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10. Kapitel.
Herr von Bismarck wird sacksiedegrob.

Der Militärattaché Rittmeister Hans Dietrich Freiherr von Martini wartete seit einer Viertelstunde im Vorzimmer des Bundeskanzlers von Bismarck in Berlin.

Rittmeister von Martini, der sich in die Paradeuniform seines 7. Ulanenregiments geworfen hatte, war in recht gehobener Stimmung, die selbst durch das lange Warten in keiner Weise beeinträchtigt wurde.

Der Botschafter von Werther hatte den Bericht seines Militärattachés über die Verhältnisse in der französischen Armee zusammen mit den Papieren, die Martini von Musette erhalten hatte, nach Berlin gesandt. Über eine Woche ließ die Antwort auf sich warten, was – wie Werther den Herrn von Bismarck kannte – nur ein gutes Zeichen sein konnte.

Plötzlich, tatsächlich etwas überraschend, kam von Berlin die Anweisung, Martini sofort nach Hause zu schicken. Der Botschafter hatte dabei so sonderbar gelächelt, als er seinem Militärattaché den Befehl Bismarcks übermittelte.

Martini sah trotz oder gerade wegen der drohenden Kriegsgefahr mit Frankreich den Himmel voller Geigen. Er rechnete mit einem ellenlangen Lob, vielleicht mit einem Orden, und – mit einem baldigen Wiedersehen mit Musette, von der er nur ganz kurz Abschied hatte nehmen können.

Die Reise ging über Straßburg, Frankfurt, Halle. Sie zeigte ein ruhiges, arbeitsames Preußen; kein Mensch schien an Krieg zu denken. Der politische Horizont war in Preußen so klar wie noch nie – trotz der Hetzereien, in denen sich ein Teil der französischen Presse gefiel.

König Wilhelm hatte seine übliche Kur in Bad Ems angetreten. – Bismarck und die Minister genossen ihren Sommerurlaub.

Bismarck saß auf seinem Gut Varzin, aber er behielt die politische Lage auch von dort aus genau im Auge.

Der Verzicht des Erbprinzen Leopold von Hohenzollern auf die spanische Krone war von dessen Vater offiziell erklärt worden. – Jeder Kriegsgrund schien damit im Augenblick aus dem Wege geräumt; aber Martini glaubte zu wissen, daß die Franzosen sehr schnell einen anderen Grund in petto haben würden, eine Vermutung, die durch die ihm allein bekannten Abmachungen zwischen Österreich und Italien einerseits und Frankreich andererseits als durchaus wahrscheinlich galt.

Die Papiere Vipitenos konnten dafür als Beweis gelten, und diese Papiere befanden sich zur Zeit in Bismarcks Besitz.

Kurz vor der Abreise Martinis ereignete sich in Paris auch noch ein Vorfall, der Martini nicht nur reichlich bedenklich schien, sondern auch der Schlagfertigkeit oder – geradeheraus gesagt – dem diplomatischen Geschick Werthers wirklich kein allzu günstiges Zeugnis ausstellte:

Der französische Außenminister, Herzog von Gramont, wollte den Krieg; darüber herrschten bei Martini keine irgendwie gearteten Zweifel.

Gramont hatte nämlich den preußischen Botschafter ins Ministerium am Quai d'Orsay bitten lassen und sprach ganz offen über die Erregung, die in Paris wegen der Thronfolgerfrage herrschte. – Werther wußte nicht recht, was er antworten sollte.

In diesem Augenblick ließ sich der spanische Botschafter Olozaga anmelden mit der Bitte, in einer dringenden Angelegenheit sofort empfangen zu werden.

Gramont bat Werther auf einen Augenblick in ein Nebenzimmer, und jetzt ärgerte sich der Botschafter des Norddeutschen Bundes über die geringschätzende Taktlosigkeit des Franzosen; denn im diplomatischen Verkehr war es nie üblich, die Besprechung mit einem Botschafter abzubrechen, um einen anderen zu empfangen.

Werther hätte durch dieses taktlose Benehmen des Herzogs gewarnt sein sollen, um sich dem arroganten Gramont gegenüber nichts zu vergeben. – Aber es sollte noch schlimmer kommen:

Olozaga brachte die Depesche aus Sigmaringen mit dem Verzicht des Hohenzollern. – Gramont las Werther die Depesche später vor und erklärte:

»Der Verzicht des Prinzen ist ganz Nebensache. – Frankreich hätte die Kandidatur sowieso niemals zugegeben. Um jeden Keim einer Verstimmung zu ersticken, wird es vielleicht gut sein, daß Ihr Souverän König Wilhelm von Preußen, an meinen Kaiser einen Brief schreibt, worin auch er sich diesem Verzicht offiziell anschließt!«

Diese Forderung bedeutete eine ungeheure Unverschämtheit.

