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Siebentes Kapitel.

Wer keinen Frieden will, den man ihm bot,
Den treff' in vollem Maß des Krieges Noth.
Und deutlich zeigt sich der dem Frieden abgeneigt,
Dem ein erprobter Freund die Hand umsonst gereicht.

Hoole's Tasso.

Das Vertrauen zwischen dem Landammann und dem englischen Kaufmann schien während der wenigen geschäftsvollen Tage zu wachsen, die vergingen, ehe der für den Beginn ihrer Reise an den Hof Karls von Burgund festgesetzte Tag herankam. Der Zustand Europa's und der helvetischen Eidgenossenschaft ist bereits angedeutet worden, aber zum klaren Verständniß unserer Geschichte mag es hier kürzlich nochmals des Näheren auseinander gesetzt werden.

Innerhalb der Woche, welche die englischen Reisenden auf Geierstein zubrachten, wurden Versammlungen oder Landtage sowohl von den Stadt- als den Waldkantonen der Verbindung gehalten. Die ersteren, gekränkt durch die Abgaben, welche der burgundische Herzog ihrem Handel auferlegte, und welche durch die Gewaltthätigkeiten der Beamten, die er zu solchen Bedrückungen verwendete, noch unerträglicher wurden, verlangten eifriger den Krieg, weil sie in einem solchen bis daher beständig Siege und Reichthümer gewonnen hatten. Viele von ihnen wurden noch insgeheim durch die Geschenke Ludwigs XI. zum Kriege aufgereizt; denn dieser sparte weder Umtriebe noch Geld, um einen Bruch zwischen den unerschrockenen Eidgenossen und seinem furchtbaren Feinde, Karl dem Kühnen, herbeizuführen.

Auf der anderen Seite gab es viele Gründe, die es für die Schweizer als eine Unklugheit erscheinen ließen, einen Krieg mit dem reichsten, unbiegsamsten und mächtigsten Fürsten Europa's zu beginnen. Denn das war Karl von Burgund ohne Frage. Dabei waren gewichtigere Gründe, die mit ihrer eigenen Ehre und Unabhängigkeit in Zusammenhang standen, noch gar nicht in Betracht gezogen. Jeder Tag brachte neue Nachrichten, daß Eduard der Vierte von England ein enges Schutz- und Trutz-Bündniß mit dem Herzog von Burgund eingegangen, und daß der englische König, der durch zahlreiche Siege über seine Nebenbuhler aus dem Hause Lancaster nach mancherlei Schicksalswechseln den unbestrittenen Besitz des Thrones erlangt hatte, die Absicht hege, seine Ansprüche auf diejenigen Provinzen Frankreichs wieder aufzunehmen, welche seine Vorfahren so lange besessen. Es schien, als wäre dies allein noch nöthig zu seinem Ruhm, und er werde jetzt nach Unterjochung seiner innern Feinde die Augen auf Wiedereroberung der reichen und kostbaren auswärtigen Besitzungen werfen, welche unter der Regierung des schwachen Heinrichs VI. und in den bürgerlichen Zwistigkeiten verloren gegangen waren, die man auf so schreckliche Art in den Kriegen zwischen der rothen und weißen Rose verfolgt hatte. Man wußte allgemein, daß der Verlust der französischen Provinzen in ganz England als eine Herabwürdigung der Nation empfunden werde, und daß nicht blos der Adel, der natürlich seine großen Lehen in der Normandie, der Gascogne, in Maine und Anjou verloren, sondern auch der kriegerische Mittelstand, der gewöhnt war, auf Kosten Frankreichs Ruhm und Reichthümer zu erwerben, und die feurigen Kriegsleute, deren Bogen so manche Schlacht entschieden hatten, eben so eifrig die Erneuerung des Streites wünschten, als ihre Vorfahren bei Crecy, Poitiers und Agincourt ihrem Fürsten auf die Siegesfelder gefolgt waren, auf welche ihre Thaten unsterblichen Ruhm gehäuft hatten.

