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Neuntes Kapitel.

Bittsteller sein ist gar ein kläglich Ding.
Wohl schwerlich ist ein Mensch, dem's übler ging',
Als, wen sein Unstern an den Hof geführt,
Um zu erbetteln, was ihm doch gebührt.
Wer's nicht versucht hat, kennet nicht die Pein,
Zu stetem Harren dort verdammt zu sein,
Indeß im Nichtsthun Tag für Tag verstreicht,
Und Unmuth in der Nacht den Schlaf verscheucht.
Heut vorwärts kommend, abgewiesen morgen,
Bald Hoffnung nährend, bald verzehrt von Sorgen,
Erlangt der Arme wohl des Fürsten Huld,
Doch die bleibt nutzlos durch des Dieners Schuld.
Er mag ein Jawort immerhin erhalten,
Mit der Erfüllung bleibt es doch beim Alten.
Er rennt und kriecht und schmeichelt wie ein Hund,
Er schenkt und darbt und richtet sich zu Grund.

Mutter Hubberd's Geschichte.

Man darf wohl annehmen, daß am Morgen des Tages, an welchem Georg Heriot den jungen Lord von Glenvarloch an den Hof zu Whitehall begleiten wollte, der junge Mann, dessen Schicksal von diesem Schritte abhing, einige Unruhe empfand. Er stand früh auf, und kleidete sich mit ungewöhnlicher Sorgfalt an. Die Freundschaft seines plebejischen Landsmannes hatte ihn in Stand gesetzt, seine sehr hübsche Gestalt ins vortheilhafteste Licht zu setzen. Ein Blick in den Spiegel verschaffte ihm einen Augenblick der Selbstzufriedenheit, während seine Hauswirthin freudig erklärte, nun werde er in der Audienz jedem feinen Herrn den Wind abgewinnen – eine Redensart, die sie von den Kunden ihres Mannes gelernt hatte.

Zur bestimmten Stunde erschien die Barke Georg Heriots, schön bemannt und ausgerüstet, versehen mit einem Sonnenzelt, auf welchem sein Namenszug und das Wappen seiner Zunft prangte. Der junge Freiherr empfing den Freund, der ihm so viele uneigennützige Liebe erwiesen hatte, mit herzlicher Höflichkeit. Meister Heriot theilte ihm jetzt mit, was der König ihm vorläufig bewilligt hatte, zahlte ihm sogleich den Betrag aus und weigerte sich, die sofortige Rückzahlung der von ihm vorgeschossenen Summe anzunehmen. Nigel fühlte sich von Neuem zum Dank verpflichtet und sprach denselben mit Wärme gegen Heriot aus.

Indessen als der hochgeborne junge Herr den Weg zur Audienz seines Königs antrat unter dem Schutze eines Mannes, von dem man höchstens sagen konnte, er sei eins der vornehmsten Mitglieder der Goldschmiedszunft, fühlte er sich einigermaßen betroffen, wenn nicht beschämt über seine Lage. Richard Moniplies, als er über das Laufbrett schritt, um seinen Platz vorn im Kahne einzunehmen, konnte nicht umhin zu murmeln: »Ein Unterschied zwischen Meister Heriot und seinem ehrlichen Vater unter den Krämen; aber freilich, auf Gold und Silber klempern ist etwas Anderes, als auf Zinn kläppern.«

Von vier handfesten Bootsleuten gerudert, glitten sie dahin auf der Themse, welche damals die hauptsächlichste Verbindungsstraße zwischen London und Westminster bildete. Denn durch das Gedränge der engen Gassen zu reiten, war zu unbequem, und Kutschen waren eine Auszeichnung des höchsten Adels, die sich zuzulegen auch der reichste Bürger sich nicht beigehen ließ. Meister Heriot machte seinen jungen Freund auf die Schönheiten des nördlichen Ufers aufmerksam, auf welchem sich vielfach Gärten von den Prachtwohnungen des hohen Adels zum Rande des Wassers herabzogen. Allein der junge Freiherr achtete nicht darauf. Er machte sich Gedanken, wie er wohl von dem Herrscher empfangen werden würde, dem zu Liebe seine Familie sich an den Rand des Verderbens gebracht hatte. Er sann nach über die Fragen, welche ihm der König wohl stellen werde, und zerbrach sich den Kopf mit Antworten, die er darauf geben wollte.

Heriot bemerkte die Unruhe in Nigels Gemüth, und vermied es, dieselbe durch ferneres Gespräch zu vermehren. Er begnügte sich, ihm das bei Präsentationen am Hofe übliche Ceremoniell auseinanderzusetzen, und verhielt sich auf der übrigen Fahrt schweigsam.

Sie landeten an der Whitehaller Treppe, nannten ihre Namen und traten in's Schloß ein. Die Wachen erwiesen dem Lord Glenvarloch die seinem Range gebührenden Ehrenbezeugungen. Mit klopfendem Herzen betrat dieser die königlichen Gemächer. Seine Erziehung im Auslande in einer beschränkten Lage hatte ihm nur unvollkommene Vorstellungen von der Herrlichkeit eines Hofes gegeben, und die philosophischen Grundsätze, welche ihn lehrten, Ceremoniell und äußeren Glanz zu belächeln, erwiesen sich, wie andere rein philosophische Grundsätze, unwirksam in dem Augenblicke, wo die ungewöhnliche Pracht des Anblicks ihre Wirkung auf das unerfahrne Gemüth des Jünglings machte. Die reichgeschmückten Zimmer, durch welche sie schritten, die reiche Kleidung der Garden und der Dienerschaft, so nichtssagend und alltäglich Alles dies für einen alten Hofmann war, so aufregend und selbst beängstigend wirkte es auf einen jungen Menschen, der es zum ersten Mal sah und in Ungewißheit war, welche Aufnahme er bei seinem ersten Erscheinen vor seinem Oberherrn finden werde.

