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Erstes Kapitel.

Ich bin mit des Schurken Gesellschaft behext.
Hat mir der Schuft nicht einen Liebestrank beigebracht,
so lass' ich mich hängen; anders kann es nicht
sein. Ich hab' ein Tränkchen bekommen.

Zweiter Theil Heinrich's IV.

Vierzehn Tage lang forschte der Alterthümler regelmäßig beim alten Caxon, ob er etwas von Mr. Lovel gehört habe, und eben so regelmäßig antwortete Caxon, »daß die Stadt nichts über ihn erfahren könne, außer, daß er noch ein Paar Briefe aus dem Süden empfangen hätte und daß man ihn nie auf der Straße sehe.«

»Und wie lebt er denn, Caxon?«

»Nun, Mrs. Hadoway macht ihm ein Beefsteak zurecht, oder eine Hammelcotelette, oder sie brät ihm ein Hühnchen und was ihr sonst gerade zur Hand ist; das ißt er dann in dem kleinen rothen Zimmer neben seinem Schlafgemach. Sie kann ihn durchaus nicht dahin bringen, zu sagen, daß er das eine lieber als das andere ißt; des Morgens kocht sie ihm Thee und macht jede Woche seine Rechnung richtig.«

»Aber geht er denn niemals aus?«

»Das Spazierengehen hat er ganz aufgegeben und sitzt den ganzen Tag, lesend oder schreibend, in seinem Zimmer. Eine Menge Briefe hat er geschrieben, aber er wollte sie nicht auf unsre Post geben, obwohl sich Mrs. Hadoway erbot, sie selber hinzutragen, sondern er schickte sie all' unter einem Couvert an den Sheriff, und Mr. Mailsetter glaubt, der Sheriff habe seinen Knecht damit zum Postamt in Tannonburgh gesendet; meine unmaßgebliche Meinung ist, daß er argwöhnte, man gucke in Fairport in seine Briefe, und er kann wohl recht haben, denn meine arme Tochter Jenny« –

»Still, quälen Sie mich nicht mit dem Weibsbild, Caxon. Nach dem armen jungen Mann frag' ich – Schreibt er denn nichts als Briefe?«

»O ja – ganze Bogen voll andre Sachen, wie Mrs. Hadoway sagt. Sie wünscht sehr, er möchte sich zu einem Spaziergang bewegen lassen; sie glaubt, er sähe gar elend aus und der Appetit höre ganz auf; aber er mag nicht einmal über die Schwelle gehn, und sonst ging er doch immer so viel aus.«

»Das ist schlimm; ich merke schon, was ihn beschäftigt; aber er darf sich nicht zu sehr angreifen. Ich will mich heut' aufmachen und ihn besuchen. Wahrscheinlich steckt er bis über die Ohren in der Caledoniade.«

Nachdem Mr. Oldbuck diesen männlichen Entschluß gefaßt hatte, rüstete er sich zu der Expedition mit seinen großen Spazierschuhen und dem goldknöpfigen Stocke, während er die Worte Falstaff's murmelte, die wir zum Motto dieses Kapitels wählten. Denn der Alterthümler war selbst erstaunt über den hohen Grad der Zuneigung, die er offenbar für den Fremden hegte. Trotzdem ließ sich das Räthsel leicht lösen. Lovel hatte viele anziehende Eigenschaften, aber unsers Alterthümlers Herz gewann er dadurch, daß er fast immer ein guter Zuhörer war.

