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Drittes Kapitel

Fluch auf das Gold und Silber, die in alle Weiten
Mühvollem Handel nach den schwachen Mann verleiten.
Die Lilie überglänzt die Ruh', den Silberhaufen,
Und mit dem Goldmetall läßt sich kein Leben kaufen,
Doch zieht das Gold uns durch die dürre Wüste fort,
Zu jedem fernen Markt und reichen Handelsort.

Hassan, oder der Kameeltreiber.

Arthur Philipson und Anna von Geierstein geriethen auf diese Art in eine Lage, welche sie in die möglichst nahe Berührung mit einander brachte, und fühlten einige Verlegenheit darüber; der junge Mann, ohne Zweifel, weil er fürchtete, in den Augen des Mädchens, das ihm Erlösung gebracht, als ein Feigling zu erscheinen, und das Mädchen vielleicht wegen der Mühe, die sie sich um des jungen Mannes willen gemacht, oder weil sie fühlte, sie sei plötzlich in eine vertraute Stellung zu dem getreten, dem sie wahrscheinlich das Leben gerettet habe.

»Und jetzt, Mädchen,« sagte Arthur, »muß ich zu meinem Vater. Ich kann das Leben, welches ich Eurer Beihülfe verdanke, kaum willkommen heißen, wenn mir nicht verstattet ist, zu seiner Rettung zu eilen.«

Hier wurde er durch einen andern Hornstoß unterbrochen, der aus der Gegend zu kommen schien, in welcher der ältere Philipson und sein Führer von ihrem jungen und kühnen Begleiter zurückgelassen worden waren. Arthur blickte nach dieser Richtung hin, aber die Terrasse, die er von dem Baume aus nur unvollkommen gesehen hatte, war von dem Felsen aus, auf dem er jetzt stand, gar nicht sichtbar.

»Es würde mir,« sagte das Mädchen, »leicht sein, an jener Wurzel zurückzusteigen und von dort aus zu spähen, ob ich etwas von Eurem Vater sehen könnte. Aber ich bin überzeugt, daß sie unter besserer Leitung sind, als die Eure oder die meine ist; denn das Horn verkündet, daß mein Oheim oder einer meiner jungen Vettern sie erreicht hat. Sie sind in diesem Augenblick auf dem Weg nach Geierstein, und dahin will ich Euch mit Eurer Erlaubniß führen. Denn Ihr könnt versichert sein, mein Oheim Arnold wird Euch nicht gestatten, heute weiter zu reisen, und wir würden blos Zeit verlieren, wenn wir unsere Freunde aufzufinden suchten, da sie von der Stelle aus, wo Ihr sie gelassen, den Geierstein früher als wir erreichen werden. Folgt mir also, oder ich muß glauben, meine Führung sei Euch zur Last.«

»Denket lieber, das Leben sei mir zur Last, welches Ihr mir gerettet habt,« versetzte Arthur und schickte sich an, sie zu begleiten. Zugleich betrachtete er sich ihre Gestalt und Kleidung, und machte dadurch das Vergnügen vollständig, welches es ihm machte, einer solchen Führerin zu folgen. Wir nehmen uns die Freiheit, darauf etwas genauer einzugehen, als er für den Augenblick thun konnte.

Ein Oberkleid, weder so anliegend, daß es die Körperformen zeigte (denn einen solchen Anzug verboten die Gesetze des Kantons über den Aufwand), noch so weit, daß es am Gehen oder Steigen hinderte, überdeckte einen festen anschließenden Rock von anderer Farbe und ging bis unter die Mitte der Beine herab, ließ aber den Knöchel in all seinen schönen Verhältnissen vollständig sichtbar. Am Fuß trug sie Schuhe mit aufwärts gekehrter Spitze. Die Bänder, welche sie vorn am Fuß befestigten, waren an Stellen, wo sie sich kreuzten oder Schleifen bildeten, mit Silberschnallen besetzt. Das Oberkleid wurde in der Mitte durch einen bunten seidenen Gürtel, mit Goldfäden durchwirkt, zusammengehalten; das untere Kleid war am Hals offen und ließ einen schön geformten und außerordentlich weißen Hals bis einen oder zwei Zoll unter der Halskette erblicken. Der kleine Theil des Halses und Busens, den man sehen konnte, war viel schöner, als das Gesicht vermuthen ließ, welches Spuren davon trug, daß es ohne Bedenken der Sonne und Luft ausgesetzt wurde. Dies that jedoch der Schönheit des Mädchens keineswegs Eintrag, sondern erwies blos, daß sie eine Gesundheit besaß, wie man sie durch die Gewohnheit ländlicher Beschäftigungen gewinnt. Ihr langes schönes Haar fiel in einer Fülle von Locken auf jeder Seite des Gesichts herunter. Die blauen Augen und lieblichen Züge desselben nebst der würdigen Einfachheit des Ausdrucks deuteten einen milden Charakter und die selbstvertrauende Entschlossenheit eines Gemüths an, das zu tugendhaft ist, um Schlimmes zu argwöhnen, und zu erhaben, um es zu fürchten. Ueber diesen Locken, der natürlichsten und passendsten Zierde der Schönheit, oder, wie ich eigentlich sagen sollte, in ihnen, saß ein Häubchen, welches vermöge seiner Größe kaum dem Zweck der Kopfbedeckung entsprach, aber die Geschicklichkeit der schönen Trägerin in Uebung erhielt. Diese hatte nicht versäumt, dem vorherrschenden Gebrauch der Mädchen in diesen Bergen zu Folge ihr winziges Häubchen mit einer Reiherfeder und dem damals ungewöhnlich seltenen Schmuck einer feinen und dünnen Goldkette aufzuputzen, welche lange genug war, um das Mützchen vier- oder fünfmal zu umschlingen und deren Enden unter einer großen Schaumünze von demselben kostbaren Metall befestigt waren.

Ich habe nur noch beizufügen, daß der Wuchs der jungen Person etwas über die gewöhnliche Größe hinausging, und daß sie im ganzen Umriß ihrer Gestalt, ohne daß diese im Entferntesten männlich gewesen wäre, eher der Minerva glich, als der stolzen Schönheit der Juno oder der schmachtenden Anmuth der Venus. Die edle Stirne, die wohlgeformten und gelenken Glieder, der feste und doch leichte Schritt, mit einem Wort, die gänzliche Abwesenheit alles dessen, was aussieht wie ein Bewußtsein von der Schönheit des eigenen Körpers, der offene und aufrichtige Blick, der nichts wissen zu wollen schien, was ihm verborgen war, und von dem Bewußtsein zeugte, daß das Mädchen nichts zu verbergen hatte, diese Züge waren nicht unwürdig der Göttin der Weisheit und Keuschheit.

