Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierundzwanzigstes Kapitel.
Die Gefangennahme.

Frei oder nicht, – doch bin ich euer Gefangner;
Behandelt mich, wie Edelsinn gebeut –
Denkt, daß das Kriegsglück euch auch einst kann bringen
Dahin, wohin ich gekommen – in die Zahl
Armer Gefangner.

Ungenannter.

Das Scharmützel zwischen den schwarzen Reitern und den burgundischen Kriegern währte kaum fünf Minuten, so schnell wurden jene von den letztern durch Ueberlegenheit an Bewaffnung, Pferden und kriegerischem Geiste überflügelt. In weniger als der erwähnten Zeit kam der Graf von Crèvecoeur, sein blutiges Schwert an der Mähne seines Rosses abwischend, eh' er's in die Scheide steckte, an den Saum des Waldes zurück, wo Isabelle als Zuschauerin des Gefechtes geblieben war. Ein Theil seiner Leute folgte ihm, während der andere fortfuhr, den flüchtigen Feind eine kleine Strecke auf der Heerstraße zu verfolgen.

»Es ist eine Schmach,« sagte der Graf, »daß die Waffen von Rittern und Herren mit dem Blute jener brutalen Schweine besudelt werden müssen.«

So sagend steckte er sein Schwert in die Scheide und fügte hinzu: »Dies ist ein rauhes Willkommen in der Heimat, mein artiges Fräulein, aber irrende Prinzessinnen müssen solche Abentener erwarten. Und wohl kam ich zur rechten Zeit, denn dies kann ich Ench versichern, die schwarzen Reiter respektiren die Krone einer Gräfin so wenig als die Haube eines Bauernweibs, und mich dünkt, Euer Gefolge ist zu besonderem Widerstand nicht geeignet.«

»Mein Herr Graf,« sagte Fräulein Isabelle, »ohne weitere Vorrede laßt mich wissen, ob ich eine Gefangne bin, und wohin Ihr mich führen werdet.«

»Ihr wißt, thörichtes Kind,« antwortete der Graf, »wie ich diese Frage beantworten würde, wenn es auf mich selbst ankäme. Aber Ihr und Eure närrische, ehestiftende, heirathsüchtige Verwandte habt neuerdings so wilden Gebrauch von euren Schwingen gemacht, daß ich fürchte, Ihr werdet Euch begnügen müssen, sie eine Zeit lang nur im Käfig zu schwingen. Was mich betrifft, so wird meine Pflicht, und es ist eine traurige, geendet sein, wenn ich Euch nach dem Hofe des Herzogs zu Péronne begleitet habe; deshalb halte ich es übrigens für nothwendig, den Befehl über dieses Recognoscirungscorps meinem Neffen, Graf Stephan, zu übertragen, während ich mit Euch dorthin zurückkehre, wo Ihr wahrscheinlich eines Fürsprechers bedürfen werdet – und ich hoffe, der junge Springinsfeld wird sich seiner Pflicht klug entledigen.«

»Gefällt es Euch, lieber Oheim,« sagte Graf Stephan, »so bleibt, wenn Ihr an meiner Fähigkeit, die Krieger zu befehligen, zweifelt, selbst bei ihnen, und ich werde der Diener und Beschützer der Gräfin Isabelle von Croye sein.«

»Ohne Zweifel, lieber Neffe, würde dies eine gute Verbesserung meines Planes sein,« antwortete sein Oheim; »doch mich dünkt, es ist auch gut, ich führ' ihn so aus, wie ich ihn entwarf. Erinnert Euch daher, daß Euer Geschäft hier nicht ist, jene schwarzen Säue zu hetzen und zu ersticken, wofür Ihr noch eben jetzt einen besondern Beruf zu spüren schienet, sondern zuverlässige Nachrichten zu sammeln und mir zu bringen, von dem, was im Lütticher Lande vorgeht, worüber uns so tolle Gerüchte zu Ohren kommen. Laßt mir ein Dutzend Lanzen folgen, und die übrigen sollen mit meinem Banner unter Eurem Befehl bleiben.«

