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Sechszehntes Kapitel.

Herunter mit dem schuld'gen Haupt des Somerset!

Heinrich VI. 3. Theil.

Der Statthalter von La Ferrette stand auf den Zinnen des östlichen Eingangsthurmes seiner Veste und blickte auf die Straße nach Basel hin, als zuerst der Vortrab der Schweizer Gesandtschaft, dann die Mitte und der Nachzug in der Ferne sich zeigten. Im selben Augenblick hielt der Vortrab an, die Hauptabtheilung schloß sich auf, die Frauen und das Gepäck und die Maulthiere im Nachtrabe rückten ihrerseits mit dem größeren Zuge zusammen, und das Ganze war in einen Haufen vereinigt.

Jetzt trat ein Diener vor und ließ eines der ungeheuern Hörner ertönen, die man dem Auerochsen abgewinnt. Derselbe war im Kanton Uri so häufig, daß man vermuthet, er habe diesem Namen seine Entstehung gegeben.

»Sie verlangen Einlaß,« sagte der Knappe.

»Sie sollen ihn haben,« antwortete Archibald von Hagenbach. »Wie sie aber wieder hinauskommen, ist eine andere und unentschiedenere Frage.«

»Bedenkt es doch einen Augenblick, edler Herr,« fuhr der Knappe fort. »Ueberleget wohl, die Schweizer sind wahre Teufel im Gefecht und haben überdies keine Beute, um den Sieg zu bezahlen – ein paar schlechte Ketten von gutem Kupfer vielleicht, oder von verfälschtem Silber. Ihr habt ihnen das Mark ausgepreßt – beschädigt Eure Zähne nicht dadurch, daß Ihr den Knochen zu zermalmen versucht.«

»Du bist ein Narr, Kilian,« erwiderte der Hagenbacher, »und es mag auch Feigheit dabei im Spiel sein. Die Annäherung von etlichen vierzig oder höchstens fünfzig Schweizer Partisanen macht, daß du deine Hörner einziehst, wie eine Schnecke vor dem Finger eines Kindes. Die meinen sind stark und unbeugsam wie die des Urs, von dem sie soviel sprechen und die sie so unverschämt blasen. Erwäg' einmal, du furchtsames Geschöpf, daß die Schweizer Abgeordneten, wie sie sich vermessener Weise nennen, wenn ich sie frei durchziehen lasse, dem Herzog Geschichten von Kaufleuten erzählen, die an seinem Hof erscheinen sollen und mit kostbaren, an Seine Gnaden besonders adressirten Gegenständen beladen sind. Dann hat Karl die Anwesenheit der Gesandten zu ertragen, welche er verachtet und haßt, und erfährt durch sie, daß der Statthalter von La Ferrette, ob er gleich ihnen Durchzug gestattet, doch sich unterstanden hat, die aufzuhalten, die er sehr gern sehen würde. Denn welcher Fürst würde nicht ein Kästchen fröhlich willkommen heißen, wie das, welches wir jenem herumziehenden Krämer abgenommen haben?«

»Ich kann nicht absehen, wie durch einen Angriff auf diese Gesandten Euer Edeln Entschuldigung wegen der Plünderung des Engländers verbessert werden sollte,« – sagte Kilian.

»Weil du ein blinder Maulwurf bist, Kilian,« entgegnete sein Herr. »Wenn Burgund von einem Streit zwischen meiner Besatzung und den Lümmeln aus den Bergen hört, die er verspottet und doch haßt, so wird jede Nachricht von den zwei Krämern, die bei dem Kampf umgekommen sind, darunter verschwinden. Wenn eine Nachuntersuchung angestellt werden sollte, so versetzt mich ein Ritt von einer Stunde auf kaiserliches Gebiet, und dort wird mir, obgleich der Kaiser ein kopfloser Narr ist, der reiche Fang, den ich bei diesen Insulanern gemacht, eine gute Aufnahme sichern.«

»Ich will bei Euch, gnädiger Herr, ausharren bis an's Ende,« entgegnete der Knappe, »und Ihr sollt Euch überzeugen, daß ich keine Memme bin, wenn auch ein Narr.«

»Ich habe dich nie dafür gehalten, wenn es zum Handgemenge kam,« sagte Hagenbach, »aber wenn es sich von einem listigen Verfahren handelt, bist du furchtsam und unentschlossen. Reich' mir meinen Harnisch und gib Acht, daß du ihn gut schnallst. Die Schweizer Piken und Schwerter sind keine Wespenstacheln.«

»Möge sie Euer Edeln mit Ehre und Nutzen tragen,« sagte Kilian, und legte, wie es seinem Dienste zukam, seinem Herrn die vollständige Rüstung eines Reichsritters an. »Eure Absicht, die Schweizer anzugreifen, steht also fest?« fragte er. »Aber was für einen Vorwand werdet Ihr angeben, gnädiger Herr?«

»Verlaß dich darauf,« sprach Archibald von Hagenbach, »daß ich einen ergreife oder einen mache. Sorge nur, daß Schönfeld und die Soldaten an ihren Posten bleiben, und erinnere dich, das Losungswort ist – »Burgund zur Rettung.« Werden diese Worte zuerst gesprochen, so müssen sich die Soldaten zeigen – werden sie wiederholt, so müssen sie angreifen. Und jetzt, da ich gerüstet bin, fort zu den Bauern, und laß sie herein!«

Kilian entfernte sich mit einer Verbeugung.

Das Horn der Schweizer hatte zu wiederholten Malen sein zorniges Brüllen hören lassen. Sie waren erbittert über einen halbstündigen Aufschub, während dessen keine Antwort aus dem bewachten Thor von La Ferrette erfolgte, und jeder Stoß bewies durch das verlängerte Echo, das er hervorrief, die steigende Ungewißheit derer, welche die Stadt aufforderten. Zuletzt stieg das Fallgatter in die Höhe, das Thor ging auf, die Zugbrücke fiel, und Kilian, im Aufzug eines zum Treffen gerüsteten Reisigen, ritt auf einem Klepper im Schritt vorwärts.

»Was seid ihr für kecke Leute, ihr Herren, daß ihr hier in Waffen vor der Veste La Ferrette haltet, über welche Recht und Herrschaft dem dreimal edlen Herzog von Burgund und Lothringen zusteht, und welche ihm zu Nutz und Frommen der treffliche Herr Archibald, Freiherr von Hagenbach, des heiligen römischen Reichs Ritter, besetzt hält?«

»Mit Eurem Wohlnehmen, Herr Knappe,« sprach der Landammann, »denn einen solchen vermuthe ich in Euch nach der Feder an Eurer Mütze, wir sind hier nicht in feindseliger Absicht, obgleich bewaffnet, wie Ihr seht, um uns auf einer gefahrvollen Reise zu vertheidigen, auf der wir bei Tage etwas unsicher sind und bei Nacht nicht immer an zuverlässigen Orten ruhen können. Aber mit unseren Waffen beabsichtigen wir keinen Angriff; wäre das, so würde unsere Anzahl nicht so gering sein, als Ihr sie vor Euch seht.«

»Welches ist denn Euer Stand und Eure Absicht?« fragte Kilian, der gelernt hatte, in seines Herrn Abwesenheit die herrische und unverschämte Sprache des Statthalters selbst zu führen.

