Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

11. Kapitel.
Die Depesche aus Ems.

Durch den glücklichen Ausgang des Krieges von 1866 fielen eine ganze Anzahl international bekannter Badeorte, darunter Wiesbaden, Schlangenbad, Schwalbach, Homburg an Preußen. Bis auf Homburg, damals eines der besuchtesten deutschen Bäder, gehörten die genannten Bäder vor 1866 zum Herzogtum Nassau; und so wenig beliebt der letzte Herzog Adolf bei einem Teil seiner Untertanen auch gewesen sein mochte, für die neuen preußischen Herren bestand zuerst noch weit geringere Sympathie.

Aber König Wilhelm war auch den eigenen Untertanen gegenüber ein guter Diplomat. Er besuchte regelmäßig die Bäder von Wiesbaden und vor allem von Ems, wo er jedes Jahr im Juni oder Juli zu einer mehrwöchentlichen Kur erschien.

Der Besuch des Königs zog auch den Hof nach Ems. Die preußische und andere deutsche Aristokratie erkannte jetzt natürlich sehr bald den feudalen Charakter des bisher nicht allzu mondänen Badeortes; in- und ausländische Diplomaten folgten. – Kurz, Ems erlebte in den Jahren nach 1866 eine Blütezeit, die es nur Preußen verdankte.

Im Jahre 1870 war König Wilhelm in den ersten Julitagen wieder mit Begleitung in Ems erschienen. Er wohnte, wie immer, im Kurhause, trank morgens seinen Brunnen und ging anschließend in den gepflegten Kuranlagen, die sich rechts und links der Lahn hinziehen, spazieren.

König Wilhelm lebte in seiner ungekünstelten Leutseligkeit ungezwungen wie ein reicher Privatier. Er pflegte auf seinen Spaziergängen, vor allem in den Kolonnaden Bekannte einfach anzusprechen, sich in seiner offenen, liebenswürdigen Art mit ihnen längere oder kürzere Zeit zu unterhalten, und erteilte in den Kolonnaden unter Außerachtlassung jeglicher Etikette zwanglos Audienzen.

Am 13. Juli 1870, einem schönen, klaren Sommertage, saß auf einer Bank im Kurgarten in Bad Ems ein dicker Herr in schwarzem Gehrock. Seine Gesichtszüge verrieten den Orientalen; dieser Eindruck wurde durch den roten Fez noch unterstrichen.

Herr Aristarchi Bey, Botschafter der Türkei am Berliner Hofe, hielt sich schon einige Tage in Ems auf. Ob er die Kur gebrauchte, wußte niemand, trotzdem Aristarchi überall auffiel und auch mit einer gewissen Neugierde beobachtet wurde.

Herr Aristarchi las ungestört die Zeitung. Zu dieser frühen Stunde – die Uhr hatte gerade acht geschlagen – zeigten die Kuranlagen noch keinen Verkehr.

In der Nähe des Diplomaten waren zwei Gärtner der Kurverwaltung mit Beschneiden einer Taxushecke beschäftigt.

Plötzlich fiel ein Schatten auf das Zeitungsblatt des Türken. Er sah auf. Vor ihm stand ein kleiner, älterer Herr in vornehmer, eleganter Sommerkleidung, grau, mit einer roten Krawatte; in seinem Knopfloch saß, wie ein winziger, roter Fleck, das Bändchen der Ehrenlegion.

Der alte Herr zog grüßend den Hut; Aristarchi erhob sich.

»Graf Benedetti?!« rief er. »Schon so früh auf den Beinen –?!«

Graf Benedetti, der Botschafter Frankreichs in Berlin, war erst vor wenigen Tagen in Ems angekommen. Er hatte seine Kur in Wildbad auf direkte Anweisung seines Vorgesetzten, des Herzogs von Gramont, unterbrochen, um in Ems eine Mission von weltgeschichtlicher Bedeutung zu übernehmen, der er sich aber erstens nicht gewachsen fühlte, und die ihm auch reichlich peinlich war.

