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Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Die Explosion.

Da lauscht in Furcht und bangem Staunen Alles,
Wenn dem bestürzten Aug' ein jäher Blitz
Aus Mittag durch die Wolk' entgegen bricht.

Thomsons Sommer.

Das vorige Kapitel war, gemäß seinem Titel, zu einem Rückblick bestimmt, welcher dem Leser die Verhältnisse gehörig verständlich machen sollte, in denen der König von Frankreich und der Herzog von Burgund zu einander standen, als der erstere, theilweise vielleicht bewogen durch seinen Glauben an die Astrologie, welche sich für den Erfolg einer solchen Maßregel günstig aussprach, zum großen Theil auch ohne Zweifel durch die bewußte Ueberlegenheit seiner eignen Geisteskraft über die des Herzogs, den außerordentlichen und durch andre als die angegebenen Gründe fast unerklärlichen Entschluß gefaßt hatte, seine Person dem guten Glauben eines trotzigen und erbitterten Feindes anzuvertrauen – einen Entschluß, der um so unbedachtsamer und übereilter war, als es in jener stürmischen Zeit verschiedene Beispiele gab, welche zeigten, daß sichere Geleite, wie feierlich sie auch zugesagt waren, denjenigen, die sie schützen sollten, keine Sicherheit gewährt hatten; und in der That war die Ermordung des Großvaters des Herzogs auf der Brücke zu Montereau, die in Gegenwart des Vaters Ludwigs und bei einer Zusammenkunft stattfand, welche die Herstellung des Friedens und einer Amnestie bezweckte, ein schreckliches Vorbild, wenn der Herzog geneigt sein sollte, es zu erneuern.

Aber Karls Charakter, obwohl rauh, trotzig, hitzig und unnachgiebig, war dennoch, außer in den Ausbrüchen seiner Leidenschaft, nicht treulos und unedel, denn diese schlimmen Eigenschaften sind gewöhnlich kältern Naturen eigen. Er gab sich keine Mühe, dem König mehr Höflichkeit zu erzeigen, als die Gesetze der Gastfreundschaft ausdrücklich verlangten; aber andrerseits bewies er auch keineswegs die Absicht, ihre geheiligten Gränzen zu überspringen.

Am folgenden Morgen nach der Ankunft des Königs, fand eine allgemeine Musterung der herzoglich burgundischen Truppen statt, die so zahlreich und so trefflich ausgerüstet waren, daß es dem Herzog vielleicht gar nicht unlieb war, eine Gelegenheit zu haben, wo er sie vor seinem großen Nebenbuhler zur Schau stellen konnte. Und wirklich, als er das für einen Vasallen gegen den Souverain geziemende Kompliment äußerte, daß diese Truppen dem König, nicht sein gehörten, da zeigte der Zug seiner Oberlippe und der stolze Blick seines Auges das Bewußtsein, daß die Worte, deren er sich bediente, nur ein leeres Kompliment waren, und daß diese stattliche Armee, die zu seiner eignen unbeschränkten Verfügung stand, eben so bereit war gegen Paris, als nach jeder andern Richtung zu marschiren. Zu Ludwigs Verdruß mußte noch beitragen, daß er, als einen Theil des Heeres, viele Banner französischer Edelleute bemerkte, nicht allein aus der Normandie und Bretagne, sondern auch aus Provinzen, die seiner eignen Herrschaft unmittelbarer unterworfen waren, die nun, aus verschiedenen Gründen der Unzufriedenheit, mit dem Herzoge von Burgund gemeinschaftliche Sache machten.

Seinem Charakter getreu, schien jedoch Ludwig wenig Notiz von diesen Mißvergnügten zu nehmen, während er gleichwohl bei sich die verschiedenen Mittel erwog, durch welche er sie möglicherweise wieder von den Fahnen Burgunds abwendig machen und zu den seinigen zurückbringen könnte; zu diesem Ende beschloß er, diejenigen von ihnen, welchen er den meisten Einfluß zuschrieb, insgeheim durch Oliver und andre Agenten ausforschen zu lassen.

Er selber arbeitete fleißig, aber zu gleicher Zeit vorsichtig, daran, sich bei des Herzogs höhern Beamten und Räthen beliebt zu machen, wozu er die gewöhnlichen Mittel, vertrauliche und häufige Beachtung, gewandte Schmeichelei und Freigebigkeit, anwandte; dies geschah, seiner Erklärung zufolge, nicht, um ihre treuen Dienste ihrem edlen Herrn zu entfremden, sondern nur, damit sie ihren Beistand leihen möchten, um den Frieden zwischen Frankreich und Burgund zu bewahren, – einen Zweck, eben so trefflich an sich selbst, als vortheilhaft für die Wohlfahrt beider Länder und ihrer Beherrscher.

Die Beachtung von Seiten eines so großen und weisen Königs war schon an sich eine mächtige Bestechung; Versprechungen thaten viel, und direkte Geschenke, welche die Gewohnheiten der Zeit den burgundischen Höflingen unbedenklich anzunehmen gestatteten, thaten noch mehr. Während einer Eberjagd im Walde, indeß der Herzog, stets voll Eifer für seinen unmittelbaren Zweck, mochte es Geschäfte oder Vergnügen betreffen, sich ganz der Hitze der Jagd überließ, fand Ludwig, ungehindert durch jenes Gegenwart, die Mittel, insgeheim und unbemerkt mit so manchem von denen zu sprechen, welchen das Gerücht den meisten Einfluß bei Karl zuschrieb, und unter denen D'Hymbercourt und Comines nicht vergessen wurden; auch verfehlte er nicht, das zuvorkommende Benehmen, welches er diesen beiden ausgezeichneten Personen bewies, mit Lobsprüchen über den Muth und die Kriegskunde des erstern, und über die tiefe Weisheit und literarischen Talente des künftigen Historikers der Periode zu mischen.

