Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtzehntes Kapitel.

Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsere Reben;
Gesegnet sei der Rhein!
Da wachsen sie am Ufer hin und geben
Uns diesen Labewein.

Claudius.

Ein paar Hütten, zur Seite des Flusses, neben denen einige Fischerboote vor Anker lagen, bewiesen, daß der fromme Hans Nachfolger in seinem Gewerbe als Fährmann gefunden hatte. Der Strom, welcher etwas weiter unten durch eine Reihe von Inselchen eingeengt wurde, dehnte sich hier mehr in die Weite, und war weniger reißend an der Stelle, wo er an den Hütten vorüberfloß. Er bot also dem Fährmann eine glättere Oberfläche, und er hatte hier mit einer langsamen Strömung zu kämpfen, obgleich der Fluß auch hier noch zu rasch dahinfloß, als daß man ihm hätte widerstehen können, wenn er nicht in ruhigem Zustande war.

Am gegenüber liegenden Ufer, aber ein gut Theil weiter unten als der Weiler, welcher der Fähre ihren Namen gab, stand auf einer kleinen Anhöhe, unter Bäumen und Buschwerk versteckt, das kleine Städtchen Kirchhofen. Ein Kahn, der vom linken Ufer abging, konnte selbst im glücklichsten Falle den Fluß nicht in gerader Richtung durchschneiden, sondern die entgegengesetzte Seite des tiefen und weiten Rheinstroms nur in schräger Richtung gegen Kirchhofen hin erreichen. Dagegen mußte ein von Kirchhofen abgehendes Boot günstigen Wind und gute Ruder haben, wollte es seine Ladung und Bemannung an der Kapelle zur Fähre an's Land setzen, es sei denn, daß es unter dem wundersamen Einfluß stand, welchen das Bildniß der heiligen Jungfrau in dieser Beziehung ausübte. Die Verbindung zwischen dem östlichen und westlichen Gestade wurde also auf dem Strome blos durch Zugschiffe unterhalten, und diese wurden auf der östlichen Seite so weit hinaufgeschafft, daß der Weg, den sie bei der Ueberfahrt machten, mit dem Punkte zusammentraf, an dem sie zu landen wünschten, und sie im Stande waren, ihn ohne Mühe zu erreichen. Daher kam es natürlich, daß die Ueberfahrt aus dem Elsaß nach Schwaben die leichtere war, und daß die Fähre mehr von Leuten benützt wurde, die nach Deutschland zu gehen wünschten, als von Reisenden, die aus entgegengesetzter Richtung herkamen.

Als sich der ältere Philipson durch einen Blick rundum von der Lage der Fähre vergewissert hatte, sagte er zu seinem Sohne mit Festigkeit: – »Fort, mein lieber Arthur, und thu', was ich dir geheißen.«

Das Herz zerrissen von kindlicher Bangigkeit, gehorchte der junge Mann, und schlug den einsamen Weg nach den Hütten ein, in deren Nähe Boote vor Anker lagen, die manchmal so gut zum fischen als für die Zwecke der Fähre benutzt wurden.

»Euer Sohn verläßt uns?« fragte Bartholomä den alten Philipson.

»Für jetzt, ja,« antwortete dieser, »er hat in jenem Weiler einige Nachforschungen anzustellen.«

»Wenn es Gegenstände betrifft,« erwiderte der Führer, »die mit Eurer Ehren Reise im Zusammenhang stehen, so preise ich die Heiligen, daß ich auf Eure Fragen bessere Antwort geben kann, als diese unwissenden Bauern, die kaum Eure Sprache verstehen.«

»Wenn wir finden, daß ihre Auskunft deiner Erklärung bedarf,« versetzte Philipson, »so werden wir sie einholen, – unterdessen führe mich zu der Kapelle, wo mein Sohn wieder zu uns stoßen wird.«

Sie setzten sich gegen die Kapelle hin in Bewegung, aber mit langsamen Schritten, denn Jeder wandte seine Blicke seitwärts auf das Fischerdörfchen; der Führer, bemüht zu sehen, ob der jüngere Reisende zu ihnen zurückkehren, der Vater, ängstlich zu erspähen, ob auf dem breiten Bette des Rheins ein Fahrzeug gelöst würde, um seinen Sohn auf die Seite zu führen, die man als die gefahrlosere betrachten durfte. Aber obgleich sowohl Führer als Reisender gegen den Strom hinblickten, führten sie ihre Schritte doch der Kapelle zu, welcher die Einwohner der Gegend zum Andenken an den Stifter den Namen Hans-Kapelle gegeben hatten.

