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Sechstes Kapitel.

– – Der Abt hatt' einen Geist,
So fein, so scharf, durchdringend, wie das Feuer:
Auf Zaubertreppen stieg er höllentief,
Und wenn er Gold wußt' im Besitz des Teufels,
Er holt' es sicherlich – es liegt in Höhlen,
Die Niemand kennt, als ich.

Das Wunder eines Königreichs.

Fast mechanisch folgte Lovel dem Bettler, der ihn mit schnellem, festem Schritte durch Busch und Gesträuch führte, den gebahnten Pfad vermeidend und sich oft umsehend, um zu lauschen, ob sich nicht etwas von Verfolgern hinter ihnen vernehmen ließe. Einigemal stiegen sie sogar in das Bett des Waldbachs, dann folgten sie wieder einem schmalen und gefährlichen Pfade, den die Schafe (welche man, der schottischen Nachlässigkeit in dieser Hinsicht zufolge, in die Anpflanzungen laufen läßt,) am Rande eines überhängenden Bergabhanges gemacht hatten. Von Zeit zu Zeit konnte Lovel den Pfad sehen, auf dem er am vorigen Tage mit Sir Arthur, dem Alterthümler und den jungen Damen gegangen war. Niedergeschlagen, in banger Verlegenheit und von tausend unruhigen Gedanken erfüllt, wie er damals war, – was hätte er dennoch jetzt darum gegeben, das Gefühl der Unschuld wieder zu gewinnen, welches allein tausend Uebeln die Wage halten kann! »Und gleichwohl,« so durchkreuzten sich in ihm schnell und unwillkürlich die Gedanken, »schuldlos und von Allen geachtet, hielt ich mich für unglücklich. Was bin ich nun, mit dieses jungen Mannes Blut an meinen Händen? – Das Gefühl des Stolzes, welches mich zu der That trieb, hat mich nun verlassen, wie man vom bösen Feinde sagt, daß er diejenigen verlasse, die er zur Sünde verlockt hat.« Selbst seine Liebe zu Miß Wardour schwand jetzt vor diesen ersten Gewissensqualen, und er glaubte, er würde jeden Schmerz verschmähter Liebe ertragen können, wenn er nur das Bewußtsein, frei von blutiger Schuld zu sein, dafür wieder erlangte, welches er noch am Morgen besessen hatte.

Die quälenden Gedanken wurden durch keine Anrede von Seiten seines Führers unterbrochen, welcher das Dickicht vor ihm theilte, jetzt die Zweige zurückhielt, um ihm den Durchgang zu erleichtern, jetzt ihn zur Eile ermahnte, und dann wieder mit sich selber sprach, wie es alte einsame und vernachlässigte Leute gewohnt sind. Diese Worte würden Lovel entgangen sein, selbst wenn er darauf gelauscht hätte; oder hätt' er sie auch verstanden, so kamen sie doch zu einzeln, um einen verständlichen Zusammenhang zu bilden; eine Gewohnheit, die man bei Leuten von dem Alter und dem Beruf Edie's oft bemerken kann.

Endlich, als Lovel, erschöpft sowohl von seinem letzten Unwohlsein, als den unruhigen Gefühlen, die ihn aufgeregt hatten, und die nöthige Anstrengung, mit welcher er seinem Führer auf dem rauhen Pfade gefolgt war, zu ermatten und zurückzubleiben begann, brachten ihn einige gefährliche Stufen an den Rand eines Abgrundes, welcher mit Buschwerk und jungem Holz bewachsen war. Hier ward eine Höhle, am Eingange so eng wie ein Fuchsbau, durch einen schmalen Spalt im Felsen angezeigt; sie war mit den Zweigen einer alten Eiche bedeckt, die am obern Theile der Klippe mit ihren starken und gekrümmten Wurzeln fest eingeklammert, ihre Aeste fast gerade über den Fels hinausstreckte, so daß sie diesen Ort vor jedem Auge verbarg. Die Höhle könnte auch in der That selbst der Aufmerksamkeit derjenigen entgangen sein, welche an ihrer Oeffnung standen, so uneinladend sah die Pforte aus, durch welche der Bettler ging. Im Innern aber war die Höhle höher und geräumiger, in zwei besondere Abtheilungen getheilt, welche einander in rechten Winkeln durchschnitten und die Form eines Kreuzes bildeten, wodurch sie sich als Aufenthaltsort eines Einsiedlers der alten Zeit ankündigten. Es finden sich manche Höhlen ähnlicher Art in verschiedenen Theilen Schottlands. Ich brauche nur die von Gorton bei Roslyn anzuführen, mit einer Umgebung, die allen Freunden einer romantischen Natur wohl bekannt ist.

In der Höhle herrschte beim Eingange ein düsteres Zwielicht, welches nach den hintern Räumen zu immer schwächer wurde. »Wenig Leute kennen diesen Ort,« sagte der alte Mann; »so viel ich weiß, kennen ihn außer mir nur noch zwei, und das ist Jingling Jock und der lange Linker. Ich habe oft den Gedanken gehabt, wenn ich zu alt und schwach wäre und Gottes schöne freie Luft nicht mehr genießen könnte, wollt' ich hieher gehen mit einem Bischen Hafermehl – und sehn Sie, hier ist auch eine recht hübsche Quelle, die rinnt Sommer und Winter herab; und hier wollt' ich mich auch endlich ausstrecken und meinen Leichnam verbergen, gleich einem alten Hund, der sein unnützes, häßliches Gerippe in einen Busch oder eine Schlucht schleppt, um keinem lebenden Wesen Anstoß durch den Anblick des Aases zu geben. Ja, und wenn dann im einsamen Pachthof die Hunde bellten, und die Pächterin rief, »still, still doch, das wird der alte Edie sein!« und die kleinen Kinder, die armen Dinger, machten sich auf und liefen zur Thür, um den alten Blaukittel einzulassen, der ihnen all' ihr Spielzeug ausbessert – ach, dann käme ja der alte Edie nie mehr wieder.«

