkommen, süßer Knappe mein,
Mein Herzallerliebster sollst du sein,«
Sprach sie: »dir geb' ich der Küsse drei
Und noch fünfhundert Pfund dabei.«

Und dann ließ die nämliche wahrhafte Geschichte den König von Ungarn selber bekennen:

»Ich kannte so manchen Pagen schon,
Der durch Heirath hatt' erlangt einen Thron.«

So daß, nach Allem diesem, sich Quentin voll Edelmuth und Großmuth mit einem Benehmen der Gräfin versöhnte, welches ihm jedenfalls hohe Vortheile gewähren mußte.

Aber diesem Bedenken folgte ein anderer Zweifel, der schwerer zu verdauen war. Der Verräther Hayraddin war in der Wohnung der Damen gewesen, und zwar, so viel Quentin wußte, vier volle Stunden lang; erwog er nun die Winke, die jener darüber gegeben hatte, daß er einen bedeutenden Einfluß auf Quentins Schicksal besitze, wer bürgt diesem dann, daß nicht Alles ein Werk des Zigeuners war? und wofern dieß richtig, war dann nicht wahrscheinlich, daß dieser Schurke dadurch einen neuen verrätherischen Plan verbergen wollte – vielleicht um Isabellen dem Schutze des würdigen Bischofs zu entführen? Dies war eine Sache, die überlegt sein wollte, denn Quentin fühlte gegen diesen Menschen einen Widerwillen, welcher eben so groß war, als die Unverschämtheit, womit jener seine Schändlichkeit eingestanden hatte, und überhaupt war nicht zu hoffen, daß irgend etwas, worein er sich mischte, einen ehrenvollen oder glücklichen Ausgang nehmen könnte.

Die verschiedenen Gedanken zogen über Quentins Seele wie trübe Wolken, um die schöne Landschaft, die seine Phantasie erst gezeichnet hatte, zu verdunkeln, und schlaflos brachte er die Nacht auf seinem Lager zu. Zur Stunde der Frühmetten, ja, noch eine Stunde zuvor, war er im Schloßgarten, wo sich seinem Eintritte oder seinem Verweilen jetzt Niemand widersetzte; er trug Federn von der bezeichneten Farbe, so gut er sie sich in solcher Eile hatte verschaffen können. Fast zwei Stunden lang ward von seinem Erscheinen keine Notiz genommen; endlich hörte er einige Lautenaccorde, und alsbald öffnete sich das Fenster gerade über der kleinen Hinterthür, zu welcher Marthon Hayraddin eingelassen hatte, und an der Oeffnung erschien Isabelle in jungfräulicher Schönheit, grüßte ihn halb freundlich, halb schüchtern, tief erröthend, als er sich, ihre Artigkeit erwidernd, ehrerbietig und bedeutungsvoll verbeugte; – da schloß sie das Fenster und verschwand.

Nicht Tageslicht noch Champagner konnten mehr entdecken! die Aechtheit des Briefchens war verbürgt – nur was folgen sollte blieb noch zu erklären, und davon hatte die schöne Schreiberin keinen Wink gegeben. Doch drohte keine unmittelbare Gefahr. – Die Gräfin war in einem festen Schlosse unter dem Schutz eines Fürsten, der sowohl geachtet durch sein weltliches, als verehrt durch sein geistliches Ansehn war. Da gab es für den freudigen Knappen weder Raum noch Gelegenheit, um für den Augenblick ein Abenteuer zu bestehen, und es war hinreichend für ihn, sich stets bereit zur Ausführung ihrer Befehle zu halten, so bald sie ihm mitgetheilt werden sollten. Aber das Schicksal wollte ihn eher zum Handeln auffordern, als er sich's vermuthete.

Es war die vierte Nacht nach seiner Ankunft auf Schönwald, als Quentin Maßregeln getroffen hatte, am folgenden Morgen den zweiten Reitknecht, der ihn auf der Reise begleitet hatte, nach Ludwigs Hofe mit Briefen an seinen Oheim und Lord Crawford zurückzusenden, worin er dem Dienste Frankreichs entsagte, was er durch Gründe der Ehre und Klugheit entschuldigte, als eine Folge der Verrätherei, welcher er durch Hayraddin's geheime Instructionen ausgesetzt worden war. Darauf legte er sich zu Bette, mit all' den rosenfarbenen Gedanken umringt, die das Lager eines Jünglings umflattern, wenn er innig liebt und seine Liebe eben so aufrichtig erwidert glaubt.