Die letzte und bewährteste Nachricht besagte, daß der König von England auf dem Punkt stehe, in Person nach Frankreich zu gehen. Dieser Einfall wurde dadurch erleichtert, daß er Calais inne hatte; es hieß, er würde dies an der Spitze einer Armee thun, die an Zahl und Kriegskenntniß jeder überlegen sei, mit der je zuvor ein englischer Monarch dieses Königreich betreten; alle Anstalten dazu seien beendigt und man dürfe der Ankunft Eduards ohne Verzug entgegensehen. Daneben bedrohte die mächtige Mitwirkung des Herzogs von Burgund und der Beistand vieler mißvergnügter französischer Edelleute in den Provinzen, die so lange unter englischer Herrschaft gestanden, Ludwig XI. mit einem verderblichen Ausgang des Kriegs, so scharfsichtig und klug und mächtig auch dieser Fürst unstreitig war.

Es wäre für Karl von Burgund zweifelsohne das Klügste gewesen, wenn er kein Bündniß gegen seinen furchtbarsten Nachbar, gegen seinen erblichen sowohl als persönlichen Feind, eingegangen und Alles vermieden hätte, was der helvetischen Eidgenossenschaft Ursache zum Kriege geben konnte. Es war das ein armes, aber sehr kriegerisches Volk, und es hatte bereits durch wiederholte Siege erfahren, daß sein kühnes Fußvolk der Blüthe der Ritterschaft nicht nur gewachsen, sondern überlegen wäre, während man bisher in Europa die letztere für den Kern aller Heere gehalten hatte. Aber die Maßregeln Karls, welchem das Schicksal den verschlagensten und staatsklugsten Monarchen seiner Zeit entgegengestellt, wurden immer durch Leidenschaft und Laune, nicht von verständiger Berücksichtigung der Umstände, eingegeben. Hochmüthig, stolz und rücksichtslos, doch nicht ohne Ehrgefühl und Edelmuth, verachtete und haßte er das, was er den elenden Bund der Hirten und Schäfer und einiger Städte nannte, die hauptsächlich vom Handel lebten. Anstatt den Schweizer-Kantonen, gleich seinem listigen Feinde, zu schmeicheln oder ihnen doch keinen Scheinvorwand zum Hader zu geben, ließ er keine Gelegenheit vorbei, die Geringschätzung und Verachtung an den Tag zu legen, mit der er ihren emporkommenden Einfluß betrachtete. Er verbarg keineswegs, daß ihn insgeheim gelüste, an ihnen Rache zu nehmen für die Menge edlen Blutes, welches sie vergossen. Er wollte die wiederholten Erfolge wett machen, welche sie gegen ihre Lehensherren davongetragen, und glaubte sich dazu bestimmt, diese zu rächen.

Die Besitzungen des Herzogs von Burgund im Elsaß gaben ihm manche Gelegenheit, seinem Verdruß über den Bund der Schweizer den Lauf zu lassen. Das Schlößchen und Städtchen Ferrette, das zwei bis drei Meilen von Basel liegt, diente als Zwischenplatz des Handels von Bern und Solothurn, den zwei Hauptstädten der schweizerischen Eidgenossenschaft. Dahin legte der Herzog einen Statthalter oder Vogt, der auch die Einkünfte verwaltete, und blos zur Plage seiner republikanischen Nachbarn da zu sein schien.

Archibald von Hagenbach war ein deutscher Ritter, dessen Besitzungen in Schwaben lagen. Er galt allgemein für den heftigsten und gesetzlosesten unter dem Grenzadel, der unter dem Namen von Raubrittern und Raubgrafen bekannt ist. Diese hohen Herren erhoben, weil sie ihre Lehen von dem heiligen römischen Reich trugen, innerhalb ihres eine halbe Quadrat-Stunde großen Gebiets, Anspruch auf eben so vollständige Unumschränktheit, als ein regierender deutscher Fürst auf ausgedehnteren Besitzungen. Sie erhoben Zölle und Abgaben von Fremden; sie kerkerten ein, verhörten und verurtheilten Jeden, der auf ihrem winzigen Grund und Boden Verbrechen verübt haben sollte. Aber besonders und in weiterer Ausübung ihrer landesherrlichen Rechte, bekriegten sie sich unter einander und die freien Reichsstädte. Sie überfielen und plünderten ohne Gnade die Karavanen oder großen Wagenzüge, auf welchen der Binnenhandel von Deutschland geführt wurde.