Besorgt, ihm jede Verlegenheit zu ersparen, nahm es Heriot auf sich, den Schildwachen, Kammerdienern, Thürwarten und ähnlichen Dienern das Paßwort zu geben, so daß sie ohne Aufenthalt durch verschiedene Vorgemächer schritten. In diesen Gemächern standen Garden, Hofbediente und deren Bekannte beiderlei Geschlechts mit weitgeöffneten Augen und bescheiden an die Wand zurückgezogen, so daß man sah, sie waren bei den bevorstehenden Auftritten Zuschauer, nicht handelnde Personen. Durch diese äußeren Gemächer kam Lord Glenvarloch mit seinem bürgerlichen Freunde in ein großes, reichgeschmücktes Gesellschaftszimmer, welches in das Audienzzimmer führte. In diesem Gesellschaftszimmer fanden nur Diejenigen Zutritt, welche vermöge ihrer Geburt, ihrer Stellen im Staate oder am Hofe, oder durch eine besondere Vergünstigung des Königs die Berechtigung besaßen, dem König ihre Aufwartung zu machen.

Unter dieser auserwählten Schaar bemerkte Nigel Herrn Mungo Malagrowther. Gemieden von Denen, welche wußten, wie er am Hofe stand, und sich glücklich schätzend, sich an einen Mann von Glenvarlochs Rang anklammern zu können, welcher noch nicht Gewandtheit genug besaß, den Zudringlichen abzuweisen, verzog der Ritter sein Gesicht zu einem grimmigen Lächeln, nickte dem Goldschmied mit der Miene eines Beschützers zu, dies Nicken mit einer entsprechenden Bewegung der Hand begleitend, und wandte sich dann, ohne weitere Rücksicht auf den Bürger, dem er so manche Mahlzeit verdankte, ausschließlich an den jungen Standesherrn, obwohl er wußte, daß dieser zuweilen ebensowohl, wie er selber, eine solche Mahlzeit brauchen konnte. So wenig anziehend nun auch die Gesellschaft dieses Sonderlings an und für sich war, kam sie doch dem jungen Lord in diesem Augenblicke erwünscht, weil Heriot jetzt ein strenges Schweigen beobachtete und ihn sich selber überließ, und weil das Gespräch eines scharf beobachtenden Hofmannes mit seinen boshaften Bemerkungen immer etwas Unterhaltendes hatte. Heriot hörte mit halblächelnder Miene zu, ohne daß man sehen konnte, ob sein Lächeln dem Witze oder der Person des Ritters galt, ließ sich aber durch die höflichen Versuche des Freiherrn, ihn in das Gespräch zu verflechten, nicht bewegen, aus seiner Schweigsamkeit herauszutreten.

Die drei Männer standen in einem Winkel des Vorzimmers in der Nähe der Thür des Audienzzimmers, als Maxwell mit seinem Amtsstabe eintrat. Alle Diejenigen, welche nicht von hohem Range waren, machten ihm ehrerbietig Platz. Er blieb bei den Dreien stehen, warf einen Blick auf den schottischen Freiherrn, machte gegen Heriot eine leichte Verbeugung und wandte sich dann mit geläufiger Zunge an Herrn Mungo Malagrowther, sich über die Edelgarde und die Schildwachen beschwerend, welche alle Arten von Bürgern, Bittstellern und Schreibern in die vorderen Zimmer sich einschleichen ließen. »Die Engländer,« sagte er, »sind darum empört und meinen, so Etwas hätte in den Tagen der Königin nicht gewagt werden dürfen. Zu ihrer Zeit war der äußere Hof für den Pöbel, und die Gemächer für die Nobelen. Euch, Herr Mungo, die Ihr zur Hofhaltung gehört, käme es zu, darauf zu denken, wie diesem Mißstande abzuhelfen wäre.«

Herr Mungo, der diesmal wieder an Taubheit litt, erwiderte: es sei kein Wunder, daß der Pöbel sich Freiheiten herausnehme, da er sehe, daß die Leute in Amt und Würden, was Herkunft und Aeußeres betreffe, nicht viel besser seien, als er selber.

»Ihr habt recht, ganz recht, Herr Ritter,« erwiderte Maxwell, seine Hand an die verschossene Stickerei von Malagrowthers Aermel legend. »Wenn die Burschen Männer in Amt und Würden in abgelegten Kleidern, wie Komödianten, erblicken, dann ist es nicht zu verwundern, daß es am Hofe von ungebetenen Gästen wimmelt.«

»Ihr lobt den Geschmack meiner Stickerei, Meister Maxwell?« versetzte der Ritter, sich stellend, als habe er die Worte des Unterkämmerers nicht verstanden und als schließe er auf ihren Sinn aus der Bewegung seiner Hand. »Sie ist nach einem alten, guten Muster gearbeitet von Eurem Großvater mütterlicher Seite, dem alten Jakob Stichel, einem wohlangesehenen Schneidermeister im Merlingsgäßchen, dem ich gern Etwas zu verdienen gab, weil, wie ich mich mit Vergnügen erinnere, Euer Vater für gut fand, besagten Mannes Tochter zu heirathen.«

Maxwell zog ein finsteres Gesicht; allein da er wußte, daß von dem lahmen Ritter keine Genugthuung zu erhalten war, und daß der fernere Wortwechsel mit einem solchen Gegner ihn nur lächerlich machen konnte, indem er eine Mißheirath zur Sprache brachte, auf die er nicht stolz zu sein brauchte, so verhehlte er seinen Zorn unter einem bitteren Lächeln, und begnügte sich damit, zu bedauern, daß Herr Mungo in Folge seiner Taubheit nicht verstehe, was man ihm sage. Er ging weiter und pflanzte sich neben den Flügelthüren des Audienzzimmers auf, wo er, wenn sie geöffnet wurden, sein Amt als Unterkammerherr oder Thürwart zu versehen hatte.