Eine solche Gelegenheit, die Minister Karls persönlich zu gewinnen, oder, wenn der Leser dies vorzieht, zu bestechen, war es vielleicht, was sich Ludwig als hauptsächlichen Zweck seines Besuches vorgenommen hatte, wenn auch seine Kunst nicht ausreichen sollte, sich beim Herzog selbst einzuschmeicheln. Frankreich und Burgund standen in so genauer Beziehung zu einander, daß die meisten Edelleute des letztern Landes Hoffnungen oder wirkliche Interessen, die sich auf das erstere bezogen, hatten, und diese vermochte Ludwigs Gunst ebenso zu fördern, als sie sein Mißfallen vernichten konnte. Geschaffen für diese und jede andre Art der Intrigue, freigebig bis zur Verschwendung, wenn es zur Förderung seiner Plane nöthig war, und geschickt, seine Anträge und Geschenke im günstigsten Lichte erscheinen zu lassen, wußte der König durch gebotene Vortheile sich den Geist der Stolzen geneigt zu machen, und den wirklichen oder vorgeblichen Patrioten das gemeinsame Wohl Frankreichs und Burgunds als Zweck seines Strebens darzustellen: während das persönliche Interesse, gleich dem verborgenen Rade einer Maschine, deßwegen nicht minder mächtig wirkte, wenn gleich seine Triebkraft nicht äußerlich sichtbar war. Für einen Jeden hatte er einen passenden Köder, und eine besondere geeignete Weise, ihn anzubringen; er ließ den Lohn in den Aermel derjenigen gleiten, die zu stolz waren, die Hand auszustrecken, und dabei glaubte er fest, daß seine Gabe, obwohl sie gleich dem Thaue geräuschlos und unmerklich herabfiel, unfehlbar zu ihrer Zeit für den Geber eine reichliche Aerndte von gutem Willen zum wenigsten, vielleicht auch von guten Diensten hervorbringen würde. Kurz, obwohl er schon lange durch seine Minister sich den Weg gebahnt hatte, beim burgundischen Hofe einen Einfluß zu erlangen, der vortheilhaft für Frankreichs Interessen sein sollte, so thaten doch Ludwigs persönliche Bemühungen, ohne Zweifel auf vorher eingezogene Erkundigungen gegründet, in wenig Stunden für die Erreichung jenes Zweckes mehr, als seine Agenten in Jahren erreicht hatten.

Einen einzigen Mann vermißte der König, den er gerade vorzüglich gern für sich gewonnen hätte, und das war der Graf von Crèvecoeur, dessen festes Benehmen, während er als Gesandter in Plessis weilte, weit entfernt, Ludwigs Unwillen zu erregen, diesem vielmehr als ein Grund galt, sich womöglich seines Wohlwollens zu versichern. Es gereichte eben nicht zu seiner Beruhigung, als er erfuhr, daß der Graf an der Spitze von hundert Lanzen nach den brabantischen Gränzen gezogen war, um, wenn es nöthig wäre, dem Bischof gegen Wilhelm von der Mark und die mißvergnügten Unterthanen beizustehen; doch tröstete er sich damit, daß das Erscheinen dieser Macht, im Verein mit den Weisungen, die er durch treue Botschafter übersandt hatte, dazu dienen dürfte, unzeitige Unruhen in diesem Lande zu verhüten, deren Ausbruch, wie er vorhersah, seine jetzige Lage höchst bedenklich machen würde.

Der Hof speiste bei dieser Gelegenheit im Walde, als die Mittagsstunde kam, wie es bei dergleichen großen Jagdpartien gewöhnlich war; diese Einrichtung kam dem Herzog vorzüglich gelegen, welcher die ceremoniöse und unterwürfige Feierlichkeit gern umging, die er unter andern Umständen nothwendig gegen den König hätte beobachten müssen. In der That hatte sich des Königs Menschenkenntniß in einem Punkte bei dieser merkwürdigen Gelegenheit geirrt. Er glaubte, der Herzog würde sich ungemein geschmeichelt fühlen durch ein solches Zeichen der Herablassung und des Vertrauens von Seiten seines Lehensherrn; aber er vergaß, daß die Abhängigkeit dieses Herzogthums von der Krone Frankreich gerade der Gegenstand des bittersten Verdrusses für einen so mächtigen, reichen und stolzen Fürsten wie Karl war, dessen Absicht sicherlich dahin ging, ein unabhängiges Königreich zu stiften. Die Gegenwart des Königs am Hofe des Herzogs von Burgund versetzte diesen Fürsten in die Nothwendigkeit, sich in dem untergeordneten Charakter eines Vasallen zu zeigen, und viele Gebräuche der Lehensunterwürfigkeit und Abhängigkeit zu halten, die für einen so stolzen Mann als Herabwürdigung der Eigenschaft eines souverainen Fürsten erschienen, als welchen er sich bei allen Gelegenheiten so weit als möglich darzustellen strebte.

Obwohl es indeß möglich war durch ein Gastmahl auf grünem Rasen, beim Schall der Hörner, beim Becherklang und all der Freiheit, die ein Mahl im Walde gewährt, viele Ceremonien zu vermeiden, so ward es bei dem Abendmahle um so nöthiger, mehr als gewöhnliche Förmlichkeit zu beobachten.