»Wir sind Abgeordnete,« gab der Landammann in ruhigem und gleichmüthigem Ton zur Antwort, ohne dem Anschein nach das freche Betragen des Knappen für beleidigend aufzunehmen oder zu beachten, »von den freien und verbündeten Kantonen der Schweizer Staaten und Provinzen und von der guten Stadt Solothurn; wir sind von unserer gesetzgebenden Tagsatzung bevollmächtigt, vor Seine Gnaden, den Herzog von Burgund, in einer Botschaft von hoher Wichtigkeit für beide Länder zu ziehen, und haben die Hoffnung, mit Eures Meisters Herrn – ich meine mit dem edlen Herzog von Burgund, einen sichern, steten und festen Frieden auf solche Bedingungen abzuschließen, wie sie die Ehre und der Vortheil beider Länder heischen, und Streitigkeiten und die Vergießung von Christenblut abzuwenden, welches sonst aus Mangel an einem zeitigen und guten Verständniß stattfinden könnte.«

»Zeigt mir Eure Beglaubigungsschreiben,« sagte der Knappe.

»Wollet verzeihen, Herr Knappe,« versetzte der Landammann, »es wird Zeit genug sein, dieß vorzulegen, wenn wir vor Eurem Herrn, dem Statthalter, stehen.«

»Das will so viel sagen, ihr wolltet wohl, wenn ihr wolltet. Es ist gut, meine Herren. Und doch möget ihr von Kilian von Kersberg den Rath hinnehmen, daß es manchmal besser ist, umzukehren, als weiter zu gehen. – Mein Herr und meines Herrn Herr sind kitzlichere Leute, als die Krämer von Basel, an die ihr eure Käse verkauft. Geht heim, ihr guten Männer, geht heim! Euer Weg liegt vor euch und ihr seid ordentlich gewarnt.«

»Wir danken dir für deinen Rath,« sagte der Landammann, und unterbrach damit den Bannerherrn von Bern, der eine zornige Erwiderung begonnen hatte, »falls er gut gemeint ist; wenn nicht, so ist ein unhöflicher Spaß einem überladenen Geschütz gleich, das auf den Kanonier zurückprallt. Unsere Straße geht vorwärts durch La Ferrette, und vorwärts haben wir zu gehen im Sinn. Dabei nehmen wir das Geschick, wie wir es vor uns finden.«

»Also geht vorwärts, in des Teufels Namen,« schrie der Knappe, der sich einigermaßen Hoffnung gemacht hatte, er könnte sie von der Fortsetzung ihrer Reise abschrecken, dieselbe aber getäuscht sah.

Die Schweizer traten in die Stadt ein und hielten bei der Wagenburg an, welche der Statthalter über die Straße herüber, etwa zwanzig Klafter vom Thor entfernt, gebildet hatte. Sie stellten sich in militärischer Ordnung auf; ihr kleiner Haufen bildete dabei drei Linien, und die Väter der Gesandtschaft befanden sich nebst den beiden Frauenzimmern in der Mitte. Die kleine Schaar bot eine doppelte Fronte dar, eine auf jede Seite der Straße gerichtet; die Mittellinie schaute gerade aus, um vorwärts zu gehen, und wartete dazu blos auf die Entfernung des Hindernisses. Während sie aber so unthätig dastanden, schritt ein Ritter in völliger Rüstung aus einem Seitenthor des großen Thurmes hervor, durch dessen Bogen sie in die Stadt eingezogen waren. Er hatte das Visier aufgeschlagen und schritt mit finsterer und gerunzelter Stirne vorn an der kleinen Linie hin, welche die Schweizer bildeten.

»Wer seid ihr,« sprach er, »daß ihr euch in Waffen in eine Burgundische Festung eindränget?«

»Wir sind, mit Eurer Edeln Erlaubniß,« erwiderte der Landammann, »Männer, die mit friedlicher Botschaft kommen, obgleich wir zu unserer eigenen Vertheidigung Waffen tragen. Abgeordnete sind wir der Städte Bern und Solothurn, der Kantone Uri, Schwyz und Unterwalden, um Angelegenheiten von Bedeutung mit Seiner Gnaden, dem Herzog von Burgund und Lothringen, zu schlichten.«

»Welche Städte, welche Kantone?« sagte der Statthalter von La Ferrette. »Ich habe von keinen solchen Namen unter den freien Städten in Deutschland gehört. – Bern, wahrhaftig! wann ist Bern ein Freistaat geworden?«

»Seit dem einundzwanzigsten Heumonat,« antwortete Arnold Biedermann, »im Jahr der Gnade eintausend dreihundert und neununddreißig, da die Schlacht bei Laupen geschlagen ward.«

»Weg, eitler, alter Mann,« sagte der Ritter, meinst du, solche leere Prahlereien werden dir hier etwas nützen? Wir haben allerdings von einigen aufgestandenen Dörfern und Gemeinden in den Alpen gehört, wie sie sich gegen den Kaiser empörten und wie sie mit Hülfe von festen Orten, Hinterhalten und Verstecken ein paar Ritter und Edelleute ermordeten, welche der Herzog von Oesterreich gegen sie geschickt; aber wir dachten kaum, daß solche elende Stadtgemeinden und unbedeutende Meuterbanden die Unverschämtheit haben würden, sich selbst Freistaaten zu nennen, und sich vornehmen könnten, in Unterhandlung zu treten mit einem so mächtigen Fürsten, wie Karl von Burgund.«

»Möge mir Euer Edeln verstatten,« entgegnete der Landammann mit völliger Ruhe, »zu sagen, was Eure eigenen Ritterschaftsgesetze erklären. Wenn der Stärkere einem Schwächeren Unrecht zufügt oder der Adelige einen weniger Edeln beleidigt, so hebt gerade eine solche Handlung den Unterschied zwischen ihnen auf, und der Beleidiger ist gehalten, gehörige Genugthuung zu geben, wie solche der beschädigte Theil erheischt.«

»Fort in deine Berge, Bauer!« schrie der übermüthige Ritter; »fort! kämme deinen Bart und röste deine Kastanien. Weil ein paar Ratten und Mäuse einen Zufluchtsort hinter den Mauern und dem Getäfel unserer Wohnungen finden, sollen wir deßhalb zugeben, daß sie uns ihre widerliche Gegenwart und ihre Aeußerungen von Freiheit und Unabhängigkeit aufdrängen? Nein, eher wollen wir sie mit dem Absatz unserer eisenbeschlagenen Stiefel zerquetschen.«

»Wir sind keine Leute, auf denen man herumtreten kann,« gab Arnold Biedermann ruhig zur Antwort. »Die, welche es versuchten, haben Steine des Anstoßes gefunden. Laßt, Herr Ritter, laßt einen Augenblick diese hochmüthige Sprache bei Seite, die blos zum Kriege führen kann, und horcht auf die Worte des Friedens. Entlaßt unseren Kameraden, den englischen Kaufmann Philipson, an den Ihr diesen Morgen gegen alles Gesetz die Hände gelegt habt; laßt ihn eine mäßige Summe als Lösegeld zahlen, und wir, die wir augenblicklich vor den Herzog müssen, werden ihm einen günstigen Bericht von seinem Statthalter zu La Ferrette abstatten.«

»So großmüthig wollt ihr sein, wirklich?« sagte Herr Archibald in spöttischem Tone. »Und welches Pfand wollt ihr mir geben, daß ihr so gnädig mit mir verfahren wollet, wie ihr vorschlaget?«

»Das Wort eines Mannes, der nie seine Zusage gebrochen,« entgegnete der Landammann mit der alten Gelassenheit.