Der Weg, welchen der junge Engländer unter der Leitung des schönen Mädchens verfolgte, war beschwerlich und uneben, konnte aber im Vergleich mit den Abgründen, über welche Arthur jüngst geschritten, nicht gefährlich genannt werden. Er war in der That eine Fortsetzung des Pfades, welchen der oft erwähnte Erdsturz unterbrochen; und obgleich er an mehreren Stellen zur Zeit desselben Erdbebens Schaden genommen hatte, so waren doch Spuren vorhanden, daß dem bereits in einer rohen Weise und blos so weit abgeholfen worden war, um den Weg für den nöthigen Verkehr eines Volkes herzustellen, das so gleichgültig gegen glatte und ebene Wege ist, als die Schweizer. Das Mädchen theilte Arthur auch mit, daß ihre gegenwärtige Straße eine Krümmung mache, um sich mit derjenigen zu vereinigen, auf welcher er kürzlich gereist war. Wenn er und seine Gefährten, fügte sie hinzu, diese letztere an der Stelle verlassen hätten, wo der neue Fußweg in den alten einmündete, so würden sie der Gefahr entgangen sein, in welche sie geriethen, als sie die Straße neben dem Rande des Abgrundes hin einschlugen.

Der Fußsteig, dem sie jetzt nachgingen, führte ziemlich weit von dem Waldstrom ab, doch hörte man noch immer sein dumpfes Donnern, und dieses schien sich zu verstärken, während sie in gleicher Richtung mit seinem Laufe aufwärts gingen, bis der Weg plötzlich eine Wendung machte, gerade auf das alte Schloß zulief und ihnen eine der prachtvollsten und schönsten Scenen dieser Berggegend vor's Gesicht brachte.

Der alte Thurm von Geierstein, wenn auch weder groß noch ausgezeichnet durch Verzierungen der Baukunst, bekam einen Anschein von furchtbarer Würde durch seine Lage am jenseitigen Ufer des Waldstroms. Dieser bildete gerade an der Ecke des Felsens, auf welchem die Ruinen lagen, einen Wasserfall von hundert Fuß Höhe, und rauschte durch eine Aushöhlung im Felsen hinab, an deren Bildung seine Wellen vielleicht gearbeitet hatten, seit er entstanden war. Gerade gegenüber stand der alte Thurm und schaute auf das ewige Tosen der Wasser herab. Er stand so nahe am Rande des Abgrunds, daß die Strebepfeiler, auf welche der Baumeister den Grund gestützt hatte, ein Theil des Felsens selbst und eine Fortsetzung seiner senkrechten Ansteigung zu sein schienen. Wie es in den Zeiten des Lehenwesens durch ganz Europa gebräuchlich war, bildete ein massives, viereckiges Gebäude den Hauptbestandtheil des Ganzen. Der verfallene Obertheil desselben bekam ein malerisches Aussehen durch Seitenthürme von verschiedener Größe und Höhe. Einige waren rund, andere eckig, einige in Trümmern, andere noch ziemlich wohl erhalten. Die Mannigfaltigkeit der Umrisse des Gebäudes ward noch vermehrt, wenn man es bei stürmischem Himmel betrachtete.

Eine vorspringende Ausfallpforte, zu der man auf einer Treppenflucht vom Thurm gelangte, hatte in früheren Zeiten zu einer Brücke geführt, welche das Schloß mit derjenigen Seite des Stromes verband, auf welcher Arthur Philipson und seine Führerin eben standen. Ein einziger Bogen, oder vielmehr die Rippe eines solchen, die aus einzelnen Steinen bestand, war noch übrig, und überspannte unmittelbar dem Wasserfall gegenüber den Fluß. In vergangenen Tagen hatte dieser Bogen einer hölzernen Zugbrücke von mehr angemessener Größe und von solcher Länge und Schwere zur Unterlage gedient, daß sie nur auf einen festen Grund heruntergelassen werden konnte. Freilich war mit dieser Einrichtung die Unannehmlichkeit verbunden, daß selbst, wenn die Zugbrücke aufgezogen war, die Möglichkeit übrig blieb, sich dem Schloßthor mittelst dieser schmalen Steinrippe zu nähern. Aber da diese nicht über achtzehn Zoll breit war und den kühnen Feind, der über sie wegstieg, blos zu einem Thorweg führte, welcher durch Thor und Fallgatter regelmäßig geschützt war, auch Seitenthürme und Vorsprünge besaß, von denen aus Steine, Wurfspieße, flüssiges Blei und siedendes Wasser auf das Kriegsvolk geworfen werden konnten, das sich dem Geierstein auf diesem unsichern Zugang zu nähern wagte, so wurde die Möglichkeit eines solchen Angriffs nicht so angesehen, als vermindere sie die Sicherheit der Besatzung.

In der Zeit, von welcher wir reden, lag das Schloß völlig in Trümmern, es war geschleift, Thor, Zugbrücke und Schutzgatter waren weg, der Thorweg verfallen und der schwache Bogen, der beide Seiten des Stromes verband, diente blos als Verbindungsmittel zwischen den Flußufern für die Bewohner der Nachbarschaft, welche die Gewohnheit mit der gefährlichen Beschaffenheit des Uebergangs vertraut gemacht hatte.

Arthur Philipson hatte unterdessen wie ein frisch angezogener Bogen die Spannkraft des Körpers und Geistes wieder gewonnen, welche ihm eigen war. Er folgte jedoch nicht mit völliger Gemüthsruhe seiner Führerin, wie sie leicht über den schmalen Bogen hüpfte; denn dieser bestand aus rauhen Steinen und war naß und schlüpfrig von dem beständigen Spritzen des von dem nahen Wasserfall ausgehenden Nebels. Er vollführte auch dies gefährliche Kunststück gerade in der Nachbarschaft des Wasserfalls nicht ohne Furcht. Er konnte das betäubende Tosen desselben nicht von seinen Ohren abhalten, obgleich er sich sorgfältig hütete, den Kopf seinen Schrecknissen zuzuwenden, damit ihm nicht das Gehirn abermals zu schwindeln beginne bei dem Brausen der Wasser, die über den Abhang herunterschossen und sich hinunter in den unergründlich scheinenden Abgrund stürzten. Aber trotz dieses Gefühls von Unruhe schämte sich Arthur natürlich, da Feigheit zu zeigen, wo ein schönes junges Mädchen so viel Gleichgültigkeit bewies. Auch wünschte er sein Ansehen in den Augen seiner Führerin wieder zu gewinnen, und wurde dadurch abgehalten, jenen Anfällen von Furcht Gehör zu geben, von denen er sich kurz zuvor hatte überwältigen lassen. Er trat fest auf, stützte sich aber vorsichtig auf seinen spitzigen Stock, trat über die Schreckenbrücke hin in die leichten Fußstapfen seiner Führerin, und folgte ihr dann durch die in Trümmern liegende Ausfallpforte, zu welcher man auf ebenfalls verfallenen Stufen hinanstieg.