Vorläufige Befehle in dieser Absicht waren gegeben, und bei der Rückkehr nach Péronne fand der König ein so glänzendes und prächtiges Banket veranstaltet, wie es von dem Reichthume seines furchtbaren Vasallen zu erwarten war, welcher fast die ganzen Niederlande (damals der reichste Theil Europa's) besaß. An dem obern Ende der langen Tafel, seufzend unter der Last des Gold- und Silbergeschirrs und verschwenderisch mit den erlesensten Leckerbissen versehen, saß der Herzog, und zu seiner Rechten, auf einem etwas höhern Stuhle als sein eigner, der königliche Gast. Hinter ihm stand zu einer Seite der Sohn des Herzogs von Geldern, der das Amt eines Obervorschneiders versah – an der andern Le Glorieux, sein Spaßmacher, der fast stets in seiner Nähe war; denn gleich den meisten Männern seines hastigen und rohen Charakters, huldigte Karl dem allgemeinen Geschmack seiner Zeit an Hofnarren und Spaßmachern aufs Aeußerste, – indem er dasselbe Vergnügen in ihrer Darlegung seltsamer Einfälle und geistiger Schwächen suchte, welches sein mehr scharfsinniger, obwohl nicht mehr wohlwollender Nebenbuhler lieber darin fand, daß er die menschlichen Unvollkommenheiten an edlern Individuen aufsuchte und Stoff der Belustigung fand an den »Besorgnissen der Tapfern und an den Thorheiten der Weisen«. Und in der That, wenn die von Brantôme erzählte Anekdote wahr ist, daß nämlich ein Hofnarr, welcher den König belauschte, als dieser gerade einen Anfall seiner reuigen Frömmigkeit hatte und das Geständniß ablegte, seinen Bruder Heinrich, Grafen von Guyenne, vergiftet zu haben, – daß jener Hofnarr dies am nächsten Tage bei der Tafel vor dem versammelten Hofe ausplauderte, so kann man vermuthen, daß der Monarch für sein ganzes übriges Leben an den Scherzen aller Spaßmacher von Handwerk mehr als zur Genüge hatte.

Bei gegenwärtiger Gelegenheit unterließ Ludwig jedoch nicht, dem begünstigten Narren des Herzogs Aufmerksamkeit zu schenken und seinen Antworten Beifall zu geben; er that dies um so eher, weil er in der Narrheit des Glorieux, wie grob sie sich auch zuweilen äußern mochte, mehr schlaue und kaustische Aeußerungen zu entdecken glaubte, als sonst bei Leuten seines Schlags gewöhnlich sind.

In der That, Tiel Wetzweiler, genannt Le Glorieux (Prahlhans), war keineswegs ein Spaßmacher gemeiner Art. Er war ein großer stattlicher Mann, in vielen Leibesübungen erfahren, die kaum mit geistiger Schwäche vereinbar schienen, weil ihre Erlernung Geduld und Aufmerksamkeit erforderte. Gewöhnlich begleitete er den Herzog auf der Jagd und im Kriege; und bei Montlhery, als Karl in bedeutender persönlicher Gefahr, am Halse verwundet und nahe daran war, von einem französischen Ritter, der seines Pferdes Zaum erfaßt hatte, gefangen zu werden, griff Wetzweiler den Gegner so tapfer an, daß er ihn überwältigte und seinen Herrn befreite. Vielleicht befürchtete er, daß dies als ein zu ernsthafter Dienst für eine Person seines Charakters angesehn werden, und ihm Feinde unter den Rittern und Edelleuten erwecken möchte, welche die Sorge für ihres Herrn Person einem Hofnarren überlassen hatten. Sei dem wie ihm wolle, er zog es vor, sich für seinen Dienst lieber belachen, als loben zu lassen, und gab so viele Gascognerprahlereien über seine Thaten in der Schlacht zum Besten, daß die meisten glaubten, die Rettung Karls sei eben so erdichtet, wie das Uebrige, was er erzählte; und auf diese Weise erhielt er eben den Titel, Le Glorieux, der ihm in der Folge immer blieb.

Le Glorieux war sehr reich gekleidet, aber trug nur wenig der üblichen Kennzeichen seines Berufs, und das Wenige deutete mehr symbolisch, als buchstäblich auf seinen Charakter. Sein Kopf war nicht geschoren, er trug eine Fülle langen lockigen Haars, welches unter seiner Kappe herabfiel und sich mit einem wohlgepflegten und zierlich gestutzten Barte vereinigte; dabei hätten seine Züge für hübsch gelten können, wäre ein gewisser verstörter Blick des Auges nicht gewesen. Ein Streif von Scharlachsammet, der von der Mütze herabhing, zeigte den Hahnenkamm, der das hauptsächliche Kennzeichen aller Narren von Profession war, mehr bildlich an, als er ihn wirklich vorstellen sollte. Sein Narrenstab aus Ebenholz war, wie gewöhnlich, mit einem Narrenkopf mit silbernen Eselsohren versehen; diese waren aber so klein und so zierlich angebracht, daß man das Ganze für den Amtsstab eines ernstern Würdenträgers hätte halten können, so lange man es nicht genauer betrachtete. Dies waren die einzigen Kennzeichen seines Amtes, die an der Kleidung bemerklich waren. In andrer Hinsicht war diese ganz gleich mit jener der edelsten Höflinge. An der Mütze bemerkte man eine goldene Schaumünze; um den Hals trug er eine Kette von demselben Metall; und der Schnitt seiner reichen Kleider war nicht phantastischer, als bei den jungen Zierbengeln, die in ihrer Kleidung die neueste Mode auf's Aeußerste darzulegen streben.

