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Einundzwanzigstes Kapitel.
Verwüstung und Plünderung.

Die Gnadenpforten sind verschlossen alle,
Der wilde Krieger, rauh und harten Sinn's,
Wird frei die blut'ge Hand nun walten lassen,
Denn höllenweit ist sein Gewissen.

Heinrich V.

Die überrumpelte und erschreckte Besatzung des Schlosses Schönwald hatte trotzdem eine Zeit lang ihr Bestes gethan, um den Platz gegen die Angreifer zu vertheidigen; aber die ungeheuren Schaaren, die, von der Stadt Lüttich hervordringend, zum Angriffe gleich Bienenschwärmen strömten, theilten ihre Aufmerksamkeit und erschütterten ihren Muth.

Desgleichen entstand endlich Ueberdruß, wo nicht Verrath, unter den Vertheidigern; denn manche riefen, man solle sich ergeben, und andere verließen ihren Posten und versuchten vom Schlosse zu entfliehen. Viele stürzten sich selbst von den Mauern in den Graben, und die nicht ertranken, warfen ihre Abzeichen von sich und retteten sich dadurch, daß sie sich unter den bunten Haufen der Angreifenden mengten. Einige wenige sammelten sich, aus Anhänglichkeit an des Bischofs Person, um denselben, und fuhren fort, die große Warte zu vertheidigen, wohin er sich geflüchtet hatte; und andere, die keinen Pardon erwarteten oder von einem verzweifelten Muthe angetrieben, vertheidigten sich auf andern abgesonderten Bollwerken oder Thürmen des ausgedehnten Gebäudes. Aber die Angreifenden hatten von den Höfen und untern Theilen des Schlosses Besitz genommen, verfolgten eifrig die Besiegten und suchten nach Beute, während ein Einzelner, als ob er den Tod suchte, vor dem alle andern flohen, sich bemühte, einen Weg durch die Scene des Tumults und des Schreckens zu erzwingen, unter Besorgnissen, die seiner Einbildungskraft weit schrecklicher waren, denn die Wirklichkeit, die sich ringsum seinem Blicke bot. Wer Quentin Durward in jener unheilvollen Nacht gesehen hätte, ohne zu wissen, was er beabsichtigte, hätte ihn für einen Rasenden gehalten; wer seine Beweggründe gewürdigt hätte, der würde ihn den romantischen Heroen beigezählt haben.

Da er sich Schönwald von derselben Seite näherte, von der er es verlassen hatte, so traf der Jüngling verschiedene Flüchtlinge, die nach dem Walde strebten und ihm natürlich als einem Feinde auswichen, weil er in einer ihrem Wege entgegengesetzten Richtung kam. Als er näher kam, hörte er und sah zum Theil auch Männer, die von der Gartenmauer in den Schloßgraben sprangen, und andre, die durch die Angreifenden von den Festungswerken gestürzt zu sein schienen. Sein Muth wankte auch keinen Augenblick. Es war keine Zeit, sich erst nach dem Boote umzusehn, wenn es auch anwendbar gewesen wäre, und vergebens war es, sich der Hinterthür des Gartens zu nähern, die von Flüchtigen verstopft war, die dann und wann, je nachdem sie von den Nachkommenden gedrängt wurden, in den Graben fielen, den sie aus Mangel an Mitteln nicht passiren konnten.

Diese Stelle vermied Quentin, und stürzte sich in den Graben in der Nähe des sogenannten kleinen Schloßthors, wo sich eine, jetzt aber aufgezogne, Zugbrücke befand. Mit Schwierigkeiten vermied er den unheimlichen Griff so manches untersinkenden armen Teufels, und, nach der Zugbrücke schwimmend, erfaßte er eine der Ketten, die herabhingen, und schwang sich mit eben so viel Geschick als Kraftaufwand aus dem Wasser empor, indem er die Plattform erfaßte, an welcher die Brücke befestigt war. Als er mit Händen und Knieen kämpfte, um festen Fuß zu gewinnen, trat ein Lanzknecht, mit dem blutigen Schwert in der Hand, herzu, und erhob seine Waffe zu einem Streiche, welcher tödtlich hätte werden müssen.

