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Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Der ungebetene Gast.

Kein menschlicher Charakter ist so fein
Gewoben, daß kein Fehler im Geweb' ist.
Den Tapfern sah ich fliehn vor'm Schäferhund,
Den Weisen sah ich handeln, daß er fast
Die Narrheit überbot. Und jener schlaue
Und überkluge Mann webt oft die Schlingen
So fein, daß er sich selber drinnen fängt.

Altes Schauspiel.

Während des ersten Theils dieser nächtlichen Reise hatte Quentin mit jenem bittern Schmerz zu kämpfen, den der Jüngling empfindet, wenn er, wahrscheinlich für immer, von der scheidet, die er liebt. Angetrieben durch die drängenden Umstände des Augenblicks und durch die Ungeduld Crèvecoeur's, eilten sie durch die reichen Ebenen des Hennegau's unter dem freundlich geleitenden Lichte eines herrlichen und klaren Herbstmondes, welcher seinen bleichen Schimmer über reiche und weite Triften ergoß, über Waldungen und Getreidefelder, von denen die Landwirthe bei diesem Scheine die Ernte einfuhren, so bedeutend war schon zu jener Zeit die Betriebsamkeit der Flamänder; über glatte, breite, befruchtende Ströme ergoß sich das Mondlicht, wo das weiße Segel im Dienste des Handels hinglitt, nicht gehemmt durch Klippen oder Strudel; ihnen zur Seite lagen freundliche, ruhige Dörfer, deren schmuckes und sauberes Ansehn den Wohlstand und die Behaglichkeit ihrer Bewohner bekundete; – das Mondlicht überglänzte so manches tapfern Freiherrn oder Ritters Erbschloß, mit seinem tiefem Graben, festen Mauern und der hohen Warte, denn die Ritterschaft des Hennegau's war unter dem Adel Europa's berühmt; und in der Ferne ließ dieses Licht in seinem weitgebreiteten Schimmer die riesigen Thürme mehr als eines hohen Münsters erkennen.

Doch alle diese schöne Manchfaltigkeit, wie verschieden sie auch von der Oede und Wildniß seiner eignen Heimat war, hemmte Quentins Gram und Bekümmerniß nicht. Er hatte sein Herz zurückgelassen, als er von Charleroi schied; und der einzige Gedanke, den ihm die fernere Reise einflößte, war der, daß ihn jeder Schritt weiter von Isabellen hinwegführte. Seine Einbildungskraft bemühte sich, jedes Wort zurückzurufen, welches sie gesprochen, jeden Blick den sie ihm zugeworfen hatte; und, wie es oft in dergleichen Fällen geschieht, der Eindruck, den die Erinnerung dieser Einzelnheiten auf seine Phantasie machte, war noch stärker, als jener, den die Wirklichkeit selbst erregt hatte.

Nachdem endlich die kalte Mitternachtstunde vorüber war, begann, trotz seiner Liebe und seines Kummers, die außerordentliche Anstrengung und Mühe, welcher er sich an den beiden vergangenen Tagen unterzogen, eine Wirkung auf ihn zu äußern, welche die Gewöhnung an Leibesübungen jeder Art, seine vorzügliche Lebendigkeit und Thätigkeit des Charakters, so wie die quälenden Betrachtungen, die seine Seele beschäftigten, bisher ihm hatten fremd bleiben lassen. Seine Gedanken fingen jetzt an, so wenig abhängig zu sein von den Einwirkungen seiner Sinne, die durch außerordentliche Anstrengungen nun gänzlich erschöpft und ermattet waren, daß die Gebilde seiner Einbildungskraft alle die Eindrücke verdrängten und umwandelten, welche sie von den abgestumpften Organen des Sehens und Hörens empfingen; und Durward erkannte, daß er wach sei, nur an den Anstrengungen, die er, seiner gefährlichen Lage sich bewußt, von Zeit zu Zeit machte, um einem tiefen und festen Schlafe zu widerstehn. Dann und wann rief ihn ein Bewußtsein der Gefahr, von oder mit dem Pferde zu stürzen, zu Anstrengung und Geistesgegenwart zurück; bald aber wurden dann seine Augen wieder getrübt durch verworrene Gebilde von mancherlei vermischten Farben, die Mondlichtlandschaft schwamm vor ihnen, und die Erschöpfung überwältigte ihn so sehr, daß der Graf Crèvecoeur, seinen Zustand bemerkend, endlich genöthigt war, zwei seiner Leute neben Durward reiten zu lassen, und darauf zu achten, daß er nicht vom Pferde fiele.