An diese Person wendete sich Karl und, nach dem Beispiel seines Wirths, auch Ludwig häufig während des Mahles; und beide schienen durch herzliches Lachen ihr Vergnügen über die Antworten des Glorieux an den Tag zu legen.

»Für wen sind jene leeren Stühle dort?« sagte Karl zum Spaßmacher.

»Einer davon sollte zum wenigsten mir gehören durch's Recht der Nachfolge, Karl,« erwiderte der Spaßmacher.

»Wie so, Schelm?« sagte Karl.

»Weil sie den Herren D'Hymbercourt und des Comines gehören, die so weit gegangen sind, um ihre Falken fliegen zu lassen, daß sie ihre Abendmahlzeit vergessen haben. Wer lieber einen Habicht im Fluge, als einen Fasan auf dem Tische sieht, ist dem Narren verwandt, und dieser hat demnach auf ihre Stühle Anspruch, als welche ein Theil ihres beweglichen Nachlasses sind.«

»Das ist nur ein schaler Witz, mein Freund Tiel,« sagte der Herzog; »aber hier, mögen sie Narren oder Weise sein, kommen die Säumigen.«

Bei diesen Worten traten Comines und D'Hymbercourt in den Saal und nahmen, nachdem sie den beiden Fürsten ihre Ehrfurcht bezeigt hatten, schweigend die für sie leer gelassenen Stühle ein.

»Ei, Ihr Herren!« rief der Herzog, sich an sie wendend, »Eure Jagd ist entweder sehr gut oder sehr schlecht gewesen, da sie Euch so sehr verspätet hat. Sir Philipp von Comines, Ihr seht so niedergeschlagen aus – hat D'Hymbercourt eine bedeutende Wette Euch abgewonnen? – Ihr seid ein Philosoph und solltet Euch um kein Mißgeschick grämen. – Bei St. Georg! D'Hymbercourt sieht eben so traurig. – Was bedeutet das, Ihr Herren? Habt Ihr keine Beute gefunden? Habt Ihr Eure Falken verloren? Oder ist Euch eine Hexe über den Weg gelaufen? Oder ist Euch der wilde Jäger im Walde begegnet? Bei meiner Ehre, Ihr seht aus, als kämt Ihr zu einem Leichenschmause statt zu einem frohen Festmahl.«

Während der Herzog sprach, waren Aller Augen auf Comines und D'Hymbercourt gerichtet; und die Verlegenheit und Niedergeschlagenheit ihrer Gesichter war, da sie keineswegs zu den Leuten gehörten, denen ein solcher Ausdruck der Traurigkeit natürlich eigen war, so auffallend, daß der Frohsinn und das Lachen der Gesellschaft, welches das schnelle Kreisen der Becher voll trefflichen Weines bedeutend gesteigert hatte, sich allmählig verlor; und ohne daß man einen Grund dieser Verwandlung angeben konnte, flüsterte Jeder mit dem Nachbar, als befände man sich am Vorabend der Entdeckung einer seltsamen und wichtigen Neuigkeit.

»Was bedeutet dies Schweigen, Messires?« sagte der Herzog mit erhobener Stimme, die ohnehin schon rauh war. »Wenn Ihr diese seltsamen Blicke und dies noch seltsamere Schweigen zum Feste bringt, so möchten wir wünschen, Ihr wäret noch in den Sümpfen und suchtet Reiher, oder vielmehr Schnepfen und Nachteulen.«

»Mein gnädigster Herr,« sagte Comines, »wir waren im Begriff, vom Walde hieher zurückzukehren, als wir den Grafen von Crèvecoeur trafen.«

»Wie!« sagte der Herzog: »bereits von Brabant zurück? – Doch er fand alles gut daselbst, nicht wahr?«

»Der Graf selbst wird Euch sogleich seine Neuigkeiten mittheilen,« sagte D'Hymbercourt, »welche wir selbst nur unvollkommen hörten.«

»Und wo ist der Graf?« sagte der Herzog.

»Er wechselt die Kleider, um sogleich vor Eurer Hoheit zu erscheinen,« antwortete D'Hymbercourt.

»Seine Kleider? Saint-bleu!« rief der ungeduldige Fürst, »was kümmern mich seine Kleider? Ich glaube, Ihr habt Euch mit ihm verschworen, mich toll zu machen.«

»Oder er wünscht vielmehr,« sagte Comines, »diese Neuigkeiten in einer Privataudienz mitzutheilen.«

» Teste-dieu! Herr König,« sagte Karl, »so ist immer die Weise, in der uns unsre Räthe bedienen. – Wenn sie irgend etwas erhascht haben, was sie für unser Ohr wichtig halten, so blicken sie so ernst drein und sind so stolz auf ihre Bürde, wie ein Esel auf einen neuen Packsattel. – Man heiße Crèvecoeur sogleich zu uns kommen! – Er kommt von den Gränzen Lüttichs, und wir, zum wenigsten« (er sprach das wir mit großem Nachdruck) »haben keine Geheimnisse in jenem Gebiet, die wir uns vor der ganzen Welt zu bekennen scheuen sollten.«

Alle merkten, daß der Herzog so viel Wein getrunken hatte, daß die natürliche Hartnäckigkeit seines Gemüths dadurch noch gesteigert war; und obwohl manche gern angedeutet hätten, daß die gegenwärtige Stunde sich gar nicht eignete, Neuigkeiten zu hören oder Rath zu halten, so kannten doch Alle den Ungestüm seines Temperaments zu gut, als daß sie fernere Einwendungen hätten wagen sollen, und so saßen sie in ängstlicher Erwartung der Zeitungen, die der Graf mitzutheilen haben könnte.