Ein paar rundum zerstreute Bäume gaben dem Platze ein angenehmes und waldartiges Aussehen. Die Kapelle stand auf einer Erhöhung, in einiger Entfernung von dem Weiler, und war in gefälligem, einfachem Style gebaut, der mit der ganzen Umgebung im Einklang stand. Ihre geringe Größe bestätigte die Ueberlieferung, daß sie ursprünglich blos die Hütte eines Bauern gewesen sei, und das Kreuz von Tannenholz, mit Baumrinde bedeckt, bezeugte, zu welchem Zwecke sie jetzt bestimmt war. Die Kapelle und Alles ringsum athmete Frieden und feierliche Ruhe, und der tiefe Ton des gewaltigen Stromes schien jeder Menschenstimme Schweigen zu gebieten, die sich vermaß, sich mit seinem feierlichen Murmeln zu mengen.

Als Philipson in der Nähe davon anlangte, nahm Bartholomä den Vortheil wahr, den ihm das Schweigen desselben verschaffte, und stimmte zwei Strophen eines Lobgesangs auf Unsere liebe Frau zur Fähre und ihren getreuen Verehrer Hans an. Dann brach er in den begeisterten Ausruf aus: – »Kommt hierher, die ihr Schiffbruch fürchtet, hier ist ein sicherer Hafen für euch! – Kommt hieher, die ihr verschmachtet vor Durst, hier ist ein Gnadenquell für euch. Kommt her, die ihr müde und weit gereist seid, hier ist ein Platz, wo ihr euch erfrischen möget!« Er würde noch lange in diesem Tone fortgemacht haben, wenn ihm nicht Philipson ernstlich Schweigen geboten hätte.

»Wäre deine Frömmigkeit völlig ächt,« sagte er, »so wäre sie weniger lärmend; »es ist aber gut, das Rechte zu thun, selbst wenn ein Heuchler es anempfiehlt. – Wir wollen in diese heilige Kapelle treten, und um einen glücklichen Ausgang für unsere gefährliche Reise bitten.«

Diese letzten Worte griff der Ablaßkrämer auf.

»Ich wußte wohl,« sagte er, »daß Eure Ehren zu bedachtsam ist, um an dem heiligen Orte vorüberzugehen, ohne Unsere liebe Frau zur Fähre um Schutz und Verwendung zu bitten. Wartet nur einen Augenblick, bis ich den Priester aufgefunden, der diesen Altar versieht. Er soll eine Messe für uns lesen.«

Hier wurde er unterbrochen. Die Thüre der Kapelle ging plötzlich auf, und ein Geistlicher erschien auf der Schwelle. Philipson erkannte im Augenblick den Pfarrer an der St. Paulskirche, welchen er diesen Morgen in La Ferrette gesehen. Auch Bartholomä kannte ihn, wie es scheinen wollte; denn er verlor augenblicklich seine lästige und heuchlerische Beredtsamkeit, und stand vor dem Priester, die Hände auf der Brust gefaltet, wie einer, der den Urtheilsspruch erwartet.

»Schurke,« sprach der Geistliche, und blickte mit strenger Miene auf den Führer; »leitest du einen Fremdling in die Wohnungen der Heiligen, damit du ihn erschlagen und seines Eigenthums berauben kannst? Aber der Himmel wird deine Falschheit nicht länger ertragen. Hebe dich weg, Elender, und geh' zu deinen ruchlosen Genossen, die auf dem Wege hierher sind. Sag' ihnen, deine Künste haben nichts genützt, und der schuldlose Fremdling stehe unter meinem Schutze, – unter meinem Schutze, und wer sich dagegen setzen will, wird dem Loose Archibalds von Hagenbach nicht entgehen!«

Der Führer stand ohne alle Bewegung, während ihn der Priester auf eben so gebieterische als drohende Weise anredete. Und kaum hörte der Letztere auf zu sprechen, als Bartholomä, ohne ein Wort der Rechtfertigung oder Erwiderung hervorzubringen, sich umdrehte und eiligen Schrittes auf derselben Straße sich entfernte, welche die Reisenden zu der Kapelle geführt hatte.