»Noch einen Augenblick, Vetter von Crèvecoeur,« sagte die Gräfin Isabelle; »laßt mich, indem ich mich selbst Euch gefangen gebe, zum mindesten die Sicherheit derjenigen bedingen, die mir in meinem Mißgeschicke Freundschaft erwiesen haben. Laßt diesen guten Mann, meinen treuen Wegweiser, ungefährdet nach seiner Vaterstadt Lüttich zurückkehren.«

»Mein Neffe,« sagte Crèvecoeur, nachdem er einen scharfen Blick auf Glovers ehrliches breites Gesicht geworfen, »wird diesen guten Mann sicher geleiten, welcher wirklich nicht viel Böses im Sinne zu haben scheint; und zwar wird er ihn so weit in jenes Gebiet führen, als er selbst vorrückt, sodann ihn aber in Freiheit lassen.«

»Vergeßt nicht, die gute Gertrud an mich zu erinnern,« sagte die Gräfin zu ihrem Wegweiser, und fügte noch hinzu, indem sie eine Perlenschnur aus ihrem Schleier löste, »bittet sie, dies zum Andenken an ihre unglückliche Freundin zu tragen.«

Der ehrliche Glover nahm die Perlenschnur und küßte, mit linkischer Geberde aber mit aufrichtiger Freundlichkeit, die schöne Hand, welche auf so zarte Weise seine Mühe und Gefahr zu belohnen wußte.

»Hm! Zeichen und Pfänder!« sagte der Graf; »habt Ihr noch mehr zu bestellen, schönes Fräulein? – Es wird Zeit, daß wir unsern Weg antreten.«

»Nur noch,« sagte die Gräfin, indem sie sich mit Mühe zu sprechen zwang, »daß es Euch gefallen möge, diesem – diesem jungen Herrn günstig zu sein.«

»Hm!« sagte Crèvecoeur, denselben durchdringenden Blick auf Quentin werfend, mit dem er auf Glover geschaut hatte, offenbar aber mit minder befriedigendem Erfolg, indem er, wiewohl nicht auf beleidigende Weise, die Verlegenheit der Gräfin nachahmte – »Hm! – ja, – dies ist eine Klinge von anderem Stahl. – Und erlaubt, mein Fräulein, was hat dieser – dieser sehr junge Herr gethan, daß er eine solche Fürsprache von Euch verdient?«

»Er hat mir Leben und Ehre gerettet,« sagte die Gräfin, vor Scham und Unmuth erröthend.

Quentin erröthete gleichfalls vor Unwillen, bedachte aber klüglich, daß es die Sache nur schlimmer machen würde, wenn er ihn ausspräche.

»Leben und Ehre? – Hm!« wiederholte Graf Crèvecoeur; »mich dünkt, es wäre eben so gut gewesen, Fräulein, wenn Ihr Euch gar nicht in die Lage gebracht hättet, diesem sehr jungen Herrn solche Verbindlichkeiten schuldig zu werden. – Doch mag es sein. Der junge Herr mag bei unserem Gefolge bleiben, wenn es sein Stand erlaubt, und ich will darauf sehen, daß ihm kein Leid geschieht – ich will nur in Zukunft das Amt, Euch Leben und Ehre zu schützen, selbst übernehmen, und werde vielleicht für ihn ein passenderes Geschäft finden, als das, der Leibpage irrender Dämchen zu sein.«

»Herr Graf,« sagte Durward, unfähig, länger zu schweigen, »damit Ihr von einem Fremden nicht in verächtlichern Ausdrücken sprecht, als Euch später passend erscheinen möchte, so erlaube ich mir, Euch zu sagen, daß ich Quentin Durward bin, ein Bogenschütze der schottischen Leibgarde, in welcher, wie Ihr wohl wißt, nur Edelleute und Männer von Ehre aufgenommen werden.«

»Dank' Euch für Eure Nachricht, und ich küsse Euch die Hände, Herr Bogenschütz,« sagte Crèvecoeur in demselben neckenden Tone. »Habt die Güte, mit mir an die Spitze unserer Reiterschaar zu reiten.«