Als man endlich die Stadt Landrecy erreichte, verstattete der Graf, aus Mitleid mit dem Jüngling, der nun drei Nächte fast gar nicht geschlafen hatte, sich und seinem Gefolge einen Halt von vier Stunden, um auszuruhn und sich zu erquicken.

Tief und gesund war Quentins Schlaf, bis er durch den Schall der Trompete wieder verscheucht ward, und durch den Ruf der Fouriere und Quartiermeister: »Auf! auf! heda! ihr Herren! zu Pferde, zu Pferde!« – Doch, obwohl ihm diese Töne zu früh und unwillkommen kamen, so erwachte er doch als ein ganz Anderer an Kraft und Muth, als er beim Einschlafen gewesen war. Vertrauen auf sich und sein Geschick kehrte mit seinem auflebenden Muthe und mit der aufgehenden Sonne wieder zurück. Er dachte seiner Liebe nicht länger als eines verzweifelten und phantastischen Traumes, sondern als eines hohen und kräftigenden Princips, welches sein Herz stets ermuthigen sollte, wenn er auch nie hoffen dürfte, seine Mühe, bei all' den umringenden Schwierigkeiten, mit glücklichem Erfolge gekrönt zu sehn. – »Der Pilot,« dachte er, »steuert seine Barke nach dem Polarstern, obwohl er nie erwartet, ihn zu erreichen; und mich sollen die Gedanken an Isabelle von Croye zu einem braven Krieger machen, obwohl ich sie vielleicht nie wieder sehe. Wenn sie hört, daß sich ein schottischer Krieger, Namens Quentin Durward, in einer bedeutenden Schlacht auszeichnete, oder sein Leben in der Bresche einer vertheidigten Festung verlor, so wird sie sich ihres Reisegefährten erinnern, als eines Mannes, der alles that, was in seiner Macht stand, um die Gefahren und das Mißgeschick, welches ihr drohte, abzuwenden, und vielleicht wird sie dann sein Andenken mit einer Thräne, seinen Sarg mit einem Kranze ehren.«

In diesem männlichen Entschlusse, sein Mißgeschick zu ertragen, fühlte sich Quentin weit fähiger, die Scherze des Grafen Crèvecoeur anzuhören und zu erwidern, denn dieser ließ verschiedene Andeutungen gegen seine Verweichlichung und Unfähigkeit Beschwerden zu ertragen, fallen. Der junge Schotte nahm des Grafen Neckereien so wohlgelaunt auf, und erwiderte sie zugleich so glücklich und auf so würdige Weise, daß diese Veränderung seines Tons und Benehmens einen weit günstigern Eindruck auf den Grafen machte, als dieser von seinem Gefangenen am vorigen Abend empfangen hatte, wo der letztere, durch das Gefühl seiner Lage reizbar gemacht, entweder übellaunig schwieg, oder trotzig und absprechend antwortete.

Der Veteran begann endlich seinen jungen Begleiter als einen hübschen Burschen, aus dem sich etwas machen ließe zu betrachten; auch gab er ihm dann zu verstehen, daß, würde er seiner Stellung als Bogenschütze in Frankreich entsagen, er es übernehmen wolle, ihm am Hofe des Herzogs von Burgund eine ehrenvolle Stellung zu verschaffen und für sein Fortkommen Sorge zu tragen. Und obwohl Quentin diese Gunst mit Ausdrücken geziemender Dankbarkeit für jetzt ablehnte, bis er finden würde, wie weit er sich über seinen eigentlichen Herrn, den König Ludwig, zu beklagen habe, so fuhr er trotzdem fort, mit dem Grafen Crèvecoeur in gutem Vernehmen zu stehen. Und während seine schwärmerische Denkweise und seine fremdartige und eigenthümliche Aussprache oft ein Lächeln auf die ernsten Wangen des Grafen rief, so hatte dies Lächeln doch den sarkastischen und bittern Ausdruck verloren und überschritt die Gränzen froher Laune und guten Benehmens nicht.

