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II. Teil.


5. Kapitel.
Musette macht eine überraschende Entdeckung.

Das Weltbad Baden-Baden hatte im Januar des Jahres 1870 nur wenige Gäste. Ein paar Dutzend In- und Ausländer wohnten zwar in den zahlreichen Hotels verteilt. Einige benützten auch die Badekur und kamen den ärztlichen Vorschriften mehr oder weniger genau nach; aber die verschneiten Kuranlagen und die kalten Kolonnaden waren nur wenig belebt und leer. Die wenigen Gäste saßen in ihren Hotelzimmern oder in den Gesellschaftsräumen des Kurhauses.

Der Portier des Hotels Englischer Hof war gerade damit beschäftigt, die Morgenpost zu sortieren, als ein Wagen vorfuhr.

Sofort eilte er vor das Hotelportal und zog vor einem vornehmen, großen Herrn, der gerade ausgestiegen war, die Mütze.

Dieser berührte zum Gruß lässig die Krempe seines Zylinderhuts. Er trug einen elegant sitzenden, schwarzen Gehrock und glänzende Stiefeletten an den für seine Gestalt auffallend kleinen und schmalen Füßen. Ein Paar weiße Handschuhe hielt er nachlässig in der Rechten.

»Bei Ihnen wohnt Seine Durchlaucht der Erbprinz Leopold von Hohenzollern –?« fragte er. »Ich bitte Seiner Durchlaucht meine Karte zu geben! Ich werde erwartet – –!«

Der Portier warf einen flüchtigen Blick auf die Karte.

» Marchese Felipe Annibale de Vipiteno, Attaché an der Italienischen Botschaft zu Paris« las er, und dieser Name vergrößerte noch seine Höflichkeit.

»Darf ich den Herrn Marquis bitten, kurze Zeit in der Halle Platz zu nehmen. Ich werde den Herrn Marquis sofort Seiner Durchlaucht melden.«

Der Portier legte die Karte auf eine silberne Platte; der Italiener nickte einen kurzen Dank und setzte sich in einen Samtfauteuil.

Außer dem Marchese war nur noch ein zweiter Gast in der Hotelhalle, eine junge Frau, die am Fenster saß. – – Sie hatte eine Anzahl Zeitungen und Journale vor sich auf einem kleinen Tischchen liegen und schien nur für ihre Lektüre Interesse zu zeigen.

Der Portier kam zurück: »Seine Durchlaucht lassen den Herrn Marquis bitten – –!«

Dieser nahm Hut und Handschuhe und stieg vor dem Portier die teppichbelegten Stufen zum ersten Stock hinauf.

Vor dem Zimmer Nummer 17 blieb er einen Augenblick stehen, klopfte sich ein Stäubchen von den grauen Beinkleidern, zog den Gehrock glatt und trat ein.

Im Zimmer stand ein etwa 35-40jähriger Herr in dunkler Kleidung; der blonde Vollbart liest ihn älter scheinen, als er in Wirklichkeit sein mochte; die dunkelblonden Haare waren militärisch gescheitelt. In seinem Knopfloch trug er ein Ordensbändchen; und wer ihn nur ganz flüchtig betrachtete, mußte sofort eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Fürsten Karl von Rumänien feststellen, dessen Bilder vor einigen Jahren in allen deutschen und ausländischen Journalen gestanden hatten.

Der Marchese von Vipiteno machte dem Erbprinzen Leopold eine tadellose Verbeugung und wartete, den Zylinder in der einen, die Handschuhe in der anderen Hand, die Anrede des Erbprinzen ab.

Dieser wies auf einen roten Samtfauteuil.

»Darf ich bitten, Platz zu nehmen, Herr Marquis!« sagte er in deutscher Sprache. »Ich habe Ihre Botschaft erhalten; ersehe daraus, daß Sie ganz vorzüglich Deutsch schreiben.«

Der Marquis lächelte fein.