»Die Thür des Audienzzimmers wird augenblicklich aufgehen,« flüsterte der Goldschmied seinem jungen Freunde zu. »Mein Stand erlaubt mir nicht, Euch weiter zu begleiten. Unterlaßt nicht, mit Zuversicht, wie es Eurer Herkunft angemessen ist, vorzutreten und Eure Bittschrift zu überreichen. Der König wird sie nicht zurückweisen, vielmehr, wie ich hoffe, in geneigte Erwägung ziehen.«

Während er sprach, öffnete sich die Thür des Audienzzimmers, und die Hofleute setzten sich in Bewegung und zogen durch dieselbe wie ein langsamer aber ununterbrochener Strom. Als Nigel am Eingange erschien und Namen und Stand nannte, wurde Maxwell bedenklich. »Niemand kennt Euch,« sprach er. »Gnädiger Herr, es ist meine Pflicht, Niemand einzulassen, dessen Gesicht mir unbekannt ist, außer auf das Wort einer für ihn bürgenden Person.«

»Ich bin mit Meister Georg Heriot gekommen,« erwiderte Nigel in einiger Verlegenheit über diese unerwartete Hemmung.

»Meister Heriots Name,« entgegnete Maxwell lächelnd, »hat einen guten Klang, wo von Gold und Silber die Rede ist, nicht aber, wo es sich um Rang und Geburt handelt. Mein Amt nöthigt mich, entschieden aufzutreten. Ihr könnt nicht eintreten – es thut mir leid – Eure Herrlichkeit muß zurückstehen.«

»Was gibt es da?« fragte vortretend ein alter schottischer Graf, der bisher mit Georg Heriot gesprochen hatte.

»Es ist Meister Maxwell, der Unterkämmerling,« antwortete Herr Mungo. »Er drückt seine Freude darüber aus, am Hofe den Lord Glenvarloch zu sehen, dessen Vater ihn in's Amt gebracht hat; wenigstens glaube ich, dies ist der Inhalt seiner Rede, denn Ew. Herrlichkeit kennt meine Schwäche.« Ein unterdrücktes Lächeln der Zuhörer war die Folge dieses Ausfalls des lahmen Ritters. Der alte Standesherr aber ging, ohne stillzustehen, vorwärts und sprach: »Wie? Der Sohn meines wackeren alten Gegners, Ochtred Olifaunt? Ich will ihn selber zur Audienz führen.«

So sprechend nahm er Nigeln ohne Umstände beim Arme und wollte ihn einführen. Maxwell hielt fortwährend seinen Stab quer in der Thür und sagte, wiewohl mit einiger Verlegenheit: »Gnädiger Herr, dieser Mann ist unbekannt, und ich habe Befehl, es genau zu nehmen.«

»Larifari!« erwiderte der Greis. »Die Biegung seiner Augenbrauen bürgt mir dafür, daß es seines Vaters Sohn ist, und ich sage gut für ihn. Und du, Maxwell, hast seinen Vater viel zu gut gekannt, als daß du hättest Bedenklichkeiten erheben sollen. Laß uns ein.« Mit diesen Worten schob er den Stab des Kämmerlings bei Seite und trat, mit dem jungen Freiherrn am Arme, in's Audienzzimmer.

»Ich muß Euch kennen lernen, ich muß Euch kennen lernen,« sprach er. »Ich habe Euren Vater gut gekannt, ich habe eine Lanze mit ihm gebrochen und eine Klinge mit ihm gekreuzt, und ich darf mir Etwas darauf zugute thun, daß ich noch lebe, um davon erzählen zu können. Er war ein Mann des Königs, und ich war ein Mann der Königin während der Douglaskriege. Wir waren Beide junge Gesellen, die weder Feuer noch Stahl fürchteten, und obendrein hatten wir alte Streitigkeiten, die sich von Vater auf Sohn vererbt hatten zugleich mit unsern Siegelringen, zweihändigen Schwertern, Panzern und mit den Cimieren unserer Helme.«

»Nicht zu laut, Herr Graf!« flüsterte ein Kammerherr. »Der König, der König.«

Der alte Graf schwieg. Jakob trat aus einer Seitenthür und empfing die Complimente von Fremden, welche Einer nach dem Andern vortraten. Um ihn her stand eine kleine Gruppe von begünstigten Hofleuten und von Hofbeamten, an welche er zuweilen einige Worte richtete. Auf seinen Anzug war diesmal etwas mehr Sorgfalt verwendet, als bei jener Gelegenheit, wo der Leser zuerst mit seiner Persönlichkeit bekannt gemacht worden ist. Allein etwas Linkisches in seinem Wesen litt nicht, daß ihn sein Anzug wohl kleidete, und da er aus Vorsicht oder Furchtsamkeit seine Kleider stichfest steppen ließ, so erschien er in denselben um so unbehülflicher und steifer, was einen sonderbaren Abstich gegen die unruhigen und kindischen Bewegungen bildete, mit welchen er seine Unterhaltung begleitete. Allein während seine Haltung nichts weniger als würdevoll war, zeigte er ein so gutmüthiges, vertrauliches Wesen, suchte er so wenig seine Schwächen zu verhehlen und hatte er so viel Nachsicht für die Schwächen Anderer, daß die Art, wie er mit den Leuten redete, verbunden mit seiner Gelehrsamkeit und einem gewissen Maß von Mutterwitz, einen günstigen Eindruck auf die, welche ihm nahe kamen, nicht verfehlte.

Der Graf von Huntinglen (so hieß der wohlwollende Greis, der unsern Helden eingeführt hatte) stellte Nigeln dem König vor. Jakob empfing den jungen Freiherrn gnädig und äußerte gegen den Grafen: »Es freut mich, Euch beide Herren neben einander zu sehen. Denn Eure Vorfahren, ja Ihr selber, Herr Graf, und dieses Jünglings Vater habt euch auf Schwertlänge einander gegenübergestanden, und das ist eine böse Stellung.«

»Bis Ew. Majestät Herrn Ochtred und mich uns die Hände reichen ließet an dem denkwürdigen Tage, wo Ihr alle Edlen, welche in Fehde wider einander lagen, bewirthetet und versöhntet,« fügte der Graf hinzu.