Während sie so die Reise mit mehr Einigkeit, als am vorigen Tage, fortsetzten, langte die kleine Gesellschaft endlich etwa zwei Meilen vor der berühmten und starken Festung Péronne an, in deren Nähe des Herzogs von Burgund Armee lagerte, bereit, wie man vermuthete, in Frankreich einzubrechen; dagegen hatte Ludwig eine bedeutende Macht bei Saint Maxence versammelt, um den übermüthigen Vasallen zur Vernunft zu bringen.

Péronne, gelegen an einem tiefen Flusse, in einer flachen Gegend, und umgeben von starken Werken und bedeutenden Gräben, ward in alten, wie in neuen Zeiten für eine der stärksten Festungen Frankreichs gehalten Wirklich war dieser Platz, obwohl an einer feindlichen Einfällen ausgesetzten Gränze gelegen, nie von einem Feinde genommen worden, und bewahrte auch den stolzen Namen Péronne die Jungfrau bis zu dem denkwürdigen Zuge gegen Paris im Jahre 1815.. Der Graf von Crèvecoeur, sein Gefolge und sein Gefangener näherten sich der Festung um drei Uhr Nachmittags; als sie durch die angenehmen Baumgänge einer großen Waldung, welche damals die Stadt von der Ostseite umschloß, hinritten, begegneten ihnen zwei Männer von Stande, wie sich aus der Zahl ihrer Diener schließen ließ, gekleidet auf die in Friedenszeiten gewöhnliche Weise; und die beiden waren, wie man nach den Falken, die sie auf den Händen trugen, und nach der Zahl der Hühner- und Windhunde, die ihre Bedienten führten, im Begriff, sich mit der Jagd zu vergnügen. Als sie aber Crèvecoeur gewahrten, dessen Aeußeres, so wie die Farben seiner Bedienung sie hinlänglich zu kennen schienen, ließen sie von dem Aufsuchen eines Reihers, den sie am Ufer eines langen Kanals verfolgten, ab, und sprengten dem Grafen entgegen.

»Neuigkeiten, Neuigkeiten, Graf von Crèvecoeur!« riefen beide zugleich; »wollt Ihr uns Neuigkeiten bringen, oder empfangen? oder wollt Ihr ehrlichen Tausch machen?«

»Gern wollt' ich tauschen, Messires,« sagte Crèvecoeur, nachdem er sie höflich begrüßt hatte, »dürft ich nur erwarten, daß eure Neuigkeiten wichtig genug sind, um den meinigen gleich zu kommen.«

Die beiden Jäger lächelten einander zu, und der ältere von ihnen, eine stattliche, adelige Gestalt, mit gebräuntem Gesicht, welches sich durch jenen düstern Ausdruck auszeichnete, den einige Physiognomiker einem melancholischen Temperament zuschreiben, andere aber, (wie der italienische Bildhauer von Karls I. Gesicht urtheilte,) als Vorzeichen eines unglücklichen Todes betrachten, sagte, sich zu seinem Gefährten wendend: »Crèvecoeur ist in Brabant gewesen, dem Lande des Handels, dessen Künste er dort gelernt hat – er wird es uns schwer machen, wenn wir den Tauschhandel mit ihm treiben wollen.«

»Messires,« sagte Crèvecoeur, »von Rechtswegen gebühren dem Herzog meine Waaren zuerst, wie der Oberherr seinen Zoll nimmt, bevor der Markt beginnt. Doch sagt mir, sind eure Neuigkeiten von trauriger oder erfreulicher Beschaffenheit?«

Die Person, die er besonders anredete, war ein Mann von lebhaftem Ansehn, mit sehr lebendigem Auge, welches jedoch durch einen Ausdruck sinnenden Ernstes um Mund und Oberlippe gemildert ward – die ganze Physiognomie bezeichnete einen Mann, welcher schnell sah und urtheilte, aber klug und bedächtig verfuhr, wenn er Schlüsse zog oder Meinungen aussprach. Dies war der berühmte Ritter von Hennegau, Sohn Colart's oder Nicolas' de la Clyte, in der Geschichte und unter den Historikern bekannt unter dem geachteten Namen Philipp von Comines, der damals zu den persönlichen Vertrauten des Herzogs Karl des Kühnen gehörte und einer der geachtetsten Räthe desselben war. Er beantwortete Crèvecoeurs Frage in Bezug auf die Beschaffenheit der Neuigkeiten, in deren Besitz er und sein Gefährte, der Baron D'Hymbercourt war. – »Sie gleichen,« sagte er, »den Farben des Regenbogens, welche manchfach sind, je nach den verschiednen Punkten, von denen man sie betrachtet, und je nachdem man sie auf einer schwarzen Wolke oder an heiterm Himmel bemerkt. – Solch' ein Regenbogen ward seit Noah weder in Frankreich noch in Flandern gesehn.«

