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Viertes Kapitel.

Der Bauer sagt: »Wer Schuh' mit Nägeln trägt,
Ist darum nicht vernagelt.« Mancher Mann
In Grobgrän, goldner Kett', geschwärzten Schuh'n
Hat unter seiner Plattmütz mehr Verstand,
Als mancher Junker unterm Federhut
Und als der Staatsmann in der Sammethaub'.

Lös' mir mein Räthsel.

Der junge schottische Standesherr empfing den Bürger mit kalter Höflichkeit und mit jener Zurückhaltung, durch welche die Höherstehenden dem Plebejer zu verstehen geben, daß er ein unwillkommener Gast ist. Aber Meister Georg schien dadurch weder verletzt noch aus der Fassung gebracht zu werden. Er nahm den Stuhl an, den der Lord aus Rücksicht auf sein anständiges Aeußere ihm anbot, und sagte nach einem Augenblicke des Schweigens, während dessen er den jungen Mann mit Achtung und Rührung betrachtet hatte: »Edler Herr, Ihr werdet mir die Ungebühr verzeihen; ich bemühte mich, in Eurem jugendlichen Antlitz die Züge meines alten gnädigen Herrn, Eures trefflichen Vaters, wiederzufinden.«

Abermals trat ein Augenblick des Schweigens ein, und dann erwiderte der junge Glenvarloch immer noch in zurückhaltender Weise: »Man sagt, ich sehe meinem Vater ähnlich, und ich bin erfreut, Jemanden zu finden, der sein Andenken hochachtet. Aber das Geschäft, welches mich hieher geführt hat, ist dringend und nicht öffentlich, und –«

»Ich verstehe den Wink, edler Herr,« unterbrach Meister Georg, »und ich möchte nicht den Vorwurf verdienen, Euch lange von Euren Geschäften oder von angenehmerer Unterhaltung abzulenken. Was ich zu sagen habe, ist fast weiter Nichts, als daß ich Georg Heriot bin, den Euer trefflicher Vater vor mehr als zwanzig Jahren in den Dienst der königlichen Familie von Schottland eingeführt und mit Wärme empfohlen hat, und daß ich, nachdem ich durch einen Eurer Diener die Anwesenheit Ew. Herrlichkeit in wichtigen Geschäften dahier erfahren habe, es für eine angenehme Pflicht halte, dem Sohne meines verehrten Gönners meine Aufwartung zu machen und, da ich am Hofe sowohl, wie in der Stadt nicht unbekannt bin, ihm diejenigen Dienste anzubieten, zu denen mein Einfluß und meine Erfahrung mich befähigt.«

»Ich bezweifle weder den einen noch die andere, Meister Heriot,« versetzte der Freiherr, »und ich danke Euch herzlich für den guten Willen, mit welchem Ihr dieselben zur Verfügung eines Unbekannten stellt. Allein mein Geschäft am Hofe ist beendigt, und ich gedenke, London und das Reich zu verlassen, um ins Ausland zu reisen und Kriegsdienste zu nehmen. Ich muß hinzufügen, daß die Schnelligkeit meiner Abreise mir wenig Zeit zur Verfügung läßt.«

Meister Heriot beachtete den Wink nicht, sondern blieb sitzen, jedoch mit einer Miene der Verlegenheit, als habe er Etwas auf dem Herzen, welches er nicht auf eine eindringliche Weise vorzubringen wisse. Endlich sagte er mit zweifelndem Lächeln: »Ihr könnt von Glück sagen, Edler Herr, daß Euer Geschäft am Hofe so schnell abgethan ist. Eure gesprächige Wirthin sagt mir, daß Ihr erst vierzehn Tage in der Stadt seid. Es dauert gewöhnlich Monate und Jahre, bis der Hof und Einer, der dort Etwas zu suchen hat, von einander kommen.«

»Mein Geschäft ist summarisch abgethan worden,« erwiderte Lord Nigel mit einer Kürze, welche bezweckte, weitere Erörterung abzuschneiden.

Meister Heriot blieb sitzen, und der Ausdruck von Herzlichkeit, welcher sich mit seinem ehrwürdigen Ansehn vereinigte, machte es dem Lord unmöglich, das Verlangen, daß er sich entfernen möge, entschiedener auszusprechen.