Er, Martini, hätte dem Herzog von Gramont schon die richtige Antwort gegeben. An den König von Preußen wurde hier klipp und klar die Forderung gestellt, einen Entschuldigungsbrief zu verfassen, der nichts anderes sein konnte als eine Abbitte.

Außerdem hatte Gramont schon einen Brief entworfen, den Werther, ohne sofort die allein richtige ablehnende Antwort zu finden, auch noch mitnahm und in seinem Bericht nach Ems und an den Bundeskanzler weitergab. – –

So etwa standen die Dinge, als Martini im Vorzimmer des Bundeskanzlers wartete. Er wartete bereits über eine halbe Stunde, als plötzlich die Tür geöffnet wurde.

»Der Herr Bundeskanzler lassen bitten! – –«

Martini erhob sich sofort, nahm die Czapka in die Rechte, zog mit der Linken den Degen an, und betrat Bismarcks Arbeitszimmer. – Mechanisch machte er die vorgeschriebene Meldung.

Vor ihm stand der Gewaltige, gewaltig auch in der äußeren Gestalt, in der Uniform der Halberstädter Kürassiere, wie er durch zahlreiche Bilder im In- und Auslande bekannt geworden war.

Unter den buschigen Brauen blitzten zwei messerscharfe, blaue Augen. Die Hände hielt der Kanzler auf dem Rücken verschränkt.

Martini hatte mit einer Belobigung, mit Anerkennung gerechnet; aber, was er jetzt hörte, klang alles andere denn ein Lob.

»Herr Rittmeister,« sagte Bismarck mit seiner starken Stimme »unserer Botschaft in Paris ist anscheinend die Julihitze zu Kopf gestiegen? Herr von Werther scheint unpäßlich –!«

Martini wußte nicht recht, was er antworten sollte, und erklärte, ein wenig erschrocken und in seinen Hoffnungen stark gedämpft, daß er seinen Vorgesetzten von Werther bei bester Gesundheit verlassen hätte.

»Nein!« erwiderte Bismarck hart, schon beinahe grob. »Ich habe jedenfalls Herrn von Werther telegraphisch angewiesen, aus gesundheitlichen Gründen sofort Urlaub zu nehmen. Die Botschaftergeschäfte habe ich dem Grafen Solms übertragen – –!«

Martini war starr, sprachlos und sah Bismarck, dem man die Verärgerung unschwer anmerkte, ein wenig unsicher an.

»Ich bin mit der Pariser Botschaft im höchsten Grade unzufrieden!« fuhr der Kanzler fort. »Es ist unglaublich, wie sich Werther das Ansinnen Gramonts gefallen lassen konnte! Dieser Herr von Gramont hätte eine mehr als deutliche Abfuhr verdient!!«

Martini mußte dem Kanzler innerlich recht geben und brachte auch einige verlegene Worte heraus, die seiner Überzeugung Ausdruck verliehen; aber Bismarck hörte gar nicht zu.

Er nahm vielmehr einen Brief von seinem Schreibtisch, wie Martini feststellte, einen Bogen der Botschaft in Paris.

»Auch mit Ihnen, Herr Rittmeister, habe ich einige Worte zu reden. – Sie werden auf Ihren Posten bei der Botschaft nicht mehr zurückkehren. Ich habe den Antrag gestellt, Sie so schnell wie möglich Ihrem früheren Truppenteil, den 7. Ulanen in Saarbrücken zu überweisen. Ihre engen Beziehungen zu einer Frau, die Ihnen vielleicht nicht ebenbürtig ist, gehen mich an sich nichts an, Herr Rittmeister; – das ist Ihre Privatsache! – Aber Sie hätten sich unter keinen Umständen mit der Dame dienstlich in einem Umfange einlassen dürfen, wie Sie es für gut befunden haben. – Gerade in Paris stehen unsere Diplomaten auf einem sehr exponierten Posten. Das hätten Sie wissen müssen, Herr Rittmeister – –!«

Martini hatte sich gefaßt. – – In ihm stieg die Wut auf. – – – Er wußte oder ahnte, welchen Dienst Musette und damit er selbst dem Vaterlande erwiesen hatten, und bekam statt Dank einen Anpfiff, als sei er ein Fähnrich, der eine Attacke verbockt hatte und von seinem Eskadronschef in einer Ecke fürchterlich angeblasen wurde.