»Wie, Kerl!« sagte Quentin in gebieterischem Tone – »ist das die Weise, nach welcher du einem Kameraden beistehst? – Reich' mir deine Hand.«

Schweigend und zögernd reichte ihm der Krieger seinen Arm und half ihm hinauf, wo der Schotte, ohne jenem Zeit zum Nachdenken zu lassen, in demselben befehlenden Tone fortfuhr: »Zu dem westlichen Thurme, wenn du reich werden willst – des Priesters Schatz ist im westlichen Thurme.«

Diese Worte fanden überall Wiederhall: »Zum westlichen Thurme – der Schatz ist im westlichen Thurme!« und alle Plünderer, zu denen der Ruf drang, schlugen, gleich einer Heerde rasender Wölfe, diese Richtung ein, welche jener entgegengesetzt war, die Quentin auf Tod und Leben zu verfolgen entschlossen war.

Indem er sie betrog, als gehöre er zu den Siegern, nicht zu den Besiegten, gelangte er in den kleinen Garten und eilte hindurch, mit weit weniger Hindernissen, als er erwartet hatte; denn der Ruf: »Zum westlichen Thurme«, hatte einen Theil der Angreifer hinweggezogen, und ein andrer ward mittelst Wehrgeschrei und Trompetenschall zusammengerufen, um einen verzweifelten Ausfall zurücktreiben zu helfen, den die Vertheidiger der Warte versuchten, welche gehofft hatten, einen Weg aus dem Schlosse zu gewinnen und den Bischof mit sich hinwegzuführen. Quentin durchschritt daher den Garten mit hastigem Schritt und bebendem Herzen, indem er sich den himmlischen Mächten empfahl, die ihn in zahllosen Lebensgefahren beschirmt hatten, und so ermuthigte ihn sein kühner Entschluß, dies verzweifelte Unternehmen wohl zu vollbringen, oder zu sterben. Eh' er den Garten noch erreicht hatte, stürzten ihm drei Männer mit eingelegten Lanzen entgegen und mit dem Rufe: »Lüttich, Lüttich!«

Er setzte sich in Vertheidigungsstand, jedoch ohne einen Streich zu führen, und erwiderte: »Frankreich, Frankreich, Lüttichs Freund!«

»Vivat Frankreich!« riefen die Lütticher Bürger und zogen vorbei. Dasselbe Wort erwies sich als ein Talisman, um die Waffen von vier oder fünf Söldnern Wilhelms von der Mark abzuwenden, die er umherstreifend im Garten fand, und die mit dem Ruf: »Eber!« auf ihn eindrangen.

Kurz, Quentin begann zu hoffen, daß sein Charakter als Abgeordneter Ludwigs, des geheimen Anreizers der Lütticher Insurgenten und des geheimen Unterstützers Wilhelms von der Mark, ihn vielleicht sicher durch die Schrecken dieser Nacht bringen würde.

Als er das Thürmchen erreichte, schauderte er, da er die kleine Seitenthür, durch welche Marthon und die Gräfin Hameline noch kürzlich zu ihm gekommen waren, jetzt von mehr als einem todten Körper belagert fand.

Zwei von ihnen schleppte er eilig bei Seite und wollte eben über den dritten schreiten, um durch die Thür zu treten, als der vermeintliche Todte seinen Mantel faßte und ihn bat, zu bleiben und ihm aufstehn zu helfen. Quentin wollte eben rauhere Mittel anwenden, um sich von diesem unzeitigen Aufenthalt zu befreien, als der gefallne Mann fortfuhr zu rufen: »Ich bin hier erstickt in meiner eignen Rüstung! – Ich bin der Syndicus Pavillon von Lüttich! Wenn Ihr für uns seid, will ich Euch reich machen – wenn Ihr von der Gegenpartei seid, will ich Euch schützen; aber laßt nur – laßt mich nur nicht den Tod eines erstickten Schweins sterben!«

Mitten in dieser Scene von Blut und Verwirrung, sagte Quentin seine Geistesgegenwart, daß dieser Würdenträger Mittel haben dürfte, ihre Flucht zu decken. Er richtete ihn auf und fragte ihn, ob er verwundet sei.

