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Einunddreißigstes Kapitel.
Die Zusammenkunft.

Getreu sei, junger Krieger – Holdes Mädchen,
Gedenk' an dein Versprechen – laß dem Alter,
Dem grauen Haupt sein lügnerisch Gewebe;
Rein sei, dem Morgenhimmel gleich, bevor
Die Sonne Dünste saugt, um ihn zu trüben.

Das Verhör.

An dem gefahrvollen und wichtigen Morgen, welcher der Zusammenkunft der beiden Fürsten im Schlosse von Péronne vorherging, leistete Oliver le Dain seinem Herren den Dienst eines gewandten und geschickten Agenten, indem er Ludwigs Interesse überall, theils durch Geschenke, theils durch Versprechungen förderte; so daß Alle, wenn des Herzogs Zorn wieder entbrennen sollte, sich es angelegener sein lassen möchten, den Brand zu löschen, als ihn anzufachen. Er schlich, gleich der Nacht, von Zelt zu Zelt, von Haus zu Haus, indem er sich Freunde machte mit dem ungerechten Mammon, aber nicht im Sinne des Apostels. »Sein Finger war,« wie es von einem andern gewandten politischen Agenten hieß, »in Jedermanns Hand, sein Mund war in Jedermanns Ohr;« und vermöge verschiedener Gründe, deren einige wir früher andeuteten, gewann er die Gunst vieler burgundischen Edelleute, die entweder von Frankreich etwas zu hoffen oder zu fürchten hatten, oder auch wohl gedachten, daß, würde Ludwigs Macht zu sehr geschwächt, ihr eigner Herzog mit kühnem und ungehemmtem Schritte den Weg der politischen Gewaltherrschaft einschlagen möchte, wozu sein Charakter von Natur geneigt war.

Wie Oliver argwohnte, seine eigne Gegenwart oder seine Gründe möchten weniger angenehm sein, da wandte er andre Diener des Königs an; auf diese Weise brachte er, durch Vergünstigung des Grafen von Crèvecoeur, eine Zusammenkunft zwischen Crawford, begleitet von Balafré, und Quentin Durward zu Stande, welcher seit seiner Ankunft in Péronne in einer Art ehrenvoller Haft gehalten ward. Privatangelegenheiten gab man als Grund des Gesuches dieser Zusammenkunft an; doch ist es nicht unwahrscheinlich, daß Crèvecoeur, welcher fürchtete, sein Herr möchte in leidenschaftlicher Aufregung eine entehrende Gewaltthat gegen Ludwig begehen, nicht ungern sah, wenn Crawford Gelegenheit erhielt, dem jungen Bogenschützen einige Winke zu geben, die für seinen Herrn von Nutzen sein könnten.

Das Wiedersehen der Landsleute war herzlich, ja rührend.

»Du bist ein seltner Junge,« sagte Crawford, dem jungen Durward das Haupt streichelnd, wie etwa ein Großvater das des Enkels; »wahrlich, du hast ein so besonderes Glück gehabt, als wärst du mit einem Wünschhütchen auf dem Kopfe zur Welt gekommen.«

»Alles kommt daher, daß er in so jungen Jahren eine Bogenschützenstelle gewann,« sagte Le Balafré; »von mir ist nie so viel geschwatzt worden, lieber Neffe, weil ich fünfundzwanzig Jahre alt war, eh' ich aufhörte Page zu sein.«

»Und ein häßliches Bergungeheuer von Pagen warst du, Ludwig,« sagte der alte Befehlshaber, »mit einem Bart wie eines Bäckers Schieber, und einem Rücken, wie der des alten Wallace Wight.«

»Ich fürchte,« sagte Quentin gesenkten Blickes, »ich werde mich dieses Anspruchs auf Auszeichnung nur kurze Zeit freuen – da meine Absicht ist, den Dienst eines Bogenschützen aufzugeben.«

Balafré war fast stumm vor Staunen, und Crawfords ehrwürdige Züge drückten Mißfallen aus. Der erstere fand endlich Worte genug, um zu sagen: »Aufgeben! – die Stelle unter den schottischen Schützen verlassen! – Dergleichen ließ sich nie träumen. Ich möchte meine Stellung nicht aufgeben und sollt' ich Connetable von Frankreich werden.«