Nun führte er Lovel, der ihm ohne Widerstand folgte, nach einem der innern Zweige der Höhle. »Hier,« sagte er, »ist eine kleine Wendeltreppe, die nach der alten Kirche hinauf führt. Manche Leute meinen, diese Höhle sei einmal von den Mönchen ausgegraben worden, um ihre Schätze drin zu verbergen, und manche sagen auch, sie hätten auf diesem Wege bei Nacht Dinge in die Abtei geschafft, die sie durch das Hauptthor und bei hellem Tage nicht hineinzubringen wagen durften; – Andere behaupten, einer von ihnen sei ein Heiliger geworden (oder hätte vor den Leuten wenigstens als solcher gelten wollen,) und habe sich hier in St. Ruth's Zelle niedergelassen, – denn so wird der Ort von den alten Leuten genannt, – damit er, sobald Gottesdienst gehalten ward, in die Kirche hinauf hätte gehen können. Der Laird von Monkbarns würde viel davon zu sagen wissen, wie er's mit den meisten Dingen macht, wenn ihm nur der Ort bekannt wäre. Mag er nun für Menschendienst oder für Gottesdienst gemacht worden sein, so hab' ich doch in meinem Leben manche Sünde darin begehen sehen, und habe oft selber daran Theil genommen – ja, eben hier in dieser dunkeln Höhle. Manche Pächterin hat sich gewundert, warum ihr rother Hahn am Morgen nicht krähte, während er doch hier in der finstern Höhle gebraten wurde, der arme Bursche – und ach! ich wollte das und Aehnliches wäre noch das schlimmste von Allem gewesen! – Manchmal hat man das Getöse gehört, das wir da im Eingeweide der Erde machten; Sanders Aikwood, der damals Förster war, der Vater Ringnan's, der es jetzt ist, hört' es oft, wenn er durch's Holz ging, um nach des Lairds Wild zu sehen; wenn er dann einen Lichtschimmer an der Oeffnung der Höhle bemerkte, der gegenüber die Haselbüsche beleuchtete, da wußte der Sanders gar wunderliche Geschichten zu erzählen von Gespenstern und Hexen, die Abends um die alten Mauern ihr Wesen trieben, und von den Lichtern, die er gesehn, und den Stimmen, die er gehört hatte, wenn kein sterbliches Auge mehr offen war, als das seine. Und o! wie konnte er dann solche Sachen Abends in der Schenke mir und meines Gleichen erzählen, wo ich ihm doch Alles Wort für Wort und Geschichte für Geschichte hätte vorsagen können, da ich Alles weit genauer wußte, als er. Ja, ja, es waren das damals närrische Tage – aber Alles war eitel und sündig und es ist ganz recht, daß diejenigen, die ein leichtsinniges und übles Leben führten und das Mitleid mißbrauchten, als sie jung waren, es aus Noth in Anspruch nehmen müssen, wenn sie alt sind.«

Während Ochiltree so die Verrichtungen und Schwänke seines früheren Lebens erzählte und zwar in einem Tone, wo Freude und Reue wechselseitig vorherrschten, hatte sich sein unglücklicher Zuhörer auf des Eremiten Stuhl gesetzt, der aus dem Felsen gehauen war, und sich der geistigen und körperlichen Abspannung hingegeben, welche einer Reihe von Ereignissen, die Körper und Geist zugleich aufregten, immer folgt. Seine letzte Unpäßlichkeit, die seine Nerven sehr geschwächt hatte, trug zu dieser Mattigkeit bei. »Der arme junge Mann,« sagte der alte Edie, »wenn er in dieser feuchten Höhle schläft, erwacht er vielleicht nie wieder, oder doch recht krank – er hält das nicht so gut aus, wie einer von unsrer Art, die wir überall schlafen können, wenn wir nur was zu essen haben. Richten Sie sich auf, Mr. Lovel, junger Freund – nach Allem, was geschehn ist, denk' ich, der junge Capitain wird noch gut genug weggekommen sein – überhaupt sind Sie auch nicht der erste, der dies Unglück hatte. Ich habe so manchen Mann tödten sehen und habe selbst mit tödten helfen, obwohl kein Streit zwischen uns war – und wenn es kein Unrecht ist, Leute zu tödten, mit denen wir nie Streit hatten, blos weil sie eine andere Kokarde tragen und eine fremde Sprache reden, dann wird doch wohl ein Mann zu entschuldigen sein, der seinen eignen Todfeind tödtet, welcher bewaffnet auf den Kampfplatz kommt, um ihn zu tödten. Ich sage nicht, daß es recht ist – bewahre Gott! – oder daß es nicht Sünde sei, das zu nehmen, was man nicht ersetzen kann, und das ist der Athem eines Menschen, so lang' er ihm noch in der Brust wohnt; – aber ich sage, es ist eine Sünde, die vergeben werden kann, wenn man sie nur bereut. Sündig sind wir Menschen Alle; aber wenn Sie einem alten grauen Sünder glauben wollen, der Uebel genug gesehn hat, – so gibt es zwischen den Blättern des Testaments so viel Verheißung, daß sie auch den Schlimmsten unter uns retten würde, wenn er nur Glauben hätte.«

Mit solchen religiösen Trostsprüchen, so gut er sie geben konnte, suchte der Bettler fortwährend Lovel's Aufmerksamkeit rege zu erhalten, bis die Dämmerung in Nacht überzugehen begann. »Jetzt,« sagte Ochiltree, »will ich Sie zu einem passenderen Orte führen, wo ich so manches Mal gesessen habe, um die Nachteule schreien zu hören und das Mondlicht durch die alten verfallenen Fenster kommen zu sehen. Dahin kann um diese Zeit der Nacht Niemand mehr kommen; und haben auch die Diener des Sheriffs und die Konstabels eine Nachsuchung gehalten, so wird das lange vorbei sein. Sie sind auch so große Hasenherzen, wie andre Leute, trotz ihrer Verhaftsbefehle und königlichen Vollmachten. Ich habe ihnen so manchen Streich in meinem Leben gespielt, wenn sie mir zu nahe kommen wollten – aber, Gott sei Dank, sie können mir jetzt nichts weiter anhaben, ich bin nur ein alter Mann und Bettler und mein Schild hier ist ein guter Schutz; dann ist auch Miß Isabelle Wardour ein starker Schutz, Sie kennen sie ja« – (hier seufzte Lovel) – »Nun, nur nicht kleinmüthig, es kann noch Alles gut gehen; lassen Sie dem Mädchen Zeit, ihr Herz zu prüfen; ihre Schönheit ist im ganzen Lande bekannt und sie ist meine Freundin. Ich gehe am Stockhaus so sicher vorbei, wie an der Kirche des Sonntags – es sollt' es keiner von ihnen wagen, jetzt dem alten Edie ein Haar zu krümmen – ich will mitten auf der Straße gehen, wenn ich in's Dorf komme und getrost mit dem Amtmann zusammenrennen, ohne mir mehr daraus zu machen, als wenn es ein Vieh wäre.«

Während der Bettler so sprach, war er beschäftigt, einige lockere Steine in einem Winkel der Höhle wegzuräumen, welche den Eingang zur Wendeltreppe bedeckten, von welcher er gesprochen hatte; dorthin ging er nun voran und Lovel folgte willenlos und schweigend.