Ein Gang nach Fairport war für Mr. Oldbuck schon zu einem bedeutsamen Unternehmen geworden, an welches er nur sehr selten dachte. Die Grüße auf offenem Markt waren ihm zuwider; und da fanden sich immer Pflastertreter in den Straßen, die ihn mit Tagesneuigkeiten belästigten, oder ein Geschäftchen machen wollten. So hatte er bei dieser Gelegenheit kaum die Straßen Fairports betreten, als es schon hieß: »Guten Morgen, Mr. Oldbuck – ach, Sie kommen mir recht erwünscht – was sagen Sie zu den Neuigkeiten im heutigen Sun? – es heißt, in vierzehn Tagen werde die große Expedition vor sich gehen.«

»Ich wünsche zu Gott, sie wäre schon vorbei, damit ich nichts mehr davon hören müßte.«

»Monkbarns,« rief der Samenhändler, »ich hoffe, Sie waren mit den Pflanzen zufrieden? und wenn Sie Blumenzwiebeln brauchen, frisch von Holland, oder« (dies ward leiser gesprochen,) »ein Paar Eimer Genever, eine unserer Briggs lief gestern ein.«

»Danke, danke, – bedarf jetzt nichts, Mr. Crabtree,« sagte der Alterthümler, entschlossen vorwärts eilend.

»Mr. Oldbuck,« sagte der Stadtschreiber (ein sehr wichtiger Mann, der dem alten Herrn entgegentrat und ihn aufzuhalten wagte,) »der Bürgermeister hörte, daß Sie in der Stadt sind, und bittet, auf keinen Fall wieder fortzugehen, ohne ihn besucht zu haben; er hat mit Ihnen wegen der Wasserleitung zu sprechen, die vom Fairwellbrunnen durch einen Theil Ihrer Besitzungen geführt werden soll.«

»Was der Teufel! – haben sie denn kein ander Land als das meine, um es zu durchwühlen? – ich werd' es nicht zugeben, gewiß nicht.«

»Und der Bürgermeister,« sagte der Stadtschreiber, fortfahrend, ohne der harten Worte zu achten, »und der Rath würden Ihnen gern die alten Steine der Donagildskapelle überlassen, die Sie zu haben wünschten.«

»Wie? was? – O, das ist eine andere Sache – ich werde den Bürgermeister besuchen und mit ihm sprechen.«

»Aber Sie möchten sich gleich klar darüber aussprechen, Monkbarns, wenn Sie die Steine brauchen; denn der Dechant Harlewalls meint, diese Steine könnten mit Vortheil bei der Fronte des neuen Rathhauses gebraucht werden; nämlich die beiden krummbeinigen Statuen, welche das Volk Robin und Bobbin nennt; zwei könnten an den Seiten des Eingangs stehen, und die dritte, Ailie Dailie genannt, oben über dem Portal. Es würde sich sehr gut ausnehmen, meint der Dechant, und ganz im modernen gothischen Style.«

»Der Himmel behüte mich vor dieser gothischen Generation!« rief der Alterthümler. »Ein Denkmal aus der Tempelherrnzeit zu beiden Seiten eines griechischen Portals, und eine Madonna oben darüber! O crimini! – Gut, sagen Sie dem Bürgermeister, ich wünschte die Steine zu haben, und wir wollen über die Wasserleitung schon einig werden. – Es war ein Glück, daß ich heute hieher kam.«

Sie schieden mit beiderseitiger Zufriedenheit; aber der pfiffige Stadtschreiber hatte am meisten Ursache, sich seiner bewiesenen Gewandtheit zu freuen, da der Gedanke, die alten Bildsäulen (die der Rath als unnützen Kram wegzuschaffen beschlossen hatte, weil sie die offene Straße drei Fuß breit versperrten,) gegen ein Recht zu vertauschen, nach welchem man das Wasser durch Monkbarns Eigenthum nach der Stadt leiten konnte, ein Einfall war, den er nur im Drange des Augenblicks gehabt hatte.