Eine kurze Pause fand statt, während welcher der Herzog begierig nach der Thüre blickte, als ob seine Ungeduld aufs Höchste gestiegen sei, indeß die Gäste ihre Augen auf den Tisch hefteten, als wollten sie ihre Neugier und Besorgniß verbergen. Ludwig allein behielt seine Fassung vollkommen, und setzte seine Unterhaltung mit dem Großvorschneider und dem Spaßmacher fort.

Endlich trat Crèvecoeur ein und ward sogleich mit der hastigen Frage seines Herren begrüßt: »Was Neues von Lüttich und Brabant, Herr Graf? – Das Gerücht Eurer Ankunft hat die Fröhlichkeit von unsrer Tafel verscheucht – wir hoffen, Eure wirkliche Gegenwart wird sie zurückbringen.«

»Mein Fürst und Herr,« antwortete der Graf in einem festen doch traurigen Tone, »die Neuigkeiten, die ich bringe, passen mehr für den Rathstisch, als für die festliche Tafel.«

»Heraus mit ihnen, Mann, und wenn es Zeitungen vom Teufel wären!« sagte der Herzog; »aber ich kann's errathen – die Lütticher sind wieder in Aufruhr.«

»Sie sind es, mein Fürst,« antwortete Crèvecoeur sehr ernst.

»Da seht, Mann,« sagte der Herzog, »ich habe es auf einmal heraus, was Ihr so sehr zu verkünden füchtetet – die hirntollen Bürger sind wieder in Waffen. Es konnte zu keiner bessern Zeit geschehn, denn wir können gleich den Rath unsers eignen Souverains erhalten (dabei verbeugte er sich gegen König Ludwig, mit Blicken, die den bittersten, obwohl unterdrückten Unwillen aussprachen), um uns zu lehren, wie man mit solchen Meuterern zu verfahren hat. Hast du noch mehr Neuigkeiten im Rückhalt? Heraus damit, und dann verantwortet Euch selber, warum Ihr nicht vorwärts gingt, um dem Bischof beizustehn.«

»Herr, die fernern Nachrichten fallen mir schwer zu verkündigen, und werden Euch traurig zu hören sein. – Weder meine Hilfe, noch die der ganzen lebendigen Ritterschaft, hätte dem trefflichen Prälaten helfen können. Wilhelm von der Mark, im Verein mit den aufsässigen Bürgern, hat sein Schloß Schönwald erstürmt und ihn in seiner eigenen Halle ermordet.«

» Ihn ermordet!« wiederholte der Herzog in einem tiefen und gedämpften Tone, aber trotzdem hörbar von einem Ende der Halle bis zum andern; »du hast dich durch ein schnödes Gerücht täuschen lassen, Crèvecoeur, es ist unmöglich!«

»Ach! Herr!« sagte der Graf, »ich habe es von einem Augenzeugen, einem Bogenschützen der schottischen Garde des Königs von Frankreich, der sich in der Halle befand, als der Mord auf Befehl Wilhelms von der Mark vollzogen ward.«

»Und der ohne Zweifel zu diesem schrecklichen Frevel Hilfe und Beistand leistete!« rief der Herzog, emporfahrend und so wüthend mit dem Fuße stampfend, daß er den Fußschemel in Stücke brach, der vor ihm stand. »Sperrt die Thüren dieses Saals, ihr Herren – sichert die Fenster – laßt keinen Fremden von seinem Stuhl aufstehn, bei Strafe augenblicklichen Todes! – Meine Kammerherrn, zieht eure Schwerter.« Und indem er sich gegen Ludwig wandte, näherte er seine eigne Hand langsam doch fest dem Griff seiner Waffe, während der König, ohne Furcht zu zeigen oder eine vertheidigende Stellung anzunehmen, nur sagte:

»Diese Neuigkeiten, lieber Vetter, haben Eure Vernunft erschüttert.«

»Nein!« erwiderte der Herzog in furchtbarem Tone, »aber sie haben einen gerechten Zorn erweckt, den ich zu lange aus nichtssagenden Rücksichten auf Ort und Umstände unterdrückt hielt. Mörder deines Bruders! – Rebell gegen deinen Vater! – Tyrann deiner Unterthanen! – verrätherischer Bundesgenosse! – meineidiger König! – Mann ohne Ehre! – Du bist in meiner Gewalt und ich danke Gott dafür.«

»Dankt es lieber meiner Thorheit,« sagte der König; »denn als wir uns unter gleichen Verhältnissen zu Montlhery trafen, wünschtet Ihr Euch, wie mich dünkt, weiter von mir entfernt, als es jetzt der Fall.«

Noch hielt der Herzog seine Hand am Schwertgriff, ohne jedoch die Waffe zu ziehen oder gegen einen Feind zu führen, der auf keine Weise irgend einen Widerstand blicken ließ, welcher zur Gewaltthat hätte reizen können.

