Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsunddreißigstes Kapitel.
Der Auszug.

Dem Armen, der zum Tod verdammt,
Bleibt doch die Hoffnung treu,
Der Schmerz, der ihm das Herz durchflammt,
Erweckt Erwartung neu.

Hoffnung, gleich lichtem Fackelschein,
Verschönt den Weg ihm doch;
Je düsterer die Nacht bricht ein,
So heller strahlt sie noch.

Goldsmith.

Wenige Tage waren vergangen, als Ludwig, mit einem Lächeln befriedigter Rache, die Nachricht empfing, daß sein Liebling und Rathgeber, der Cardinal Balue, in einem Eisenkäfig seufze, der ihm kaum auf andre Weise, als auf dem Rücken liegend, zu ruhen verstatte; und darin mußte er, beiläufig gesagt, ohne Erbarmen fast zwölf Jahre bleiben. Die Hilfstruppen, die der Herzog von Ludwig verlangt hatte, waren gleichfalls eingetroffen; und er tröstete sich damit, daß ihre Zahl hinreichend sei, seine Person vor Gewaltthat zu schützen, wenn gleich zu beschränkt, um sich, wenn er dies beabsichtigt hätte, mit der großen burgundischen Armee zu messen. Auch sah er sich in Stand gesetzt, zu passender Zeit seinen Heirathsplan mit seiner Tochter und dem Herzog von Orleans wieder aufzunehmen; und obwohl er fühlte, wie unwürdig es sei, mit seinen edlen Pairs unter den Fahnen seines eignen Vasallen zu dienen, und zwar gegen diejenigen, deren Sache er begünstigt hatte, so ließ er sich doch durch diese Umstände nicht in Verlegenheit setzen, indem er hoffte, daß ihm die Zukunft Gelegenheit zur Vergeltung bieten werde. – »Denn der Zufall,« sagte er zu seinem getreuen Oliver, »mag wohl einen einzelnen Wurf gewinnen lassen, aber Geduld und Weisheit sind es, die am Ende das ganze Spiel gewinnen.«

Mit solchen Gedanken bestieg, an einem schönen Tage zu Ende der Erntezeit, der König sein Pferd; und gleichgiltig dagegen, daß er eher aussah, wie zum Triumphzug eines Siegers gehörig, als wie ein unabhängiger Herrscher, umgeben von seiner Leibwache und seiner Ritterschaft, ritt König Ludwig aus dem gothischen Thore von Péronne, um sich mit der burgundischen Armee zu vereinigen, welche zu gleicher Zeit ihren Marsch gegen Lüttich begann.

Die meisten der vornehmen Damen, die sich im Orte befanden, erschienen in ihrem besten Schmucke auf den Festungswerken am Thore, um den Zug tapferer Krieger, die sich zu der Unternehmung in Bewegung setzten, vorbeiziehen zu sehen. Dorthin hatte die Gräfin Crèvecoeur die Gräfin Isabelle geführt. Die letztere folgte sehr widerstrebend; aber Karl hatte ausdrücklich befohlen, daß sie, die den Preis im Turnier bieten sollte, auch für die Ritter, die in die Schranken ritten, sichtbar sei.

Als sie unter dem Bogen des Thores hervorzogen, erblickte man manches Banner und Schild, geschmückt mit neuen Devisen, die des Eigenthümers treuen Entschluß, sich um so schönen Preis zu bewerben, aussprachen. Hier war ein Renner abgebildet, der nach dem Ziele stürzt; hier ein Pfeil, der nach einem Punkte fliegt, – ein Ritter führte ein blutendes Herz, als Zeichen seiner Leidenschaft, – ein andrer einen Schädel und einen Lorbeerkranz, den Entschluß andeutend, zu siegen oder zu sterben. Noch viele Andere konnte man sehen, von denen einige so schlau verhüllt und tiefsinnig waren, daß sie auch dem scharfsinnigsten Entzifferer Mühe gemacht haben würden. Jeder Ritter nahm, wie sich denken läßt, seinen Renner aufs Beste zusammen und suchte möglichst stattlich im Sattel zu sitzen in dem Augenblicke, wo er vor der schönen Versammlung der Frauen und Jungfrauen vorbeiritt, welche den Muth der Ritter durch Lächeln und durch wehende Schleier und Tücher aufmunterten. Die Bogenschützengarde, aus der Blüthe der schottischen Nation ausgewählt, erwarb sich allgemeinen Beifall wegen ihrer Pracht und ihres ritterlichen Anstandes.