Die Subordination verbot ihm, dem Kanzler die Antwort zu geben, die ihm nach seinem Empfinden auf der Zunge lag; aber ganz konnte er doch nicht schweigen.

»Exzellenz!« sagte er äußerlich ruhig, da Bismarck jetzt schwieg. »Wie Exzellenz richtig sagten, sind meine Beziehungen zu Frau von Lanory eine private Angelegenheit, die nur so weit dienstliche Interessen berühren, als Frau von Lanory auf meine Veranlassung und auf Grund ihrer herzlichen Beziehungen zu mir, dem Vaterlande einen Dienst geleistet hat, den ich – mit allem Respekt – mit etwas anderen Augen ansehe als anscheinend Eure Exzellenz – –!«

Bismarck blieb einen Augenblick die Antwort schuldig. – – Dann lachte er ganz unvermittelt auf.

»Bravo, Herr Rittmeister!« sagte er ruhig. »Sie haben recht! – – Ihre Kritik eilt allerdings den Tatsachen voraus. Woher wissen Sie denn, daß ich die Dienste der Frau von Lanory als gering einschätze –?«

»Verzeihung! – Nach den Worten Eurer Exzellenz mußte ich annehmen – – –«

Martini wußte jetzt überhaupt nicht mehr, was er denken sollte.

Bismarck zog sich einen Sessel näher und nahm Platz.

»Herr Rittmeister!« sagte er jetzt höflich und mit einer Liebenswürdigkeit, die durchaus ehrlich klang. »Ich habe Ihnen soeben den Marsch geblasen! – Was ich Ihnen an Unangenehmem dienstlich sagte – – sagen mußte, wollen Sie bitte als gesagt, als geschehen ansehen.

Privatim gestehe ich ein, daß ich mit Ihnen trotz allem außerordentlich zufrieden bin, daß die mir übermittelten Papiere eine Bedeutung und vielleicht auch ein Ergebnis haben, das wir beide im Augenblick noch gar nicht ermessen können. Auch Ihr Bericht soll, wie mir Graf Moltke sagte, sich durch überraschende Klarheit und Sachlichkeit auszeichnen.

Das alles ändert allerdings an der Tatsache nichts, daß Sie sich als unser Militärattaché in Paris mit der genannten Dame, deren Dienste ich durchaus und so zu schätzen weiß, wie sie es verdienen, stark exponierten. Die Sache ging gut, war ein geradezu überraschender Erfolg; aber sie hätte auch schief gehen können. Das sehen Sie doch wohl ein, Herr Martini – –?!«

»Jawohl, Eure Exzellenz!« antwortete Dietrich von Martini ehrlich.

»Dann ist's gut!« meinte Bismarck. »Sie erhalten einen Urlaub von vierzehn Tagen, den Sie zweckdienlich zu Hause am Rhein verbringen, um – Ihre Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.

Daß Sie nicht mehr nach Paris zurückkehren, bedeutet alles andere als eine Strafe. – – Ich hoffe – Sie werden Preußen in aller Kürze als Soldat noch bessere Dienste leisten können! –«

Martinis Augen leuchteten auf.

»Euer Exzellenz glauben also – –?«

»Ich glaube nicht nur! – Ich hoffe sogar, daß es los geht! – – Die Franzosen wollen den Krieg! Sie sollen ihn haben! – – – Das – das brauchen Sie allerdings Ihrer klugen und, wie ich hörte, auch bildhübschen Freundin nicht gleich nach Paris zu depeschieren –!«

»Aber, Exzellenz –!«

Der Diener trat ein. Bismarck erhob sich.

»Ich weiß, Herr von Roon wartet – –!«

Dann reichte er dem Rittmeister die Hand.

»Für heute meinen Dank, Herr Rittmeister! Und, wenn Sie dieser Tage nach Paris schreiben, dann bestellen Sie der bewußten Dame meinen herzlichen Dank und meine Empfehlung. Aber – bitte – lassen Sie meinen Namen weg! der Brief könnte in unrechte Hände kommen, und der Name Bismarck hat augenblicklich bei den Schreihälsen in Paris wirklich gerade keinen guten Klang. – Guten Morgen, Herr Rittmeister!«


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