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Dreißigstes Kapitel.
Ungewißheit.

Gleich einer Barke schwanket mein Entschluß,
In wilder Wogen Kampf umhergeschleudert.

Altes Schauspiel.

Wenn Ludwig die Nacht unter den heftigsten, peinlichsten Gemüthsbewegungen zubrachte, so war dies noch weit mehr bei dem Herzog von Burgund der Fall, welcher seine Leidenschaften noch nicht einmal so zu bemeistern verstand, sondern ihnen fast ganz freie und ungezügelte Herrschaft über seine Handlungen gestattete.

Nach der Gewohnheit jener Zeit theilten zwei seiner vorzüglichsten und am meisten begünstigten Räthe, D'Hymbercourt und Des Comines, sein Schlafgemach, in dem nahe am Bett des Fürsten die ihrigen aufgestellt waren. Ihre Anwesenheit war nie so nothwendig als in dieser Nacht, wo, verstört durch Sorge, Leidenschaft, Racheverlangen und zugleich durch das Gefühl der Ehre, welches ihm verbot, jenem in Ludwigs gegenwärtiger Lage freien Lauf zu lassen, des Herzogs Gemüth einem im Ausbruch begriffenen Vulkan glich, welcher all die verschiedenen Stoffe seiner Tiefe vermischt und zu einer glühenden Masse verschmolzen auswirft.

Er weigerte sich, die Kleider abzulegen oder sich zum Schlafe bereit zu machen, sondern brachte die Nacht unter einer Aufeinanderfolge der heftigsten Ausbrüche seiner Leidenschaft zu. In einigen solchen Anfällen sprach er zu seinen Gefährten in so heftigem Redeflusse, daß sie fast fürchteten, er möge wirklich von Sinnen kommen; er sprach von den Verdiensten und der Freundschaft des ermordeten Bischofs von Lüttich, und erwähnte all die Beispiele von gegenseitiger Freundlichkeit, Zuneigung und Vertrauen, die zwischen ihnen stattgefunden, bis er endlich so sehr von seinem Grame überwältigt ward, daß er sich auf sein Angesicht aufs Lager warf, und unter dem Schluchzen und den Thränen, die er zu unterdrücken strebte, fast zu ersticken schien. Dann fuhr er vom Lager empor, überließ sich nochmals der heftigsten Wuth, schritt hastig im Gemach hin und her, unzusammenhängende Drohungen ausstoßend und eben so unzusammenhängende Racheschwüre, während er, nach seiner gewöhnlichen Weise, mit dem Fuße stampfend, St. Georgen, St. Andreas und wen er sonst noch heilig hielt, zu Zeugen anrief, daß er blutige Rache nehmen wolle an Wilhelm von der Mark, an dem Lütticher Volke und an ihm, der der Urheber des Ganzen war. – Diese letzten Drohworte, dunkler als die übrigen ausgesprochen, bezogen sich natürlich auf die Person des Königs; und zu gleicher Zeit äußerte der Herzog seinen Entschluß, nach dem Herzog von der Normandie, dem Bruder des Königs, zu senden, mit welchem Ludwig in schlimmen Verhältnissen stand, um den gefangenen Monarchen zu zwingen, entweder die Krone selbst zu übergeben, oder einige ihrer vorzüglichsten Rechte und Einkünfte.

Noch ein Tag und eine Nacht vergingen unter denselben stürmischen und krankhaften Betrachtungen, oder vielmehr plötzlichen leidenschaftlichen Erregungen; denn der Herzog aß und trank fast gar nicht, wechselte seine Kleidung kein einziges Mal und benahm sich wie ein Mensch, dessen Wuth im Wahnsinn endigen will. Allmälig ward er gefaßter, und begann von Zeit zu Zeit Berathungen mit seinen Ministern zu halten, in denen mehr vorgeschlagen als beschlossen ward. Comines versichert uns, daß einmal bereits ein Courier zu Pferde saß, um den Herzog von der Normandie herbeizurufen; und in diesem Falle würde das Gefängniß des französischen Monarchen wahrscheinlich, wie in ähnlichen Fällen, nur eine kurze Straße zum Grabe geworden sein.

In andern Augenblicken, wenn Karl seine Wuth erschöpft hatte, saß er wieder mit düstern, starren und unbeweglichen Zügen da, gleich Einem, der über einer verzweifelten That brütet, wozu er sich doch gleichwohl nicht fest entschließen kann. Und unstreitig hätte es nur eines hinterlistigen Winkes von einem der Räthe, die seine Person umgaben, bedurft, um den Herzog zu einer sehr verzweifelten That anzutreiben. Aber die Edeln Burgunds, welche die Unverletzlichkeit der Person eines Königs und Oberlehensherrn, so wie öffentliche Treu' und Glauben überhaupt, insbesondere aber bei ihrem Herzog berücksichtigten, welche dieser doch zum Pfande gesetzt hatte, als sich Ludwig in seine Gewalt begab, waren fast einstimmig geneigt, gemäßigte Maßregeln zu empfehlen; und die Vernunftgründe, welche D'Hymbercourt und Comines dann und wann während der Nacht anzuführen wagten, wurden in den ruhigern Stunden des nächsten Morgens von Crèvecoeur und Andern noch eindringlicher wiederholt und gefördert. Möglich, daß ihr Eifer zu Gunsten des Königs nicht ganz uneigennützig war. Viele hatten, wie wir bereits erwähnten, die Freigebigkeit des Königs bereits erfahren; Andere hatten entweder Güter oder Ansprüche in Frankreich, welche sie zum Theil unter seinen Einfluß stellten; und es ist gewiß, daß der Schatz, welchen vier Maulthiere trugen, als der König in Péronne einzog, im Laufe dieser Verhandlungen weit leichter wurde.

Am dritten Tage brachte auch der Graf von Campobasso seinen italienischen Scharfsinn, um Karls Berathungen zu unterstützen; und es war gut für Ludwig, daß der Graf nicht angelangt war, als sich der Herzog noch in seiner ersten Wuth befand. Unmittelbar nach seiner Ankunft ward eine regelmäßige Rathsversammlung zusammenberufen, um die Maßregeln zu erwägen, die in diesem außerordentlichen Falle zu ergreifen seien.

