Annemarie Schwarzenbach
Bei diesem Regen
Annemarie Schwarzenbach

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Der Abschied

Poiret und der Algerier standen sich gegenüber. »Wohin?« fragte Poiret. Der andere antwortete nicht. Poiret war nicht sein Vorgesetzter, wenn er es sich auch anmasste, nur weil er Europäer war und zu den Fliegern gehörte, der feinsten Waffe. »Sie handeln unkameradschaftlich«, sagte Poiret gereizt, »die Garnison von Aleppo feiert Weihnachten. Es ist noch nicht Mitternacht. Soviel ich weiss, müssen Sie erst morgen um fünf Uhr kontrollieren, ob Ihre Neger die Pferde füttern. Das hat Zeit!«

»Das hat Zeit«, sagte gelassen der Algerier. Poiret betrachtete ihn, seine hohe, hellbraune Stirn unter dem helleren, hochgeschlungenen Turban, die blauen Augen – die schönsten Augen von Aleppo, wurden sie genannt. Ein schöner Mensch, wusste Poiret, ein strahlender, blonder Afrikaner, der manchmal lustig ist, immer von hinreissender Heiterkeit, und sich niemals zum Zorn reizen liess. Er selbst, Poiret, hatte eine kalkgraue Haut, das kam vom Trinken, und er war jähzornig. Er hasste die Afrikaner, diesen mehr als alle anderen. Er hasste ihn, weil man den Algerier zum Offizier gemacht hatte. Und wegen seiner offenbaren, strahlenden 48 Schönheit. Die schönsten Augen von Aleppo ...

»Ich bin Mohammedaner«, sagte der junge Mensch mit dem Turban, »bei uns feiert man andere Feste.«

»Wie sie eben fallen«, sagte Poiret schnell und böse, »hüten Sie sich mit Ihren Festen.« Es war eine Drohung, und Poiret drehte sich zornig um, er hatte zuviel gesagt.

Der Algerier sah ihm nach. Dieser Hochmut, dachte er, dieser unwürdige, dumme Hochmut! Er liebte Algier; Frankreich, in dessen Dienst er stand, kannte er nicht. Er wusste nicht, was Patriotismus war, und er konnte nicht verstehen, dass Liebe, die Liebe zum eigenen Land, als Hochmut auftreten sollte. Dass man ihm Verachtung zeigte, verstand er nicht: Diente das der Grösse Frankreichs?

Er warf sein helles Cape um die Schultern und ging. Die Nacht war kalt. Feuer brannten an den Strassenecken, daran wärmten sich die Droschkenkutscher, die Pferde standen in weissen Dampf gehüllt. Die Zitadelle, mitten in der Stadt, schickte des Weihnachtsfestes wegen einen Kranz von Lichtern aus, wie Sterne standen und funkelten sie im Himmel. Noch nicht Mitternacht, dachte der Algerier, ich hätte mir Zeit lassen können. Ich hätte Poiret nicht zu reizen brauchen. Er lief dennoch schnell, wie es seine Gewohnheit war. Die Luft kühlte sein Gesicht, er atmete tief, noch hatte er Rauch und den Pomadengeruch von den Köpfen seiner Kameraden, die verbrauchte Dumpfheit des 49 Offizierskasinos in seiner Erinnerung. Er schüttelte sich, lief, lachte plötzlich vor sich hin. Was geht es mich an, dachte er, was gehen mich die französischen Herren an, was dieser arme, vom Jähzorn geplagte Poiret! Er dachte daran, dass er bald versetzt werden würde, jeden Tag konnte ihn der Befehl erreichen. Er würde Aleppo verlassen, vielleicht schickte man ihn zurück nach Algier, vielleicht in die Wüste. Auch die Wüste liebe ich, dachte er, ganz erfüllt von jähem Glücksgefühl. Ich werde reiten, ich werde ein Krieger sein, ich werde die grosse Nachtluft der weissen Wüste atmen. Er vergass, dass er sie schon einatmete, so wie sie über die kahlen Ebenen Nordsyriens hier hereingeweht kam, in die tausend Gassen der Stadt Aleppo. Oben, auf der Zitadelle, stand ein Fremdenlegionär und hatte Heimweh ...

