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Erstes Kapitel.

Nun Schott- und England halten Fried',
Und stracks eilt Sander über'n Tweed,
Verändert sich im fremden Lande,
Daß seine Mutter ihn kaum mehr kannte.
Statt eines Kleids von grobem Fries
Er sich ein güldnes machen ließ;
Das plumpe Schwert vertauscht' er hier
Mit einem zierlichen Rappier,
Die Mütze mit dem Biberhut.
Nun solche Wandlung heiß' ich gut.

Die Reformation.

Die lang andauernden Feindseligkeiten, welche seit Jahrhunderten den Norden und den Süden der großen britischen Insel von einander getrennt hatten, waren glücklich beendigt durch die Nachfolge des friedliebenden Jakob I. auf den englischen Thron. Indeß, obwohl die Kronen von England und Schottland auf dem nämlichen Haupte vereinigt waren, erforderte es doch geraume Zeit und das Absterben mehrerer Generationen, bevor die eingewurzelten Nationalvorurtheile, welche so lange zwischen den Schwesterkönigreichen gewaltet hatten, gänzlich schwanden, und die Unterthanen auf beiden Seiten des Tweed dahin kamen, ihre Nachbarn vom andern Ufer als Brüder und Freunde zu betrachten.

Natürlich waren diese Vorurtheile noch am meisten in Kraft während der Regierung von König Jakob. Die Engländer beschuldigten diesen König der Vorliebe für die Unterthanen seines ursprünglichen Reiches, und mit gleichem Unrecht warfen die Schotten ihm vor, er habe sein Geburtsland vergessen und vernachlässige seine alten Freunde, deren treuer Anhänglichkeit er so viel verdanke.

Die bis zur Furchtsamkeit friedfertige Gemüthsart des Königs machte ihn stets geneigt, als Vermittler aufzutreten zwischen den streitenden Parteien, deren Hader am Hofe Unruhe machte. Aber trotz aller seiner Vorsichtsmaßregeln, berichten die Geschichtschreiber, waren öfter Fälle, in welchen der wechselseitige Haß der zwei nach tausendjähriger Feindschaft erst kürzlich vereinten Völker mit einer Wuth losbrach, welche einen allgemeinen Kampf befürchten ließ, und von den höchsten bis zu den niedrigsten Klassen sich verbreitend, Streitigkeiten im Rathe und Parlament, Parteien am Hofe, Zweikämpfe zwischen den Edelleuten und Aufläufe und Prügeleien bei den niederen Ständen hervorbrachte.

Während diese leidenschaftlichen Regungen am heftigsten waren, blühte in der Stadt London ein sinnreicher, aber wunderlicher und eingebildeter Mechaniker, welcher abstrakten Studien sehr ergeben war. Er hieß David Ramsay und bekleidete, wie die Hofleute sagten, seiner Geschicklichkeit wegen, wie aber seine Nachbarn sich einander zuflüsterten, aus Rücksicht auf seinen Geburtsort Dalkeith bei Edinburgh, in Jakobs Haushalt die Stelle eines Hofuhrmachers. Dieser Stelle wegen verschmähte er keineswegs einen offenen Laden innerhalb Temple-Bar, einige Schritte ostwärts von der Dunstanskirche, zu halten.

Der Laden eines damaligen Geschäftsmannes in London sah, wie man sich leicht denken kann, ganz anders aus als der eines jetzigen. Die Waaren wurden in flachen Kasten zum Verkauf ausgestellt, blos durch ein in der Höhe ausgespanntes Segeltuch vor der Witterung geschützt, sowie heutzutage noch die Buden der Landkrämer auf Jahrmärkten sind. Die meisten größeren Besitzer von Läden hatten hinter denselben ein kleines Gemach, welches zu dem Laden in demselben Verhältniß stand, wie Robinson Crusoe's Höhle zu dem vor ihr errichteten Zelte. In ein solches Gemach pflegte sich David Ramsay oft zurückzuziehen, um sich in seine schwierigen Rechnungen zu vertiefen; denn er strebte nach Verbesserungen und Entdeckungen in seiner Kunst, und erstreckte oft, gleich Napier und andern Mathematikern jener Zeit, seine Untersuchungen auf die abstrakte Wissenschaft. War er so beschäftigt, so überließ er den äußeren Posten in seinem Handelsgeschäft zwei handfesten Lehrburschen mit gesunden Lungen, welche fleißig riefen: »Was sucht Ihr? was sucht Ihr?« und zwischendurch die ausgelegten Waaren lobten. Dies unmittelbare und persönliche Auffordern zum Kaufen ist jetzt wohl auf die Monmouther Straße, jene Niederlage alter Kleider unter der Obhut des zerstreuten Restes von Israel beschränkt, und vielleicht ist es selbst dort schon außer Gebrauch. Aber zu der Zeit, von welcher wir hier reden, wurde es von Heiden wie von Juden geübt und diente statt unserer Windbeuteleien in Zeitungsanzeigen, die Aufmerksamkeit des Publikums im Allgemeinen und von Freunden im Besondern auf die unvergleichliche Güte der Waaren zu lenken, welche zu so billigen Preisen angeboten wurden, daß es schien, die Verkäufer suchten mehr das allgemeine Beste, als ihren eignen Vortheil.