Bei dieser Gelegenheit gab Campobasso seine Meinung ab, die nach der Fabel von dem Wanderer, der Natter und dem Fuchs gebildet war, und er erinnerte den Herzog an den Rath, den Reineke dem Manne gab, daß er seinen Todfeind zermalmen solle, da ihn das Schicksal in seine Gewalt gegeben hatte. Comines, der des Herzogs Augen bei einem Vorschlage funkeln sah, den ihm sein eignes heftiges Gemüth schon wiederholt vorgelegt hatte, beeilte sich, die Möglichkeit vorzustellen, daß Ludwig vielleicht in der That nicht geradezu die blutige That befördert haben möge, welche zu Schönwald geschehen war; daß er vielleicht auch im Stande sein möge, sich von der ihm zur Last gelegten Beschuldigung zu reinigen, und dann auch wohl andere Genugthuung für das Unheil, welches seine Intriguen in des Herzogs und seiner Verbündeten Gebiete veranlaßt, gewähren könne. Aber eine gewaltthätige Handlung, die an dem König verübt würde, werde gewiß für Frankreich sowohl als für Burgund eine Reihe der unseligsten Folgen nach sich ziehen, und davon werde diejenige eine der furchtbarsten sein, daß sich die Engländer die Aufregung und die bürgerliche Zwietracht, die nothwendig eintreten müsse, zu Nutze machen würden, um die Normandie und Guyenne wieder in Besitz zu nehmen und jene schrecklichen Kriege zu erneuern, welche einzig, wiewohl auch mit Schwierigkeit, durch die Einigkeit Frankreichs und Burgunds gegen den gemeinsamen Feind geendigt worden waren. Schließlich gestand er zu, daß er nicht für die unbedingte und freie Entlassung Ludwigs stimme; von seiner gegenwärtigen Lage solle jedoch der Herzog keinen andern Vortheil ziehen, als den, einen guten und annehmlichen Vertrag zwischen beiden Ländern abzuschließen, mit solcher Bürgschaft von Seiten des Königs, daß es diesem schwer sein werde, die Treue zu brechen oder den innern Frieden Burgunds in Zukunft zu stören. D'Hymbercourt, Crèvecoeur und andere erklärten ihre Mißbilligung der von Campobasso vorgeschlagenen gewaltthätigen Maßregeln, so wie ihre eigne Meinung, daß mittelst eines Vertrags mehr bleibende Vortheile erlangt werden könnten, und zwar auf eine für Burgund ehrenvollere Weise, als durch eine Handlung, die das Land mit einem Bruche der Treue und Gastfreundschaft beflecken würde.

Der Herzog lauschte diesen Vernunftgründen mit zu Boden gehefteten Blicken und mit so gerunzelter Stirn, als wolle er die buschigen Brauen in eine Masse bringen. Als aber Crèvecoeur fortfuhr zu sagen, er glaube nicht, daß Ludwig um die blutige That zu Schönwald gewußt oder sie gefördert habe, da erhob Karl sein Haupt, und einen glühenden Blick auf seinen Rath werfend rief er: »Habt auch Ihr das französische Geld klingen hören, Crèvecoeur? – Mich dünkt, es klingt so lustig in meiner Rathsversammlung, wie nur je die Glocken von St. Denis. – Wagt Jemand zu behaupten, Ludwig sei nicht der Anstifter der flandrischen Unruhen?«

»Gnädigster Herr,« sagte Crèvecoeur, »meine Hand war stets vertrauter mit Stahl als mit Gold; und so weit bin ich entfernt, Ludwig für unschuldig an den flandrischen Unruhen zu halten, daß ich ihn noch vor Kurzem im Angesichte seines ganzen Hofes des Treubuchs in dieser Sache beschuldigte und in Eurem Namen herausforderte. Aber obwohl seine Intriguen ohne Zweifel jene Bewegungen zuerst veranlaßten, so bin ich doch so weit entfernt zu glauben, er habe den Tod des Erzbischofs geboten, daß ich vielmehr glaube, seiner Abgesandten einer habe öffentlich dagegen protestirt; und ich könnte den Mann vorstellen, wenn es Euer Wille wäre, ihn zu sehen.«

»Es ist unser Wille,« sagte der Herzog. »St. Georg! Könnt Ihr zweifeln, daß wir gerecht zu sein verlangen? Selbst in der äußersten Aufregung unsrer Leidenschaft sind wir als ein parteiloser und gerechter Richter bekannt. Wir wollen Frankreichs König selber sehen – wollen ihm selbst das angethane Unrecht vorhalten und selbst die Entschädigung angeben, die wir erwarten und fordern. Wenn er unschuldig an diesem Mord erfunden wird, so soll die Buße für andre Verbrechen um so leichter sein – wenn er aber schuldig ist, wer wird dann nicht sagen, daß ein Leben voll Buße in einem einsamen Kloster ein sehr verdientes und sehr gnädiges Urtheil sei? – Wer,« fügte er mit größerer Wärme hinzu, »wer wird wagen, eine noch directere und schnellere Rache zu tadeln? Laßt Euren Zeugen bereit sein – Wir wollen eine Stunde vor Mittag nach dem Schlosse. Einige Artikel wollen wir aufsetzen, die Ludwig annehmen soll, oder wehe seinem Haupte! Andre hängen noch von der Untersuchung ab. Die Rathsversammlung ist aufgehoben, Ihr seid entlassen. Ich will nur mein Kleid wechseln, da dies kaum passen würde, um darin meinem allergnädigsten Souverain aufzuwarten!«

Einen bittern und starken Nachdruck auf diese letzten Worte legend, stand der Herzog auf und verließ das Gemach.

»Ludwigs Sicherheit und, was noch schlimmer, die Ehre Burgunds hängt von dem Fall eines Würfels ab,« sagte D'Hymbercourt zu Crèvecoeur und Comines – »Geh eilig nach dem Schlosse, Comines – du hast eine beredtere Zunge als Crèvecoeur und ich. Deute Ludwig den nahenden Sturm an – er wird selber am besten den Piloten für sich zu machen wissen. Ich hoffe, jener Leibgardist wird nichts sagen, was die Sache erschweren kann; denn wer weiß, was für ein geheimer Auftrag es war, der ihm anvertraut ward?«

»Der junge Mann,« sagte Crèvecoeur, »scheint kühn, aber umsichtig und klug über seine Jahre. In Allem was er mir sagte, schonte er des Königs Charakter, als des Fürsten, dem er dient. Ich hoffe, er wird sich vor dem Herzog ebenso benehmen. Ich werde ihn aufsuchen, so wie auch die junge Gräfin von Croye.«

»Die Gräfin! – Ihr sagtet uns, sie sei im Brigittenkloster zurückgeblieben?«

»Ja, aber ich ward genöthigt,« sagte der Graf, »ausdrücklich nach ihr zu senden, auf des Herzogs Befehl; und sie ist in einer Sänfte hieher gebracht worden, da sie unfähig war, auf andre Art zu reisen. Sie befand sich im Zustande des tiefsten Kummers, sowohl wegen der Ungewißheit über das Schicksal ihrer Verwandten, der Gräfin Hameline, als auch wegen der drohenden Wolke, die ihr eignes umschwebt. Sie weiß, daß sie sich eines Lehensverbrechens schuldig machte, indem sie sich dem Schutze ihres Oberherrn, Herzog Karls, entzog, welcher nicht der Mann ist, gleichgiltig die Eingriffe in seine oberherrlichen Rechte anzusehen.«

Die Nachricht, daß die junge Gräfin in den Händen Karls sei, flocht in Ludwigs Betrachtungen neue und schärfere Dornen. Er wußte wohl, daß sie durch Darlegung der Intriguen, die er angewandt hatte, um sie und die Gräfin Hameline nach Plessis zu locken, das Zeugniß ersetzen könne, welches er durch die Hinrichtung Zamet Maugrabin's beseitigt hatte; und eben so gut wußte er, daß solch ein Beweis seiner Eingriffe in die Rechte des Herzogs von Burgund, diesem als Beweggrund und Vorwand dienen könne, alle die Vortheile, die sich ihm jetzt boten, auf's äußerste zu benutzen.