»Meine Nachrichten,« erwiderte Crèvecoeur, »gleichen dem Kometen; unheilvoll, wild und schrecklich an sich selbst, und doch nur als Vorläufer von noch größern und schrecklichern Uebeln anzusehn, die ihnen folgen werden.«

»Wir müssen unsre Ballen öffnen,« sagte Comines zu seinem Begleiter, »sonst werden uns gewandtere Kaufleute den Markt verderben, denn unsre Neuigkeiten sind öffentliche. – Mit einem Wort, Crèvecoeur – hört und staunt – König Ludwig ist in Péronne.«

»Wie!« rief der Graf voll Erstaunen; »hat sich der Herzog ohne eine Schlacht zurückgezogen? Weilt ihr hier in Friedenskleidern, nachdem die Stadt von den Franzosen belagert ist? – Denn daß sie eingenommen, kann ich nicht glauben.«

»Nein, sicherlich,« sagte D'Hymbercourt, »die Banner Burgunds sind keinen Schritt rückwärts gegangen; und doch ist König Ludwig hier.«

»Dann muß Eduard von England mit seinen Bogenschützen über's Meer gekommen sein,« sagte Crèvecoeur, »und gleich seinen Vorfahren eine zweite Schlacht von Poitiers gewonnen haben.«

»Nein,« sagte Comines. – »Keine französische Fahne ist erobert, kein Segel ist von England gekommen – denn dort ist Eduard viel zu angenehm bei den Weibern der Londoner Bürger beschäftigt, als daß er daran denken sollte, den schwarzen Prinzen zu spielen. Hört die beispiellose Wahrheit. Ihr wißt, daß, als Ihr uns verließt, die Verhandlungen zwischen den Abgeordneten von Seiten Frankreichs und Burgunds abgebrochen waren, ohne daß man auf eine Versöhnung rechnen konnte?«

»Ganz recht; und wir träumten von nichts als Krieg.«

»Was darauf folgte, sah in der That wie ein Traum aus,« sagte Comines, »und ich erwarte immer noch zu erwachen und es wirklich so zu finden. Nur einen Tag zuvor hatte der Herzog in der Rathsversammlung sich heftig jedem ferneren Verzug widersetzt, so daß man beschloß, dem Könige eine Kriegserklärung zu senden, und sogleich in Frankreich einzumarschiren. Toison d'Or, mit dieser Botschaft beauftragt, hatte kaum sein Amtskleid angelegt und den Fuß in den Steigbügel gesetzt, um sein Roß zu besteigen, als plötzlich der französische Herold Montjoie in unserm Lager einritt. Wir glaubten nichts anders, als daß uns Ludwig mit der Erklärung zuvorkomme und dachten bereits daran, wie der Herzog über jenen Rath zürnen würde, der ihn verhindert hatte, zuerst den Krieg zu erklären. Nachdem aber schnell der geheime Rath versammelt war, staunten wir nicht wenig, als uns der Herold berichtete, daß Ludwig, König von Frankreich, kaum eine Stunde hinter ihm zurück sei, in der Absicht, Karl, Herzog von Burgund, mit einem kleinen Gefolge zu besuchen, um die Zwistigkeiten durch eine persönliche Zusammenkunft zu beseitigen!«

»Ihr setzt mich in Erstaunen, meine Herren,« sagte Crèvecoeur; »und doch bin ich weniger erstaunt, als Ihr erwartet haben mögt; denn als ich jüngst zu Plessis-les-Tours war, gab mir der mit Allem vertraute Cardinal Balue, der unzufrieden mit seinem Herrn und im Herzen Burgunder ist, einen Wink, daß er so viel auf Ludwigs besondere Schwächen vermöge, um ihn zu verleiten, sich in eine solche Lage gegen Burgund zu versetzen, daß der Herzog die Friedensbedingungen ganz in seiner Gewalt haben könnte. Doch nie hätte ich erwartet, daß ein so alter Fuchs, wie Ludwig, sich verleiten lassen werde, in diese Schlinge zu gehen. Was sagten die burgundischen Räthe?«