Die mündlichen Verkünder der Trefflichkeit ihrer Waaren hatten vor denen, welche heutzutage die Zeitungen zu diesem Zweck benutzen, den Vortheil voraus, daß sie in vielen Fällen ihre Ansprache nach dem Aussehen und vermuthlichen Geschmack der Vorübergehenden einrichten konnten. (So war es vor einigen Jahren noch in der Monmouther Straße, wo es dem Verfasser begegnet ist, daß er auf die Mängel seiner Beinkleider aufmerksam gemacht und ermuntert wurde, sich in diesem Stücke ziemlicher auszustatten. Doch dies ist eine Abschweifung.) Diese unmittelbare, persönliche Ansprache um Kundschaft enthielt jedoch für die in Abwesenheit ihrer Lehrherren damit beauftragten Naseweise eine gefährliche Versuchung. Im Vertrauen auf ihre Zahl und ihr Zusammenhalten ließen sich die Lehrburschen zu London oft verleiten, sich Freiheiten gegen die Vorübergehenden herauszunehmen und ihren Witz auf Kosten derer zu üben, welche sie nicht hoffen konnten durch ihre Beredtsamkeit in Kunden zu verwandeln. Wurde dies mit einer Gewaltthätigkeit erwidert, so waren die Insassen aller Läden bereit zu Hülfe zu eilen, und so geschah es nach den Worten eines alten Liedes, welches Dr. Johnson zu summen pflegte:

»Die Lehrlinge Londons, ein kräftiger Schlag,
Erhoben sich alle an jenem Tag.«

Bei solchen Gelegenheiten gab es oft gefährliche Aufläufe, besonders wenn die Templer oder andere mit dem hohen Adel in Verbindung stehende junge Leute beleidigt wurden oder sich beleidigt glaubten. Oft wurde da der blanke Stahl den Prügeln der Bürger entgegengesetzt, und von beiden Seiten gab es Todte. Der langsamen und unwirksamen Polizei jener Zeit stand kein anderes Mittel zu Gebot, als daß der Alderman des Quartiers die Hausväter aufrief und dem Streite durch die Ueberzahl ein Ende machte, so wie auf der Bühne die Capulets und Montagues getrennt werden.

So waren die Zeiten und Sitten, als eines Abends David Ramsay nach seiner Gewohnheit sich zu seinen schwierigen Lieblingsgeschäften zurückzog und die Verwaltung seines Ladens seinen leiblich und geistig aufgeweckten, rüstigen und lauten Lehrburschen Jan Vincent und Franz Tunstall überließ.

Vincent war in der trefflichen Stiftung der Christkirche erzogen worden, war mithin ein ächter Londoner mit all der Schlauheit, Gewandtheit und Keckheit, welche der Jugend einer Hauptstadt eigen ist. Er war etwa zwanzig Jahre alt, klein aber kräftig gebaut, ausgezeichnet an Feiertagen durch die Kraft und Geschicklichkeit, mit der er Fußball spielte und andere Leibesübungen machte. Er suchte seines Gleichen im Hiebfechten, obwohl er sich bis jetzt nur mit einem Prügel eingeübt hatte. Er kannte jedes Gäßchen, Sackgäßchen und Höfchen in dem Quartier besser als seinen Katechismus, war eben so thätig in seines Meisters Geschäften, wie in seinen eignen Possen und Teufeleien, und wußte es so anzustellen, daß sein Verhalten in seinem Berufe ihn vor Verdacht schützte oder entschuldigte, wenn er sich in böse Händel einließ, so daß bis jetzt noch kein Schimpf auf ihn gefallen war. Manche Abirrungen suchte sein Meister Ramsay, wenn er sie entdeckte, in's Geleise zu bringen, bei andern drückte er die Augen zu und betrachtete sie wie das Stoßwerk in einer Uhr, welches einen Theil der außerwesentlichen Kraft in Anspruch nimmt.