Ludwig sprach sich über diese Umstände mit großer Besorgniß gegen den Herrn des Comines aus, dessen scharfsinniges und politisches Talent besser für des Königs Gemüth paßte, als der schlichte kriegerische Charakter Crèvecoeur's, oder der hochadelige Stolz D'Hymbercourt's.

»Jene eisenumpanzerten Krieger, mein guter Freund Comines,« sagte er zu seinem künftigen Historiker, »sollten nie eines Königs Gemach betreten, sondern mit den Hellebarden und Partisanen im Vorzimmer bleiben. Ihre Hände sind allerdings für unsern Nutzen bestimmt, aber der Monarch, der ihre Köpfe zu einem bessern Zwecke anwenden will, als zu dem, den feindlichen Schwertern als Ambos zu dienen, der gleicht dem Narren, welcher seine Geliebte mit einem Hundehalsband zum Schmuck beschenkte. Solche, wie du, sind es, Philipp, deren Augen mit jenem gewandten und scharfen Sinne begabt sind, der die äußere Oberfläche der Dinge durchschaut, mit denen Fürsten ihren Rathstisch und ihr Kabinet theilen müssen – ja, die geheimsten Winkel ihres Herzens sollen sie denen eröffnen!«

Der Comines, der selbst ein gewandter Geist war, fühlte sich natürlich durch die Anerkennung von Seiten des scharfsinnigsten Fürsten Europa's geschmeichelt, und er wußte seine innere Zufriedenheit nicht genug zu verbergen, daß Ludwig den auf ihn gemachten Eindruck nicht hätte gewahren sollen.

»Ich wollte,« fuhr er fort, »daß ich solch einen Diener besäße, oder vielmehr, daß ich würdig wäre, solch einen zu besitzen! dann wäre ich nicht in diese heillose Lage gerathen – die ich indeß doch kaum beklagen würde, könnt' ich nur die Mittel entdecken, mir die Dienste eines so erfahrenen Staatsmannes zu sichern.«

Comines erklärte, daß all seine Fähigkeiten, die er nur immer besitzen möge, zu seiner allerchristlichsten Majestät Diensten ständen, stets freilich mit Vorbehalt seiner Unterthanenpflicht gegen seinen rechtmäßigen Herrn, den Herzog Karl von Burgund.

»Und sollt' ich fähig sein, Euch von Eurer Unterthanenpflicht abzulenken?« sagte Ludwig mit Pathos. »Ach! bin ich nicht eben deshalb in Gefahr, weil ich zu viel Vertrauen auf meinen Vasallen setzte? und kann die Lehenstreue irgend einem heiliger sein als mir, dessen Sicherheit einzig von derselben abhängt? – Nein, Philipp von Comines – fahre fort, Karl von Burgund zu dienen; und am besten werdet Ihr ihm dienen, wenn Ihr einen billigen Vertrag mit Ludwig von Frankreich zu Stande bringt. Thut Ihr das, so werdet Ihr uns beiden dienen, und zum mindesten einer wird dankbar sein. Ich höre, daß Eure Besoldung an diesem Hofe kaum der des Großfalconiers gleich kommt; und sonach sind die Dienste des weisesten Rathes in Europa gleichgestellt, oder vielmehr untergeordnet denen eines Menschen, welcher Falken füttert und aufzieht! Frankreich hat ein großes Gebiet – und sein König hat viel Gold. Erlaube mir, mein Freund, jene ärgerliche Ungleichheit in Ordnung zu bringen. Die Mittel liegen nahe – gestatte mir, sie anzuwenden.«

Der König bot eine gewichtige Geldbörse dar; aber Comines, zartfühlender, als die meisten Höflinge seiner Zeit, lehnte das Anerbieten ab, indem er erklärte, daß er mit der Freigebigkeit seines angestammten Fürsten völlig zufrieden sei, und zugleich versicherte er Ludwig, daß sein Wunsch, ihm zu dienen, durch die Annahme eines solchen ihm gebotenen Geschenkes nicht gesteigert werden könnte.

»Seltener Mann!« rief der König; »laß mich den einzigen Hofmann seiner Zeit umarmen, der zugleich klug und unbestechlich ist. Weisheit ist des Wunsches würdiger, als reines Gold; und glaube mir, Philipp, ich hoffe von deiner Freundschaft in dieser bedenklichen Lage mehr, als von der erkauften Hilfe so mancher, die meine Gabe empfangen haben. Ich weiß, daß Ihr Eurem Herrn nicht rathen werdet, eine solche Gelegenheit zu mißbrauchen, die ihm das Glück, und, um offen zu reden, Comines, meine eigene Thorheit dargeboten hat.«

»Sie zu mißbrauchen, auf keinen Fall,« antwortete der Historiker; »gewiß aber sie zu gebrauchen

»Aber in welchem Grade?« sagte Ludwig. »Ich bin kein so großes Müllerthier, um zu erwarten, man werde mich ohne Lösegeld laufen lassen – aber es darf nicht übertrieben sein – der Vernunft geb' ich immer gern Gehör – zu Paris oder Plessis so gut, als zu Péronne.«

»Ja, wenn Ew. Majestät erlauben,« erwiderte Comines, »die Vernunft pflegte zu Paris und Plessis so leise und halblaut zu reden, daß sie nicht immer Gehör bei Eurer Majestät erlangen konnte – zu Péronne borgt sie das Sprachrohr der Nothwendigkeit und ihre Stimme wird gebieterisch und befehlend.«

»Ihr redet figürlich,« sagte Ludwig, unfähig, eine unmuthige Wallung zurückzuhalten; »ich bin ein einfältiger, schlichter Mann, Herr von Comines. Ich bitte, laßt Eure bildlichen Reden und sprecht offen und deutlich. Was erwartet Euer Herzog von mir?«

»Ich bringe keine Vorschläge, Herr,« sagte Comines; »bald wird der Herzog selbst seinen Willen kund thun; doch fällt mir Einiges ein, was in Vorschlag gebracht werden dürfte, und worauf sich Ew. Majestät vorbereiten sollte. So, zum Beispiel, die Abtretung dieser beiden Städte hier an der Somme.«

»Das hab' ich erwartet,« sagte Ludwig.