»Tretet Ihr nur ein in diese Kapelle, würdiger Engländer,« fuhr der Priester fort, »und verrichtet ruhig die Andacht, mit deren Hülfe jener Heuchler Euch aufzuhalten beabsichtigte, bis seine boshaften Gefährten herbeigekommen wären. – Aber zuerst, warum seid Ihr allein? Ich hoffe. Euer junger Begleiter ist von keinem Unglück betroffen worden?«

»Mein Sohn,« gab Philipson zur Antwort, »setzt bei jener Fähre über den Rhein, da wir dringende Geschäfte auf der anderen Seite abzumachen haben.«

Während er dies sagte, sah man ein leichtes Boot, um welches zwei oder drei Bauern einige Zeit geschäftig gewesen waren, vom Ufer abstoßen und in den Strom hineinfahren. Einige Zeit mußte es zwar der Gewalt des Stromes nachgeben; dann aber wurde ein Segel an einer dünnen Stange aufgespannt und hielt die Barke gegen den Strom, daß sie im Stande war, in schräger Richtung über den Fluß zu gelangen.

»Nun, Gott Lob und Dank!« sprach Philipson, der wußte, daß der Nachen, auf den er schaute, seinen Sohn außer den Bereich der Gefahren brachte, von denen er selbst umgeben war.

»Amen!« rief der Priester dem frommen Ausruf des Reisenden nach. »Ihr habt guten Grund, dem Himmel Dank zu sagen.«

»Davon bin ich überzeugt,« versetzte Philipson; »aber von Euch hoffe ich die Veranlassung zu der Gefahr näher kennen zu lernen, der ich entgangen bin.«

»Für solche Nachforschungen ist hier weder Zeit noch Ort.« antwortete der Priester an der St. Paulskirche. »Es reicht hin, zu sagen, daß jener Kerl, der wohlbekannt ist, wegen seiner Heuchelei und seiner Verbrechen, zugegen war, als der junge Schweizer Siegmund von dem Scharfrichter den Schatz zurückverlangte, dessen Euch Hagenbach beraubt. Da erwachte seine Habsucht. Er übernahm es, Euch nach Straßburg zu geleiten, mit der verbrecherischen Absicht, Euch unterwegs aufzuhalten, bis eine solche Anzahl von Helfershelfern herbeigekommen wäre, daß kein Widerstand gegen sie mehr etwas genutzt hatte. Aber man ist seinem Anschlag zuvorgekommen. – Und jetzt, ehe Ihr andern weltlichen Gedanken, ob der Hoffnung oder Furcht, den Lauf lasset, – in die Kapelle, Herr, und vereinigt Euch mit uns in Gebeten zu Dem, der Eure Hülfe gewesen ist, und zu denen, welche sie für Euch bei ihm vermittelt haben.«

Philipson trat mit seinem Führer in die Kapelle, und Beide dankten dem Himmel und der schützenden Macht des Orts für die Rettung, die ihm verliehen worden.

Als dies Geschäft abgemacht war, deutete Philipson die Absicht an, seine Reise wieder aufzunehmen, und der schwarze Mönch erwiderte hierauf, er sei weit entfernt, ihn an einem so gefährlichen Platze aufzuhalten, sondern wollte ihn ein Stück Wegs weit begleiten, da er ebenfalls zu dem Herzog von Burgund müsse.

»Ihr, mein Vater! – Ihr?« sagte der Kaufmann mit einigem Erstaunen.