Der Thorweg führte sie in eine Trümmermasse, ehedem eine Art Hof beim Thurm. Dieser erhob sich in düsterer Erhabenheit über die zerstörten Werke, welche für die Vertheidigung gegen äußere Feinde bestimmt oder für die Bequemlichkeit im Innern aufgeführt worden waren. Sie eilten rasch durch diese Trümmer hin, über welche die Thätigkeit des Pflanzenlebens einen wilden Mantel von Epheu und anderen Schlingpflanzen gebreitet hatte. Aus ihm heraus traten sie durch das Hauptthor des Schlosses auf eine der Stellen, an deren Busen die Natur oft mitten in Bezirken, die sich hauptsächlich durch Verwüstung und Verödung auszeichnen, ihre süßesten Reize versteckt hatte.

Das Schloß erhob sich auch, von hier aus betrachtet, weit über die benachbarte Gegend. Aber was gegen den Strom hin ein schroffer Fels, war auf dieser Seite blos eine steile Anhöhe, welche wie ein Glacis der neuern Zeit abgedacht worden war, um das Gebäude mehr zu sichern. Gegenwärtig war der Boden mit jungen Bäumen und Büschen bedeckt, aus denen sich der Thurm selbst in verfallener Würde zu erheben schien. Ueber dieses ruhige Dickicht hinaus hatte die Aussicht einen ganz andern Charakter. Ein Grundstück von mehr als hundert Morgen schien aus den Felsen und Bergen herausgeschaufelt zu sein. Es war von Bergen umschlossen, welche denselben wilden Charakter trugen, wie die Strecke, in welcher sich die Reisenden diesen Morgen verirrt hatten. Sie vertheidigten den begrenzten milden und fruchtbaren Raum. Die Oberfläche des kleinen Gebiets bot die größte Abwechslung, aber im Allgemeinen war sie etwas abhängig gegen Südwesten.

Als Hauptgegenstand stellte sich auf ihr ein großes, aus mächtigen Klötzen bestehendes Haus, ohne irgend einen Anspruch auf Schönheit oder Regelmäßigkeit dar, das aber durch den daraus hervorkommenden Rauch sowohl, als durch den Umfang der Nebengebäude und den sorgfältigen Anbau der Felder umher zeigte, daß es zwar kein Aufenthalt des Glanzes, aber der Bequemlichkeit und des Wohlstandes sei. Ein Obstgarten mit wohlgerathenen Fruchtbäumen dehnte sich südwärts von der Wohnung hin. Alleen von Wallnuß- und Kastanienbäumen und selbst ein Weinberg von drei oder vier Morgen bewies, daß man hier den Anbau der Reben verstand und trieb. Er ist jetzt in der Schweiz allgemein, war aber in diesen früheren Zeiten fast ausschließlich in den Händen von Gutsbesitzern, die das Glück vorzugsweise begünstigt hatte, und die den seltenen Vortheil genossen, Verstand mit Vermögen oder doch günstigen Verhältnissen zu verbinden.

Es gab hier hübsche Flächen Weideland, und dahin war die schöne Gattung Vieh, die den Stolz und Reichthum des Schweizer Bergbewohners ausmacht, von den Alpenmatten, auf denen es den Sommer über weidet, heruntergeschafft worden, um bei den herbstlichen Stürmen, die man jetzt zu erwarten hatte, einem schützenden Obdach näher zu sein. An einigen auserlesenen Stellen weideten die Lämmer des letzten Wurfs in Fülle und Sicherheit, und an andern hatte man ungeheure Bäume, das natürliche Erzeugniß des Bodens, wahrscheinlich aus Gründen der Bequemlichkeit stehen lassen, um sie bei der Hand zu haben, wenn für den Hausgebrauch Holz nöthig wurde. Sie gaben aber auch dem Orte zugleich das Eigenthümliche des Waldlandes, während er sonst ein Ackerlandstrich war. In das Bergparadies muß man nun noch einen kleinen Bach zeichnen, der bald an die Sonne trat, welche zu dieser Zeit den Nebel vertrieb, bald seinen Lauf durch sanft geneigte, an einigen Stellen mit hohen Bäumen besetzte Ufer andeutete, bald sich unter Hagedorngebüsch und Haselsträuchen verbarg. Dieser Bach fand auf Umwegen und langsam dahin fließend, als ob er diese ruhige Gegend nur mit Widerstreben verließe, den Weg aus dem abgesonderten Gebiet, und vereinigte sich, wie ein Jüngling, der aus den muntern und ruhigen Spielen der Knabenzeit in die wildbewegte Bahn des thätigen Lebens hinübereilt, zuletzt mit dem ungestümen Waldstrom, der, nachdem er im Sturm durch die Berge hervorgebrochen, den alten Geiersteiner Thurm erschütterte, indem er sich über den nahen Felsen herabwälzte und dann heulend durch den Abgrund rauschte, in welchem der junge Reisende fast sein Leben verloren hätte.

Wie begierig der junge Philipson auch war, sich wieder mit seinem Vater zu vereinigen, er konnte sich nicht enthalten, einen Augenblick in Verwunderung darüber stille zu stehen, wie so viel Schönheit in solch' furchtbarer Gegend gefunden werden könne. Er mußte zurückschauen auf den Thurm von Geierstein und den gewaltigen Felsblock, von welchem sein Name herrührt, um sich durch den Anblick dieser ausgezeichneten Gegend zu versichern, daß er sich wirklich in der Nachbarschaft der rauhen Wildnisse befinde, in welchen er so viel Gefahr und Schreck durchgemacht hatte. Die Grenzen des angebauten Meierhofes waren aber so eng, daß es kaum eines solchen Rückblicks bedurfte, um den Beschauer zu überzeugen, daß der menschlichen Anbaues fähige Fleck Erde, auf welchen viele Mühe verwendet worden zu sein schien, in sehr unbedeutendem Verhältniß zu der Wildniß stand, in welcher er lag. Er war auf allen Seiten von hohen Bergen umgeben, die an einzelnen Stellen wie Felsmauern emporstiegen, an andern mit dunkeln, wilden und uralten Fichten- und Lerchenforsten bekleidet waren. Ueber diesen konnte man von der Anhöhe, auf welcher der Thurm stand, den fast rosenfarbenen Schimmer sehen, mit welchem ein ungeheurer Gletscher die Sonne zurückstrahlte. Noch höher und über der starren Fläche dieses Eismeeres erhoben sich in hehrem Schweigen die blassen Spitzen der unzähligen Berge, auf denen ewiger Schnee ruht.

