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Neunundzwanzigstes Kapitel.
Gegenbeschuldigung.

Noch nicht ist deine Zeit vorbei. Der Teufel,
Dem du hier dienst, hat dich noch nicht verlassen.
Er hilft den Seinen, wie dem blinden Mann
Der Führer half, der ihm die Schultern lieh
Auf rauh und glattem Pfad bis an den Rand
Des Abgrunds – und da stürzt er ihn hinunter.

Altes Schauspiel.

Als der Spaßmacher dem Befehl, oder vielmehr der Bitte Ludwigs gehorchte (denn dieser befand sich in Umständen, wo er, obwohl ein Monarch, den Glorieux nur bitten konnte, Martius Galeotti aufzusuchen), so hatte jener keine Mühe, seinen Auftrag auszuführen, indem er sich sogleich nach dem besten Wirthshaus in Péronne verfügte, wo er selber ein nicht seltner Gast war, weil er diejenige Flüssigkeit sehr zu verehren pflegte, die das Gehirn aller andern Leute mit dem seinigen in Uebereinstimmung brachte.

Er fand, oder beobachtete vielmehr den Astrologen in einem Winkel der öffentlichen Trinkstube, wo er in vertrautem Gespräch mit einer weiblichen Person saß, die eine sonderbare, der maurischen oder asiatischen Tracht ähnliche Kleidung trug; als diese den Glorieux nahen sah, stand sie auf, als sei sie im Begriff sich zu entfernen.

»Dies,« sagte die Fremde, »sind Neuigkeiten, auf welche Ihr Euch mit völliger Sicherheit verlassen könnt;« und mit diesen Worten verschwand sie unter der Menge der Gäste, welche an verschiedenen Tischen im Zimmer gruppirt saßen.

»Vetter Philosoph,« sagte der Spaßmacher sich vorstellend, »der Himmel löst kaum eine Schildwache ab, so sendet er auch gleich eine neue, um den Posten einzunehmen. Ein Narr ging und hier kommt schon ein anderer, um Euch nach den Gemächern Ludwigs von Frankreich zu weisen.«

»Und bist du der Bote?« sagte Martius, ihn mit besorgter Aufmerksamkeit betrachtend und sogleich des Spaßmachers Stand und Charakter entdeckend, obwohl sich dieser, wie wir bereits bemerkten, weniger als damals üblich durch sein Aeußeres ankündigte.

»Ja, Herr, und mit Eurer Gelahrtheit Erlaubniß,« antwortete der Glorieux; »wenn Macht die Narrheit absendet, um die Weisheit herbeizuholen, so ist das ein sicheres Zeichen, auf welchem Fuße der Patient hinkt.«

»Wie, wenn ich mich zu kommen weigere, da ich so spät durch einen solchen Boten gerufen werde?« sagte Galeotti.

»In diesem Falle fügen wir uns Eurer Bequemlichkeit und tragen Euch hin,« sagte Le Glorieux. »Es stehn da ein Paar Dutzend derbe burgundische Bursche vor der Thür, womit mich von Crèvecoeur zu diesem Ende versehn hat. Denn wisse, daß wir, mein Freund Karl von Burgund und ich, die Krone unserm Vetter Ludwig noch nicht abgenommen, sondern nur ein wenig beschnitten haben, da er Esel genug war, sie in unsre Gewalt zu geben; obwohl sie nun auf sehr geringen Umfang reducirt ist, so ist sie doch noch von reinem Gold. Mit schlichten Worten, er herrscht noch über seine eignen Leute und ist allerchristlichster König des alten Speisesaals im Schlosse zu Péronne, wohin Ihr Euch, als sein treuer Unterthan, sogleich zu verfügen habt.«

»Ich werd' Euch folgen, Sir,« sagte Martius Galeotti, und ging mit dem Glorieux, vielleicht weil er einsah, daß kein Entkommen möglich war.