»Unverschämter Bauer!« versetzte der Ritter, »ist es an dir, mir etwas vorzuschreiben? Du bietest dein elendes Wort als Pfand an zwischen dem Herzog von Burgund und Archibald von Hagenbach? Wisse, daß ihr gar nicht nach Burgund gehen werdet, außer etwa mit Fesseln an den Händen und Stricken um die Hälse. – Auf, Burgund zur Rettung!«

Kaum hatte er dieß ausgesprochen, so zeigten sich die Söldner von hinten und rund um den engen Raum, auf dem sich die Schweizer aufgestellt hatten. Die Zinnen der Stadt wurden von Männern besetzt, andere erschienen an den Thüren jedes Hauses in der Straße zum Ausfall bereit, und wieder andere an den Fenstern zum Schießen mit Feuergewehren sowohl als mit Bögen und mit Armbrüsten gerüstet. Auch die Söldner, welche die Wagenburg vertheidigten, erhoben sich und schienen den Durchgang vorn streitig machen zu wollen. Der kleine Haufe, umringt, und durch die Zahl überwältigt, aber weder erschreckt noch entmuthigt, ergriff die Waffen. Das Mitteltreffen unter dem Landammann bereitete sich, durch die Wagenburg eine Bahn zu brechen. Die zwei Seitenlinien stellten sich Rücken an Rücken, um denen die Straße streitig zu machen, welche aus den Häusern hervorbrechen sollten. Es konnte nicht fehlen, viel Blut mußte fließen, keine geringe Arbeit mußte es werden, bis selbst eine fünfmal stärkere Anzahl diese Handvoll entschlossener Männer bezwang. Herr Archibald mochte dieß vielleicht einsehen, denn er verschob es noch, das Zeichen zum Angriff zu geben, als plötzlich von hinten ein Geschrei entstand: »Verrätherei! Verrätherei!«

Ein Soldat, mit Schmutz bedeckt, stürzte vor den Statthalter und sagte in eiligen Worten, daß er, bei einem Versuch, einen Gefangenen aufzuhalten, der vor Kurzem entflohen sei, von den Bürgern ergriffen und beinahe im Graben erstickt worden wäre. Er fügte hinzu, die Bürger ließen so eben den Feind in den Platz herein.

»Kilian,« sprach der Ritter, »nimm vierzig Mann und eile an das nördliche Thor; stich, hau nieder oder wirf von den Zinnen, wem du in Waffen begegnest, Stadtleute oder Fremde. Ueberlaß es mir, mit diesen Bauern im Guten oder Bösen fertig zu werden.«

Noch ehe Kilian seines Herrn Befehlen gehorchen konnte, erhob sich hinten ein Geschrei und der Ruf: Basel! Basel! – Freiheit! Freiheit! – Der Tag ist unser!

Und vorwärts drang die Jugend von Basel, die nur so weit entfernt gewesen war, daß Rudolph sie zurückzurufen vermocht hatte – vorwärts drangen viele Schweizer, die sich in der Nähe der Gesandtschaft und für ein solches Stück Arbeit bereit gehalten hatten; und vorwärts drangen die bewaffneten Einwohner von La Ferrette, welche der tyrannische Hagenbach gezwungen, zu den Waffen zu greifen und die Wache zu beziehen. Sie ergriffen die Gelegenheit, die Basler durch das Thor hereinzulassen, durch welches Philipson kürzlich entwischt war.

Die Besatzung, welche das entschlossene Auftreten der Schweizer, die der Uebermacht trotzten, zuvor schon in Etwas entmuthigt, verlor bei diesem neuen und unerwarteten Aufstand alle Fassung. Die meisten von ihnen hatten mehr Lust zu fliehen als zu fechten, und warfen sich haufenweise von den Mauern, um so auf die beste Art zu entkommen. Kilian und einige Andere, die der Stolz von der Flucht zurückhielt, und die Verzweiflung hinderte, um Gnade zu bitten, fochten wie Rasende und wurden auf der Stelle getödtet. Mitten in dieser Verwirrung erhielt der Landammann seine eigene Schaar in Unthätigkeit, und gestattete ihnen nicht, Antheil an dem Vorgange zu nehmen, außer wenn es galt, Gewalt zurückzutreiben, die ihnen angethan wurde.

»Steht Alle unbeweglich!« erschallte die tiefe Stimme Arnold Biedermanns unter dem kleinen Häuflein. »Wo ist Rudolph? Wehrt euch für euer Leben, aber nehmet keins. – Was gibt's da, Arthur Philipson? Steht still, sag' ich.«

»Ich kann nicht stillstehen,« sagte Arthur, der im Begriff stand, die Reihen zu verlassen. »Ich muß meinen Vater in den Verließen suchen; sie könnten ihn in der Verwirrung tödten, während ich hier müssig stehe.«

»Bei unserer lieben Frau von Einsiedeln, Ihr habt Recht,« antwortete der Landammann, »daß ich meinen edlen Gast vergessen konnte! Ich will dir suchen helfen, Arthur – der Aufruhr scheint fast beendet. – Heda, Herr Bannerträger, würdiger Adam Zimmermann, mein guter Freund Nicolaus Bonstetten, haltet unsere Leute in Ordnung und an ihren Plätzen. Mischt euch nicht in diesen Aufruhr, sondern laßt die Basler ihre Handlungen verantworten. Ich kehre in ein paar Minuten zurück.«

Indem er dieß sagte, eilte er Arthur Philipson nach, den sein Gedächtniß hinreichend unterstützte, um ihn oben auf die Treppe des Kerkers zu führen. Hier stießen sie auf einen schlimm aussehenden Mann, angethan mit einem Lederwamms, der ein Bündel rostiger Schlüssel im Gürtel trug und dadurch seinen Beruf andeutete.

»Zeig' mir das Gefängniß des englischen Kaufmannes,« sagte Arthur Philipson, »oder du stirbst von meiner Hand!«

»Welchen von ihnen wünschet ihr zu sehen?« fragte der Kerkermeister, »den alten oder den jungen?«

»Den alten,« gab der junge Philipson zur Antwort. »Sein Sohn ist dir entwischt.«

»Tretet hier herein, ihr Herren,« sagte der Kerkermeister und schob den Riegel einer schweren Thür zurück.

Am oberen Ende des Gemachs lag der Mann, den sie zu suchen kamen. Er erhob sich alsbald vom Boden und eilte, sie zu umarmen.

»Mein lieber Vater!« – »Mein werther Gast!« riefen sein Sohn und Freund im nämlichen Augenblick, »wie geht's Euch?«

»Gut,« entgegnete der alte Philipson, »wenn ihr, mein Freund und Sohn, wie ich aus eurem Aussehen schließe, als Sieger und in Freiheit kommt, – schlimm, wenn ihr meine Gefangenschaft theilet.«

»Habt deßwegen keine Furcht,« versetzte der Landammann, »wir sind in Gefahr gewesen, aber auf merkwürdige Art befreit worden. Euer schlechtes Lager hat euch die Glieder steif gemacht. Stützt Euch auf mich, mein edler Gast, und laßt mich Euch in ein besseres Quartier bringen.«

Hier wurde er durch ein schweres Rasseln, wie es schien von Eisen, unterbrochen. Es war wenigstens verschieden von dem Getöse des Volksgetümmels, welches sie noch von der Straße her wie den tiefen Ton eines fernen stürmischen Meeres vernahmen.

»Bei Sankt Peter, von den Ketten!« rief Arthur, der augenblicklich die Ursache des Geräusches entdeckte, »der Kerkermeister hat die Thür in's Schloß geworfen oder sie ist seiner Hand entfallen. Das Schloß hält uns eingesperrt und wir können nur von Außen her befreit werden. – Hund von einem Stockmeister, Schurke, mach' die Thür auf, oder du stirbst!«

»Er ist wahrscheinlich so weit, daß er deine Drohungen nicht mehr hört,« sagte der ältere Philipson, »und dein Geschrei hilft dir nichts. Seid ihr aber gewiß, daß die Schweizer die Stadt inne haben?«

»Wir sind die friedlichen Besitzer derselben,« gab der Landammann zur Antwort, »und ohne daß von unserer Seite ein Hieb geführt worden ist.«

»Also,« sagte der Engländer, »werden Euch Eure Begleiter bald ausfindig machen. Arthur und ich sind bloße Nullen, und unsere Abwesenheit hätte leicht unbemerkt bleiben können; aber Ihr seid eine zu wichtige Person, als daß man Euch nicht vermissen und suchen sollte, wenn Eure Leute gezählt werden.«

»Ich will hoffen, daß dieß geschieht,« sprach der Landammann, »obgleich ich mich, wie mich dünkt, schlecht genug ausnehme, da ich hier eingeschlossen bin wie eine Katze, die in einem Schrank Rahm hat stehlen wollen. Arthur, mein wackerer Junge, kennst du kein Mittel, den Riegel zurückzuschieben?«

Arthur, welcher eine Minute lang das Schloß untersucht hatte, gab eine verneinende Antwort, und fügte hinzu, daß sie eben Geduld haben und sich gefaßt halten müßten, ruhig ihre Befreiung abzuwarten, da nichts geschehen könnte, um sie zu beschleunigen.