»Daß Ihr Euch von den Lüttichern und von Wilhelm von der Mark lossagt.«

»So gern, wie von Höll' und Satan,« sagte Ludwig.

»Genügende Bürgschaft, durch Geiseln, oder durch Abtretung von Festungen oder auf ähnliche Weise, wird verlangt werden, daß Frankreich sich künftig enthalten soll, Rebellion in Flandern zu fördern.«

»Es ist etwas Neues,« antwortete der König, »daß ein Vasall Pfänder und Geiseln von seinem Souverain verlangt; doch mag auch dies passiren.«

»Eine passende und unabhängige Apanage für Euren erlauchten Bruder, den Bundesgenossen und Freund meines Herrn – und zwar Normandie oder Champagne. Der Herzog liebt die Familie Eures Vaters, mein Fürst.«

»So sehr,« antwortete der König, »daß er, mort dieu! lauter Könige draus machen will. – Ist das Budjet Eurer Winke noch nicht geleert?«

»Nicht ganz,« antwortete der Rath; »gewiß wird verlangt werden, daß Ew. Majestät aufhöre den Herzog von Bretagne, wie es in der letzten Zeit geschehn ist, zu belästigen, und daß Ihr ihm nicht ferner das Recht streitig macht, welches er und andre hohe Lehensträger haben, Geld zu schlagen und sich Herzöge und Fürsten von Gottes Gnaden zu nennen.« –

»Mit einem Wort, ich soll Könige aus meinen Vasallen machen. Herr Philipp, möchtet Ihr einen Brudermörder aus mir machen? – Ihr erinnert Euch meines Bruders Karl – kaum war er Herzog von Guyenne, als er starb. – Und was wird dem Nachkommen und Stellvertreter Karls des Großen weiter übrig bleiben, nachdem er diese reichen Provinzen abgegeben, außer daß er zu Rheims mit Oel gesalbt wird und sein Mittagessen unter einem hohen Baldachin einnimmt?«

»Wir wollen Ew. Majestät Besorgniß in dieser Sache mindern, indem wir Euch einen Genossen in dieser einsamen Erhöhung geben,« sagte Philipp von Comines. – »Der Herzog von Burgund, obwohl er keinen Anspruch auf den Titel eines unabhängigen Königs macht, wünscht trotzdem künftig von den herabwürdigenden Merkmalen der Unterwürfigkeit befreit zu werden, welche die Krone Frankreichs von ihm verlangt; – er hat die Absicht, seine Herzogskrone mit einem Kaiserbogen oben zu schließen und mit einer Weltkugel zu schmücken, zum Zeichen, daß sein Gebiet unabhängig ist.«

»Und wie darf der Herzog von Burgund, der geschworne Vasall Frankreichs,« rief Ludwig, aufstehend und ungewöhnliche Aufregung zeigend, – »wie darf er seinem Souverain solche Bedingungen vorschlagen, die nach allen europäischen Rechten eine Verwirkung seines Lehens herbeiführen müssen?«

»Das Urtheil der Verwirkung dürfte in diesem Falle schwer zu vollziehen sein,« antwortete Comines ruhig. – »Ew. Majestät weiß, daß die strenge Auslegung der Lehensgesetze selbst im deutschen Reiche zu veralten beginnt, und daß Oberherr und Vasall wechselseitig ihre Lage zu verbessern streben, je nachdem sie Macht oder Gelegenheit haben. – Ew. Majestät Einmischung in die Angelegenheiten der herzoglichen Vasallen in Flandern wird meines Herrn Benehmen zur Entschuldigung dienen, indem er darauf bestehen wird, daß, durch Erweiterung seiner Unabhängigkeit, Frankreich in Zukunft verhindert wird, einen Vorwand zu dergleichen Handlungen zu haben.«

»Comines, Comines!« sagte Ludwig, indem er wieder aufstand und das Zimmer nachdenkend durchschritt, »das ist eine schreckliche Vorlesung über den Text Vae victis! – Ihr meint doch nicht, daß Euer Herzog auf all diesen harten Bedingungen bestehen wird?«

»Zum mindesten wünscht' ich Eure Hoheit in den Stand zu setzen, sie alle zu erörtern.«

»Aber Mäßigung, Comines, Mäßigung im Glücke ist – Niemand weiß das besser als Ihr – nothwendig, um seine Vortheile aufs Höchste zu genießen.«

»Eure Hoheit erlaube, – das Verdienst der Mäßigung wird, wie ich bemerkt habe, von Niemand mehr erhoben, als von der verlierenden Partei. Der Gewinnende schätzt die Klugheit höher, welche ihm empfiehlt, keine Gelegenheit unbenutzt zu lassen.«

»Gut, wir wollen überlegen,« – erwiderte der König; »aber zum wenigsten war doch nun die Zahl der ungerechten Erpressungen Eures Herzogs erschöpft? Es kann nichts übrig sein – oder wenn es dennoch der Fall wäre, und deine Stirne verkündigt es – was ist es – in der That, was könnt' es sein – was anders als meine Krone? die, wenn ich alle die vorigen Forderungen gewähre, all' ihres Glanzes beraubt sein wird?«

»Herr,« sagte Comines, »was noch weiter zu erwähnen ist, liegt zum Theil, und zwar zum großen Theil, in des Herzogs eigener Macht, obwohl er Eurer Majestät Zustimmung verlangen will, da es in Wahrheit auch Euch nahe angeht.«

» Pasques-dieu!« rief der König ungeduldig, »was ist es? – Sprecht es aus, Herr Philipp – soll ich ihm meine Tochter zur Concubine senden, oder welch' andre Schmach will er mir anthun?«

»Keine Schmach, mein Fürst; aber da Ew. Majestät Vetter, der erlauchte Herzog von Orleans« –

»Ha!« rief der König; aber Comines fuhr, ohne der Unterbrechung zu achten, fort.

