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Sechstes Kapitel.

Ich kenn ihn', diese schimm'lige Citron',
An der die Witzling' hier am Hof gern lecken,
Um ihre zuckersüße Red' zu würzen,
Damit sie schärfer sei. Doch ihre Kraft,
Sie ist geschwunden, und die rechte Schärf'
Ist jetzo ausgequetscht. Was übrig ist,
Muß bald das Spülicht für die Schweine würzen;
Zweibein'ge Wesen sind es überdrüssig.

Der Kämmerling. – Ein Lustspiel.

Die von dem gastfreundlichen Bürger eingeladene Gesellschaft versammelte sich in seinem Hause in der Lombardstraße in der »hohlen und hungrigen Mittagsstunde«, um das Mahl einzunehmen, welches damals den Tag schied, während heutzutage um dieselbe Zeit Leute, die auf dem großen Fuße leben, sich im Bette herumdrehen und sich fragen, ob sie den Tag anfangen sollen. Es erschien der junge Nigel, einfach aber doch mehr als früher seinem Stande und Alter gemäß gekleidet, und hinter ihm Moniplies, dessen Außenseite ebenfalls bedeutend verbessert war. Die ernsten Gesichtszüge des Dieners waren überschattet von einer blauen, auf einem Ohre sitzenden Sammetmütze, sein Rock bestand aus festem blauen englischen Tuch, welches, ungleich seinem früheren Gewand, dem Zerren aller Lehrbursche in der Fleetstraße widerstanden haben würde. Sein Schild und Schwert deuteten an, daß er Diener sei, und ein kleines Silberschildchen mit dem Wappen seines Herrn verkündete, daß er einem Adeligen diene. Er nahm Platz in des guten Bürgers Butterkammer und ließ sich nicht übel die Aussicht gefallen, daß seine Aufwartung im Saale ihm einen Antheil an einem Mahle eintragen werde, wie er es noch selten genossen.

Meister David Ramsay, der tief- und scharfsinnige Mechaniker, wurde, wohl gewaschen und gefegt von dem Ruß der Esse, versprochenermaßen unter sicherem Geleit in die Lombardstraße geführt. Seine Tochter Jungfrau Margarethe, welche mit ihm kam, war etwa zwanzig Jahre alt, sehr hübsch, sehr züchtig, jedoch mit lebhaften schwarzen Augen, welche jezuweilen einen Widerspruch bildeten mit ihrem Ansehen von Schüchternheit, der Folge ihres Schweigens, ihrer Zurückhaltung, der schmucklosen Sammethaube und der Halskrause von Kammertuch, wie sie einer Bürgerstochter zukamen.

Es waren ferner da zwei Handelsleute von London in weiten Mänteln und langen goldenen Halsketten, geschäftserfahrene und wohlstehende Leute, die aber nicht näher beschrieben zu werden brauchen. Ferner ein älterer Geistlicher im Chorrock, ein anständiger, ehrwürdiger Mann, dessen Manieren denen seiner bürgerlichen Pfarrkinder ähnlich waren. Auch von ihm ist weiter Nichts zu sagen, desto mehr aber von einem siebenten Gaste, Ritter Mungo Malagrowther von Girnigo, einem originellen Charakter.

Dieser gute Ritter klopfte an Meister Heriots Thür mit dem ersten Glockenschlag zwölf, und mit dem letzten saß er auf seinem Stuhle. Sich auf diese Pünktlichkeit Etwas zugute thuend, machte er beißende Bemerkungen über alle Diejenigen, welche später kamen als er, und auch Diejenigen, welche früher gekommen waren, ließ er nicht ungerupft.