Benedetti, wie sein großer Landsmann Bonaparte ein Korse, zählte im Jahre 1870 knapp 53 Jahre, wirkte aber in seinen weißen Haaren bedeutend älter. Mit dem Türken, einem klugen, berechnenden Politiker, wurde er in Ems häufig zusammen gesehen. Das Rendez-vous im Kurgarten heute war auch kein Zufall.

Graf Benedetti zog die Bügelfalten seiner Hosen vorsichtig an, sodaß die weißen Gamaschen sichtbar wurden, und nahm neben dem Türken Platz.

Aristarchi konnte ein Lächeln kaum unterdrücken.

»Sie machen ein recht betrübtes Gesicht, Herr Kollege!« sagte er.

»Stimmt, Bey; mir ist auch durchaus nicht wohl zu Mut. Ich habe gestern eine Depesche erhalten mit einem Auftrag, der für mich ebenso peinlich ist, wie er eine Gefahr birgt.«

»Gefahr? – Für wen? –« fragte Aristarchi.

»Für Frankreich! – Die rücksichtslose Durchführung des Auftrages bedeutet den Krieg! –«

»Gramont will doch den Krieg!« meinte Aristarchi. »Und – Ihr Kaiser will ihn auch!«

»Der Kaiser nicht!« rief Benedetti. »Der Kaiser ist – entre nous – ein willenloser Mensch, der von der Kamarilla um Gramont und um die Kaiserin geschoben wird.

»Mir ist der unangenehme Auftrag zu Teil geworden, den Stein ins Rollen zu bringen –!«

»Tscha!« machte Aristarchi Bey und machte ein bedenkliches Gesicht. »Wünschen Sie einen Rat von mir?!«

»Ja und nein! – In der Sache selbst nicht, da ist mir der Weg ja vorgeschrieben, aber in der Form vielleicht – –«

Benedetti zog ein viereckiges Papier aus der Tasche seines grauen Rocks, sah sich vorsichtig um.

Die beiden Gärtner hatten nur Interesse für ihre Arbeit und störten nicht.

»Bitte, Bey,« fuhr Benedetti fort »lesen Sie das Telegramm, das mir Gramont gestern sandte. –«

Der Türke griff wortlos nach dem Depeschenformular.

Gramont hatte die Meldung natürlich chiffriert abgesandt, unter den Ziffern stand die wörtliche Übersetzung.

»Aus den Händen des Botschafters von Spanien haben wir soeben die Verzichtleistung des Fürsten Anton von Hohenzollern im Namen seines Sohnes Leopold auf die Bewerbung um den Thron Spaniens erhalten. Damit dieser Verzicht seine ganze Wirkung tue, erscheint es notwendig, daß der König von Preußen sich ihr anschließe, und uns die Versicherung gebe, daß er diese Bewerbung nicht von neuem zulasse. Begeben Sie sich unmittelbar zum König, um diese Erklärung von ihm zu verlangen, die er nicht verweigern kann, wenn er ohne Hintergedanken ist. Trotz der jetzt bekannt gewordenen Verzichtleistung ist die Erregung hier derart, daß wir nicht wissen, ob wir sie beherrschen können. Machen Sie von diesem Telegramm eine Umschreibung, die Sie dem König mitteilen können, antworten Sie so rasch wie möglich!«

Aristarchi gab das Telegramm zurück.

»Lieber Graf,« sagte er bedenklich »diese Forderung ist unmöglich! Ich rate Ihnen dringend, den König Wilhelm damit nicht zu behelligen.«

Benedetti machte eine Handbewegung, die seinen Unwillen erkennen ließ und fast verzweifelnd wirkte.

»Ich muß, Bey; ich muß diesen Auftrag erledigen. Man wirft mir in Paris schon jetzt Energielosigkeit vor.«

»Wie Sie meinen, Graf!« sagte der Türke ruhig. »Sie werden sich eine ganz gehörige Abfuhr holen!«

Es war inzwischen neun Uhr geworden. Um diese Zeit trank König Wilhelm seinen Brunnen und pflegte dann eine halbe Stunde spazieren zu gehen.