Eine Reihe von Beleidigungen, die Archibald von Hagenbach, einer der eifrigsten Verfechter des Faustrechts, verübt, hatte damit geendet, daß er sich, obgleich schon ziemlich bejahrt, genöthigt sah, ein Land zu verlassen, in welchem er seines Lebens nicht mehr sicher war. Er hatte sich hierauf in den Dienst des Herzogs von Burgund begeben, und war von diesem willig aufgenommen worden, weil er ein Mann von hoher Abkunft und erprobter Tapferkeit war, vielleicht auch ebensowohl darum, weil Karl gewiß sein konnte, in Einem von Hagenbachs wilder, räuberischer und hochmüthiger Gesinnung den gewissenhaften Vollstrecker aller harten Maßregeln zu finden, die er zu erlassen für gut fand.

Die Kaufleute von Bern und Solothurn erhoben darum laute und heftige Klagen über Hagenbachs Handlungsweise. Die Auflage auf Gegenstände, welche durch seinen Bezirk La Ferrette kamen, mochten sie nun bestimmt sein, wohin sie wollten, wurden willkürlich vermehrt; die Kaufleute und Krämer, die einen Augenblick zauderten, das Geforderte zu bezahlen, setzten sich der Einsperrung und persönlichen Bestrafung aus. Die deutschen Handelsstädte wandten sich an den Herzog wegen des schändlichen Betragens seines Stellvertreters in La Ferrette, und verlangten von Seiner Gnaden Güte, daß er den von Hagenbach aus ihrer Nachbarschaft entfernen möchte. Aber der Herzog behandelte ihre Klage mit Verachtung. Die Schweizer Einigung ging in ihren Vorstellungen weiter und verlangte, daß dem Commandanten von La Ferrette sein Recht angethan werde, weil er das Völkerrecht verletzt habe. Aber sie reichten ebensowenig hin, um Beachtung oder Abhülfe zu erlangen.

Zuletzt beschloß die Tagsatzung der Eidgenossen, eine förmliche Gesandtschaft hinzuschicken, von der wiederholt die Rede gewesen ist. Einer oder zwei dieser Gesandten vereinten sich mit dem besonnenen und klugen Arnold Biedermann in der Hoffnung, daß ein so feierlicher Schritt dem Herzog die Augen über die Bosheit und Ungerechtigkeit seines Statthalters öffnen würde. Andere unter den Deputirten, die keine so friedlichen Absichten hegten, gedachten durch diese entschlossene Vorstellung den Weg für die Feindseligkeiten zu ebnen.