Unter so verschiedenartigen Hindernissen setzte Monkbarns, (so nannte man ihn allgemein in der Gegend,) seinen Weg bis zu Mrs. Hadoway's Behausung fort. Diese gute Frau war die Wittwe eines vormaligen Geistlichen in Fairport, und sie war, durch ihres Gatten unerwarteten Tod, in die sehr beschränkten Umstände gerathen, worin sich die Wittwen schottischer Geistlichen nur zu häufig befinden. Die Wohnung, welche sie inne hatte, und das Hausgeräth, welches sie besaß, gaben ihr die Mittel, einen Theil des Hauses zu vermiethen, und da sich Lovel als ein stiller, regelmäßiger und einträglicher Miethsmann zeigte, der sich bei dem nöthigen Verkehr, den beide mit einander hatten, äußerst höflich und artig benahm, so hatte Mrs. Hadoway, vielleicht an eine freundliche Behandlung nicht sehr gewöhnt, große Zuneigung zu ihm gefaßt, und gab sich Mühe, ihm jede mögliche Aufmerksamkeit zu erweisen, welche die Umstände nur immer gestatteten. Ein Gericht etwas besser als gewöhnlich für »den armen jungen Herrn« zu bereiten; sich bei denjenigen, die sich ihres Gatten erinnerten und ihr seinet- und ihretwillen wohlwollten, Mühe zu geben, und etwa ein seltenes Gemüse, oder sonst etwas, was ihres Gastes Eßlust reizen konnte, zu erhalten, dies war ihr eine Mühe, worin sie ihre Freude fand, obwohl sie dies sorgsam vor ihm verbarg, um dessen willen es geschah. Sie verheimlichte dieses Wohlwollen keineswegs, um das Lachen derjenigen zu vermeiden, welche hätten vermuthen können, ein glattes Gesicht, dunkle Augen und eine muntere Gesichtsfarbe könnte noch immer, obwohl einer fünfundvierzigjährigen Frau gehörend und unter einem dichtgeschlossenen Wittwenschleier verborgen, auf Eroberungen ausgehen, denn, um die Wahrheit zu sagen, ein so lächerlicher Gedanke kam ihr selber nie in den Sinn, und daher konnte sie auch nicht voraussetzen, daß Jemand anders so denken werde. Aber sie verbarg ihre Aufmerksamkeiten vor ihrem Gaste nur aus Zartgefühl, weil sie zweifelte, daß er sie bezahlen könne, während sie glaubte, daß er dies doch gern werde thun wollen und sich dann gewiß sehr grämen würde, wenn er nicht all' ihre Artigkeiten vergelten könne. Sie öffnete jetzt Mr. Oldbuck die Thür, und ihre Ueberraschung, als sie ihn sah, lockte ihr Thränen in die Augen, die sie kaum zurückhalten konnte.

»Wie freu' ich mich Sie zu sehn, Sir – wirklich, sehr froh bin ich, Sie zu sehen. Mein armer Herr ist, fürcht' ich, recht unwohl; und ach, Mr. Oldbuck, er will weder einen Doctor, noch einen Pfarrer, noch einen Notar sehen. Und denken Sie nur, wie es stehen würde, wenn, wie mein armer Hadoway zu sagen pflegte, ein Mensch ohne die Hilfe der drei gelehrten Facultäten stürbe!«

»Gewiß besser ohne sie, als mit ihnen,« brummte der cynische Alterthümler. »Ich sag' Ihnen, Mrs. Hadoway, die theologische Fakultät lebt von unsern Sünden, die medicinische von unsern Krankheiten und die juristische von unserm Mißgeschick.«

»O pfui! Monkbarns! muß man von Ihnen solche Worte hören? – Aber Sie wollen hinaufsteigen und den armen jungen Menschen besuchen? – Ach, so jung und wohlgebildet, – und von Tage zu Tage aß er weniger, und nun rührt er kaum noch etwas an, und nimmt nur ehrenhalber etwas vom Teller, und seine armen Wangen fallen täglich mehr ein und werden blässer, daß er nun wirklich so alt aussieht, wie ich, die doch seine Mutter sein könnte – und wenn nun auch das noch nicht, aber doch beinah.«

»Warum macht er sich denn gar keine Bewegung?« sagte Oldbuck.