»Ich erinnere mich dessen wohl,« sprach der König. »Es war ein Glückstag, der 19. September, und es war ein wahrer Spaß zu sehen, was die Kerle zum Theil für Gesichter zogen, als sie ihre Hände zusammenlegten. Meiner Seele, ich glaubte, Einige von ihnen, besonders die Hochländer, würden in Unserer Gegenwart sogar losbrechen; allein Wir hießen sie Hand in Hand nach dem Kreuze marschiren, Wir selber voran, und dort brüderlich mit einander trinken, zur Erstickung der Fehden und zu ewiger Freundschaft. Der alte Hans Anderson war in jenem Jahre Burggraf; der Kerl heulte vor Freude, und die Amtleute und Räthe tanzten barhaupt vor Uns, wie fünfjährige Füllen, vor lauter Lust.«

»Es war in der That ein glücklicher Tag, der in Ew. Majestät Regierungsgeschichte nicht vergessen werden wird,« sprach der alte Graf.

»Ich wünschte nicht, daß er in Unsern Annalen vergessen würde,« fuhr der König fort. »Ja, beati pacifici Selig sind die Friedfertigen.. Meine englischen Unterthanen haben Grund etwas auf mich zu halten, denn sie haben an mir den einzigen friedfertigen Mann aus meinem Geschlechte. Wie meint ihr, wenn Jakob mit dem feurigen Gesicht unter euch gekommen wäre,« sprach er zu den Umstehenden, »oder mein Urgroßvater, den ihr von Flodden her kennt?«

»Den würden wir wieder heimgeschickt haben,« flüsterte ein englischer Großer.

»Wenigstens« – sprach ein anderer eben so unvernehmlich – »hätten wir dann einen Mann zum Herrscher gehabt, wenn auch nur einen Schotten.«

»Nun, junger Springinsfeld,« fragte der König den Lord Glenvarloch, »wo habt Ihr Eure Jünglingsjahre zugebracht?«

»Zuletzt in Leiden, allergnädigster Herr,« antwortete Nigel.

»Aha! ein Gelehrter,« sprach der König, »und meiner Seele ein bescheidener, unverdorbener Jüngling, der das Erröthen nicht verlernt hat, wie die meisten unserer gereiseten Monsieurs. Wir wollen ihn demgemäß behandeln.«

Er richtete sich empor, hüstelte, blickte mit dem Selbstbewußtsein eines großen Gelehrten um sich her, während alle Hofleute, welche lateinisch verstanden oder nicht verstanden, sich herbeidrängten, und fuhr folgendermaßen in seinen Fragen fort:

»Hm! Hm! Salve bis quaterque salve, Glenvarlochides noster! Nuperumne ab Lugduno Batavorum Britanniam rediisti?« Sei zwei- und vierfach gegrüßt, Glenvarlochs Sprößling. Bist du erst vor Kurzem von Leiden nach Britannien zurückgekehrt?

Der junge Herr von Glenvarloch antwortete mit einer tiefen Verbeugung: » Imo, Rex augustissime. Biennium fere apud Lugdunenses moratus sum« Ja, allerdurchlauchtigster Herr. Ich bin fast zwei Jahre in Leiden gewesen..

Jakob fuhr fort: » Biennium dicis? Bene, bene, optume factum est. Non uno die, quod dicunt, – Intelligisne, Domine Glenvarlochiensis? Zwei Jahre, sagst du? Sehr wohl. Nicht an einem Tage – Verstehst du mich, Herr von Glenvarloch? Aha!«

Nigel antwortete mit einer ehrerbietigen Verbeugung. Der König wandte sich an die hinter ihm Stehenden und sprach: » Adolescens quidem ingenui vultus ingenuique pudoris.« Dann fuhr er in seinen Fragen fort: » Et quid hodie Lugdunenses loquuntur? Vossius vester nihilne novi scripsit? Nihil certe, quod doleo, typis recenter edidit« Ein Jüngling mit aufrichtiger Miene und wahrhaft bescheiden. – – Und was sagen heute die Leidener? Hat Euer Vossius nichts Neues geschrieben? Wenigstens hat er, was ich bedauere, in der jüngsten Zeit Nichts im Druck erscheinen lassen..

» Valet quidem Vossius, Rex benevole,« antwortete Nigel, »ast senex veneratissimus annum agit, ni fallor, septuagesimum« Vossius ist gesund, allergnädigster Herr; allein der verehrungswürdige Greis ist, wenn ich nicht irre, siebzig Jahre alt..

» Virum, mehercle, vix tam grandaevum crediderim,« sprach der König weiter. » Et Vorstius iste? Arminii improbi successor aeque ac sectator? Herosne adhuc, ut cum Homero loquar, ???Æù?ò 'åóôé ?á`é 'åð`é ÷äïí`é ä'åñ?ùí?« Ich hätte den Mann wahrlich nicht für so alt gehalten. – Und Vorstius, jener Nachfolger und Nachtreter des Arminius? Ist der Held noch, um mit Homer zu reden, »am Leben und sieht er die Erde?«

Glücklicher Weise erinnerte sich Nigel, daß Vorstius eine literarische Fehde mit König Jakob gehabt, und daß Letzterer im Eifer des Streites sogar in öffentlichen Schreiben an die Generalstaaten angedeutet hatte, sie würden wohl thun, den weltlichen Arm gegen den Professor anzuwenden, um den Fortgang der Ketzerei zu hemmen – ein Begehren, dessen Erfüllung Ihre Hochmögenden zufolge ihren Grundsätzen allgemeiner Duldung, zu umgehen bemüht gewesen waren. Dies Alles bedenkend hatte Nigel, obwohl erst seit fünf Minuten Hofmann, die Gewandtheit zu erwidern:

» Vivum quidem, haud diu est, hominem videbam – vigere autem quis dicat, qui sub fulminibus eloquentiae tuae, Rex magne, jamdudum pronus jacet et prostratus?« Lebendig habe ich ihn vor Kurzem noch gesehen. Aber wer könnte lebenskräftig ihn nennen, der schon längst durch die Blitze deiner Beredtsamkeit niedergestreckt ist?