»Die Luft ist frei genug,« sagte der alte Mann; »dafür sorgten die Mönche, denn sie waren, denk' ich, immer etwas kurzathmig. Sie haben da Löcher hauen lassen, die hinaus in die freie Luft gehen und Alles hübsch frisch erhielten.«

Lovel fand wirklich die Treppe ganz luftrein, und obwohl eng, war sie doch weder zerstört, noch hoch, sondern führte sie schnell in einen engen Gang, der mit der Seitenwand des Chores fortlief, aus welchem er Luft und Licht durch Oeffnungen empfing, welche sinnreich unter den blumigen Zierrathen der gothischen Bauart versteckt waren.

»Dieser geheime Gang geht fast um die ganze Kirche herum,« sagte der Bettler, »und auch durch den Platz, den ich von Monkbarns das Refractorium nennen hörte,« (er meinte wahrscheinlich Refectorium,) »bis zu des Priors Hause hin. – Wahrscheinlich wollte er auf diese Weise belauschen, was die Mönche bei der Mahlzeit sprachen, und dann kam er auch wohl hieher, um zu sehn, ob sie da unten ihre Psalmen gehörig sängen. Sah er nun, daß Alles recht und gut war, da konnte er sich wegschleichen und unten in die Höhle ein hübsches Mädchen kommen lassen, denn in solcher Hinsicht waren die Mönche tüchtige Leute, wenn Alles wahr ist, was man von ihnen sagt. Aber unsre Leute hatten lange Zeit große Mühe, ehe sie den Gang an einigen Stellen aufräumten, und an andern verschloßen, damit kein Ungewaschener etwas davon merkte und den Weg nach der Höhle entdeckte. Es würde das eine schöne Sache geworden sein, meiner Treu'! einigen von uns hätt' es wohl den Hals kosten können.«

Sie kamen nun zu einer Stelle, wo sich der Gang zu einem kleinen Kreis erweiterte, gerade groß genug, um einen steinernen Sitz zu fassen. Eine genau davor angebrachte Nische ging nach dem Chore hinaus, und da ihre Seitenwände, wie gewöhnlich, mit durchbrochenem steinernem Laubwerk versehen waren, so gewährte sie einen vollen Ueberblick des Chors nach jeder Richtung, und war wahrscheinlich, wie Edie bemerkte, als ein bequemer Wachthurm angebracht, von wo aus der Priester, ungesehn, das Benehmen seiner Mönche beobachten und sich mit eignen Augen überzeugen konnte, ob sie mit pünktlicher Aufmerksamkeit die Gebräuche der Andacht befolgten, wovon ihn selber sein Rang befreite. Da die Nische selbst nur eine von einer ganzen Reihe andrer war, welche sich der Wand des Chors entlang befanden, und sich auf keine Weise von den übrigen unterschied, wenn man sie von unten betrachtete, so war dieser geheime Posten, den auch noch die Figur St. Michael's mit dem Drachen von außen verdeckte, vollständig vor jeder Entdeckung gesichert. Der Gang selbst hatte sich früher, in seiner anfänglichen geringen Breite, noch über diesen Sitz weiterhin fortgesetzt; aber die argwöhnische Vorsicht der Landstreicher, welche die Höhle von St. Ruth besuchten, hatte sie veranlaßt, ihn sorgfältig mit Bausteinen aus den Ruinen zu verbauen.

»Wir werden uns hier besser befinden,« sagte Edie, welcher sich auf die Steinbank setzte und den Schoß seines blauen Kittels auf die Stelle legte, wohin er Lovel sich zu setzen bat, – wir werden uns hier besser als unten befinden – die Luft ist frei und mild, und der Duft der Blumen und Kräuter, die auf den verfallenen Wänden wachsen, ist doch weit erquickender, als der dumpfige Dunst dort unten. Zur Nacht duften diese Blumen am schönsten, die man am meisten bei solchen alten Mauern findet; nun, Mr. Lovel, kann einer von Ihren Gelehrten einen richtigen Grund davon angeben?«

Lovel antwortete verneinend.

»Ich denke,« fuhr der Bettler fort, »es ist damit, wie mit den guten Gaben mancher Menschen, die sich oft im Unglück am besten bewähren – oder vielleicht ist's ein Gleichniß, um uns zu lehren, daß wir die nicht gering achten, die in der Dunkelheit der Sünde und in der Noth der Versuchung befangen sind, weil Gott Düfte sendet, um die schwärzeste Stunde zu verschönen, und Blumen und angenehme Büsche, um verfallene Mauern zu bekleiden. Und nun möcht' ich wohl von einem klugen Manne wissen, ob dem Himmel nicht der Anblick höchst angenehm ist, den wir hier genießen – die sanften und ruhigen langen Mondstrahlen, die so still auf dem Boden dieser alten Kirche liegen und durch die hohen Pfeiler und die Oeffnungen der Bogenfenster hereinschauen, und auf den Blättern des dunkeln Efeus tanzen, sowie sie der Wind nur ein wenig bewegt – Ich sollte mich wundern, wenn dies Alles dem Himmel nicht angenehmer ist, als wenn der Ort mit Lampen, Kerzen und Fackeln erleuchtet wäre, und erfüllt mit Cymbeln und Posaunen, wovon in der heiligen Schrift gesagt ist, und dann auch mit der Orgel, mit singenden Männern und Frauen, mit Pfeifen und Zinken und allen möglichen Instrumenten. Ja, wissen möcht' ich, ob das dem Himmel angenehmer war, oder ob es gerade dies Gepränge und die Ceremonien waren, wovon gesagt ist, ›es ist ein Greuel vor mir.‹ Ich denke, Mr. Lovel, wenn zwei arme zerknirschte Herzen, wie wir, die Gnade finden, unser Gebet« –

Hier legte Lovel geschwind seine Hand an des Bettlers Arm und sagte: »Still, ich hörte Jemand sprechen.«

»Ich höre nicht gut,« antwortete Edie flüsternd, »aber hier sind wir ganz sicher – woher kam der Schall?«

Lovel deutete auf die Thür des Chors, welche, stattlich verziert, das westliche Ende des Gebäudes einnahm. Drüber befand sich ein Bogenfenster, welches dem vollen Mondlicht freien Eingang gestattete.