»Ich denke, wir haben ihn doch dazu überredet, denn er hat von Gibbie Gehleicht, dem Roßkamm, ein Pferd gekauft. Unser Herr ist ein Kenner von Pferdefleisch, das sagte Gibbie, denn er bot ihm ein Thier und glaubte ihn damit zufrieden zu stellen, weil er ein gelehrter Mann ist; aber Mr. Lovel mocht' es kaum ansehn, und kaufte eins, das wohl dem besten Reiter gut genug sein möchte. Es steht drüben im Gasthofe an der Straße, und er ritt gestern Morgen und heute Morgen vor dem Frühstück aus – aber wollen Sie nicht hinauf in sein Zimmer gehen?«

»Gleich, gleich; – aber er hat doch keinen Besuch?«

»Ach Gott, Mr. Oldbuck, gar nicht; er nahm ja Niemand an, als er wohl und munter war; welcher Mensch in Fairport sollte denn nun zu ihm kommen?«

»Ja, ja, 's ist wahr – ich hätte mich wundern sollen, wenn's anders wär – Nun, so zeigen Sie mir den Weg, Mrs. Hadoway, sonst möcht' ich mich verlaufen und hingehn, wohin ich nicht soll.«

Die gute Wirthin führte ihn die enge Treppe hinauf, warnte ihn vor jedem Absatze und klagte in einem fort, daß er sich so hoch bemühen müsse. Endlich pochte sie sanft an der Thür von ihres Gastes Zimmer. »Herein,« rief Lovel; und Mrs. Hadoway ließ den Laird von Monkbarns hinein.

Das kleine Zimmer war nett und sauber und anständig meublirt, auch durch einige Ueberreste von Stickerei geschmückt, welche Mrs. Hadoway noch aus ihrer Jugend erhalten hatte; aber es war eng, beschränkt, und, wie es Oldbuck vorkam, ein nachteiliger Aufenthalt für einen jungen Mann von zarter Gesundheit – eine Wahrnehmung, die einen Plan zur Reife brachte, den er bereits zu Lovel's Bestem ausgesonnen hatte. Hinter einem Schreibtische, auf welchem eine Menge Bücher und Papiere lagen, saß Lovel auf einem Kissen in Schlafrock und Pantoffeln. Oldbuck erschrack über die Veränderung, die mit seinem Aeußern stattgefunden hatte. Wangen und Stirn waren geisterbleich, außer wo ein runder Fleck von hektischer Röthe einen starken und verdächtigen Kontrast bildete, – ganz verschieden von der vollkommen gesunden und kräftigen Gesichtsfarbe, welche früher sein Antlitz schmückte und etwas bräunte. Oldbuck bemerkte, daß die Kleidung, die er trug, zu einem Traueranzug gehörte, und ein Rock von der nämlichen Farbe hing über einem Stuhl in der Nähe. Als der Antiquar eintrat, stand Lovel auf, trat vorwärts und hieß ihn willkommen.

»Das ist freundlich von Ihnen,« sagte er, ihm die Hand drückend und herzlich für den Besuch dankend; »das ist recht freundlich und kommt einem Besuche zuvor, womit ich Sie belästigen wollte – Sie müssen wissen, daß ich seit Kurzem ein Reiter geworden bin.«

»Ich hörte das von Mrs. Hadoway. Ich hoffe nur, mein lieber junger Freund, daß Sie ein ruhiges Thier bekommen haben. Ich kaufte selber einmal eins ohne langen Handel von besagtem Gibbie Gehleicht, und das Thier rannte mit mir eine Stunde weit einer Koppel Hunde nach, mit denen ich so wenig zu thun hatte, wie mit dem Schnee vom vorigen Jahre, und nachdem ich wahrscheinlich der ganzen Jagdgesellschaft unendlichen Spaß gemacht hatte, war das Thier so gut und setzte mich in einem trockenen Graben ab. Ich hoffe, das Ihre ist mehr friedlicher Natur?«

»Wenigstens hoff' ich, daß wir unsre Exkursionen nach einem bessern Plane wechselseitigen Einverständnisses machen werden.«

»Das heißt so viel, als Sie halten sich für einen guten Reiter?«

»Ich möchte mich nicht gern,« antwortete Lovel, »als einen schlechten bekennen.«

»Nein; aber all' ihr jungen Leute haltet euch für gar zu sicher – habt ihr denn aber auch Erfahrung? Denn, crede experto, ein Pferd in der Hitze macht keinen Spaß.«