Es hat uns einige Zeit gekostet, dies zu beschreiben; den jungen Philipson beschäftigte es blos eine oder zwei flüchtige Minuten. Dann erblickte er auf dem rasigen Abhang vor dem Pachterhaus, wie man die Wohnung füglich bezeichnen könnte, fünf bis sechs Personen, unter denen er den Vordersten an seiner Haltung, Kleidung und Mützenform leicht als den Verwandten erkannte, den er kaum wieder einmal zu sehen gehofft.

Fröhlichen Schritts folgte er daher seiner Führerin, als sie die steile Höhe hinabging, auf welcher der verfallene Thurm lag. Sie näherten sich der Gruppe, die Arthur bemerkt. Der Vorderste davon war wirklich sein Vater, und er kam ihm hastig in Gesellschaft einer anderen Person von vorgerücktem Alter und fast gigantischem Wuchs entgegen. Der Letztere erschien mit seinem einfachen und doch majestätischen Wesen als der würdige Landsmann von Wilhelm Tell, Stauffacher, Winkelried und anderen ausgezeichneten Schweizern, deren stolze Herzen und starke Arme in früheren Zeiten ihre persönliche Freiheit und die Unabhängigkeit ihres Landes gegen zahllose Feinde vertheidigt hatten.

Mit angeborner Höflichkeit und um Vater und Sohn bei einem Wiedersehen, welches mit Gemüthsbewegungen verknüpft sein mußte, die vielen Zeugen zu ersparen, ging der Landammann selbst mit dem alten Philipson vorwärts und gab seinen Begleitern, jungen Leuten, ein Zeichen zurückzubleiben; sie thaten es demnach und befragten, wie es schien, den Führer Antonio nach den Abenteuern der Fremden. Anna, die Führerin Arthur Philipsons, hatte nur noch Zeit ihm zu sagen: »Jener alte Mann ist mein Oheim, Arnold Biedermann, und diese jungen Leute sind meine Vettern,« als der erstere nebst dem älteren Reisenden dicht vor ihnen stand. Der Landammann deutete seiner Nichte mit demselben Zartgefühl, das er zuvor gezeigt, an, etwas beiseite zu treten. Während er aber von ihr einen Bericht über ihren Morgenausflug begehrte, beobachtete er die Zusammenkunft von Vater und Sohn mit so viel Neugier, als der ihm angeborne Sinn für Schicklichkeit an den Tag zu legen gestattete. Sie war ganz anders, als er vermuthet.

Wir haben den älteren Philipson bereits als einen Vater beschrieben, der mit inniger Liebe an seinem Sohn hing, der auf dem Punkt war, sich in den Tod zu stürzen, als er ihn verloren zu haben glaubte, und ohne Zweifel eine herzliche Freude hatte, ihn seiner Neigung zurückgegeben zu sehen. Man hätte nun erwarten sollen, daß Vater und Sohn sich einander in die Arme werfen würden, und von der Art war wohl der Auftritt, von dem Arnold Biedermann Zeuge zu sein erwartete.

Aber der englische Reisende verbarg, wie viele seiner Landsleute, heftige und lebhafte Gefühle mit vielem Anschein von Kälte und Zurückhaltung; er hielt es für eine Schwäche, dem Einfluß der liebenswürdigsten und natürlichsten Regungen eine unbegrenzte Herrschaft einzuräumen. Er war in seiner Jugend ausgezeichnet schön gewesen, und sein Gesicht, das noch in späteren Jahren hübsch war, trug einen Ausdruck, der seine Abneigung andeutete, einer Leidenschaft nachzugeben oder zum Vertrauen zu ermuthigen. Sein Schritt hatte sich beim ersten Anblick seines Sohnes durch den natürlichen Wunsch beschleunigt, bald bei ihm zu sein; er minderte aber diese Eile, als sie einander näher kamen, und als sie zusammenstießen, sagte er mehr im Tone des Tadels und der Ermahnung als der Liebe: »Arthur, mögen dir die Heiligen die Sorgen vergeben, welche du mir heute gemacht!«

»Amen!« sagte der Jüngling. »Ich bedarf der Verzeihung, da ich Euch Sorge verursacht. Glaubet übrigens, daß ich in der besten Meinung gehandelt habe!«

»Es ist gut, Arthur, daß dir nicht das Schlimmste begegnet ist, als du nach deinem voreiligen Willen in der besten Absicht handeltest.«

»Daß dies nicht geschah,« antwortete der Sohn mit derselben frommen und geduldigen Unterwürfigkeit, »verdanke ich diesem Mädchen.« Dabei wies er auf Anna, welche ein paar Schritte entfernt stand, und vielleicht sich zu entfernen wünschte, um nicht bei den Vorwürfen des Vaters zugegen sein zu müssen, die ihr unzeitig und unbillig erscheinen mochten.

»Dem Mädchen werde ich meinen Dank abstatten,« sagte sein Vater, »wenn ich darüber nachgedacht habe, wie ich ihr auf angemessene Weise vergelten kann. Aber meinst du, es sei passend und anständig, von einem Mädchen Beistand anzunehmen, da du als Mann diese Pflicht gegen das schwächere Geschlecht ausüben solltest?«

Arthur ließ den Kopf sinken und erröthete heftig. Arnold Biedermann ging in des Jünglings Gefühle ein, trat vorwärts und mischte sich in's Gespräch.

»Schämt Euch nicht, mein junger Gast, daß Ihr einem Mädchen von Unterwalden für Rath oder Beistand verpflichtet worden seid. Wisset, die Freiheit dieses Landes verdankt der Festigkeit und Klugheit seiner Töchter nicht weniger, als der seiner Söhne. Und Ihr, mein älterer Gast, der, wie ich vermuthe, viele Jahre und verschiedene Länder gesehen hat, Ihr müßt oft Beispiele davon erlebt haben, daß der Starke mit Hülfe des Schwachen, der Stolze mit Hülfe des Demüthigen gerettet wird.«

»Wenigstens habe ich gelernt,« sagte der Engländer, »mit dem Wirth nicht unnöthig zu streiten, der mich freundlich aufgenommen hat.« Nach einem Blick auf seinen Sohn, in welchem die zärtlichste Liebe leuchtete, nahm er, als die Gesellschaft in's Haus zurückkehrte, ein Gespräch wieder auf, das er mit seinem neuen Bekannten unterhalten hatte, ehe Arthur und das Mädchen sich zu ihnen gesellt.