Arnold Biedermann war entschieden für den Frieden, so lange die Erhaltung desselben mit der Unabhängigkeit seines Landes und der Ehre der Eidgenossenschaft verträglich blieb; aber der junge Philipson entdeckte bald, daß der Landammann allein aus seiner ganzen Familie diese gemäßigte Ansicht unterhielt. Die Meinung seiner Söhne wurde beherrscht durch die hinreißende Beredtsamkeit und den unwiderstehlichen Einfluß Rudolphs von Donnerhügel, der durch einige besonders tapfere Thaten und das Ansehen, in welchem die Verdienste seiner Ahnen standen, im Rathe seines Geburtskantons und bei der eidgenössischen Jugend im Allgemeinen einen größeren Einfluß erlangt hatte, als von diesen weisen Republikanern gewöhnlich Leuten von seiner Jugend verstattet ward. Arthur, der jetzt ein willkommener Begleiter bei allen ihren Jagdpartien und anderen Spielen geworden war, hörte die jungen Leute von nichts als von der Aussicht auf den Krieg und von den Hoffnungen auf Beute und Auszeichnung sprechen, die sich die Schweizer machten. Die Thaten, welche ihre Vorfahren gegen die Deutschen verrichtet, waren so wunderbar gewesen, daß sie die fabelhaften Siege verwirklichten, die man in Romanzen besingt, und da das jetzige Geschlecht dieselben starken Glieder, denselben unbeugsamen Muth besaß, versprach es sich auch im Voraus denselben ausgezeichneten Erfolg. Wenn im Gespräch des Gouverneurs von La Ferrette Erwähnung geschah, wurde von ihm gewöhnlich als von dem burgundischen Fluchhund oder Elsaßer Bullenbeißer gesprochen, und man deutete offen an, daß Archibald von Hagenbach in seiner Veste keinen Schutz vor dem erwachten Zorn der beeinträchtigten Solothurner und Berner finden würde, wenn seinem Verfahren nicht alsbald durch seinen Herrn Einhalt gethan und er selbst von den Grenzen der Schweiz entfernt würde.

Von dieser allgemeinen kriegerischen Stimmung der Schweizer Jugend wurde dem älteren Philipson von seinem Sohne gesprochen, und er war einen Augenblick unschlüssig, ob er nicht lieber alle Unbequemlichkeiten und Gefahren einer Reise mit Arthur allein wieder aufnehmen, oder ob er sich der Gefahr aussetzen sollte, durch die ungestüme Jugend der Berge in Streitigkeiten verwickelt zu werden, wenn sie ihre eigenen Berge hinter sich hätten. Ein solches Ereigniß wäre dem eigentlichen Zweck seiner Reise völlig zuwider gewesen. Der englische Kaufmann schloß jedoch aus der Achtung, in welcher Arnold Biedermann bei seiner Familie und seinen Landsleuten stand, der Einfluß desselben werde im Stande sein, seine Begleiter zu zügeln, bis die große Frage über Krieg oder Frieden entschieden wäre, namentlich bis sie sich ihres Auftrages entledigt und sich bei dem Herzog von Burgund Gehör verschafft hätten. War dies geschehen, so wollte er sich von ihrer Gesellschaft trennen und sich nicht in eine Verantwortlichkeit für ihre ferneren Maßregeln verflechten.

Nach etwa zehn Tagen war die Gesandtschaft, die dem Herzog wegen der Erpressungen und Uebergriffe Archibalds von Hagenbach Vorstellungen zu machen beauftragt war, endlich auf Geierstein versammelt. Von da aus traten die Abgeordneten ihre Reise an. Es waren ihrer drei, außer dem jungen Berner und dem Landammann von Unterwalden. Einer davon, ein Gutsbesitzer aus den Waldkantonen, wie Arnold, trug eine Kleidung, kaum besser als die eines gewöhnlichen Hirten; er zeichnete sich aber durch die Schönheit und Größe seines langen Silberbartes aus und hieß Nikolaus Bonstetten. Melchior Sturmthal, der Bannerträger von Bern, ein Mann mittleren Alters und ein Krieger von vorzüglichem Muth, machte nebst Adam Zimmermann, einem schon bejahrten Solothurner Bürger, die Zahl der Gesandten voll.

Jeder hatte seine beste Kleidung an; aber obgleich das strenge Auge Arnold Biedermanns an einer oder zwei silbernen Gürtelschnallen und einer Kette vom nämlichen Metall etwas auszusetzen fand, die den stattlichen Solothurner schmückte, wurde gewiß ein mächtiges und siegreiches Volk – und das waren die damaligen Schweizer – nie durch Botschafter von mehr patriarchalischer Einfachheit vertreten. Die Abgeordneten reisten zu Fuß mit ihren spitzigen Stöcken in der Hand, wie Pilger, die nach einem Wallfahrtsort wandern. Zwei Maulthiere trugen ihren kleinen Vorrath von Gepäck und wurden von jungen Burschen geführt, Söhnen oder Verwandten der Gesandtschaftsmitglieder, denen man erlaubt hatte, einen Blick auf die Welt jenseits der Berge zu werfen, wie solches die Reise möglich machte.