»Ew. Herrlichkeit,« nahm der Bürger wieder das Wort, »hat noch nicht Zeit gehabt, die Belustigungsörter, die Schauspielhäuser und ähnliche für die Jugend anziehende Plätze zu besuchen. Aber ich sehe in Ew. Herrlichkeit Hand einen der neuesten Komödienzettel. Dürft' ich fragen, von welchem Stück?«

»O, ein bekanntes Stück,« antwortete Nigel, die Proclamation, welche er bisher zwischen den Fingern gerollt hatte, ungeduldig zu Boden werfend, – »ein vortreffliches und wohlbekanntes Stück: Neue Art, alte Schulden zu bezahlen

Meister Heriot bückte sich und sprach: »O, mein alter Bekannter, Philipp Massinger.« Als er aber das Papier aufgemacht und den Inhalt gesehen hatte, blickte er den Freiherrn mit Erstaunen an und sprach: »Ich hoffe, Ew. Herrlichkeit wird nicht glauben, daß dies Verbot sich auf Eure Person und auf Eure Ansprüche bezieht.«

»Ich hätte es selbst nicht gedacht,« antwortete der junge Herr, »aber es ist so. Um kurz diese Unterhaltung zu schließen: Se. Majestät hat geruht, mir diese Proclamation zuzusenden als Bescheid auf eine ehrfurchtsvolle Supplik um Rückzahlung bedeutender Anlehen, welche mein Vater in der größten Noth des Königs dem Staate gemacht hat.«

»Unmöglich!« rief der Bürger. »Es ist schlechterdings unmöglich! Könnte der König auch vergessen, was er Eures Vaters Andenken schuldig ist, so würde er doch nicht gewollt – ich möchte sagen, nicht gewagt haben, eine so schreiende Undankbarkeit an den Tag zu legen gegen das Andenken eines Mannes, wie Euer Vater, der, obwohl leiblich todt, doch noch lange im Gedächtniß des schottischen Volkes leben wird.«

»Ich würde Eurer Meinung gewesen sein,« erwiderte Lord Nigel in demselben Tone wie vorher; »aber Thatsachen lassen sich nicht bestreiten.«

»Was war der Inhalt dieser Bittschrift?« fragte Heriot, »und durch wen wurde sie überreicht? Sie muß etwas Sonderbares enthalten haben, sonst –«

»Seht das Concept,« antwortete der Lord, indem er es aus einem kleinen Koffer herausnahm. »Der juristische Theil ist von meinem Sachwalter in Schottland, einem geschickten und verständigen Manne. Das Uebrige ist von mir, und ich denke, mit gebührender Ehrerbietung und Bescheidenheit geschrieben.«

Meister Heriot überblickte schnell die Schrift. »Nichts,« sagte er, »kann gemäßigter und achtungsvoller sein. Ist es möglich, daß der König diese Bitte mit Verachtung behandelt habe?«

»Er hat sie auf das Pflaster geworfen,« erwiderte der Herr von Glenvarloch, »und mir als Antwort diese Proclamation geschickt, in welcher er mich mit Bettlern aus Schottland, die seinen Hof in den Augen der stolzen Engländer verunehren, in eine Klasse wirft. Hätte mein Vater nicht mit Herz, Schwert und Hab und Gut zu ihm gehalten, so hätte er selber wohl nie den englischen Hof gesehen.«

»Durch wen, edler Herr, ist diese Bittschrift überreicht worden?« fragte Heriot. »Denn die Unzufriedenheit mit dem Boten erstreckt sich zuweilen auf die Botschaft.«

»Durch meinen Diener,« antwortete der Freiherr, »durch den Mann, den Ihr gesehen und dem Ihr, glaube ich, Güte erwiesen habt.«

»Durch Euren Diener, edler Herr?« sprach der Bürger. »Er scheint mir ein gewürfelter Bursche zu sein. Er ist auch ohne Zweifel treu; aber sicher – –«

»Ist er kein geeigneter Bote an den König? meint Ihr. Ich denke es selber. Aber was konnte ich machen? Jeder Versuch, dem Könige meine Sache vorzulegen, war mißlungen. Meine Bittschriften waren nicht weiter gekommen, als in die Taschen der Schreiber. Dieser Bursche behauptete, er habe einen Freund in des Königs Hofhaltung, welcher ihn dem Könige vorstellen wolle; also –«

»Ich verstehe,« sagte Heriot. »Aber, edler Herr, warum habt Ihr nicht, gestützt auf Euren Rang und auf Eure Geburt, Vortritt am Hof verlangt, was Euch nicht abgeschlagen werden konnte?«

Der junge Freiherr erröthete und warf einen Blick auf seine Kleidung, welche sehr schmucklos war und, obwohl in guter Ordnung, doch so aussah, als habe sie schon Dienste gethan.