»Ja, Herr,« sagte der Narr, während sie nach dem Schlosse gingen, »daran thut Ihr wohl; denn wir behandeln unsern Vetter wie einen alten ausgehungerten Löwen im Käfig, und werfen ihm dann und wann ein Kalb zu, um seine alten Kinnbacken in Uebung zu erhalten.«

»Meint Ihr,« sagte Martius, »daß mir der König persönlich Gewaltthätigkeiten zudenkt?«

»Ei, das könnt Ihr besser errathen als ich,« sagte der Spaßmacher; »denn obwohl die Nacht dunkel ist, ich wette, Ihr könnt die Sterne durch den Nebel sehen. Ich weiß nichts von der Sache, ich nicht; aber meine Mutter sagte mir immer, man müsse vorsichtig zu einer alten Ratte in der Falle gehen, weil die am ersten zum Beißen aufgelegt ist.«

Der Astrolog fragte weiter nicht, und Glorieux fuhr fort, wie es bei Leuten seines Standes gewöhnlich ist, in einem Gemisch von Sarkasmen und Narrheiten zu schwatzen, bis er den Philosophen der Wache am Schloßthor zu Péronne übergab; hier ward er von Posten zu Posten gebracht und endlich im Herbertsthurme eingelassen.

Die Winke des Spaßmachers waren bei Galeotti nicht verloren gegangen, und ihm schienen sie sich durch Blick und Benehmen Tristans zu bestätigen, dessen Weise ihn anzureden, als er ihn zum Schlafgemach des Königs führte, etwas Düstres und Unheilweissagendes hatte. Als ein genauer Beobachter dessen, was auf Erden vorging nicht minder, als der Himmelskörper, erspähte der Astrolog auch alsbald die Rolle und den Strick; und da der letztere sich noch im Zustande der Schwingung befand, so schloß er, daß derjenige, der ihn befestigt hatte, durch seine plötzliche Ankunft im Werke unterbrochen worden war. Alles dies sah er und nahm all' seine Schlauheit zusammen, der drohenden Gefahr zu entgehen, entschlossen, sich im äußersten Nothfalle auch gegen jeden Angriff zu vertheidigen.

Mit diesem Entschluß und mit einem Tritt und Blick, die demselben entsprachen, stellte sich Martius dem König vor, eben so wenig verlegen über das Nichteintreffen seiner Vorhersagungen, als unerschreckt durch des Königs Zorn und dessen wahrscheinliche Folgen.

»Jeder gute Stern sei Eurer Majestät günstig!« sagte Galeotti, indem er beinahe auf orientalische Weise grüßte. – »Jede böse Konstellation halte ihren Einfluß ferne von meinem königlichen Herrn!«

»Mich dünkt,« erwiderte der König, »daß, wenn Ihr Euch in diesem Gemach umschaut, wenn Ihr bedenkt, wo es gelegen ist und wie es bewacht wird, Eure Weisheit finden werde, daß sich meine günstigen Sterne treulos erwiesen, und daß jede böse Konstellation bereits ihr Aergstes gethan hat. Schämst du dich nicht, Martius Galeotti, mich hier zu sehen, und als Gefangenen, wenn du erwägst, durch welche Verheißungen ich hieher gelockt ward?«

»Und schämst du dich nicht, mein königlicher Herr?« erwiderte der Philosoph; »du, dessen Fortschritte in der Wissenschaft so bedeutend waren, dessen Fassungsvermögen so gewandt, dessen Beharrlichkeit so fest, – schämst du dich nicht, vor dem ersten ungünstigen Blicke des Geschickes umzukehren, wie ein Feiger vor dem ersten Waffengeklirr? – Nahmst du dir vor, der Geheimnisse theilhaft zu werden, welche die Menschen über die Leidenschaften, über die Zufälle, Mühen und Sorgen des Lebens erheben, eines Zustandes, den man nur gewinnt, indem man es der Charakterstärke der alten Stoiker gleich thut, und bebst nun vor dem ersten Mißgeschick zurück, und verwirkst den rühmlichen Preis, um den du dich mit bewerben wolltest, zurückgeschreckt von der Laufbahn, gleich einem Wettrenner, durch Schatten und eingebildete Uebel?«