Unterdessen herrschte durch die ganze Halle allgemeine Verwirrung. Die Thüren waren nach dem Befehl des Herzogs geschlossen und bewacht; aber verschiedene der französischen Ritter, so wenig ihrer auch waren, erhoben sich von ihren Sitzen und hielten sich bereit, ihren Fürsten zu vertheidigen. Ludwig hatte kein Wort weder mit Orleans noch mit Dunois gesprochen, seit sie aus ihrer Haft im Schlosse Loches befreit waren, wenn es Befreiung heißen konnte, in des Königs Gefolge, offenbar mehr als Gegenstände des Argwohns, denn einer ehrenvollen Aufmerksamkeit, mitgeschleppt zu werden; trotzdem aber hörte man die Stimme Dunois' zuerst in dem Tumulte, indem er sich an den Herzog von Burgund wandte. – »Herr Herzog, Ihr habt vergessen, daß Ihr ein Vasall Frankreichs seid, und daß wir, Eure Gäste, Franzosen sind. Wenn Ihr eine Hand gegen unsern Monarchen erhebt, so macht Euch gefaßt auf die verzweifeltste Gegenwehr von unsrer Seite; denn, glaubt mir, wir werden uns ebenso mit dem Blute Burgunds tränken, wie wir mit seinem Weine gethan haben. – Muth, Herzog von Orleans – und ihr, französische Herren, schaart euch um Dunois und thut, wie er thut!«

Dies war ein Augenblick, wo ein König sehen konnte, auf welche Gemüther er sicher bauen durfte. Die wenigen unabhängigen Ritter und Edelleute, welche Ludwigs Gefolge bildeten, und von denen die meisten nichts als Beweise der Ungnade von ihm empfangen hatten, beeilten sich, unerschrocken über die bedeutende Uebermacht der Gegner und über die Gewißheit des Untergangs, wofern es zum Streit kommen sollte, sich an Dunois anzuschließen, und drängten sich, von ihm geführt, zum obern Ende der Tafel, wo die streitenden Fürsten saßen.

Die Werkzeuge und Agenten hingegen, die Ludwig aus ihren niedern für sie passenden Verhältnissen gezogen und in Stellungen versetzt hatte, die ihnen nicht zukamen, zeigten Feigheit und Kälte, und schienen, ruhig auf ihren Sitzen bleibend, entschlossen, ihr Geschick nicht durch Einmischung in den Streit herausfordern zu wollen, was auch aus ihrem Wohlthäter werden möge.

Der erste unter der edler gesinnten Partei war der ehrwürdige Lord Crawford, der, mit einer Lebendigkeit, die sich von seinen Jahren kaum erwarten ließ, sich Bahn durch allen Widerstand brach (welcher um so minder heftig war, da viele von den Burgundern, sei es aus Ehrgefühl, oder aus geheimer Neigung, Ludwigs drohendes Unglück zu verhüten, ihm Platz machten,) und sich kühn zwischen den König und den Herzog stellte. Dann drückte er seine Mütze, unter der sein weißes Haar in zerstreuten Locken herabwallte, auf eine Seite seines Kopfes – seine bleiche Wange und die gefurchte Stirn erglühten, und sein altes Auge leuchtete mit all' dem Feuer eines jungen Ritters, der im Begriff ist, eine verzweifelte Handlung zu wagen. Sein Mantel war über eine Schulter geschlagen und seine Geberden zeugten von seiner Bereitwilligkeit zu kämpfen, indem er den Mantel um seinen linken Arm schlang, während er sein Schwert mit der Rechten aus der Scheide zog.

»Ich habe für seinen Vater und Großvater gefochten,« dies war Alles, was er sagte, »und, bei St. Andreas, ende die Sache, wie sie will, ich werde ihn in dieser Lage nicht im Stich lassen.«

Was hier einige Zeit kostete, um es zu erzählen, ereignete sich in der That mit Blitzesschnelle; denn sobald der Herzog seine drohende Stellung annahm, hatte sich auch gleich Crawford zwischen ihn und den Gegenstand seiner Rachgier geworfen; und die französischen Herren, sich so nahe als möglich zusammendrängend, sammelten sich an derselben Stelle.

Noch hielt der Herzog von Burgund die Hand am Schwerte und schien im Begriff, das Zeichen zu einem allgemeinen Kampfe zu geben, der nothwendig mit dem Untergange der schwächern Partei geendet haben müßte, wäre Crèvecoeur nicht aufgetreten, welcher mit lauter durchdringender Stimme rief: »Mein Lehensherr von Burgund, bedenkt was Ihr thut! Dies ist Eure Halle – Ihr seid des Königs Vasall – vergießt das Blut Eures Gastes nicht an Eurem Herde, nicht das Blut Eures Souverains auf dem Throne, den Ihr für ihn errichtet habt, und zu welchem er unter Eurem Schutze kam. Um der Ehre Eures Hauses willen, versucht nicht einen schrecklichen Mord durch einen andern noch schlimmern zu rächen!«

»Mir aus dem Wege, Crèvecoeur,« antwortete der Herzog, »und laß meiner Rache freien Lauf! – Aus dem Wege! – der Zorn der Herrscher ist zu fürchten wie der des Himmels.«

»Nur wenn er, gleich dem des Himmels, gerecht ist,« antwortete Crèvecoeur fest, – »laßt mich Euch bitten, Herr, die Heftigkeit Eures Temperaments zu zügeln, wie gerecht auch Euer Zorn sein möchte. – Und was euch betrifft, ihr Herren von Frankreich, so ist euer Widerstand nutzlos, ich empfehle euch daher, Alles zu unterlassen, was Blutvergießen herbeiführen könnte.«