»Nicht verwundet – wenigstens glaub' ich's nicht« – antwortete der Bürger; »aber ganz ohne Athem.«

»Setzt Euch denn auf diesen Stein, und kommt wieder zu Athem,« sagte Quentin, »ich werde sogleich zurückkehren.«

»Für wen seid Ihr denn?« sagte der Bürger, ihn noch immer zurückhaltend.

»Für Frankreich – für Frankreich!« antwortete Quentin, der sich hinwegzukommen mühte.

»Wie, mein muntrer junger Bogenschütz?« sagte der würdige Syndicus. »Nein, wenn es mein Schicksal sein soll, einen Freund in dieser schrecklichen Nacht zu finden, so will ich ihn nicht verlassen, das versprech' ich Euch. Geht wohin Ihr wollt, ich folge; und, könnte ich einige von den handfesten Burschen meiner Zunft zusammenbringen, so würd' ich im Stande sein, Euch wieder zu helfen: aber sie sind alle zerstreut wie eben so viele Erbsen. – O, es ist eine furchtbare Nacht!«

Währenddem schleppte er sich hinter Quentin her, welcher, einsehend, wie wichtig es sei, sich der Huld einer so einflußreichen Person zu versichern, seinen Schritt zügelte, um jenem beizustehn, obwohl er im Herzen die hemmende Last verwünschte.

Oben am Ende der Treppe war ein Vorzimmer, wo Kisten und Truhen standen, welche die Merkmale der Plünderung trugen, da einiges vom Inhalte am Boden lag. Eine Lampe am Kamin, die zu erlöschen drohte, goß einen matten Schein über einen todten oder ohnmächtigen Mann, welcher vor dem Herde lag.

Sich von Pavillon losreißend, wie ein Windhund von der Leine seines Jägers, und mit einer solchen Anstrengung, daß er jenen fast zu Boden warf, eilte Quentin durch ein zweites und drittes Gemach, wovon das letztere das Schlafzimmer der Damen von Croye schien. Kein lebendes Wesen war in beiden zu sehn. Er rief den Namen der Gräfin Isabelle, erst leise, dann lauter, und dann mit dem Tone der Verzweiflung; aber keine Antwort erfolgte. Er rang die Hände, raufte sein Haar, und stampfte verzweiflungsvoll den Boden. Endlich zeigte ein matter Lichtschimmer, der durch eine Spalte im Getäfel eines dunkeln Winkels des Schlafgemachs schien, daß hinter der Tapete noch irgend ein Versteck sein müsse. Quentin eilte, dies zu untersuchen. Er fand allerdings eine verborgne Thür, aber sie widerstand seinen hastigen Anstrengungen, sie zu öffnen. Unbesorgt um die ihm vielleicht drohende Gefahr, stürzte er sich mit der ganzen Kraft und Last seines Körpers gegen die Thür, und diese zwischen Hoffnung und Verzweiflung unternommene Kraftanstrengung war von der Art, daß sie weit stärkere Thüren gesprengt haben würde.

So erzwang er sich den Eingang in ein kleines Bettgemach, wo eine weibliche Gestalt, die in Todesangst knieend vor dem heiligen Bilde gebetet hatte, jetzt auf den Boden hingesunken war, überwältigt von dem durch das nahende Getöse aufs Neue erregten Schrecken. Er eilte, sie aufzurichten, und, Freude über Freude! sie war es, die er retten wollte, Gräfin Isabelle. Er drückte sie an sein Herz – er beschwor sie, zu sich zu kommen – er flehte sie, getrosten Muthes zu sein – denn sie stehe jetzt unter dem Schutz eines Mannes, dessen Herz und Hand ausreiche, um sie gegen Armeen zu vertheidigen.