»Still, Ludwig,« sagte Crawford; »dieser junge Mann weiß besser seinen Lauf nach dem Winde zu richten, als wir, die wir von der alten Welt sind. Seine Reise hat ihn einige hübsche Geschichten von König Ludwig erfahren lassen, nun wird er Burgunder, um seinen eignen kleinen Vortheil davon zu haben, daß er sie dem Herzog Karl wieder erzählt.«

»Wenn er so dächte,« sagte Balafré, »so wollt' ich ihm eigenhändig die Kehle abschneiden, und wäre er zehnmal meiner Schwester Sohn.«

»Aber erst würdet Ihr wohl untersuchen, ob ich solche Behandlung verdiente, lieber Vetter!« antwortete Quentin; »und Ihr, Mylord, wißt, daß ich kein Achselträger bin. Auch soll keine Untersuchung, keine Tortur mir ein Wort zu König Ludwigs Nachtheil entreißen, welches zu meiner Kunde gekommen ist, so lang' ich in seinen Diensten stand. – Insoweit legt mir mein Diensteid Schweigen auf. Aber ich will in diesem Dienste nicht bleiben, wo ich, ungerechnet der Gefahren in offnem Kampfe mit meinen Feinden, auch den Gefahren des Ueberfalls von Seiten meiner Freunde ausgesetzt bin.«

»Ja, wenn er etwas dagegen hat, im Hinterhalte zu liegen,« sagte der beschränkte Balafré mit kummervollem Blicke auf Lord Crawford sehend, »dann fürcht' ich, Mylord, daß Alles mit ihm aus ist! Dreißigmal ist ein Hinterhalt über mich hergefallen, und ich glaube wirklich, daß ich doppelt so oft im Hinterhalt gelegen habe, denn dieß ist ein Lieblingsstückchen in unsers Königs Manier, Krieg zu führen.«

»Das ist allerdings so, Ludwig,« antwortete Lord Crawford; »indeß sei ruhig, denn ich glaube, ich verstehe diese Dinge besser als du.«

»Und das wünsch' ich zu unserer lieben Frau, Mylord,« antwortete Ludwig; »aber es geht mir durch und durch, zu denken, meiner Schwester Sohn fürchte einen Hinterhalt.«

»Junger Mann,« sagte Crawford, »zum Theil errath ich Eure Meinung. Ihr seid einer Verrätherei unterwegs begegnet, als Ihr auf Befehl des Königs reistet, und Ihr glaubt Grund zu haben, ihn für den Urheber derselben zu halten?«

»Ich ward bei Vollziehung des königlichen Auftrages mit Verrätherei bedroht,« antwortete Quentin; »aber ich war glücklich genug, ihr zu entgehen – ob Seine Majestät schuldig oder unschuldig an der Sache, das überlass' ich Gott und des Königs Gewissen. Er speiste mich, als ich hungerte – nahm mich auf, als ich ein unsteter Fremdling war. Ich will ihn in seinem Mißgeschick nicht mit Beschuldigungen überhäufen, die ungerecht sein können, da ich sie allerdings nur von den gemeinsten Menschen hörte.«

»Mein lieber Junge – herrlicher Bursch!« sagte Crawford, ihn umarmend, »Ihr denkt durch und durch wie ein Schotte! Wie Einer, der die Ursache des Streites mit einem Freunde vergißt, dessen Rücken bereits an der Mauer steht, und an nichts als an seine Freundschaft denkt.«

»Da Mylord Crawford meinen Neffen umarmt hat,« sagte Ludwig Lesly, »so will ich ihn auch umarmen – obwohl ich gern sähe, es wäre Euch bekannt, daß ein Soldat eben so nothwendig den Dienst eines Hinterhaltes verstehen muß, als ein Priester sein Brevier muß lesen können.«

»Seid still, Ludwig,« sagte Crawford; »Ihr seid ein Esel, lieber Freund, und versteht nicht, welch' Geschenk Euch der Himmel in diesem braven Burschen gesandt hat. – Und nun sagt mir, Quentin, wackrer Freund, weiß der König schon etwas von Eurem braven, christlichen und mannhaften Entschlusse? denn dem armen Mann thut's in seiner jetzigen Bedrängniß wohl noth, zu wissen, auf wen er rechnen darf. Hätt' er nur die ganze Brigade der Leibgarde mitgebracht! Aber Gottes Wille geschehe! Weiß er von Eurem Vorsatz, wie?«