»Wie Ihr errathen könnt,« antwortete D'Hymbercourt; »man schwatzte viel von Treu und Glauben, der zu beobachten sei, und wenig von Vortheilen, die zu erlangen wären durch solchen Besuch; und doch war es offenbar, daß sie blos der letztern gedachten und nur eifrig bemüht waren, ein Mittel zu finden, diese mit der nothwendigen Bewahrung des äußern Anscheins in Einklang zu bringen.«

»Und was sagte der Herzog?« fuhr Graf von Crèvecoeur fort.

»Er sprach kurz und kühn, wie gewöhnlich,« erwiderte Comines. »›Wer von euch war es,‹ fragte er, ›der bei der Zusammenkunft zwischen meinem Vetter Ludwig und mir nach der Schlacht bei Montlhéry zugegen war, wo ich ihn unbedachter Weise zurück bis unter die Verschanzungen von Paris mit geringem Gefolge begleitete, und mich so ganz in des Königs Gewalt begab?‹ – Ich antwortete, daß die Meisten von uns gegenwärtig gewesen, und daß keiner je die Besorgniß vergessen werde, die uns sein Thun eingeflößt habe. – ›Nun gut,‹ sagte er, ›ihr tadeltet mich meiner Thorheit wegen, und ich gestand euch, daß ich wie ein leichtsinniger Knabe gehandelt hätte; und ich bin auch überzeugt, daß, da damals mein Vater, seligen Andenkens, noch lebte, mein Vetter Ludwig weniger Vortheil davon gehabt hätte, wenn er sich meiner Person bemächtigte, als ich nun haben würde, wenn ich mich der seinigen versicherte. – Trotzdem aber soll mein königlicher Vetter, wenn er bei gegenwärtiger Gelegenheit mit derselben Einfalt des Herzens hieher kommt, die mich damals so handeln ließ, auch königlich empfangen werden. Ist er Willens, durch diesen Anschein des Vertrauens mich zu hintergehen und zu blenden, bis er einen seiner politischen Pläne ausgeführt hat, bei St. Georg von Burgund, dann mag er sich vorsehen!‹ – Nachdem er, so sprechend, seinen Schnurrbart gedreht und auf den Boden gestampft hatte, befahl er uns allen zu Pferde zu steigen und einen so außerordentlichen Gast zu empfangen.«

»Und Ihr zogt dem König wirklich entgegen?« fragte Crèvecoeur – »Noch gehen wahrlich Wunder vor! – Wie war sein Gefolge beschaffen?«

»So schlicht als möglich,« antwortete D'Hymbercourt; »es bestand nur aus etwa dreißig von der schottischen Leibwache und wenigen Rittern und Herren seines Hofstaats – unter welchen sein Astrolog, Galeotti, die stattlichste Figur war.«

»Dieser Mensch,« sagte Crèvecoeur, »ist gewissermaßen vom Cardinal Balue abhängig – es würde mich daher nicht wundern, wenn er beigetragen hätte, den König zu diesem bedenklichen politischen Schritte zu bestimmen. Befand sich Jemand vom hohen Adel bei ihm?«

»Die Herren von Orleans und Dunois sind mit da,« sagte Comines.

»Mit Dunois will ich einen Kampf bestehen,« sagte Crèvecoeur, »entstehe daraus, was da wolle. Aber wir hörten, daß beide, er und der Herzog, in Ungnade gefallen und im Gefängniß wären?«

»Beide befanden sich in Haft im Schlosse Loches, jenem ergötzlichen Ruheplatz für den französischen Adel,« sagte D'Hymbercourt; »aber Ludwig hatte sie befreit um sie mitzubringen – vielleicht weil er Orleans nicht gern daheim lassen mochte. Unter seinen andern Begleitern dürften, meines Bedünkens, in der That sein Gevatter, der Henker, nebst zwei oder drei seiner Gehilfen, und Oliver, sein Barbier, die ansehnlichsten sein, und das Ganze hatte einen so ärmlichen Anstrich, daß, bei meiner Ehre, der König genau einem alten Wucherer glich, der verzweifelte Schulden einkassiren geht, und sich von einer Schaar Häscher begleiten läßt.«

»Und wo ist er einquartirt?« fragte Crèvecoeur.