Die beiden Diplomaten konnten von ihrem Platz aus die Kesselbrunnenhalle und den Kurhof einsehen. In der Halle entstand eine Bewegung.

Aristarchi Bey erhob sich.

»Der König kommt!« sagte er. »Viel Glück, Graf Benedetti!«

In der Kesselbrunnenhalle wurde die hohe Gestalt des Königs von Preußen sichtbar. – König Wilhelm war in Zivil. Er trug einen schwarzen Gehrock und Zylinder und grüßte liebenswürdig nach allen Seiten.

Als der König, der nur von seinem Flügeladjutanten, dem Grafen Lehnhof, begleitet war, im Kurhof erschien, trat der Badeinspektor Baumann respektvoll an ihn heran. –

In seiner Hand hielt Baumann ein Stück bedrucktes Papier, anscheinend ein Extrablatt.

Der Flügeladjutant nahm die Nachricht an, warf einen kurzen Blick auf das Blatt, eine Extrameldung der Kölnischen Zeitung, und gab es dem König.

König Wilhelm überflog die Meldung, die den Verzicht des Prinzen von Hohenzollern bestätigte.

Ein Lächeln der Befriedigung ging über seinen Mund.

»Gott sei Dank!« sagte er. »Mir fällt ein Stein vom Herzen!«

Das Extrablatt behielt er beim Weitergehen in der Hand. – Wo sich der König zeigte, wurden zum Gruß die Kopfbedeckungen abgenommen. Die Gärtner ließen ihre Arbeit ruhen und zogen die Mützen. Überall dankte der König freundlich. – –

Benedetti hatte sich bei der Annäherung König Wilhelms so gestellt, daß der König ihn unbedingt sehen mußte. –

Jetzt zog er ehrerbietig den Hut.

Wilhelm I. trat auf ihn zu, reichte ihm die Hand und zeigte auf das Extrablatt.

»Meinen Glückwunsch, Graf Benedetti!« sagte er. »Dieses Extrablatt macht den Verzicht des Prinzen bekannt. Sie sind Ihrer Sorgen jetzt wohl ledig? –«

Benedetti hatte im Weitergehen die linke Seite des Monarchen gewonnen.

»Die Nachricht kommt uns nicht unerwartet, Majestät!« erwiderte er. »In Paris wußte man von der Sache bereits.«

Der König zeigte sich erstaunt.

»Der spanische Botschafter Olozaga« fuhr Benedetti erklärend fort »hat dem Herzog von Gramont die amtliche Depesche sofort übermittelt.«

Der König schwieg.

Benedetti sagte sich: – Jetzt ist der richtige Augenblick! Jetzt oder nie; und wenig diplomatisch aber der Situation entsprechend doch nicht ungeschickt ging er direkt auf sein Ziel los.

»Der Entschluß des Prinzen hat für uns keinen Wert,« sagte er »wenn er nicht von Eurer Majestät gebilligt wird. Außerdem müssen wir die Gewißheit haben, daß dem Prinzen nicht gestattet wird, den gleichen Plan, den er eben fallen gelassen hat, später doch wieder aufzunehmen.

Diese Sicherheit kann uns aber nur von Eurer Majestät gegeben werden. Ich bitte um die Ermächtigung, meiner Regierung die Versicherung übermitteln zu dürfen, daß Majestät erforderlichenfalls dem Prinzen untersagen werden, diese, seine Bewerbung erneut aufzunehmen – –!«

König Wilhelm ging mit dem Botschafter einige Schritte voraus. Hinter ihm folgte der Flügeladjutant.

Wilhelm I. schüttelte den Kopf. »Herr Graf!« antwortete er milde aber fest. »Diese Erklärung kann ich Ihnen nicht geben! Ich selbst besitze die Nachricht aus Sigmaringen überhaupt noch nicht. –«

Aber Benedetti ließ nicht locker.