Aber Quentins Träume, die erst die Natur jener seligen Gedanken, unter denen er entschlummert war, gehabt hatten, nahmen allmählich einen furchtbaren Charakter an.

Er wandelte mit der Gräfin Isabelle zur Seite eines spiegelglatten Landsee's, ähnlich dem, welcher sein heimathliches Thal hauptsächlich charakterisirte. Er sprach mit ihr von seiner Liebe, ohne an eines der Hindernisse zu denken, welche zwischen ihnen lagen. Sie erröthete und lächelte, während sie zuhörte, – gerade wie es nach dem Inhalt des Briefchens zu erwarten war, welches, in Schlaf und Wachen, an seinem Herzen ruhte. Aber die Scene verwandelte sich plötzlich aus Sommer in Winter – aus Ruhe in Sturm; der Wind und die Wellen erhoben sich so tobend und brausend, als ob die Geister des Wassers und der Luft um ihre Herrschaft einen heftigen Wettstreit begonnen hätten. Die wogenden Fluthen schienen weder vordringen noch zurückgehen zu können – der anwachsende Sturm, welcher sie gegen einander warf, schien gleichwohl ihr Verweilen an dem Ort unmöglich zu machen, und die stürmischen Empfindungen, welche durch die scheinbare Gefahr erregt wurden, erweckten den Träumer.

Er erwachte; aber obwohl seine Traumgebilde verschwunden waren und der Wirklichkeit Raum gegeben hatten, so fuhr doch der Lärm, der sie wahrscheinlich erzeugt hatte, fort, in Quentins Ohr zu dringen.

Sein erster Antrieb war, sich im Bette aufzurichten und mit Erstaunen auf Töne zu lauschen, die, wenn sie einen Sturm verkündigt hätten, den wildesten beschämt haben würden, der je von den Grampians niederbrach; in der nächsten Minute überzeugte er sich, daß der Tumult nicht durch die Wuth der Elemente, sondern durch den Zorn der Menschen erregt wurde.

Er sprang vom Lager und schaute durch das Fenster seines Gemachs; aber es ging nach dem Garten, und von dieser Seite war Alles ruhig, obwohl das Oeffnen des Fensters, durch das Getöse, welches an sein Ohr schlug, ihn noch mehr überzeugte, daß die Außenseite des Schlosses belagert und angegriffen war, und zwar von einem zahlreichen und entschlossenen Feinde. Hastig seine Kleider und Waffen ergreifend und sie mit solcher Eile anlegend, als Dunkelheit und Ueberraschung gestattete, ward seine Aufmerksamkeit durch ein Klopfen an die Thür seines Gemachs rege gemacht. Da Quentin nicht sogleich antwortete, war die Thür, die nicht besonders fest war, von außen mit Gewalt erbrochen, und der Eindringende, den sein eigenthümlicher Dialekt als den Zigeuner Hayraddin Maugrabin bezeichnete, erschien im Gemach. Eine Phiole, die er in der Hand hielt und mit einer Lunte berührte, entzündete eine dunkelrothe Flamme, mittelst deren er eine Leuchte ansteckte, die er aus dem Busen zog.

»Das Horoskop Eures Schicksals,« sagte er ohne weitern Gruß nachdrücklich zu Durward, »beruht jetzt auf der Entschlossenheit einer Minute.«

»Schuft!« gab Quentin zur Antwort, »wir sind von Verrätherei umringt, und wo Verrath ist, da mußt du dein Theil daran haben.«

»Ihr seid rasend,« antwortete Maugrabin – »ich verrieth nie einen, außer um Gewinn davon zu haben – und warum sollte ich Euch verrathen, durch dessen Sicherheit ich mehr Vortheil erlangen kann, denn durch seine Zerstörung? Gebt einen Augenblick, wenn es Euch möglich ist, der Vernunft Gehör, bevor Tod und Verderben es Euch in's Ohr ruft. Die Lütticher sind im Aufstand – Wilhelm von der Mark mit seiner Bande führt sie – wären Mittel zum Widerstand da, ihre Anzahl und seine Wuth würden sie überwältigen; aber zunächst gibt es gar keine Mittel. Wenn Ihr die Gräfin und Eure Hoffnungen retten wollt, so folgt mir im Namen deren, die Euch einen Diamant mit drei eingravirten Leoparden sandte.«

»Zeige mir den Weg,« sagte Quentin hastig – »in diesem Namen wage ich jede Gefahr.«