Diese seiner polemischen Virtuosität dargebrachte Huldigung machte den König ganz glücklich, nachdem er schon vorher ein großes Vergnügen empfunden hatte, seine Gelehrsamkeit zum besten zu geben. Er rieb sich die Hände, schnalzte mit den Fingern, bewegte sich hin und her, lachte heimlich und rief: » Euge! belle! optume!« Ah! schön! vortrefflich! Dann wandte er sich zu den hinter ihm stehenden Bischöfen von Oxford und Exeter und sprach: »Ihr sehet hier, gnädige Herren, kein übles Muster von unserer schottischen Latinität. Wir wünschten, alle Unsere Unterthanen in England wären mit dieser Sprache so vertraut, wie dieser junge Mann und andere junge Leute von gutem Herkommen in Unserem alten Königreiche. Wir haben die ächte Aussprache beibehalten, wie andere gelehrte Nationen auf dem Festlande, so daß wir uns jedem Gelehrten in der ganzen Welt, wofern er Lateinisch spricht, verständlich machen können, während ihr, Unsere gelehrten Unterthanen in England, auf euren, übrigens an Gelehrsamkeit reichen Universitäten eine Aussprache eingeführt habt, die dem »Klumpfuß und Stumpffuß« der Braut im Kindermährchen gleicht, und die (nehmt es nicht übel, daß ich es rund heraus sage) von keiner Nation auf der Welt verstanden wird, außer von euch selber, so daß also das Latein quoad Anglos Was die Engländer betrifft. aufhört, communis lingua, der allgemeine Dolmetsch zwischen allen Weisen der Erde zu sein.«

Der Bischof von Exeter verbeugte sich, gleichsam den königlichen Tadel gelten lassend; dagegen der von Oxford blieb aufrecht stehen, gleichsam bedenkend, welche Untergebene sein Sprengel umfaßte, und als ob er eben so sehr bereit sei in Vertheidigung der Latinität der Universität, wie irgend eines andern Glaubensartikels ein Fraß der Reiser zu werden.

Ohne eine Antwort von einem der Prälaten abzuwarten, fuhr der König fort, dem jungen Freiherrn Fragen zu stellen, aber in der Landessprache: »Nun, mein artiger Musensohn, was macht Ihr so fern von dem Norden?«

»Ich wollte Ew. Majestät meine Huldigung darbringen,« antwortete Nigel, sich auf ein Knie niederlassend, »und Euch dies mein unterthänigstes Gesuch überreichen.«

Das Vorhalten eines Pistols würde den König, wenn auch mehr erschreckt, doch kaum übler gestimmt haben, als diese Störung in seiner Bequemlichkeit.

»So?« sprach er. »Also kann kein Mensch, und wäre es auch nur der Seltenheit halber ein einziger, anders aus Schottland kommen, als ex proposito, mit der Absicht, zu sehen, was er von seinem liebreichen Herrscher gewinnen kann. Erst vor drei Tagen hätten Wir beinahe das Leben verloren und drei Königreiche in Trauer versetzt in Folge der Uebereilung eines plumpen Bauers, der Uns einen Pack in die Hand schob, und jetzt werden Wir in ähnlicher Weise beschwert an Unserem eignen Hofe. Fort zu Unserm Secretär mit diesem Zeug!«

»Ich habe schon meine unterthänigste Supplik Ew. Majestät Staatssecretär vorgelegt,« erwiderte Lord Glenvarloch, »allein es scheint – –«

»Er wollte sie nicht annehmen, nicht wahr?« unterbrach der König. »Meiner Seele, Unser Secretär versteht sich auf den Punkt der Regierungskunst, der da heißt Abweisen, besser als Wir, und will Nichts ansehen, als was ihm gefällt. Ich glaube, ich würde besser zum Secretär für ihn passen, als er für mich. – Nun, gnädiger Herr, willkommen in London, und da Ihr ein verständiger und unterrichteter junger Mann zu sein scheint, möchte ich Euch rathen, sobald es Euch gefällt, Euren Schnabel nordwärts zu kehren und für einige Zeit Euch zu S. Andrews anzusiedeln. Es soll Uns angenehm sein, zu vernehmen, daß Ihr Fortschritte in Euren Studien macht. Incumbite remis fortiter« Rudert wacker..

Während der König so sprach, hielt er die Bittschrift nachlässig in der Hand, als warte er nur, bis der Bittsteller den Rücken gewandt habe, um sie wegzuwerfen, oder sie wenigstens ungelesen bei Seite zu legen. Nigel, welcher dies in seiner gleichgültigen Miene las und in der Art, wie er das Papier zusammenrollte und zerknitterte, stand voll Unwillen und mit dem Gefühl getäuschter Hoffnung auf, machte eine tiefe Verbeugung und wollte sich eilends entfernen. Allein der Graf von Huntinglen, welcher neben ihm stand, hielt ihn durch eine fast unmerkliche Berührung des Saumes seines Mantels zurück. Nigel verstand den Wink, und blieb nach einigen Schritten rückwärts wieder stehen. Huntinglen kniete vor dem König nieder und sprach: »Geruhe Ew. Majestät sich zu erinnern, daß Ihr mir bei einer gewissen Gelegenheit verheißen habt, jedes Jahr Eures geheiligten Lebens mir eine Gnade zu bewilligen.«

»Ich erinnere mich dessen wohl,« erwiderte der König; »ich weiß auch, bei welchem Anlaß. Es war damals, als Ihr die Zähne des falschen Verräthers Ruthven von meiner Kehle losmachtet und als treuer Unterthan ihm den Dolch in den Leib ranntet. Wir versprachen, wie Ihr Uns (was nicht nöthig gewesen wäre) erinnert, damals, als Wir vor Freude über Unsere Rettung außer Uns waren, Euch jedes Jahr eine Gnade zu bewilligen – ein Versprechen, welches Wir, nachdem Wir wieder zum gehörigen Besitz Unserer königlichen Geisteskräfte gekommen waren, bestätigt haben, natürlich restrictive und conditionaliter Mit Vorbehalt und bedingungsweise., daß Ew. Herrlichkeit Begehren von der Art sei, daß Wir es nach Unserer königlichen Erwägung nicht unbillig finden.«