»Das kann ich wirklich kaum sagen,« antwortete Quentin; »doch gab ich seinem gelehrten Astrologen, Martius Galeotti, die Versicherung, daß ich gewiß über Alles schweigen werde, was dem König beim Herzog von Burgund schaden könnte. Die einzelnen Umstände, die meinem Argwohn zum Grunde liegen, will ich (mit Eurer Gunst) nicht einmal Euch mittheilen, Mylord; und natürlich war ich noch weit weniger Willens, mich gegen den Astrologen offen auszusprechen.«

»Ha! – hm!« antwortete Lord Crawford, »Oliver sagte mir allerdings, Galeotti hätte das Benehmen, das Ihr beobachten würdet, zuversichtlich vorausgesagt; und ich bin wirklich froh, zu finden, daß er einer bessern Autorität gefolgt ist, als den Sternen.«

»Er vorausgesagt!« rief Balafré lachend; »die Sterne sagten ihm nie, daß der ehrliche Ludwig Lesly immer jener Dirne die Dukaten verthun hilft, die er ihr in die Schürze wirft.«

»Still, Ludwig!« sagte der Hauptmann; »still! du roher Mensch! – Wenn du meine grauen Haare nicht achtest, weil ich auch kein Heiliger gewesen bin, so achte dieses Jünglings Jugend und Unschuld, und laß uns keine solchen Narrenspossen weiter hören.«

»Ihr könnt sagen, was Ihr wollt,« antwortete Ludwig Lesly; »aber meiner Treu, der Dorfschuster Saunders Souplejaw in Glen-Houlakin, der das zweite Gesicht besaß, wog den Gallotti, oder Gallipotty, oder wie er heißt, wohl zwiefach auf, was das Prophezeihen anlangt. Er sagte voraus, daß alle Kinder meiner Schwester eines Tages sterben würden; und er sagte es in derselben Stunde voraus, als der jüngste geboren ward, und das ist dieser Bursch Quentin – der ohne Zweifel eines Tages sterben wird, um die Prophezeihung wahr zu machen – und das ist um so mehr Schade, da bis auf ihn die ganze Brut schon heimgegangen ist. Und Saunders sagte mir selbst einmal voraus, daß ich durch Heirath mein Glück machen würde, und ohne Zweifel wird das zu seiner Zeit eintreffen, wiewohl es bis jetzt noch nicht geschehen ist – und wie oder wann, das kann ich schwerlich errathen, da ich mich um den Ehestand nicht sonderlich kümmere und Quentin noch ein junger Bursch ist. Deßgleichen sagte mir Saunders voraus –«

»Ei,« sagte Lord Crawford, »wenn die Vorhersagung nicht ganz besonders zu unsrer Sache gehört, so müssen wir davon abbrechen, mein guter Ludwig; denn wir beide müssen nun Euren Neffen verlassen und zu unsrer Frau beten, daß sie ihn in seiner guten Gesinnung stärke; denn das ist ein Fall, in welchem ein leichtes Wörtchen mehr Unheil anrichten könnte, als das ganze Parlament von Paris gut zu machen vermag. – Mein Segen mit dir, mein Bursch; und sei nicht so rasch mit deinem Vorhaben, unser Corps zu verlassen, denn wir haben jetzt tüchtige Schläge zu erwarten im Angesicht des Tages, und nicht bei einem Ueberfall.«

»Auch meinen Segen hast du, Neffe,« sagte Ludwig Lesly; »denn da unser edler Hauptmann mit dir zufrieden ist, so bin ich ebenfalls pflichtmäßig zufrieden.«

»Weilt noch, Mylord,« sagte Quentin, indem er Lord Crawford ein wenig von seinem Oheim bei Seite führte. »Ich darf nicht vergessen, zu erwähnen, daß sich noch eine Person in der Welt befindet, die, nachdem sie jene Umstände von mir erfahren hat, welche zu König Ludwigs Sicherheit jetzt verborgen bleiben müssen, vielleicht nicht dieselbe Verbindlichkeit des Stillschweigens zu haben glaubt, die mir, als des Königs Soldaten, zukommt, zumal, da jene Dame ihm keineswegs durch Wohlthaten verpflichtet ist.«