Die Gesichtsbildung Jin Vins (so wurde sein Name in dem Stadtviertel, wo er überall bekannt war, abgekürzt) entsprach den angedeuteten Charakterzügen. Sein Kopf, auf welchem die Plattmütze gewöhnlich schief und nachlässig ruhte, war dicht mit kohlschwarzem, natürlich gelocktem Haar bewachsen, welches sehr lang geworden sein würde, wenn der von seinem Meister streng gehandhabte Brauch ihn nicht genöthigt hätte, es kurz zu tragen, – eine Beschränkung, die ihn mit Neid auf die als Zeichen höheren Ranges geltenden langen Locken der Hofleute und der adeligen Studenten des Tempels blicken ließ. Seine schwarzen Augen lagen tief im Kopfe, waren voll Feuer, Schelmerei und Verstand, und hatten einen launigen Ausdruck, selbst wenn er die gewöhnlichen Redensarten seines Geschäfts vorbrachte, gleich als ob er Derjenigen spottete, die diese Reden für baare Münze nähmen. Allein er schadete mit seinen Blicken dem Geschäft nicht, denn er wußte in die nothwendigen Redensarten allerlei Späße zu mischen, zeigte sich so gefällig, rasch, verständig und höflich – wo er Höflichkeit für angemessen hielt, daß er der Liebling aller Kunden seines Meisters war. Seine Gesichtszüge waren keineswegs regelmäßig: seine Nase war platt, sein Mund etwas groß und seine Farbe etwas dunkler, als sich nach damaligen Begriffen mit männlicher Schönheit vertrug. Aber diese Farbe war trotz dem, daß er stets die Luft einer dichtbevölkerten Stadt eingeathmet hatte, frisch und verrieth eine kernhafte Gesundheit; die aufgestülpte Nase gab ihm, wenn er sprach, einen Ausdruck von Schelmerei, welcher zu dem Lächeln seiner Augen stimmte; der große Mund war von einem wohlgeformten rothen Lippenpaar gebildet und zeigte, wenn er lachte, zwei Reihen gesunder, regelmäßiger, perlenweißer Zähne. So gestaltet war der ältere Lehrling von David Ramsay, dem Erinnerer, Uhr- und Stundenglas-Macher Sr. Geheiligten Majestät Jakobs I.

Jans Genosse war der jüngere im Geschäft, obwohl der ältere an Jahren, und gesetzter. Franz Tunstall stammte aus einem der alten Geschlechter, welche sich mit Stolz unbefleckte nannten, weil sie in den Rosenkriegen unveränderlich zum Hause Lancaster gehalten hatten. Der geringste Sprößling eines solchen Stammes that sich etwas auf seine Abkunft zugute, und auch Tunstall schien heimlich einigermaßen jenen Stolz zu nähren, welcher seiner Mutter Thränen ausgepreßt hatte, als sie sich genöthigt sah, ihn zu einem, dem Range seiner Ahnen untergeordneten Stande zu bestimmen. Trotz dieses Standesvorurtheils fand der Meister den wohlgebornen Jüngling gelehriger, ordentlicher und pünktlicher, als seinen munterern Kameraden. Tunstall gefiel überdem seinem Herrn durch die besondere Aufmerksamkeit, welche er den wissenschaftlichen Grundsätzen seines Geschäftes zu schenken schien. Vincent übertraf ihn in Allem, was Handfertigkeit hieß, und noch weit mehr in Gewandtheit bei den Ladengeschäften. Dennoch sagte David Ramsay, wenn Vincent ein Ding besser zu machen wisse, so verstehe sich Tunstall besser auf die Regeln, wonach, und auf die Gründe, warum es zu machen sei; und er bemerkte Letzterem, er sei ein viel zu guter Kritiker, um sich mit praktischer Mittelmäßigkeit zu begnügen.