»– Neigung zu der jungen Gräfin Isabelle von Croye gefaßt hat, so erwartet der Herzog, Eure Majestät werde ihrerseits, wie er seinerseits, die Zustimmung zu der Ehe geben, und im Verein mit ihm das edle Paar mit einer Apanage beschenken, die, verbunden mit den Gütern der Gräfin, eine anständige Einrichtung für einen Sohn Frankreichs bilden wird.«

»Nie, nie!« sagte der König mit all' der heftigen Aufregung, die er kaum erst mit Schwierigkeit unterdrückt hatte, und indem er in wilder Hast hin- und herschritt, welche den stärksten Gegensatz zu einer gewöhnlichen Selbstbeherrschung bildete. – »Nie, nie! – mögen sie eine Scheere herbeibringen und mein Haar so kahl scheren, wie das des Narren, dem ich so gleich gewesen bin! mögen sie mir ein Kloster oder ein Grab eröffnen – mögen sie rothglühende Becken bringen, mir die Augen zu blenden – Beil oder Gift – was sie immer wollen – aber Orleans soll sein meiner Tochter gegebenes Wort nicht brechen, oder eine andre heirathen, so lange sie lebt!«

»Eure Majestät,« sagte Comines, »wird, ehe Ihr Euch so hartnäckig dem Vorschlage widersetzt, Eure eigene Ohnmacht erwägen. Jeder weise Mann, der einen Felsen sinken sieht, steht von dem fruchtlosen Versuche ab, den Sturz zu verhindern.«

»Aber ein tapfrer Mann,« sagte Ludwig, »will wenigstens sein Grab darunter finden. Comines, erwägt den großen Verlust – den unendlichen Nachtheil, den eine solche Heirath meinem Königreiche zuziehen wird. Bedenkt, ich habe einen schwächlichen jungen Sohn, und dieser Orleans ist der nächste Erbe – erwägt, daß die Kirche ihre Zustimmung zu dieser Verbindung mit Johanna gegeben hat, welche so glücklich die Interessen beider Zweige meiner Familie vereinigen wird, – bedenkt dies Alles, und bedenkt auch, daß diese Verbindung ein Lieblingsplan meines ganzen Lebens war – daß ich dafür nachgedacht, gekämpft, darüber gewacht und dafür gebetet habe, – ja auch dafür gesündigt habe. Philipp von Comines, ich werde das nicht aufgeben! Denke nach, Mann, denke nach! – erbarme dich mein in dieser Bedrängniß – dein geübtes Hirn wird schnell ein Auskunftsmittel für dies Opfer entdecken – einen Widder, der statt dieses Planes geopfert werden kann, welcher mir so theuer ist, wie dem Patriarchen sein einziger Sohn war. Philipp, erbarme dich! – Ihr solltet zum wenigsten wissen, daß für Menschen von Urtheilskraft und Umsicht die Zerstörung eines Planes, den sie lange hegten und um dessen Gelingen sie sich lang bemühten, weit herber, unaussprechlich bitterer ist, als der vorübergehende Gram für gewöhnliche Menschen, deren Streben nur dahin geht, eine momentane Leidenschaft zu befriedigen – Ihr, der Ihr Mitleid zu fühlen wißt mit dem tiefern, eindringlichern Kummer getäuschter Umsicht und unnütz angewandten Scharfsinns, – werdet Ihr nichts für mich fühlen?«

»Herr und König!« erwiderte Comines, »ich habe Mitleid mit Eurem Kummer, in so weit als die Pflicht gegen meinen Herrn« – –

»Erwähne seiner nicht!« sagte Ludwig, indem er wirklich, oder wenigstens scheinbar einem unwiderstehlichen und plötzlichen Antriebe nachgab, der ihn die gewöhnliche Vorsicht, mit der er über seine Zunge wachte, vergessen ließ – »Karl von Burgund ist Eurer Anhänglichkeit unwürdig! Er, der seine Räthe höhnen und schlagen kann – er, der den weisesten und treuesten unter ihnen durch den Schimpfnamen Stiefelkopf auszeichnen kann« – –

Die Weisheit Philipps von Comines verhinderte diesen nicht, eine große Meinung von seiner persönlichen Wichtigkeit zu hegen; und er war so betroffen über die vom König geäußerten Worte, die dieser nur in einem, alle Höflichkeit bei Seite setzenden Anfalle der Leidenschaft sprach, daß er keine andere Antwort zu geben wußte, als eine Widerholung des Wortes »Stiefelkopf!« »Unmöglich,« fuhr er dann fort, »konnte mein Herr, der Herzog, den Diener so nennen, der ihm zur Seite gewesen, seitdem er ein Pferd besteigen lernte – und noch dazu vor einem fremden Fürsten? – es ist unmöglich!«

Ludwig bemerkte alsbald den Eindruck, den er hervorgebracht hatte, und indem er sowohl den Ton des Bedauerns vermied, der wie Hohn hätte klingen können, als auch den des Mitgefühls, der wie Affektation hätte erscheinen dürfen, sagte er mit anspruchlosem aber zugleich würdevollem Wesen: »Mein Mißgeschick läßt mich die Höflichkeit vergessen, sonst hätte ich nicht gesagt, was Euch unangenehm zu hören sein muß. Aber der Inhalt Eurer Antwort war, daß ich Unmöglichkeiten ausgesprochen habe – dies berührt meine Ehre; dennoch müßte ich die Beschuldigung hinnehmen, wenn ich Euch nicht die Umstände sagte, die der Herzog, lachend bis ihm die Augen übergingen, als den Ursprung dieses Schimpfnamens angab, durch dessen Wiederholung ich Euer Ohr nicht beleidigen will. Es verhielt sich aber folgendermaßen. Ihr, Herr Philipp von Comines, waret auf einer Jagdpartie mit dem Herzog von Burgund, Eurem Herrn, begriffen; nach der Rückkehr von der Jagd nahm er Eure Dienste beim Stiefelausziehen in Anspruch. Da er vielleicht in Eurem Blicke einen natürlichen Unwillen über diese entwürdigende Behandlung las, so befahl er Euch, einen Stuhl einzunehmen und erwies Euch denselben Dienst, den er von Euch empfangen hatte. Aber dadurch beleidigt, daß Ihr ihn buchstäblich verstandet, hatte er kaum einen Eurer Stiefel ausgezogen, als er Euch heftig damit auf den Kopf schlug, bis das Blut darnach floß, und zugleich schalt er die Unverschämtheit eines Unterthanen, der anmaßend genug sei, einen solchen Dienst von der Hand seines Fürsten anzunehmen; und seitdem pflegte er, oder sein privilegirter Narr, der Glorieux, Euch den abgeschmackten und lächerlichen Namen Tête botté beizulegen, und so machte Euch der Herzog zum Gegenstande eines seiner gemeinsten Spässe.«