»Schatten und eingebildet! Unverschämter, der du bist!« rief der König; »ist dieser Kerker eingebildet? – Die Waffen der Wachen meines abscheulichen Feindes von Burgund, die du am Thore klirren hörtest, sind das Schatten? – Welche, Verräther, sind wirkliche Uebel, wenn Gefangenschaft, Entthronung und Gefahr des Lebens keine sind?«

»Unwissenheit – Unwissenheit, mein Bruder, und Vorurtheil,« antwortete der Weise mit großer Festigkeit, »sind die einzigen wirklichen Uebel. Glaube mir, daß Könige in ihrer völligen Macht, aber eingetaucht in Unwissenheit und Vorurtheil, minder frei sind, als Weise im Kerker und mit wirklichen Ketten beladen. Zu dieser wahren Glückseligkeit Euch zu führen ist meine Sache – die Eure aber, meiner Anleitung zu folgen.«

»Also zu solcher philosophischen Freiheit sollten mich deine Lehren führen?« sagte der König im bittersten Tone. »Ich wollte, du hättest mir zu Plessis gesagt, daß die Gebiete, die du mir so freigebig versprachst, in einer Herrschaft über meine Leidenschaften beständen; daß das Glück, welches du mir verhießest, sich auf meine Fortschritte in der Philosophie bezog; und daß ich so weise und so gelehrt werden sollte, wie ein landstreichender italienischer Marktschreier! Diese geistige Erhöhung hätt' ich gewiß um billigern Preis erlangen können, als durch Entsagung der herrlichsten Krone der Christenheit, und indem ich der Bewohner eines Kerkers zu Péronne ward. Geht, Herr, und meint nicht, der verdienten Strafe zu entgehen – es ist ein Himmel über uns

»Ich überlasse Euch Eurem Schicksal nicht,« erwiederte Martius, »bevor ich nicht, selbst in Euren Augen, so verdunkelt sie sein mögen, jenen Ruhm gerechtfertigt habe, der ein hellerer Edelstein als der hellste in deiner Krone ist, und den die Welt anstaunen wird, noch Jahrhunderte, nachdem das Geschlecht Capets vergessen in den Grüften von Saint Denis modert.«

»Sag' an,« antwortete Ludwig; »deine Unverschämtheit kann meine Absichten oder meine Meinung nicht ändern; doch, da ich vielleicht nie wieder als König ein Urtheil fälle, so will ich dich nicht ungehört verurtheilen. Sprich also – obwohl das beste, was du thun könntest, wäre, die Wahrheit zu sagen. Bekenne, daß ich ein Dummkopf bin, du ein Betrüger, deine anmaßende Wissenschaft ein Traum, und daß die Planeten, die über uns schimmern, eben so wenig Einfluß auf unser Geschick haben, als ihre Abbilder, die sich in einem Strom spiegeln, fähig sind, den Lauf desselben zu verändern.«

»Und wie weißt du,« antwortete der Astrolog kühn, »welch' geheimen Einfluß jene heiligen Lichter haben? Sprichst du von ihrer Unfähigkeit, auf die Gewässer Einfluß zu üben, da du doch weißt, daß selbst der schwächste Stern, der Mond, – der schwächste, weil er dieser elenden Erde am nächsten ist, – nicht bloß solche arme Ströme, wie die Somme, unter seiner Herrschaft hält, sondern die Wogen des mächtigen Weltmeers selbst, welches sinkt und steigt, je nachdem die Mondscheibe wächst und abnimmt; und daß es seinem Einflusse gehorcht, wie der Sklave dem Winke seiner Sultanin? Und nun, Ludwig von Valois, beantworte auch du mein Gleichniß. – Bekenne, bist du nicht wie ein thörichter Reisender, der über seinen Piloten zürnt, weil er sein Fahrzeug nicht zum Hafen bringen kann, ohne gelegentlich die Gegenwart von Wind und Strömung zu erproben? Ich konnte dir allerdings den wahrscheinlichen Erfolg deines Unternehmens als glücklich darstellen, aber in der Macht des Himmels allein stand es, dich dahin zu geleiten; und wenn der Pfad rauh und gefahrvoll ist, stand es in meiner Macht, ihn zu ebnen und sicher zu machen? Wo ist deine gestrige Weisheit hin, die dich so wahr erkennen ließ, daß die Wege des Schicksals oft zu unserm Heile, wenn gleich unsern Wünschen entgegen führen?«