Während sich Quentin nach des Grafen Befehl vorwärts bewegte, welcher nun die Macht, wo nicht das Recht, hatte, ihm seine Bewegungen vorzuschreiben, bemerkte er, daß Gräfin Isabelle seinen Bewegungen mit einem Blicke ängstlicher und schüchterner Theilnahme folgte, welche fast Zärtlichkeit schien, und deren Anblick ihm eine Thräne in's Auge lockte. Aber er erinnerte sich, daß er sich vor Crèvecoeur als Mann zeigen müsse, denn der Graf war, vielleicht von allen Rittern Frankreichs und Burgunds, gerade derjenige, welcher durch eine traurige Lebensgeschichte zu nichts leichter, als zum Lachen bewegt ward. Er beschloß daher, seine Anrede nicht abzuwarten, sondern die Unterhaltung in einem Tone zu eröffnen, der seinen Anspruch auf gute Behandlung und auf größere Achtung andeuten sollte, als ihm der Graf zu widmen schien, welcher sich vielleicht dadurch verletzt fühlte, daß er eine Person so niedern Ranges das Vertrauen seiner hochgebornen und reichen Verwandten in so hohem Grade genießen sah.

»Herr Graf von Crèvecoeur,« sagte er in gemäßigtem, aber festem Tone, »darf ich Euch bitten, bevor wir weiter gehen, mir zu sagen, ob ich in Freiheit bin, oder ob ich mich für Euren Gefangnen halten muß?«

»Eine kitzliche Frage,« erwiderte der Graf, »die ich für jetzt blos durch eine andre beantworten kann. Glaubt Ihr, daß Frankreich und Burgund jetzt in Frieden oder Krieg mit einander sind?«

»Das, Herr Graf, werdet Ihr gewiß besser wissen, als ich,« erwiderte der Schotte. »Ich war vom französischen Hofe abwesend, und habe seit einiger Zeit keine Nachrichten erhalten.«

»Seht Ihr da,« sagte der Graf, »wie leicht es ist, Fragen zu stellen, und wie schwer, sie zu beantworten. Ich selber, der ich zu Péronne beim Herzog seit länger als einer Woche war, kann dies Räthsel nicht lösen; und gleichwohl, Herr Knappe, hängt von besagtem Punkte die Lösung der Frage ab, ob Ihr Gefangener oder ein freier Mann seid; und für den Augenblick muß ich Euch für den erstern halten; – nur, wenn Ihr treu und ehrlich im Dienste meiner Verwandten waret, und wenn Ihr aufrichtig in Beantwortung der Fragen seid, die ich Euch vorlegen werde, wird Eure Sache besser stehen.«

»Die Gräfin von Croye,« sagte Quentin, »wird am besten urtheilen, welche Dienste ich ihr erwiesen, und auf sie berufe ich mich in der Sache. Meine Antworten aber mögt Ihr selbst beurtheilen, wenn Ihr mir Eure Fragen vorlegt.«

»Hm! – Stolz genug,« murmelte der Graf von Crèvecoeur, »und ganz ähnlich einem solchen, der die Gunstbezeugung einer Dame an seinem Hute trägt, und nun meint, er müsse alles in einem hohen Tone verhandeln, um dem köstlichen Fetzen von Seide und Flittergold Ehre zu machen. – Wohlan, Herr, ich hoffe, es wird Eurer Würde keinen Abbruch thun, wenn Ihr mir beantwortet, wie lange Ihr um die Person der Gräfin Isabelle von Croye gewesen seid?«

»Graf von Crèvecoeur,« sagte Quentin Durward, »wenn ich Fragen beantworte, die mir in einem fast beleidigenden Tone vorgelegt werden, so geschieht es nur, damit nicht aus meinem Schweigen verletzende Folgerungen gezogen werden in Bezug auf eine, welcher wir beide Gerechtigkeit schuldig sind. Ich habe die Gräfin Isabelle begleitet, seit sie Frankreich verließ, um nach Flandern zurückzukehren.«

»Hoho!« sagte der Graf; »und das will sagen, seit sie von Plessis-les-Tours floh? Ihr, ein Bogenschütz der schottischen Garde, begleitet sie natürlich nur auf ausdrücklichen Befehl des König Ludwig?«

Wie wenig sich auch Quentin dem König von Frankreich verpflichtet fühlte, welcher, als er den Ueberfall der Gräfin Isabelle von Croye durch Wilhelm von der Mark beabsichtigte, wahrscheinlich darauf rechnete, der junge Schotte möge in ihrer Vertheidigung getödtet werden, so glaubte er sich doch nicht befugt, ein Vertrauen, das Ludwig ihm bewies oder zu beweisen schien, zu verrathen, und daher erwiderte er dem Grafen Crèvecoeur: »daß für ihn der Befehl seines Offiziers genügt habe, das Aufgetragene zu verrichten, und weiter habe er sich um nichts bekümmert.«