Tunstall war eben so blöde als lernbegierig, und obwohl höflich und verbindlich, schien er sich doch im Laden nie an seinem Platze zu fühlen. Sein Wuchs war hoch und regelmäßig, sein Haar schön, seine Glieder wohlgebildet, seine Gesichtszüge hübsch, seine Augen hellblau und wohlgeschlitzt, seine Nase griechisch. Seine Miene drückte Gutmüthigkeit und Verstand aus, aber zugleich eine seinen Jahren ganz unangemessene Ernsthaftigkeit, welche an Niedergeschlagenheit grenzte. Er stand auf dem besten Fuße mit seinem Kameraden und half ihm treulich, so oft derselbe in eins der Scharmützel verwickelt war, welche, wie bemerkt, damals oft die Stadt London beunruhigten. Allein obwohl man wußte, daß er den Quarterstab (die Waffe der Nordländer) vortrefflich zu führen verstand, und daß es ihm nicht an Kraft und Gelenkigkeit fehlte, so schien es doch immer, als mische er sich nur nothgedrungen in solche Raufereien. Darum und weil er auch bei den Belustigungen keine große Aufgewecktheit zeigte, stand er in der Meinung der jungen Leute des Quartiers viel tiefer, als sein lebenslustiger Freund Jin Bin. Ja, wäre Vincent nicht sein Fürsprecher gewesen, so würde Tunstall vielleicht ganz aus der Gesellschaft seiner Standes- und Altersgenossen ausgeschlossen worden sein. Sie nannten ihn spottweise den Ritter Töffel oder den Edlen Tunstall. Der Jüngling, der frischen Luft beraubt, in der er aufgewachsen, und der im Vaterhause gewohnten Bewegung im Freien entbehrend, verlor allmälig seine frische Farbe, wurde, ohne gerade entschiedene Krankheitssymptome zu zeigen, allmälig blaß und mager und bekam zuletzt ein kränkliches Aussehen. Jedoch klagte er weder über sein Befinden, noch bemerkte man an ihm die Gewohnheiten eines ungesunden Menschen, ausgenommen eine Neigung, Gesellschaft zu meiden und lieber seine Zeit auf Forschungen zu verwenden, als an den Belustigungen seiner Kameraden Theil zu nehmen. Selbst das Theater zog ihn nicht an, wo damals die Lehrburschen sich fleißig einfanden und, nach dem Zeugniß eines zuverlässigen Gewährsmannes, sich um angebissene Aepfel balgten, Nüsse knackten und die Gallerie mit ihrem Lärm erfüllten.

So waren die beiden Jünglinge, welche David Ramsay ihren Lehrherrn nannten, und mit denen dieser vom Morgen bis Abend zu keifen pflegte, sofern ihre Eigenheiten mit den seinigen oder mit dem ruhigen Gange seines Geschäftes nicht im Einklange waren. Im Ganzen aber hatten sie Anhänglichkeit an ihn, und er, ein gutmüthiger, obwohl zerstreuter und wunderlicher Mann, hatte sie ebenfalls gern, so daß er, wenn ihm bei gelegentlichem Schmausen der Wein ein wenig zu Kopfe gestiegen war, sich gern etwas auf seine beiden braven Jungen zugute that und auf die Blicke, welche die Hofdamen ihnen zuwarfen, wenn sie in ihren Kutschen seinen Laden besuchten oder zu einer Lustbarkeit in die Stadt kamen. Bei solchen Gelegenheiten verfehlte aber David Ramsay nie, zugleich seine eigne lange, dürre Gestalt aufzurichten, seine magern Backen zu einem erschreckenden Grinsen auszudehnen und durch ein Nicken seines ellenlangen Kopfes und ein Zwinkern seiner grauen Aeuglein zu verstehen zu geben, daß in Fleetstreet auch wohl noch andre sehenswerthe Gesichter seien, außer denen Jans und Franzens. Seine alte Nachbarin, die Wittwe Simmons, die Nähterin, welche in ihren guten Tagen den Ausbund der schmucken Jugend des Tempels mit Krägen, Hals- und Handkrausen versehen hatte, beurtheilte treffender die Aufmerksamkeit, welche die vornehmen weiblichen Kunden den Personen im Laden Ramsays schenkten. »Der junge Franz,« sagte sie, »zog die Aufmerksamkeit der Fräulein auf sich, weil er etwas Sanftes und Bescheidenes in seinen Blicken hatte; aber das half dem armen Jungen nicht weiter, denn er war stumm wie ein Fisch. Aber Jin Bin war so voller Schnurren und Schnaken, und so willig und behend, und so dienstfertig und dabei so manierlich, und hatte einen Schritt wie ein Reh im Eppinger Walde, und ein Auge, blitzend wie das einer Zigeunerin, daß kein Weib, welches die Welt kannte, einen Vergleich zwischen Beiden zulassen konnte. Was den armen Nachbar Ramsay selber betraf, ja, der war ein höflicher Nachbar, ein gelehrter Mann ohne Zweifel, ja, er hätte ein reicher Mann sein können, wenn er neben seiner Gelehrsamkeit gesunden Menschenverstand gehabt hätte. Für einen Schotten war Nachbar Ramsay ohne Zweifel kein übler Mann; aber er war ewig eingeräuchert und mit Messingfeilstaub vergoldet und mit Lampenruß und Oel beschmiert,« so daß Dame Simmons meinte, sein ganzer Laden voll Uhren würde erforderlich sein, um ein schmuckes Weib zu bewegen, ihn anders als mit der Kluft anzugreifen.