Ohne weiteres Vermögen als seinen Namen war Herr Mungo frühzeitig an den Hof gekommen in der Eigenschaft eines Prügelknaben König Jakobs VI., und war in dieser Eigenschaft zugleich mit Sr. Majestät durch den berühmten Georg Buchanan in den Wissenschaften unterwiesen worden. Dem Prügelknaben kam es zu, die Schläge in Empfang zu nehmen, welche der Gesalbte des Herrn für seinen unverletzlichen Rücken auf dem Wege durch die Grammatik und Prosodie verdient hatte. Der strenge Georg Buchanan ließ diese stellvertretende Büßung nicht gelten und ließ den unmündigen König selber die Strafe seiner Fehler erleiden, so daß bei ihm Mungo's Amt eine Sinecure war. Dagegen Jakobs anderer Lehrmeister Patrick Young beobachtete besser die Etikette und erschütterte die Seele des königlichen Knaben durch die Züchtigungen, die er über den Prügelknaben verhing, wenn die Arbeit des Königs schlecht ausgefallen war. Zu Herrn Mungo's Lobe muß gesagt werden, daß er in mancher Beziehung zu diesem Posten ganz geeignet war. Schon als Kind hatte er unregelmäßige, groteske Gesichtszüge, die, wenn sie durch Zorn, Angst oder Schmerz verzerrt waren, einer Fratze glichen, wie man sie an altfränkischen Häusern ausgehauen findet. Seine Stimme war kreischend und ließ sich unter Meister Youngs Streichen in so unmenschlich schneidenden Tönen vernehmen, daß sie, verbunden mit den Gesichtsverzerrungen, in vollem Maße geeignet war, auf den Monarchen, der den Farrenschwanz verdiente, alle Wirkung hervorzubringen, welche der Anblick eines für des Zuschauers Fehler leidenden Wesens möglicher Weise haben konnte.

Mungo Malagrowther, späterhin zum Ritter geschlagen, faßte also schon früh am Hofe festen Fuß, was ein Anderer als er zu seinem Vortheil benutzt haben würde. Allein als er zum Peitschen zu groß geworden war, wußte er sich nicht in sonstiger Weise angenehm zu machen. Zwar sind Bitterkeit, boshafter Witz und Neid gegen Andere, welche mehr Glück machen als der Besitzer solcher liebenswürdigen Eigenschaften, nicht unbedingt Hindernisse des Emporkommens für einen Hofmann, aber wenn sie es nicht sein sollen, müssen sie mit eigennütziger Schlauheit verbunden sein, und diese war Herrn Mungo's Sache schlechterdings nicht. Sein Spott war zügellos, sein Neid konnte sich nicht verhehlen. Kaum war er mündig, so hatte er so viele Händel, daß das neunfache Leben einer Katze dazu gehört hätte, um sie alle auszumachen. In einem dieser Zweikämpfe empfing er glücklicher Weise eine Wunde, welche ihn für die Zukunft der Verpflichtung entledigte, Herausforderungen anzunehmen. Herr Rullion Rattray von Ranagullion hieb ihm, während sie auf Leben und Tod fochten, drei Finger der rechten Hand ab, so daß er fortan nicht mehr den Degen führen konnte. Späterhin schrieb er satyrische Verse auf die Dame Cockpen, und wurde dafür von angestellten Leuten so jämmerlich zerschlagen, daß man ihn halb todt auf dem Platze fand. Eins seiner Beine, welches bei dieser Gelegenheit gebrochen worden war, wurde schlecht eingerichtet, und so blieb er zeitlebens hinkend. Seine doppelte Lahmheit vermehrte einestheils sein barockes Aussehen, anderntheils diente sie ihm als Schutz vor gefährlichen Folgen seiner Laune. Allmälig wurde er alt im Dienste des Hofes, ohne weitere Verstümmelungen zu erleiden, aber auch ohne Freunde oder Beförderung zu erlangen. Manchmal ergötzte sich der König an seinen beißenden Ausfällen; allein eine solche Gelegenheit benutzte der lahme Ritter nie zu seinem Vortheile, und seine Feinde, d. h. der ganze Hof, wußten ihm immer wieder die Gunst des Herrschers zu entziehen. Der berühmte Archie Armstrong bot ihm in seinem Edelmuthe ein Stuck von seiner Narrenjacke an, um ihm auf diese Weise die Vorrechte eines Spaßmachers von Profession mitzutheilen, – »denn,« sagte der Hofnarr, »Herr Mungo gewinnt, so wie er jetzt ist, für einen guten Witz eben nur die Verzeihung des Königs dafür, daß er ihn gemacht hat.«