»Ich weiß nicht,« sprach er nach kurzer Zögerung, »warum ich mich schämen sollte, die Wahrheit zu sagen. Ich hatte kein Kleid, um am Hofe zu erscheinen. Ich will nun einmal keinen Aufwand machen, den ich nicht bestreiten kann, und ich denke, Ihr werdet mir nicht zumuthen, mich an das Thor des Schlosses zu stellen und persönlich mein Gesuch zu überreichen in Gesellschaft mit Denen, welche ihre Noth klagen und Almosen erflehen.«

»Das wäre allerdings unziemlich gewesen,« sprach der Bürger. »Doch, verehrter Herr, ich meine immer, es müsse ein Mißgriff stattgefunden haben. – Kann ich mit Eurem Diener sprechen?«

»Ich sehe nicht ab, wozu das führen sollte,« antwortete der junge Lord. »Aber Eure Theilnahme an meinem Mißgeschick scheint aufrichtig zu sein, darum« – Er stampfte auf den Boden, und in wenigen Sekunden erschien Moniplies, aus seinem Bart die Brosamen wischend und aus seinem Schnurrbart den Bierschaum, welcher deutlich bewies, was sein letztes Geschäft gewesen. – »Erlaubt Ew. Herrlichkeit,« fragte Heriot, »daß ich Eurem Knecht einige Fragen vorlege?«

»Sr. Herrlichkeit Pagen, Meister Georg, wenn Ihr buchstäblich reden wollt,« bemerkte Richard mit freundlichem Kopfnicken.

»Halt dein vorwitziges Maul!« rief sein Herr ihm zu, »und antworte bestimmt auf die Fragen, die man dir vorlegen wird.«

»Und wahr, wenn es Ew. Pagenschaft beliebt,« fügte der Bürger hinzu, »denn Ihr wißt, ich besitze die Gabe, Falsches zu entdecken.«

»Gut, Gut,« erwiderte der Diener etwas verlegen, trotz seiner Keckheit; »wiewohl ich glaube, daß die Wahrheit, welche meinem Herrn genügt, auch für jeden Andern gut genug sein sollte.«

»Pagen haben das Gewohnheitsrecht, ihre Herren zu belügen,« bemerkte der Bürger, »und Ihr zählt Euch selbst zu dieser Zunft, wiewohl ich glaube, Ihr seid einer der Aeltesten von diesen Springinsfelden. Aber mir müßt Ihr die Wahrheit sagen, wenn Ihr nicht an den Peitschpfahl kommen wollt.«

»Das ist ein schlechter Ruheplatz,« erwiderte der stämmige Page. »Also heraus mit Euren Fragen, Meister Georg.«

»Also,« begann der Bürger, »so viel ich weiß, habt Ihr gestern in Sr. Majestät Hände eine Bittschrift von Eurem gnädigen Herrn übergeben?«

»Das ist nicht zu leugnen,« versetzte Moniplies; »es waren zu Viele dabei, die es gesehen haben.«

»Und Ihr behauptet, Se. Majestät habe sie mit Verachtung weggeworfen?« fragte der Bürger weiter. »Nehmt Euch in Acht; ich kann der Wahrheit auf den Grund kommen, und es wäre Euch besser, bis an den Hals im Norloch, auf den Ihr so viel haltet, zu stecken, als eine Verleumdung auszusprechen, bei welcher Sr. Majestät Name betheiligt ist.«

»Es ist hier von keiner Verleumdung die Rede,« antwortete Moniplies mit Festigkeit. »Se. Majestät hat sie von sich geworfen, als hätt' er sich die Finger dran beschmutzt.«

»Da hört Ihr es,« sprach Nigel zu Heriot.

»Sachte!« entgegnete der scharfsinnige Bürger. »Dieser Bursche trägt seinen halb schottischen halb französischen Namen Verdeutscht Mannigfalt, Mony, manch, viel, plie Falte. mit der That, er hat mehr Falten als ein Mantel. – Halt, Gesell;« (Richard brummte Etwas von seinem Frühstück und machte Miene der Thür zuzuschleichen.) »Beantworte mir noch die weitere Frage: Als du deines Herrn Bittschrift dem König übergabst, hast du da Nichts weiter mit überreicht?«

»Oh, was hätt' ich denn mitgeben sollen, Meister Georg?«

»Das will ich eben durchaus wissen,« fuhr der Inquirent fort.

»Nun denn – ich darf wohl nicht sagen, daß ich vielleicht nicht gerade dem König eine ganz kleine Sifflik von mir selber zugleich mit der meines Herrn hätte in die Hand schieben sollen – bloß um Sr. Majestät Mühe zu ersparen, und daß er sie beide auf ein Mal in Erwägung ziehen möchte.«

»Eine Supplik von dir selber, du Taugenichts?« fuhr sein Herr auf.