»So ist es, allergnädigster Herr,« erwiderte der alte Graf, »und dürfte ich bitten, mir zu sagen, ob ich je die Grenzen Eures königlichen Wohlwollens überschritten habe?«

»Bei meinem Wort, nein!« antwortete der König. »Ich wüßte nicht, daß Ihr viel für Euch selbst verlangt hättet, wenn es nicht ein Hund war, oder ein Habicht, oder ein Hirsch aus Unserem Park bei Theobalds Hause, oder dergleichen. Doch wozu soll diese Vorrede führen?«

»Zu der Gnade, welche ich jetzt von Ew. Majestät erbitten will,« erwiderte Lord Huntinglen; »und diese besteht darin, daß Ew. Majestät geruhen wollte, sogleich die Schrift des Herrn von Glenvarloch anzusehen, und in Betreff derselben zu thun, was Euer gerechter und königlicher Sinn geeignet findet, ohne Rücksprache mit Eurem Secretär oder anderen Herren Eures Rathes.«

»Meiner Seele, das ist sonderbar,« sprach der König. »Ihr macht den Fürsprecher für den Sohn Eures Feindes.«

»Eines Solchen, der mein Feind war, bis Ew. Majestät ihn zu meinem Freunde machte,« erwiderte der Graf.

»Wohl gesprochen, edler Herr!« rief der König, »und mit wahrhaft christlichem Sinn. Was das Gesuch dieses jungen Mannes betrifft, so vermuthe ich schon, wovon es sich handelt. Aufrichtig gesprochen, hatte ich schon Georg Heriot zugesagt, dem Jungen gut zu sein. Aber da liegt der Hase im Pfeffer – Steenie und das Kindlein Karl können ihn nicht leiden, eben so wenig Euer eigner Sohn, edler Herr. Also, dächt' ich, thäte er besser, nach Schottland zu gehen, bevor ihm Uebles durch sie widerfährt.«

»Mit Ew. Majestät Erlaubniß,« bemerkte der Graf, »was meinen Sohn betrifft, so soll dieser mein Thun nicht bestimmen, und eben so wenig irgend ein anderer junger Tollkopf.«

»Ei, das meinige auch nicht!« rief der König. »Bei meines Vaters Seele, Keiner von ihnen allen soll Rex König. mit mir spielen. Ich will thun, was ich will und soll, wie ein freier König.«

»Also will Ew. Majestät mir meine Bitte gewähren?« fragte Huntinglen.

»Ja gewiß, ja gewiß,« antwortete der König. »Aber kommt hieher, daß wir mehr unter uns sind.«

Er führte eilends den Grafen durch die Hofleute hindurch, welche, wie dies an Höfen gewöhnlich ist, mit Aufmerksamkeit diesen ungewöhnlichen Auftritt beobachteten. Der König trat in ein kleines Kabinet, und hieß im ersten Augenblicke den Grafen die Thür zuschließen oder zuriegeln, nahm aber diese Weisung sogleich wieder mit den Worten zurück: »Nein, nein, ich bin ein freier König; ich will thun, was ich will und soll, ich bin justus et tenax propositi Gerecht und standhaft.; indessen bleibt an der Thür für den Fall, daß Steenie in seiner tollen Laune kommen sollte.«

»O armer Herr!« seufzte der Graf. »Da Ihr noch in Eurer kalten Heimath waret, hattet Ihr wärmeres Blut in den Adern!«

Der König überblickte hastig die Bittschrift, alle Augenblicke einen Blick nach der Thür werfend und dann geschwind wieder auf das Papier sehend: denn er schämte sich, daß Huntinglen, den er achtete, ihn im Verdacht der Furchtsamkeit haben sollte.

»Die Wahrheit zu sagen,« begann er nach Durchlesung des Papiers, »das ist hart, und härter, als es mir vorgestellt worden ist, wiewohl ich es ahnte. Also der Junge verlangt blos die Zahlung des Geldes, welches Wir ihm schuldig sind? Aber Huntinglen, der Junge wird noch weitere Schulden haben, – und warum sollte er sich mit so viel Morgen unfruchtbaren Waldbodens beladen? Laß das Land fahren! Laß das Land fahren! Der schottische Kanzler hat es Steenien versprochen; es ist das beste Jagdrevier in Schottland – und Kindlein Karl und Steenie wollen nächstes Jahr einen Hirsch dort schießen. – Sie mögen das Land haben, sie mögen das Land haben, und dem jungen Manne soll die Schuld bei Heller und Pfennig bezahlt werden, und er mag das Geld an Unserm Hofe verzehren. Oder wenn er solchen Erdhunger hat, je nun! da wollen wir ihm den Magen mit englischem Lande stopfen, das zwei Mal, ja zehn Mal so viel werth ist, wie die verfluchten Berge und Höhen, Moose und Moore dort, nach denen er so gierig ist.«

Während dieser Rede ging der arme König auf und ab in dem Zimmer in jämmerlicher Unentschlossenheit. Er machte eine wahrhaft lächerliche Figur mit seinem krummen Gange und seinem Herumspielen an den Bandschleifen seiner Hosen.