Selbst in London ließ der goldne Regen, welcher rings um ihn her fiel, keine Glückssaat für Herrn Mungo aufsprossen. Er wurde alt, taub und mürrisch, seine Einfälle verriethen nicht mehr den Geist, welcher sie früher belebt hatte, und Jakob, der in seinen alten Tagen immer noch lediglich junge Leute um sich haben wollte, duldete ihn kaum noch bei sich. Herr Mungo zeigte darum im Herbste seiner Tage seine abgemagerte Gestalt und seine verschossene Stickerei am Hofe so selten, als es nur immer seine Schuldigkeit erlaubte, und suchte Nahrung für seine Spottsucht auf den öffentlichen Spaziergängen und in den Seitenhallen der Paulskirche, dem damaligen Sammelplatze der Neuigkeitskrämer und der verschiedensten Charaktere. Er hing sich besonders an seine Landsleute, zumal an solche, welche er als in Rang und Herkunft unter sich stehend betrachtete. Er verachtete und haßte nützliche Gewerbe und die, welche sie trieben; dennoch lebte er meist unter schottischen Gewerbs- und Kaufleuten, die dem Hofe nach London gefolgt waren. An diesen konnte er seine cynische Laune auslassen, ohne sie empfindlich zu verletzen; denn einige ließen sich dieselbe gefallen aus Rücksicht auf seine Geburt und Ritterwürde, andere, verständigere bedauerten den alten Mann als einen Unglücklichen und ließen sich darum viel von ihm gefallen.

Zu den letzteren gehörte Georg Heriot, der, obwohl durch Gewohnheit und Erziehung geneigt gemacht, Adelsvorrechte in einem nach heutigen Begriffen übertriebenen Maße anzuerkennen, doch zu viel Selbstgefühl und Verstand hatte, um sich über jenes Maß hinaus Etwas gefallen zu lassen. Während er Herrn Mungo in den gebührenden Schranken hielt, erwies er ihm achtungsvolle Höflichkeit, Wohlwollen und edelmüthigen Beistand. Dies Verhältniß offenbarte sich in dem Benehmen des lahmen Ritters beim Eintritt in des Goldschmieds Zimmer. Er grüßte achtungsvoll den Hauswirth und eine ältliche, anständig und etwas streng aussehende Person, Tante Judith genannt, welche die Honneurs im Hause und bei Tische machte. Dagegen nahmen seine Züge einen Ausdruck boshaften Hochmuthes an, als er sich gegen David Ramsay und gegen die beiden Kaufleute verbeugte. Er mischte sich ohne Umstände in das Gespräch der letzteren und bemerkte: er habe bei der Paulskirche gehört, der Bankerott Kümmelspalters (bei welchem, wie er wußte, die Beiden betheiligt waren) sei vollständig. Der Teufel habe den Krämer geholt und seinen ganzen Kram; für die Gläubiger bleibe kein Batzen übrig.

Die beiden Kaufleute verzogen das Gesicht; aber zu klug, ihre Privatangelegenheiten zum Gegenstande einer öffentlichen Erörterung zu machen, steckten sie die Köpfe zusammen und setzten ihr Gespräch flüsternd fort.

Der alte schottische Ritter machte sich hierauf an den Uhrmacher mit derselben ungenirten Vertraulichkeit. »David,« sprach er, »alter Simpel, habt Ihr Eure mathematische Verrücktheit noch nicht an der Offenbarung Johannis probirt? Nächstens werde ich hören, daß Euch das Zeichen des Thieres nicht räthselhafter ist, als das Getute einer Pfennigstrompete.«

»Ah – Herr Mungo,« antwortete der Mechaniker nach einigem Besinnen auf das soeben Gesprochene und auf den Sprechenden. »Es mag sein, daß Ihr es besser getroffen habt, als Ihr denkt. Denn wenn Ihr die zehn Hörner des Thieres nehmt, könnt Ihr leicht an Euren Fingern abzählen –«

»An meinen Fingern, Ihr altes, nichtsnutziges, rostiges Uhrwerk?« rief Herr Mungo, indem er halb scherzhaft, halb ernsthaft seine Hand, oder vielmehr seine Klaue (denn dazu war sie durch Herrn Rullions Schwert verstümmelt) an den Griff seines Degens legte. »Wollt Ihr mir mein Gebrechen vorwerfen?«