»Ach, lieber Herr, ja,« antwortete Richard. »Arme Leute haben ihre Siffliken so gut wie die Großen.«

»Und was war wohl der Inhalt deiner ehrsamen Bittschrift?« fragte Meister Heriot. – »Nein, um's Himmels willen, gnädiger Herr, bewahret Eure Langmuth, sonst erfahren wir die Wahrheit in dieser sonderbaren Geschichte nicht. – Heraus also, Alter, ich will dein Fürsprecher sein bei deinem Herrn.«

»Es ist eine lange Geschichte – aber das Ende davon ist, daß es eine alte Rechnung ist aus der Verlassenschaft meines Vaters, dem Ihre Majestät, des Königs Mutter, als sie auf dem Schloß wohnte, den Betrag für verschiedenes geliefertes Fleisch schuldig geblieben ist. Ohne Zweifel wäre es schön von Sr. Majestät, diese Rechnung zu bezahlen, und angenehm für mich, den Betrag zu empfangen.«

»Was ist das für eine Unverschämtheit!« rief der Freiherr.

»Jedes Wort so wahr, wie es nur je Johann Knox gesprochen,« antwortete Richard. »Hier ist das Muster der Sifflik.«

Meister Georg nahm ein zerknittertes Papier aus der Hand des Burschen und las murmelnd: »›Gehorsamst angezeigt – hm – hm – schuldig die Summe von fünfzehn Mark laut Rechnung – Zwölf Hammelsfüße für Gallert – ein Lamm, auf Weihnachten – einen in Fett gebratenen Kapaun für das innere Gemach, als mein gnädiger Herr von Bothwell mit Ihro Gnaden zu Nacht speisete.‹ – Edler Herr, ich glaube, Ihr dürft Euch kaum wundern, daß Se. Majestät dies Gesuch nicht zum besten aufnahm; und Meister Page, ich vermuthe, daß Ihr Sorge getragen habt, Eure eigne Supplik eher zu übergeben, als die Eures Herrn.«

»Wahrhaftig nicht,« antwortete Moniplies; »ich wollte die Schrift meines gnädigen Herrn zuerst überreichen, wie billig war. Allein bei dem Gesumme und Durcheinander und bei dem Hin- und Herspringen des scheuen Viehes hab' ich sie ihm wahrscheinlich beide zugleich in die Hand gedrückt, und vielleicht lag meine oben. Und wenn dabei etwas Unrechtes war, so hab' ich dafür allen Schrecken und alle Gefahr gehabt –«

»Und sollst auch dafür alle Prügel haben, du Lumpenhund!« fiel der Freiherr ein. »Soll ich mich beschimpfen und entehren lassen durch deine Unverschämtheit, die deine elenden Angelegenheiten mit den meinigen vermengt?«

»Nein, nein, gnädiger Herr!« sprach der gutmüthige Bürger. »Ich bin das Mittel gewesen, den Mißgriff des Burschen an's Licht zu bringen; verstattet mir nun auch ein gutes Wort für seine Knochen. Ihr habt Ursache, aufgebracht zu sein; allein ich glaube, er hat mehr aus Unverstand als aus Absicht gefehlt, und ich denke, er wird Euch in Zukunft um so besser dienen, wenn Ihr ihm diesen Fehler nachseht. – Geh' fort, Bursche, ich will Frieden für dich machen.«

»Nein, nein,« sprach Moniplies, fest stehen bleibend, »wenn er einen Jungen schlagen will, der ihm aus reiner Zuneigung gefolgt ist, denn von Lohn ist wenig die Rede gewesen von Schottland an bis hieher, so laßt den gnädigen Herrn es thun und zusehen, was er für Ehre davon hat. Ich danke Euch zwar, Meister Georg, aber ich will lieber einen Schlag von seinem Stock aushalten, als daß es heißen soll, ein Fremder habe sich zwischen uns in's Mittel gelegt.«

»Fort!« rief sein Herr. »Mache, daß du mir aus den Augen kommst.«

»Nun das ist bald gethan,« brummte Moniplies, langsam sich entfernend. »Ich bin nicht ungerufen gekommen und wäre gern schon vor einer halben Stunde gegangen, wenn Meister Georg mich nicht zurückgehalten hätte, damit ich seine Fragen beantwortete, die all den Lärm verursacht haben.« So knurrend schlich er fort, mehr als ob ihm Unrecht geschehen wäre, als wie wenn er Unrecht gethan hätte.

»Kein Mensch ist so wie ich mit einem unverschämten Knecht geplagt! – Der Kerl ist pfiffig, ich hab' ihn treu befunden, – ich glaube selbst, er liebt mich, denn ich habe Beweise davon. Aber auf der andern Seite ist er so eigenwillig und eingebildet, daß er der Herr zu sein scheint und ich der Diener, und wenn er einen dummen Streich macht, erhebt er sicherlich so laute Klagen, als ob der Fehler an mir läge und nicht an ihm.«

»Behaltet ihn nichtsdestoweniger und behandelt ihn gut,« sprach der Bürger; »denn glaubt meinen grauen Haaren, Zuneigung und Treue sind jetzt seltner bei Dienern, wie damals, als die Welt noch jünger war. Aber gebt ihm keinen Auftrag, dem seine Geburt und Erziehung nicht entspricht, denn Ihr seht selber, was der Erfolg sein kann.«