 

Mein helles Cape! dachte der Algerier, es ist nicht sehr schwer, mich zu verfolgen – Er bog von der dürftig erleuchteten Hauptstrasse in Gassen ab, wo fast völlige Dunkelheit herrschte. Sein Cape und der Turban über seiner Stirn leuchteten wie im Mondlicht. Er ging jetzt langsamer, einen komplizierten Weg. Die letzte Gasse war lang, endete an einem Droschkenhalteplatz, er sah das Feuer und ging darauf zu. Plötzlich, ohne auch nur den Schritt verlangsamt zu haben, war er in einer dunklen Türöffnung verschwunden. Er tastete sich eine steile Treppe hinauf, es roch nach 50 Kellerfeuchtigkeit, wie durch einen Schacht drang ein kühler Luftzug. Der Algerier befand sich in einem der alten türkischen Häuser von Aleppo, die sich engbrüstig, mit hölzernen Fenstergittern und Schnitzwerk an den Fassaden über die Gassen neigen. Im zweiten Stockwerk brannte Licht. Der Algerier klopfte, wartete, an die Wand gelehnt, bis die Tür einen Spalt weit geöffnet wurde. Die alte Frau erkannte ihn, liess ihn ein. Er stand im schlecht gelüfteten Vorraum, hörte, wie auf beiden Seiten Türen geöffnet wurden, sah Mädchen mit grellfarbigen Tüchern dürftig verhüllt, dann schlossen sich die Türen wieder. »Wo ist Valentine?« fragte er laut. Er versuchte, damit die Beklemmung zu verscheuchen, die doch nur verursacht war von der zu süssen, zu verbrauchten Luft, von dem verschleierten Licht der Lampe, von dem schwankenden Bild der bunten Mädchen. »Wo ist Valentine?« wiederholte er. Er hörte zuerst nichts, dann ein Schlurfen im Korridor und die Stimme der Alten: »Sie hätten früher kommen sollen. Gedulden Sie sich ein bisschen.«

»Das ist ja neu«, sagte er gereizt, »dass Valentine mich warten lässt.« Für sich dachte er: Es ist Weihnachtsabend, die Leute wollen sich amüsieren. Ich, ich bin Mohammedaner, mich geht das gar nichts an. Aber Valentine geht mich etwas an. Und ausserdem ist es vielleicht der Abschied. Während er auf der schmalen Bank wartend sass, dachte er nicht an Valentine, sondern an die Wüstennächte, die ihn erwarteten, nach diesem Abschied ...

51 Er schreckte auf. Die Tür des »Bureaus« war geöffnet worden, Etienne lief sonderbar hastig durch den Vorraum, man hörte ihn nach der Alten schreien. Ihm folgte Brandgeruch, und eine gespenstische Gestalt, schwarze Seide, durchbrochene Spitzen vor der Brust, ein Gesicht, grau gefleckt vor Angst, grau wie die Schminke unter den von Entsetzen leeren Augen. »Madame Anaïs!« rief der Algerier. Wo ist Valentine, wo ist Valentine, dachte er, als er schon wusste, dass Feuer ausgebrochen war, dass die alte Türkenfassade vor Hitze glühte, dass ein weisser Vorhang als brennende Fahne über der Gasse wehte. Er stand noch unschlüssig da, sah, wie alle Türen plötzlich offen waren, Männer zuerst hinausstürzten, fast alle in Uniform, fast alle Offiziere von der Garnison, vielleicht Flieger? Hinter ihnen huschten die Mädchen hinaus, verstört, sonderbar leise, und zuletzt Madame Anaïs. Er folgte langsam. »Es ist ja gar nicht so schlimm«, murmelte er, »das passiert doch in Aleppo fast alle Tage, wenn auch nicht in einem solchen Haus.« Dann befand er sich in der Gasse, die Offiziere waren verschwunden, aber Kutscher kamen herbeigeeilt, auch Polizei, man lief die Treppe wieder hinauf, oben war die Vorhang-Fahne nur noch ein Fetzen, und während von der glühendheissen Holzfassade Funken in die Gasse fielen, ein Schlauch dagegen seinen Wasserstrahl emporsandte, brannte oben, im zweiten Stockwerk, das Zimmer der Madame Anaïs aus, und sonst nichts. 52 Aufruhr herrschte nur noch in der Gasse, wo zitternd vor Schrecken und Kälte die Mädchen sich aneinanderdrängten, barfüssig, im Hemd die einen, bunt gekleidet die anderen, alle jedoch furchtbar entblösst, und schon flogen Witze hin und her, von den Araberburschen zu den Kutschern, und Madame Anaïs, eben noch ganz verstört, richtete sich auf, trieb mit einer Handbewegung den Schwarm ihrer Schützlinge in die dunkel wartende Türöffnung.