Huntinglen horchte mit großer Ruhe zu und entgegnete: »Erlaube Ew. Majestät, als Ahab Naboths Weinberg begehrte, antwortete dieser: ›Das lasse der Herr ferne von mir sein, daß ich dir meiner Väter Erbe sollte geben.‹«

»Ei, ei, edler Herr!« rief Jakob, indem Wangen und Nase sich bei ihm rötheten; »Ihr werdet mich doch nicht Theologie lehren wollen? Ihr braucht nicht zu fürchten, daß ich mich weigern werde, Jedem Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und da Ew. Herrlichkeit mir nicht rathen will, wie diese Sache auf friedlichem Wege abzuthun sei, – was ich, wie gesagt, für besser hielte – nun, Schwerenoth! ich bin ein freier König – so mag er meinetwegen sein Geld haben und sein Land einlösen, und, wenn er Lust hat, eine Kirche und eine Mühle daraus machen.« So sprechend schrieb er hastig eine Anweisung auf den schottischen Schatz im Belauf der fraglichen Schuld, und fügte dann hinzu: »Wie sie es bezahlen sollen, sehe ich nicht ab; allein ich zweifle nicht, daß er darauf Geld bekommen kann bei den Goldschmieden, welche dergleichen für alle Welt auftreiben können, nur nicht für mich. – Da seht Ihr also, edler Herr von Huntinglen, daß ich weder ein unredlicher Mann bin, der die zugesagte Gnade verweigert, noch ein Ahab, der Naboths Weinberg begehrt, noch endlich eine wächserne Nase, die sich von Günstlingen und Rathgebern nach Belieben so und so drehen läßt. Ich denke, Ihr werdet zugeben, daß ich nicht von der Art bin?«

»Ihr seid mein angestammter Fürst,« sprach Huntinglen niederknieend und seine Hand küssend, »gerecht und edelmüthig, sobald Ihr den Eingebungen Eures Herzens folgt.«

»Ja, ja,« erwiderte der König, gutmüthig lachend, indem er seinen treuen Diener aufhob; »so sprecht ihr Alle, wenn ich Etwas thue, was euch gefällt. Da, nehmt das königliche Handzeichen und macht, daß Ihr mit dem jungen Gesellen fortkommt. Ich wundere mich, daß Steenie und Kindlein Karl uns nicht über den Hals gekommen sind.«

Der Graf von Huntinglen eilte aus dem Kabinet. Er sah einen Auftritt voraus, bei welchem er nicht zugegen sein wollte, – einen Auftritt, wie er zuweilen stattfand, wenn Jakob sich soweit zusammennahm, daß er ein Mal seinen freien Willen, von dem er soviel redete, im Gegensatze zu dem seines hochfahrenden Günstlings geltend machte. Steenie, wie er diesen Günstling, den Herzog von Buckingham, nannte – wegen seiner angeblichen Aehnlichkeit mit den italienischen Bildern des Protomartyr Stephanus, – hatte das ungewöhnliche Glück, bei dem Thronerben eben so beliebt zu sein, wie bei dem regierenden König, und der Gunst des Ersteren sicher, bewies er dem Letzteren weniger Hochachtung als früher, so daß die schärfer blickenden Hofleute sahen, Jakob dulde seine Herrschaft mehr aus Gewohnheit und aus Furcht vor den Ausbrüchen seiner Leidenschaft, als aus Zuneigung. Einen solchen Ausbruch voraussehend, dessen Anblick ihm peinlich hätte sein müssen, und entschlossen, nicht noch durch seine Anwesenheit bei demselben die Demüthigung des Königs zu vermehren, verließ der Graf hastig das Kabinet, sobald er die königliche Unterschrift in der Tasche hatte.

Als er in das Audienzzimmer zurückgekehrt war, sah er sich schnell nach seinem Schützling um. Lord Glenvarloch hatte sich in eine Fenstervertiefung zurückgezogen, um den neugierigen Blicken der Hofleute zu entgehen. Der Graf nahm ihn beim Arme und führte ihn aus dem Audienzzimmer in das erste Vorzimmer. Der wackere Goldschmied kam ihnen mit dem Ausdrucke gespannter Erwartung entgegen. Der alte Graf befriedigte dieselbe vorläufig durch die kurze Bemerkung: »Alles ist gut,« und fragte: »Ist Eure Barke bereit?« Heriot bejahte es. »So gebt mir einen Sitz darin,« sprach der alte Herr; »ich will Euch dafür eine Mahlzeit geben, denn wir haben Etwas mit einander zu reden.«

Beide folgten dem Grafen, ohne ein Wort zu sprechen. Im zweiten Vorzimmer verkündete der laute Ruf der Thürwärter: »Der Herzog!« – leiser wiederholt von den übrigen Anwesenden, die sich beeilten, Platz zu machen, daß der allmächtige Günstling nahe.

Er trat ein, prachtvoll gekleidet in die malerische Tracht, welche Vandyks Pinsel verewigt hat als das treffliche Sinnbild des stolzen Zeitalters, in welchem der Adel, obwohl auf hohler Grundlage stehend und seinem Falle sich zuneigend, noch immer durch äußeren Glanz und Aufwand seine Hoheit über die niederen Klassen zu behaupten suchte. Niemandem stand diese Tracht schöner, als dem Herzog von Buckingham mit seinem schönen Gesicht, seinem gebietenden Blick, seiner ansehnlichen Gestalt und seiner anmuthigen Haltung. In dem gegenwärtigen Augenblicke aber waren die Züge dieses schönen Gesichtes entstellt, seine Kleidung schien weniger sorgfältig, als sie für den Ort paßte, sein Schritt hastig und seine Stimme klang herrisch.

Alle bemerkten den Zornflecken auf seiner Stirn, und zogen sich so eilig zurück, um ihm Platz zu machen, daß der Graf von Huntinglen, der seinen gewöhnlichen Schritt beibehielt, nebst seinen Begleitern, die ihn schicklicher Weise nicht verlassen konnten, allein in der Mitte des Zimmers dem zornigen Günstlinge im Wege blieben. Der Herzog berührte kaum seinen Hut, indem er gemessen den alten Grafen grüßte, aber vor dem Goldschmied zog er den Hut so tief ab, daß die Feder den Boden berührte, zum Zeichen des Hohnes in Form der Ehrerbietung. Der Bürger erwiderte den Gruß in ungezwungener Weise und bemerkte: »Zu viel Höflichkeit, gnädiger Herr Herzog, ist oft das Gegentheil von Güte.«