»Er hat Recht,« sagte Ludwig, dessen Kaltblütigkeit ihn in diesem furchtbaren Augenblicke nicht verließ, und der leicht voraussah, daß man, käme es zum Handgemenge, größere Gewaltthaten in der Hitze wagen würde, als der Fall sein konnte, wenn der Friede bewahrt würde. – »Mein Vetter Orleans – lieber Dunois – und Ihr, mein treuer Crawford – bringt nicht Untergang und Blutvergießen durch voreilige Ereiferung zu Wege. Unser Vetter, der Herzog, ist erzürnt durch die Nachrichten vom Tode eines nahen und theuren Freundes, des ehrwürdigen Bischofs von Lüttich, dessen Mord wir mit ihm beklagen. Alte und unglücklicherweise auch neue Gegenstände des Argwohns flößen ihm den Verdacht ein, als hätten wir ein Verbrechen befördert, welches unser Herz verabscheut. Sollte unser Wirth uns auf dieser Stelle ermorden – uns, seinen König und Verwandten, den er fälschlich als Mitschuldigen jenes unseligen Vorfalls betrachtet, so wird durch euren Aufstand unser Schicksal wenig erleichtert, sondern im Gegentheil sehr erschwert werden. – Darum tretet zurück, Crawford. – Wäre es mein letztes Wort, ich spreche es als ein König zu seinem Offizier und verlange Gehorsam. – Tretet zurück, und wenn es verlangt wird, gebt eure Schwerter ab. Ich befehle euch, so zu thun, und euer Eid verbindet euch, zu gehorchen.«

»Wahr, wahr, mein Fürst,« sagte Crawford, zurücktretend und die halbentblößte Klinge in die Scheide stoßend, »es mag das Alles ganz wahr sein; aber, bei meiner Ehre, wär' ich an der Spitze von fünfzig meiner braven Leute, statt daß ich mit weit mehr als der nämlichen Zahl von Jahren beladen bin, so wollt' ich versuchen, ob ich von diesen stattlichen Herren, mit ihren goldnen Ketten und geschmückten Baretts, die so schön verbrämt und kostbar verziert sind, einige Genugthuung erhalten könnte.«

Der Herzog blieb, die Augen an den Boden geheftet, eine beträchtliche Weile stehen, und dann sagte er mit bitterem Spott: »Crèvecoeur, Ihr habt Recht; und es verlangt unsre Ehre, daß unsre Verbindlichkeiten gegen diesen großen König, unsern geehrten und theuren Gast, nicht so eilig erfüllt werden, als wir Anfangs in unserem heftigen Zorne beabsichtigten. Wir wollen so handeln, daß ganz Europa die Gerechtigkeit unseres Verfahrens anerkennen soll. – Ihr Herren von Frankreich, ihr müßt eure Waffen meinen Offizieren übergeben! Euer Herr hat den Waffenstillstand gebrochen und hat ferner keinen Anspruch, die Wohlthaten desselben zu genießen. Aus Achtung jedoch für euer Ehrgefühl und aus Rücksicht auf den Rang, den er entehrt, und das Geschlecht, welches er entwürdigt hat, wollen wir unserem Vetter Ludwig sein Schwert nicht abverlangen.«

»Keiner von uns,« sagte Dunois, »wird seine Waffe abgeben oder diesen Saal verlassen, ohne daß wir zum mindesten für die Sicherheit unseres Königs an Leib und Leben Bürgschaft haben.«

»Auch legt kein Mann von der schottischen Garde,« rief Crawford, »seine Waffen nieder, außer auf Befehl des Königs von Frankreich oder seines Großconnetables.«

»Tapferer Dunois,« sagte Ludwig, »und Ihr, mein treuer Crawford, euer Eifer wird mir schädlich statt nützlich sein. – Ich hoffe,« fügte er mit Würde hinzu, »auf meine gerechte Sache mehr als auf eitlen Widerstand. – Gebt eure Schwerter ab – die edlen Burgunder, die so ehrenwerthe Pfänder empfangen, werden mehr als ihr im Stande sein, euch und mich zu schützen. – Gebt eure Schwerter ab – ich befehl' es euch.«

So zeigte Ludwig, in dieser schrecklichen Bedrängniß, die Geistesgegenwart und klare Urtheilskraft, die allein ihm das Leben retten konnten. Er war überzeugt, daß er, bis es zum wirklichen Kampfe kam, den Beistand der meisten anwesenden Edelleute haben werde, um die Wuth ihres Fürsten zu mäßigen; sollte aber einmal das Handgemenge begonnen sein, so war es gewiß, daß er und seine wenigen Anhänger augenblicklich ermordet sein würden. Seine ärgsten Feinde gestanden ein, daß zu gleicher Zeit sein Benehmen weder Gemeinheit noch Feigheit verrathen habe. Er scheute sich, den Zorn des Herzogs zu rasender Wuth zu steigern; aber er wandte eben so wenig Bitten an, als er Furcht blicken ließ, sondern er fuhr fort, ihn so fest und ruhig anzublicken, wie ein vernünftiger Mann die drohenden Geberden eines Wahnsinnigen betrachtet, wohl wissend, daß seine eigene Festigkeit und Fassung eine unmerkliche aber kräftige Wirkung auf die Wuth des Wahnsinnes habe.