So klein aber ihr Gefolge war, wenn man ihren Stand oder das Geleite der Einzelnen und die Bequemlichkeiten in Betracht zog, so erlaubten doch die gefährlichen Zeitläufte und der untergeordnete Zustand des Landes jenseits ihres eigenen Gebiets nicht, daß die Leute in so wichtigen Angelegenheiten ohne Schutzwache reisten. Schon die Gefahr vor Wölfen, die bei der Annäherung des Winters der Hunger aus ihren schützenden Bergen in die offenen Ortschaften heruntertrieb, in welchen die Reisenden ihre Herberge nehmen mußten, machte eine Bedeckung nothwendig. Auch die Haufen von Ausreißern aus mancherlei Diensten, die sich als Abteilungen von Banditen an den Grenzen von Deutschland und Elsaß herumtrieben, empfahlen eine solche Vorsicht.

Darum begleiteten etwa zwanzig auserlesene Jünglinge aus den verschiedenen Schweizerkantonen die Gesandtschaft, unter ihnen Rüdiger, Ernst und Siegmund, die drei ältesten Söhne Arnolds. Sie zogen übrigens nicht in militärischer Ordnung, marschirten auch nicht dicht oder nahe bei dem Zuge der Patriarchen; sie machten im Gegentheil Jagdstreifereien zu Fünf oder Sechs, und durchsuchten die Felsen, Wälder und Bergpässe, durch welche die Gesandten kamen. Der langsamere Schritt der Letzteren ließ den jungen Leuten, die von ihren großen zottigen Hunden begleitet wurden, Zeit genug, um Wölfe und Bären zu erlegen, oder dann und wann eine Gemse unter den Klippen zu überraschen. Dabei untersuchten sie bei der Verfolgung ihrer Jagd sorgfältig solche Stellen, die sich zu einem Versteck eigneten, und verschafften so den Männern, die sie geleiteten, mehr Sicherheit, als wenn sie in ihrer nächsten Nähe geblieben wären. Ein besonderer Ruf aus dem großen Schweizerhorn, das, wie schon gesagt, von dem Bergstier gewonnen wurde, war das Zeichen, auf welches man sich im Fall einer Gefahr zu sammeln übereingekommen war. Rudolph Donnerhügel, der viel jünger war, als seine Genossen bei dem nämlichen wichtigen Auftrag, übernahm den Befehl über diese Bergleibwache und begleitete sie gewöhnlich auf ihren Jagdausflügen. Mit Waffen waren sie wohl versehen; sie trugen zweihändige Schwerter, lange Partisanen und Spieße, Armbrüste und Bögen, kurze Hirschfänger und Jagdmesser. Die schwereren Waffen wurden, als ihren Bewegungen hinderlich, mit dem Gepäck fortgeschafft, konnten aber bei der geringsten Beunruhigung zur Hand genommen werden.

Arthur Philipson zog natürlich, wie sein neulicher Gegner, die Gesellschaft und die waidmännische Unterhaltung der jüngeren Leute dem ernsten Gespräch und langsamen Schritt der Väter des Gebirgsfreistaats vor. Es gab indessen eine Versuchung, beim Gepäck zu bleiben, welche, wenn es die Umstände gestattet hätten, den jungen Engländer dazu gebracht haben würde, auf die Jagd Verzicht zu thun, der die Schweizer Jünglinge so eifrig nachgingen, und sich den langsamen Schritt und das ernste Gespräch der älteren Männer gefallen zu lassen. Mit einem Wort, Anna von Geierstein reiste mit einem Schweizermädchen, ihrer Dienerin, im Nachtrab der Gesellschaft.