»Du erinnerst mich – du erinnerst mich da,« sagte der König hastig, »an eine besondere Lüge. Du sagtest voraus, jener Schotte würde seinen Auftrag glücklich zu meinem Vortheil und meiner Ehre vollbringen; und du weißt, daß es so endete, daß mir schwerlich etwas verderblicher werden konnte, als der Eindruck, den der Erfolg jener Angelegenheit auf das erbitterte Gehirn des tollen Stiers von Burgund gewiß machen muß. Dies ist eine direkte Unwahrheit von deiner Seite – du findest hier keinen Ausweg – du kannst keine spätere günstige Wendung dieser Wege andeuten, worauf ich, gleich einem Narren, der am Ufer des Flusses sitzt, bis dieser verlaufen sein wird, nach deiner Meinung zufrieden warten sollte. – Hier ist deine Schlauheit fehlgegangen – du warst schwach genug, eine bestimmte Prophezeihung zu geben, die sich nun als bestimmt falsch erweist.«

»Die sich als fest und wahr beweisen wird,« antwortete der Astrolog kühn. »Ich könnte keinen größern Sieg der Kunst über die Unwissenheit wünschen, als welchen diese Vorhersagung und ihre Erfüllung gewähren wird. Ich sagte dir, er werde treu sein in Vollbringung eines ehrenhaften Auftrags – ist er nicht treu gewesen? – ich sagte dir, er würde Bedenken tragen, ein übles Unternehmen zu unterstützen – hat er sich nicht auf diese Weise gezeigt? Zweifelt Ihr daran, so geht und fragt den Zigeuner Hayraddin Maugrabin.«

Der König ward hier roth vor Scham und Zorn.

»Ich sagte dir,« fuhr der Astrolog fort, »daß die Verbindung der Planeten, unter welcher er fortzog, seiner Person Gefahr verkünde – und ist seine Reise nicht von Gefahr umringt gewesen? – Ich sagte dir, daß sie dem Absender Vortheil verheiße – und davon wirst du bald die Früchte erblicken.«

»Bald die Früchte erblicken?« rief der König; »hab ich den Erfolg nicht schon erlebt in Ungnade und Gefangenschaft?

»Nein,« antwortete der Philosoph, »das Ende ist noch nicht gekommen; – deine eigne Zunge soll bald bekennen, welcher Vortheil dir aus der Weise, in welcher der Bote seinen Auftrag vollzog, erwachsen ist.«

»Das ist zu – zu unverschämt,« sagte der König, »zugleich zu hintergehn und auch zu höhnen; doch hinweg! – glaube nicht, daß mein Unrecht ungerächt bleibt. – Es ist ein Himmel über uns

Galeotti wandte sich, um zu gehen. »Doch halt,« sagte Ludwig – »du führst deine Betrügerei tapfer durch. – Laßt mich Eure Antwort auf eine Frage hören, und bedenkt sie, eh' Ihr sprecht. – Kann deine vermeinte Kunst die Stunde deines eignen Todes angeben?«

»Bloß mit Bezug auf das Schicksal eines Andern,« sagte Galeotti.

»Ich verstehe deine Antwort nicht,« sagte Ludwig.