Und Einer befand sich unter diesen Fremdlingen, der es wagte, seine Bekanntschaft mit der Dame Isabelle offen anzudeuten, was keiner der vornehmsten unter den französischen Edelleuten gewagt hatte. Es war Quentin Durward, der, als er bei den Damen vorüberritt, der Gräfin von Croye auf der Spitze seiner Lanze den Brief ihrer Tante überreichte.

»Nun, bei meiner Ehre,« sagte der Graf von Crèvecoeur, »das ist allzu unverschämt für einen unbedeutenden Abenteurer!«

»Nennt ihn nicht so, Crèvecoeur,« sagte Dunois; »ich habe guten Grund, seine Tapferkeit zu bezeugen – und zwar in Bezug auf diese Dame.«

»Ihr macht Worte um nichts,« sagte Isabelle, vor Scham, theils aber auch vor Unwillen erröthend; »es ist ein Brief von meiner unglücklichen Verwandten. – Sie schreibt freundlich, obwohl ihre Lage schrecklich sein muß.«

»Laßt uns doch hören, was des Ebers Gemahlin sagt,« rief Crèvecoeur.

Die Gräfin Isabelle las den Brief, worin ihre Tante entschlossen schien, die beste Miene zum bösen Spiel zu machen, und sich selbst für die Hast und das Unfeierliche ihrer Vermählung mit dem Glücke zu trösten, daß sie mit einem der tapfersten Männer seiner Zeit verbunden sei, der durch seine Tapferkeit so eben ein Fürstenthum erlangt hatte. Sie bat ihre Nichte, über ihren Wilhelm (so nannte sie ihn) nicht nach dem Gerede Anderer zu urtheilen, sondern zu warten, bis sie ihn persönlich kenne. Er habe vielleicht seine Fehler, aber sie wären von der Art, wie sie stets bei Charakteren sich fänden, die sie immer verehrt habe. Wilhelm sei dem Wein etwas ergeben, so war auch ihr Großvater, der tapfre Gottfried; – er wäre etwas voreiligen und sanguinischen Temperaments, aber so sei ihr Bruder Reinold, gesegneten Andenkens, auch gewesen; er sei geradezu in der Rede, aber wenige Deutsche wären anders; er sei etwas eigenwillig und befehlshaberisch, aber sie glaube, alle Männer herrschten gern. Es folgte noch Mehreres in derselben Absicht, und das Ganze schloß mit der Hoffnung und Bitte, daß Isabelle mit Hilfe des Ueberbringers dem burgundischen Tyrannen entfliehen und zum Hofe ihrer treuen Verwandten nach Lüttich kommen solle, wo einige kleine Streitigkeiten in Bezug auf ihr beiderseitiges Recht auf die Nachfolge in der Grafschaft leicht dadurch beigelegt werden könnten, daß Isabelle Graf Eberson heirathe – ein Bräutigam, der allerdings jünger als die Braut sei; aber dieser Umstand wäre, wie sie (die Gräfin Hameline) vielleicht aus Erfahrung behaupten könne, weit leichter zu ertragen, als Isabelle sich vorstellen könne.

Hier hielt die Gräfin Isabelle inne, da die Aebtissin bemerkte, daß sie schon völlig genug von dergleichen weltlichen Eitelkeiten gelesen habe, während der Graf Crèvecoeur ausrief: »ei über die betrügerische Hexe! – dieser Rath riecht so ranzig, wie der geröstete Käse in einer Rattenfalle. – Pfui, und nochmals pfui, über die alte Lockente!«

Die Gräfin von Crèvecoeur tadelte ihren Gemahl ernstlich um dieser harten Ausdrücke. »Die Gräfin Hameline,« sagte sie, »muß von Wilhelm von der Mark durch einen Anstrich von Höflichkeit getäuscht worden sein.«