»Durward!« sagte sie, als sie sich endlich sammelte, »bist du es in der That? – dann ist noch Hoffnung übrig. Ich dachte, all' meine Freunde hätten mich meinem Schicksal überlassen – Verlaßt Ihr mich nicht wieder!«

»Nie – nie!« sagte Durward. »Was auch geschieht – welche Gefahr auch naht, ich will die Wohlthaten dieses heiligen Kreuzes verwirkt haben, wenn ich nicht Euer Geschick theile, bis es wieder ein glückliches ist.«

»Sehr pathetisch und rührend, wahrhaftig,« sagte eine rauhe, abgebrochne und kurzathmige Stimme hinter ihnen – »Eine Liebesaffaire, wie ich sehe; und meiner Seel, das zarte Geschöpf dauert mich, als ob es mein eignes Trudchen wär'.«

»Ihr müßt mehr thun, als uns bedauern,« sagte Quentin, sich zu dem Sprechenden wendend: »Ihr müßt uns schützen helfen, Herr Pavillon. Seid versichert, diese Dame war unter meinen besondern Schutz gestellt durch euren Verbündeten, den König von Frankreich; und wofern Ihr sie mir nicht vor jedmöglicher Beleidigung und Gewaltthat schützen helft, so wird eure Stadt der Gunst Ludwigs von Valois verlustig gehen. Vor Allem muß die Dame vor Wilhelm von der Mark beschirmt werden.«

»Das wird schwer halten,« sagte Pavillon, »denn diese Schelme von Lanzknechten sind wahre Teufel, wenn es gilt, Weibsbilder auszuspüren; doch will ich mein Bestes thun – Wir wollen in's andre Zimmer gehn, und dort will ich überlegen – der Treppeneingang ist nur eng und Ihr könnt die Thür mit einer Pike verteidigen, während ich aus dem Fenster sehe und einige meiner flinken Bursche von der Lütticher Gerberzunft zusammen rufe, die sind so treu, wie die Messer, die sie im Gürtel tragen. – Aber erst befreit mich von diesen Schnallen – denn ich habe diesen Harnisch seit der Schlacht von St. Tron nicht getragen, und seitdem bin ich drei Stein schwerer geworden, wenn nämlich holländisch Gewicht nicht trügt.«

Die Oeffnung der Eisenrüstung gab dem ehrlichen Manne große Erleichterung, der, als er sie anlegte, mehr seinen Eifer für die Sache Lüttichs, als seine Fähigkeit, Waffen zu tragen, erwogen hatte. Es erwies sich in der Folge, daß diese Magistratsperson, da sie unwillkürlich vorwärts gedrängt und von ihrer Compagnie beim Angriff über die Mauer gehoben worden war, hierhin und dorthin, je nachdem die Woge des Angriffs und der Vertheidigung ebbte und fluthete, getragen wurde, ohne endlich auch nur ein Wort sagen zu können; so war er endlich, wie die See ein Stück Treibholz in der ersten Bucht an den Strand wirft, am Eingange zu den Gemächern der Damen von Croye niedergeworfen worden, wo die Last seiner eigenen Rüstung, so wie das drückende Gewicht zweier am Eingang erschlagener Männer, die auf ihn gefallen, ihn lange genug niedergehalten haben würde, hätte ihn Durward nicht erlöset.

Dieselbe Wärme des Temperaments, welche Hermann Pavillon zu einem hitzköpfigen und ungemäßigten politischen Eiferer machte, hatte auch die angenehmere Folge, ihn im Privatleben zu einem gutmüthigen, freundlichen Manne werden zu lassen, der, mochte er auch zuweilen ein wenig durch Eitelkeit irre geführt werden, doch stets gutdenkend und wohlwollend war. Er ermahnte Quentin, für die arme artige Jungfrau die größte Sorge zu tragen, und nach dieser unnöthigen Ermahnung begann er aus dem Fenster zu rufen: »Lüttich, Lüttich, hierher, von der wackern Kürschner- und Gerberzunft!«

Einige von seinen Gesellen versammelten sich auf diesen Ruf und auf das besondere Pfeifen, wovon er begleitet ward (jede der Zünfte hatte für sich solch' ein eigenthümliches Zeichen), und bildeten, während noch mehrere hinzukamen, eine Schutzwache unter dem Fenster, aus welchem ihr Führer rief, so wie vor der Hinterthür.