Einen Augenblick später folgte ihnen der Algerier die Treppe hinauf. Er dachte: Ich hätte Valentine mein Cape umhängen sollen, sicher hat sie sehr kalt gehabt. Aber ich habe sie kaum erkannt, sie war so klein unter all den Bunten. Und überdies –, er schüttelte ein wenig den Kopf, das hätte ich mir, als französischer Offizier, doch wohl nicht leisten können ... Im Vorraum war es still, nicht einmal die alte Frau war da. Man hörte die Mädchen in den Zimmern flüstern, die Türen waren so dünn, vielleicht nur angelehnt? Er klopfte und trat in das »Bureau« ein. Dort sass, am Tisch unter der trüben Lampe, Etienne, den Kopf in die Hände gestützt. Auf dem Sofa lag ausgestreckt und mit geschlossenen Augen Madame Anaïs. Wie verwüstet war sie jetzt, die Spitzen vor der Brust verschoben, man sah einen müden Hals, darüber viel Schminke, der Mund zum Stöhnen geöffnet. Aber sie schlief ...

»Monsieur Etienne«, sagte der Algerier, »das war ein falscher Alarm. Das kommt doch in Aleppo alle Tage vor.«

53 Etienne nickte. »Aber Madame Anaïs«, sagte er, »ich glaube, dass sie sehr krank ist. Sie ist auf ihrem Bett eingeschlafen, mit der Zigarette in der Hand. Ich glaube, dass sie bald sterben wird.«

»Sind Sie schon lange mit ihr zusammen?« fragte der Algerier.

Etienne überhörte es, halblaut fuhr er fort: »Ich werde dann nach Paris gehen. Ich habe genug von diesem Land.« Man hörte die Schlafende stöhnen, als atme sie noch Rauch und Brandgeruch ein. »Kennen Sie Paris?« fragte Etienne. »Wissen Sie, was man dort anfangen kann?«

Der Offizier zuckte die Achseln. »Dort wird es auch nicht leicht sein«, sagte er. Sie sassen eine Weile schweigend, der Algerier betrachtete Madames verwüstetes Gesicht. Draussen vernahm man die Stimmen neuer Gäste, alles nahm seinen gewohnten Lauf. Ein Mädchen trat ohne anzuklopfen herein, legte Geld vor Etienne auf den Tisch, verschwand wieder.

»Es wird eine gute Nacht«, sagte Etienne, »dieses verdammte Feuer hat Reklame gemacht.«

»Ja«, sagte der Algerier, »ich wusste gleich, dass es nicht so schlimm sein würde.«

Etienne: »Teuer genug, ein ganzes Zimmer leer gebrannt, sie hätte es doch noch eine Weile gebraucht.«

Der Algerier wandte unwillkürlich wieder den Kopf nach der Schlafenden, da sah er, dass sie die Augen geöffnet hielt.

54 »Etienne«, sagte sie, »warum bieten Sie dem Leutnant nichts zu trinken an?« Etienne erhob sich wortlos. »Du kannst auch Valentine rufen«, setzte sie hinzu, und, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, zu dem Offizier: »Deshalb sind Sie doch hergekommen, wegen Valentine? Ach, die Mädchen werden schrecklich aufgeregt sein, nach diesem Alarm.«

»Und Sie, Madame, fühlen Sie sich etwas besser?«

»Es ist nichts«, sagte sie, »ich habe vor einiger Zeit einen Arzt rufen lassen.« Sie sank zurück, ihre Augen füllten sich mit Angst.