»Es kann Niemand von den unsern sein,« sagte Edie eben so leise und vorsichtig; »nur zwei von ihnen kennen den Ort, und die befinden sich viele Meilen weit von hier, wenn sie noch auf dieser müden Pilgerfahrt begriffen sind. Unmöglich kann ich denken, daß zu dieser späten Stunde die Gerichtsdiener hieher kämen. An alte Weibermärchen von Gespenstern glaub' ich nicht, obwohl dies ein schöner Platz für sie wäre. Aber mögen sie von dieser oder jener Welt sein, da kommen sie! zwei Männer und ein Licht!«

Und wirklich verdunkelten, während der Bettler sprach, zwei menschliche Gestalten mit ihrem Schatten den Eingang zum Chor, welcher zuvor den Blick auf die mondbeschienene Wiese draußen gewährt hatte, und die kleine Laterne, die einer von ihnen trug, schimmerte bleich vor den klaren, lichten Mondstrahlen, gleich dem Abendsterne bei dem Glanze des scheidenden Tages. Der erste und nächste Gedanke war, daß, trotz der Versicherungen Edie Ochiltree's, die Personen, welche die Ruinen zu einer so ungewöhnlichen Stunde betraten, die Gerichtsdiener wären, welche Lovel suchten. Aber nichts in ihrem ganzen Benehmen bestätigte diese Vermuthung. Eine Berührung und ein paar leise Worte des alten Mannes erinnerten Lovel, daß das beste für ihn sei, ganz ruhig zu bleiben, und von ihrem gegenwärtigen Versteck die Bewegungen jener zu beobachten. Sollte etwas vorkommen, was den Rückzug nothwendig machte, so hatten sie im Hintergrunde die steinerne Treppe und Höhle, mittelst deren sie in den Wald entfliehen konnten, bevor ihnen die Gefahr zu nahe käme. Sie hielten sich daher so still als möglich und beobachteten, mit ängstlicher und gespannter Neugier, jedes Wort und jede Bewegung jener nächtlichen Wanderer.

Nachdem sie eine Zeitlang mit einander geflüstert hatten, näherten sich die beiden Gestalten der Mitte des Chors, und eine Stimme, die Lovel an Ton und Dialekt sogleich als die des Mr. Dousterswivel erkannte, verkündigte mit etwas lautern, aber noch immer gedämpften Worten: »Wirklich, mein guter Sir, die Stunde und die Jahreszeit könnte für dies große Vorhaben nicht günstiger sein. Sie werden sehen, mein guter Sir, daß es Alles Larifari ist, was Mr. Oldbuck sagt, und daß er nicht mehr von dem, was er redet, versteht, als ein kleines Kind. Meiner Treu'! er will so reich werden wie ein Jude, für seine armseligen hundert Pfund, um die ich mich, auf Ehre, nicht mehr kümmere, als um hundert Kreuzer. Aber Ihnen, mein großmüthiger und ehrwürdiger Gönner, will ich all die Geheimnisse zeigen, welche die Kunst zu zeigen im Stande ist – ja, das Geheimniß des großen Pymander!«

»Der Andre,« flüsterte Edie, »ist aller Wahrscheinlichkeit nach Sir Arthur Wardour. Außer ihm kenn' ich Niemand, der um diese Zeit mit dem deutschen Landstreicher hieher kommen würde. Man sollte denken, er sei von ihm behext; er wird ihm noch weismachen, Kalk sei Kuhkäse – lassen Sie uns sehn, was sie beginnen«

Diese Unterbrechung und der leise Ton, in welchem Sir Arthur sprach, hinderten Lovel, Sir Arthur's Antwort zu verstehen, außer den drei letzten, mit Nachdruck gesprochenen Worten: »sehr große Unkosten;« worauf Dousterswivel sogleich erwiederte: »Unkosten – allerdings – große Unkosten müssen vorhergehen. Sie dürfen nicht zu ärnten hoffen, eh' Sie gesäet haben: die Unkosten sind die Saat – die Reichthümer und die gute Metallgrube, sowie die großen Silberstücke, das wird die Aerndte sein, und zwar eine sehr gute Aerndte, auf mein Wort. Nun, Sir Arthur, Sie haben diese Nacht ein wenig Saat von zehn Guineen, wie etwa eine Priese Tabak, ausgesäet. Wenn Sie nun nicht die größte Aerndte erhalten, (das heißt, die größte Aerndte im Verhältniß zu der kleinen Saat, denn nach Verhältniß muß Alles stattfinden, wie Sie wissen,) dann sollen Sie mich, Hermann Dousterswivel, nie wieder einen ehrlichen Mann nennen. Nun sehen Sie, mein Gönner – denn vor Ihnen will ich mein Geheimniß nicht im Geringsten verbergen – sehen Sie diese kleine Silberplatte an. Sie wissen, der Mond durchläuft den ganzen Thierkreis in der Zeit von achtundzwanzig Tagen; das weiß jedes Kind. Gut, ich nehme eine Silberplatte, wenn sich der Mond in seinem fünfzehnten Hause befindet, welches Haus den obern Theil der Libra bildet, und ich grabe auf der einen Seite die Worte ein: Shedbarschemoth Shartachan – d. h. die Zeichen der Einsicht des Mondes. Sein Bild zeichne ich gleich einer fliegenden Schlange mit einem Truthahnskopfe. Ganz gut. Dann zeichne ich auf diese Seite die Mondstafel, welche das Quadrat von neun, mit sich selbst multiplicirt, ist, mit einundachtzig Ziffern auf jeder Seite und im Durchmesser neun. Das wäre denn geschehn. Nun werde ich dies bei jedem Mondsviertel anwenden, und so wie ich nun Geld für die Räucherungen verwende, so finde ich dasselbe Verhältniß von neun zu dem Produkte der neun mit sich selbst multiplicirt. Diese Nacht aber werd' ich nicht mehr finden, als zwei oder dreimal neun beträgt, weil eine feindliche Macht im Hause des aufsteigenden Mondes ist.«