»Deutsch ist, wenn ich so sagen darf, meine zweite Muttersprache. Die genaue Kenntnis des Deutschen verschaffte mir die Ehre, mit der Mission, die mich nach Baden-Baden führte, betraut zu werden. –«

Der Erbprinz von Hohenzollern schien absichtlich die Schlußbemerkung gar nicht zu hören.

»Sie sind aber Italiener, Herr Marquis?«

»Wie Sie sagen, Durchlaucht; aber – mit einer gewissen Einschränkung. Meine Vorfahren stammen aus Tirol, nicht aus dem schon immer italienischen Trentino sondern aus dem deutschen Tirol. Vipiteno ist die italienische Übersetzung von Sterzing, einer Ortschaft nördlich des Brenners. Meine Familie siedelte aber schon zur Regierungszeit des Kaisers Josef nach dem damals noch österreichischen Monza über. Ich selbst bin – natürlich auch noch zur Österreicherzeit – in Mailand geboren und erst vor knapp fünf Jahren durch den Friedensschluß von Zürich Sardinier und dann folgerichtig Italiener geworden. – Seit zwei Jahren bin ich nun Attaché bei der Botschaft in Paris – –!«

Der Erbprinz von Hohenzollern hatte eine Reisetasche geöffnet, nahm ein Portefeuille aus rotem, russischem Juchtenleder zur Hand und griff nach einem Brief.

»Herr Marquis!« sagte er jetzt. »Ich danke Ihnen für Ihren Besuch. Ich muß aber wiederholen, daß ich Sie lediglich als Privatmann empfangen darf.«

Der Marchese lächelte und strich seinen schwarzen Knebelbart, den er in ähnlicher Weise zugeschnitten trug wie der französische Kaiser Napoleon.

»Es bedarf keiner weiteren Versicherung, Durchlaucht, daß meine Regierung und meine eigene bescheidene Person amtlich mit der ganzen Sache nichts zu tun haben. Italien ist an der Thronfolge in Spanien vollkommen desinteressiert. – Ich bin ein intimer Freund des spanischen Staatsrats Salazar y Mazaredo, der an dem Projekt ein brennendes Interesse hat, und bitte Euer Durchlaucht, in mir nichts anderes als einen Freund Don Salazars, also einen Privatmann, sehen zu wollen!«

»Schön, Herr Marquis!« erwiderte der Erbprinz. »Die Sache mit der spanischen Kandidatur ist übrigens so gut wie erledigt. – – Der Vorschlag wurde nach reiflicher Überlegung von mir abgelehnt.

»Sehr richtig, Durchlaucht; gerade deshalb bin ich hier in Baden-Baden. –«

»Sie werden meinen Entschluß nicht rückgängig machen können, Herr Marquis! –«

»Dies liegt auch durchaus nicht in meiner eigentlichen Absicht – –« erwiderte der Italiener geschmeidig.

Prinz Leopold fand nicht sofort die Antwort.

»Rauchen Sie, Herr Marquis?« fragte er.

»Danke, nein, Durchlaucht. Ich kann die schweren deutschen Zigarren nicht vertragen!«

In dem Gespräch entstand eine kurze, etwas peinliche Pause.

Prinz Leopold sprach zuerst wieder.

»Ich wäre Ihnen, Herr Marquis, herzlich dankbar, wenn Sie unumwunden, ohne – – verzeihen Sie – – ohne diplomatischen Einleitungen und Umschweife auf den eigentlichen Zweck Ihres Besuchs zu sprechen kämen – –!«

»Ich danke, Euer Durchlaucht!« erwiderte der Italiener und verbeugte sich leicht im Sitzen. »Ich danke Ihnen, daß Sie mir diese Erlaubnis erteilen, und ich werde davon weitgehenden Gebrauch machen.