Eine noch bedeutendere Autorität, Frau Ursula, Ehegattin des Barbiers Benjamin Suddlechop, war genau derselben Meinung.

So beschaffen und so angesehen waren die beiden jungen Leute, welche an einem schönen Apriltage, nachdem sie zuvor ihren Lehrherrn und seine Tochter bei der Mittagstafel um ein Uhr bedient – dies, ihr jungen Bursche von London, war die strenge Zucht eurer Vorfahren! – und nachdem sie den Abhub in Gesellschaft zweier Dienerinnen, der Köchin und des sogenannten Mädchens der Jungfrau Margarethe, verzehrt hatten, ihren Meister auf dem Posten im Laden ablöseten und der bestehenden Gewohnheit gemäß mit Bitten und Empfehlungen der Waaren ihres Meisters die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden in Anspruch nahmen.

In diesem Dienstzweige ließ, wie man leicht denken kann, Jan Vincent seinen zurückhaltenderen und verschämteren Kameraden weit hinter sich. Letzterer konnte nur mit Mühe und Widerwillen die stehenden Worte herausbringen: »Was wünscht Ihr? Was wünscht Ihr? Uhren – Wanduhren – Brillen? Was wünscht Ihr, mein Herr? Was wünscht Ihr, Madame? Brillen – Uhren – Wanduhren?«

Diese einförmige, trockene Wiederholung, in welche höchstens durch verschiedene Stellung der Wörter eine Abwechslung gebracht wurde, klang matt, wenn man daneben den reichen volltönenden Redefluß des zuversichtlichen und witzigen Jan Vincent hörte. »Was wünscht Ihr, edler Herr? Was sucht Ihr, schöne Frau?« sprach er in einem zugleich kecken und begütigenden Tone, welcher den Angeredeten schmeichelte und andern Zuhörern ein Lächeln entlockte. – »Gottes Segen über Ew. Ehrwürden« – redete er einen geistlichen Pfründner an; »das Griechische und Hebräische hat Ew. Ehrwürden Augen geschadet. Kauft ein paar Augengläser von David Ramsay. Der König – Gott segne Se. Majestät – liest nie Hebräisch oder Griechisch ohne sie.«

»Wißt Ihr das gewiß?« fragte ein fetter Pfarrer aus dem Eveshamer Thale. »Ja, wenn das Haupt der Kirche sie trägt – Gott segne Se. Majestät! – so will ich sehen, was sie mir helfen können, denn ich bin nicht im Stande gewesen, einen hebräischen Buchstaben von dem andern zu unterscheiden, seit – ich weiß nicht mehr, wie lange es her ist – seit ich ein böses Fieber gehabt. Suche mir ein Paar aus, welche Se. Majestät selber trägt, mein guter Junge.«

»Da ist ein Paar,« sprach Jan, indem er mit ehrfurchtsvoller Miene eine Brille hervorlangte, »ein Paar, welches Se. Majestät heute vor drei Wochen auf Dero Allerhöchster Nase gehabt hat und für Höchstdero eignen Gebrauch bestimmt haben würde, wenn nicht die Einfassung vom reinsten Agat, wie Ew. Ehrwürden sehen, mehr für einen Bischof paßte, wie Se. Majestät zu sagen geruhte, als für einen weltlichen Fürsten.«

»Se. Majestät,« bemerkte der würdige Geistliche, »war stets ein Daniel im Urtheilen. Gib mir die Gläser, guter Junge. Wer weiß, auf welcher Nase sie nach zwei Jahren sitzen! Unser ehrwürdiger Bruder von Gloster nimmt zu an Jahren.« – Mit diesen Worten zog er seine Börse heraus, bezahlte die Brille und verließ den Laden mit noch wichtigerem Schritt, als er gekommen war.