»Nun, ich möchte mich freilich nicht gern als vorzüglichen Reiter rühmen, als ich aber in dem Cavalleriegefecht bei – – Adjutant des Sir – –, im vorigen Jahre, war, da sah' ich manch bessern Reiter, als ich selber, abgesetzt werden.«

»Ah! Sie haben also dem grausigen Kriegsgott in's Gesicht geschaut – Sie sind mit dem Zürnen des waffenmächtigen Mars bekannt? Diese Erfahrung erfüllt das Maß Ihres Berufs zum Epos! Die Briten fochten jedoch, wie Sie sich erinnern werden, auf Streitwagen – covinarii heißt's beim Tacitus – Sie erinnern sich der schönen Schilderung ihres Einbruchs unter die römische Infanterie; obwohl uns der Historiker sagt, wie übel die rauhe Fläche des Bodens sich zu einer Reiterschlacht eignete – und wirklich hab' ich mich im Ganzen immer gewundert, welche Wagen man in Schottland anderswo, als auf gebahnten Straßen, habe anwenden können. Doch, Sie erlauben – hat die Muse Sie besucht? – haben Sie etwas fertig, was Sie mir zeigen können?«

»Meine Zeit,« sagte Lovel mit einem Blick auf seine schwarzen Kleider, »ist weniger angenehm in Anspruch genommen worden.«

»Ist Ihnen ein Freund gestorben?« sagte der Antiquar.

»Ja, Mr. Oldbuck; fast der einzige Freund, dessen ich mich rühmen konnte.«

»Wirklich? nun, junger Mann,« erwiederte der Gast mit einem Ernste, welcher ganz verschieden von seiner affectirten Gravität war, »trösten Sie sich; – wenn Ihnen der Tod einen Freund entriß, während sie noch beide warm und treu an einander hingen, und Ihre Thräne fließen kann, ohne durch eine peinliche Erinnerung an Kälte, Mißtrauen oder Verrath verbittert zu werden, so sind Sie dadurch vielleicht nur einem härtern Geschick entgangen. Schauen Sie um sich! wie wenige sehen Sie da, die alt geworden sind mit der Neigung zu denen, mit welchen sie ihre früheste Freundschaft schlossen! Die Quellen unsrer gemeinsamen Freuden trocknen allmählig aus, während wir durch das Thal von Bacha reisen, und wir graben uns andere Cisternen, von welchen die ersten Gefährten unserer Wanderschaft ausgeschlossen sind; Eifersucht, Nebenbuhlerschaft, Neid trennen Andere von unsrer Seite, bis keiner mehr bei uns bleibt, außer denen, die mit uns mehr durch Gewohnheit, als durch Zuneigung verbunden sind, oder die, uns mehr durch Blut als durch Liebe verbunden, dem alten Manne bloß deßhalb Gesellschaft im Leben leisten, damit sie bei seinem Tode nicht vergessen werden mögen –

Haec data poena diu viventibus

Ach, Mr. Lovel, wenn es Ihr Loos ist, den kalten, wolkigen und trostlosen Abend des Lebens zu erreichen, so werden Sie sich der Sorgen Ihrer Jugend erinnern, als der leichten Wolken, die für einen Augenblick die Strahlen der aufgehenden Sonne auffangen. – Aber ich zwinge Ihrem Ohr da Worte auf, die unverdaulich für Ihre Denkweise sind.«

»Ich erkenne Ihre Freundlichkeit an,« antwortete der Jüngling, »aber eine frisch geschlagene Wunde muß stets heftig schmerzen, und bei meinem gegenwärtigen Unglück tröstet mich die Ueberzeugung wenig, (verzeihen Sie diese Worte,) daß das Leben nichts für mich übrig hat, als eine stete Folge von Schmerzen. Und erlauben Sie mir hinzuzufügen: Sie, Mr. Oldbuck, haben vor vielen andern Menschen am wenigsten Ursache, das Leben von einer so düstern Seite zu betrachten – Sie haben ein genügendes, angemessenes Vermögen – sind allgemein geachtet – können, nach Ihrer eignen Redeweise, vacare Musis, sich den Forschungen, die Ihrem Geschmacke zusagen, hingeben – Sie können nach Belieben außer dem Hause Gesellschaft suchen, und daheim haben Sie die zärtliche und sorgsame Aufmerksamkeit der nächsten Verwandten.«