»Jene Dame!« erwiderte Crawford; »ja, wenn ein Weib im Geheimnisse ist, dann erbarme sich Gott, denn dann sitzen wir Alle auf dem Sande fest!«

»Glaubt das nicht, Mylord,« antwortete Durward, »sondern wendet Euren Einfluß bei dem Grafen von Crèvecoeur an, um mir eine Zusammenkunft mit der Gräfin Isabelle von Croye zu verschaffen, denn sie ist es, die mein Geheimniß besitzt, und ich zweifle nicht, daß ich sie überreden kann, ebenso verschwiegen zu sein, wie ich selber es sicherlich bleibe in Bezug auf Alles, was den Herzog gegen König Ludwig erzürnen könnte.«

Der alte Krieger sann lange nach, erhob die Augen zur Decke und senkte sie dann wieder zu Boden; sodann schüttelte er sein Haupt und sagte endlich: »in dem Allen ist etwas, was ich, bei meiner Ehre, nicht verstehe. Die Gräfin Isabelle von Croye! – eine Zusammenkunft mit einer Dame ihres Standes, ihrer Herkunft und ihres Reichthums! – und du, ein junger schottischer Bursch, bist deiner Sache so gewiß bei ihr? Entweder hast du ein seltenes Selbstvertrauen, mein junger Freund, oder du hast auf der Reise deine Zeit sehr wohl benutzt. Aber, beim St. Andreaskreuz, ich will zu deinen Gunsten mit Crèvecoeur reden, und da er wirklich fürchtet, Herzog Karl möchte gegen den König zu entehrender Gewaltthat gereizt werden, so denk' ich, er wird dein Gesuch wohl gewähren, obwohl es, bei meiner Ehre, ein komisches ist.«

Mit diesen Worten und achselzuckend verließ der alte Lord das Zimmer, von Ludwig Lesly begleitet, der sich, seine Mienen nach denen seines Obern bildend, bemühte, so geheimnißvoll und wichtig wie Crawford selber zu blicken, obwohl ihm der Grund von dessen Verwunderung unbekannt war.

Nach wenigen Minuten kehrte Crawford zurück, aber ohne seinen Begleiter Balafré. Der alte Mann schien vorzüglich gutgelaunt, er lachte in sich selbst hinein auf eine Weise, die mit seinen ernsten Zügen sonderbar contrastirte, schüttelte dabei mit dem Kopfe, als beträfe es etwas, was er allerdings verdammen müsse, doch dabei unwiderstehlich lachenswerth fände. »Meiner Treu, Landsmann,« sagte er, »Ihr seid nicht blöde – Ihr werdet nie aus Schüchternheit eine schöne Dame verlieren! Crèvecoeur würgte Euren Vorschlag hinunter wie ein Glas Weinessig, und er schwur es mir unumwunden bei allen Heiligen Burgunds zu, daß, stände nicht die Ehre von Fürsten und der Friede von Königreichen auf dem Spiele, Ihr auch nicht einmal der Gräfin Isabelle Fußtapfen im Staube wiedersehn solltet. Besäße er nicht eine Gemahlin, und das eine recht stattliche, so würde ich geglaubt haben, er wolle selber eine Lanze für das Fräulein brechen. Vielleicht denkt er an seinen Neffen, den Grafen Stephan. Eine Gräfin! – wäre Euch nicht mit Geringerem gedient? – Aber kommt mit mir – Euer Beisammensein mit ihr wird nur kurz sein dürfen. – Aber ich denke, Ihr wißt es, wie man in kurzer Zeit viel ausrichten kann. – Ha, ha, ha! – meiner Treu, ich kann dir kaum für die Anmaßung böse sein, ich kann nicht anders, als darüber lachen!«

Mit glühendem Angesicht, zugleich beleidigt und in Verlegenheit durch die offenen Andeutungen des alten Kriegers, und gekränkt durch die Bemerkung, daß seine Leidenschaft von allen erfahrnen Leuten für albern angesehen ward, folgte Durward dem Lord Crawford schweigend zum Ursulinenkloster, wo die Gräfin wohnte, und wo er im Sprachzimmer den Grafen von Crèvecoeur fand.