Arthur hatte unterdessen Gelegenheit, Gestalt und Züge ihres Schweizerwirths zu betrachten. Ich habe schon angedeutet, daß dieser die Einfachheit der alten Zeiten, vermischt mit einer gewissen rauhen Würde, an den Tag legte, die aus seinem männlichen und ungekünstelten Charakter entsprang. Sein Anzug wich in der Form nicht von der weiblichen Kleidung ab, die wir beschrieben. Er bestand aus einem Oberkleid, das wie jetzt die Hemden gemacht und blos auf der Brust offen war. Unter diesem trug er einen Rock oder Unterwamms. Aber die Gewänder der Männer waren in den Schößen bedeutend kürzer, und gingen nicht weiter herunter als der »Kilt« der schottischen Hochländer. Eine Art Stiefel oder Halbstiefel ging bis an die Knie hinauf, und so war der Mann vollständig bekleidet. Eine Mütze von Marderpelz, mit einem silbernen Medaillon verziert, bildete das einzige Kleidungsstück, welches etwas wie Schmuck zeigte; der breite Gürtel, welcher den Anzug zusammenhielt, war von Büffelleder und mit einer messingenen Schnalle befestigt.

Diese einfache Tracht schien fast ganz aus Fellen von Bergschafen und aus Häuten von jagdbaren Thieren gemacht, aber das Aeußere dessen, der sie trug, würde überall Achtung eingeflößt haben, wo er sich hätte sehen lassen, und besonders in jenen kriegerischen Tagen, da der Mann nach der viel oder weniger versprechenden Beschaffenheit seiner Sehnen beurtheilt wurde. Für die, welche Arnold Biedermann aus diesem Gesichtspunkte betrachteten, zeigte er die Größe und Gestalt, die breiten Schultern und hervortretenden Muskeln eines Herkules. Die aber, welche mehr auf sein Gesicht blickten, fanden in den festen, klugen Zügen, der offenen Stirn, den großen blauen Augen und der vorsichtigen Entschlossenheit, welche es ausdrückte, mehr Aehnlichkeit mit dem fabelhaften König der Götter und Menschen. Mehrere Söhne und Verwandte begleiteten ihn, junge Leute, von welchen er, als er durch sie hinschritt, Zeichen der Achtung und des Gehorsams erhielt, wie sie eine Heerde Rothwild dem Königshirsch erweist.

Während Arnold Biedermann mit dem älteren Reisenden auf und ab ging und sprach, schienen die jungen Männer Arthur schweigend zu prüfen und dann und wann leise Fragen an ihre Base Anna zu richten. Aber die kurzen, ungeduldigen Antworten, welche sie von dieser erhielten, schlugen die lustige Laune, welcher sich die Bergbewohner, wie es dem jungen Engländer vorkam, auf Kosten ihres Gastes fast zu sehr überließen, keineswegs nieder, sondern vermehrten sie noch. Der Spott, dem er sich ausgesetzt sah, ward nicht durch den Gedanken gemildert, daß solcher wohl in einer derartigen Gesellschaft Jedem zu Theil werden würde, der nicht den Rand des Abgrundes eben so festen und unverzagten Schrittes beträte, als wenn er in den Straßen einer Stadt spazieren ginge. So unvernünftig es auch sein mag, Jemand lächerlich zu machen, so unangenehm ist es stets für den, welcher dem Spott ausgesetzt ist; aber es bringt einen jungen Mann besonders dann in Verlegenheit, wenn eine Schönheit dabei zuhört. Es lag einiger Trost für Arthur in dem Gedanken, das Mädchen habe gewiß keine Freude an dem Spaß, und es kam ihm vor, als tadle sie mit Wort und Blick die Rohheit ihrer Gesellschafter, aber sie that dies, wie er fürchtete, blos aus einem Gefühle von Mitleid.

»Sie muß mich verachten,« dachte er, »obgleich die Höflichkeit, welche diese schlecht erzogenen Bauern nicht kennen, sie in den Stand setzt, ihre Verachtung unter der Miene des Mitleids zu verbergen. Sie kann mich nur nach dem beurtheilen, was sie gesehen hat. – Wenn sie mich bester kennte (war sein erster Gedanke), würde sie mich vielleicht viel höher stellen.«

Als die Reisenden in die Wohnung Arnold Biedermanns traten, fanden sie Vorbereitungen zu einem einfachen, aber reichlichen Mahle in einem großen Gemach, welches als allgemeines Gesellschaftszimmer diente. Ein Blick auf die Wände zeigte Geräthschaften des Ackerbaues und der Jagd; aber die Augen des älteren Philipson hafteten auf einem ledernen Brustharnisch, einer langen schweren Hellebarde und einem zweihändigen Schwert, die wie eine Art Siegeszeichen angebracht waren. Neben ihnen, aber mit Staub bedeckt, ungeputzt und vernachlässigt, hing ein Helm mit Visir, wie das bei Reitern und Waffenleuten gewöhnlich vorkam. Der goldene Reif oder der Kranz, der ihn umwand, deutete, ob er gleich stark angelaufen war, auf edle Geburt und hohen Rang. Auch der Federbusch, in Gestalt eines Geiers, war von der Art, welche dem alten Schloß und dem dabei liegenden Hügel den Namen gab, und brachte die englischen Gäste auf allerlei Vermuthungen. Sie waren nämlich genau bekannt mit der Geschichte der Schweizer-Revolution, und so blieb ihnen wenig Zweifel übrig, daß sie in diesen Reliquien Siegeszeichen aus den alten Kriegen vor sich sähen, welche die Bewohner dieser Berge mit ihren ehemaligen Lehensherren geführt.

Eine Einladung an den gastlichen Tisch unterbrach den Gedankengang des englischen Kaufmannes. Eine große Gesellschaft, die alle Leute ohne Unterschied in sich faßte, welche unter Biedermanns Dach lebten, setzte sich zu einer reichlichen Mahlzeit nieder, die aus Ziegenfleisch, Fischen, Milchspeisen von verschiedener Art, Käse, und als oberstem Gericht, aus dem Wildpret von einer jungen Gemse bestand. Der Landammann selbst machte bei der Tafel mit großer Güte und Einfachheit den Wirth und drang in die Gäste, durch ihren Appetit zu beweisen, daß sie sich selbst für so willkommen halten, als er es ihnen zu zeigen wünschte. Während des Essens unterhielt er sich mit seinem älteren Gast, während die jungen Leute am Tisch sowohl als das Gesinde in bescheidenem Schweigen aßen. Bevor das Mahl vorüber war, ging eine Gestalt außen an dem großen Fenster vorbei, welches den Speisesaal erhellte, und der Anblick derselben schien einen lebhaften Eindruck auf die zu machen, welche sie bemerkten.