Die zwei Frauenzimmer ritten auf Eseln, die mit ihrem langsamen Gang kaum den Maulthieren nachkamen, welche das Gepäck trugen; und man darf wohl vermuthen, daß Arthur Philipson zur Vergeltung der wichtigen Dienste, die er von dem reizenden Mädchen empfangen, es für keine zu große Mühe gehalten haben würde, ihr gelegentlich auf der Reise seinen Beistand zu leisten oder durch seine Unterhaltung die Langeweile der Reise zu verkürzen. Aber er wagte nicht, ihr Aufmerksamkeiten anzubieten, welche die Landessitte nicht zu gestatten schien, da solche weder von einem der Vettern des Mädchens, noch selbst von Rudolph Donnerhügel versucht wurden. Und doch hatte der Letztere bisher keine Gelegenheit versäumt, um sich seiner schönen Base zu empfehlen. Ueberdies hatte Arthur Ueberlegung genug, um zu wissen, daß er sich durch Nachgiebigkeit gegen die Gefühle, die ihn zur ferneren Unterhaltung der Bekanntschaft mit dem liebenswürdigen Mädchen trieben, gewiß dem ernsten Mißfallen seines Vaters und wahrscheinlich auch ihres Oheims aussetzen würde. Und doch hatte er bei diesem Gastfreundschaft genossen und erfreute sich jetzt seines sicheren Geleites.

Der junge Engländer überließ sich also denselben Belustigungen, wie die andern jungen Leute der Gesellschaft, und wagte blos, so oft es ein Halt gestattete, dem Mädchen solche Zeichen von Höflichkeit zu geben, die weder zu Bemerkungen noch zum Tadel Veranlassung geben konnten. Und da sein Ruf als Jäger nunmehr allgemein anerkannt war, so erlaubte er sich, wenn auch die Jagd im Gange war, in der Nähe des Weges zu bleiben, auf welchem er wenigstens die Umrisse ihrer Gestalt und das Flattern ihres grauen Schleiers sehen konnte. Diese anscheinende Unempfindlichkeit wurde ihm von seinen Genossen nicht ungünstig gedeutet, und blos für Gleichgültigkeit gegen das weniger edle oder weniger gefährliche Wild gehalten. Denn wenn es sich von einem Bären, einem Wolf oder anderen Raubthier handelte, so war kein Spieß, kein Hirschfänger oder Bogen in der Gesellschaft, nicht einmal der Rudolph Donnerhügels, so schnell bei der Hand, wie der des jungen Engländers.

Der ältere Philipson hatte mittlerweile andere und ernsthaftere Gegenstände zu überlegen. Wie der Leser schon gesehen haben muß, war er ein Mann von großer Weltkenntniß und hatte schon Rollen gespielt, ganz verschieden von der, die er gegenwärtig durchführte. Beim Anblick der Jagd wurden Gefühle in ihm rege, die er in früheren Jahren wohl gekannt. Das Lärmen der Hetzhunde, wie es in den wilden Bergen und dichten Forsten wiederhallte, durch welche die Reise ging, der Anblick der rüstigen Jäger, wenn sie den Gegenstand ihrer Verfolgung mitten in luftigen Klippen und tiefen Gründen zum Schuß brachten, welche dem Fuß des Menschen unzugänglich schienen; der Hallo- und Hornruf, den Berg nach Berg zurückwarf, hatte ihn mehr als einmal in die Versuchung gebracht, an der gefährlichen, aber erfrischenden Unterhaltung Theil zu nehmen, welche damals im größten Theil von Europa nach dem Kriege die wichtigste Beschäftigung ausmachte. Aber das Gefühl war vorübergehend, und es zog ihn noch mehr an, die Sitten und Ansichten der Personen kennen zu lernen, mit welchen er reiste. Sie schienen alle etwas von der aufrichtigen und derben Einfachheit zu besitzen, welche Arnold Biedermann auszeichnete, aber in keinem von ihnen erhob sie sich zu demselben Ernst der Gedanken oder zu seinem tiefen Scharfblick. Im Gespräch über den politischen Zustand ihres Vaterlandes hatten sie keine Geheimnisse, und obgleich, mit Ausnahme Rudolphs, ihre jungen Leute nicht zu ihren Berathungen zugelassen wurden, schien doch die Ausschließung blos stattzufinden, damit die Jünglinge in der nöthigen Achtung gegen das Alter erhalten würden, nicht aber in der Absicht, ihnen etwas zu verbergen. In Gegenwart des älteren Philipson sprachen sie ohne Scheu von den Anmaßungen des Herzogs von Burgund, von den Mitteln, die das Land zu Aufrechthaltung seiner Unabhängigkeit biete und von dem festen Entschluß der helvetischen Eidgenossenschaft, der äußersten Gewalt, welche die Welt gegen sie aufzubringen vermöchte, Trotz zu bieten, ehe sie sich die geringste Beleidigung gefallen ließe. In anderen Beziehungen schienen ihre Ansichten verständig und gemäßigt. Nur der Bannerherr von Bern und der eingebildete Bürger von Solothurn nahmen die Folgen eines Krieges leichter auf, als der umsichtige Landammann von Unterwalden und sein ehrwürdiger Gefährte Nikolaus Bonstetten, der allen Ansichten Biedermanns beipflichtete.