Meister Heriot schlug sich in's Mittel mit den Worten: »Ich kann unsern Freund David nicht überzeugen, daß die Weissagungen der Schrift im Dunkel bleiben sollen, bis sie, wie in früheren Tagen, unerwartet in Erfüllung gehen. Trotzdem müßt Ihr an ihm nicht Euren Rittermuth auslassen.«

»Meiner Seele, das hieße ihn wegwerfen,« erwiderte Herr Mungo lachend. »Ich möchte eben so gern mit Hund und Horn ausziehen, um ein tolles Schaf zu jagen. Da ist er wieder im Dusel und steckt bis über die Ohren in Ziffern, Quotienten und Dividenden. – Nun, Jungfer Margarethe, mein Schätzchen, ist Euer Vater immer so unterhaltend, wie er jetzt zu sein scheint?«

Jungfrau Margarethe, deren Schönheit selbst des lahmen Ritters finstere Züge etwas milderte, verzog das Gesicht zu einem gezwungenen Lächeln, zog das Kinn ein, wandte den Kopf erst rechts, dann links, sah zuletzt gerade vor sich hin und antwortete, nachdem sie sich dergestalt so viel, als ihr zu Verbergung ihrer Mundfertigkeit nöthig schien, geziert hatte: Allerdings sei ihr Vater sehr gedankenvoll; aber sie habe gehört, daß dies ein Erbstück von ihrem Großvater sei.

»Von Eurem Großvater?« wiederholte Herr Mungo, als zweifle er, ob er recht gehört habe. »Hat sie nicht gesagt: von meinem Großvater? Ist das Mädel verrückt? Ich kenne kein Weibsbild diesseits Temple-Bar, welches von einem so fernen Vorfahr abstammte.«

»Aber sie hat einen Pathen, Herr Mungo,« fiel der Hauswirth abermals ein, »und ich hoffe, aus Rücksicht auf ihn werdet Ihr mir die Bitte verstatten, meine Pathe nicht mehr so tief erröthen zu machen.«

»Um so besser, um so besser,« sprach Herr Mungo. »Es macht ihr Ehre, daß sie, geboren und erzogen da, wo man die Brummglocke hört, überhaupt noch erröthen kann. Meiner Seel', Meister Georg,« fuhr er fort, dem gereizten und sich sträubenden Mädchen unter das Kinn greifend, »sie ist nett genug, um ihren Mangel an Ahnen vergessen zu machen – wenigstens in einer Gegend, wie Cheapside, wo der Kessel den Topf nicht –« – Schwarzarsch nennen kann.

Das Mädchen erröthete, aber nicht so zornig wie vorher. Meister Heriot beeilte sich, das unanständige Sprichwort des Ritters zu unterbrechen, indem er ihm den Lord Nigel vorstellte.

Herr Mungo verstand Anfangs nicht, was Meister Heriot sagte. Nachdem ihm der Name Nigel Olifaunt, Lord Glenvarloch abermals in's Ohr geschrieen war, richtete er sich empor und machte dem Hauswirth Vorwürfe, daß er nicht vor allen Dingen Standespersonen mit einander bekannt mache, damit dieselben Höflichkeiten austauschen könnten, bevor sie sich mit anderen Leuten abgäben. Sodann machte er gegen seinen neuen Bekannten eine so artige Verbeugung, wie es einem lahmen Manne möglich war, bemerkte, er habe seinen Herrn Vater gekannt, hieß ihn in London willkommen und drückte die Hoffnung aus, ihn bei Hofe zu sehen.

Nigel sah augenblicklich an der Manier Herrn Mungo's und an dem verbissenen Lächeln des Hauswirthes, daß er es mit einem ganz außergewöhnlichen wunderlichen Kauze zu thun hatte, und erwiderte seine Artigkeit mit gebührender Förmlichkeit. Herr Mungo betrachtete ihn mittlerweile aufmerksam. Da angeborne Vorzüge ihm eben so verhaßt waren, wie Reichthum und andere außerpersönliche Vortheile, so war die schöne Gestalt des jungen Freiherrn ein Grund für ihn, sich wie ein Tröster Hiobs an ihn zu drängen, ein Langes und Breites von der früheren Größe der Herren von Glenvarloch zu reden und sein Bedauern darüber auszudrücken, daß er gehört habe, ihr Erbe habe schlechte Aussicht auf ihre Erbschaft. Weiter verbreitete er sich über die Schönheit der herrschaftlichen Wohnung zu Glenvarloch, über die vortheilhafte Lage des alten Schlosses, über die herrliche Fläche des an Federwildpret reichen Sees, über den ausgedehnten Forst am Abhange eines von Rothwild wimmelnden Berges – und über alle sonstigen Vorzüge dieser herrlichen alten Freiherrschaft, bis Nigel, trotz allen Anstrengungen, seine Gefühle zu bemeistern, endlich unwillkürlich seufzte.