Der Offizier fragte: »Was hat der Arzt gesagt?«

Sie stöhnte, sah ihn an. »Es ist nichts«, wiederholte sie, »man kann gar nichts dagegen machen. Ich bin schon seit vielen, vielen Jahren krank.« Sie flüsterte es, um die Gefahr zu beschwören: »Aber Etienne glaubt, dass ich bald sterben werde!«

Der Algerier konnte auf einmal den Anblick ihrer Hoffnungslosigkeit nicht mehr ertragen. Plötzlich kam er sich lächerlich vor, in seiner hellen Uniform, in diesem Zimmer eines Zuhälters, zusammen mit der sterbenden Madame Anaïs. Er sprang auf.

»Ich werde Ihnen einen anderen Arzt schicken«, sagte er, »und wegen Etienne brauchen Sie sich doch nicht zu fürchten. Was versteht er denn davon!« Aufgebracht ging er bis zum Tisch, wo das Geld lag, bis zum verhangenen Fenster, und sehnte 55 sich fort, hinaus, in die Strassen, wo Feuer brannten und Wind wehte, in seine Pferdeställe. Valentine, dachte er, ich bin doch gekommen, um von Valentine Abschied zu nehmen!

Hinter ihm flüsterte Madame Anaïs: »Seien Sie nicht ungeduldig, Valentine wird schon kommen. – Oh«, stöhnte sie, »es ist ja nur wegen der Schmerzen. Werden Sie mir wirklich einen Arzt schicken?«

Er war schon an der Tür, da kam Etienne zurück. »Die Fliegeroffiziere sind gekommen«, sagte er und sah den Algerier nicht an. Grob fuhr er fort: »Mussten Sie, ein Afrikaner, sich denn gerade den Weihnachtsabend aussuchen? Wussten Sie nicht, dass diese Herren es nicht erlauben, dass wir hier Afrikaner haben?«

»Wo ist Valentine?« fragte der junge Algerier, von rasender Ungeduld ergriffen und bereit, alle Beleidigungen zu überhören.

Vom Sofa her sagte Madame Anaïs: »Bring den Herrn Leutnant sofort in Valentines Zimmer. Lösch das Licht im Vorraum aus, sie erkennen ihn dann nicht.« Und zu dem Algerier: »Aber bleiben Sie nicht lange, es gibt sonst einen Skandal.«

»Natürlich setzt es einen Skandal ab«, murmelte Etienne, aber er gehorchte.

 

Der Junge stand endlich Valentine gegenüber. Sie war vom Bett aufgesprungen. »Mon Dieu«, sagte sie, noch blass vor Schrecken: »Mein Gott, du bist 56 es! Was für eine Nacht!« Sie war nicht geschminkt, trug auch nur das graue Kittelkleidchen, in welchem er sie zum ersten Mal gesehen hatte, damals, als sie »frei« hatte. »Also«, sagte sie, »es ist nicht genug mit der Feuersbrunst und dem Weihnachtsabend und den Fliegern. Du musst unbedingt auch noch kommen.«

»Ja«, sagte er, »ich hatte es dir doch versprochen!«

Sie ging zu dem niedrigen Tischchen neben der verhüllten Lampe, nahm Zigaretten, bot ihm eine an, liess sich Feuer geben. »Das hat mir noch gefehlt«, sagte sie, »und draussen sitzt dein Freund Poiret und wird mich vermutlich nachher umbringen. Er wird die Tür eintreten.«

»Ich bin ja da«, sagte der Junge, »vor mir hat er Angst.«

»Aber du bist ein Afrikaner!«

»Was bist du, Valentine?«

Sie sah zu dem Bild Valentinos auf, Tscherkessenmütze und blitzende Zähne. »Ich«, sagte sie, »ich bin zwanzig Jahre alt. Ich bin Griechin. Ich gleiche Valentino.« Sie lächelte, als sie das Bild ihres Namensbruders betrachtete. »Aber du bist schöner als er«, fügte sie hinzu.