Es geschah häufig, daß diese Gegenstände verlassen wurden und das Gespräch auf Dinge sich wandte, die ihre Reisegenossen weniger anzogen. Die Anzeichen des Wetters, die Fruchtbarkeit der verschiedenen Jahreszeiten, die vortheilhafteste Art, ihre Baumgärten anzulegen und ihre Ernten einzuheimsen, zog wohl die Bergbewohner an, gab aber Philipson weniger Unterhaltung, und obschon der treffliche Herr Zimmermann von Solothurn sich herzlich gerne mit ihm in ein Gespräch über Handel und Handelsgegenstände eingelassen hätte, so konnte doch der Engländer, der blos mit Sachen von geringer Größe und großem Werth handelte, und dabei Land und See durchzog, nur wenig Stoff zur Besprechung mit dem Schweizer finden, dessen Verkehr blos auf die nächsten Gegenden von Burgund und Deutschland sich beschränkte, und dessen Güter in groben Wollentüchern, Barchent, Fellen, Pelzwerk und solchen gewöhnlichen Dingen bestanden.

Manchmal aber, und während die Schweizer von unbedeutenden Handelsvortheilen sprachen oder ein Verfahren im Ackerbau beschrieben, oder vom Brand im Korn und von Viehseuchen mit all der schwerfälligen Genauigkeit kleiner Pächter und Krämer redeten, die sich auf einem Jahrmarkt treffen, rief ein wohlbekannter Platz Namen und Geschichte einer Schlacht in's Gedächtniß, in welcher Einer oder der Andere gefochten. Keiner war in der Gesellschaft, der nicht mehrmals die Waffen getragen. Die militärischen Erörterungen, welche in anderen Ländern blos von Rittern und Knappen, die an einem Treffen Theil genommen, oder von gelehrten Schreibern besprochen wurden, die sich damit beschäftigten, solche aufzuzeichnen, waren in diesem seltsamen Lande wohl bekannte und vertraute Gesprächsgegenstände unter Männern, deren friedliche Beschäftigungen sie in eine unermeßliche Entfernung von dem Beruf eines Soldaten zu bringen schienen. Dies erinnerte den Engländer an die alten Römer, die den Pflug so leicht mit dem Schwert und den kunstlosen Anbau des Landes mit der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten vertauschten. Er wies auf diese Aehnlichkeit den Landammann hin, der natürlich Vergnügen an dem Lobe seines Vaterlandes fand, aber gleich erwiderte: »Der Himmel erhalte uns die häuslichen Tugenden der Römer und bewahre uns vor ihrem Hang zu Eroberungen und vor ihrer Liebe zu der Ueppigkeit des Auslandes.«