»Er ist nur zu augenfällig, Meister Heriot,« erwiderte der Lord, »und es thut mir leid, daß ich meinem König und Eurem Herrn Unrecht gethan habe. Als ein ächter Schotte sehe ich hinterdrein erst, was ich hätte thun sollen. Aber der Mißgriff ist geschehen, und es bleibt mir Nichts weiter übrig, als meine letzten Mittel anzuwenden, um mit Moniplies in ein Lager zu reisen und dort in einer Schanze den Tod zu suchen, wie meine Altvordern.«

»Es wäre besser, Ihr erhieltet Euer Leben zum Dienst Eures Vaterlandes, nach dem Muster Eures edlen Vaters,« entgegnete Meister Georg. »Nein, senkt nicht den Blick, schüttelt nicht das Haupt – der König hat Euer Gesuch nicht zurückgewiesen, denn es ist ihm nicht zu Gesicht gekommen. Ihr verlangt blos Gerechtigkeit, und diese seinen Unterthanen zu gewähren ist er durch sein Amt verpflichtet; ja gnädiger Herr, ich kann selbst hinzufügen, seine natürliche Neigung stimmt mit seiner Pflicht überein.«

»Ich möchte es gern glauben, aber – Ich spreche nicht von meinen eignen Beschwerden; mein Vaterland hat deren, welche unerledigt bleiben.«

»Edler Herr,« nahm Meister Heriot das Wort, »ich spreche von meinem königlichen Gebieter nicht blos mit der einem Unterthanen zukommenden Ehrfurcht und mit der Dankbarkeit eines begünstigten Dieners, sondern auch mit der Offenheit eines freien und ehrlichen Schotten. Der König selber ist geneigt, die Wagschalen der Gerechtigkeit gleich zu halten. Aber in seiner Nähe sind Leute, welche unbemerkt ihre eignen selbstischen Wünsche und ihren schmutzigen Eigennutz hineinwerfen können. Ihr leidet bereits durch diesen Umstand, ohne es zu wissen.«

»Ich bin erstaunt, Meister Heriot,« sprach der junge Lord, »Euch nach so kurzer Bekanntschaft sprechen zu hören, als wäret Ihr mit meinen Angelegenheiten vertraut.«

»Edler Herr,« erwiderte der Goldschmied, »mein Geschäft verschafft mir Zutritt im Innern des Palastes. Ich bin dafür bekannt, daß ich mich nicht in Ränke und Parteiangelegenheiten mische, so daß noch kein Günstling sich bemüht hat, die Thür des königlichen Gemaches vor mir zu verschließen. Im Gegentheil, ich habe mit Allen gut gestanden, so lange sie oben waren, und bin in den Sturz keines Einzigen verwickelt worden. Aber indem ich in solcher Verbindung mit dem Hofe stehe, ist es unmöglich, daß ich nicht – selbst wider meinen Willen – erfahren sollte, welche Triebfedern in Bewegung sind, und wie der Gang derselben gehemmt oder beschleunigt wird. Wenn ich also Etwas der Art wissen will, so weiß ich die Quelle, wo die Kenntniß zu schöpfen ist. Ich habe Euch gesagt, warum ich an Eurem Schicksal Theil nehme. Erst gestern Abend habe ich erfahren, daß Ihr hier in der Stadt seid, und schon diesen Morgen auf meinem Wege hieher bin ich im Stande gewesen, Nachrichten einzuziehen in Betreff der Eurem Gesuch im Wege stehenden Hindernisse.«

»Herr, ich bin Euch für Euren Eifer verbunden,« sprach Nigel immer noch mit einiger Zurückhaltung. »Aber ich weiß kaum, womit ich denselben verdient habe.«

»Erlaubt mir zuerst die Versicherung, daß derselbe nicht erheuchelt ist,« entgegnete der Bürger. »Ich tadle Euch nicht ob Eurer Abneigung, den schönen Worten eines so tief unter Euch stehenden Unbekannten zu trauen, nachdem Ihr bei Euren Verwandten und Standesgenossen, die Euch Beistand schuldig waren, so wenig Freundschaft gefunden habt. Der Fall ist so. Auf den weitläufigen Gütern Eures Vaters haftet eine Pfandschuld von 40,000 Mark, deren scheinbarer Gläubiger Peregrin Peterson, Bewahrer der schottischen Freibriefe zu Campvere, ist.«

»Ich weiß Nichts von einer Pfandschuld,« entgegnete der Freiherr. »Wohl aber ist ein Versatz für eine solche Summe vorhanden, der, wenn er nicht eingelöst wird, den Heimfall meines väterlichen Erbgutes an den Gläubiger für den vierten Theil seines wahren Werthes herbeiführt. Und das ist der Grund, warum ich in die Regierung des Königs dringe, die meinem Vater schuldige Summe abzutragen, damit ich mein Besitzthum von dem räuberischen Gläubiger einlösen kann.«