»Das ist ganz hinreichend,« sagte der Graf. »Wir wissen, daß der König seinen Offizieren nicht gestattet, die Bogenschützen seiner Garde auszusenden, um gleich Paladinen die Zügel irrender Damen zu leiten, ohne daß er einen politischen Zweck dabei hätte. Es wird für König Ludwig schwer sein, noch ferner so kühn zu behaupten, er wisse nichts von der Flucht der Damen von Croye aus Frankreich, da sie von einem seiner Leibgardisten begleitet wurden. – Und wohin, Herr Bogenschütz, ging euer Rückzug?«

»Nach Lüttich, Herr Graf,« antwortete der Schotte; »wo sich die Damen unter den Schutz des verstorbenen Bischofs zu stellen wünschten.«

»Des verstorbenen Bischofs!« rief der Graf von Crèvecoeur; »ist Ludwig von Bourbon todt? – Kein Wort von seiner Krankheit hat den Herzog erreicht – an was starb er denn?«

»Er schläft in einem blutigen Grabe, Herr Graf – das heißt, wenn seine Mörder seinen Resten ein Grab vergönnt haben.«

»Ermordet!« rief Graf von Crèvecoeur wieder – »Heilige Mutter Gottes! – junger Mann, es ist unmöglich!«

»Ich sah die That mit meinen eigenen Augen vollbringen, und überdies noch viele andere Gräuel.«

»Ihr saht es, – und standet dem guten Prälaten nicht bei!« rief der Graf, »oder warum brachtet Ihr das Schloß nicht in Alarm gegen seine Mörder? – Weißt du nicht, daß es schon ein ungeheurer Frevel ist, eine solche That anzusehen, ohne sich zu widersetzen?«

»Um kurz zu sein, Herr Graf,« sagte Durward, – »bevor diese That geschah, war das Schloß durch den blutdürstigen Wilhelm von der Mark mit Hilfe der aufrührerischen Lütticher bereits erstürmt.«

»Ich bin vom Donner gerührt!« sagte Crèvecoeur. »Lüttich in Aufruhr? – Schönwald genommen – der Bischof ermordet? – Unglücksbote, nie eröffnete ein Mann auf einmal eine solche Menge von Trauernachrichten! – Sprich – wußtet Ihr von diesem Angriff – von diesem Aufstand, von diesem Mord? – Sprich – du bist einer von Ludwigs vertrauten Bogenschützen, und er ist es, der diesen tödtlichen Pfeil entsandte. – Sprich, oder ich will dich mit wilden Pferden zerreißen lassen!«

»Und wenn Ihr mich auch so zerreißt, Herr Graf, so werdet Ihr doch nichts aus mir herausbringen, was sich nicht für einen treuen schottischen Edelmann ziemt. Ich weiß nicht mehr von diesen Schurkereien als Ihr, – ich war so weit entfernt, daran Theil zu nehmen, daß ich ihnen vielmehr auf's Aeußerste widerstanden haben würde, hätten meine Mittel nur um den zwanzigsten Theil meinen Willen erreicht. Aber was konnt' ich thun? – sie waren Hunderte und ich nur Einer. Meine einzige Sorge war, die Gräfin Isabelle zu retten, und darin war ich glücklich. Doch, wär' ich nahe genug gewesen, als die schurkische That so grausam an dem alten Manne verübt ward, ich hätte sein graues Haar beschützt, oder gerächt; und wie es nun war, sprach ich wenigstens meinen Abscheu laut genug aus, um andre Gräuel zu verhüten.«