Es schien sich nun eine gewisse Ruhe herzustellen. Aller Widerstand hatte aufgehört, und die Führer der verschiedenen Klassen der Angreifenden trafen Maßregeln, um einer allgemeinen Plünderung vorzubeugen. Die große Glocke ward geläutet, um einen Kriegsrath zusammen zu rufen, und da ihre Eisenzunge die glorreiche Einnahme Schönwalds durch die Insurgenten der Stadt Lüttich mittheilte, so antworteten auf diesen Klang auch alle Glocken der Stadt, deren fernes und verworrenes Getön zu rufen schien: Heil den Siegern! Es würde natürlich gewesen sein, daß Herr Pavillon seine Stelle nun eilig verlassen hätte; aber, sei es aus Sorge für diejenigen, die er unter seinen Schutz genommen hatte, oder vielleicht auch, um seiner eigenen Sicherheit gewisser zu sein, er begnügte sich damit, Boten auf Boten abzusenden, um seinen Lieutenant, Peterkin Geislaer, sogleich zu ihm zu beordern.

Endlich kam, zu seinem großen Troste, Peterkin herbei, welcher diejenige Person war, auf welche, mocht' es Krieg, Politik oder Handel betreffen, Pavillon bei allen wichtigen Angelegenheiten Vertrauen zu setzen gewohnt war. Er war ein stämmiger, derbgebauter Mann, mit breitem Gesicht und dichten schwarzen Augenbrauen, welche anzeigten, daß er rasch zu Rath und That war, – ein wahrhaftes Rathgebergesicht. Er trug ein Büffelwamms, einen breiten Gürtel und ein Schwert zur Seite und eine Hellebarde in der Hand.

»Peterkin, mein lieber Lieutenant,« sagte sein Vorgesetzter, »dies war ein glorreicher Tag – Nacht, sollt' ich sagen – ich hoffe, du bist diesmal zufrieden?«

»Ich bin schon zufrieden, da Ihr es seid,« sagte der wackere Lieutenant; »doch hätt' ich nicht gedacht, daß Ihr den Sieg, wenn Ihr es einen nennt, in dieser Kammer für Euch allein feiern wollt, während Ihr im Rathe vermißt werdet.«

»Aber bin ich dort vermißt?« sagte der Syndicus.

»Ei, freilich seid Ihr's, um für die Rechte Lüttichs aufzustehen, die mehr denn je in Gefahr sind,« antwortete der Lieutenant.

»Pfui, Peterkin,« antwortete sein Vorgesetzter, »du bist immer so ein grilliger Murrkopf« – –

»Murrkopf? Ich nicht,« sagte Peterkin; »was andern Leuten gefällt, wird immer auch mir gefallen. Ich wünsche nur, daß wir keinen König Storch statt eines Königs Klotz erlangt haben, wie in der Fabel, die der Küster von St. Lambert aus Meister Aesops Buche zu lesen pflegte.«

»Ich errathe Eure Meinung nicht, Peterkin,« sagte der Syndicus.

»Nun wohlan, ich sage Euch, Meister Pavillon, daß dieser Eber, oder Bär, gewiß Schönwald zu seiner eigenen Höhle machen wird, und daß wir dann wahrscheinlich einen schlimmern Nachbar für unsere Stadt an ihm haben, als an dem alten Bischof. Hier hat er sich die ganze Eroberung zugeeignet, und ist nur unschlüssig, ob er sich Fürst oder Bischof nennen soll; – und eine Schmach ist es, zu sehen, wie der alte Mann von ihnen gemißhandelt worden ist.«

»Ich will es nicht dulden, Peterkin,« sagte Pavillon, aufspringend; »ich haßte die Bischofsmütze, doch nicht das Haupt, das sie trug. Wir sind Zehn gegen Einen im Felde, Peterkin, und wollen dies Wesen nicht dulden.«