»Ich will es so einrichten,« sagte der Zigeuner, »daß gar keine Gefahr vorhanden ist, wenn Ihr nur Eure Hand von einem Streite fern halten könnt, der Euch nichts angeht; denn was liegt Euch überhaupt daran, ob der Bischof, wie sie ihn nennen, seine Heerde schlachtet, oder ob die Heerde ihren Hirten schlachtet? Hahaha! – Folgt mir, aber mit Vorsicht und Geduld; zähmt Euren Muth und vertraut meiner Klugheit – dann wird meine Schuld der Dankbarkeit gezahlt sein und Ihr habt eine Gräfin zur Gemahlin. – Folgt mir.«

»Ich folge,« sagte Quentin, sein Schwert ziehend; »aber im Augenblick, wo ich das geringste Zeichen von Verrätherei entdecke, sind dein Kopf und Leib drei Schritt auseinander!«

Ohne weitere Worte eilte der Zigeuner, als er sah, daß Durward nun völlig gerüstet und bereit war, die Stufen vor ihm hinab, und wand sich hastig durch die vielen Seitengänge, bis sie den kleinen Garten erreichten. Kaum ein Licht war auf dieser Seite sichtbar, kaum ein Geräusch ward vernommen; aber kaum hatte Quentin den freien Raum betreten, als der Lärm von der entgegengesetzten Seite des Schlosses zehnmal betäubender zu hören war, und er vernahm die verschiedenen Losungsworte: »Lüttich! Lüttich! der Eber! der Eber!« denn so war das Geschrei der Angreifenden, während der schwächere Ruf: »Unsre Frau für den Fürstbischof!« von Seiten derjenigen bischöflichen Krieger erscholl, welche, obwohl überrascht und im Nachtheil, zur Vertheidigung der Mauern herbeigeeilt waren.

Aber der ganze Kampf war Quentin Durward, trotz seines kriegerischen Charakters, gleichgiltig im Vergleich mit dem Geschick Isabellens, welches, wie er Grund zu fürchten hatte, ein schreckliches sein mußte, wenn sie nicht aus der Gewalt des rohen und grausamen Freibeuters erlöst ward, der nun, wie es schien, die Thore des Schlosses zu sprengen im Begriff war. Er versöhnte sich mit dem Beistand des Zigeuners, wie Leute in verzweifelter Krankheit die Arzneien nicht verschmähen, die ihnen Quacksalber und Marktschreier reichen, und folgte ihm durch den Garten, in der Absicht, sich von ihm führen zu lassen, bis er Anzeichen von Verrätherei entdecken würde, und dann sein Herz zu durchstoßen oder sein Haupt vom Rumpfe zu schlagen. Hayraddin schien selber zu wissen, daß seine Sicherheit an einem Haar hänge, denn er unterließ, in dem Augenblick, wo man in's Freie trat, all' seine gewohnten Scherze und Aufschneidereien, und schien ein Gelübde gethan zu haben, sich der Bescheidenheit, des Muths und der Schnelligkeit auf einmal zu befleißigen.

Aus der entgegengesetzten Thür, die zu den Gemächern der Damen führte, erschienen auf ein vorsichtiges Zeichen Hayraddins zwei Frauen, gehüllt in die dunkeln Seidenschleier, welche damals wie jetzt, von den Niederländerinnen getragen wurden. Quentin bot der einen von ihnen seinen Arm, den sie mit zitternder Hast umklammerte, und sie hing in der That so sehr an ihm, daß sie ihrer Flucht hinderlich gewesen sein würde, wäre ihre Last größer gewesen. Der Zigeuner, welcher die andere weibliche Gestalt führte, trat den Weg nach der Hinterthür sogleich an, welche durch die Gartenmauer nach dem Graben führte, wo der kleine Nachen lag, mittelst dessen, wie Quentin beobachtet hatte, Hayraddin sich schon früher aus dem Schlosse entfernt hatte.