»In der spanischen Thronfolgefrage hatten Euer Durchlaucht eine ganze Anzahl Unterredungen mit Salazar, mit Prim und anderen Persönlichkeiten. Derartige offizielle Pourparlers führen in den seltensten Fällen zum Ziele, Durchlaucht.

»Aber das spanische Volk wartet dennoch auf die Zusage Euer Durchlaucht; es will die Ablehnung nicht annehmen, versteht sie einfach nicht. Man hat in Spanien das Empfinden, als seien Euer Durchlaucht – wenn ein etwas vulgärer Ausdruck gehorsamst gestattet ist – nicht tout à fait – – im Bilde.«

Der Erbprinz lächelte, was sein Gesicht verjüngte.

»Sie irren, Herr Marquis!« erwiderte er. »Ich weiß sehr genau, was gespielt wird. – – Und, wenn ich ablehnte, so geschah dies, dessen dürfen Sie überzeugt sein, bei aller und bester Würdigung der mir zugedachten Ehre aus mehreren Gründen, von denen jeder für sich schon stichhaltig genug wäre.

Ich darf vielleicht, auch ganz offen, sans façon, mit Ihnen als Freund Salazars y Mazaredo, den ich persönlich außerordentlich schätze, reden.

Ihre Auftraggeber und das spanische Volk überschätzen meinen Ehrgeiz. Mein Bruder Karl hat sich vor einigen Jahren überreden lassen, die Krone von Rumänien anzunehmen. Ob er restlos glücklich geworden ist, diese Frage wage ich nicht ohne weiteres zu bejahen. – Jedenfalls, lieber Herr Marquis von Vipiteno, darf und muß ich Ihnen sagen, daß mein Ehrgeiz, König von Spanien zu werden, weit geringer ist, als Ihr Auftraggeber anzunehmen geruht. –«

»Aber Spanien braucht einen König!«

Leopold lachte auf.

»Das bezweifle ich durchaus nicht. Es gibt aber andere, geeignetere und bessere Prätendenten – –«

Vipiteno schwieg und spielte mit seinen Handschuhen. Nach einer kurzen Pause antwortete er:

»Vielleicht geruhen Euer Durchlaucht, mir diese besseren, geeigneteren Prätendenten namhaft zu machen –?«

»Der Herzog von Mompensier?!«

»Kommt nicht in Frage! Der Herzog Anton ist ein Orleans, und Napoleon der Dritte wird – und ich muß sagen mit einiger Berechtigung – sein Veto einlegen. –«

»Der frühere spanische Regent Baldomeo Espartero?«

Vipiteno lächelte: »Dieser Vorschlag dürfte Eurer Durchlaucht wohl kaum ernst sein. Espartero zählt bereits 76 Jahre – –!«

»Man nannte auch, wenn ich nicht irre, Ihren näheren Landsmann, den Herzog Amadeo von Aosta, den Sohn Ihres Königs von Italien – –«

»Sehr wohl, Durchlaucht; aber der Herzog ist kinderlos und – wird auch wohl nie Kinder bekommen. – – Und – um Eurer Durchlaucht vorzugreifen – was den letzten Prätendenten anbelangt, den spanischen Prinzen Alfons, den Sohn der Exkönigin Isabella: Euer Durchlaucht wissen selbst, daß Prinz Alfons nicht den geringsten Anhang und Anklang beim spanischen Volke finden kann.

Euer Durchlaucht hingegen sind jung, Katholik, Vater von drei Söhnen und mit einer portugiesischen Prinzessin verehelicht. Sie sind – last not least – ein naher Verwandter des Königs von Preußen. Spanien könnte keinen besseren König finden – –«

Prinz Leopold wehrte lächelnd ab.