»Ich glaube dir, junger Mann,« sagte der Graf; »weder dein Alter noch dein Charakter sind von der Art, daß man dir solch' blutiges Werk anvertrauen dürfte, wiewohl du dich sehr gut zu einem Knappen für Damen eignest. Doch ach! dieser freundliche und großmüthige Prälat – an dem Herde gemordet zu werden, wo er den Fremdling so oft mit christlicher Liebe und fürstlicher Güte bewirthete – und das durch einen Schuft, ein Ungeheuer! ein Ungethüm an Blutgier und Grausamkeit! – in derselben Halle erzogen, wo er seine Hände mit des Wohlthäters Blut besudelte! – Aber ich müßte Karl von Burgund nicht kennen – ja, ich müßte an der Gerechtigkeit des Himmels zweifeln, wenn die Rache nicht so scharf, so plötzlich und streng wäre, als diese Schurkerei beispiellos und gräßlich: Und wenn kein Anderer den Mörder verfolgen sollte –« hier schwieg er einen Augenblick, griff an's Schwert, dann ließ er den Zaum fallen, schlug beide eisengepanzerte Hände über der Brust zusammen, daß der Harnisch rasselte, und hob sie dann gen Himmel, indem er feierlich fortfuhr: »Ich, ich, Philipp Crèvecoeur von Cordès, gelobe zu Gott, St. Lambert und den drei Königen zu vorher Cöln, daß ich wenig an andere irdische Dinge denken will, bis ich volle Rache an den Mördern des guten Ludwig von Bourbon genommen, mag ich sie im Wald oder Feld, in Stadt oder Land, auf Hügeln oder in Ebenen, an des Königs Hof, oder im Gotteshaus finden! Und darum setz' ich Land und Habe, Freund und Vasallen, Leben und Ehre zum Pfande. So helfe mir Gott und St. Lambert von Lüttich, und die drei Könige von Cöln!«

Als der Graf von Crèvecoeur dieß Gelübte gethan hatte, schien sich sein Herz in etwas zu sammeln von dem überwältigenden Schmerz und dem Staunen, womit er die unheilvolle Tragödie, die sich zu Schönwald zugetragen, angehört hatte; er fuhr nun fort, Durward genauer um die einzelnen Umstände dieser schlimmen Begebenheit zu befragen, die ihm der Schotte, keineswegs willens die Rachegluth, die der Graf gegen Wilhelm von der Mark unterhielt, zu entkräften, der Länge nach beschrieb.

»Aber diese blinden, unbeständigen, treulosen, wankelmüthigen Bestien, diese Lütticher,« sagte der Graf, »daß sie sich mit diesem abscheulichen Räuber und Mörder verbinden konnten, um ihren rechtmäßigen Fürsten zu tödten!«

Durward belehrte hier den erzürnten Burgunder, daß die Lütticher, oder mindestens die Bessern unter ihnen, wie unbedacht sie auch gegen ihren Bischof aufgestanden wären, nicht die Absicht gehabt hätten, so weit er sie beobachtet habe, bei der abscheulichen That dem Wilhelm von der Mark beizustehen; sondern daß sie dieselbe im Gegentheil verhindert haben würden, hätten sie die Mittel gehabt, und daß sie beim Anblick derselben vor Abscheu zurückgeschaudert wären.

»Sprecht nicht von dem treulosen, unbeständigen, pöbelhaften Gesindel!« sagte Crèvecoeur. »Wenn sie die Waffen gegen einen Fürsten erhoben, der keinen Fehler hatte, als daß er ein zu milder und guter Herr für solche undankbare Sklaven war. – Wenn sie sich gegen ihn waffneten und in sein friedliches Haus brachen, was konnten sie da anders beabsichtigen, als Mord? – Wenn sie sich mit dem wilden Eber der Ardennen verbanden, dem großen Todtschläger in Flanderns Gränzen, was konnte da ihre Absicht sein, als allein Mord, welcher das Gewerbe ist, wovon er lebt? Und sodann, war es nicht Einer aus ihrem eignen schändlichen Pöbel, der die That verübte, wie du selbst berichtest? – Ich hoffe ihre Kanäle beim Licht ihrer brennenden Häuser von Blut überströmen zu sehn. O! der milde, edle, großmüthige Herr, den sie hingeschlachtet haben! – Andere Vasallen haben unter dem Drucke von Abgaben und Mangel rebellirt; aber diese Männer von Lüttich in der Fülle des Reichthums und Uebermuthes.« – Wieder ließ er den Zaum seines Streitrosses fallen, und rang schmerzlich die Hände, welche die Stahlhandschuhe unfügsam machten. Quentin sah leicht ein, daß der Schmerz, den er blicken ließ, durch die wehmüthige Erinnerung an den frühern Umgang und die Freundschaft mit dem Ermordeten vermehrt ward, und er schwieg daher: denn er achtete die Gefühle, die er nicht gern bestärken wollte und doch auch zu gleicher Zeit unmöglich zu lindern vermochte.