»Also, junger Held,« sagte der letztere im strengen Tone, »müßt Ihr die schöne Gefährtin Eures romantischen Zuges noch einmal sehen, wie es scheint.«

»Ja, Herr Graf!« antwortete Quentin fest; »und was noch mehr ist, ich muß sie allein sehn.«

»Das soll nie geschehn,« sagte Graf Crèvecoeur. – »Lord Crawford, urtheilt selbst. Diese junge Dame, die Tochter meines alten Freundes und Waffengefährten, die reichste Erbin in Burgund, gestand eine Art von – was wollt ich doch sagen! – kurz, sie ist eine Thörin, und Euer Kriegsmann hier ein anmaßender Geck – mit einem Wort, sie dürfen einander nicht allein sehn.«

»Dann werd' ich nicht ein einziges Wort zur Gräfin in Eurer Gegenwart sagen,« antwortete Quentin sehr erfreut. »Ihr habt mir mehr gesagt, als ich, bei all' meiner Anmaßung, zu hoffen gewagt hätte.«

»Ja freilich, mein Freund,« sagte Crawford. »Ihr waret unvorsichtig in Euren Aeußerungen; und, da Ihr mein Urtheil verlangt, so geht da durch's Sprachzimmer ein gutes starkes Eisengitter, dem, möcht' ich Euch rathen, könnet Ihr vertrauen; laßt sie mit ihren Zungen das Schlimmste thun. Wie, Mann! das Leben eines Königs und überdies vieler Tausende sollte gegen das Geschwätz in die Wagschale kommen, welches binnen einer Minute zwischen zwei jungen Wesen statt finden kann?«

Mit diesen Worten zog er Crèvecoeur hinweg, der sehr widerstrebend folgte, und beim Fortgehen manch' zornigen Blick auf den jungen Bogenschützen warf.

Einen Augenblick später erschien die Gräfin Isabelle an der andern Seite des Sprachgitters, und kaum bemerkte sie, daß Quentin allein im Zimmer war, als sie betroffen stehen blieb und den Blick wohl eine halbe Minute lang auf dem Boden ruhen ließ. »Doch warum sollte ich undankbar sein,« sagte sie, »weil Andere ungerechten Argwohn hegen? – Mein Freund – mein Retter, so kann ich Euch nennen, da ich allenthalben von Verrath umgeben war – mein einziger treuer und beständiger Freund!«

Bei diesen Worten reichte sie ihm die Hand durch das Gitter, ja, duldete sogar, daß er sie in der seinen behielt, bis er sie mit Küssen und auch mit Thränen bedeckt hatte. Sie sagte nur: »Durward, sähen wir uns nicht zum letzten Male, ich würde Euch diese Thorheit nie gestatten.«

Wenn in Anschlag kommt, daß Quentin sie in so vielen Gefahren geschützt hatte – daß er in Wahrheit ihr einziger treuer und aufrichtiger Freund gewesen war, so werden meine schönen Leserinnen, selbst wenn sich Gräfinnen und reiche Erbinnen darunter befinden, der Gräfin die Herablassung vielleicht verzeihen.

Aber die Gräfin befreite ihre Hand endlich, und fragte, einen Schritt vom Gitter zurücktretend, Durward in einem Tone voller Verlegenheit, was er von ihr verlange? – »denn daß Ihr einen Wunsch habt, hörte ich von dem alten schottischen Lord, der mit meinem Vetter von Crèvecoeur hieher kam. Laßt es nur etwas Vernünftiges sein,« sagte sie, »so daß es die arme Isabelle gewähren kann, ohne Pflicht und Ehre zu verletzen, und Ihr werdet ja meine schwachen Kräfte nicht so hoch anschlagen. Doch, o! sprecht nicht unbedachtsam, sagt nichts,« fügte sie, schüchtern umherblickend, hinzu, »was uns nachtheilig sein würde, wenn man uns belauschte!«

»Fürchtet nichts, edle Dame,« sagte Quentin in traurigem Tone; »hier ist nicht der Ort, wo ich den weiten Raum vergessen könnte, den das Schicksal zwischen uns gelegt hat, oder wo ich Euch dem Tadel Eurer stolzen Verwandten aussetzen würde, dafür, daß Ihr von einem Manne innig geliebt werdet, der ärmer und minder mächtig – aber vielleicht nicht von minder edler Geburt als jene ist. Laßt das wie einen Traum der Nacht für Alle dahinschwinden, außer für ein Herz, wo es, obwohl nur ein Traumgebild, doch alle Wirklichkeiten überbieten wird.«