»Er soll Höflichkeit heucheln!« sagte der Graf, »ich spreche ihn von aller Verstellung frei. Ihr könnt eben so gut Höflichkeit von einem wirklichen wilden Eber erwarten – Ihr könnt eben so gut alte rostige Eisenstäbe zu vergolden suchen. Nein – so sehr sie auch Thörin ist, so ist sie doch nicht Gans genug, sich in den Fuchs zu verlieben, der nach ihr schnappt, und zwar in seiner eignen Höhle. Aber ihr Weiber seid alle gleich – schöne Worte verführen euch – und ich wage zu behaupten, daß meine artige Nichte hier vor Ungeduld brennt, ihre Tante in jenem Narrenparadiese aufzusuchen und den Frischling des Ebers zu heirathen.«

»So wenig ich solcher Thorheit fähig bin,« sagte Isabelle, »so sehr verlangt mich, daß Rache an den Mördern des trefflichen Bischofs genommen werde, da dies auch zu gleicher Zeit meine Verwandte aus der Gewalt des Schurken befreien wird.«

»O, da spracht Ihr des Hauses Croye würdig!« rief der Graf; und nun wurde des Briefes nicht weiter gedacht.

Aber während Isabelle den Brief der Tante ihren Freunden las, so muß bemerkt werden, daß sie es nicht für nöthig hielt, ein gewisses Postscript mitzutheilen, worin die Gräfin Hameline, nach Frauenart, über ihre Beschäftigung sprach, und ihrer Nichte Nachricht gab, daß sie für jetzt ein Ueberkleid bei Seite gelegt habe, welches sie für ihren Gemahl fertige, und welches das Wappen von Croye und das von der Mark in ehelicher Form darstelle, weil ihr Wilhelm aus Klugheit den Beschluß gefaßt habe, im ersten Gefecht Andere in seinen Waffenrock zu kleiden und für sich selbst das Wappen von Orleans mit einem schrägen Balken, – oder mit andern Worten, das Wappen von Dunois anzunehmen. Auch behielt sie noch ein Streifchen Papier in der andern Hand, dessen Inhalt sie gleichfalls nicht gern mittheilen mochte, da es einfach diese Worte umfaßte: »wenn Ihr nicht bald etwas von mir hört, und zwar durch die Trompete der Fama, so glaubt, ich sei gestorben, aber nicht unwürdig.«

Ein Gedanke, bisher als ganz unglaublich von ihr verworfen, drängte sich jetzt mit doppelter Kühnheit in ihre Seele. Da es den Frauen selten an Mitteln gebricht, so richtete sie es so ein, daß, vor dem völligen Abzuge der Truppen, Quentin Durward von unbekannter Hand das Schreiben der Gräfin Hameline erhielt, mit drei Kreuzen dem Postscript gegenüber, worunter diese Worte standen: »Er, der das Wappen Orleans nicht fürchtete, als es sich auf des Eigners Brust selbst befand, kann auch nicht davor beben, wenn es sich auf der eines Tyrannen und Mörders zeigt.« Der junge Schotte drückte diese Nachricht tausend und abertausend Mal an seine Brust; denn sie führte ihn auf den Pfad, wo Liebe und Ehre ihm ihren Lohn darboten, und setzte ihn in Besitz eines andern unbekannten Geheimnisses, mittelst dessen er den erkennen konnte, dessen Tod allein seine Hoffnungen beleben konnte, und dieß beschloß er sorgfältig in seiner eignen Brust zu verschließen.

Aber Durward sah die Nothwendigkeit ein, in Hinsicht der ihm von Hayraddin mitgetheilten Nachricht anders zu handeln, da der von Wilhelm von der Mark beabsichtigte Ausfall, wenn man dagegen nicht sehr auf der Hut war, leicht den völligen Untergang des Heeres der Belagerer nach sich ziehen konnte; so schwer war es bei der unregelmäßigen Art der Kriegführung in jenen Zeiten, sich von einem nächtlichen Ueberfalle zu erholen. Nachdem er die Sache reiflich bedacht, entschloß er sich, diese Kunde nur persönlich und zwar den beiden Fürsten zugleich mitzutheilen; vielleicht weil er fühlte, daß, wofern er einen so wohl ausgedachten, glücklichen Plan Ludwig privatim mittheilte, dies für die zweideutige Treue dieses Monarchen eine zu starke Versuchung sein und ihn verleiten möchte, den beabsichtigten Ausfall eher zu fördern, als zurückzutreiben. Er beschloß daher, eine günstige Gelegenheit abzuwarten, das Geheimniß bei einer Zusammenkunft zwischen Ludwig und Karl zu entdecken, welche sich freilich nicht bald zeigen zu können schien, da beide kein großes Gefallen an dem Zwange fanden, den Jedem des Andern Gesellschaft auflegte.