Crawford warf auf des Königs Befehl sein Schwert Crèvecoeur hin und sagte: »Nehmt es! und der Teufel gesegn' es Euch. – Es ist für den rechtmäßigen Eigenthümer keine Schande, es hinzugeben, denn wir hatten keinen ehrlichen Kampf.«

»Halt, ihr Herren,« sagte der Herzog mit so gebrochener Stimme, als hätte ihn die Leidenschaft fast der Sprache beraubt, »behaltet eure Schwerter; es genügt euer Versprechen, keinen Gebrauch davon zu machen. – Und Ihr, Ludwig von Valois, müßt Euch als meinen Gefangenen betrachten, bis Ihr Euch von dem Vorwurfe des Kirchenraubes und Mordes gereinigt habt. Führt ihn nach dem Schlosse – führt ihn in den Herbertsthurm. Er mag sechs Herren aus seinem Gefolge haben, die er sich selber wählen darf. – Mylord von Crawford, Eure Wachen müssen das Schloß verlassen und sollen anderswo anständig einquartirt werden. Jede Zugbrücke auf und jedes Fallgitter nieder – die Stadtthore werden dreifach besetzt. – Man ziehe die Schiffbrücke an das rechte Ufer des Flusses – meine schwarzen Wallonen sollen das Schloß umringen und alle Schildwachen werden verdreifacht auf jedem Posten! – Ihr, D'Hymbercourt, sorgt dafür, daß Patrouillen zu Pferd und zu Fuß jede halbe Stunde während der Nacht und jede Stunde am Tage die Runde durch die Stadt machen, wofern nämlich nach Tagesanbruch diese Vorsicht noch nöthig sein sollte, denn wir denken diese Sache schnell zu beendigen. – Wacht über die Person Ludwigs, so lieb euch euer Leben ist!«

Er stand in zorniger und wilder Hast von der Tafel auf, warf einen Blick voll tödtlicher Feindschaft auf den König und stürzte aus dem Gemach.

»Ihr Herren,« sagte der König, mit Würde um sich blickend, »Gram um den Tod seines Bundesgenossen hat euren Fürsten wahnsinnig gemacht. Ich hoffe, ihr kennt eure Pflicht als Ritter und Edelleute zu gut, um seine verrätherische Gewaltthat gegen die Person seines Lehensherrn zu fördern.«

In diesem Augenblicke hörte man in den Straßen Trommelschall und Hörnerklang, um die Soldaten zusammenzurufen.

»Wir sind,« sagte Crèvecoeur, der das Amt eines Marschalls am herzoglichen Hofe versah, »Unterthanen von Burgund und müssen unsre Pflicht als solche thun. Unsre Hoffnungen, Bitten und Anstrengungen werden dahin gehen, Frieden und Einigkeit zwischen Ew. Majestät und unserm Lehnsherrn zu stiften. Unterdeß müssen wir seinen Befehlen gehorchen. Diese andern Edelleute und Ritter werden stolz darauf sein, für die Bequemlichkeit des erlauchten Herzogs von Orleans, des tapfern Dunois und des wackern Lord Crawford Sorge zu tragen. Ich selber muß Eurer Majestät Kammerherr sein, und Euch zu Euren Gemächern bringen, die anders beschaffen sind, als ich es wünschte, wenn ich der Gastfreundschaft zu Plessis gedenke. Ihr habt blos Euer Gefolge zu wählen, welches des Herzogs Befehl auf sechs Personen beschränkt.«

»Dann,« sagte der König, im Kreise umherblickend und einen Augenblick nachsinnend, »dann wünsche ich dazu Oliver le Dain; einen meiner Leibgarde, genannt Balafré, der unbewaffnet sein kann, wenn Ihr wollt; Tristan l'Hermite, nebst zwei von seinen Leuten, – und meinen ehrenwerthen und getreuen Philosophen, Martius Galeotti.«

»Eurer Majestät Wille soll in all' diesen Punkten erfüllt werden,« sagte der Graf von Crèvecoeur. »Galeotti,« setzte er nach augenblicklicher Erkundigung hinzu, »befindet sich, wie ich höre, in lustiger Gesellschaft beim Abendessen, doch soll sogleich nach ihm geschickt werden; die Andern sind im Augenblick zu Eurer Majestät Befehl.«

»Vorwärts also, nach der neuen Wohnung, die uns die Gastfreundschaft unsers Vetters gewährt,« sagte der König. »Wir wissen, daß sie fest ist, und brauchen nur noch zu hoffen, daß sie in gleichem Grade sicher ist.«

»Hört Ihr, wen König Ludwig zu seinem Gefolge gewählt hat?« sagte der Glorieux halblaut zum Grafen Crèvecoeur, während sie Ludwig aus der Halle folgten.

»Freilich, mein lustiger Gevatter,« erwiderte der Graf, – »was hast du daran auszusetzen?«

»Nichts, nichts – nur daß es eine seltne Auswahl ist! – ein schuftiger Barbier – ein gemietheter schottischer Kehlabschneider – ein Henker nebst zwei Gehilfen und ein diebischer Charlatan. – Ich will mit Euch gehen, Crèvecoeur, und eine Lection in den Abstufungen der Schurkerei nehmen, indem ich Euer Geschick, jene einzuquartieren, beobachte. Der Teufel selber könnte kaum eine solche Synode berufen oder selber ein besserer Präsident dabei sein.«

Sonach begann der Spaßmacher, dem Alles gestattet war, indem er vertraulich des Grafen Arm faßte, mit ihm zu gehen, während er unter starker Bedeckung, ohne jedoch ein Zeichen der Ehrfurcht zu vergessen, den König nach seinem neuen Quartier geleitete.



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