»Still! still!« sagte Isabelle; »um Eurer selbst – um meinetwillen, – schweigt von solchen Dingen. Sagt mir lieber, was Ihr von mir zu verlangen habt.«

»Verzeihung für einen Mann,« erwiderte Quentin, »der sich, aus selbstsüchtigen Absichten, wie Euer Feind betragen hat.«

»Ich hoffe, allen meinen Feinden zu verzeihn,« antwortete Isabelle; »doch ach, Durward! in welchen Scenen hat mich Euer Muth und Eure Geistesgegenwart beschützt! – Jene blutige Halle – der gute Bischof – erst gestern wurden mir die Abscheulichkeiten erzählt, von denen ich unbewußt Zeuge war!«

»Denkt nicht daran,« sagte Quentin, welcher bemerkte, wie die vorübergehende Röthe, die während des Gesprächs ihre Wangen überzogen hatte, jetzt einer Todtenblässe wich – »schaut nicht rückwärts, sondern blickt beständig vorwärts, wie es für diejenigen nöthig ist, die auf einer gefährlichen Straße wandeln. Hört mich an. König Ludwig verdient von Euch mehr, denn von allen andern, als der ränkevolle, hinterlistige Politiker dargestellt zu werden, der er wirklich ist. Aber ihn als Anstifter Eurer Flucht, und noch mehr als Urheber eines Plans, Euch Wilhelm von der Mark in die Hände zu spielen, darzustellen, würde in diesem Augenblicke vielleicht des Königs Tod oder Entthronung zur Folge haben; dabei außerdem den blutigsten Krieg zwischen Frankreich und Burgund, der nur je zwischen beiden Ländern stattgefunden hätte.«

»Um meinetwillen sollen diese Uebel nicht entstehen, wenn sie verhütet werden können,« sagte die Gräfin Isabelle; »und sicherlich wäre der leiseste Wunsch von Eurer Seite hinreichend, mich meine Rache vergessen zu lassen, wenn ich je eine solche Leidenschaft hegte. Sollte ich je der Beleidigungen von Seiten Ludwigs mehr gedenken können, als Eurer unschätzbaren Dienste? – Aber was soll ich thun? – Wenn ich vor meinen Fürsten, den Herzog von Burgund, gerufen werde, muß ich entweder schweigen, oder die Wahrheit sprechen. Das erstere wäre trotziger Ungehorsam; und gleichwohl werdet Ihr nicht verlangen, daß ich mich durch eine Lüge beflecke.«

»Gewiß nicht,« sagte Durward; »aber beschränkt Euer Zeugniß in Bezug auf Ludwig auf dasjenige, was Ihr aus eigner Erfahrung als Wahrheit kennt; und wenn Ihr dessen gedenkt, was Andre erzählt haben, so erwähnt es, wie glaublich es auch scheine, doch nur als Gerücht, und hütet Euch, Euer persönliches Zeugniß Dingen beizufügen, die Ihr, obwohl Ihr sie vollkommen glaubt, doch nicht aus persönlicher Anschauung kennt. Der versammelte Staatsrath von Burgund kann einem Monarchen die Gerechtigkeit nicht versagen, die man in meinem Vaterlande auch dem niedrigsten Angeklagten nicht verweigert. Sie müssen ihn als unschuldig anerkennen, bis direkter und genügender Beweis seine Schuld darthut. Was Ihr also selbst nicht mit völliger Gewißheit aussagen könnt, muß durch anderes Zeugniß, als durch Gerücht vom Hörensagen, bewiesen werden.«

»Ich glaube, Euch zu verstehen,« sagte die Gräfin Isabelle.

»Ich will mich deutlicher ausdrücken,« sagte Quentin, und er war im Begriff, den Gegenstand durch einige besondere Beispiele zu erläutern, als die Klosterglocke ertönte.