Unterdessen ging der Marsch weiter und die Verbündeten betraten bald das Gebiet von Lüttich. Hier zeigten die burgundischen Truppen, wenigstens ein Theil derselben, der aus jenen Banden bestand, welche den Namen Ecorcheurs oder Schinder bekommen hatten, durch die schlechte Behandlung, die sie unter dem Vorwande, den Tod des Bischofs zu rächen, den Einwohnern widerfahren ließen, daß sie diesen Ehrennamen wohl verdienten. Ihr Benehmen war aber für die Sache Karls von Nachtheil; die geplagten Einwohner, welche sich außerdem passiv im Kampfe verhalten haben würden, ergriffen jetzt die Waffen zur Vertheidigung, und hielten den Zug des Heeres auf, indem sie kleine Truppe abschnitten und sich im Angesicht des Hauptheeres in die Stadt zurückzogen, und so die Zahl und Verzweiflung derjenigen vermehrten, welche entschlossen waren, sie zu vertheidigen. Die Franzosen, gering an Zahl, aber ausgewählte Truppen des Landes, hielten sich, gemäß der Befehle des Königs, immer zu ihren Fahnen und beobachteten die strengste Mannszucht; ein Kontrast, welcher Karl's Argwohn verstärkte, der nicht umhin konnte, zu bemerken, daß sich Ludwigs Truppen mehr so benähmen, als ob sie Freunde der Lütticher, nicht aber Verbündete der Burgunder wären.

Endlich gelangte das Heer, ohne ernstlichen Widerstand zu erfahren, in das reiche Thal der Maas und in's Angesicht der großen und volkreichen Stadt Lüttich. Das Schloß Schönwald fanden sie gänzlich zerstört und hörten, daß Wilhelm von der Mark, dessen glänzende Eigenschaften blos kriegerischer Art waren, sich mit seiner ganzen Macht in die Stadt geworfen hatte, und entschlossen sei, ein Zusammentreffen mit der französischen und burgundischen Ritterschaft im offenen Felde zu vermeiden. Aber die Anrückenden erfuhren sehr bald die Gefahr, die mit dem Angriffe einer großen, wenn auch offenen Stadt stets verbunden ist, sobald die Einwohner entschlossen sind, sie hartnäckig zu vertheidigen.

Ein Theil des burgundischen Vortrabs, welcher sich einbildete, daß er, bei dem Zustande der durchbrochenen und theilweise zerstörten Stadtmauern, nur nach Belieben in Lüttich einziehen könne, drang in eine der Vorstädte mit dem lauten Rufe: »Burgund! Burgund! tödtet! tödtet! Alles ist unser! – denkt an Ludwig von Bourbon!« da sie jedoch so in Unordnung durch die engen Gassen zogen, und sich zum Theil der Plünderung wegen zerstreut hatten, brach plötzlich ein starker Trupp Einwohner aus der Stadt hervor, fiel wüthend über sie her und richtete eine bedeutende Niederlage an. Wilhelm von der Mark benutzte sogar die Breschen in den Mauern, welche den Vertheidigern gestatteten, auf verschiedenen Punkten auszufallen und, indem sie mehrere verschiedene Wege nach der Vorstadt nahmen, um die man kämpfte, die Angreifenden wieder von vorn, in den Seiten und im Rücken auf einmal anzugreifen, so daß diese, durch den heftigen, plötzlichen und verstärkten Widerstand außer Fassung gebracht, sich kaum bei ihren Fahnen behaupten konnten. Der einbrechende Abend machte ihre Verwirrung nur größer.