Arnold Biedermann nahm indessen die Gleichgültigkeit seiner Söhne und Begleiter etwas empfindlich auf.

»All' meine jungen Leute benutzen, ungewiß darüber, ob ich lebe oder todt bin, meine Abwesenheit ohne Zweifel zu Räubereien und Zügellosigkeiten, und der weltkluge Rudolph kümmert sich vermuthlich nicht darum, ob ich wieder auf der Bühne erscheine. Der Bannerherr und der weißbärtige Narr Bonstetten, der mich seinen Freund nennt, – jeder Nachbar hat mich verlassen – und doch wissen sie, daß ich ängstlich bin wegen der Rettung des Unbedeutendsten unter ihnen, daß diese mir mehr am Herzen liegt, als die eigene. Beim Himmel, es sieht wie eine Kriegerlist aus, und zeigt, daß die unbesonnenen jungen Leute einer zu regelmäßigen und friedlichen Ordnung los werden möchten, um sich denen gefällig zu zeigen, die nach Krieg und Sieg begierig sind.«

Der Landammann trat ganz aus der ihm gewöhnlichen Gemüthsruhe heraus; er war in Besorgniß, seine Landsleute könnten sich in seiner Abwesenheit übel aufführen, und war in solchen Betrachtungen über seine Freunde und Genossen verloren, während der entfernte Lärm in einer vollständigen Stille sich verlor.

»Was ist jetzt zu machen?« fragte Arthur Philipson. »Ich denke, sie werden die Ruhe benutzen, um zum namentlichen Aufruf zu schreiten und zu erfahren, wer verloren gegangen ist.«

Es schien, als ob sich des jungen Mannes Wunsch verwirklichen wollte, denn er hatte ihn kaum ausgesprochen, als das Schloß herumgedreht und die Thüre durch Jemand geöffnet wurde, der sofort die Treppe hinauf davon lief, ehe die, welche er befreit, ihn erblicken konnten.

»Es ist wahrscheinlich der Kerkermeister,« sagte der Landammann, »und er mag besorgen, wie er denn einigen Grund dazu hat, wir möchten mehr erbittert über unsere Einsperrung in dem Verließ als dankbar für unsere Befreiung sein.«

Bei diesen Worten stiegen sie die Treppe hinan und traten zur Thüre des Thorthurmes hinaus. Hier wartete ihrer ein seltsamer Anblick. Die Schweizer Abgeordneten und ihr Gefolge hielten noch immer unbeweglich auf der Stelle, wo sie Hagenbach hatte angreifen wollen. Einige von des weiland Statthalters Söldnern standen entwaffnet und geduckt vor der Wuth eines Bürgerhaufens, der die Straßen füllte, mit niedergeschlagenen Augen hinter der Schaar der Bergbewohner, als ihrem sichersten Zufluchtsort. Aber das war nicht Alles.

Die Karren, die man kürzlich aufgestellt, um den Durchgang durch die Straße zu sperren, waren jetzt zusammengebunden und dienten als Unterlage für ein Schaffot, welches man in der Eile aus Brettern zusammengesetzt hatte. Aus dasselbe hatte man einen Stuhl gestellt, und aus diesem saß ein großer Mann; Kopf, Hals und Schultern entblößt, und den übrigen Körper in eine glänzende Rüstung gehüllt. Sein Gesicht war todtenblaß, aber der junge Philipson erkannte in ihm den hartherzigen Herrn Archibald von Hagenbach. Er schien an den Stuhl festgebunden zu sein. Auf seiner Rechten, ganz nahe an ihm, stand der Pfarrer an der Sankt Paulskirche mit seinem Brevier in der Hand und murmelte Gebete. Links und etwas hinter dem Gefangenen zeigte sich ein großer, rothgekleideter Mann, der sich mit beiden Händen auf ein bloßes Schwert stützte, welches wir früher beschrieben haben. In dem Augenblick, da Arnold Biedermann erschien, und ehe er die Lippen öffnen konnte, um zu fragen, was der Vorgang vor ihm bedeuten solle, zog sich der Priester zurück, der Scharfrichter trat vorwärts. Er schwang sein Schwert, führte den Streich, und der Kopf des Opfers rollte auf das Schaffot. Ein allgemeines Beifallsgeschrei und Händeklatschen, wie das, welches ein volles Theater einem beliebten Schauspieler an den Tag legt, folgte der geschickt vollbrachten That. Während der kopflose Leichnam Ströme von Blut emporschoß, welche die Sägespähne auf dem Schaffot aufsaugten, stellte sich der Nachrichter mit Anstand auf die vier Ecken der Blutbühne nach einander und verbeugte sich mit Bescheidenheit, als die Menge ihn mit Beifallsrufen begrüßte.

»Edle Ritter, freigeborne Herren und gute Bürger,« sprach er, »die ihr dieser Handlung der Gerechtigkeit beigewohnt, ich bitte Euch, mir zu bezeugen, daß dieses Urtheil dem Spruche gemäß mit einem Streich, ohne verfehlten oder wiederholten Hieb, vollzogen worden ist.«

Das Beifallsgeschrei fing wieder an.

»Lange lebe unser Scharfrichter Steinernherz, und möge er sein Geschäft noch an manchem Tyrannen verrichten!«

»Edle Freunde,« sprach der Nachrichter mit der tiefsten Verbeugung, »ich habe noch ein anderes Wort zu reden, und ein stolzes Wort soll es sein. – Gott sei der Seele des guten und edlen Ritters, Herrn Archibalds von Hagenbach, gnädig. Er war der Beschützer meiner Jugend und mein Führer auf dem Wege der Ehre. Acht Stufen zur Freiheit und zum Adel habe ich auf den Häuptern von freigebornen Rittern und Edlen erstiegen, die auf seinen Befehl gefallen sind; die neunte, durch welche ich solche erreicht, habe ich auf seinem eigenen zurückgelegt. In dankbarem Andenken daran will ich diesen Beutel voll Gold austheilen, den er mir erst vor einer Stunde übergab, um Messen für seine Seele lesen zu lassen. Ihr Herren, edle Freunde und nunmehr meine Standesgenossen, La Ferrette hat einen Edelmann verloren und einen gewonnen. Die heilige Jungfrau sei dem abgeschiedenen Ritter, Herrn Archibald von Hagenbach, gnädig, und segne und beglücke den Fortgang von Stephanus Steinernherz vom Blutacker, des jetzo rechtmäßigen Freien und Edlen.«

Damit nahm er aus der Mütze des Todten die Feder, welche mit dem Blute desselben besudelt neben seinem Leichnam auf dem Schaffot lag, steckte sie an seine eigene Kappe und empfing die Huldigungen der Menge, welche in zum Theil ernstlich, zum Theil scherzhaft gemeinten, lauten Hussahrufen eine so ungewöhnliche Verwandlung begrüßte.

Arnold Biedermann fand zuletzt wieder den Athem, welchen ihm die äußerste Ueberraschung zuerst genommen. Wirklich ging die ganze Hinrichtung viel zu rasch vorüber, als daß es möglich gewesen wäre, in's Mittel zu treten.