»Wisse denn, o König,« sagte Martius, »daß ich nur so viel mit Bestimmtheit von meinem eignen Tode sagen kann, daß er genau vierundzwanzig Stunden vor dem Eurer Majestät stattfinden wird.«

»Ha! meinst du?« sagte Ludwig, sein Gesicht wieder verändernd. – »Halt! halt! Geh nicht – wart' einen Augenblick. – Sagtest du, mein Tod solle deinem so schnell folgen?«

»Binnen vierundzwanzig Stunden,« wiederholte Galeotti fest, »wofern nur ein Funke wahrer Prophezeihung in jenen hellen und geheimnißvollen Kundgebungen liegt, die sich ohne Zunge aussprechen. – Ich wünsche Eurer Majestät wohl zu ruhn.«

»Halt, halt – geh' nicht,« sagte der König, ihn beim Arm nehmend und von der Thür führend. »Martius Galeotti, ich bin dir ein freundlicher Herr gewesen – habe dich reich gemacht – dich zu meinem Freund, meinem Gefährten gemacht – zum Lehrer meiner Studien. – Sei offen mit mir, ich bitte dich. – Ist wirklich etwas an Eurer Kunst? – Wird die Sendung dieses Schotten wirklich günstig für mich enden? – und ist das Maß unserer Lebenszeit so sehr – so sehr übereinstimmend? – Gesteh', guter Martius, du sprichst nur nach einem deiner Kunstgriffe. – Gesteh', ich bitte dich, und du sollst keine Ungnade von mir erfahren. Ich bin bejahrt, ein Gefangener – wahrscheinlich eines Königreichs beraubt – einem, der in meiner Lage, gilt Wahrheit so viel wie Königreiche – und es liegt an dir, liebster Martius, mir dies unschätzbare Juwel zu verschaffen.«

»Und ich habe es vor Ew. Majestät dargelegt,« sagte Galeotti, »auf die Gefahr, daß Ihr, in blinder Leidenschaft, mich anfallen und vernichten könnt.«

»Wer, ich, Galeotti?« erwiederte Ludwig mild; »ach! du verkennst mich! – bin ich nicht gefangen, – und sollte ich nicht geduldig sein, zumal da mein Zorn nur meine Ohnmacht an den Tag legen kann? – Also sage mir aufrichtig – habt Ihr mich zum Narren gehabt? oder ist Eure Wissenschaft ächt, und es ist wahr, was Ihr sagtet?«

»Ew. Majestät wird mir vergeben,« sagte Galeotti, »wenn ich darauf weiter nichts antworte, als daß nur die Zeit – Zeit und Erfolg die Ungläubigkeit besiegen wird. Es würde sich schlecht mit der ehrenvollen Stelle vertragen, die ich im geheimen Rathe des berühmten Helden Matthias Corvinus von Ungarn – ja, im Kabinett des Kaisers selbst – einnahm, wenn ich die Versicherungen der Wahrheit dessen, was ich sagte, wiederholen wollte. Wenn Ihr mir nicht glaubt, so kann ich mich nur auf den Ausgang der Ereignisse beziehen. Ein Tag oder zwei Tage Geduld wird bewähren oder widerlegen, was ich in Bezug auf den jungen Schotten versicherte; und gern will ich auf dem Rade sterben und meine Glieder Stück um Stück zerbrechen lassen, wenn Eure Majestät nicht in einem hohen Grade von dem unerschrockenen Benehmen des jungen Schotten Vortheil erlangt. Aber wenn ich unter solchen Qualen sterben sollte, so mag sich Ew. Majestät nur nach einem Beichtvater umsehen; denn von meinem letzten Todesseufzer an gerechnet, bleiben Euch nur vierundzwanzig Stunden zu Beichte und Buße.«

Ludwig fuhr fort, Galeotti's Kleid fest zu halten, während er ihn nach der Thüre führte, und rief, während er sie öffnete, mit lauter Stimme: »Morgen wollen wir weiter hiervon sprechen. Geh' in Frieden, mein gelehrter Vater. – Geh' in Frieden – Geh' in Frieden

Er wiederholte diese Worte dreimal; und immer noch fürchtend, der Generalprofoß möchte seine Absicht mißdeuten, führte er den Astrologen in die Halle, sein Kleid festhaltend, als besorge er, er möchte sich losreißen und vor seinen Augen hingerichtet werden. Er ließ ihn auch nicht eher los, als bis er noch einige Mal die huldreiche Phrase: »Geh' in Frieden!« wiederholt hatte, gab aber auch dann noch dem Generalprofoß ein geheimes Zeichen, um ihm jedes weitere Verfahren gegen den Astrologen zu untersagen.