»Aber, Dousterswivel,« sagte der einfältige Baronet, »sieht dies nicht wie Zauberei aus? – ich bin ein ächter, wenn auch unwürdiger Sohn der bischöflichen Kirche und will nichts mit dem bösen Feind zu thun haben.«

»Pah! pah! nichts von Zauberei ist dabei, gar nichts; – es gründet sich alles auf den planetarischen Einfluß und die Sympathie und Kraft der Zahlen. Ich will es Ihnen noch feiner, als das, zeigen. Ich will nicht sagen, daß kein Geist dabei sei, was die Räucherung betrifft; aber wenn Sie sich nicht fürchten, soll er auch nicht unsichtbar bleiben.«

»Ich bin aber nicht eben neugierig, ihn zu sehn,« sagte der Baronet, dessen Muth, nach seiner bebenden Stimme zu schließen, ein wenig erschüttert schien.

»Das ist sehr Schade,« sagte Dousterswivel; »ich hätt' Ihnen herzlich gern den Geist gezeigt, der diesen Schatz gleich einem bösen Kettenhunde bewacht – aber ich weiß ihn zu bändigen. Sie machen sich nichts daraus, ihn zu sehen?«

»Nein, gar nichts,« antwortete der Baronet, indem er sich sehr gleichgiltig stellte; »ich dächte, wir hätten nicht viel Zeit.«

»Verzeihen Sie mir, werther Gönner, es ist noch nicht zwölf, und Punkt zwölf Uhr ist unsere planetarische Stunde; inzwischen könnt' ich Ihnen den Geist recht gut zeigen, nur zum Vergnügen. Sie sehen, ich zeichne blos in einem Kreise ein Pentagon, was gar keine Mühe kostet, und nehme darin meine Räucherung vor; da werden wir uns wie in einem festen Schlosse befinden, und Sie könnten das Schwert halten, während ich die nöthigen Worte sage. Dann sollen Sie sehn, wie sich die feste Mauer öffnet, gleich dem Thor einer Stadt und dann – lassen Sie sehn – ja – Sie sollen zuerst einen Hirsch sehn, den drei schwarze Jagdhunde verfolgen, und ihn niederreißen, wie es bei des Kurfürsten großen Jagden geschieht. Dann soll ein häßlicher kleiner Mohr erscheinen und ihnen den Hirsch wegnehmen und im Hui wäre Alles vorbei. Dann sollten Sie Hörner hören, die durch die Ruinen schallten, – auf mein Wort, ein schönes Jagdstückchen sollten Sie blasen hören. Dann trät' ein Herold mit seinem Horn auf, und endlich erschiene der große Peolphan, genannt der mächtige Jäger des Nordens, auf seinem schwarzen Streitrosse – Aber wollen Sie das Alles wirklich nicht sehen?«

»Ei, ich bin nicht furchtsam,« antwortete der Baronet, – wenn nur nicht – ich meine, manchmal geschieht ein großes Unglück bei solchen Gelegenheiten.«

»Pah! – Unglück? durchaus nicht! zuweilen, wenn der Kreis nicht gehörig geschlossen ist, oder wenn sich der Zuschauer fürchtet und das Schwert nicht fest und gerade gegen ihn hält, so nimmt der große Jäger seinen Vortheil wahr, zieht den Beschwörer aus dem Kreise und würgt ihn. Das geschieht bisweilen.«

»Nun denn, Dousterswivel, bei allem Vertrauen auf meinen Muth und Ihr Geschick, wollen wir doch diese Sache unterlassen und an unser Nachtgeschäft gehen.«

»Von ganzem Herzen, mir ist es ganz einerlei und ist auch gerade die rechte Zeit. Halten Sie doch das Schwert, bis ich die Spähne angezündet habe.«

Dousterswivel zündete nun einen kleinen Haufen Spähne an, welche mit einigen harzigen Substanzen bestrichen waren, damit sie stärker brennen möchten; und als sich die Flamme hoch emporhob und mit ihrer kurzwährenden Gluth die Ruinen rings erleuchtete, warf der Deutsche eine Hand voll Räucherwerk hinein, welches einen starken und durchdringenden Geruch verbreitete. Der Beschwörer und sein Schüler waren beide davon so ergriffen, daß sie nach Kräften husteten und niesten; und als der Rauch um die Pfeiler des Gebäudes zog, und jede Spalte durchdrang, da brachte er dieselbe Wirkung bei Lovel und dem Bettler hervor.

»War das ein Echo?« sagte der Baronet, überrascht durch den von oben kommenden Wiederhall; »oder,« – dabei drängte er sich dicht an den Adepten, – »könnt' es der Geist sein, von dem Sie sprachen? verspottet er etwa unsere Bemühung um seinen verborgenen Schatz?«

»Nein –« sagte der Deutsche bebend, der seines Schülers Furcht zu theilen begann, »ich hoffe nicht.«

Hier machte ein heftiges Niesen, welches der Bettler nicht zu unterdrücken vermochte und welches unmöglich für den schwachen Schall eines Echo's gelten konnte, da es zugleich von einem halbunterdrückten Husten begleitet wurde, die beiden Schatzgräber vollends bestürzt. »Der Herr sei uns gnädig!« sagte der Baronet.