»Ein Versatz in Schottland,« sprach Heriot, »ist dasselbe wie eine Verpfändung in England. Aber Ihr kennt Euren wahren Gläubiger nicht. Der Bewahrer Peterson gibt blos seinen Namen her als Deckmantel für keine geringere Person, als den Großkanzler von Schottland, welcher unter dem Vorwand dieser Schuld in den Besitz Eures Gutes zu kommen oder vielleicht einem Dritten noch mächtigeren einen Gefallen zu erweisen sucht. Er wird vermutlich seine Creatur Peterson Besitz ergreifen lassen, und wenn das Gehässige dieser Sache vergessen ist, wird das Eigenthum der Freiherrschaft Glenvarloch von dem gefälligen Diener dem großen Herrn unter dem Scheine eines Verkaufs oder einer sonstigen Täuschung übertragen werden.«

»Ist so Etwas möglich?« rief Lord Nigel. »Der Kanzler weinte, als ich von ihm Abschied nahm, nannte mich seinen Vetter, sogar seinen Sohn, gab mir Briefe mit und entschuldigte sich, obwohl ich ihn nicht um Geld ansprach, unnöthiger Weise, daß er mir es nicht aufdringe, vorwendend, daß sein Rang und seine starke Familie ihn zu großem Aufwande nöthigten. Nein, ich kann nicht glauben, daß ein Mann von hohem Adel die Täuschung so weit treiben wurde.«

»Ich bin allerdings nicht aus edlem Blut entsprossen,« sprach der Bürger, »allein ich bitte Euch, seht mein graues Haar an und bedenkt, was ich für Vortheil davon haben könnte, von großen Herren Uebles zu reden in Dingen, welche mir gleichgültig sein könnten, wenn sie nicht meinen Wohlthäter beträfen. Erwägt, ob Euch die Briefe des Kanzlers irgend Etwas genützt haben.«

»Durchaus nichts,« antwortete Olifaunt. »Schöne Worte und leeres Thun war ihr ganzes Ergebniß. Ich habe schon vermuthet, daß es ihnen hier blos darum zu thun sei, mich loszuwerden. Gestern noch, als ich davon sprach, in's Ausland zu gehen, wollte mir Einer Geld aufdringen, damit es mir nicht an Mitteln fehle, mich zu verbannen.«

»Ganz recht,« sprach Heriot, »damit Ihr ja fortfliegt, möchten sie Euch Flügel leihen.«

»Ich gehe auf der Stelle zu ihm, und sage ihm die Meinung über seine Niederträchtigkeit!« fuhr der erzürnte junge Mann auf.

»Erlaubt,« fiel Heriot ein; »das dürft Ihr nicht thun. Durch einen Streit würdet Ihr den zu Grunde richten, der Euch diese Nachricht gegeben hat, und obwohl ich gern meinen halben Laden daran wagen würde, um Ew. Herrlichkeit zu dienen, so kann ich doch nicht glauben, daß Ihr mich zu Schaden kommen lassen wollt, wenn Euch daraus kein Nutzen erwächst.«

Das Wort Laden klang dem jungen Standesherrn widerwärtig, und schnell erwiderte er: »Schaden? Ich bin so weit entfernt, Euch einen Schaden zu wünschen, daß es mir lieb wäre, wenn Ihr nicht ferner Eure Dienste einem Manne anbieten wolltet, dem doch damit nicht geholfen werden kann.«

»Ueberlasset das mir,« sprach der Bürger. »Bis jetzt habt Ihr das Ziel verfehlt. Erlaubt mir, diese Bittschrift mitzunehmen. Ich will sie gehörig ins Reine schreiben lassen und Sorge tragen, daß sie zu passender Zeit, und zwar bald, dem König eingehändigt wird in geschickterer Weise, als es durch Euren Diener geschehen ist. Ich möchte mich verbürgen, daß er sie so aufnimmt, wie Ihr wünscht. Doch sollte er es nicht thun, dann würde ich noch immer die gute Sache nicht verloren geben.«

»Herr,« sagte der junge Freiherr, »Eure Rede ist so freundschaftlich und mein Zustand so hülflos, daß ich unmöglich Euer gütiges Anerbieten zurückweisen kann, obwohl ich erröthe, es von einem Unbekannten anzunehmen.«

»Ich hoffe,« sprach der Bürger, »wir sind uns nicht mehr fremd, und als Lohn für den Fall, daß meine Vermittelung Erfolg hat, bitte ich mir aus, wenn Eure Umstände sich verbessert haben, daß Ihr Euer erstes Silbergeschirr bei mir bestellt.«

»Ihr würdet an mir einen schlechten Bezahler finden,« bemerkte Nigel.