»Wer hat es gewagt, dieses Trauerspiel aufzuführen? Und mit welchem Recht hat es stattgefunden?« fragte er unwillig.

Ein reich in Blau gekleideter Reiter erwiderte auf die Frage: –

»Die freien Bürger von Basel haben für sich selbst und nach dem Beispiel gehandelt, das ihnen die Väter der Schweizer-Freiheit gegeben haben; der Tyrann Hagenbach ist nach demselben Rechte gefallen, welches den Tyrannen Geßler zum Tode gebracht. Wir haben ihn geduldet bis sein Becher voll war, und dann nicht mehr.«

»Ich sage nicht, daß er den Tod nicht verdient habe,« entgegnete der Landammann; »aber um Eurer und um unsertwillen hättet Ihr warten sollen, bis Ihr des Herzogs Willen gekannt hättet.«

»Was redet Ihr uns von dem Herzog?« antwortete Lorenz Neipperg, derselbe junge Mann, den Arthur bei der geheimen Zusammenkunft der Basler Jünglinge mit Rudolph gesehen hatte. – »Warum sprecht Ihr zu uns von Burgund, da wir doch nicht seine Unterthanen sind? Der Kaiser, unser einzig rechtmäßiger Herr, hatte kein Recht, die Stadt und Festung La Ferrette, welche Basel zugehört, zum Nachtheil unserer freien Stadt zu verpfänden. Er hätte ihre Einkünfte zwar versetzen können, und hätte er es gethan, so wäre die Schuld doppelt durch die Erpressungen bezahlt gewesen, welche jener Unterdrücker erhob, der jetzt seinen Lohn empfangen hat. Aber geht weiter, Landammann von Unterwalden. Wenn Euch unsere Handlungen nicht gefallen, so schwört sie ab am Stuhle des Herzogs von Burgund. Thut Ihr aber also, so schwöret Ihr das Andenken an Wilhelm Tell, Stauffacher, Fürst und Melchthal ab, die Väter der Schweizer-Freiheit.«

»Ihr redet recht,« sprach der Landammann, »aber es geschah in einer übelgewählten und unglücklichen Zeit. Geduld hätte Euren Leiden abgeholfen, und Niemand hat sie tiefer empfunden, Niemand hätte sie lieber abgewendet, als ich. Aber ach, unbesonnener, junger Mann, Ihr habt die Bescheidenheit Eures Alters und die Unterwürfigkeit, die Ihr älteren Männern schuldig seid, bei Seite gelegt. Wilhelm Tell und seine Brüder waren Männer von Jahren und Ueberlegung, Gatten und Väter, sie hatten ein Recht, im Rath gehört zu werden und die Ersten zu sein beim Handeln. Genug – ich überlasse es den Vätern und den Rathsherrn Eurer eigenen Stadt, Euer Verfahren zu tadeln oder anzuerkennen. – Aber Ihr, meine Freunde – Ihr, Bannerträger von Bern – Ihr, Rudolph – und vor Allem Ihr, Nikolaus Bonstetten, mein Kamerad und Freund, warum nahmet Ihr diesen unglücklichen Mann nicht unter Euren Schutz? Dieses würde Burgund gezeigt haben, daß uns die verläumden, welche gesagt haben, wir wünschen einen Streit mit ihm anzufangen oder seine Unterthanen zur Empörung zu reizen. Nun werden sich alle diese Vorurtheile in den Gemüthern derer befestigen, die von Natur mehr an übeln Eindrücken, als an günstigen festhalten.«

»So wahr ich vom Brode lebe, guter Gevatter und Nachbar,« antwortete Nikolaus Bonstetten, »ich gedachte Euren Vorschriften zu gehorchen bis auf's Aeußerste; ich hatte auch einmal im Sinn, dazwischen zu treten und den Mann zu schützen, aber Rudolph Donnerhügel erinnerte mich, daß Eure letzten Befehle dahin gelautet, wir sollten stille stehen und die Basler ihre Handlungen verantworten lassen. Und gewiß, sagte ich bei mir selbst, mein Gevatter Arnold weiß besser, als wir Alle, was zu thun passend ist.«

»Ah, Rudolph, Rudolph,« sagte der Landammann und blickte auf ihn mit unwilliger Miene, »hast du dich nicht geschämt, einen alten Mann so zu täuschen?«

»Wenn Ihr saget, ich habe ihn getäuscht, so ist dieß eine harte Beschuldigung; aber von Euch, Landammann,« gab der Berner mit seiner gewohnten Ehrerbietung zur Antwort, »kann ich etwas ertragen. Ich will blos sagen, daß ich als Mitglied dieser Gesandtschaft verpflichtet bin, wie ein solches zu denken und meine Meinung abzugeben; besonders wenn der nicht da ist, der Klugheit genug besitzt, um uns Alle zu führen und zu leiten.«

»Deine Worte sind immer schön, Rudolph,« versetzte Arnold Biedermann, »und ich glaube, deine Meinung ist auch gut. Doch gibt es Zeiten, in denen ich einigermaßen daran zweifle. – Aber lassen wir den Wortwechsel, und gebt mir Euren Rath zu hören, meine Freunde. Wir wollen darum in die Kirche gehen, wo er uns am meisten Nutzen bringen mag, und wo wir zuerst unsern Dank für die Befreiung vom Mord darbringen und dann überlegen wollen, was zunächst zu thun ist.«

Der Landammann schlug demzufolge den Weg in die St. Paulskirche ein, und seine Genossen folgten ihm in ihrer Ordnung. Dieß verschaffte Rudolph, der als der jüngste die Andern vorangehen ließ, Gelegenheit, Rüdiger, des Landammanns ältesten Sohn, heranzuwinken und ihm zuzuflüstern, er solle beide englische Kaufleute fortschaffen.

»Weg mit ihnen, mein lieber Rüdiger, auf gütlichem Wege, wenn es möglich; aber weg mit ihnen und das gleich. Dein Vater ist ganz bezaubert von diesen zwei englischen Krämern und wird auf keinen andern Rath horchen. Du und ich, mein liebster Rüdiger, wir wissen, daß Leute, wie diese, nicht dazu passen, um freigebornen Schweizern Gesetze zu geben. Schafft den Plunder, dessen man sie beraubte, herbei, oder doch so viel, als davon noch vorhanden ist, und schicket sie in des Himmels Namen fort.«

Rüdiger nickte zustimmend und ging, seine Dienste für Betreibung der Abreise des älteren Philipson anzubieten. Er fand den klugen Kaufmann so geneigt, der Verwirrung, welche die Stadt eben darbot, zu entrinnen, als der junge Schweizer es sein konnte, auf die Abreise desselben zu dringen. Er wartete blos darauf, das Kästchen wieder zu bekommen, in dessen Besitz sich Hagenbach gesetzt, und Rüdiger Biedermann stellte genaue Nachforschungen danach an. Es war um so wahrscheinlicher, daß dieselben von Erfolg sein würden, als die Einfachheit der Schweizer sie abhielt, seinen Inhalt nach dem wahren Werthe zu schätzen. Eine sorgfältige und eilige Nachsuchung war alsbald eingeleitet, an dem todten Hagenbach selbst, bei welchem das kostbare Päckchen nicht gefunden werden konnte, und an allen, die sich ihm bei seiner Hinrichtung genähert oder sein Vertrauen genossen hatten.