»Ach, ja! die Weibsbilder, als Weibsbilder, sind, Dank meiner strengen Zucht, artig und fügsam genug – stören mich nicht bei meinen Morgenstudien – schleichen über die Dielen mit dem sachten Schritt einer Katze, wenn es mir gefällt, nach dem Essen oder dem Thee in meinem Lehnstuhl ein Schläfchen zu halten. Alles das ist recht gut – aber ich brauche Jemand, mit dem ich Ideen austauschen kann, mit dem ich reden kann.«

»Warum laden Sie dann nicht Ihren Neffen, den Capitain M'Intyre, ein, den Jedermann als einen hübschen, geistreichen jungen Mann schildert, – warum machen Sie den nicht zu einem Ihrer Hausgenossen?«

»Wen?« rief Monkbarns, »meinen Neffen Hektor? – den Heißsporn des Nordens? – Nun, Gott steh' Ihnen bei, ich könnte eben so gut einen Feuerbrand in meinen Holzstall einladen. Er ist ein Almanzor, ein Chamont – hat einen hochländischen Stammbaum, so lang wie sein Schlachtschwert, und ein Schlachtschwert, so lang wie die Hochstraße in Fairport. Ich erwarte ihn dieser Tage hier, aber ich will ihn kurz halten, darauf verlassen Sie sich. Er ein Bewohner meines Hauses! um meine Stühle und Tische zittern zu machen, wenn er einherschreitet – Nein, nein, ich will nichts von Hektor M'Intyre wissen! Doch hören Sie, Lovel, Sie sind ein ruhiger, sanftmüthiger Mensch; wär's nicht besser, Sie ließen Ihren Wanderstab einige Monat in Monkbarns ruhen, da ich vermuthe, daß Sie doch nicht sogleich diese Gegend verlassen? – Ich will eine Thür nach dem Garten zu öffnen lassen – es kostet nur eine Kleinigkeit – es ist noch der Ort da, wo früher eine war; und durch diese Thür können Sie dann aus und ein gehen in die grüne Stube nach Belieben, ohne mir altem Manne zu begegnen. Was Ihre Lebensweise betrifft, so sagt mir Mrs. Hadoway, Sie wären gar zu mäßig bei Tische; um so weniger wird Ihnen meine bescheidene Tafel einen Anstoß geben. Ihre Wäsche« –

»Halt, mein theurer Mr. Oldbuck,« fiel Lovel hier ein, während er ein Lächeln nicht unterdrücken konnte; »und bevor Ihre Gastfreundschaft für all' meine Bedürfnisse sorgt, nehmen Sie meinen aufrichtigsten Dank für ein so freundliches Anerbieten – es steht jetzt nicht in meiner Macht, es anzunehmen; wahrscheinlich aber werde ich, bevor ich Schottland Lebewohl sage, Gelegenheit finden, Ihnen einen längern Besuch abzustatten.«

Mr. Oldbuck ward mißmuthig. »Ei, ich glaubte gerade die Anordnung getroffen zu haben, die für uns Beide paßte; und wer weiß, was im Laufe der Zeit geschehen wäre und ob wir uns je wieder getrennt hätten? – Ja, ich bin doch Herr meiner Güter, Freund – es ist ein Vortheil, von einem Manne zu stammen, der mehr Verstand als Stolz hatte – Niemand kann mich nöthigen, meine Güter, meine ganze Habe, auf einen andern zu vererben, als auf den ich es will. Keine Erbfolglinie ist da, (die stets so eitel und nichtig ist, wie die Papierstückchen am Schwanz eines Kinderdrachens,) die meiner Neigung in den Weg treten oder meinem freien Willen Fesseln anlegen könnte. Nun, ich sehe wohl, Sie sind jetzt nicht in der rechten Stimmung – Aber Caledonia geht doch vorwärts, hoff' ich?«