»Alle guten Geister loben Gott den Herrn!« rief der erschrockene Adept; »ich fange an zu glauben,« fuhr er nach kurzem Schweigen fort, »daß man die Sache besser bei Tageslicht vollbringen würde – daß es besser wäre, man ginge jetzt hinweg.«

»Betrügerischer Schurke,« sagte der Baronet, in welchem ein Argwohn erwachte, welcher den Schrecken überwand und auch wohl mit dem Gefühle der Verzweiflung im Zusammenhang stand, welches der bevorstehende Ruin in ihm erweckte – »Elender Marktschreier, dies ist einer deiner Taschenspielerstreiche, wie du sie schon oft verübtest, um eines Versprechens entbunden zu werden. Aber beim Himmel, ich will in dieser Nacht noch wissen, worauf ich vertraute, als ich mich zu meinem Verderben von dir zum Narren machen ließ. Wohlan denn, mag Hexe oder Teufel kommen, du sollst mir den Schatz zeigen, oder gestehn, daß du ein Schelm und Betrüger bist; sonst will ich dich, bei dem Wort eines verzweifelten und ruinirten Mannes, an einen Ort schicken, wo du Geister genug sehen sollst.«

Der Schatzgräber, der vor Schrecken über die übernatürlichen Wesen, von denen er sich umringt glaubte, sowie für sein Leben zitterte, welches von der Gnade eines verzweifelten Mannes abhängig schien, konnte nur die Worte hervorbringen: »Mein Gönner, dies ist nicht der beste Weg. Bedenken Sie, verehrter Sir, daß die Geister –«

Hier stieß Edie, dem der ganze Auftritt Spaß zu machen begann, ein seltsames Geheul aus, eine Verstärkung und Verlängerung des kläglichsten Tones, den er gewöhnlich von sich gab, um Mitleid zu erregen. Dousterswivel sank auf die Knie – »theurer Sir Arthur, lassen Sie uns gehen, oder wenigstens mich!«

»Nein, du erbärmlicher Schuft,« sagte der Ritter, sein Schwert ziehend, welches er zum Beschwören mitgebracht hatte. »Dieser Kunstgriff soll dir nichts helfen; Monkbarns hat mich längst vor deinen betrügerischen Kniffen gewarnt; ich will diesen Schatz sehen, ehe du von der Stelle gehst, oder du sollst dich selbst für einen Betrüger erklären; sonst, beim Himmel, werd' ich dich mit diesem Schwerte durchbohren, sollten auch alle Geister der Todten um uns erwachen.«

»Um des Himmels Barmherzigkeit willen, haben Sie Geduld, mein verehrter Gönner, und Sie sollen alle Schätze haben, von denen ich weiß; ja, das sollen Sie wahrhaftig! aber nur nicht von den Geistern sprechen – es macht sie zornig.«

Edie Ochiltree hatte sich jetzt zu einem zweiten Gestöhn vorbereitet, ward aber von Lovel zurückgehalten, welcher ernsten Antheil zu nehmen begann, als er das ernsthafte und fast verzweifelte Benehmen Sir Arthur's bemerkte. Dousterswivel, der sowohl den bösen Feind, als die Heftigkeit Sir Arthur's fürchtete, spielte seine Rolle als Beschwörer herzlich schlecht, indem er Bedenken trug, ein Selbstvertrauen blicken zu lassen, wie es zur Täuschung des Begleiters nothwendig war, da er den unsichtbaren Urheber seiner Angst nicht beleidigen wollte. Als er indeß mit rollenden Augen deutsche Beschwörungsformeln murmelte und stotterte, die von Verdrehungen seines Körpers und Gesichts, aber mehr in Folge der Angst als des beabsichtigten Betruges, begleitet waren, schritt er endlich nach einem Winkel des Gebäudes, wo ein flacher Stein auf dem Boden lag, dessen Oberfläche das Bild eines bewaffneten Kriegers halberhaben in Stein gehauen zeigte. Er flüsterte nun Sir Arthur zu, »mein Gebieter, hier ist es – Gott schütz' uns Alle!«

Sir Arthur, der im ersten Augenblicke, nachdem seine abergläubische Furcht vorüber war, alle Kräfte zu dem Entschlusse aufgeboten zu haben schien, das Abenteuer zu bestehen, leistete nun dem Adepten Beistand, den Stein aufzuheben, was mittelst eines vom Adepten mitgebrachten Hebels, aber nur mit Mühe durch ihre vereinigte Kraft gelang. Es blitzte keineswegs ein übernatürliches Licht aus der Tiefe hervor, um den unterirdischen Schatz anzuzeigen, auch erschienen keine Geister, weder von der Erde noch aus der Hölle. Als aber Dousterswivel mit heftigem Zittern einige Schläge mit einer Hacke geführt und eilig einige Spaten voll Erde ausgeworfen hatte, (denn sie führten alles zum Graben nöthige Werkzeug mit sich,) da hörte man etwas klingen, gleich dem Schall eines niederfallenden Stückes Metall, und Dousterswivel, der den Körper, welcher den Ton hervorbrachte und den er mit der Erde hervorgeschaufelt hatte, schnell aufhob, rief nun »auf mein Wort, mein Gönner, das ist Alles, wahrhaftig – ich meine, Alles was wir diese Nacht thun können,« – und dabei schaute er mit scheuem und furchtsamem Blicke umher, als wolle er sehen, aus welchem Winkel der Rächer seiner Betrügerei hervorstürzen werde.

»Lassen Sie sehen,« sagte Sir Arthur; und dann setzte er ernster hinzu: »ich will gewiß gehen, ich will mit eigenen Augen urtheilen.« Er hielt daher den Gegenstand an die Laterne. Es war ein kleiner Kasten; – Lovel konnte indeß aus der Ferne die Gestalt desselben nicht genau unterscheiden, aber er mußte, nach des Baronets Ausruf beim Oeffnen, mit Münze angefüllt sein. »Nun,« sagte der Baronet, »das ist allerdings ein guter Anfang! und verkündet es einen verhältnißmäßigen Erfolg bei einem größern Einsatz, so soll der Einsatz gewagt werden. Die sechshundert Pfund von Goldieword, nebst den andern dringenden Schulden, hätten mich in der That ruinirt. Meinen Sie, daß wir durch Wiederholung dieses Experiments wieder gewinnen können, – das heißt beim nächsten Mondswechsel, – so will ich die Kosten schaffen, mögen sie herkommen, wo sie wollen.«

»O, mein guter Gönner, sprechen Sie nicht davon,« sagte Dousterswivel, »nur jetzt nicht, sondern helfen Sie mir den Stein zurechtlegen, und dann lassen Sie uns von dannen gehen.« – Und kaum war demnach der Stein in Ordnung gebracht, so eilte er mit Sir Arthur, der nun noch einmal seiner Leitung überlassen war, von einem Orte hinweg, wo des Deutschen böses Gewissen und abergläubische Furcht hinter jedem Pfeiler Geister vermuthet hatte, alle mit der Absicht, seine Verrätherei zu bestrafen.