Aber der Graf von Crèvecoeur kam immer und immer wieder auf den Gegenstand zurück – er befragte jenen um jeden einzelnen Umstand beim Ueberfall von Schönwald und beim Tode des Bischofs; und dann verlangte er plötzlich, als besinne er sich auf etwas fast Vergessenes, zu wissen, was aus der Gräfin Hameline geworden und warum sie nicht bei ihrer Verwandten sei? »Nicht etwa,« setzte er mit Verachtung hinzu, »daß ich ihre Abwesenheit als einen Verlust für die Gräfin Isabelle ansähe; denn, obwohl sie ihre Verwandte und im Allgemeinen eine wohlgesinnte Frau war, so hat doch der Hof von Cocagne nie eine so phantastische Thörin erzeugt; und ich halte es für ausgemacht, daß ihre Nichte, die ich stets als ein sittsames und verständiges junges Mädchen kannte, zu der albernen Flucht von Burgund nach Frankreich durch diese thörichte, überspannte alte Heirathsstifterin verführt ward!«

Welche Reden für das Ohr eines romantischen Liebhabers! und die er noch dazu hören mußte, wann es lächerlich gewesen wäre, das Unmögliche zu versuchen – nämlich den Grafen durch die Gewalt des Schwertes zu überzeugen, daß er die Gräfin schnöde beleidigt habe – sie, unübertroffen an Verstand wie an Schönheit, – wenn er sie schlechthin ein sittsames Mädchen nannte; eine Benennung, die sich wohl für die Tochter eines sonnverbrannten Bauers eignen mochte, welche die Ochsen treibt, während ihr Vater hinter'm Pflug geht. Und dann, vorauszusetzen, daß sie sich der Leitung und Führung einer närrischen und überspannten Tante unterworfen habe – diese Verläumdung hätt' er gern in des Verläumders Gesicht zurückgeschleudert. Aber das offene, obwohl ernste Antlitz des Grafen von Crèvecoeur, die gänzliche Verachtung, die er gegen jene Gefühle zu hegen schien, welche Quentins ganze Seele füllten, dieß flößte ihm eine gewisse Scheu ein; nicht aus Furcht vor des Grafen Waffenruhm – dieß war ein Punkt, welcher sein Verlangen nach einer Herausforderung nur vermehrt haben würde – sondern aus Furcht vor dem Lächerlichen, einer Waffe, die von Enthusiasten aller Art am meisten gefürchtet wird, und die, wegen ihres Einflusses auf solche Gemüther, zwar oft von dem Albernen zurückhält, aber eben so manches Edle erstickt.

Unter dem Einflusse dieser Furcht, daß er mehr ein Gegenstand des Hohnes als des Unwillens werden möchte, beschränkte Durward, obwohl mit großem Widerwillen, seine Antwort auf eine verwirrte Nachricht von der Flucht, welche Dame Hameline aus Schönwald unternommen, bevor der Platz erobert war. Er hätte seine Erzählung in der That nicht genau vortragen können, ohne die nahe Verwandte Isabellens lächerlich zu machen, so wie auch vielleicht sich selbst, da er doch der Gegenstand ihrer thörichten Hoffnungen gewesen war. Seinem verworrenen Berichte fügte er noch bei, daß er ein, wiewohl unbestimmtes Gerücht vernommen habe, wie Gräfin Hameline wieder in die Hände Wilhelms von der Mark gefallen sei.