Herr Mungo, welcher aus langer Uebung zu bestimmen wußte, wann der Gegenstand seiner boshaften Laune wund gedrückt war, bemerkte, daß sein neuer Bekannter zuckte, und hätte gar gern das Gespräch in derselben Weise fortgesponnen; allein der ungeduldige Koch schlug jetzt mit dem Hefte seines Messers auf die Anrichte, daß es durch's ganze Haus erschallte, zum Zeichen, daß die Diener das Essen auftragen und die Gäste zu Tische gehen sollten.

Der lahme Ritter, ein Freund guter Kost – was, beiläufig gesagt, ihn mit diesen Besuchen bei gemeinen Bürgersleuten versöhnte – wurde durch jenen Schall abgelockt, und ließ Nigel und die andern Gäste in Frieden, bis sein Verlangen, sich an seinen Ehrenplatz hinzupflanzen, gebührender Maßen befriedigt war. Zur Linken von Tante Judith sitzend, sah er Nigel den noch höheren Ehrenplatz zur Rechten der Matrone zwischen dieser und Jungfrau Margarethe einnehmen; allein er sah dies mit um so größerem Gleichmuthe, da zwischen ihm und dem jungen Freiherrn ein köstlicher gespickter Kapaun stand.

Das Mittagsmahl war so beschaffen, wie es in dieser Zeit gewöhnlich war. Alle Speisen waren vortrefflich, und außer der versprochenen schottischen Kost prangten auf dem Tische die stehenden Leckerbissen Altenglands: Rindfleisch und Pudding. Die schön gearbeiteten silbernen Becher erwarben das Lob mehrer Gäste, und veranlaßten den lahmen Ritter zu der hämischen Bemerkung: »Selber ist der Mann.«

»Ich schäme mich meiner Arbeit nicht, Herr Mungo,« versetzte der ehrliche Bürger. »Man sagt, ein guter Koch versteht seine Finger zu lecken; wäre es nicht thöricht, wenn ich, der ich das Silber auf die Credenztische von halb Britannien geliefert habe, mich auf meinem eignen mit Zinn begnügen wollte?«

Der Segen des Geistlichen verstattete nun den Gästen den Angriff auf das, was sie vor sich hatten. Die Mahlzeit ward mit allem Anstande eingenommen, bis Tante Judith zur Empfehlung des Kapaunen die Gäste versicherte, er sei von einer ausgezeichnet guten Art, welche sie selber aus Schottland mitgebracht habe.

»Madame,« bemerkte Herr Mungo mit einem Blick auf den Hauswirth, »es ist ihm gegangen, wie mehren seiner Landsleute, er ist in England tüchtig gespickt worden.«

»Bei andern seiner Landsleute« – versetzte Heriot – »hat aller Speck in England nicht anschlagen wollen.«

Der Ritter verzerrte den Mund und erröthete, die übrigen Gäste lachten. Da der Satyriker gute Gründe hatte, es mit Meister Georg nicht auf's Aeußerste zu treiben, so verharrte er fortan, so lange die Mahlzeit dauerte, im Schweigen.

Die Schüsseln wurden abgetragen, und statt ihrer erschien Confect und ausgesuchte Weine. Nigel, welcher im Auslande mancher Mahlzeit bei reichen Bürgermeistern beigewohnt hatte, fand dieselben durch den Aufwand dieses Londoner Bürgers übertroffen. Dabei war aber aller äußere Schimmer vermieden, der mit dem Stande des Gastgebers unverträglich geschienen hätte.