Der junge Philipson hätte gerne ein paar Augenblicke benutzt, um sich von Anna von Geierstein zu verabschieden. Aber der graue Schleier war nicht weiter in den Reihen der Schweizer zu sehen, und es ließ sich vernünftigerweise annehmen, daß sie sich in der Verwirrung, welche auf Hagenbachs Hinrichtung und den Rückzug des kleinen Heeres folgte, in eines der benachbarten Häuser geflüchtet habe. Die Soldaten um sie her, welche die Gegenwart ihrer Anführer nicht mehr im Zaume hielt, hatten sich zerstreut, die Einen, um nach den Gütern zu fahnden, deren der englische Kaufmann beraubt worden war, die Andern ohne Zweifel, um an den Vergnügungen der siegreichen Baseler Jugend und der Bürger von La Ferrette Theil zu nehmen, welche mit so viel Bereitwilligkeit die Festungswerke übergeben hatten.

Allgemein war unter ihnen das Verlangen, daß La Ferrette, das man so lange als den Kappzaum der Schweizer Eidgenossen und als ein Hinderniß ihres Handels betrachtet, durch sie fernerhin zum Schutz gegen die Eingriffe und Erpressungen des Herzogs von Burgund und seiner Beamten besetzt werden sollte. Die ganze Stadt war in wildem, aber freudigem Jubel, und die Bürger wetteiferten mit einander, den Schweizern alle Arten Erfrischungen anzubieten. Die Jünglinge, welche die Gesandtschaft begleiteten, eilten fröhlich und im Triumph, aus den Umständen Vortheil zu ziehen, welche so unerwartet den ihnen verrätherischerweise gelegten Hinterhalt in einen muntern und lustigen Empfang verwandelt hatten.

In dieser Scene der Verwirrung war es Arthur unmöglich, seinen Vater zu verlassen und sich den Gefühlen hinzugeben, welche ihm ein paar freie Augenblicke so wünschenswerth machten. Niedergeschlagen, gedanken- und kummervoll bei der allgemeinen Lust, blieb er bei seinem Vater zurück. Er hatte so viel Ursache, ihn zu lieben und zu ehren. Er mußte ihm die verschiedenen Päcke und Ballen verwahren und dem Maulthier aufladen helfen. Denn die ehrlichen Schweizer hatten sie nach Hagenbachs Tod wieder beigebracht, und einer suchte den andern in der Rückgabe derselben an ihren rechtmäßigen Besitzer zu überbieten. Mit Mühe konnte man sie dazu vermögen, das Trinkgeld anzunehmen, welches ihnen der Kaufmann aus den Mitteln, die ihm noch übrig geblieben, nicht blos anbot, sondern aufdrang, und welches nach ihren rohen und einfachen Begriffen den Werth dessen weit zu überschreiten schien, was sie ihm eingehändigt hatten.

Dieser Auftritt hatte kaum zehn oder fünfzehn Minuten gedauert, als Rudolph Donnerhügel sich dem älteren Philipson näherte und ihn im Tone großer Höflichkeit einlud, in den Rath der Häupter der Gesandtschaft zu kommen. Sie wünschten, sagte er, seine Erfahrung über einige wichtige Fragen in Bezug auf ihr Betragen bei diesen unerwarteten Ereignissen zu Rathe zu ziehen.

»Sorge für unsere Sachen, Arthur, und rühre dich nicht von der Stelle, auf der ich dich lasse,« sagte Philipson zu seinem Sohne, »besonders sorge für das versiegelte Päckchen, das mir so schändlicher- und ungerechterweise geraubt worden ist; seine Wiedererlangung ist von der größten Wichtigkeit.«

Mit diesen Worten rüstete er sich alsbald, den Berner zu begleiten. Dieser flüsterte in vertraulichem Tone, und während sie Arm in Arm der St. Paulskirche zugingen:

»Ich denke, ein Mann von Eurer Einsicht wird uns kaum rathen, wir sollen uns dem Zorn des Herzogs von Burgund aussetzen, nachdem dieser durch den Verlust seiner Veste und die Hinrichtung seines Beamten so tief beleidigt worden ist. Ihr würdet wenigstens zu klug sein, um uns ferner das Vergnügen Eurer Gesellschaft und Begleitung zu gönnen, da Ihr Euch hiedurch muthwillig in unsern Untergang mitverflechten würdet.«

»Ich werde meinen Rath geben, so gut ich kann,« antwortete Philipson, »wenn ich näher mit den besonderen Umständen bekannt bin, unter denen er von mir verlangt wird.«

Rudolph murmelte einen Fluch oder einen zornigen Ausdruck, und geleitete Philipson ohne ferneres Gespräch zu der Kirche.

In einer kleinen an die Kirche stoßenden Kapelle, die dem heiligen Magnus, dem Märtyrer, geweiht war, hatten sich die vier Abgeordneten zu einer geheimen Berathung vereinigt und saßen um die Nische her, in welcher der Held, gewappnet wie zu Lebzeiten, stand. Auch der Pfarrer an der St. Paulskirche war zugegen und schien lebhaften Antheil an der Verhandlung zu nehmen, die eben vor sich ging. Bei Philipsons Eintritt waren Alle einen Augenblick stille, bis ihn der Landammann also anredete: – »Signore Philipson, wir halten Euch für einen weit gereisten Mann, wohl vertraut mit den Sitten fremder Völker und bekannt mit den Eigenschaften des Herzogs Karl von Burgund. Ihr seid daher geeignet, uns in einer Sache von großer Wichtigkeit einen Rath zu geben. Ihr wisset, mit welcher Aengstlichkeit wir in dieser Friedensbotschaft mit dem Herzog zu Werke gehen. Ihr wisset auch, was heute sich zugetragen und daß dieß wahrscheinlich Karl in den schwärzesten Farben vorgetragen wird; – würdet Ihr uns in einem solchen Fall rathen, dem Herzog vor's Gesicht zu treten, während man uns vorwirft, wir seien an diesem Vorgang schuld, oder würden wir besser daran thun, heimzukehren, und uns zum Kriege mit Burgund zu rüsten?«

»Wie steht's um Eure eigene Ansicht über den Gegenstand?« fragte der behutsame Engländer.

»Wir sind getheilt,« antwortete der Bannerherr von Bern. – »Ich habe das Banner von Bern dreißig Jahre lang gegen seine Feinde getragen; ich will es lieber gegen die Lanzen der Ritter aus dem Hennegau und Lothringen führen, als mich der groben Behandlung unterziehen, der wir am Stuhle des Herzogs begegnen müssen.«

»Wir stecken unsere Köpfe in des Löwen Rachen, wenn wir vorwärts gehen; es ist meine Meinung, daß wir zurück wandern,« sprach Zimmermann von Solothurn.

»Ich würde nicht zum Rückzug rathen,« sagte Rudolph Donnerhügel, »stände mein Leben allein auf dem Spiel; aber der Landammann von Unterwalden ist der Vater der verbündeten Kantone, und es wäre ein Vatermord, wenn ich einwilligte, sein Leben in Gefahr zu setzen. Mein Vorschlag ist, daß wir zurückgehen, und daß sich die Eidgenossenschaft in Vertheidigungsstand setzen soll.«

»Meine Ansicht ist verschieden davon,« fuhr Arnold Biedermann fort; »und ich verzeihe es keinem Menschen, wenn er, sei es nun aus aufrichtiger oder vorgeblicher Freundschaft, mein unbedeutendes Leben mit dem Vortheil der Kantone in die Wage legt. Gehen wir vorwärts, so setzen wir unsere Köpfe auf's Spiel – das mag sein. Aber wenn wir zurückgehen, so verwickeln wir unser Vaterland in Krieg mit einer Macht von erster Größe in Europa. Würdige Mitbürger! Ihr seid tapfer im Gefecht, – zeigt es auch jetzt. Wir wollen nicht zaudern, uns in die persönliche Gefahr zu werfen, die uns jetzt bevorstehen mag. Wenn wir das thun, so können wir möglicherweise Frieden für unser Land gewinnen.«

»Ich denke und stimme mit meinem Nachbar und Gevatter, Arnold Biedermann,« sagte kurz der Abgeordnete von Schwyz.