»Hat ein Mensch je deßgleichen gesehn!« rief Edie, als jene gleich Schatten durch das Thor verschwunden waren, durch welches sie hereingekommen; – »sah ein lebendiges Wesen je deßgleichen! – Aber was können wir für diesen armen bethörten Teufel von Baronet thun? – Er zeigte doch wahrhaftig mehr Muth, als ich ihm zugetraut hätte. Ich dachte er würde den Landstreicher mit dem kalten Eisen durchbohren. Sir Arthur war nicht halb so kühn bei Bessy's Schürze in jener Nacht; aber diesmal war auch sein Blut sehr aufgeregt, und das macht einen kleinen Unterschied. Ich habe manchen Mann gesehn, der im Zorn einen andern todtgeschlagen hätte, während er sich zu andrer Zeit nie auf's Crummieshorn gewagt haben würde. Aber was ist nun zu thun?«

»Ich glaube,« sagte Lovel, »sein Vertrauen auf diesen Kerl ward völlig durch diesen Betrug wieder hergestellt, welcher unstreitig vorher angeordnet war.«

»Was, das Geld? – Ja, ja, das ist ihm zuzutrauen. Wer etwas versteckt, kann am leichtesten etwas finden. Er wird ihm erst noch seine letzte Guinee ablocken, und dann geht er nach seinem Lande zurück, der Schuft. Ich wünschte von Herzen, daß ich nahe genug gewesen wäre, um ihm eins mit meinem Stabe zu versetzen; er würde das für einen Segen von einem der alten todten Aebte gehalten haben. Aber es ist am Besten, man geht nicht zu rasch zu Werke. Kraft macht es nicht allein, sondern auch die Geschicklichkeit. Ich werde zu seiner Zeit schon wieder mit ihm zusammen kommen.«

»Wie, wenn du Mr. Oldbuck die Sache mittheiltest?« sagte Lovel.

»Ach, damit ist's nichts. Monkbarns und Arthur sind einander gleich, wie sehr sie in vielen Fällen auch ungleich sind. Monkbarns hat manchmal Einfluß auf jenen, und manchmal bekümmert sich Sir Arthur so wenig um ihn, als um mich. Monkbarns ist in manchen Dingen auch nicht der Klügste; er glaubt ein Kupferpfennig sei eine römische Münze, wie er's nennt, und ein Graben sei ein Lager, obwohl ihn müßige Leute nicht lange zuvor erst machten. Ich hab' ihm selbst schon manche närrische Geschichte aufgeheftet, Gott verzeih' mir's. Aber bei all' dem hat er nicht viel Nachsicht mit andern Leuten, und ist rasch und derb genug, ihnen gleich ihren Unsinn vorzurücken, wie wenn er selber keinen beginge. Er wird den ganzen Tag zuhören, wenn man ihm Geschichten von Wallace, vom blinden Harry und von David Lindsay erzählt, aber man darf nicht mit ihm von Geistern und Feen oder umgehenden Gespenstern reden. Er hat den alten Caxon fast aus dem Fenster geworfen (und ebenso gut hätt' er seine beste Perücke hinterdrein werfen können,) blos weil er behauptete, in Humlock-Knowe einen Geist gesehn zu haben. Wollte er in diesem Falle nun auch so beginnen, so würde er gewiß das Uebel nur ärger machen, wie es schon einigemal der Bergwerke wegen geschah. Man hätte denken können, Sir Arthur habe seine Freude dran, um so tiefer zu graben, je mehr er von Monkbarns gewarnt würde.«

»Was sagst du dazu,« fragte Lovel, »wenn man Miß Wardour mit der Sache bekannt machte?«

»Ach, das arme Geschöpf, wie könnte sie ihren Vater hindern, seinem Belieben zu folgen? und was könnte es überhaupt nützen? – Man redet überall in der Gegend von sechshundert Pfund, und ein Advokat in Edinburg hat dem Sir Arthur die Sporenräder des Gesetzes in die Seiten gedrückt, damit er sie zahlen solle, und wofern er das nicht kann, muß er in's Gefängniß wandern, oder das Land fliehen. Er ist ein Mann der Verzweiflung und greift nach dem geringsten Haltpunkt, um dem äußersten Verderben zu entgehen; warum also das arme Mädchen mit etwas plagen, dem sie doch nicht abhelfen kann? – Und überhaupt, um die Wahrheit zu gestehen, möcht ich das Geheimniß dieses Ortes hier nicht gern verrathen. Es ist ganz hübsch, wie Sie selber sehen, so eine verborgene Höhle zu wissen, und obwohl ich jetzt nicht mehr in dem Falle bin, sie nöthig zu haben, und auch zu Gott hoffe, daß ich nichts wieder begehen werde, wo ich sie brauchen könnte, so weiß doch kein Mensch, wozu ihn die Versuchung einmal verleiten kann – und, um kurz zu sein, ich mag nicht, daß Jemand von diesem Orte Kenntniß erhalte. Man sagt, heb' ein Ding sieben Jahr auf, und du wirst es schon zu etwas brauchen können. Vielleicht kann ich die Höhle noch einmal brauchen, sei es für mich, oder für andre Leute.«

Dieser Grund, an welchem Edie Ochiltree, trotz seiner moralischen und religiösen Sprüche, vielleicht nur aus alter Gewohnheit, mit persönlichem Interesse hielt, konnte von Lovel nicht füglich widerlegt werden, welcher in diesem Augenblicke die Wohlthat des Geheimnisses genoß, welches der alte Mann so eifersüchtig zu hüten schien.