»Und warum überrascht? antwortete der Priester. »Ist es so seltsam, daß Einer meines Standes den Hof eines Fürsten besucht? Glaubt mir, es sind nur zu Viele davon an solchen zu finden.«

»Ich spreche nicht mit Bezug auf Euren Stand,« erwiderte Philipson, »sondern in Rücksicht auf die Rolle, die Ihr heute bei der Hinrichtung Archibalds von Hagenbach dadurch gespielt, daß Ihr dazu halfet. Wißt Ihr so wenig von dem hitzigen Herzog von Burgund, daß Ihr Euch einbildet, Ihr könntet mit seinem Zorn in größerer Sicherheit spielen, als wenn Ihr einen schlafenden Löwen an seiner Mähne zupftet?«

»Ich kenne seine Weise gar wohl,« sagte der Priester; »und ich gehe zu ihm, nicht um den Tod Hagenbachs zu entschuldigen, sondern ihn zu vertheidigen; der Herzog mag seine Sklaven und Leibeigenen nach Gutdünken hinrichten lassen, aber auf meinem Leben liegt ein Zauber, den seine Macht nicht durchdringen kann. Laßt mich aber die Frage zurückgeben. – Ihr, Herr Engländer, der Ihr die Eigenschaften des Herzogs so genau kennt, – Ihr, der Ihr vor Kurzem erst der Gast und Reisegefährte der unwillkommensten Besucher gewesen, die ihm jemals genaht – Ihr, der Ihr, scheinbar wenigstens, in den Aufruhr von La Ferrette verwickelt seid – was für eine Aussicht habt Ihr, seiner Rache zu entgehen? Warum wollt Ihr Euch muthwillig in seine Gewalt begeben?«

»Würdiger Vater,« versetzte der Kaufmann, »laßt jeden von uns, ohne Beleidigung für den Andern, sein Geheimniß bewahren. Ich besitze zwar keinen Zauber, um mich vor des Herzogs Zorn zu schützen – ich habe Glieder, die man foltern und gefangen setzen kann, und mein Eigenthum kann weggenommen und eingezogen werden. Aber ich habe in früheren Tagen mancherlei Verkehr mit dem Herzog gehabt, ich darf sogar sagen, ich habe ihm Verpflichtungen auferlegt, und hoffe deßhalb, mein Einfluß auf ihn werde hinreichen, nicht allein um mich vor den Folgen der heutigen Vorfälle zu schützen, sondern auch um meinem Freunde, dem Landammann, einigen Nutzen zu bringen.«

»Aber wenn Ihr wirklich als Kaufmann an den Hof von Burgund müßt,« sagte der Priester, »wo sind denn die Waaren, mit denen Ihr handelt? Habt Ihr sonst keine, als die Ihr auf dem Leibe traget? Ich habe von einem Saumroß mit Gepäck gehört. Hat Euch jener Schurke solches abgenommen?«

Das war eine verfängliche Frage für Philipson. Bekümmert über die Trennung von seinem Sohn, hatte er keine Anweisungen gegeben, ob das Gepäck bei ihm selber zurückbleiben oder auf die andere Seite des Rheins geschafft werden sollte. Er gerieth deßhalb in einige Verlegenheit über die Frage des Priesters und antwortete darauf etwas unzusammenhängend: – »Ich glaube, mein Gepäck ist in dem Weiler – d. h. wenn es mein Sohn nicht über den Rhein mitgenommen hat.«

»Das wollen wir bald erfahren,« antwortete der Pfarrer.

Auf seinen Ruf erschien ein Novize aus der Sakristei der Kapelle, und erhielt den Befehl, in dem Weiler nachzufragen, ob Philipsons Ballen, mit dem Pferde, welches sie getragen, dort gelassen oder mit seinem Sohn über den Fluß geschafft worden seien.