Indem Ludwig so sprach, hatte er das doppelte Vergnügen, nicht nur die Person, die er anredete, im Innersten zu verletzen, (eine Handlungsweise, die ihn stets ergötzte, selbst wenn er nicht, wie im gegenwärtigen Falle, die Entschuldigung hatte, daß er nur zur Wiedervergeltung so verfahre,) sondern auch zu bemerken, daß er endlich eine Stelle in Comines Charakter entdeckt habe, die diesen allmählig von den Interessen Burgunds zu denen Frankreichs hinlenken könne. Aber obwohl der tiefe Unwille, den der beleidigte Höfling gegen seinen Herrn unterhielt, ihn in einer spätern Periode verleitete, den Dienst Karls mit dem Ludwigs zu vertauschen, so begnügte er sich doch im gegenwärtigen Moment, nur einige allgemeine Winke in Bezug auf seine Hinneigung zu Frankreich fallen zu lassen, von denen er wußte, daß sie der König wohl zu deuten verstehe. Und in der That würde es ungerecht sein, das Andenken dieses trefflichen Historikers mit der Beschuldigung zu beflecken, als habe er bei dieser Gelegenheit seine Pflicht gegen seinen Herrn verletzt, wiewohl er jetzt sicherlich weit günstigere Gesinnungen gegen Ludwig hegte, als in dem Augenblicke, wo er das Zimmer betrat.

Er zwang sich, über die von Ludwig mitgetheilte Anekdote zu lachen, und fügte dann hinzu: »Ich hätte nicht geglaubt, daß der Herzog einen so unbedeutenden Scherz so lange im Gedächtniß behalten könne, um ihn der Wiedererzählung werth zu halten. Es fand so etwas Aehnliches mit Stiefelausziehen statt, und Ew. Majestät weiß ja, daß der Herzog grobe Spässe gern hat; aber sein Gedächtniß hat die Sache etwas übertrieben. Uebergehen wir sie.«

»Ja, übergehen wir's,« sagte der König; »es ist in der That eine Schmach, daß wir uns auch nur eine Minute dabei aufhielten. – Und nun, Herr Philipp, hoff' ich, daß Ihr in so weit ein Franzose seid, um mir Euren besten Rath in diesen schwierigen Dingen zu geben. Ihr habt, das weiß ich wohl, den Knäuel zum Labyrinthe, wenn Ihr ihn nur mittheilen wollt.«

»Ew. Majestät hat über meinen besten Rath und Dienst zu befehlen,« erwiderte Comines, »mit stetem Vorbehalt der Pflicht gegen meinen eignen Herrn.«

Dies war fast dasselbe, was der Hofmann vorher erklärt hatte; aber er wiederholte es jetzt mit einem so verschiedenen Tone, daß Ludwig, der bei der frühern Erklärung die Pflichten gegen Burgund allem andern vorgezogen sah, nun deutlich bemerkte, daß der Nachdruck der Worte ein anderer war, und daß der Sprecher jetzt größeres Gewicht auf den verheißenen Rath legte, als auf die nachfolgende Beschränkung, welche nur der Form und der Schicklichkeit wegen beigefügt zu sein schien. Der König nahm seinen Stuhl wieder ein, nöthigte Comines, sich neben ihn zu setzen, indem er zugleich den Worten des Staatsmanns lauschte, als wenn sie ein Orakel ihm ihn's Ohr schallen ließe. Comines sprach in dem leisen, nachdrucksvollen Tone, welcher zugleich große Aufrichtigkeit und auch Vorsicht ankündigt, und zu gleicher Zeit so langsam, als wünsche er, daß der König jedes einzelne Wort überlegen und erwägen solle, als habe jedes seine besondere und bestimmte Bedeutung. »Die Sachen,« sagte er, »die ich zu Ew. Majestät näherer Betrachtung andeutete, sind, so hart sie Eurem Ohr auch dünken, doch nur anstatt anderer, schlimmerer Vorschläge angenommen worden, welche des Herzogs Räthe, die Eurer Majestät feindlich gesinnt sein mögen, in Erwägung brachten. Und ich brauche Ew. Majestät nicht zu erinnern, daß die raschesten und heftigsten Rathschläge die bereitwilligste Annahme bei unserem Herzog finden, welcher kurze und gefährliche Maßregeln mehr liebt, als die sichern, aber zugleich umständlichen.«

»Ich erinnere mich,« sagte der König, »daß ich ihn einen Fluß mit Gefahr zu ertrinken durchschwimmen sah, obwohl er zwei hundert Schritte von dieser Stelle auf einer Brücke hätte darüber reiten können.«

»Wahr, Sire; und er, dem sein Leben gegen die Befriedigung einer momentanen heftigen Leidenschaft nichts gilt, wird auf dieselbe Weise die Befriedigung seines Willens der wesentlichen Vergrößerung seiner Macht vorziehen.«

»Sehr wahr,« erwiderte der König; »ein Thor wird stets eher nach dem Scheine, als nach der Wirklichkeit des Ansehens und der Macht greifen. Es ist bekannt, daß Alles dies bei Karl von Burgund der Fall ist. Aber, mein theurer Freund von Comines, welche Schlüsse zieht Ihr aus diesen Vordersätzen?«

»Einfach diesen, Herr,« erwiderte der Burgunder; »Ew. Majestät hat wohl schon gesehn, wie ein geschickter Angler einen großen und starken Fisch endlich mittelst eines dünnen einzelnen Fadens an's Land zog, während dieser Fisch eine zehnfach stärkere Schnur zerrissen haben würde, hätte ihn der Fischer zu plötzlich empor gezogen, statt seinen wilden Bewegungen gehörigen Spielraum zu lassen; eben so wird Ew. Majestät, indem Ihr dem Herzog in jenen einzelnen Gegenständen, an welche er seine Ideen von Ehre und die Befriedigung seiner Rache knüpft, nachgebt, vielen von den andern schlimmern Bedingungen ausweichen können, die ich andeutete; diese werden dann (und ich muß Ew. Majestät offen gestehen, daß einige derselben der Art sind, daß sie Frankreich bedeutend schwächen würden,) seinem Gedächtnis und seiner Aufmerksamkeit entschwinden, und, auf spätere Konferenzen und künftige Erörterung verschoben, vielleicht völlig vergessen werden.«

»Ich verstehe Euch, mein guter Herr Philipp; aber zur Sache!« sagte der König. »Auf welche von jenen artigen Vorschlägen hält Euer Herzog so viel, daß Widerspruch ihn unbändig und unlenksam machen würde?«

»Auf jeden derselben, mit Eurer Majestät Erlaubniß, dem Ihr überhaupt widersprechen würdet. Dies muß Eure Majestät vorzüglich vermeiden; und, um mein früheres Gleichniß wieder aufzunehmen, Ihr müßt immer auf Eurer Hut sein und dem Herzog die Angelschnur locker genug hängen lassen, wenn er damit unter dem Antriebe seiner Wuth fortschießen will. Seine Heftigkeit, die ohnehin schon etwas gemildert ist, wird sich von selber ermatten, wenn er keinen Widerspruch erfährt, wo Ihr ihn alsbald freundlicher und milder finden werdet.«