»Wer ist da vorbeigegangen?« sagte der alte Biedermann zu denen, die dem Fenster gegenüber saßen.

»Unser Vetter, Rudolph von Donnerhügel,« antwortete hastig einer von Arnolds Söhnen.

Diese Ankündigung schien dem jüngeren Theil der Gesellschaft großes Vergnügen zu machen, besonders den Söhnen des Landammanns. Das Oberhaupt der Familie sagte blos mit ernster und ruhiger Stimme: »Euer Vetter ist willkommen, sagt ihm das und laßt ihn hereinkommen!«

Zwei oder Drei standen zu diesem Zwecke auf, als wenn ein Wettstreit unter ihnen gewesen wäre, wer dem neuen Gast die Ehre des Hauses erweisen sollte.

Er trat alsbald herein; ein junger Mann von ungewöhnlicher Größe, gut gebaut und lebhaft. Eine Menge dunkelbrauner Locken wand sich um sein Gesicht, und ein Schnurrbart von derselben oder vielleicht von noch dunklerer Farbe. Seine Mütze war klein im Betracht des starken Haarwuchses, und man hätte eher sagen können, sie hänge auf einer Seite des Kopfes, als sie bedecke ihn. Er trug im Allgemeinen dieselbe Tracht und hatte Kleider von demselben Schnitt, wie Arnold; nur waren sie von feinerem Tuch, aus einem deutschen Webstuhl hervorgegangen und reich und wunderlich verziert. Die Aermel seines Gewandes waren dunkelgrün, mit Sinnbildern in Silber künstlich verbrämt und gestickt; der übrige Theil des Anzugs scharlachroth. Sein mit Gold durchflochtenes und gesticktes Degengehenk versah zugleich den Dienst eines Gürtels, indem es das Obergewand um den Unterleib befestigte und einen Dolch mit silbernem Heft trug. Sein Putz wurde durch Stiefel vollendet, deren Spitzen sich in einer Spitze aufwärts bogen, wie es im Mittelalter vorherrschende Sitte war. Eine goldene Kette hing ihm um den Hals, und an ihr war ein großes Medaillon von demselben Metall befestigt.

Der junge Stutzer wurde augenblicklich von dem ganzen Stamm Biedermann umringt, und es schien, sie betrachteten ihn als das Muster, nach dem sich die Schweizer Jugend modeln und dessen Haltung, Aeußerungen, Anzug und Betragen Alle annehmen müßten, welche mit der Mode des Tages Schritt halten wollten. In dieser herrschte er als anerkanntes Muster ohne Nebenbuhler.

Von zwei Personen in der Gesellschaft, schien es indessen Arthur Philipson, werde der junge Mann mit weniger ausgezeichneten Beweisen von Achtung empfangen, als ihm von allen anwesenden jungen Männern zu Theil geworden waren. Arnold Biedermann selbst war keineswegs eifrig, den jungen Berner willkommen zu heißen; denn ein solcher war Rudolph. Der junge Mann zog ein versiegeltes Päckchen aus dem Busen und händigte es dem Landammann mit Zeichen großer Achtung ein. Er schien zu erwarten, daß Arnold, wenn er das Siegel erbrochen und die Schreiben gelesen, ihm von ihrem Inhalt etwas sagen würde. Aber der Patriarch bat ihn blos, sich zu setzen und an ihrem Mittagessen Theil zu nehmen, und Rudolph fand einen Platz neben Anna von Geierstein, den ihm einer von Arnolds Söhnen mit bereitwilliger Höflichkeit eingeräumt hatte.

Es kam auch dem aufmerksamen jungen Engländer vor, der neue Ankömmling werde mit merklicher Kälte von dem Mädchen empfangen, ob er gleich eifrig darauf aus zu sein schien, ihr seine Huldigungen darzubringen. Er hatte es zu machen gewußt, daß er an der Tafel neben sie zu sitzen kam, und zeigte jetzt ein eifrigeres Streben, sich ihr angenehm zu machen, als an dem Mahle Theil zu nehmen. Arthur bemerkte, wie der Stutzer ihr zuflüsterte und auf ihn blickte. Anna gab eine ganz kurze Antwort, aber einer der Söhne des Hauses war ohne Zweifel mittheilsamer, denn die beiden jungen Leute lachten, das Mädchen schien abermals verlegen zu werden und wurde roth vor Unmuth.

»Hätte ich einen dieser Gebirgssöhne,« dachte der junge Philipson, »auf sechs Klaftern ebenen Rasenplatzes, wenn es so viel flachen Boden in diesem Lande gibt, so würde ich ihnen wahrscheinlich den Spaß eher verderben, als zu seiner Unterhaltung dienen. Es ist ebenso sonderbar, derartige eingebildete Lümmel unter demselben Dach mit einem so artigen und liebenswürdigen Frauenzimmer zu sehen, als wenn einer ihrer Zottelbären mit einem Mädchen, wie die Tochter des Wirths, tanzte. Nun, ich brauche mich ja nicht mehr, als eben nöthig, um ihre Schönheit oder jener Erziehung zu kümmern, denn der kommende Morgen wird mich für immer von ihnen trennen.«

Während dem Gast diese Gedanken durch den Kopf gingen, rief der Familienvater nach einem Trunk Wein, forderte die zwei Fremden auf, ihm in einem ziemlich großen Becher von Ahornholz Bescheid zu thun, und gab Rudolph Donnerhügel einen ähnlichen. »Aber Ihr, Vetter,« sagte er, »seid an stärkere Weine gewöhnt, als die halbreifen Trauben von Geierstein liefern können. Könnt Ihr es glauben, Herr Kaufmann,« fuhr er gegen Philipson fort, »es gibt Bürger von Bern, welche um Wein für ihren eigenen Bedarf nach Frankreich und Deutschland schicken?«

»Mein Vetter tadelt das,« versetzte Rudolph, »und doch ist nicht jeder Ort mit Weinbergen gesegnet, wie Geierstein, welches Alles hervorbringt, was Herz und Auge erfreuen kann.« Dies wurde mit einem Blick auf seine schöne Gesellschafterin gesagt. Diese that aber, als ob sie das Compliment nichts anginge, und der Gesandte von Bern fuhr fort: »Aber unsere reicheren Bürger halten es, wenn sie einige überflüssige Kronen haben, für keine Verschwendung, einen Becher besseren Weines für dieselben einzutauschen, als unsere eigenen Berge liefern können. Wir werden jedoch sparsamer sein, wenn wir Fässer voll Burgunders zu unserer Verfügung und keine Mühe dabei haben werden als die, ihn herzuführen.«

»Was wollt Ihr damit sagen, Vetter Rudolph?« sagte Arnold Biedermann.