»Ich hoffe zu St. Lambert, daß er sie heirathen wird,« sagte Crèvecoeur; »und das mag er allerdings im Stande sein, ihrer Geldsäcke wegen; und eben so leicht wird er sie vor den Kopf schlagen, sobald jene Säcke in seinen Klauen, oder spätestens, sobald sie geleert sind.«

Der Graf begann darauf noch mancherlei zu fragen, in Bezug auf die Weise, wie sich beide Damen auf der Reise benommen hätten, desgleichen über den Grad der Vertraulichkeit, den sie Quentin verstattet, und über andere Nebenumstände, so daß der Jüngling vor Scham und Unwillen kaum fähig war, seinen Gemüthszustand vor dem scharfsichtigen Krieger und Hofmann zu verbergen, welcher plötzlich geneigt schien, sich von ihm zu beurlauben, indem er sagte: »Hm – ich sehe, es ist, wie ich vermuthete, wenigstens auf einer Seite; ich hoffe die andre Partei hat ihren Verstand besser zusammengenommen. – Auf, Herr Knappe, spornt Euer Roß und reitet voran, indeß ich zurückbleibe, und mit der Gräfin Isabelle rede. Ich glaube genug von Euch gehört zu haben, daß ich von diesen traurigen Dingen mit ihr sprechen kann, ohne ihr Zartgefühl zu verletzen, obgleich ich das Eure ein wenig verwundete. – Doch halt, junger Ritter – ein Wort, eh' Ihr geht. Ihr habt, scheint mir, eine glückliche Reise durch's Feenland geführt – voller heroischen Abenteuer und hochfliegender Hoffnungen, voll wilder minnesängerartiger Täuschung, gleich dem Gärtner der Fee Morgana. Vergeßt das Alles, junger Krieger,« fügte er, ihm die Hand auf die Schulter legend, hinzu; »gedenkt jener Dame bloß, als der verehrten Gräfin von Croye – vergeßt sie, insofern sie die irrende und abenteuernde Dame war: – und ihre Freunde – für einen derselben steh' ich – werden ihrerseits bloß der Dienste gedenken, welche Ihr derselben erwiesen, und werden des überschwänglichen Lohnes vergessen, den Ihr Euch kühner Weise selbst zum Ziel gestellt zu haben scheint.«

Unmuthig, daß er nicht fähig gewesen war, vor dem scharfsehenden Crèvecoeur Gefühle zu verbergen, die der Graf als etwas Lächerliches zu betrachten schien, erwiederte Quentin unwillig: »Herr Graf, wenn ich Euren Rath brauche, werd' ich ihn verlangen; wenn ich Beistand von Euch verlange, so wird es Zeit genug sein, ihn zu weigern oder zu gewähren; wenn ich besondern Werth auf Eure Meinung über mich lege, so wird es nicht zu spät sein, dieß auszusprechen.«

»Ei!« sagte der Graf; »da bin ich zwischen Amadis und Oriana gerathen, und werde wahrscheinlich in die Schranken gefordert werden!«

»Ihr sprecht, als ob dieß unmöglich wäre,« sagte Quentin, »als ich eine Lanze mit dem Herzog von Orleans brach, so war es gegen eine Brust, in welcher besseres Blut, als in der Crèvecoeur's, floß – als ich mein Schwert mit dem Dunois' maß, so bekämpfte ich einen bessern Krieger.«

»Nun, der Himmel stärke dir deinen Verstand, guter Jüngling!« sagte Crèvecoeur, noch immer über den ritterlichen Verliebten lachend. »Wenn du die Wahrheit sprichst, so hast du ein seltenes Glück in dieser Welt gehabt; und wirklich, wenn es der Vorsehung gefällt, dich solchen Proben auszusetzen, eh' du einen Bart auf der Lippe hast, so wirst du toll vor Eitelkeit sein, ehe du dich einen Mann nennen kannst. Du kannst mich nicht zornig machen, wohl aber heiter. Glaub mir, obwohl du mit Fürsten gefochten oder den Kämpen für Damen gemacht haben magst, weil dich einmal Fortunens Launen begünstigten, so bist du doch keineswegs der Standesgenosse Jener, deren zufälliger Gegner, oder noch mehr zufälliger Begleiter du gewesen bist. Ich kann dir, als einem Jüngling, der auf Romane gelauscht hat, bis er sich selbst für einen Paladin hielt, wohl gestatten, eine Zeitlang artige Träume zu nähren; aber du mußt einem wohlmeinenden Freunde nicht zürnen, wenn er dich gleich etwas rauh an der Schulter rüttelt, um dich aufzuwecken.«

»Herr von Crèvecoeur,« sagte Quentin, »meine Familie –«

»Ei, ich sprach nicht ausschließlich von der Familie,« sagte der Graf; »auch von Rang, Vermögen, hoher Stellung und so fort, welches Alles die verschiedenen Grade und Klassen der Menschen unterscheidet. Was die Geburt betrifft, so stammen alle Menschen von Adam und Eva.«