»Es thut mir leid, daß Ihr das denkt, Meister Heriot,« erwiderte der Herzog. »Ich wollte nur durch meine Huldigung Eure Protection, Eure Fürsprache in Anspruch nehmen. Ihr seid, wie ich vernehme, ein Fürsprecher, – ein Beförderer, ein Begünstiger von solchen Bittstellern am Hofe geworden, die Verdienst und Rang besitzen und zufällig kein Geld haben. Ich hoffe, Eure Geldsäcke werden auslangen, damit Ihr diese neue stolze Rolle durchführen könnt.«

»Sie werden es um so eher, gnädiger Herr Herzog,« antwortete der Goldschmied, »da mein Stolz nur gering ist.«

»O Ihr seid weniger als gerecht gegen Euch selber, mein guter Meister Heriot,« fuhr der Herzog in demselben Tone bitterer Ironie fort. »Ihr habt einen merkwürdigen Anhang am Hofe dafür, daß Ihr der Sohn eines Edinburgher Zinngießers seid. Habt die Güte, mir das Glück der Bekanntschaft des hochgebornen Standesherrn zu verschaffen, der die Ehre und den Vortheil Eurer Protection besitzt.«

»Das soll mein Geschäft sein,« fiel Lord Huntinglen mit Nachdruck ein. »Gnädiger Herr Herzog, ich wünschte, daß Ihr hiermit Nigel Olifaunt, Lord Glenvarloch, kennen lernt, der eins der ältesten und mächtigsten standesherrlichen Häuser in Schottland repräsentirt. – Lord Glenvarloch, ich stelle Euch Se. Gnaden vor, den Herzog von Buckingham, der den Herrn Ritter Georg Villiers, von Brookesby in der Grafschaft Leicester, repräsentirt.«

Glühende Röthe überzog des Herzogs Gesicht, indem er sich höhnisch gegen den Freiherrn von Glenvarloch verbeugte, und dieser erwiderte die Höflichkeit mit Stolz und niedergehaltenem Unwillen. »Wir kennen uns also,« sprach der Herzog nach augenblicklichem Schweigen. Und als ob er an dem jungen Freiherrn Etwas gesehen hätte, was mehr verdiente als den Hohn, mit welchem er begonnen, fügte er hinzu: »Wir kennen uns; Ihr wisset, daß ich Euer Feind bin.«

»Ich danke Euch für Eure Offenheit, gnädiger Herr Herzog,« versetzte Nigel. »Ein offener Feind ist besser, als ein falscher Freund.«

Der Herzog wandte sich an den Grafen mit den Worten: »Was Euch betrifft, edler Herr, so habt Ihr die Grenzen der Nachsicht überschritten, die man Euch als dem Vater des Freundes des Prinzen und meines Freundes verstattet.«

»Auf mein Wort, Herr Herzog,« versetzte der Graf, »man kann leicht Grenzen überschreiten, deren Dasein Einem unbekannt ist. Wenn mein Sohn in so vornehmer Gesellschaft ist, so ist es nicht, um mir den Schutz oder die Zufriedenheit Höherer zu sichern.«

»Edler Herr, wir kennen Euch und haben Nachsicht mit Euch,« erwiderte der Herzog. »Ihr gehört zu Denen, welche ihr Leben lang auf das Verdienst einer einzigen guten Handlung pochen.«

»Wenn dem so ist, gnädiger Herr,« versetzte der Greis, »so habe ich immer Etwas vor Denen voraus, die mehr als ich pochen, ohne irgend eine verdienstliche Handlung gethan zu haben. Aber ich will mit Euch nicht streiten; wir können weder Freunde noch Feinde sein; Ihr habt Euren Weg, und ich habe den meinigen.«

Buckingham antwortete blos durch Aufstülpen seines Hutes und ein verächtliches Zurückwerfen des Kopfes, so daß seine hohe Hutfeder heftig schwankte. So schieden sie. Der Herzog setzte seinen Weg durch die königlichen Gemächer fort; die beiden Andern verließen den Palast und bestiegen an der Whitehaller Treppe die Barke des Bürgers.

Anmerkung zum neunten Kapitel.

In jeder Geschichte ist zu lesen, daß Johann Ramsay, später zum Grafen von Holderneß erhoben, den König Jakob rettete, indem er den mit diesem ringenden jüngeren Ruthven erstach. Herr Anton Weldon berichtet: »Der 5. August, als der Jahrestag dieser Rettung, wurde regelmäßig durch ein Festmahl gefeiert. Johann Ramsay war dabei immer der Hauptgast. Der König hatte ihm zugesagt, an diesem Tage ihm jede Gnade zu bewilligen, um die er bitten werde. Aber er hatte mit dieser Zusage solche Beschränkungen verbunden, daß die Bitten dem dazu Befugten ebensowenig Vortheil brachten, als die Handlung, um derenwillen er bitten durfte, dem König nützlich war.«

Buckingham hatte bei seinem reizbaren und herrischen Wesen eine gewisse Offenheit, so daß er Denjenigen, welche sich ihm in den Weg stellten, geradezu den Handschuh hinwarf. Er wünschte zum Fürsten von Tipperary und Connetable von England ernannt zu werden. Coventry, der damalige Siegelbewahrer widersetzte sich einer ungebührlichen Ausdehnung der Gewalt des Connetables. Buckingham ging zu Coventry und fragte ihn barsch: »Wer hat Euch zum Siegelbewahrer gemacht, Coventry?« Dieser antwortete: »Der König.« – »Es ist nicht wahr,« entgegnete Buckingham; »ich habe Euch dazu gemacht, und Ihr sollt erfahren, daß ich, der ich Euch an die Stelle gebracht habe, Euch auch davon wegbringen kann.« – Coventry versetzte: »Könnte ich mir einbilden, daß ich meinen Platz durch Eure Gunst hätte, so würde ich demselben augenblicklich entsagen, indem ich die Siegel in Sr. Majestät Hände zurückgäbe.« – Buckingham eilte wüthend von ihm weg, indem er höhnisch sagte: »Ihr sollt ihn nicht lange behalten.« Er würde seine Drohung sicher erfüllt haben, wenn Felton ihn nicht getödtet hätte. – S. Weldon's Hof der Könige Jakob und Karl.



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