»Ja, Zehn gegen Einen im Felde, aber blos Mann gegen Mann im Schloß; überdies nimmt Nickel Block der Fleischer, und der ganze Vorstadtpöbel die Partei Wilhelms von der Mark, theils um in Saus und Braus zu jubiliren (denn er hatte alle Bier- und Weinfässer preisgegeben), theils aus altem Haß gegen uns, die wir Zunftgenossen sind und Privilegien haben.«

»Peterkin,« sagte Pavillon, »wir wollen sogleich nach der Stadt gehen. Ich will nicht länger in Schönwald bleiben.«

»Aber die Schloßbrücken sind aufgezogen, Meister,« sagte Geislaer – »die Thore geschlossen und von den Lanzknechten bewacht; und wenn wir den Weg mit Gewalt erzwingen wollten, so würden diese Kerle, deren tagtäglich Geschäft Krieg ist, uns, denen Fechten nur Feiertagsarbeit ist, übel mitspielen.«

»Aber warum hat er die Thore besetzt?« sagte der besorgte Bürger; »oder warum will er ehrliche Männer zu Gefangenen machen?«

»Ich kann's nicht sagen,« antwortete Peterkin. »Es geht da ein Geschrei um die Damen von Croye, die während des Sturms aus dem Schloß entflohen sind. Dies brachte den Mann mit dem Bart zuerst außer sich, und nun hat ihn das Trinken gleichfalls außer sich gebracht.«

Der Bürgermeister warf einen trostlosen Blick auf Quentin, und schien in Verlegenheit, was zu thun sei. Durward, der bei diesem Gespräch kein Wort verloren hatte, weil er davon höchlich beunruhigt ward, sah gleichwohl ein, daß ihre Sicherheit einzig auf der Aufrechthaltung seiner eigenen Geistesgegenwart beruhe, so wie auf der Erhaltung des Muthes Pavillons. Er mischte sich nun kühn in die Unterhaltung, als Einer, der ein Recht hat, seine Stimme abzugeben. – »Ich bin beschämt,« sagte er, »mein Herr Pavillon, zu bemerken, daß Ihr unschlüssig seid, was hier zu thun sei. Geht kühn zu Wilhelm von der Mark, und verlangt freien Abzug vom Schlosse für Euch, Euren Lieutenant, Euren Knappen und Eure Tochter. Er kann Euch unter keinem Vorwande gefangen halten.«

»Für mich und meinen Lieutenant – das bin ich selber und Peterkin? – Gut, aber wer ist mein Knappe?«

»Ich bin es für jetzt,« erwiederte der unverzagte Schotte.

»Ihr?« sagte der betroffene Bürger; »aber seid Ihr nicht der Abgeordnete König Ludwigs von Frankreich?«

»Wahr; aber meine Botschaft geht an den Magistrat zu Lüttich – und blos in Lüttich werd' ich mich ihrer erledigen. – Wenn ich vor Wilhelm von der Mark meine Eigenschaft anerkennen wollte, müßt' ich dann nicht in Unterhandlung mit ihm treten? Ja, und wahrscheinlich würd' er mich zurückhalten. Ihr müßt mich insgeheim in der Eigenschaft Eures Knappen mit aus dem Schlosse nehmen.«

»Gut – mein Knappe; aber Ihr spracht von meiner Tochter – meine Tochter ist, hoff' ich, sicher in meinem Hause in Lüttich – wohin ich auch ihren Vater wünsche, von ganzem Herzen und ganzer Seele.«

»Diese Dame,« sagte Durward, »wird Euch Vater nennen, so lange wir hier sind.«

»Und für mein ganzes übriges Leben,« sagte die Gräfin, sich zu des Bürgers Füßen werfend und seine Kniee umschlingend. – »Nie soll ein Tag vergehen, an welchem ich Euch nicht ehren, lieben und für Euch beten will, wie eine Tochter für ihren Vater, wenn Ihr mir nur in dieser fürchterlichen Lage beisteht. – O, seid nicht hartherzig! Denkt, Eure eigene Tochter kniete so vor einem Fremden, und bät' um Leben und Ehre bei ihm – denkt daran, und gebt mir den Schutz, welchen Ihr Eurer Tochter wünschen würdet!«