So rettete der Besitz einer geheimen Nachricht und der kühne Muth und die Geistesgegenwart Galeotti von der drohendsten Gefahr; und so ward Ludwig, der scharfsinnigste sowohl, als der rachsüchtigste unter den Fürsten seiner Zeit, von der Rache abgehalten durch den Einfluß des Aberglaubens auf ein selbstisches Gemüth, welchem auch zugleich das Bewußtsein so vieler Verbrechen den Tod vorzüglich furchtbar erscheinen ließ.

Indeß kränkte es ihn sehr, daß er so genöthigt war, der beabsichtigten Rache zu entsagen; und sein Mißmuth schien sich auch seinen Helfershelfern mitzutheilen, denen die Ausführung übertragen worden war. Balafré allein, welchem die ganze Sache höchst gleichgiltig war, verließ, als er das Zeichen des Gegenbefehls vernahm, den Posten, den er an der Thür eingenommen hatte, und lag binnen wenigen Minuten in tiefem Schlafe.

Nachdem der König sich in das Schlafgemach zurückgezogen und die Gruppe sich in der Halle zur Ruhe gelegt hatte, fuhr der Generalprofoß noch immer fort, die stattliche Gestalt des Astrologen zu betrachten, ganz wie ein Bullenbeißer ein Stück Fleisch mit dem Blicke verfolgt, welches der Koch seinen Zähnen entrissen hat, während seine Diener in kurzen Phrasen einander ihre charakteristischen Ansichten mittheilten.

»Der arme verblendete Schwarzkünstler,« flüsterte Trois-Echelles mit einem Blicke voll geistlicher Salbung und Mitleid seinem Kameraden zu, »hat die schönste Gelegenheit verloren, einige seiner schnöden Hexereien damit abzubüßen, daß er mittelst des Stricks des gesegneten St. Franciscus starb! und ich hatte in der That im Sinne, die tröstliche Schlinge an seinem Halse zu lassen, um den bösen Feind von seinem unglücklichen Leichnam abzuhalten.«

»Und ich,« sagte Petit-André, »habe die seltne Gelegenheit eingebüßt, zu erfahren, wie weit ein Gewicht von siebzehn Stein einen dreifachen Strick ausdehnen kann! – Es würde ein rühmliches Experiment in unserm Fache gewesen sein, – und der artige alte Bursch wäre so leicht gestorben!«

Während sie im Zwiegespräch so weiter flüsterten, beobachtete Martius, welcher an der entgegengesetzten Seite des großen steinernen Kamins, um welches die ganze Gruppe versammelt war, Platz genommen hatte, die Sprechenden mit einem argwöhnischen Blicke. Vor Allem steckte er die Hand in sein Kleid und überzeugte sich, ob der Griff eines sehr scharfen und zweischneidigen Dolches, den er stets bei sich trug, ihm bequem zur Hand sei; denn er war, wie wir bereits erwähnten, obwohl jetzt ein wenig unbehilflich, doch ein kräftiger, athletischer Mann, und gewandt und geschickt genug, um seine Waffe zu brauchen. Zufrieden, dies treue Instrument in Bereitschaft zu finden, zog er nun eine Pergamentrolle aus seinem Busen, mit griechischen Schriftzeichen beschrieben und mit cabbalistischen Charakteren bezeichnet, dann schürte er das Holz im Kamin zusammen und zündete ein so helles Feuer an, daß er dabei die Züge und Bewegungen Aller, die um ihn herlagen, unterscheiden konnte – den fest und tief schlafenden schottischen Krieger, der regungslos da lag, und dessen rauhe Züge so unbeweglich erschienen, als wären sie aus Erz gegossen – das bleiche und sorgliche Gesicht Olivers, welcher sich bald den Anschein gab, als schlummere er, bald seine Augen öffnete und sein Haupt hastig erhob, als ob eine Gemüthsbewegung ihn aufrege oder ein ferner Schall ihn vom Schlaf erwecke; die mißvergnügten, wilden, bullenbeißerartigen Mienen des Generalprofoß, welcher aussah, wie