»Genug, Herr Marquis! Gerade meine Zugehörigkeit zum Hause Hohenzollern zwingt mir eine ganze Anzahl Rücksichtnahmen auf. – Der König und der Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen sind gegen die Kandidatur.«

»Jawohl, Durchlaucht! Aber nicht in ihrer Eigenschaft als König und Kronprinz – und – – Euer Durchlaucht wollen bitte nicht vergessen – – Bismarck ist für das Projekt. Ich halte Bismarck für den größten Staatsmann des Jahrhunderts –!«

»Eine Ansicht, die ich durchaus nicht bestreite. Dennoch, Herr Marquis, alle meine Bedenken, die ich Ihnen weder sämtlich nennen kann noch darf, bleiben bestehen. – – Im übrigen kann ich die Unterredung, wie gesagt, nur als eine ganz private Angelegenheit betrachten.«

»Selbstverständlich, Durchlaucht – –!«

»Sie haben ja auch wohl kaum angenommen, von mir hier an diesem Ort und schon heute eine bindende, positive oder auch negative Erklärung zu erhalten – –?«

»Durchaus nicht, Durchlaucht!«

»Ich werde Ihre Ausführungen überlegen, mit meinem Vater besprechen, vielleicht auch mit dem König Wilhelm und bestimmt mit Bismarck. Ich habe das Anerbieten Prims und Salazars abgelehnt, und ich muß – im gegenwärtigen Moment – selbstverständlich auf dieser formalen Ablehnung bestehen bleiben. Dies, Herr Marquis, und nicht mehr oder weniger, bitte ich Ihrem Auftraggeber mit dem Ausdruck meiner Verehrung und aufrichtigen Freundschaft zu übermitteln – –.«

Der Marquis hatte verstanden. Er fühlte, daß Prinz Leopold die Unterredung als beendet ansah, und erhob sich sofort.

»Bleiben Sie noch länger in Baden-Baden?« fragte Prinz Leopold.

»Nein, Durchlaucht! Ich fahre mit dem Abendzug nach Paris zurück – –«

»Dann bitte ich auch Ihren Herrn Botschafter zu grüßen. Ich lernte ihn vor einigen Jahren in Frankfurt kennen.«

»Ich werde nicht verfehlen, Durchlaucht! –«

Prinz Leopold von Hohenzollern reichte dem italienischen Diplomaten die Hand zum Abschied. –

Als der Italiener die Hotelhalle durchschritt und seinen draußen wartenden Wagen bestieg, erhob sich die Dame im Hotelvestibül und trat langsam auf die Portierloge zu. – Sie war jung, sehr elegant, in eine weite, bauschige, schottisch-karierte Seidenrobe gekleidet. Ihr schwarzer, bis tief in den Nacken frisierter Chignon stach zu dem blassen, schmalen, weißen Gesicht auffallend ab.

»Wohnt der Herr, der eben seinen Wagen bestiegen hat, auch im Hotel – –?« fragte die Dame in französischer Sprache.

»Nein, Madame!«

»Mir kommt er seltsam bekannt vor. Kennen Sie ihn, Portier?«

»Sehr wohl, Madame! Marchese von Vipiteno, Attaché bei der italienischen Botschaft in Paris.«

» Oh! Lala!!« machte die Dame und lächelte. »Ich danke Ihnen, Portier!«

Der Hotelangestellte zog seine Mütze und griff nach einem Stoß Briefe, der neben ihm lag.

»Übrigens, Verzeihung, Madame! Da ist soeben ein Brief für Sie angekommen. Hier ist er! Bitte schön! Madame Musette de Lanory – – –!«

» Merci, Monsieur!«

Am Nachmittage depeschierte das Großherzoglich-Badische Telegraphenamt in Baden-Baden zwei Telegramme nach Paris.

Das eine war an den französischen Minister des Äußeren, den Herzog von Gramont, gerichtet und enthielt nur einige Ziffern und unverständliche Worte, schien also chiffriert. – Es war unterzeichnet mit Vip. –

Das zweite war in offener Sprache und lautete:

germaine fleury, rue de berry 77, Paris, brief an botschafter werther sofort bestellen, eintreffe übermorgen.

musette de lanory.


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