Dieser Vorfall war indeß sehr nützlich für Lovel, weil er sein Gemüth von dem unglücklichen Ereigniß des Abends ablenkte und seine Geisteskraft bedeutend hob, welche beim ersten Anblick des Unglücks betäubt worden war. Er überlegte, daß eine gefährliche Wunde ja noch keineswegs tödtlich sein müsse; daß er von dem Orte geeilt war, bevor der Wundarzt noch eine Meinung über Capitain M'Intyre's Zustand geäußert hatte; und daß er auf Erden Pflichten zu erfüllen hätte, die, sollte auch der schlimmste Fall eingetreten sein, wofern sie seinen Seelenfrieden und sein schuldloses Bewußtsein nicht herstellen könnten, doch Grund genug wären, sein Dasein zu ertragen und es einer nützlichen Thätigkeit zu widmen.

Dies waren Lovel's Empfindungen, als die Stunde nahte, wo es, Edie's Berechnung gemäß, (der, nach seiner eignen Weise die Himmelskörper beobachtend, die Hilfe keiner Taschenuhr nöthig hatte,) die rechte Zeit war, ihr Versteck zu verlassen und sich an den Strand zu begeben, um Leutnant Taffrill's Boot, der Verabredung gemäß, zu erwarten.

Sie gingen durch den nämlichen Gang zurück, der sie zu des Priors geheimem Beobachterposten geführt hatte, und als sie aus der Grotte in den Wald traten, verkündigten die Vögel, die zu zwitschern und zu singen begannen, daß der Morgen anbrechen wolle. Dies ward durch das Licht und die glänzenden Wolken bestätigt, die über dem Meere erschienen, sobald die Beiden aus dem Buschholze traten und eine Uebersicht des Horizontes gewannen. Die Morgenstunde, die eine Freundin der Musen sein soll, hat diese Meinung wahrscheinlich der Wirkung zu verdanken, welche sie auf Herz und Geist der Menschen äußert. Selbst denen, die, gleich Lovel, eine schlaflose und angstvolle Nacht zubrachten, bringt der Morgenhauch neue Kraft und stärkt Geist und Körper. Mit erneuerter Munterkeit und Kraft ging daher auch Lovel, geführt von dem treuen Bettler, über den thauigen Boden, welcher den Wald von St. Ruth, so hieß das Gehölz, welches die Ruinen umgab, vom Seestrande trennte.

Der erste Strahl der Sonne, als ihre glänzende Scheibe aus dem Meere zu tauchen begann, fiel gerade auf die kleine Brigg, die in der Bucht lag – dicht am Ufer wartete das Boot bereits, und Taffril selbst, in seinen Schiffermantel gehüllt, saß im hintern Theil desselben. Er sprang an's Land, als er den Bettler und Lovel nahen sah, und indem er dem letztern die Hand schüttelte, bat er ihn, nicht niedergeschlagen zu sein. »M'Intyre's Wunde,« sagte er, »war bedenklich, aber keineswegs verzweifelt.« Er war so aufmerksam gewesen, Lovel's Gepäck heimlich an Bord der Brigg zu senden, »und,« sagte er, »ich hoffe, wenn Mr. Lovel am Bord des Fahrzeugs bleibt, wird die Buße, eine kurze Kreuzfahrt mitzumachen, die einzige unangenehme Folge seines Rencontres sein. Was mich selbst betrifft so kann ich so ziemlich über meine Zeit und meine Bewegungen verfügen, mit Ausnahme der nothwendigen Bedingung, daß ich auf meiner Station bleibe.«

»Wir wollen weiter über unsre künftigen Bewegungen reden,« sagte Lovel, »während wir an Bord gehen.«

Dann wandte er sich an Edie und suchte ihm Geld in die Hand zu drücken. »Ich glaube,« sagte Edie, indem er es zurückwies, »die ganzen Leute hier sind entweder närrisch geworden, oder sie haben es darauf abgesehen, mein Geschäft zu ruiniren, – es heißt ja, zu vieles Wasser ertränkt den Müller. In den letzten Wochen ist mir mehr Geld angeboten worden, als ich je zuvor in meinem Leben beisammen sah. Behalten Sie das Geld, Freund, Sie werden es nöthig haben, dafür steh' ich; aber ich brauch' es nicht. Meine Bedürfnisse sind nicht groß, und einen blauen Kittel bekomm' ich jedes Jahr; auch so viel Groschen, als unser König, Gott segne ihn, Jahre zählt. Sie und ich dienen demselben Herrn, wie Sie wissen, Capitain Taffril. Da ist für Alles gesorgt. Und mein Essen und Trinken bekomme ich immer, wo ich's auf meiner Runde verlange; oder ist dies einmal nicht der Fall, so kann ich auch einen Tag ohne dasselbe auskommen, denn ich habe es mir zur Regel gemacht, nie etwas dafür zu bezahlen; also ist all' das Geld, was ich brauche, nur dazu bestimmt, um Taback und Schnupftaback zu kaufen, und etwa einmal einen Schnaps, wenn ein kalter Tag ist, obwohl ich nie ein besonderer Schnapstrinker gewesen bin. Drum nehmen Sie Ihr Gold nur zurück, und geben mir nur einen hübschen weißen Schilling.«

Auf diesen Grillen, die er mit der Ehre seines Landstreicherberufs für genau verbunden hielt, beharrte Edie streng und fest wie Diamant, und ließ sie sich weder durch Bitten noch Ueberredung rauben. Daher sah sich Lovel genöthigt, sein Geschenk wieder einzustecken, freundlichen Abschied vom Bettler zu nehmen, indem er ihm die Hand schüttelte, und ihm seine herzliche Dankbarkeit für die wichtigen Dienste zu versichern, die er ihm geleistet hatte. Zugleich empfahl er ihm, dasjenige geheim zu halten, was sie in dieser Nacht mit angesehen hatten. – »Haben Sie keine Sorge darum,« sagte Ochiltree; »nie in meinem Leben erzählte ich Dinge, die jene Höhle betrafen, obwohl ich manch' närrischen Streich darin mit angesehen habe.«

Das Boot stieß nun ab. Der alte Mann blieb stehen und schaute ihm nach, während es, von sechs rüstigen Ruderern in Bewegung gesetzt, eilig der Brigg zusteuerte, und Lovel sah, wie er seine blaue Mütze zum Zeichen des Lebewohls schwenkte, eh' er seine Stellung verließ und langsam am Strande hinzugehen begann, als wollte er seine gewohnten Wanderungen antreten. –


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