»Schäme dich,« sagte Tunstall; »diese Gläser passen schlechterdings nicht für einen Mann in seinen Jahren.«

»Du bist ein Narr, Franz,« erwiderte Vincent. »Hätte der Doctor eine Brille haben wollen, um dadurch zu lesen, so würde er sie erst untersucht haben, ehe er sie kaufte. Er braucht sie nicht um durchzusehen; um zu machen, daß die Leute auf ihn sehen, dazu ist sie so gut, wie die beste Vergrößerungsbrille im Laden. – »Was sucht Ihr?« fing er wieder an zu rufen. »Spiegel für Euren Putztisch, schöne Frau. Eure Haube sitzt ein wenig schief. Schade! sie ist so geschmackvoll.« – Die Frau blieb stehen und kaufte einen Spiegel. – »Was sucht Ihr? eine Uhr, Herr Licentiat – eine Uhr, die so lange geht, wie ein Proceß, und so gleichmäßig und zuverlässig, wie Eure Beredtsamkeit.«

»Halt's Maul!« entgegnete der Ritter von der Haube, der durch Vins Zuruf in einer Besprechung mit einem Anwalt gestört wurde. »Du bist der lauteste Galgenstrick zwischen der Teufelsschenke und Guildhall.«

»Eine Uhr,« wiederholte der unerschrockene Jan, »die keine dreizehn Minuten verliert in einem dreizehnjährigen Prozeß. – Er hört's nicht mehr. – Eine Uhr mit vier Rädern und einem Stangentriebwerk – eine Uhr, Meister Poet, welche Euch sagt, wie lange die Geduld der Zuschauer bei Eurem nächsten Stück im schwarzen Ochsen ausdauern wird.« Der Dichter lachte, störte in seiner Hosentasche herum und ertappte endlich in einer Ecke ein kleines Goldstück.

»Hier, guter Junge,« sprach er, »hier ist ein Kopfstück, um dich bei witziger Laune zu erhalten.«

»Schön Dank!« erwiderte Vin. »Bei Eurem nächsten Stück will ich einen Sack voll Brüllbuben herbeibringen, welche die Kritiker im Parterre und die Helden auf der Bühne manierlich machen sollen, oder es soll der Vorhang herhalten.«

»Das nenn' ich schmutzig,« sagte Tunstall, »dem armen Reimer das Geld abzunehmen, der so blutwenig hat.«

»Du bist doch immer der alte Dummbart,« versetzte Vincent. »Wenn er Nichts mehr hat, um Käse und Rettige zu kaufen, so speiset er einen Tag früher bei einem Gönner oder Schauspieler, denn das ist sein Loos in fünf Tagen unter sieben. Es ist unnatürlich, daß ein Dichter sein eignes Bier bezahlen soll. Ich will ihm die Schande ersparen und sein Kopfstück für ihn vertrinken, und wenn seine Benefizvorstellung ist, dann soll er Geldeswerth für sein Kopfstück haben, darauf verlaß dich. – Aber da kommt ein anderer muthmaßlicher Kunde. Sieh' nur den possirlichen Gesellen – wie er in jeden Laden gafft, als wollte er die Waaren verschlingen. – Da, jetzt ist sein Blick auf S. Dunstan gefallen – Gott gebe, daß er die Bilder nicht verschluckt. Sieh', wie er die Augen aufreißt zu dem Glockenspiel von Adam und Eva! Komm, Franz, du bist ein Gelehrter; erkläre mir, was das für ein Gesell ist mit einer blauen Kappe und einer Hahnenfeder darauf, um zu zeigen, daß er von edlem Blute ist. Graue Augen, gelbes Haar, ein Schwert mit einem Schiffspfund Eisen am Griff, grauer abgeschabter Mantel, dem Gange nach ein Franzose, dem Blicke nach ein Spanier, ein Buch am Gürtel und auf der andern Seite einen breiten Dolch, also halb Pedant und halb Eisenfresser. Wie nennst du ein solches Wunderding, Franz?«

»Ein ungehobelter Schotte,« antwortete Tunstall; »ein Schotte, der vermuthlich eben angekommen ist, um seinen übrigen Landsleuten zu helfen, Altenglands Knochen abzunagen; eine Wanderraupe, um aufzufressen, was die Heuschrecke übrig gelassen hat.«

»Ah so, Franz,« erwiderte Vincent, »wie der Dichter singt:

»In Schottland ist der Bursch' zu Haus;
Er bettelt, ihm gebührt ein Schmaus.«

»Psch!« fiel Tunstall ein; »denk' an unsern Herrn.«

»Ei was!« erwiderte der lustige Gesell, »er weiß, auf welcher Seite sein Brod mit Butter beschmiert ist. Er hat nicht vergebens so lange unter Engländern und von Engländern gelebt, daß er es uns übel nehmen sollte, wenn wir englisch gesinnt sind. Aber sieh', unser Schotte ist fertig mit seiner Beschauung der Dunstanskirche und kommt des Weges daher. Wirklich ein hübscher, kernhafter Junge, trotz Sonnenbrand und Sommersprossen. Er kommt immer näher; ich binde mit ihm an.«