»Fürwahr,« sagte der gute Bürger, sehr gerührt von ihrer ausdrucksvollen Rede – »ich glaube, Peterkin, dieses artige Mädchen hat etwas von unsers Trudchens süßem Blicke, mir kam es gleich so vor; und auch der muntere Jüngling hier, der so mit seinem Rath bei der Hand ist, hat Aehnlichkeit mit Trudchens Liebhaber. – Ich wette d'rauf, Peterkin, dies ist eine Liebesgeschichte, und es wäre Sünde, sie nicht zu fördern.«

»Eine Sünd' und Schande wär's,« sagte Peterkin, ein gutmüthiger Flamänder, trotz all' seiner Selbstgefälligkeit; und während er so sprach, trocknete er sein Auge mit dem Aermel seines Wammses.

»Demnach soll sie meine Tochter sein,« sagte Pavillon, »gehörig in ihren schwarzseidenen Schleier gehüllt; und wenn nicht genug treuherzige Gerber vorbanden sind, sie zu schützen, da sie die Tochter des Syndicus ist, so sollen sie nie wieder eine Haut gerben. – Aber hört, es wird Fragen zu beantworten geben – wie, wenn man mich fragt, was meine Tochter hier bei solchem Blutvergießen gemacht hat?«

»Was hat die Hälfte der Lütticher Weiber hier gemacht, als sie uns zum Schlosse folgten?« sagte Peterkin; »sie hatten gewiß keinen andern Grund, als daß sie eben dahin wollten, wohin sie gar nicht gehörten. – Unsre Jungfrau Trudchen ist ein wenig weiter als die Andern gekommen – das ist Alles.«

»Trefflich gesprochen,« sagte Quentin; »seid nur kühn und nehmt dieses Herrn guten Rath an, edler Herr Pavillon, und, ohne Euch selber Mühe zu machen, verrichtet Ihr die würdigste Handlung seit den Tagen Karl des Großen. – Hier, süße Dame, hüllt Euch dicht in diesen Schleier« (denn viele Gegenstände weiblichen Putzes lagen im Zimmer zerstreut), – »seid getrost, und binnen wenigen Minuten werdet Ihr in Freiheit und Sicherheit sein. – Edler Herr,« setzte er hinzu, sich an Pavillon wendend, »gehen wir denn!«

»Halt – halt – halt eine Minute,« sagte Pavillon, »mir ahnt Unheil! – Dieser von der Mark ist ein Wüthrich; ein vollkommener Eber seiner Natur wie seinem Namen nach; wie, wenn die junge Dame eine von denen von Croye wäre? – und wie, wenn er sie entdeckte und in Zorn geriethe?«

»Und wenn ich eine von jenen unglücklichen Frauen wäre,« sagte Isabelle, im Begriff, ihm wieder zu Füßen zu fallen, »könntet Ihr mich deßhalb in diesem Augenblicke der Verzweiflung verlassen? O, daß ich in der That Eure Tochter wäre, oder die Tochter des ärmsten Bürgers!«

»Nicht so arm – gar nicht so arm, junge Dame – wir können das Unsre bezahlen,« sagte der Bürger.

»Verzeiht, edler Herr,« begann das unglückliche Mädchen von Neuem.