Als sie überfuhren, verkündigte das Jubelgeschrei der Stürmenden, daß man bereits im Begriff sein müsse, das Schloß einzunehmen; und dieser Schall war für Quentins Ohr so widrig, daß er nicht umhin konnte, laut zu schwören: »Wäre mein Blut nicht unwiderruflich der Erfüllung meiner gegenwärtigen Pflicht geweiht, ich würde zur Mauer zurückgehen, treulich des gastfreundlichen Bischofs Partei nehmen und einige dieser Schufte zum Schweigen bringen, deren Kehlen voll Aufruhr und Meuterei sind.«

Die Dame, deren Arm noch in dem seinigen festruhte, drückte diesen sanft, als er so sprach, als wolle sie ihm zu verstehen geben, daß ein näherer Anspruch auf seine Ritterlichkeit vorhanden sei, als die Vertheidigung des Schlosses Schönwald; der Zigeuner aber rief, laut genug, um gehört zu werden: »Nun, das nenn' ich doch gehörige christliche Narrheit, zum Gefecht umkehren zu wollen, während Liebe und Glück beide die Flucht verlangen. – Auf, auf – mit all' der Eile, die Euch möglich ist – Pferde erwarten uns an jenem Weidendickicht.«

»Dort sind nur zwei Pferde,« sagte Quentin, der sie im Mondlicht erblickte.

»Alles, was ich auftreiben konnte, ohne Verdacht zu erregen, – und überhaupt genug,« erwiderte der Zigeuner. »Ihr müßt nach Tongres reiten, ehe der Weg unsicher wird – Marthon wird bei den Weibern unsrer Horde bleiben, mit denen sie von sonsther bekannt ist. Wißt, sie ist eine Tochter unsers Stammes, und wohnte blos unter euch, um uns gelegentlich Dienste zu leisten.«

»Marthon?« rief die Gräfin, mit einem Schrei des Erstaunens auf das verschleierte Weib blickend; »ist dies nicht meine Verwandte?«

»Blos Marthon,« sagte Hayraddin. – »Verzeiht mir diesen kleinen Betrug. Ich wagte nicht, beide Damen von Croye dem wilden Eber der Ardennen zu entführen.«

»Elender!« rief Quentin zornig – »aber noch ist es nicht – es darf nicht zu spät sein – ich will zurück und die Dame Hameline befreien.«

»Hameline,« flüsterte die Dame, in verwirrtem Tone, »hängt an deinem Arm, um dir für ihre Befreiung zu danken.«

»Ha! wie! – Wie ist das?« sagte Quentin, sich von ihr losreißend, und zwar mit weniger Artigkeit, als zu andrer Zeit der Fall gewesen sein würde, gegen eine Frau jenes Standes – »Ist Dame Isabelle zurückgeblieben?«

Als er sich umwandte, um zum Schloß zurück zu eilen, hielt ihn Hayraddin zurück – »Nein, hört doch, hört – Ihr rennt in Euren Tod! Welcher Satan hieß Euch die Farben der Alten tragen? – nie wieder will ich blau und weißer Seide trauen. Aber sie hat fast eine eben so reiche Mitgift – hat Juwelen und Gold – hat sogar Ansprüche auf die Grafschaft.«

Während der Zigeuner in abgebrochenen Redensarten so sprach, und sich eifrigst bemühte, Quentin zurückzuhalten, legte dieser endlich seine Hand an den Dolch, um sich zu befreien.

»Nein, wenn die Sache so steht,« sagte Hayraddin, ihn loslassend, »so geht, und der Teufel, wenn's einen gibt, geh mit Euch!« und kaum sah sich der Schotte frei, als er mit Windesschnelle zum Schloß eilte.

Hayraddin wendete sich darauf zur Gräfin Hameline, welche vor Scham, Furcht und Täuschung zu Boden gesunken war.

»Hier war ein Irrthum,« sagte er; »auf, Dame, und kommt mit mir – ich besorge Euch, eh' der Morgen kommt, einen galantern Mann, als diesen rothbäckigen Jungen; und ist Euch einer nicht genug, so sollt Ihr zwanzig haben.«

Dame Hameline war so heftig in ihren Leidenschaften, als sie eitel und schwach am Verstande war. Wie viele andre Personen erfüllte sie erträglich gut die gewöhnlichen Pflichten des Lebens; aber in einem Falle, wie dem gegenwärtigen, war sie ganz unfähig, irgend etwas andres zu thun, als unnütze Klagen hören zu lassen, und dabei schalt sie Hayraddin »einen Dieb, einen elenden Sklaven, einen Betrüger und Mörder.«

»Nennt mich Zigeuner,« erwiderte er gelassen, »und Ihr sagt das Alles auf einmal.«

»Ungeheuer! Ihr sagtet, die Sterne hätten unsern Bund beschlossen, und veranlaßtet mich zu schreiben – o, wie elend bin ich!« rief die unglückliche Dame.