»Da sieh' zu, daß du nicht einen blutigen Kopf davon trägst,« bemerkte Tunstall. »Er sieht nicht danach aus, als ob er sich auf der Nase herumtanzen ließe.«

»Ich kehre mich nicht an solche Warnung,« entgegnete Vincent und redete sofort den Fremden an: »Kauft eine Uhr, hochedler nord'scher Thane, kauft eine Uhr, um die Stunden des Wohllebens zu zählen, die Ihr verlebt habt seit dem gesegneten Augenblicke, wo Ihr Berwick hinter Euch gelassen. Kauft Augengläser, um zu sehen, wie das englische Gold für Euren Griff bereit liegt. Kauft, was Ihr wollt, Ihr sollt Credit auf drei Tage haben, denn wären Eure Taschen so leer wie die von Pater Fergus, Ihr seid ein Schott' in London und da werdet Ihr in der Zeit ausgestopft.« Der Fremde warf dem muthwilligen Lehrling einen finsteren Blick zu, und schien seinen Stock in drohender Weise zu fassen. »Kauft Arznei,« fuhr der kecke Vincent fort, »wenn Ihr weder Zeit noch Licht kaufen wollt, – Arznei für ein stolzes Herz; dort drüben ist eine Apotheke.«

Der Novize Galens, welcher in platter Mütze und leinenen Ueberärmeln mit einer hölzernen Mörserkeule an der Thüre seines Herrn stand, fing den Ball auf, den Jan ihm zuwarf, und rief: »Was sucht Ihr, Herr? Kauft eine ausbündige Caledonische Salbe, Flos sulphuris cum butyro quantum sufficit« Schwefelblüthe mit Butter soviel als genug ist..

»Zu gebrauchen nach einer gelinden Einreibung mit einem englischen eichenen Handtuch,« fügte Vincent hinzu.

Der gute Schotte bot dem Spiele dieses kleinen Geschützes von Stadtwitz ein bequemes Ziel, indem er Halt machte und grimmig erst den einen, dann den andern Angreifer anblickte, als drohe er mit einer gebührenden Erwiderung oder mit gewaltthätiger Rache. Aber Phlegma oder Klugheit trug über seinen Unwillen den Sieg davon. Er schüttelte den Kopf, als verachte er die Neckerei, und schritt stolz weiter in der Fleetstraße, verfolgt von dem wiehernden Gelächter seiner Quälgeister.

»Der Schotte ficht nicht, bis er sein eignes Blut sieht,« bemerkte Tunstall, der als Nordengländer mit allen Sprichwörtern in Betreff seiner nördlichen Nachbarn bekannt war.

»Ich weiß nicht,« sagte Jenkin, »der Kerl sieht gefährlich aus. Gib Acht, ob er nicht Einem Eins überhaut, noch ehe er viel weiter gegangen ist, – horch! horch! – es geht los.«

Wirklich erscholl der bekannte Ruf: »Lehrburschen! Lehrburschen! Prügel! Prügel!« in der Fleetstraße. Jan ergriff seine Waffe, welche unter dem Ladentische bereit lag, rief Tunstall zu, er solle seinen Hut nehmen und mit laufen, sprang über die Halbthür, welche den Laden schloß, und lief, was er konnte, Jeden, der ihm in den Weg kam, auf die Seite schiebend. Sein Kamerad rief erst seinem Meister zu, er möge auf den Laden achten, und folgte dann Jans Beispiel, jedoch mit mehr Rücksicht auf die Leute, die ihm aufstießen. Der alte David Ramsay aber, Hände und Augen aufhebend, eine grüne Schürze vorgebunden und ein Glas, welches er eben zu schleifen beschäftigt gewesen, in den Busen schiebend, kam heraus, um über sein Hab und Gut zu wachen, wohl wissend, daß er bei dem Rufe »Prügel« von seinen Lehrlingen im Stich gelassen werde.

Anmerkung zum ersten Kapitel.

David Ramsay, Hofuhrmacher Jakobs I., war eine wirkliche Person, die der Verfasser so frei gewesen ist, zum Dienste der Dichtung zu pressen. Obwohl sein Geschäft ihn auf die exacten Wissenschaften hinwies, so verband er doch, wie viele Andere zu seiner Zeit, mit denselben mystische und phantastische Strebungen. Der Grund hiervon lag darin, daß die Grenzlinie zwischen dem Wahren und Falschen in der Mathematik, Astronomie und ähnlichen Wissenschaften noch nicht genau gezogen war, und an ihrer Stelle gewissermaßen ein unbekanntes Land sich ausbreitete, in welchem sich die Weisesten verirrten. David Ramsay setzte sein Geld an den Erfolg von Weissagungen, zu welchen ihn seine Forschungen verleiteten: er verkaufte Uhren, zahlbar, wenn König Jakob auf dem Stuhle des Papstes zu Rom gekrönt sei. Solche Wetten waren damals gewöhnlich, wie aus Jonsons »Jedermann nach seiner Eigenheit« zu ersehen ist.