Als man diese Nachrichten dem Herzog Karl hinterbrachte, gerieth er außer sich vor Wuth, und ließ sich nicht durch das Anerbieten Ludwigs besänftigten, die französischen Gewappneten in die Vorstädte zu schicken und den burgundischen Vortrab zu befreien und zurück zu führen. Nachdem er mit kurzen Worten dieses Anerbieten verworfen, wollte er sich selbst an die Spitze seiner eignen Garden stellen; aber D'Hymbercourt und Crèvecoeur baten ihn dringend, dies Geschäft ihnen zu überlassen, und indem sie sich so auf zwei Punkten nach dem Schlachtfelde begaben, nachdem sie bessere Anstalten zu wechselseitiger Hilfe getroffen, gelang es diesen beiden berühmten Anführern, die Lütticher zurückzuwerfen und den Vortrab zu befreien, welcher außer den Gefangenen nicht weniger als achthundert Mann verlor, worunter sich etwa hundert Geharnischte befanden. Die Gefangenen waren jedoch nicht zahlreich, da die meisten durch D'Hymbercourt befreit worden waren, der nun Anstalt traf, die bestrittene Vorstadt zu besetzen und der Stadt gegenüber Wachen aufzustellen, von welcher jene durch einen offenen Raum oder Esplanade von fünf bis sechshundert Schritten getrennt war, worauf der Vertheidigung wegen keine Gebäude standen. Auch war zwischen Stadt und Vorstadt kein Graben, da der Boden hier sehr felsig war. Ein Thor befand sich im Angesichte der Vorstadt, aus dem sich leichtlich Ausfälle machen ließen, und die Mauer war durch zwei oder drei solcher Breschen durchbrochen, welche Herzog Karl nach der Schlacht bei St. Tron hatte machen lassen, und die in der Eile blos durch hölzerne Barrikaden wieder ausgebessert worden waren. D'Hymbercourt richtete zwei Stück Geschütz auf das Thor, und zwei andere stellte er gegen die Bresche auf, um jeden Ausfall aus der Stadt zurückzutreiben; dann kehrte er zur burgundischen Armee zurück, die er in großer Unordnung fand.

In der That war auch das Hauptcorps und der Nachtrab der zahlreichen Armee des Herzogs immerfort vorgerückt, indeß der zurückgetriebene geschlagene Vortrab im Rückzuge begriffen war, und so trafen nun beide, zu großer Verwirrung von beiden, aufeinander. D'Hymbercourt's nothwendige Abwesenheit, der alle Geschäfte des Feldmarschalls, oder wie wir sagen würden, des Generalquartiermeisters zu besorgen hatte, vermehrte die Unordnung, und um das Ganze vollkommen zu machen, sank eine Nacht herab, so dunkel wie ein Wolfsrachen. Zugleich fiel ein starker heftiger Regen und der Boden, auf welchem die Belagerungsarmee Posto fassen mußte, war morastig und von vielen Kanälen durchschnitten. Es ist kaum möglich, sich eine Vorstellung zu machen von der Verwirrung, welche unter dem burgundischen Heere herrschte, wo Führer von ihren Soldaten, und Soldaten von ihren Fahnen und Officiren getrennt wurden, wo jeder, von dem Höchsten bis zum Niedrigsten, Zuflucht und Bequemlichkeit suchte, wo er sie finden konnte, wo der Ermattete und Verwundete, der in der Schlacht gewesen war, umsonst sich nach Obdach und Erquickung sehnte; während hingegen diejenigen, die nichts von dem Unglücke wußten, vorwärts drängten, um auch an der Plünderung des Ortes Theil zu nehmen, die, wie sie glaubten, bereits lustig vor sich ging.

Als D'Hymbercourt zurückkehrte, hatte er ein unglaublich schwieriges Werk zu vollbringen, und da ihn die Vorwürfe seines Gebieters kränkten, der keine Rücksicht auf die weit nöthigere Pflicht nahm, die ihn beschäftigt hatte, konnte der tapfere Officier bei diesen ungegründeten Vorwürfen sich endlich nicht länger beherrschen, sondern sagte: »Ich wollte im Vortrab wieder einige Ordnung herstellen und ließ die Hauptarmee unter Eurer eignen Leitung; und nun bei meiner Rückkehr muß ich finden, daß wir weder Fronte, noch Flanke, noch Nachtrab mehr haben, so außerordentlich ist die Verwirrung.«

»Wir haben viel Aehnlichkeit mit einem Häringsfäßchen,« antwortete Glorieux, »das ist der natürliche Vergleich einer flämischen Armee.«

Die Rede des Spaßmachers machte den Herzog lachen und verhinderte vielleicht einen weitern Zwist zwischen ihm und seinem General.