»O, gewiß!« sagte Lovel, »ich kann nicht daran denken, einen so hoffnungsvollen Plan aufzugeben.«

»Das ist er wirklich,« sagte der Alterthümler mit sehr wichtiger Miene, – denn, obwohl klug und scharfsinnig genug, wenn es die Pläne Anderer zu beurtheilen galt, so hegte er doch eine sehr natürliche, aber nur zu übertriebene, gute Meinung von dem Werthe derjenigen, die er selber erfunden hatte – »es ist in der That eines von denjenigen Unternehmen, die, werden sie mit dem Geiste ausgeführt, mit dem sie angegeben wurden, die Literatur unserer Zeit von dem Vorwurfe der Frivolität befreien können.«

Hier ward er durch ein Klopfen an der Thür unterbrochen, worauf ein Brief an Mr. Lovel abgegeben wurde. Der Diener wartete, wie Mrs. Hadoway sagte, auf Antwort. »Sie sind betheiligt bei dieser Sache, Mr. Oldbuck,« sagte Lovel, nachdem er das Billet durchflogen hatte, und mit diesen Worten reichte er es zugleich dem Alterthümler hin.

Es war ein Brief von Sir Arthur Wardour, äußerst höflich abgefaßt, und der Absender bedauerte darin, daß ihn bisher ein Gichtanfall abgehalten habe, Mr. Lovel die Aufmerksamkeit zu beweisen, worauf ihm sein Benehmen bei der letzten gefährlichen Gelegenheit so großes Recht gebe. Zugleich entschuldigte er sich, daß er seine Achtung nicht in Person vermelde, er hoffe jedoch, Mr. Lovel werde ihm diese Ceremonie erlassen, aber einer kleinen Gesellschaft seine Gegenwart schenken, die am folgenden Tage die Ruinen des Klosters St. Ruth besuchen, sodann in Knockwinnock speisen und auch daselbst den Abend zubringen wolle. Sir Arthur schloß mit der Nachricht, daß er auch an die Familie Monkbarns die Bitte gerichtet habe, an der vorgeschlagenen Lustpartie Theil zu nehmen. Der Versammlungsort sollte bei einem Zollhaus an der Straße sein, welches von all den Punkten, von wo die Gesellschaft zusammen kommen sollte, ungefähr gleich weit entfernt war.

»Was sollen wir thun?« sagte Lovel, indem er den Alterthümler anblickte, obwohl er mit sich bereits im Reinen war.

»Gehn, Freund – wir wollen auf alle Fälle gehen. Lassen Sie sehen: – es wird allerdings eine Postchaise nöthig sein, welche Sie und mich und Mary M'Intyre recht gut aufnehmen kann; das andre Weibsbild kann nach der Pfarre gehen, und Sie können nach Monkbarns mit der Chaise herauskommen, da ich sie für den ganzen Tag nehmen will.«

»Nun, ich denke, ich könnte lieber reiten.«

»Wahr, wahr, ich vergaß Ihren Bucephalus. Sie sind übrigens doch ein närrischer Mensch, daß Sie die Bestie kauften; es hätte Ihnen kaum achtzehn Pence gekostet, wenn Sie sich nun einmal lieber den Beinen eines andern Geschöpfes, als Ihren eigenen anvertrauen wollten.«

»Ja; aber da man zu Pferde den Vortheil hat, sich schneller zu bewegen, und da überdies dabei zwei Beine gegen eins kommen, so bin ich doch geneigt« – –

»Genug, genug gesagt! thun Sie nach Belieben. Nun gut, ich werde Grizzel oder den Pfarrer mitbringen, denn ich habe gern die volle, bezahlte Ladung für die Postpferde. Wir treffen uns beim Schlagbaum zu Tirlingen, am Freitag präcis zwölf Uhr«. – Mit dieser Uebereinkunft schieden die Freunde.


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