»Dies,« sagte die Gräfin, »ist das Zeichen, daß wir scheiden müssen, – scheiden für immer! – Aber vergeßt mich nicht, Durward; ich werde Euch nie vergessen, – Eure treuen Dienste« – –

Sie vermochte nicht weiter zu sprechen, reichte ihm aber die Hand wieder, die er abermals an seine Lippen drückte; ich weiß nicht, wie es kam, daß die Gräfin, indem sie sich ihre Hand zurückzuziehn bemühte, so dicht an das Gitter kam, daß Quentin sich dadurch ermuthigt fühlte, sein Lebewohl auf ihre Lippen zu drücken. Die junge Dame schalt ihn nicht – vielleicht war dazu keine Zeit vorhanden; denn Crèvecoeur und Crawford, die durch eine Maueröffnung Augenzeugen, wo nicht Ohrenzeugen gewesen waren von Allem was vorging, stürzten in das Zimmer, der erstere heftig erzürnt, der letztere lachend und den Grafen zurückhaltend.

»Zu Eurem Zimmer, junge Dame – zu Eurem Zimmer!« rief der Graf Isabellen zu, die sich, ihren Schleier niederschlagend, hastig zurückzog, – »welches mit einer Zelle und Wasser und Brod vertauscht werden sollte. – Und Ihr, werther Herr, der Ihr so unverschämt seid, für Euch wird die Zeit noch kommen, wo die Interessen der Könige und Königreiche nicht mit den Euren Hand in Hand gehn; und dann sollt Ihr die Strafe für die Kühnheit empfangen, daß Ihr Eure Bettleraugen erhobt« –

»Still, still! – genug gesagt – haltet ein« – sagte der alte Lord; – »und Euch, Quentin, befehl' ich zu schweigen und nach Eurem Quartier zu gehn. – Auch ist hier Euer Hohn nicht am Orte, Herr Graf von Crèvecoeur, – Quentin ist ein so guter Edelmann als der König, nur ist er, wie die Spanier sagen, nicht so reich. Er ist so edel wie ich selbst, und ich bin der älteste meines Namens. Drum ruhig, Mann! Ihr dürft zu uns nicht von Strafen sprechen.«

»Mylord, Mylord,« sagte Crèvecoeur ungeduldig, »die Unverschämtheit dieser fremden Miethsoldaten ist sprichwörtlich, und sollte von Euch, der Ihr ihr Führer seid, eher Beschränkung als Aufmunterung erfahren.«

»Herr Graf,« antwortete Crawford, »ich habe mein Commando seit fünfzig Jahren geführt, ohne Rath von Franzosen oder Burgundern anzunehmen; und so will ich ferner, mit Eurer Gunst, handeln, so lang ich meinen Dienst noch versehe.«

»Gut, gut, Mylord,« sagte Crèvecoeur, »ich wollte Euch nicht beleidigen; – Euer Adel so wie Euer Alter berechtigen Euch zu solcher Reizbarkeit; und was diese jungen Leute betrifft, so will ich das Vergangene gern übersehen, indem ich Sorge trage, daß sie einander nie wieder begegnen.«

»Gelobt das nicht bei Eurer Seligkeit, Crèvecoeur,« sagte der alte Lord lachend; »Berge, sagt man, begegnen einander, und warum sollten menschliche Wesen einander nicht treffen können, die Beine haben, und Leben und Liebe, um diese Beine in Bewegung zu setzen. Jener Kuß, Crèvecoeur, war recht zärtlich, und, wie mich dünkt, bedeutungsvoll.«

»Ihr wollt meine Geduld nochmals auf die Probe stellen,« sagte Crèvecoeur, »aber Ihr sollt diesen Vortheil nicht über mich gewinnen. – Hört, die Glocke ruft zur Versammlung auf's Schloß – eine furchtbare Versammlung, deren Erfolg Gott allein wissen kann.«

» Den Erfolg kann ich voraussagen,« sagte der alte schottische Lord, »daß, wenn der Person des Königs Gewaltthätigkeit widerfährt, er doch, wie wenig auch seiner, von Feinden umgebenen Freunde sein mögen, nicht ungerächt fallen wird; und es thut mir leid, daß seine eignen bestimmten Befehle mich hinderten, Maßregeln zu ergreifen, die sich auf einen solchen Erfolg beziehen sollten.«

»Mylord von Crawford,« sagte der Burgunder, »solches Uebel vorauszusetzen, ist der sichere Weg, Gelegenheit dazu zu geben. Gehorcht den Befehlen Eures königlichen Herrn, gebt der Gewaltthätigkeit keinen Anlaß, indem Ihr übereilte Vertheidigungsmaßregeln trefft, dann werdet Ihr finden, daß der Tag ruhiger vorübergeht, als Ihr jetzt vermuthet.«



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