»Und sie hatten Euren Bund beschlossen,« sagte Hayraddin, »wären beide Theile einig gewesen – aber meint Ihr, die gepriesenen Gestirne zwingen einen wider Willen zu heirathen? – Ich ward irre geführt durch Eure verwünschten christlichen Galanterien, durch Eure Albernheiten mit Bändern und Artigkeiten – nun zieht der junge Mann das Kalb dem Rinde vor, dünkt mich – das ist die ganze Sache. – Auf und folgt mir; und das merkt Euch, ich dulde weder Weinen noch Ohnmacht.«

»Ich rühre keinen Fuß,« sagte die Gräfin hartnäckig.

»Bei dem hellen Firmament, Ihr sollt doch!« rief Hayraddin. »Ich schwör' Euch, bei Allem, was jemals Narren glaubten, daß Ihr es mit Einem zu thun habt, dem es ein Kleines ist, Euch nackend auszuziehn, an einen Baum zu binden und Eurem Schicksal zu überlassen.«

»Nein,« fiel Marthon ein, »mit Eurer Gunst, sie soll nicht gemißhandelt werden. Ich trage ein Messer so gut als Ihr, und weiß es zu brauchen. Sie ist ein gutes Weib, wiewohl eine Närrin. – Und Ihr, Madame, steht auf und folgt uns. – Hier ist ein Irrthum vorgegangen; aber es ist schon etwas, Leib und Leben gerettet zu haben. Es sind Viele in jenem Schloß, die den Reichthum der ganzen Welt darum gäben, zu stehen, wo wir jetzt stehn.«

Während Marthon sprach, schallte von Schloß Schönwald herüber ein Getöse, in welchem sich der Siegesjubel mit dem Geschrei des Schreckens und der Verzweiflung mischte.

»Hört Ihr, Dame!« sagte Hayraddin, »seid dankbar, daß Ihr Eure Stimme nicht mit in jenem Concert hören lassen müßt. Glaubt mir, ich will ehrlich für Euch sorgen, und die Sterne werden ihr Wort halten und Euch einen guten Gemahl finden lassen.«

Gleich einem wilden Thier, erschöpft und gezähmt durch Schrecken und Ermüdung, überließ sich die Gräfin Hameline der Leitung ihrer Führer, und ließ sich widerstandslos führen, wohin jene wollten. Ja, so sehr war ihr Gemüth in Verwirrung und ihre Kraft erschöpft, daß das würdige Paar, welches sie halb trug, halb führte, seine Unterhaltung in ihrer Gegenwart fortsetzte, ohne daß sie etwas davon verstand.

»Ich dachte immer, daß Euer Plan thöricht sei,« sagte Marthon. »Hättet Ihr die jungen Leute zusammenbringen können, so hätten wir sicherlich eine Stütze an ihrer Dankbarkeit gefunden und ein Plätzchen in ihrem Schlosse. Aber wird ein so hübscher junger Mann solch eine alte Närrin heirathen?«

»Rizpah,« sagte Hayraddin, »du hast den Namen einer Christin geführt und in den Zelten dieses bethörten Volks gewohnt, bis du eine Theilnehmerin ihrer Thorheiten geworden bist. Wie konnte ich träumen, daß ihm ein paar Jahre jünger oder älter Bedenklichkeiten machen würde, da die Vortheile der Heirath so augenscheinlich waren? Und du weißt, daß sich schwerlich jenes junge Weib hätte bewegen lassen, so frei zu handeln, wie diese lüsterne Gräfin hier, die uns centnerschwer auf den Armen hängt wie ein Wollsack. Ich liebte den Burschen auch, und hätt' ihm gern einen Gefallen gethan: und ihn mit diesem alten Weibe verheirathen, hieß sein Glück machen – ihn mit Isabellen verbinden, hätt' ihm aber den von der Mark, Burgund, Frankreich und Alle auf den Hals gebracht, die Anspruch machen, über ihre Hand zu verfügen. Und dieses einfältigen Weibes Reichthum besteht in Gold und Juwelen, wovon wir unser Theil bekommen hätten. Aber die Bogensehne ist gerissen, und der Pfeil ging fehl. Fort mit ihr – wir wollen sie zu Wilhelm mit dem Bart bringen. Unterdessen wird er sich, wie gewöhnlich, betrunken haben, er wird eine alte Gräfin von einer jungen nicht zu unterscheiden wissen. Fort, Rizpah – sei gutes Muths! der klare Aldebaran hat immer noch Einfluß auf das Geschick der Kinder der Wüste!«



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