»Herr Graf,« wiederholte Quentin, »meine Vorfahren, die Durwards von Glen-Houlakin –«

»Ei,« sagte der Graf, »wenn Ihr auf noch frühere Abkunft, als die von Adam, Anspruch macht, so bin ich fertig! Gehabt Euch wohl.«

Er wandte sein Roß und hielt an, um sich zu der Gräfin zu gesellen, für welche seine Andeutungen und Rathschläge, wie gut sie auch gemeint sein mochten, womöglich noch unangenehmer, als für Quentin waren, welcher beim Weiterreiten vor sich hinmurmelte: »kaltblütiger, unverschämter, übermüthiger Narr! – Möchte doch der nächste schottische Bogenschütze, der seine Arquebusse auf dich anlegt, dich nicht so leicht davon kommen lassen, wie ich es that!«

Am Abend erreichten sie die Stadt Charleroi an der Sambre, wo der Graf von Crèvecoeur beschlossen hatte, die Gräfin Isabelle zu lassen, welche durch den Schrecken und die Ermüdung des gestrigen Tages, so wie durch eine fünfzig Meilen weite Flucht seit dem Morgen, und überdieß durch die verschiedenen beängstigenden Empfindungen, die sie begleiteten, unfähig geworden war, weiter zu reisen, wenn ihre Gesundheit nicht aufs Spiel gesetzt werden sollte. Der Graf übergab sie, die sich in einem Zustande äußerster Erschöpfung befand, der Fürsorge der Aebtissin des Cisterzienserklosters in Charleroi, einer edlen Dame, die mit beiden Familien, der von Crèvecoeur und Croye verwandt war, und auf deren Klugheit und Freundschaft er vertrauen konnte.

Crèvecoeur selbst hielt sich nur so lange hier auf, bis er dem Befehlshaber der kleinen burgundischen Besatzung, die den Platz inne hatte, die äußerste Vorsicht empfohlen hatte. Ebenso ersuchte er ihn auch, während der Anwesenheit der Isabelle von Croye eine Ehrenwache vor dem Kloster aufzustellen, – dem Vorgeben nach, um ihre Sicherheit zu bewachen, vielleicht aber nur, um einen etwaigen Fluchtversuch zu verhindern. Der Graf empfahl der Besatzung Wachsamkeit, und führte als Grund dafür ein Gerücht an von Unruhen, die im Bisthum Lüttich ausgebrochen sein sollten. Aber er war entschlossen, selbst der erste zu sein, der die schreckliche Nachricht vom Aufstande und dem Morde des Bischofs mit Gewißheit dem Herzog Karl überbrächte; und daher stieg er, nachdem er für sich und sein Gefolge frische Pferde hatte besorgen lassen, mit dem Entschlusse auf, die Reise nach Péronne ohne weitere Rast fortzusetzen; er benachrichtigte Quentin Durward, daß er ihn begleiten müsse, und fügte zugleich eine neckende Entschuldigung hinzu, daß er ihn von der schönen Begleiterin trenne; indeß hoffe er, daß ein, den Damen so ergebener, Knappe eine Reise zur Nacht bei Mondschein gewiß angenehmer finden würde, als sich zum Schlafe, wie andere gemeine Sterbliche, hinzulegen.

Quentin, ohnehin zur Genüge mißmuthig, da er sich von Isabelle getrennt sah, hätte gern diesen Spott durch eine trotzige Herausforderung beantwortet; aber im Bewußtsein, daß der Graf seinen Zorn bloß belachen und seine Ausforderung verachten werde, entschloß er sich, von der Zukunft eine Gelegenheit zu erwarten, wo er Genugthuung von diesem stolzen Edelmanne erlangen könne, der ihm, wiewohl aus ganz verschiedenen Gründen, fast eben so verhaßt war, wie der wilde Eber der Ardennen selbst. Er fügte sich daher Crèvecoeurs Vorschlag, da ihm keine andere Wahl übrig blieb, und gemeinschaftlich verfolgten sie mit der möglichsten Schnelligkeit die Straße von Charleroi nach Péronne.



 << zurück weiter >>