Mit großer Anstrengung wurde ein kleines Lusthaus oder die Landwohnung eines reichen Lütticher Bürgers von denen gesäubert, die sie schon in Besitz genommen hatten, und zur Bequemlichkeit des Herzogs und seines unmittelbaren Gefolges eingerichtet; D'Hymbercourt's und Crèvecoeur's Ansehn gelang es endlich, auch eine Wache von ungefähr vierzig Kriegern in der Nähe aufzustellen, welche ein großes Feuer anzündeten, genährt mit dem Holzwerk der Nebengebäude, die sie zu diesem Behuf niederrissen.

Ein wenig links von dieser Villa, und zwischen dieser und der Vorstadt, die, wie wir bemerkten, dem Stadtthore entgegengesetzt stand und von dem burgundischen Vortrabe besetzt gehalten wurde, lag ein anderes Landhaus von einem Garten und Hofe umgeben, welches noch zwei oder drei kleine Stücke Landes in seiner Umzäunung hinter sich hatte. In diesem schlug der König von Frankreich sein Hauptquartier auf. Er selbst machte auf den Namen eines Kriegers keinen weitern Anspruch, als insofern ihn eine angeborne Gleichgültigkeit gegen die Gefahr und ein großer Scharfblick dazu geeignet machte; allein er war stets darauf bedacht, die Geschicktesten in diesem Fache anzustellen, und setzte auf sie ganz das Vertrauen, das sie verdienten. Ludwig und sein unmittelbares Gefolge nahmen dieses Haus ein, ein Theil seiner schottischen Garde wurde in den Hof gelegt, wo es Nebengebäude und Schuppen gab, um sie vor dem Wetter zu schützen, die Uebrigen hatte man in dem Garten untergebracht; der Rest der französischen Truppen lag dicht und in guter Ordnung bei einander, mit ausgestellten Lärmposten, im Fall sie etwa einen Angriff zu bestehen haben sollten.

Dunois und Crawford, unterstützt von einigen Officieren und Soldaten, unter denen sich Balafré durch seine Thätigkeit vorzüglich auszeichnete, kamen auf den Einfall, durch Niederreißen von Mauern, durch Ausfüllung von Gräben, durch Anbringung von Oeffnungen in den Zäunen u. s. w. die Verbindung der Truppen unter sich selbst und das außerordentliche Zusammenziehen des Ganzen im Falle der Nothwendigkeit zu erleichtern.

Unterdessen hielt es der König für rathsam, ohne weitere Ceremonie sich in das Hauptquartier des Herzogs von Burgund zu begeben, um zu erfahren, welchem Plane man folgen wolle, und welche Mitwirkung von ihm erwartet werde. Seine Gegenwart gab Anlaß, eine Art von Kriegsrath zu halten, woran sonst Karl wohl nicht im Traum gedacht hätte.

Jetzt war es, wo Quentin Durward dringend bat, vorgelassen zu werden, da er den beiden Fürsten etwas höchst Wichtiges mitzutheilen habe. Dieß ward ihm ohne große Schwierigkeit gewährt, und groß war das Erstaunen Ludwigs, als er ihn ruhig und bestimmt den Plan Wilhelms von der Mark berichten hörte, unter französischer Verkleidung und Fahne einen Ausfall gegen das Lager des Feindes zu machen. Ludwig hätte allerdings gern diese wichtige Nachricht für sich allein vernommen; aber da die ganze Geschichte schon öffentlich erzählt war, bemerkte er blos, »daß eine solche Nachricht, möge sie nun wahr oder falsch sein, sehr wesentlich für sie sei.«

»Nicht im Mindesten!« sagte der Herzog sorglos; »wäre ein solcher Plan, wie ihn der junge Mann beschreibt, wirklich gefaßt worden, so würde er mir nicht durch einen Bogenschützen der schottischen Garde mitgetheilt worden sein.«