Während des Nachtisches unterhielt sich Nigel, wie es die gute Lebensart jener Zeit erforderte, vornehmlich mit Jungfrau Judith. Er fand in ihr ein Weib von gesundem schottischen Verstande, mit mehr Neigung zu den Puritanern, als ihr Bruder Georg hatte, der sie immer Tante nannte und für den sie eine zärtliche Sorgfalt bewies. Indessen war die Unterhaltung mit dieser Dame nicht sonderlich anziehend; umso natürlicher fühlte sich der junge Freiherr zu seiner anderen Nachbarin hingezogen, zu der hübschen Tochter des alten Uhrmachers. Allein dieser ließen sich nur einsylbige Antworten entlocken, und die feinsten Artigkeiten, die der junge Freiherr ihr sagte, wurden mit einem so leichten und flüchtigen Lächeln erwidert, daß es kaum bemerkbar war.

Nigel wurde allgemach der Gesellschaft müde, zumal da die alten Bürger sich mit dem Hauswirthe über Handelsangelegenheiten unterhielten in einer Sprache, die ihm ganz unverständlich war. Plötzlich nahm Herr Mungo Malagrowther die Aufmerksamkeit der Gesellschaft in Anspruch.

Dies liebenswürdige Wesen hatte sich seit einiger Zeit in die Vertiefung eines Erkerfensters zurückgezogen, von wo aus er auf die Straße und in die Hausthür sehen konnte. Dieser Platz sagte dem milzsüchtigen Alten vorzugsweise zu, insofern er ihm auf der belebten Straße mancherlei Erscheinungen vorführte, die ihm Anlaß gaben, seiner Neigung zu Hohn und Tadel zu fröhnen. Was er bisher gesehen hatte, schien nicht von Bedeutung gewesen zu sein; aber nun ließ sich Pferdegetrappel vernehmen, und gleich darauf rief der Ritter: »Meiner Treue, Meister Georg, Ihr solltet in Euren Laden gehen. Da kommt Knighton, des Herzogs von Buckingham Reitknecht, mit zwei Kerlen hinter sich, als wäre er selber der Herzog.«

»Mein Kassirer ist unten,« erwiderte Heriot, ohne sich stören zu lassen. »Er wird es mich wissen lassen, wenn Sr. Gnaden Befehl erfordert, daß ich selber erscheine.«

»Hm! Kassirer!« murmelte Herr Mungo für sich. »Er hätte damals ein leichtes Amt gehabt, als ich Dich zuerst kennen lernte. – Aber,« fuhr er laut sprechend fort, »wollt Ihr nicht wenigstens an's Fenster kommen? Knighton hat eine silberne Schüssel in Euer Haus laufen lassen – ha! ha! ha! – auf dem Rande laufen lassen, wie ein kleiner Junge einen Reif treibt. Ich muß wahrlich lachen über des Burschen Unverschämtheit.«

»Ich glaube, Ihr müßtet lachen, wenn Euer bester Freund im Sterben läge,« erwiderte Meister Heriot, indem er das Zimmer verließ.

»Das ist beißend, gnädiger Herr,« sprach der Ritter zu Nigel. »Unser Freund ist nicht vergebens Goldschmied. Sein Witz ist nicht von Blei. Aber ich muß hinunter und sehen, was da vorgeht.«

Heriot war, als er die Treppe hinabging, seinem Kassirer begegnet, der betreten aussah. »Was ist das, Roberts?« fragte der Goldschmied.

»Meister Heriot, es ist Knighton vom Hofe, – Knighton, des Herzogs Knecht. Er hat den Präsentirteller zurückgebracht, den Ihr nach Whitehall getragen hattet, hat ihn am Eingange hingeworfen, als wäre es eine alte zinnerne Schüssel, und mir geheißen, Euch zu sagen, der König wolle von Eurem Tande nichts wissen.«

»Ei was?« sprach Meister Heriot – »Nichts von meinem Tande? – Kommt hieher, Roberts, in das Comptoir. – Herr Mungo,« sprach er mit einer Verbeugung zu dem Ritter, welcher heruntergekommen war, »Ihr werdet mich einen Augenblick entschuldigen.«

In Folge dieser Zurückweisung sah sich Herr Mungo, welcher ebensowohl wie die übrigen Gäste das Gespräch zwischen Heriot und seinem Kassirer mit angehört hatte, wider Willen genöthigt, im Laden zu warten. Gern hätte er seine rege Neugier durch Fragen an Knighton befriedigt. Allein dieser Bote der Hoheit war bereits, nachdem er zu der unartigen Botschaft seines Herrn noch Etwas von seiner eignen Rohheit hinzugefügt hatte, wieder mit seinem Gefolge in westlicher Richtung fortgetrabt.