»Verzeihung Euer Majestät!« erwiderte er. »Die Verzichtleistung des Prinzen ist doch nicht mehr zweifelhaft. Vielleicht könnten Euer Majestät unter der Voraussetzung handeln, daß sie in kurzer Zeit zur Tatsache wird. Majestät könnten doch vielleicht jetzt schon, im voraus, das Versprechen geben, wenn nötig von Ihrer Autorität Gebrauch zu machen. Damit wäre wohl jeder Versuch einer Erneuerung der momentan aufgegebenen Bewerbung verhindert – –!«

Der König antwortete nicht sofort, aber er zog fast unmerklich die Brauen zusammen und dankte mechanisch für den Gruß einer Gruppe von Badegästen.

»Herr Graf, – –« sagte er jetzt »Sie verlangen von mir eine Verpflichtung für alle Fälle und ohne jede Zeitgrenze. – Diese Verpflichtung kann ich Ihnen nicht geben! Sie dürfen überzeugt sein, und ich bitte auch in diesem Sinne zu berichten, daß ich wahrlich keinen Hintergedanken hege. Die Sache hat mir schwere Sorgen gemacht, und ich bin glücklich, sie endgültig begraben zu sehen.«

Aber Benedetti gab seine Mission noch nicht auf. Nochmals stellte er dem König vor, daß die Regierung in Paris auf dieser Erklärung bestehen müsse; und jetzt hielt der König seine Schritte an. Er stand vor dem Franzosen, den er um Haupteslänge überragte.

»Ich kann Ihnen kein neues, unerwartetes Zugeständnis machen« sagte er ruhig aber entschieden. »Vor allem muß ich den Eilboten aus Sigmaringen abwarten; ich werde mir gestatten, Sie rufen zu lassen, sobald die Antwort in meinem Besitze ist –.«

Bei diesen Worten wandte sich der König ab und ließ Benedetti stehen. Der Flügeladjutant nahm sofort die linke Seite des Monarchen.

Der Botschafter verharrte, mit dem Hut in der Hand, fast eine Minute an der gleichen Stelle; dann drehte er sich auf dem Absatz herum und ging mit schnellen Schritten in sein Hotel zurück. – –

Auch König Wilhelm hatte seinen Morgenspaziergang unterbrochen und war auf dem kürzesten Wege in seine Appartements zurückgekehrt. Er verhehlte sich nicht, daß die Situation auf des Messers Schneide stand, und machte seinem Herzen in einem Brief an die Königin im nahen Koblenz Luft.

Kurz vor dem Mittagessen traf die Mitteilung aus Sigmaringen ein.

Der König zog sich in sein Schlafzimmer zurück und verweilte dort wenige Minuten allein; dann beschied er den Flügeladjutanten vom Dienst, den Fürsten Anton Radziwill, den Geheimen Rat Abeken, der als Vertreter des Auswärtigen Amts in Ems war, und den Grafen Eulenburg zu sich.

»Na – – meine Herren!?« meinte der König äußerlich vollkommen ruhig. »Was sagen Sie zu dieser unerhörten Provokation von heute morgen –?«

Die Hofleute sagten gar nichts; eine eigene Meinung vor dem König zu haben, das wagten sie nicht, obgleich gerade König Wilhelm einem Rat von anderer Seite jederzeit zugänglich war.

Der König war ans Fenster getreten und sah auf den ruhigen Kurhof hinaus. Dort stand die pralle Mittagssonne. Der Hof war vollkommen öde und leer. Nur einige Spatzen balgten sich um ein Stückchen Brot.

»Die Sache muß ein Ende haben –!« sagte jetzt der König. »Ich will den Krieg nicht! Da sei Gott vor! – Aber der Impertinenz muß ich entgegentreten. – – Radziwill –!«

Der Flügeladjutant trat vor.

»Majestät befehlen?!«

»Teilen Sie dem Botschafter, Grafen Benedetti mit, daß ich es entschieden ablehne, betreffs seiner letzten Forderung mich in eine weitere Diskussion einzulassen. Was ich heute morgen sagte, ist und bleibt mein letztes Wort. Die Angelegenheit sehe ich hiermit als erledigt an –!«

Geheimrat Abeken hüstelte leise hinter der vorgehaltenen Hand.