»Ihr höret, wie unsere Meinungen getheilt sind,« sagte der Landammann zu Philipson; »was ist Euer Gutachten?«

»Ich möchte Euch zuerst fragen,« entgegnete der Engländer, »welchen Antheil Ihr an dem Sturm auf eine Stadt, die von des Herzogs Truppen besetzt war und an der Hinrichtung des Statthalters genommen habt?«

»Der Himmel sei mein Zeuge,« antwortete der Landammann, »daß ich von keinem Plan zu einer Erstürmung der Stadt etwas wußte, bis sie unerwarteter Weise stattfand.«

»Und was die Hinrichtung Hagenbachs betrifft,« sagte der Priester, »so schwöre ich Euch, Fremdling, bei meinem heiligen Orden, daß sie nach der Vorschrift eines dazu befugten Gerichtshofes vorgenommen wurde, dessen Urtheil selbst der Herzog zu achten gezwungen ist, und dessen Verfahren die Gesandten der Schweizer hätten weder beschleunigen noch verzögern können.«

»Wenn dieß der Fall ist und Ihr beweisen könnt, daß Ihr einem Verfahren fremd geblieben seid,« versetzte Philipson, »welches der Herzog von Burgund sehr übel nehmen muß, würde ich Euch auf jeden Fall rathen, Eure Reise fortzusetzen. Ihr dürft gewiß sein, daß Ihr bei diesem Fürsten ein gerechtes und unparteiisches Gehör und vielleicht eine günstige Antwort erlangen werdet. Ich kenne Karl von Burgund; ich kann sogar sagen, daß ich ihn in Betracht der Verschiedenheit unseres Ranges und Lebensweges gut kenne. Er wird äußerst aufgebracht sein über die ersten Nachrichten von dem, was hier vorgefallen, aber er wird es nicht zu Euren Ungunsten auslegen. Wenn Ihr aber im Laufe der Untersuchung im Stande seid, Euch von diesen schlimmen Anschuldigungen zu reinigen, so könnte vielleicht der Gedanke an seine eigene Ungerechtigkeit die Wage auf Eure Seite neigen und bewirken, daß er von übertriebener Strenge zu außerordentlicher Milde überginge. Eure Sache muß aber dem Herzog gehörig dargestellt werden, und zwar von einer Zunge, die mit der Sprache der Höfe besser bekannt ist als die Eurige. Solch' ein freundlicher Vermittler hätte ich für Euch werden können, wäre ich nicht des werthvollen Päckchens beraubt worden, welches ich bei mir trug, um es dem Herzog zum Geschenk zu machen, und als einen Beweis für meine Sendung an ihn.«

»Ein elender Kunstgriff,« flüsterte Donnerhügel dem Bannerherrn zu, »den der Krämer braucht, um von uns Ersatz für die Waaren zu erhalten, die ihm abgenommen worden sind.«

Der Landammann selbst theilte vielleicht einen Augenblick diese Ansicht.

»Kaufmann,« sagte er, »wir halten uns für verpflichtet, Euch zu vergüten – d. h. wenn unser Vermögen dazu hinreicht, – was Ihr auch durch Euer Vertrauen auf unseren Schutz verloren haben möget.«

»Ja, das wollen wir,« sagte der alte Schwyzer, »und wenn es uns zwanzig Zechinen kosten sollte, ihn zu ersetzen.«

»Ich habe keine Ansprüche auf Schadloshaltung an Euch zu machen,« versetzte Philipson, »da ich mich von Eurer Gesellschaft getrennt habe, ehe ich in einen Verlust gerieth. Und es ist mir um das Verlorene nicht sowohl leid wegen seines Werthes, obgleich dieser größer ist, als Ihr Euch vorstellen möget, sondern hauptsächlich, weil der Inhalt des Kästchens, das ich bei mir hatte, ein Erkennungszeichen war zwischen einer Person von besonderer Wichtigkeit und dem Herzog von Burgund. Und jetzt, da es mir entrissen worden, fürchte ich, bei Seiner Gnaden nicht den Glauben zu finden, den ich um meinet- und Euretwillen wünschte. Ohne dasselbe, und wenn ich blos als ein einfacher Reisender auftrete, kann ich nicht so viel auf mich nehmen, als mir möglich gewesen wäre, wenn ich mich auf die Personen hätte berufen können, deren Aufträge ich zu besorgen hatte.«

»Nach diesem wichtigen Päckchen,« sagte der Landammann, »soll auf's Schärfste gesucht, und es soll Euch sorgfältig wieder überliefert werden. Keiner von uns Schweizern kennt den Werth seines Inhalts, und wenn es einer unserer Leute in Händen hat, so wird er es natürlicherweise als Kleinigkeit zurückgeben, auf die er keinen Werth setzt.«

Als er dieß gesagt, wurde an die Thüre der Kapelle geklopft. Rudolph, welcher derselben am nächsten stand, besprach sich eine Weile mit denen draußen, und bemerkte dann mit einem Lächeln, das er aber sogleich wieder unterdrückte, um den Landammann nicht dadurch zu beleidigen – »Es ist Siegmund, der gute Junge. – Soll ich ihn zu unserer Berathung einlassen?«

»Zu was den armen, einfältigen Burschen?« sagte sein Vater mit bekümmertem Lächeln.

»Ich will doch die Thüre aufmachen,« versetzte Philipson. »Er wünscht sehr, hereinzukommen, und vielleicht bringt er Neuigkeiten. Ich habe wahrgenommen, Landammann, daß der junge Mann, obgleich langsam im Begreifen und im Ausdruck, feste Grundsätze und manchmal glückliche Einfälle hat.«

Er ließ also Siegmund herein. Arnold Biedermann fühlte einerseits die Schmeichelei, die Philipson einem Knaben gesagt, der gewiß der einfältigste in seiner Familie war, und andererseits fürchtete er eine öffentliche Schaustellung der Schwäche seines Kindes oder seines Mangels an Verstand. Siegmund indessen schien voll Zuversicht, und er hatte gewiß Ursache dazu, denn als die kürzeste Art von Erklärung, bot er Philipson das Diamanten-Halsband nebst dem Kästchen, in welchem es niedergelegt war.

»Das hübsche Ding gehört Euer,« sagte er. »So viel vernahm ich von Eurem Sohn Arthur, der mir sagt, Ihr würdet erfreut sein, es wieder zu bekommen.«

»Von ganzem Herzen dank' ich dir,« entgegnete der Kaufmann. »Das Halsband gehört allerdings mir; d. h. das Päckchen, dessen Inhalt es ausgemacht hat, war meiner Sorge anvertraut, und es ist für mich jetzt von neuem und größerem Werthe, als es an sich hat, da es mir bei einer wichtigen Sendung, die mir obliegt, als Zeichen der Beglaubigung dient. – Und wie, mein junger Freund,« fuhr er gegen Siegmund fort, »bist du so glücklich gewesen, aufzufinden, was wir bis daher vergeblich gesucht haben? Sei der größten Erkenntlichkeit von mir versichert, und halte mich nicht für allzu neugierig, wenn ich dich frage, wie du dazu gekommen bist?«