»Das fürcht' ich nicht,« erwiderte der Goldschmied. »Ich bin erfreut, Euch lächeln zu sehen. Mich däucht, so seht Ihr dem guten Herrn, Eurem Vater, noch ähnlicher, und es gibt mir den Muth, eine kleine Bitte vorzutragen, – daß Ihr morgen ein einfaches Mittagsmahl bei mir annehmen wollt. Ich wohne nicht weit von hier in der Lombardstraße. Was das Essen betrifft, so würde es bestehen in einer weißen Suppe, einem gespickten Kapaun, einem Gericht Rindfleischschnitten, wegen Altschottland, und etwa einem Becher ächten alten Wein, der eingelegt ward, ehe noch Schottland und England ein Reich waren. – Die Gesellschaft würde bestehen aus etwa zweien von unseren lieben Landsleuten, – vielleicht macht meine Hausfrau auch eine oder zwei schottische Mädchen ausfindig.«

»Ich würde Eure freundliche Einladung annehmen, Meister Heriot,« erwiderte Nigel. »Allein ich höre, die Londoner Frauen sehen gern einen Mann geputzt, und ich möchte ihre Vorstellung von einem schottischen Standesherrn nicht herabstimmen, während Ihr gewiß das Beste von unserm armen Lande gesagt habt. Für den Augenblick fehlen mir die Mittel, äußerlich zu glänzen.«

»Edler Herr,« sagte der Goldschmied, »Eure Offenheit führt mich einen Schritt weiter. Ich – ich bin Eurem Vater Geld schuldig gewesen, und – aber nein, wenn Ew. Herrlichkeit mich so scharf ansieht, kann ich meine Geschichte nicht erzählen – und, die Wahrheit zu sagen, – denn es ist mir nie möglich gewesen, eine Lüge durchzuführen – es ist nöthig, daß Ew. Herrlichkeit, um diese Sache gehörig zu betreiben, standesgemäß am Hofe erscheine. Ich bin Goldschmied und lebe sowohl vom Geldverleihen wie vom Verkauf von Gold- und Silberwaaren. Ich möchte gar zu gern hundert Pfund auf Zinsen bei Euch anlegen, bis Eure Angelegenheiten geordnet sind.«

»Und wenn sie nun nicht in erwünschter Weise geordnet werden?« fragte Nigel.

»Dann, edler Herr, wird der Verlust einer solchen Summe für mich unbedeutend sein im Verhältniß zu andern Dingen, die ich zu verschmerzen habe.«

»Meister Heriot,« sprach Lord Nigel, »Eure Gefälligkeit ist edelmüthig angeboten und soll ohne Rückhalt angenommen werden. Ich muß annehmen, daß Ihr in dieser Sache einen Weg seht, um zum Ziele zu kommen, obwohl ich ihn nicht sehe; denn ich glaube, es könnte Euch nicht Freude machen, mir eine Last aufzuladen, indem Ihr mich Schulden machen ließet, die ich nicht bezahlen könnte. Ich will also Euer Geld annehmen, in der Hoffnung, daß Ihr mich in den Stand setzen werdet, es Euch pünktlich wieder zu erstatten.«

»Ich will Euch überzeugen, edler Herr,« erwiderte der Goldschmied, »daß ich mit Euch zu handeln gedenke als ein Gläubiger, der auf Wiedererstattung rechnet. Ihr werdet die Güte haben, mir eine Bescheinigung des Empfangs dieses Geldes und eine Verschreibung in Betreff der Rückzahlung auszustellen.«

Mit diesen Worten nahm er aus seinem Gürtel sein Schreibzeug und schrieb einige Zeilen des angedeuteten Inhalts. Sodann zog er aus einer Seitentasche unter seinem Mantel einen Beutel hervor, bemerkend, daß er wohl hundert Pfund enthalten werde, und zählte bedächtlich den Inhalt auf den Tisch. Nigel Olifaunt bemerkte, dies sei eine unnöthige Förmlichkeit, er wolle den Beutel mit Gold auf das Wort seines Gläubigers annehmen. Allein dies widerstrebte ganz den Geschäftsgewohnheiten des alten Mannes.