»Ich denke, geehrter Vetter,« antwortete der Berner, »Eure Briefe müßten Euch gesagt haben, daß unsere Tagsatzung wahrscheinlich an Burgund den Krieg erklären wird?«

»So? Ihr kennt also den Inhalt meiner Briefe?« sagte Arnold; »ein neues Zeichen, wie die Zeiten in Bern und bei der Schweizer Tagsatzung sich geändert haben. Sind alle ihre alten Staatsmänner gestorben, daß unsere Bundesgenossen bartlose Knaben in ihre Berathungen ziehen?«

»Der Rath von Bern und die eidgenössische Tagsatzung,« sagte der Jüngling, theils aus Scham, theils um zu rechtfertigen, was er zuvor gesprochen, »gestatten den jungen Männern die Kenntniß ihrer Pläne, weil sie es sind, welche dieselben ausführen müssen. Der Kopf, der denkt, mag sich wohl der Hand vertrauen, die zuschlägt.«

»Nicht eher, als bis der Streich geführt wird, junger Mensch,« sagte Arnold Biedermann mit Ernst. »Was ist das für ein Rathsherr, der leichtfertig Staatsgeheimnisse vor Weibern und Fremden ausplaudert? Geht, Rudolph, und ihr Andern, und versuchet in männlichen Leibesübungen, wer am besten geeignet ist, unserem Lande zu dienen, ehe ihr euer Urtheil über Maßregeln loslegt, die man zu seinem Besten ergreift. – Haltet, junger Mensch,« fuhr er gegen Arthur gewendet fort, der sich erhoben hatte, »damit seid Ihr nicht gemeint; Ihr seid nicht an Bergreisen gewöhnt und habt Ruhe nöthig!«

»Mit Eurer Erlaubniß, Herr, nicht also,« sagte der ältere Fremde, »wir halten in England dafür, daß es, wenn wir durch eine Art von Anstrengung erschöpft sind, die beste Erholung sei, wenn wir uns zu einer andern Anstrengung wenden; so gibt z. B. Einem, der vom Gehen ermüdet ist, das Reiten mehr Erholung, als ein Flaumenbett. Und darum wird mein Sohn die Uebungen Eurer Söhne mitmachen, wenn es die jungen Leute erlauben wollen.«

»Er wird rohe Schulkameraden an ihnen finden,« antwortete der Schweizer, »aber es steht in Eurem Belieben.«

Die jungen Leute gingen also auf den freien Grasplatz vor dem Hause. Anna von Geierstein und einige der weiblichen Angehörigen des Hauses setzten sich auf eine Bank, um zu entscheiden, wer seine Sachen am besten machen würde. Die beiden Alten, die im Saale zurückgeblieben, hörten bald nachher Geschrei, lautes Gelächter und allen Lärm jugendlicher Gemüther, die mit männlichen Spielen beschäftigt sind; der Herr des Hauses griff wieder zur Weinflasche, füllte den Becher seines Gastes und goß den Rest in seinen eigenen.

»In einem Alter, würdiger Fremdling,« sagte er, »in welchem das Blut kälter fließt und das Denken schwerer wird, bringt ein mäßiger Trunk Wein lichte Gedanken zurück und macht die Glieder geschmeidig. Und doch möchte ich fast, daß Noah keine Trauben gepflanzt hätte, denn in den letzten Jahren habe ich mit eigenen Augen gesehen, daß meine Landsleute, wie ächte Deutsche, sich in Wein betranken, bis sie vollen Schweinen glichen, keiner Empfindung oder Bewegung, keines Gedankens mächtig.«

»Das ist ein Laster,« sagte der Engländer, »welches, wie ich bemerkt, in Eurem Lande um sich greift, und vor einem Jahrhundert völlig unbekannt war, wie ich gehört habe.«

»So war's,« sagte der Schweizer, »man baute nur wenig Wein im Lande und führte keinen von Außen ein; denn Niemand besaß die Mittel, solchen oder sonst etwas zu kaufen, was unsere Thäler nicht selbst hervorbringen. Aber unsere Kriege und Siege haben uns Reichthum und Ruhm erworben; und nach der Ansicht wenigstens eines Schweizers stände es ohne beide besser um uns, wenn wir nicht bei derselben Anstrengung auch Freiheit errungen hätten. Es ist übrigens etwas werth, daß der Handel dann und wann in unsere abgelegenen Berge einen verständigen Mann, wie Ihr, würdiger Gast, hereinbringt, den sein Gespräch als einen Mann von Einsicht und Urtheilskraft ausweist. Denn ob ich gleich die wachsende Neigung zu Schmucksachen und Spielereien keineswegs theile, die ihr Kaufleute einführt, so erkenne ich doch an, daß ein einfaches Bergvolk durch Männer, wie Ihr, mehr von der Welt um uns her lernen, als wir durch eigene Berührung uns aneignen könnten. Ihr müßt, sagt Ihr, nach Basel, und von da in's Lager des Herzogs von Burgund?«

»So ist's, mein werther Gastfreund,« sagte der Kaufmann, »vorausgesetzt, daß ich meine Reise mit Sicherheit machen kann.«

»An Eurer Sicherheit, guter Freund, ist nicht zu zweifeln, wenn Ihr Lust habt, zwei oder drei Tage zu warten; denn innerhalb dieser Zeit werde ich selbst die Reise machen, und zwar mit einem Geleite, das jede Gefahr verhindert. Ihr werdet in mir einen zuverlässigen und redlichen Führer finden, und ich werde von Euch Vieles über andere Länder erfahren, worüber mir eine bessere Kenntniß nöthig ist. Soll es gelten?«

»Der Vorschlag ist mir zu vortheilhaft, als daß ich ihn zurückweisen sollte,« sagte der Engländer, »darf ich aber nach dem Zweck Eurer Reise fragen?«