– – – »Voll Mißmuth hier,
Nicht halb begnügt, und noch voll Mordbegier« –

während man im Hintergrunde das heuchlerische Gesicht des Trois-Echelles erblickte, dessen Augen gen Himmel gerichtet waren, als ob er innerlich seine Gebete spräche; und das grimmig drollige Gesicht Petit-André's, welcher sich damit unterhielt, die verzerrten Geberden seines Kameraden vor'm Einschlafen nachzuahmen.

Mitten unter diesen gemeinen und unedeln Gesichtern konnte sich nichts vortheilhafter auszeichnen, als die stattliche Form, die hübsche Gesichtsbildung und die Achtung gebietenden Züge des Astrologen, welcher einem der alten Magier zu vergleichen war, der, in einer Räuberhöhle gefangen, im Begriffe ist, einen Geist zu seiner Befreiung herbeizurufen. Und fürwahr, wäre er auch durch nichts sonst ausgezeichnet gewesen, als durch die Schönheit des stattlichen und üppigen Bartes, welcher auf die geheimnißvolle Rolle in seiner Hand herniederfiel, so wäre es verzeihlich gewesen, wenn man bedauerte, daß eine so edle Zierde einem Manne verliehen sei, welcher seine Gelehrsamkeit und seine Rednertalente, so wie seine majestätische Gestalt nur zu den gemeinen Zwecken eines Betrügers anwandte.

So verstrich die Nacht im »Graf-Herberts-Thurm« im Schlosse zu Péronne. Als der erste Strahl der Frühdämmerung in das alterthümliche gothische Gemach fiel, rief der König Oliver vor sich, welcher den Monarchen in seinem Schlafrock sitzend fand und über die Veränderungen staunen mußte, die eine einzige in tödtlicher Angst verbrachte Nacht in seinen Mienen hervorgebracht hatte. Er würde einige Besorgniß darüber ausgedrückt haben, hätte ihm der König nicht Schweigen auferlegt, welcher ihm sogleich die verschiedenen Arten darzulegen begann, auf welche er sich vorläufig bemüht hatte, Freunde am burgundischen Hofe zu erlangen, was nun Oliver, sobald er Erlaubniß zum Ausgehen erlangt haben würde, weiterführen sollte. Und nie war der schlaue Diener erstaunter über des Königs klaren Verstand und seine vertraute Kenntniß all der Springfedern, welche Einfluß auf die menschlichen Handlungen haben, als während dieser merkwürdigen Berathung.

Etwa zwei Stunden später erlangte Oliver vom Grafen Crèvecoeur Erlaubniß auszugehen, und die Aufträge, die ihm sein Herr anvertraut hatte, auszuführen, Ludwig aber ließ den Astrologen kommen, zu dem er auf's Neue Zutrauen gefaßt zu haben schien, und hielt mit ihm gleicherweise eine lange Berathung, deren Resultat ihm mehr Muth und Selbstvertrauen zu geben schien, als er anfangs an den Tag gelegt hatte; er kleidete sich daher an und empfing die Morgenbegrüßung Crèvecoeurs mit einer Ruhe, die der burgundische Herr nothwendig bewundern mußte, um so mehr, da er bereits gehört hatte, der Herzog habe mehrere Stunden in einem Gemüthszustande zugebracht, welcher des Königs Sicherheit sehr prekär zu machen schien.



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