Der Novize blieb blos einige Minuten aus und kehrte sogleich mit dem Packpferd zurück, welches Arthur mit seiner Last aus Rücksicht für seines Vaters Bequemlichkeit am westlichen Gestade des Rheins zurückgelassen hatte. Der Priester blickte es aufmerksam an, der alte Philipson stieg auf sein Pferd, faßte das andere beim Zügel und nahm in folgenden Worten Abschied von dem Priester: – »Und nun, lebet wohl, Vater! ich muß mit meinen Ballen weiter, denn es wäre nicht sehr klug, nach dem Einbruch der Nacht mit ihnen zu reisen, sonst würde ich gerne zu Fuß gehen und mit Eurer Erlaubniß den Weg in Eurer Begleitung machen.«

»Wenn das wirklich Eure Absicht ist, und ich wollte es Euch eben vorschlagen« – sagte der Priester, »so wisset, ich werde Eure Fahrt nicht aufhalten. Ich habe ein gutes Roß hier; und Melchior, der sonst hätte zu Fuß gehen müssen, kann auf Eurem Saumpferd reiten. Ich rathe um so eher zu diesem Verfahren, da es für Euch unbesonnen wäre, bei Nacht zu reisen. Ich kann Euch in eine Herberge geleiten, etwa zwei Stunden von hier. Wir können sie bei hinlänglichem Tageslicht erreichen, und Ihr werdet für Euer Geld dort gut aufgehoben sein.«

Der englische Kaufmann zögerte einen Augenblick. Er hatte keine Lust, sich wieder zu irgend Jemand auf der Straße zu gesellen, und wenn auch der Priester bei seinem Fahren ziemlich gut aussah, so war doch der Ausdruck seiner Miene keineswegs Vertrauen erweckend. Im Gegentheil, etwas Geheimnißvolles und Düsteres trübte seine obgleich hohe Stirne, ein ähnlicher Ausdruck erglänzte in seinem kalten, grauen Auge und deutete auf ein strenges und herbes Gemüth. Aber trotz dieses abschreckenden Umstandes hatte der Priester erst kürzlich Philipson durch die Entdeckung der Verrätherei seines heuchlerischen Führers einen bedeutenden Dienst geleistet, und der Engländer war nicht der Mann, der sich auf seinem Weg durch eingebildete Vorurtheile gegen die Blicke oder das Betragen eines Menschen, oder durch Furcht vor Anschlägen gegen ihn selbst, erschrecken ließ. Er erwog blos bei sich die Seltsamkeit seines Geschicks, welches für ihn nothwendig machte, vor dem Herzog von Burgund in einer Weise zu erscheinen, durch die er ihn für sich gewinnen konnte, und ihn doch zwingen zu wollen schien, sich mit Gesellschaftern einzulassen, welche diesem Fürsten am alleranstößigsten sein mußten. Und das mußte, wie ihm wohl bekannt war, in Bezug auf den Pfarrer von der Sankt Paulskirche der Fall sein. Nachdem er sich einen Augenblick bedacht, nahm er mit Höflichkeit das Erbieten des Priesters an, ihn an einen Ort zu führen, wo er ausruhen und Nahrung zu sich nehmen konnte. Dies war, ehe sie Straßburg erreichten, durchaus nöthig für sein Pferd, auch wenn er selbst dessen hätte entbehren können.

Als die Gesellschaft diese Uebereinkunft getroffen, führte der Novize des Priesters Roß vor. Dieser bestieg es mit Anstand und Leichtigkeit, und der junge Geistliche, wahrscheinlich derselbe, den Arthur bei seiner Flucht aus La Ferrette vorgestellt, trug auf seines Herrn Geheiß Sorge für das Packpferd des Engländers. Er bekreuzte sich mit einer tiefen Verbeugung des Kopfes, schloß sich hinten an, und schien, wie der falsche Bruder Bartholomä, seine Zeit damit zu verbringen, daß er seine Gebete mit einer Ernsthaftigkeit hersagte, die vielleicht mehr von erkünstelter als wirklicher Frömmigkeit an sich trug. Der schwarze Mönch von der Sankt Paulskirche sah, nach dem Blick zu urtheilen, den er auf seinen Novizen warf, mit Verachtung auf die Förmlichkeit in der Andacht des jungen Mannes. Er ritt einen starken Rappen, der eher wie ein Kriegsroß aussah, denn wie der sanfte Paßgänger eines Priesters, und lenkte ihn auf eine Art, die durchaus keine Ungeschicklichkeit oder Furcht aussprach. Mochte sich nun sein Stolz gründen auf was er wollte, er gehörte offenbar nicht ganz seinem Stande an, sondern hatte seinen Ursprung in anderen aufblähenden Gedanken, welche in seiner Seele aufstiegen, sich mit dem Selbstbewußtsein eines mächtigen Geistlichen vermischten und dasselbe steigerten.