»Ich habe vorhin jenen Knaben gescholten,« antwortete Biedermann, »weil er unüberlegt und vor der ganzen Familie von Staatsangelegenheiten gesprochen; aber ich brauche unsere Nachrichten und meine Sendung nicht vor einem achtungswerthen Mann, wie Ihr, zu verbergen; denn Ihr müßtet doch beide bald aus dem öffentlichen Gerede erfahren. Ihr kennt ohne Zweifel den wechselseitigen Haß, der zwischen Ludwig XI. von Frankreich und Karl von Burgund besteht, den man den Kühnen nennt; und da Ihr diese Länder besucht habt, wie ich aus Eurem Gespräch entnommen, so seid Ihr wahrscheinlich wohl bekannt mit den verschiedenen Ursachen des Haders, welcher die Fürsten auch ohne ihren persönlichen Haß gegen einander zu unversöhnlichen Feinden macht. Nun bietet Ludwig, der in der Welt an List und Schlauheit seines Gleichen sucht, allen seinen Einfluß auf, um durch große Geldspenden an einige der Räthe unserer Nachbarn zu Bern, durch Geldlieferungen in die Schatzkammer dieses Staates selbst, durch Vorhaltung des Köders reicher Jahrgehalte an alte, und durch Aufreizung heftiger junger Männer die Berner in einen Krieg mit dem Herzog zu verwickeln. Karl seinerseits handelt, wie auch sonst häufig, gerade so, wie es Ludwig nur wünschen kann. Unsere Nachbarn und Bundesgenossen in Bern sind nicht, wie wir in den Waldkantonen, auf Viehzucht oder Ackerbau beschränkt, sondern treiben einen beträchtlichen Handel, welchen der burgundische Herzog zu wiederholten Malen durch die Erpressungen und Gewaltthätigkeiten seiner Beamten in den Grenzstädten unterbrochen hat, wie Ihr wohl wissen werdet.«

»Allerdings,« antwortete der Kaufmann, »das wird allgemein als muthwillige Quälerei angesehen.«

»Es wird Euch also nicht überraschen, daß in Folge der Aufreizung des einen und der Beeinträchtigung des andern Fürsten Bern und die Stadtkantone unseres Bundes, die wegen ihres größeren Reichthums und ihrer besseren Erziehung auf unserer Tagsatzung mehr zu sagen haben, als wir aus den Waldkantonen, im Stolz auf vergangene Siege und voll Begierde nach Vermehrung ihrer Macht, zum Kriege geneigt sind, aus welchem für die Republik bis daher glücklicherweise immer Siege, Reichthümer und Gebietsvergrößerungen hervorgegangen sind.«

»Und Ruhm, werther Gastfreund,« sagte Philipson, indem er ihn mit Begeisterung unterbrach; »ich wundere mich nicht, daß die Jugend Eurer Kantone sich eifrig nach neuen Kriegen drängt, da ihre früheren Siege so glänzend waren und so weit bekannt geworden sind.«

»Ihr seid kein kluger Kaufmann, mein guter Gast,« antwortete der Wirth, »wenn Ihr den Erfolg in früheren verzweifelten Unternehmungen für eine Aufmunterung zu künftiger Unbesonnenheit anseht. Wir wollen besseren Vortheil aus unsern Kriegen ziehen. Da wir für unsere Freiheit fochten, segnete Gott unsere Waffen, wird er es aber auch thun, wenn wir für Vergrößerung oder um das französische Geld kämpfen?«

»Ihre Zweifel sind nicht ungegründet,« versetzte der Kaufmann mit mehr Gelassenheit, »aber nehmet an, Ihr zöget das Schwert, um den drückenden Erpressungen Burgunds ein Ende zu machen!«

»Hört mich an, guter Freund,« antwortete der Schweizer, »es mag sein, daß wir in den Waldkantonen zu gering von Handelssachen denken, denen die Berner Bürger so viel Aufmerksamkeit schenken, aber wir werden unsere Nachbarn und Verbündeten bei einer gerechten Veranlassung zum Streit nicht verlassen, und es ist fast schon ausgemacht, daß eine Gesandtschaft an den Herzog von Burgund abgeschickt werden soll, um Abstellung der Beschwerden zu verlangen. An dieser Sendung soll ich nach dem Wunsch der gegenwärtig in Bern versammelten Tagsatzung Theil nehmen. Und daher die Reise, auf welcher Ihr mich begleiten sollt.«

»Es wird mir zu großem Vergnügen gereichen, in Eurer Gesellschaft zu reisen, würdiger Gastfreund,« sagte der Engländer. »Aber, so wahr ich ein aufrichtiger Mann bin, mich dünkt, Ihr gleicht an Haltung und Gestalt eher Einem, der eine Ausforderung überbringt, als einem Friedensboten.«

»Und ich möchte sagen,« versetzte der Schweizer, »daß Eure Sprache und Gesinnung, mein ehrenwerther Gast, eher dem Schwert, als dem Meßstock angehört.«

»Ich wurde zu den Waffen erzogen, werther Herr, ehe ich das Ellenmaß in die Hand nahm,« entgegnete Philipson und lächelte. »Es mag auch sein, daß ich noch immer mehr für mein altes Gewerbe eingenommen bin, als die Klugheit empfehlen dürfte.«

»Ich dachte es wohl,« sagte Arnold, »aber dann fochtet Ihr wahrscheinlich unter dem Banner Eures Vaterlandes gegen einen auswärtigen Landesfeind. In diesem Falle will ich zugeben, daß der Krieg etwas an sich hat, was das Herz über die Rücksichten erhebt, die man nothwendiger Weise auf das Unglück nehmen sollte, was Geschöpfe Gottes in einem solchen Kampf einander zufügen und von einander erleiden. Aber der Krieg, in welchem ich thätig war, hat keine so glänzende Außenseite. Es war der unglückliche Züricher Krieg, in welchem Schweizer ihre Piken gegen die Herzen ihrer eigenen Landsleute kehrten, und die Gnade ward in derselben sanften Bergsprache erbeten und versagt. Von solchen Erinnerungen sind wahrscheinlich Eure kriegerischen Rückblicke frei.«

Der Kaufmann ließ den Kopf sinken und drückte die Hand an die Stirn, wie Einer, dem die qualvollsten Gedanken plötzlich in's Gedächtniß gerufen werden. »Ach,« sagte er, »ich verdiene die Pein, die Eure Worte mir verursachen. Welch' Volk kann die Leiden Englands fassen, wenn es sie nicht selbst gefühlt hat? Welche Augen können sie berechnen, wenn sie nicht gesehen haben, wie das Land im Streit zweier wüthenden Parteien zerrissen worden, wie viel Blut geflossen ist, wie viele Schlachten in jeder Provinz geschlagen worden sind, wie die Ebenen voller Erschlagenen liegen und wie die Schaffote von Blut trieften. Selbst in Euren ruhigen Thälern müßt Ihr von den Bürgerkriegen in England gehört haben?«

»Ich entsinne mich wirklich,« sagte der Schweizer, »daß England seine Besitzungen in Frankreich verlor, während viele Jahre lang blutige innere Kriege wegen der Farbe einer Rose geführt wurden. – Nicht wahr? Aber das ist vorbei.«

»Für jetzt scheint es so,« antwortete Philipson.

Während er sprach, klopfte es an die Thüre. Der Hausherr rief »Herein!« die Thüre ging auf und mit einer Verbeugung, wie man sie in diesen Hirtenländern von jungen Leuten gegen ältere erwartet, zeigte sich die schöne Gestalt Anna's von Geierstein.



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