»Ausserdem ist er schon lange tot«, der Afrikaner lächelte.

»Weisst du das genau? Werden wir beide noch sehr lange leben?«

»Du, Valentine, bist doch erst zwanzig Jahre alt!«

57 »Wir, wir beide!«

»Ich bin Soldat«, sagte er schroff, »davon verstehst du nichts.« Sie verstummte. Er trat plötzlich zu ihr, sah ihr in das blasse, etwas zu weiche Gesicht. »Valentine«, sagte er, »du weisst doch, dass ich fort muss.«

»Wegen Poiret? Ja, du hast recht.« Man hörte draussen eine Männerstimme rufen. »Er ruft schon nach mir«, sagte Valentine, sie rührte sich nicht.

Der Algerier: »Aber Valentine, das ist es doch nicht. Ich muss fort. Dies ist mein letzter Abend. Vielleicht«, fügte er leiser hinzu. Das Mädchen hob plötzlich die Arme, bis zu seinen Schultern, er ergriff sie, so standen sie schweigend, sahen sich suchend ins Gesicht, und ihre Blicke, die nicht voneinander weichen konnten, trennten ihre Umarmung.

»Konntest du mir das nicht früher sagen?« fragte sie. »Ach ihr Männer, ihr Männer ... Warum bist du heute nicht früher gekommen? Ganz früh, als noch niemand da war? Ach, ich hätte dich bei mir behalten, ich hätte mich schon für dich frei gemacht!«

Er neigte seine helle Stirn ein wenig. »Aber Valentine«, sagte er, »am Weihnachtsabend – und Poiret und all die anderen Männer vor der Tür!«

»Ich hätte mich schon für dich frei gemacht!« wiederholte sie, jetzt das Gesicht an seinem Hals, ihr kleines Kinn an seinen Hals gepresst.

Draussen wurde mit Stiefeln gepoltert, an die 58 Tür gepoltert, eine dünne, schlecht verschlossene Tür, Männerstimmen riefen: »Valentine! Aufmachen, Valentine!«

Sie erstarrte, der Algerier hielt sie fest, und ganz starr flüsterte sie: »Die da draussen, das ist nur Beruf, verstehst du, wenn ich jetzt aufmachen muss, weil sie sonst die Tür eintreten.«

»Valentine«, sagte er, »sie haben alle Angst vor mir.

Sie flüsterte: »Aber mit dir war es anders, dich liebte ich –« und liess ihn los. Draussen schwollen Stimmen und Gepolter zum Tumult an. Das Mädchen liess die Tür nicht aus den Augen. »Höre«, sagte sie, »ich werde allein aufmachen, und du –«

Er stand hinter ihr, als sie die Tür öffnete. Sie standen davor, Kopf an Kopf, unter ihnen Poirets graues, wütendes Gesicht. Ehe sie sich's versahen, bückte sich der Algerier, schoss zwischen ihnen hindurch, war schon auf der Treppe. Er stürzte beinahe die hohen Stufen hinunter, dem Ausgang zu, hinter ihm hörte er sie den dunklen Schacht hinabpoltern, er war auf der Gasse, lief, und im Laufen lachte er. Alle betrunken, dachte er, die ganze Bande. Er lief über den Platz, wo die Droschkenkutscher am Feuer sassen, lief durch eine andere Gasse, parallel zur vorigen, zurück, hörte drüben seine Verfolger, lachte, atemlos. Dann wurde es still. Er erreichte die grosse Strasse, die zur Zitadelle führte, und begann, langsamer zu gehen. Keine Lichter mehr, weiss hob sich der 59 Morgenhimmel. Ich habe mein Cape vergessen, durchfuhr es ihn, sie werden es bei ihr finden –, und bemerkte gleichzeitig, dass er es um seine Schultern trug. Valentine musste es ihm umgehängt haben, im letzten Augenblick. Valentine, dachte er, ach Valentine, aber er dachte nicht mehr an Liebe, nur an das, was vor ihm lag: unbestimmt, im weissen Morgennebel. 60

 


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