»Wie dem auch sei,« antwortete Ludwig, »ich bitte Euch, lieber Vetter, Euch und Eure Feldherren, darauf zu achten, daß ich, um die unangenehmen Folgen eines solchen Angriffs, wenn er plötzlich stattfinden sollte, zu verhindern, meine Soldaten weiße Feldbinden über ihrer Rüstung werde tragen lassen – Dunois, laßt sie sogleich austheilen – das heißt,« fügte er hinzu, »wenn es unser Bruder und Feldherr billigt.«

»Ich habe nichts dagegen,« erwiderte der Herzog, »wenn die französische Ritterschaft sich der Gefahr aussetzen will, den Namen der Ritter vom Weiberärmel zu tragen, den sie in Zukunft erhalten werden.«

»Es würde das ein recht passender Titel sein, Freund Karl,« sagte Glorieux, »in Hinsicht, daß ein Weib der Lohn des Tapfersten ist.«

»Wohlgesprochen, Ew. Weisheit,« sagte Ludwig – »Vetter, gute Nacht, ich gehe mich zu rüsten. – Beiläufig, wenn ich nun die Gräfin mit meiner eignen Hand gewinne?«

»Ew. Majestät,« sagte der Herzog mit veränderter Stimme, »muß dann ein treuer Flamänder werden.«

»Ich kann,« sagte Ludwig im Tone des aufrichtigsten Vertrauens, »dies nicht mehr werden, als ich es schon bin, könnte ich nur Euch, lieber Vetter, zu dem Glauben bringen.«

Der Herzog antwortete dem König bloß durch ein »gute Nacht,« und zwar in einem Tone, der dem Schnauben eines wilden Rosses glich, wenn es vor den Liebkosungen eines Reiters zurückbebt, der aufsteigen will und es zum Stillstehn zu bringen sucht.

»Ich könnte all' seine Zweideutigkeiten vergeben,« sagte der Herzog zu Crèvecoeur, »aber ich kann es ihm nicht verzeihn, daß er mich für so dumm hält, als könnt' ich mich durch seine Betheurungen täuschen lassen.«

Auch Ludwig besprach sich noch vertraulich mit Oliver le Dain, nachdem er in sein eigenes Quartier zurückgekehrt war. – »Dieser Schotte,« sagte er, »ist ein solches Gemisch von Schlauheit und Einfalt, daß ich gar nicht weiß, was ich aus ihm machen soll. Pasques-dieu! Bedenke nur die unverzeihliche Thorheit, den Plan Wilhelms von der Mark im Angesichte des Herzogs, Crèvecoeurs und all dieser Leute zu erzählen, statt ihn mir in's Ohr zu raunen, und so die Wahl zu lassen, ob ich ihn unterstützen oder fördern wollte.«

»Es ist besser, so wie es ist, Sire,« sagte Oliver; »es sind so manche unter Eurem jetzigen Gefolge, welche Bedenken tragen würden, den Herzog von Burgund ohne Ausforderung zu überfallen, oder sich mit Wilhelm von der Mark zu verbinden.«

»Du hast Recht, Oliver. Solche Narren gibt's in der Welt, und wir haben jetzt keine Zeit, ihre Bedenklichkeiten durch eine kleine Dosis Eigennutz zu versöhnen. Wir müssen treue Leute sein und gute Bundesgenossen Burgunds, zum wenigsten für diese Nacht, – die Zeit gibt uns wohl noch Gelegenheit zu besserem Spiel. Geh; bestelle, daß sich kein Mann entwaffnet, und im Nothfalle sollen sie eben so scharf auf die schießen, welche rufen: Frankreich und St. Denis, als wenn sie riefen: Höll' und Satan! Ich selbst werde in meiner Rüstung schlafen. Laß Crawford den Quentin Durward auf den äußersten Punkt unserer Postenlinie stellen, zunächst der Stadt. Er mag die erste Wohlthat des Ausfalls genießen, den er uns gemeldet hat – kommt er glücklich davon, desto besser für ihn. Aber hab' ein besonderes Auge auf Martius Galeotti, und sieh, daß er im Nachtrabe bleibt, wo er sich vollkommen in Sicherheit befindet, – er ist etwas zu wagehalsig, und könnte, als ein Narr, Philosoph und Schwertführer zugleich sein wollen. Sorge für Alles dieß, Oliver, und nun gute Nacht. – Unsre Frau von Cléry und Monseigneur St. Martin von Tours mögen meinem Schlummer gnädig sein.«



 << zurück weiter >>