Wenn Philipson seinen Begleiter von Zeit zu Zeit ansah, wurde sein forschender Blick durch ein heldenmüthiges Lächeln erwidert, das sagen zu wollen schien: »Du kannst meine Gestalt und Züge anstarren, aber nicht in meine Geheimnisse eindringen.«

Die Blicke Philipsons, den man nie vor einem sterblichen Menschen zurückweichen gesehen hatte, schienen mit gleichem Hochmuth zu erwidern: »Und du, stolzer Priester, sollst nicht erfahren, daß du mit einem Manne zusammen bist, dessen Geheimniß noch weit wichtiger ist, als das deine sein kann.«

Endlich that der Priester einen annähernden Schritt zu einem Gespräch, indem er auf die Gränzen anspielte, welche sie durch gegenseitiges Einverständniß ihrem Verkehr gesteckt zu haben schienen.

»Wir reisen also,« sagte er, »wie zwei mächtige Zauberer, von denen Jeder sich seiner eigenen hohen und geheimen Absicht bewußt ist; Jeder sitzt in seinem eigenen Wolkenwagen und theilt seinem Gefährten weder Richtung noch Zweck seiner Fahrt mit.«

»Entschuldigt mich, Vater,« antwortete Philipson; »ich habe weder nach Eurem Vorhaben gefragt, noch mein eigenes verborgen, so viel es Euch angeht. Ich wiederhole, daß ich zu dem Herzog von Burgund muß, und dort will ich, wie jeder andere Handelsmann, meine Waaren mit Vortheil losschlagen.«

»Es kömmt Einem allerdings so vor,« fuhr der schwarze Mönch fort, »wenn man die außerordentliche Aufmerksamkeit auf Eure Waaren bedenkt, die Ihr kaum vor einer halben Stunde an den Tag gelegt, so Ihr nicht wußtet, ob Eure Ballen mit Eurem Sohne über den Fluß geführt, oder unter Eurer eigenen Obhut zurückgeblieben waren. Sind die englischen Kaufleute gewöhnlich so gleichgültig gegen ihre Handelsquellen?«

»Wenn ihr Leben in Gefahr schwebt,« erwiderte Philipson, »so sind sie manchmal unbekümmert um ihr Vermögen.«

»Natürlich!« versetzte der Priester, und fing sein einsames Sinnen wieder an, bis eine weitere halbe Stunde sie in ein Dorf brachte. Dies, erklärte der schwarze Mönch Philipson, wäre dasselbe, in welchem er die Nacht zuzubringen vorgeschlagen hätte.

»Der Novize,« setzte er hinzu, »wird Euch das Wirthshaus zeigen. Es genießt eines guten Rufs, und Ihr werdet darin sicher wohnen. Ich selbst habe in dem Dorfe ein Beichtkind zu besuchen, das meiner geistlichen Dienste begehrt; vielleicht sehe ich Euch noch diesen Abend, vielleicht erst morgen früh, auf jeden Fall lebet für jetzt wohl!«

Bei diesen Worten hielt der Pfarrer sein Roß an, der Novize kam zu Philipson heran und führte ihn vorwärts durch die enge Straße des Dorfs. Aus den Fenstern strahlte schon hie und da Licht, und verkündigte, daß die Stunde der Dunkelheit herbeigekommen sei. Endlich lenkte der junge Mann durch einen Thorweg in eine Art von Hof ein. Hier standen ein paar Karren von sonderbarer Gestalt, wie sie dann und wann die Frauen auf Reisen benutzten, und einige andere Gefährte von derselben Art. Der junge Geistliche stieg ab, gab die Zügel Philipson in die Hand und verschwand in der wachsenden Dunkelheit. Zuvor jedoch zeigte er auf ein großes verfallenes Gebäude, auf dessen Vorderseite sich nicht ein Funke von Licht an einem der engen und zahlreichen Fenster entdecken ließ, und sie selbst auch waren in dem Zwielicht nur undeutlich zu sehen.



 << zurück