Der Name des Herzogs von Buckingham, des allmächtigen Günstlings des Königs und des Prinzen von Wales, hatte Besorgnisse bei den in dem Speisezimmer zurückgebliebenen Gästen erweckt. Er war mehr gefürchtet als geliebt, und wenn er auch nicht von entschieden tyrannischer Gemüthsart war, so galt er doch für hochmüthig, heftig und rachsüchtig. Nigel hatte eine unbestimmte Ahnung, daß er die Ursache des Zornes des Herzogs wider seinen Wohlthäter sei. Die Andern theilten sich flüsternd ihre Bemerkungen mit. Endlich erreichten die gesprochenen Worte das Ohr oder vielmehr das Denkvermögen Ramsays, der, in seine Berechnungen versunken, den Zusammenhang überhört hatte, und blos den Namen beachtend, laut vor sich hinsprach: »Der Herzog – der Herzog von Buckingham – Georg Villiers – ich habe über ihn mit Lambe gesprochen.«

»Gott und Herr! Wie könnt Ihr so sprechen, Vater?« unterbrach ihn seine Tochter, die verständig genug war, um zu sehen, daß ihr Vater einen gefährlichen Punkt berührte.

»Ei was, Kind!« erwiderte Ramsay, »die Sterne geben nur eine Neigung, sie können nicht zwingen. Aber es ist ja bekannt, daß Alle, die sich auf Nativitätstellen verstehen, behaupten, es sei bei Sr. Gnaden Geburt eine merkwürdige Conjunction von Mars und Saturn gewesen – deren scheinbare oder wahre Zeit, wenn man die von Eichstadius für die Polhöhe von Oranienburg gemachten Berechnungen auf die Polhöhe von London reducirt, macht 7 Stunden, 55 Minuten, 41 Secunden –«

»Halt' das Maul, alter Wahrsager,« unterbrach ihn Heriot, welcher mit ruhigem Blicke zurückkehrte. »Eure Berechnungen sind richtig, sobald es sich um Messing und Draht und mechanische Kraft handelt; aber künftige Begebenheiten hängen ab von Dem, der die Herzen der Könige in seiner Hand hat.«

»Aber,« entgegnete der Uhrmacher, »bei der Geburt dieses Herrn war ein Zusammentreffen von Zeichen, welches bewies, daß seine Laufbahn eine sonderbare sein werde. Schon längst wird von ihm gesagt, daß er gerade zwischen Nacht und Tag geboren wurde und unter streitenden Einflüssen, die sich auf uns, wie auf ihn erstrecken können.

Hohe See und Vollmondschein –
Wirst ein großer Mann einst sein;
Sturm am Himmel, Morgenroth –
Stirbst wohl einen blut'gen Tod.«

»Es ist nicht gut von solchen Dingen reden, besonders wenn sie die Großen betreffen,« bemerkte warnend Heriot. »Die Wände haben Ohren und ein Vogel in den Lüften kann es forttragen.«

Mehre unter den Gästen schienen der Meinung des Wirthes zu sein. Die beiden Kaufleute beurlaubten sich eilig, als ob es nicht geheuer sei. Jungfrau Margarethe, deren Leibgarde von Lehrburschen bereit stand, zupfte ihren Vater an dem Aermel und riß ihn aus seinem Brüten über die Räder der Zeit oder des Schicksals, wünschte ihrer Freundin Judith gute Nacht und empfing den Segen ihres Pathen, welcher ihr, wie er oft zu thun pflegte, einen hübschen Ring an den Finger steckte. So mit Ehren entlassen und von ihrer Schutzwache geleitet, trat sie den Rückweg nach der Fleetstraße an.