»Ja,« erwiderte Comines, »das ist das Wunderlichste an der ganzen Geschichte. Unser Herzog erbot sich, den Bogenschützen des Königs ein Thor der Stadt und eine Schiffbrücke über die Somme zu überlassen, dem König selbst aber ein dabei befindliches Haus einzuräumen, welches einem reichen Bürger, Giles Orthen, gehört; als sich aber der König dahin begab, bemerkte er die Banner des de Lau und Pencil de Rivière, die er aus Frankreich verbannt hatte; und da ihn, wie es schien, der Gedanke erschreckte, Flüchtigen und Mißvergnügten, die er selbst dazu gemacht, so nahe zu wohnen, so verlangte er im Schloß von Péronne einquartirt zu werden, und dort hat er demnach seinen Sitz aufgeschlagen.«

»Nun, Gott behüt' ihn!« rief Crèvecoeur, »dies heißt nicht blos, in des Löwen Höhle gehen, sondern ihm auch den Kopf in den Rachen stecken. – Also mußte der schlaue alte Politikus durchaus in eine Falle gehen.«

»Doch,« sagte Comines, »D'Hymbercourt hat Euch die Rede des Glorieux Der Spaßmacher Karls von Burgund. noch nicht wiederholt, die, wie mir scheint, das Witzigste ist, was bei der Gelegenheit geäußert ward.«

»Und was sagte seine erlauchte Weisheit?« fragte der Graf.

»Als der Herzog,« erwiderte Comines, »in der Eile einiges Silbergeschirr und dergleichen Gegenstände bereit machen ließ, um den König und sein Gefolge damit zu beschenken, so sagte Glorieux: ›Beschwere dein kleines Hirn nicht um derlei Dinge, mein Freund Karl, ich will deinem Vetter Ludwig ein passenderes und edleres Geschenk geben, als du vermagst; das ist meine Narrenkappe und die Schellen obendrein; denn, bei der Messe, er ist ein größerer Narr als ich, weil er sich so in deine Gewalt begibt.‹ – ›Aber wenn ich ihm keine Ursache gebe, das zu bereuen, Kerl, wie dann?‹ sagte der Herzog. – ›Wirklich, Karl, dann sollst du selber meine Kappe sammt den Schellen haben, als der größte Narr von uns dreien.‹ – Ich versichere Euch, dieser Spott berührte den Herzog hart – ich sah, wie er die Farbe wechselte und sich auf die Lippen biß. – Und nun, edler Crèvecoeur, sind unsere Neuigkeiten berichtet, womit scheinen sie Euch vergleichbar?«

»Mit einer Mine, die wohl mit Pulver versehen ist,« antwortete Crèvecoeur, »und zu welcher ich, wie ich fürchte, die Lunte werde bringen müssen. Eure Neuigkeiten und die meinigen sind wie Flachs und Feuer, welche einander nicht begegnen, ohne in Flammen auszubrechen, oder wie gewisse chemische Substanzen, die nicht ohne eine Explosion gemischt werden können. Freunde, – Herren, – reitet mir dicht zur Seite; und wenn ich Euch sage, was sich im Bisthum Lüttich zugetragen hat, so werdet Ihr, denk' ich, der Meinung sein, daß König Ludwig eben so sicher eine Wanderschaft in die Hölle hätte unternehmen können, als diesen unzeitigen Besuch zu Péronne.«

Die beiden Herren hielten sich dicht dem Grafen zur Seite und hörten, mit halb unterdrückten Ausrufungen und Geberden der höchsten Verwunderung und Theilnahme seine Nachricht von den Vorgängen zu Lüttich und Schönwald an. Quentin ward alsdann hinzugerufen und immer von Neuem um die einzelnen Umstände bei des Bischofs Tod befragt, bis er sich endlich weigerte, noch irgend eine Frage zu beantworten, da er nicht wußte, wozu sie ihm noch vorgelegt wurden, oder welchen Nutzen seine Antworten haben könnten.

Sie erreichten nun die fruchtbaren ebenen Gestade der Somme und die alten Mauern der kleinen Stadt Péronne la Pucelle, so wie die ausgedehnten grünen Auen, welche sie umgaben, und die jetzt weiß erschienen von den zahlreichen Zelten der burgundischen Armee, die etwa fünfzehntausend Mann stark sein mochte.



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