»Was das anbelangt, so ist die Geschichte bald erzählt,« antwortete Siegmund. »Ich hatte mich so nahe als möglich an das Schaffot gestellt, da ich nie zuvor eine Hinrichtung mit angesehen. So bemerkte ich denn, daß der Scharfrichter, der meiner Meinung nach sein Geschäft mit viel Geschicklichkeit verrichtet hat, gerade, da er ein Tuch über den Leichnam Hagenbachs breitete, etwas aus des todten Mannes Brusttasche nahm und es hastig in die seinige steckte. Als nun der Lärm entstand, daß ein Gegenstand von Werth vermißt werde, eilte ich, den Burschen aufzusuchen. Ich fand ihn, wie er für hundert Kronen Messen am Hochaltar der St. Pauluskirche bestellte, und folgte ihm nach in das Wirthshaus des Städtchens, wo ihm einige Männer von schlimmem Aussehen, als einem freien Bürger und Edelmann, fröhlich zutranken. Ich trat unter sie mit meiner Partisane, und verlangte von dem edlen Herrn, mir entweder herauszugeben, was er sich angeeignet, oder die Schwere der Waffe zu versuchen, die ich trug. Seine Herrlichkeit, der Herr Henker, zögerte und wollte eben ein Geschrei anfangen. Aber ich war etwas kurz angebunden, und so hielt er für's Beste, mir das Päckchen auszuliefern. Ihr werdet es, hoff' ich, ganz unverletzt finden, wie es Euch abgenommen ward, Herr Philipson. Und – endlich ließ ich sie ihr Fest beendigen – das ist die ganze Geschichte.«

»Du bist ein braver Junge,« sagte Philipson; »und wenn's im Herzen richtig ist, kann's im Kopf nicht groß gefehlt sein. Aber die Kirche soll ihre Gebühren nicht verlieren, und ich nehme es auf mich, ehe ich La Ferrette verlasse, die Messen zu bezahlen, welche der Mann für Hagenbachs Seelenheil bestellt hat, der so unerwartet von der Welt genommen worden ist.«

Siegmund war im Begriff, eine Antwort zu geben, aber Philipson, der fürchtete, er möchte eine Dummheit vorbringen und seinem Vater die Freude über sein jüngstes Betragen verderben, fügte alsbald hinzu: »Eile von dannen, mein guter Junge, und bring' das kostbare Kästchen meinem Sohn Arthur.«

Mit stillem Frohlocken über den erhaltenen Beifall, an den er gar nicht gewöhnt war, nahm Siegmund Abschied, und die Versammlung war wieder sich selbst überlassen.

Einen Augenblick herrschte Stillschweigen. Der Landammann konnte das außerordentliche Vergnügen über den Scharfsinn nicht bewältigen, welchen Siegmund bei der gegenwärtigen Gelegenheit an den Tag gelegt; denn sein Betragen im Allgemeinen berechtigte zu keinen derartigen Erwartungen, und er wurde gewöhnlich übersehen. Die Umstände gestatteten jedoch nicht, daß er diesem Gefühle Luft machte. Wie sehr er sich auch von den Sorgen erleichtert fühlen mochte, die er bisher in Bezug auf den beschränkten Verstand seines Kindes gehegt, – er behielt seine Freude für sich, und als er Philipson anredete, that er es mit seinem gewöhnlichen, offenen und männlichen Wesen.

»Signore Philipson,« sagte er, »wir halten Euch nicht für gebunden an die Anerbietungen, die Ihr uns gemacht, als diese glänzenden Sachen noch nicht wieder in Eurem Besitz waren. Ein Mann kann manchmal denken, wenn er in der und der Lage wäre, könnte er gewisse Zwecke erreichen, und wenn er jene Stellung sich verschafft hat, kann er sich außer Stand finden, seine Absichten durchzuführen. Da Ihr aber jetzt so glücklich und unverhofft wieder erlangt habt, was Euch, wie Ihr saget, bei dem Herzog von Burgund sicheren Glauben erwirbt, so frage ich Euch, ob Ihr Euch für berechtigt haltet, zu unsern Gunsten zwischen ihm und uns den Vermittler zu machen, wie Ihr früher vorgeschlagen?«

Alle beugten sich vorwärts, um die Antwort des Kaufmanns zu vernehmen.

»Landammann,« versetzte er, »ich habe nie unter schwierigen Umständen ein Wort gesprochen, welches ich nicht auszulösen bereit war, wenn jene Schwierigkeiten gehoben waren. Ihr saget, und ich glaube es, daß Ihr keinen Antheil an dem Sturm auf La Ferrette genommen. Ihr sagt auch, daß dem von Hagenbach das Leben durch ein Gericht genommen worden sei, auf das Ihr keinen Einfluß besaßet und ausübtet – setzet ein Protokoll auf, das solches bewahrheitet und soweit als möglich erweist. Vertrauet es mir an, – versiegelt, wenn Ihr wollt, – und wenn die Umstände bestätigt sind, so verpfände ich mein Wort als – als – ehrlicher Mann und als Engländer von rechtmäßiger Herkunft, daß der Herzog Euch weder gefangen setzen, noch Euch eine persönliche Beleidigung zufügen wird. Ich hoffe auch, Karl'n triftige Gründe vorzulegen, aus denen ein Freundschaftsbündniß zwischen Burgund und den verbündeten Schweizer Kantonen von Seiten Seiner Gnaden eine kluge und hochherzige Maßregel wäre. Es ist jedoch möglich, daß mir das Letztere mißlingt. Geschieht dieß, so wird es mir höchst schmerzlich sein. Wenn ich aber für Euern sichern Hinzug an den Hof des Herzogs und Eure sichere Rückkehr von demselben in Euer Vaterland einstehe, so denke ich, das wird nicht fehlschlagen. Wenn doch, so soll mein eigenes und das Leben meines einzigen und geliebten Kindes für mein übergroßes Vertrauen an des Herzogs Gerechtigkeit und Ehre büßen.«

Die anderen Abgeordneten standen und schwiegen, und blickten auf den Landammann; aber Rudolph Donnerhügel nahm das Wort.

»Wollen wir denn unser eigenes, und was uns noch theurer ist, das Leben unseres verehrten Mitgesandten, Arnold Biedermanns, auf das bloße Wort eines fremden Handelsmannes wagen? Wir kennen Alle des Herzogs Gemüthsart, und wissen, wie rachsüchtig und rücksichtslos er immer gegen unser Land gewesen ist. Ich meine, der englische Kaufmann sollte sich über die Art seines Einflusses am burgundischen Hof deutlicher erklären, wenn er erwartet, daß wir so unbedingtes Vertrauen auf denselben setzen sollen.«

»Das, Signore Rudolph Donnerhügel,« entgegnete der Kaufmann, »steht mir nicht frei. Ich dränge mich nicht in Eure Geheimnisse, ob sie Euch nun als Ganzem oder einzelner Person angehören. Meine eigenen sind heilig. Wenn ich bloß meine eigene Sicherheit zu Rathe zöge, so würde ich am klügsten thun, mich hier von Euch zu trennen. Aber der Zweck Eurer Sendung ist der Friede; und Eure plötzliche Umkehr nach dem, was in La Ferrette vorgefallen, wird den Krieg unvermeidlich machen. Ich glaube, daß ich Euch sicheres und freies Gehör bei dem Herzog zusichern kann, und bin, um der Christenheit den Frieden zu erhalten, bereit, jeder Gefahr entgegenzugehen, die damit für mich verbunden sein mag.«

»Sprecht nicht weiter, würdiger Philipson,« sprach der Landammann, »wir zweifeln keineswegs an Eurer Redlichkeit, und wehe dem, der sie nicht auf Eurer männlichen Stirne geschrieben lesen kann. Wir gehen vorwärts, und sind bereit, eher unsere Sicherheit in die Hände eines despotischen Fürsten zu legen, als die Sendung unverrichtet zu lassen, mit der uns unser Vaterland betraut hat. Der ist blos ein halbtapferer Mann, welcher sein Leben nur auf dem Schlachtfeld wagen will. Es gibt andere Gefahren, denen gegenüber zu stehen gleich ehrenvoll ist; und da die Wohlfahrt der Schweiz verlangt, daß wir uns ihnen aussetzen, so wird gewiß Keiner von uns sich bedenken, das Wagniß zu unternehmen.«

Die anderen Mitglieder der Gesandtschaft nickten ihre Zustimmung, und die Versammlung brach auf, sich für ihren weitern Zug in Burgund vorzubereiten.



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