»Nehmt mir das nicht übel,« sagte er. »Wir Bürger sind behutsame und auf das Geld achtsame Leute. Ich würde für immer meinen guten Namen, so weit man die Paulsglocke hört, verlieren, wenn ich eine Bescheinigung ausstellen oder annehmen wollte, ohne das Geld wirklich zu zählen. – So wird es recht sein. – Wahrhaftig« – fuhr er fort, einen Blick durch das Fenster werfend, »dort kommen meine Jungen mit meinem Maulthier; ich muß nach dem Westende. Legt Euer Geld bei Seite, gnädiger Herr; in den Herbergen zu London ist es nicht gut, mit solchen Goldfinken gesehen zu werden. Ich glaube, das Schloß Eures Kästchens ist nicht sonderlich; – ich kann Euch wohlfeil eins verschaffen, das Tausende enthalten hat. Es gehörte dem alten Herrn Faithful Frugal; sein liederlicher Sohn hat die Schale verkauft, nachdem er den Kern verzehrt hatte. Solches Ende nimmt ein Vermögen in der Stadt.«

»Ich hoffe, das Eurige wird ein besseres nehmen,« bemerkte Lord Nigel.

»Ich hoffe es ebenfalls, edler Herr,« erwiderte der Alte lächelnd, während ihm dabei die Thränen in den Augen standen. »Es hat Gott gefallen, mich mit dem Verlust von zwei Kindern heimzusuchen; und ein angenommenes Kind ist leider – Doch ich bin geduldig und dankbar, und dem Vermögen, welches Gott mir bescheert hat, soll es nicht an Erben fehlen, so lange es noch Waisenknaben in der alten Rauchigen Edinburgh. gibt. – Ich wünsche Euch guten Morgen, gnädiger Herr.«

»Ein Waise hat schon Ursache, Euch zu danken,« sprach Nigel, ihn zur Thür begleitend, wo der Bürger, ferneres Geleit ablehnend, schnell davoneilte.

Beim Herausgehen aus dem Hause kam er durch den Laden. Frau Christie machte ihren Knicks, und er erkundigte sich höflich nach ihrem Manne. Sie bedauerte, daß er abwesend sei unten in Deptford, um ein Geschäft mit einem holländischen Schiffsherrn abzumachen.

»Unser Geschäft,« sprach sie, »nöthigt ihn, viel außer dem Hause zu sein. Er muß jeder Theerjacke den gehorsamen Diener machen, die ein Pfund Werg braucht.«

»Jedes Geschäft erfordert, daß man ihm nachgeht,« bemerkte der Goldschmied. »Empfehlt mich Eurem Manne; ich bin Georg Heriot aus der Lombardstraße. Ich habe Geschäfte mit ihm gemacht; er ist brav und pünktlich, gewissenhaft in der Zeit und in seinen Verbindlichkeiten. Seid artig gegen Euren vornehmen Gast und sorgt, daß ihm nichts abgeht. Obwohl es ihm für jetzt beliebt, unbemerkt zu bleiben, so sind doch Leute, die für ihn sorgen, und ich bin beauftragt, zuzusehen, daß ihm Nichts abgehe. Laßt mich darum durch Euren Mann von Zeit zu Zeit wissen, wie es mit ihm steht und ob er Etwas braucht.«

»Also ist er wirklich ein Lord?« fragte die Hausfrau. »Ich hab' es doch immer gedacht. Aber warum sitzt er denn nicht im Parlament?«

»Er hat seinen Sitz im Parlament von Schottland,« antwortete Heriot.

»So! er ist nur ein schottischer Lord,« rief die Dame. »Drum, sagen die Leute, schämt er sich, den Titel zu führen.«

»Laßt ihn das nicht aus Eurem Munde hören,« sprach der Bürger.

»Was? ich sollte so Etwas sagen?« entgegnete die Hausfrau. »Nein, so Etwas kommt mir nicht in den Sinn. Mag er ein Schotte oder ein Engländer sein; er ist ein lieber Mann und ein artiger Mann, und ehe ihm Etwas abgehen sollte, wollte ich ihm lieber selber aufwarten und bis in die Lombardstraße laufen, Euch meine Aufwartung zu machen.«

»Laßt Euren Mann zu mir kommen, liebe Frau,« bemerkte der Goldschmied, der bei all seiner Lebenserfahrung und Biederkeit doch etwas förmlich und hofmeisterisch war. »Das Sprichwort sagt: Wo die Frau schwärmt außer'm Haus, da geht Alles bunt und kraus; – und überlaßt es dem Diener Sr. Herrlichkeit, ihm in seinem Zimmer aufzuwarten; das ist schicklicher. Guten Morgen!«

»Guten Morgen, Herr!« erwiderte die Hausfrau kalt, und so wie der Rathgeber weg war, brummte sie: »Deine Zurechtweisung brauche ich, du alter schottischer Kesselflicker! Mein Mann ist so gescheidt wie du und beinahe eben so alt. Wenn ich ihm recht bin, so ist es gut, und wenn er schon nicht so reich ist, wie gewisse Leute, so hoffe ich doch noch, ihn auf seinem Maulthier mit der langen Schabracke und mit zwei Blauröcken hinter sich reiten zu sehen, so gut wie jene Leute.«



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