Der König sah auf.

»Sie wollen etwas sagen, Abeken?« fragte König Wilhelm ruhig.

»Ja – das – – heißt – – Wissen – oder ahnen Majestät, welche Folgen diese Abweisung des Botschafters haben kann?«

»Ich denke, ja!« erwiderte der König. »Und gut, daß Sie mich unabsichtlich daran erinnern. Bismarck muß natürlich unterrichtet werden. Bitte telegraphieren Sie sofort nach Berlin!« – –

In dem Musikpavillon vor dem Kurhause spielte die Kurkapelle die Traviata. Die Badegäste tranken ihren Kaffee und lauschten der Musik. Keiner – vielleicht Aristarchi Bey ausgenommen – ahnte, daß soeben die mannhafte Antwort eines Monarchen einen Wendepunkt in der Geschichte Preußen – Deutschlands herbeigeführt hatte.

* * *

Der Bundeskanzler legte unwillig die Feder aus der Hand.

»Was gibt's?« fragte er kurz.

Der Diener war an der Tür stehen geblieben.

»Verzeihung, Exzellenz!« erwiderte er. »Die Herren von Moltke und von Roon sind soeben eingetroffen; außerdem – Exzellenz – haben das Abendessen auf sieben Uhr befohlen.«

Bismarck erhob sich sofort und warf einen Blick auf eine Standuhr aus Meißener Porzellan, die unter einer Glasglocke auf dem Kaminaufsatz stand.

»Donnerwetter, ja!« erwiderte er. »Es ist spät geworden. – Bringen Sie mir, bitte, den Überrock!«

Bismarck hatte einen schweren Arbeitstag hinter sich. Der 13. Juli, der in Ems die Würfel zum Rollen gebracht hatte, war auch in Berlin ernst verlaufen.

Die Berliner Bevölkerung ging ihrer Beschäftigung in Ruhe und der üblichen Gelassenheit nach; niemand ahnte, daß der eiserne Kanzler, der Preußens Geschicke leitete, häufig verkannt, viel und heftig befehdet, schon den bekannten ›kalten Wasserstrahl‹, der das Feuer an der Seine abkühlen sollte, vorbereitet hatte.

Im Palais des Bundeskanzlers war am Vormittag der britische Gesandte Lord Loftus erschienen, in der Hauptsache um Bismarck seinen Glückwunsch auszusprechen; denn er sah nach dem Rücktritt des Prinzen von Hohenzollern die Krise als beendet an.

Nicht so Bismarck, der weiter sah und manches ahnte, was später zur Gewißheit wurde.

Er wußte auch, daß Englands Sympathien mehr nach Frankreich als nach Preußen neigten, konnte daher annehmen, daß jedes Wort, das er dem britischen Botschafter sagte, einige Stunden später auf dem Umweg über London in Paris bekannt würde. Und er hielt vor Loftus mit seiner Ansicht nicht zurück, daß die Franzosen coute que coute den Krieg wollten.

Deutschland werde sich weder von Frankreich, noch von irgendeiner anderen Nation ungestraft demütigen und herausfordern lassen. Und wenn die Franzosen mit ihrem Kriegsgeschrei und ihren militärischen Vorbereitungen nicht bald aufhörten, dann würde er, Bismarck, eine Erklärung, eine Bürgschaft, vor allem genaue Aufklärung verlangen. – –

Bismarck rechnete schon am Morgen des 13. Juli mit einem baldigen Kriegsausbruch. Er konnte natürlich noch nicht wissen, was sich inzwischen in Ems ereignet hatte.

Moltke und Roon waren auf den Abend zum Essen gebeten, um dem Bundeskanzler über die militärische Bereitschaft der Armee des Norddeutschen Bundes einen zwanglosen Vortrag zu halten.

Als Bismarck den Salon betrat, wo die beiden hohen Offiziere warteten, zeigte er absichtlich ein sehr zufriedenes Gesicht.