»Kein edler Herr,« sagte der Syndicus; »ein schlichter Bürger von Lüttich, der seine Wechsel in baaren Gulden bezahlt. – Doch das gehört nicht hieher. – Wohlan, sagt nur, Ihr seid eine Gräfin, aber trotzdem will ich Euch schützen.«

»Ihr seid dazu verpflichtet, und wäre sie auch eine Herzogin,« sagte Peterkin, »Ihr habt einmal Euer Wort gegeben.«

»Recht, Peterkin, ganz recht,« sagte der Syndicus; »es ist unsre alte niederländische Weise: ›ein Wort ein Mann!‹ Und nun laßt uns an das Werk. – Wir müssen uns von diesem Wilhelm von der Mark verabschieden, und doch weiß ich nicht – mir ahnt Böses, wenn ich an ihn denke; und könnte diese Ceremonie abgewendet werden, so wäre mir das eben recht.«

»Thätet Ihr nicht besser, da Ihr doch eine Macht beisammen habt, vor das Thor zu rücken und die Wache zu überwältigen?«

Aber einstimmig rief Pavillon und sein Rathgeber, daß ein solcher Angriff auf die Krieger ihres Bundesgenossen nicht thunlich sei, und zugleich machten sie einige Andeutungen auf seine Verwegenheit, wodurch sich Quentin überzeugte, daß sich dergleichen Wagniß mit solchen Genossen nicht unternehmen ließe. Sie beschloßen daher, kühn nach der großen Schloßhalle zu gehen, wo, wie sie hörten, der wilde Eber der Ardennen sein Gelag hielt, und freien Ausgang für den Syndicus von Lüttich und seine Begleiter zu verlangen, ein Gesuch, welches, wie es schien, zu vernünftig war, um abgeschlagen zu werden. Noch immer seufzte der gute Rathsherr, wenn er auf seine Begleiter blickte, und rief seinem treuen Peterkin zu: »Siehst du, was es gefährlich ist, ein zu kühnes und gefühlvolles Herz zu haben! Ach, Peterkin! wie viel haben mich Muth und Menschlichkeit schon gekostet, und wie viel werd' ich noch für meine Tugenden zahlen müssen, eh' uns der Himmel aus diesem verdammten Schlosse Schönwald befreit!«

Als sie über die Höfe gingen, die noch mit Sterbenden und Todten bedeckt waren, flüsterte Quentin, indem er Isabellen durch die Schreckensscenen führte, ihr Muth und Trost zu, und erinnerte sie, daß ihre Sicherheit einzig von ihrer Festigkeit und Geistesgegenwart abhänge.

»Nicht von der meinen, nicht von der meinen,« sagte sie, »sondern einzig von der Eurigen: – O, wenn ich nur dieser furchtbaren Nacht entgehe, so werd' ich nimmer dessen vergessen, der mich errettete! Nur eine Gefälligkeit noch, um die ich Euch bitte – ich beschwöre Euch, sie mir zu gewähren, beschwöre Euch bei Eurer Mutter Ehre und bei Eures Vaters Ruhm!«

»Was könntet Ihr bitten, ohne daß ich es gewährte?« sagte Quentin leise.

»Stoßt Euren Dolch in mein Herz,« sagte sie, »eh' Ihr mich als Gefangene in die Hände dieser Ungeheuer kommen laßt.«

Quentins einzige Antwort war ein Handdruck, dessen Erwiederung nur der Schrecken zu verhindern schien. Und, auf ihren jungen Beschützer gelehnt, betrat sie die furchtbare Halle, während Pavillon und sein Lieutenant voranschritten und etwa ein Dutzend Kürschner- und Gerbergesellen folgten, die als Ehrenwache ihren Syndicus begleiteten.

Bereits als sie der Halle nahten, schien das Jubelgeschrei und der Ausbruch wilden Gelächters, welcher herabtönte, eher ein Gelag von Teufeln zu verkünden, die sich eines Triumphes über das Menschengeschlecht freuten, als ein Fest menschlicher Wesen, die eine kühne Unternehmung glücklich vollbracht hatten. Ein so fester Muth, wie ihn allein die Verzweiflung eingeflößt haben konnte, unterstützte die erzwungene Standhaftigkeit der Gräfin Isabelle; unverzagter Sinn, der sich mit der Gefahr steigerte, beseelte Durward; Pavillon aber und sein Lieutenant machten aus der Noth eine Tugend, und sahen ihrem Geschick gleich den Bären, die an einen Pfahl gebunden sind, entgegen, welche nothwendigerweise der Gefahr stehen müssen.



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