»Es müssen doch,« sagte der König sinnend, »einige besondere Forderungen sein, deren Erfüllung meinem Vetter mehr am Herzen liegt, als die der übrigen Vorschläge. Wären mir nur diese bekannt, Herr Philipp –«

»Ew. Majestät kann die geringfügigsten Forderungen zu den wichtigsten machen, bloß dadurch, wenn Ihr widersprecht,« sagte Comines; »indeß kann ich doch so viel sagen, daß jeder Schatten eines Vergleiches schwinden wird, wenn Ew. Majestät von Wilhelm von der Mark und den Lüttichern sich nicht lossagt.«

»Ich habe bereits erklärt, daß ich mich von ihnen lossagen will,« antwortete der König, »und sie haben es wohl verdient; die Schurken haben den Aufstand in einem Augenblicke unternommen, da er mir das Leben hätte kosten können.«

»Wer eine Pulverlinie entzündet,« erwiderte der Historiker, »muß das augenblickliche Auffliegen der Mine erwarten. – Aber Karl erwartet mehr als bloßes Lossagen von ihrer Sache von Euch; denn wißt, er wird Ew. Majestät Beistand fordern, um den Aufstand zu unterdrücken, und Ew. königliche Gegenwart, um Zeuge von der Strafe zu sein, die er den Rebellen bestimmt hat.«

»Das dürfte sich kaum mit unserer Ehre vertragen, Comines,« sagte der König.

»Die Weigerung würde sich kaum mit Ew. Majestät Sicherheit vertragen,« erwiderte Comines. »Karl ist entschlossen, dem Volke Flanderns zu zeigen, daß weder Hoffnung noch Verheißungen in Bezug auf Hilfe von Frankreich es künftig in seinen Meutereien vor dem Zorne und der Rache Burgunds schützen könne.«

»Aber, Herr Philipp, ich will offen reden,« antwortete der König, – »könnte man nur die Sache verzögern, würden dann jene Schurken von Lüttich sich nicht gegen den Herzog zu halten im Stande sein? Die Schelme sind zahlreich und hartnäckig. – Können sie nicht ihre Stadt gegen ihn behaupten?«

»Mit Hilfe der tausend französischen Bogenschützen, die Ew. Majestät ihnen versprochen, könnten sie etwas ausgerichtet haben; aber – –«

»Die ich ihnen versprochen hatte!« sagte der König. – »Ach, guter Herr Philipp! Ihr thut mir groß Unrecht mit dieser Behauptung.«

»– Aber ohne diese,« fuhr Comines fort, ohne die Unterbrechung zu beachten, »die Ew. Majestät jetzt wohl nicht mehr wird hergeben mögen, – wie sollten die Bürger ihre Stadt noch halten wollen, in deren Mauern die weiten Breschen noch nicht hergestellt sind, die Karl nach der Schlacht von St. Tron machte, so daß die Lanzen von Hennegau, Brabant und Burgund in Fronten von zwanzig Mann angreifen können?«

»Die unvorsichtigen Dummköpfe!« sagte der König, »wenn sie ihre eigne Sicherheit so vernachlässigt haben, verdienen sie meinen Schutz nicht. – Fahrt fort – um dieser Sache willen werd' ich nicht streiten.«

»Der nächste Punkt wird, fürcht' ich, Eurer Majestät mehr am Herzen liegen,« sagte Comines.

»Ach!« erwiderte der König, »Ihr meint die heillose Heirath! Ich werde meine Zustimmung nicht geben, daß der Vertrag zwischen meiner Tochter Johanna und meinem Vetter von Orleans gebrochen werde – das hieße das Scepter Frankreichs mir und meiner Nachkommenschaft entreißen; denn der schwächliche Knabe, der Dauphin, ist eine verwelkte Knospe, die ohne Frucht vergehen wird. Diese Heirath zwischen Johanna und Orleans ist mein Gedanke bei Tag, mein Traum bei Nacht gewesen – ich sage Euch, Herr Philipp, ich kann sie nicht aufgeben! – Ueberdies ist es unmenschlich, zu verlangen, daß ich mit meiner eignen Hand auf einmal meinen politischen Plan und das Glück eines für einander erzogenen Paares zerstören soll.«

»Haben sie denn einander so sehr lieb?« sagte Comines.

»Eines von ihnen zum wenigsten liebt sehr,« sagte der König, »und zwar gerade dasjenige, für welches ich am meisten zu sorgen verpflichtet bin. Doch Ihr lächelt, Herr Philipp, – Ihr glaubt nicht an die Macht der Liebe.«

»Wirklich,« sagte Comines, »wenn Ihr erlaubt, Sire, bin ich so wenig ein Ungläubiger in diesem Punkte, daß ich im Begriff war, Euch zu fragen, ob es Euch einigermaßen mit der vorgeschlagenen Ehe zwischen dem Herzog von Orleans und der Gräfin Isabelle von Croye versöhnen könnte, wenn ich Euch überzeugte, daß der Gräfin Neigung so sehr einem andern zugewendet ist, daß sie sich zu dieser Ehe wahrscheinlich nie verstehen wird?«

König Ludwig seufzte. – »Ach!« sagte er, »mein guter und theurer Freund, von welchem Grabe habt Ihr diesen Leichentrost abgeschrieben? Ihre Neigung, fürwahr! – Um die Wahrheit zu sagen, nehmen wir an, daß Orleans meine Tochter Johanna verabscheut, so würde er doch, ohne dieß unselige Gewebe von Mißgeschick, genöthigt gewesen sein, sie zu heirathen; daraus könnt Ihr abnehmen, wie schwer es der jungen Dame sein wird, ihn aus ähnlichem Antriebe auszuschlagen, zumal da er ein Sohn Frankreichs ist! – O nein, Philipp! – schwerlich kann sie der Bewerbung eines solchen Liebhabers hartnäckig widerstehen. – Varium et mutabile, Philipp!«

»Ew. Majestät schlägt in gegenwärtigem Falle den Muth der jungen Dame zu gering an. Sie stammt aus einer entschlossenen, eigenwilligen Familie; und ich habe aus Crèvecoeurs Andeutungen gemerkt, daß sie eine romantische Zuneigung zu einem jungen Knappen gefaßt hat, welcher ihr wirklich auf der Reise viele Dienste erwiesen haben soll.«

»Ha!« sagte der König, »ein Bogenschütze meiner Garde, Namens Quentin Durward?«

»Derselbe, glaub' ich,« sagte Comines; »er ward zugleich mit der Gräfin gefangen, als beide fast ganz allein mit einander reiseten.«