David Ramsay spielte eine Rolle bei einem sonderbaren Auftritt, wo der berüchtigte Astrolog Lilly die Hauptperson war, und hegte bei dieser Gelegenheit keine geringe Hoffnung, denn er brachte einen Sack mit, um den Schatz einzupacken.

»David Ramsay, Sr. Majestät Uhrmacher, hatte erfahren, daß in dem Kreuzgange der Westminsterabtei ein großer Schatz vergraben liege. Er theilte diese Nachricht dem Decan Withnam mit, welcher zugleich Bischof von Lincoln war. Der Decan gab ihm Erlaubniß nachzusuchen, unter der Bedingung, daß die Kirche einen Antheil bekomme, wenn sich Etwas finde. David Ramsay machte einen Johann Scott ausfindig, der vorgab, er wisse mit den mosaischen Ruthen (Wünschelruthen) umzugehen, und bewog ihn, ihm Beistand zu leisten. Ich wurde aufgefordert, ein Gleiches zu thun, und verstand mich dazu. In einer Winternacht gingen wir, Ramsay, mehre Edelleute, Scott und ich, in den Kreuzgang. Wir wandten die Haselruthen in dem ganzen Gange an. An dem westlichen Ende kreuzten sich die Ruthen, ein Beweis, daß dort der Schatz war. Die Arbeiter gruben wenigstens sechs Fuß tief. Wir stießen auf einen Sarg. Da dieser aber nicht schwer war, so öffneten wir ihn nicht, was wir nachher sehr bereut haben.

»Aus dem Kreuzgange gingen wir in die Stiftskirche. Plötzlich erhob sich ein Sturm, daß wir meinten, die Westseite der Kirche müsse über unsern Häuptern einstürzen. Unsere Ruthen blieben unbeweglich; die Lichter, bis auf Eins, gingen aus oder brannten düster. Mein Gefährte Johann Scott sah blaß aus und wußte nicht, was er denken sollte, bis ich Weisungen gab, die bösen Geister fortzuschicken. Nachdem dies geschehen war, wurde Alles wieder ruhig, und Jedermann kehrte etwa um Mitternacht nach Hause zurück. Ich ließ mich nie mehr zur Theilnahme an solchen Dingen bewegen.

»Der wahre Grund des Mißlingens lag in der Anwesenheit so vieler Leute. Es waren ihrer etwa dreißig, die uns zum Theil auslachten. Hätten wir nicht die Geister fortgeschickt, so glaube ich, wäre der größte Theil der Stiftskirche zusammengerissen worden. Heimlichkeit, kundige Arbeiter, festes Vertrauen und Bewußtsein dessen, was sie thun, sind Erfordernisse zu einem solchen Werke.« – Lilly's Leben und Zeiten. S. 46.

David Ramsay hatte einen Sohn, Wilhelm, welcher eben so leichtgläubig gewesen zu sein scheint, wie sein Vater. Er wurde Astrolog und gab 1651-1652 eine » Vox Stellarum, Anleitung zur Beurtheilung der Finsternisse und jährlichen Weltumwälzungen« heraus. Die Ausgabe von 1652 ist seinem Vater gewidmet. Es scheint, der alte Uhrmacher hatte versäumt, Heu zu machen, während die Sonne schien, denn sein Sohn gibt in seiner Zueignung folgende Ausnahme von den Tugenden seines Vaters zu. »Es ist wahr, Eure Sorglosigkeit, im Sonnenschein für die stürmische Zeit zu sammeln, hat gemeine Menschen veranlaßt, Euch zu unterschätzen, – Menschen, welche einen Mann nicht länger achten, als er im Wohlstande ist, bei welchen Reichthum und Macht, nicht Weisheit und Tugend, der Maßstab des Werthes sind.« Diese Ausdrücke lassen vermuthen, daß, während David Ramsay, ein Anhänger der Stewarts, unter der Parlamentsregierung herabkam, sein Sohn Wilhelm aus einem Betrogenen der Astrologie sich zum Range eines Betrügers aufschwang.



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