Nicht so Moltke und Roon. – Roon ärgerte sich über die demütigende, arrogante Zumutung, die der Herzog von Gramont an den Botschafter von Werther gestellt hatte. – Moltke, der bewußt auf den Krieg hin arbeitete, befürchtete, daß auch jetzt wieder der rechte Zeitpunkt versäumt werde.

Beim Essen, das die drei Herren im großen Speisezimmer einnahmen, gab Roon seiner Meinung auch unumwunden, und in bitteren Worten Ausdruck.

Moltke, – man hat ihn später den großen Schweiger genannt – sprach nie viel. Er löffelte gedankenvoll seine Suppe aus.

Als der Fisch aufgetragen wurde, erschien ein Beamter der Bundeskanzlei und brachte ein soeben aus Ems eingelaufenes, chiffriertes Telegramm.

Bismarck nahm das schon dechiffrierte Blatt und las.

Moltke und Roon hatten ebenfalls sofort das Essen unterbrochen.

Als Bismarck zu Ende gelesen hatte, schwieg er einen Augenblick und stützte den Kopf in die Hand.

»Meine Herren,« sagte er »es geht in der Tat hart auf hart. Ich will Ihnen den Inhalt der von Abeken redigierten Emser Depesche vorlesen.

Und Bismarck las:

 

Ems, den 13. Juli 1870.

Seine Majestät der König schreibt mir: ›Graf Benedetti fing mich auf der Promenade ab, um auf zuletzt sehr zudringliche Art von mir zu verlangen, ich sollte ihn autorisieren, sofort zu telegraphieren, daß ich für alle Zukunft mich verpflichte, niemals wieder meine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Kandidatur zurückkämen. Ich wies ihn, zuletzt etwas ernst, zurück, da man à tout jamais dergleichen Engagements nicht nehmen dürfe noch könne. Natürlich sagte ich ihm, daß ich noch nichts erhalten hätte, und, da er über Paris und Madrid früher benachrichtigt sei als ich, er wohl einsähe, daß mein Gouvernement wiederum außer Spiel sei.‹

Seine Majestät hat seitdem ein Schreiben des Fürsten bekommen. Da Se. Majestät dem Grafen Benedetti gesagt hatte, daß er Nachricht vom Fürsten erwarte, hat Allerhöchstderselbe mit Rücksicht auf die obige Zumutung auf des Grafen Eulenburg und meinen Vortrag hin beschlossen, den Grafen Benedetti nicht mehr zu empfangen sondern ihm nur durch einen Adjutanten sagen zu lassen, daß Se. Majestät jetzt vom Fürsten die Bestätigung der Nachricht erhalten, die Benedetti aus Paris schon gehabt, und dem Botschafter nichts weiter zu sagen habe. Se. Majestät stellt Eurer Excellenz anheim, ob nicht die neue Forderung Benedettis und ihre Zurückweisung sogleich sowohl unseren Gesandten wie in der Presse mitgeteilt werden soll.

gez. Abeken.

 

Als Bismarck geendet hatte, warf Roon die Serviette mit einer wütenden Handbewegung auf den Tisch.

Auch Moltke schob seinen Stuhl zurück und sagte: »Das ist die größte Unverschämtheit, die mir je begegnet ist –!«

»Nein!« rief Bismarck triumphierend. »Gramont hat mit dieser Demarche die allergrößte Dummheit seines Lebens begangen!«

»Das verstehe ich offen gestanden nicht!« erwiderte Roon.

»Ja, sehen Sie denn nicht ein, meine Herren, daß er damit sich bewußt und vor aller Welt ins Unrecht setzt; daß er jetzt die Verantwortung für einen ausbrechenden Krieg zu tragen hat –!«

Graf Moltke trat auf den Kanzler zu.

»Also – er ist endlich da – – der Krieg –?!«

Auch Bismarck schob seinen Stuhl zurück und reckte seine massige Gestalt.