»Nun, unser Herr und die heilige Jungfrau und St. Martin und St. Julian seien dafür gepriesen!« sagte der König, »und Lob und Ehre sei dem gelehrten Galeotti, der in den Sternen las, daß dieses Jünglings Geschick mit dem meinigen verknüpft sei! Wenn ihn das Mädchen so sehr liebt, daß sie sich dem Willen Burgunds widersetzt, so hat mir dieser Quentin allerdings einen ungewöhnlich guten Dienst geleistet.«

»Ich glaube, Herr,« antwortete der Burgunder, »nach Crèvecoeurs Berichte, daß sie allerdings hinlänglich hartnäckig sein mag; überdies wird ohne Zweifel der edle Herzog selbst, trotz dem was Ew. Majestät als Vermuthung anzudeuten beliebte, nicht gern seiner schönen Verwandten, mit welcher er so lange versprochen ist, entsagen.«

»Hm!« antwortete der König, »doch Ihr habt meine Tochter Johanna nie gesehn. Eine Nachteule, Freund! – eine Eule ganz und gar, deren ich mich schämen muß! Aber laßt ihn nur ein einzig Mal vernünftig sein und heirathen, so will ich ihm Erlaubniß geben, sich bis zum Rasen in die schönste Dame Frankreichs zu verlieben. – Und habt Ihr mir nun, Philipp, den ganzen Ideenvorrath Eures Herrn mitgetheilt?«

»Ich habe Euch in Kenntniß der Einzelheiten gesetzt, Sire, auf welchen er gegenwärtig bestehen will. Aber Ew. Majestät weiß wohl, daß des Herzogs Gemüth einem brausenden Bergstrom gleicht, der nur dann glatt dahin wallt, so lange seinen Wogen kein Hemmniß begegnet; und was ihn auf's Neue etwa in Wuth versetzen könnte, das läßt sich unmöglich voraus errathen. Sollten sich bestimmtere Beweise von Eurer Majestät Umtrieben (verzeiht den Ausdruck, denn die Kürze der Zeit gestattet keine lange Wahl) unter den Lüttichern und Wilhelm von der Mark unerwartet herausstellen, so dürfte der Erfolg schrecklich sein. – Man hört seltsame Nachrichten von dorther – es heißt, von der Mark habe die ältere Gräfin von Croye, Hameline, geheirathet.«

»Die alte Närrin war so heirathstoll, daß sie dem Teufel ihre Hand gegeben haben würde,« sagte der König, »aber daß Wilhelm, so dumm er auch ist, sie geheirathet haben sollte, überrascht mich noch weit mehr.«

»Auch geht das Gerücht,« fuhr Comines fort, »daß ein Gesandter oder Herold von Seiten Wilhelms sich Péronne nähere; – ich hoffe, daß jener keine Briefe oder dergleichen von Eurer Majestät aufzuweisen hat?«

»Briefe an einen wilden Eber!« rief der König. »Nein, nein, Herr Philipp, ich war kein solcher Narr, um Perlen vor die Säue zu werfen – der geringe Verkehr, den ich mit dem wilden Thier unterhielt, fand mittelst Boten statt, wozu ich stets so niedrige Sklaven und Vagabunden anwandte, daß ihr Zeugniß nicht einmal bei einem Verhör wegen Hühnerdiebstahl angenommen werden würde.«

»Dann kann ich nur noch empfehlen,« sagte Comines, sich beurlaubend, »daß Ew. Majestät auf Eurer Hut bleiben möge, sich durch die Verhältnisse lenken lasse und vor Allem eine Sprache mit dem Herzog vermeide, welche sich mehr mit Eurer Würde als mit Eurer gegenwärtigen Lage vertragen möchte.«

»Wenn mir meine Würde lästig wird,« sagte der König, »welches selten geschieht, so lang ich an wichtigere Dinge zu denken habe, dann habe ich ein gutes Mittel für den Hochmuth des Herzens. Es besteht nur darin, auf ein gewisses verfallenes Gemach zu blicken, Herr Philipp, und an den Tod Karls des Einfältigen zu denken; und dies heilt mich so gründlich und schnell, wie ein kaltes Bad das Fieber. – Und nun, mein Freund und Rathgeber, willst du gehen? Wohlan, Herr Philipp, die Zeit muß kommen, wo du müde sein wirst, dem Stier von Burgund Lehren der Staatsklugheit zu geben, welcher unfähig ist, deinen einfachsten Vernunftgrund zu begreifen. Lebt Ludwig von Valois dann noch, so hast du einen Freund am französischen Hofe. Ich sage dir, mein Philipp, es würde ein Segen für mein Reich sein, wenn ich dich erwerben könnte: denn du besitzest, bei großem Scharfsinn in Staatssachen, auch ein Gewissen, welches den Unterschied zwischen Recht und Unrecht fühlen kann. So wahr mir unser Herr, die heilige Jungfrau und St. Martin helfen möge, Oliver und Balue haben Herzen, so hart wie ein Mühlstein; und mein Leben wird durch Gewissensqual und Bußen für die Verbrechen verbittert, welche mich jene begehen ließen. Du, Herr Philipp, der du die Weisheit vergangener und gegenwärtiger Zeit besitzest, vermagst zu lehren, wie man groß werden kann, ohne vom tugendhaften Wege zu weichen.«

»Eine schwere Aufgabe, die Wenige lösen können,« sagte der Historiker; »aber sie liegt noch stets in dem Bereiche der Fürsten, die darnach streben. Indessen, Sire, macht Euch bereit auf eine sofortige Zusammenkunft mit dem Herzog.«

Ludwig sah Philipp lange nach, als dieser das Gemach verlassen hatte, und endlich brach er in ein bitteres Gelächter aus. »Er sprach vom Angeln – ich hab' ihn heimgeschickt, gleich einer Forelle, die angebissen hat! – Und er hielt sich für tugendhaft, weil er kein Geld nahm, sondern sich mit Schmeichelei und Versprechen, und mit dem Vergnügen, seine verletzte Eitelkeit rächen zu können, begnügte! – Ei, weil er das Geld verschmähte, ist er nur um so viel ärmer, nicht um so viel ehrlicher. Aber er muß der meine werden, denn er hat den schlauesten Kopf unter ihnen. – Wohlan, jetzt gilt es ein edles Wild! Ich soll mich dem Leviathan Karl entgegenstellen, der, die Tiefe vor ihm spaltend, sogleich hieher schwimmen wird. Ich muß, gleich dem bangen Schiffer, eine Tonne über Bord werfen, um ihn hinzuhalten. Aber eines Tages wird sich die Gelegenheit für mich finden, – ihm eine Harpune in die Eingeweide zu schleudern!«



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