Der langsame Schritt der Reisenden und verschiedene Ursachen, bei denen wir uns nicht aufzuhalten brauchen, veranlaßten die Gesandtschaft, zweimal zu übernachten, ehe sie Basel erreichten. In den kleinen Städten oder Dörfern, in welchen sie sich einlagerten, wurden sie mit allen Beweisen achtungsvoller Gastfreundlichkeit aufgenommen, deren Darlegung die Mittel verstatteten, und ihre Ankunft war überall das Zeichen zu einem kleinen Gastmahl, mit dem sie von den Häuptern der Gemeinde bewirthet wurden.

Bei solchen Gelegenheiten und während die Aeltesten des Orts die Stellvertreter der Eidgenossenschaft unterhielten, nahmen sich der jungen Leute von der Bedeckung Andere von demselben Alter an. Einige waren von ihrer Ankunft unterrichtet, begleiteten sie gewöhnlich einen Tag auf der Jagd und machten die Jäger mit den Stellen bekannt, wo das Wild am häufigsten war.

Diese Schmausereien wurden nie bis zum Uebermaß fortgesetzt, und als vorzüglichste Leckerbissen kamen dabei Ziegen-, Lamm- und Wildfleisch, Erzeugnisse der Gebirge, vor. Doch schien es Arthur Philipson und seinem Vater, daß die guten Bissen von dem Berner Bannerherrn und dem Solothurner Bürger mehr gelobt wurden, als von ihrem Wirthe, dem Landammann und dem Gesandten von Schwyz. Es wurde dabei keine Ausschweifung begangen, wie wir schon gesagt haben; aber die zuerst genannten Abgeordneten verstanden die Kunst, die vorzüglichsten Bissen auszuwählen, und waren Kenner guter Weine, besonders von ausländischem Gewächs, mit denen man jene hinunterspülen konnte. Arnold war zu verständig, um zu tadeln, was er nicht verbessern konnte. Er begnügte sich, für seine eigene Person eine strenge Mäßigkeit zu beobachten, und lebte meist blos von Pflanzenspeisen und lauterem Wasser. Dabei ward er von dem alten, graubärtigen Nikolaus Bonstetten genau nachgeahmt, der es sich zu seiner besonderen Aufgabe gemacht zu haben schien, des Landammanns Beispiel in allen Dingen zu folgen.

Es war, wie wir bereits gesagt, der dritte Tag der Reise, an welchem die Schweizer Gesandtschaft in die Nähe von Basel kam. In dieser Stadt, damals einer der größten im südwestlichen Theile von Deutschland, gedachten sie zu übernachten. Die Stadt war freilich damals noch nicht Mitglied der schweizerischen Eidgenossenschaft, sondern trat erst 1501, also etwa vierzig Jahre nachher, in dieselbe; aber sie war eine freie Reichsstadt und stand mit Bern, Solothurn, Luzern und anderen Schweizerstädten durch wechselseitigen Handelsvortheil in beständigem Verkehr. Es war der Zweck der Gesandtschaft, wo möglich einen Frieden zu unterhandeln. In Anbetracht der Unterbrechungen des Handels, welche die Folge eines Bruchs zwischen dem Herzog von Burgund und den Kantonen sein mußten, und des großen Vortheils, den die Erhaltung der Neutralität der Stadt Basel verschaffte, mußte ihr ein solcher Friede bei ihrer Lage zwischen den feindlichen Mächten eben so viel Vortheil bringen, als den Schweizern. Diese erwarteten also einen eben so herzlichen Empfang von Seiten der Basler, als ihnen innerhalb der Grenzen der Eidgenossenschaft zu Theil geworden war, da der Vortheil der Stadt in so enger Verbindung mit dem Gegenstand ihrer Sendung stand. Das nächste Kapitel wird zeigen, in wie weit diese Hoffnungen verwirklicht wurden.



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