Herr Mungo hatte dem Hauswirthe Lebewohl gesagt, als dieser aus dem Comptoir zurückkam. Allein seine Theilnahme an den Angelegenheiten seines Freundes war so groß, daß er nicht umhin konnte, während Meister Georg wieder oben war, in das Allerheiligste einzutreten, um zu sehen, was Meister Roberts schaffe. Er fand ihn beschäftigt mit Auszügen aus großen in Leder gebundenen, mit Messingschlössern versehenen Folianten, welche der Stolz und die Zuversicht der Handelsleute sind und der Schrecken der Gläubiger, wenn ihr Jahr der Gnade abgelaufen ist. Der gute Ritter lehnte sich mit den Ellbogen auf den Pult und begann im Tone des Bedauerns: »Nicht wahr, Meister Roberts, Ihr habt einen guten Kunden verloren und zieht eben seine Rechnungen aus?«

Zufällig war Roberts ebensowohl wie Herr Mungo ein wenig taub und wußte wie dieser aus seinem Gebrechen Nutzen zu ziehen, indem er oft that, als habe er Etwas falsch verstanden. Er antwortete dem Ritter: »Ich bitte um Verzeihung, Herr Mungo, daß ich Euch Eure Rechnung nicht früher geschickt habe, aber mein Meister hatte mir gesagt, ich sollte Euch nicht incommodiren. Ich will sogleich die Posten zusammenstellen.« So sprechend, begann er in seinem verhängnißvollen Buche zu blättern, und murmelte: »Ausbesserung eines silbernen Siegels – Neues Schloß an die Amtskette – Vergoldete Hutspange in Gestalt eines Andreaskreuzes mit Disteln – Ein Paar vergoldete kupferne Sporen – das schlägt nicht in unser Geschäft, das ist für Daniel Treiber.«

Er blätterte weiter, um fortzufahren. Allein Herr Mungo, welcher nicht darauf gefaßt war, das Verzeichniß seiner kleinen Schulden anzuhören, und noch weniger, sie auf der Stelle zu bezahlen, wünschte dem Buchhalter cavalièrement gute Nacht und verließ ohne Umstände das Haus. Der Schreiber sah ihm mit höhnischem Lächeln nach und ging dann wieder an seine, durch des Ritters Zudringlichkeit unterbrochene Arbeit.

Anmerkung zum sechsten Kapitel.

Vielleicht werden manche Landsleute des Verfassers finden, daß mehre Charakterzüge des bissigen schottischen Ritters von einem achtbaren Baronet entlehnt sind, der vor etwa fünfundzwanzig Jahren in den Gesellschaften Edinburghs zu finden war. Das Vermögen dieses Baronets entsprach nicht dem Range und Alter seiner Familie, und um sich für diese Ungunst des Glücks zu rächen, ließ er die bevorzugten Kinder desselben die Schärfe seiner Satyre fühlen. Er benutzte dabei seine Taubheit, und ließ seine bittersten Aeußerungen als Folge von Mißverständniß des vor ihm Gesprochenen erscheinen. Bei einer Versammlung erschien er in einem Tressenrocke, der seit mehr als fünfzig Jahren nicht mehr Mode war. Die jungen Leute machten sich darüber lustig. Er wandte sich an Einen derselben und sprach: »Sie meinen, mein Rock sei altmodisch? Neu kann er nicht sein; aber er ist von einem guten Schneider gemacht, von Ihrem Großvater, der zu Anfange des vorigen Jahrhunderts Altmeister in Edinburgh war.« – Bei einer andern Gelegenheit hörte er, daß der Häuptling eines der Grenzerstämme, welche früher den Ruf hatten, den Unterschied zwischen Mein und Dein nicht genau zu beobachten, einen Namensverwandten so anredete, als setze er eine Blutsverwandtschaft voraus. Der Baronet nahm Veranlassung, die Verbindung der beiden Personen so zu erklären, daß des Häuptlings Vorfahren die Kühe gestohlen, und die Ahnen des andern Herrn (der, wie es hieß, von einem Fleischer abstammte) sie geschlachtet hätten. Ein Mensch, der mit den Flecken auf den Schilden der alten und neuen Familien genau bekannt war, mußte in einem Lande, wie Schottland, wo man soviel auf Abstammung hält, nicht weniger Stoff zur Belustigung finden, als ein Affe in einem Porcellanladen.



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