»Ist unsere Armee wirklich so gut, so gerüstet, daß wir mit einem erfolgreichen Ausgang des Krieges rechnen können?«

Die Frage kam schnell, beinahe drohend heraus.

Moltke antwortete: »Jawohl! – – Für die Kriegstüchtigkeit unserer Armee garantiere ich – – Und – wenn es schon Krieg geben soll, dann bedeutet jeder Aufschub für uns nur eine Gefahr. Nur keine Verschleppung! Wenn schon – dann so schnell wie möglich!«

»So – –?!« erwiderte Bismarck. »Dann ist's gut! – Mehr wollte ich gar nicht wissen!

Und jetzt, meine Herren, speisen Sie ruhig weiter. – – Jetzt wollen wir die Kugel rollen lassen –!«

Er trat an ein kleines Tischchen, das an der einen Wandseite stand, griff nach einem Bleistift und strich mit fester Hand die Originaldepesche zusammen.

Die beiden Offiziere hatten ihre Plätze am Tisch beibehalten, dachten aber nicht daran, weiter zu speisen. Sie beobachteten gespannt, wie der Bundeskanzler die Originaldepesche auf fast die Hälfte zusammenstrich.

Jetzt erhob sich Bismarck wieder.

»Darf ich Ihnen die Depesche in der Fassung vorlesen, wie sie an die Presse und an sämtliche Vertretungen des deutschen Bundes noch heute nacht telegraphisch weitergeht?«

Und Bismarck las mit erhobener Stimme:

 

»Ems, den 13. Juli 1870.

Nachdem die Nachrichten von der Entsagung des Erbprinzen von Hohenzollern der kaiserlich-französischen Regierung von der königlich-spanischen amtlich mitgeteilt worden sind, hat der französische Botschafter in Ems an Se. Majestät noch die Forderung gestellt, ihn zu autorisieren, daß er nach Paris telegraphiere, daß Se. Majestät der König sich für alle Zukunft verpflichte, niemals wieder seine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Kandidatur wieder zurückkommen sollten.

Se. Majestät der König hat es darauf abgelehnt, den französischen Botschafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, daß Se. Majestät dem Botschafter nichts weiter mitzuteilen habe – –«

 

»Bravo!!« rief Moltke. »Das hat nun einen etwas anderen Klang! – Vorhin klang es wie Schamade – jetzt wie Fanfare!«

»Wenn ich« fuhr Bismarck fort »diesen Text der Öffentlichkeit übergebe, gibt es schon heute um Mitternacht in Paris ein Mordsgeschrei – und – – das will ich! Schlagen müssen wir, wenn wir nicht die Rolle des Geschlagenen ohne Kampf auf uns nehmen wollen – –!«

»Ausgezeichnet!« rief Moltke. »Wenn ich es noch erlebe, in diesem Kriege unsere Armeen zu führen, dann kann nachher der Teufel meine alten Knochen holen!«

»Da sei Gott vor!« rief Bismarck. Dann klingelte er dem Sekretär, der sofort erschien.

Bismarck übergab ihm die redigierte Depesche: »Sofort veröffentlichen! – An die Presse, an unsere Missionen – mit Ausnahme von Paris! – – Ich danke Ihnen!!«

Und als der Sekretär die Tür hinter sich geschlossen hatte, ergriff der Kanzler sein Glas und sagte:

»Den ersten Schluck auf – – die Dummheit des Herzogs von Gramont, dem Gott noch ein langes Leben und Wirken schenken möge – –!«

Roon mußte laut lachen und tat Bescheid.

Moltke antwortete: »Den zweiten Schluck auf die Gesundheit Sr. Majestät des Königs. – –!«

»Und!« griff Roon die Trinksprüche auf »den dritten auf ein baldiges und glückliches Ende des Kampfes – –!«

»Nie ist ein gerechterer Krieg geführt worden! – Frankreich hat vor der Welt die Verantwortung zu tragen!«

» Das walte Gott!« erwiderte Bismarck und trank in einem einzigen Zug sein Glas leer.


 << zurück weiter >>