Annemarie Schwarzenbach
Das glückliche Tal
Annemarie Schwarzenbach

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XI.

Mein Pferd Bacht, wir halten noch vor der fremden Stadtmauer. Deine Flanken beben, du wieherst ungeduldig, dein Hals ist mit Schaum bedeckt. Noch ist nichts geschehen!

Alle Wege sind uns noch offen. Lass uns um die Stadt reiten, Taubenschwärme hängen über ihren Gärten, bei ihrem Anblick befällt mich eine sonderbare Müdigkeit. Der Wind erhebt sich in den Schluchten des Tauschalgebirges und fällt in die Ebene hinab, schwer wie ein Sandsack. Schatten breiten sich aus, aller Glanz erloschen. Die goldene Kuppel von Schah Abdul Azim war ein Traum. Jetzt bleibt dem Oasendorf nur die Hässlichkeit der Palmen. Staub macht sich ringsum auf und rückt vor, langsam, Wände starrender Lanzen. – Flucht? – Wir sind schon eingekreist. Und diese Nacht wird kalt, wie sie überstehen? – Gewärmt an der Armut rötlicher Basarfeuer, so wie andere Nächte. Ich habe sie in Gesellschaft von Opiumhändlern, Antiquitätendieben und Chauffeuren verbracht. Nicht schlechter 150 als in den Jagdlagern persischer Prinzen, an den Kaminen der Gesandtschaften. Diese Nacht wird vorübergehen wie alle anderen Nächte, die vergangenen, die zukünftigen. Mut! – Alles geht vorüber. Es lohnt sich nicht, viele Worte zu verlieren. – Gestern schien mir die Sprache zu dürftig. Ich glaubte, Armeen aufbieten zu müssen, alle Zungen des Erdballs –, und sie genügten noch nicht, ich musste Worte erfinden. Denn ich wollte ein Konzert veranstalten, und mir fehlte der Ton einer Holzflöte. Jetzt fehlt mir nichts. – Ich könnte weinen darüber! Ich weiss nichts mehr, meine Bedürfnislosigkeit äussert sich stotternd und kommt mit zwei Worten aus –, Sonnenaufgang, Sonnenuntergang, die ich unablässig wiederhole. Und dann »Rettet mich, rettet mich!« – als ob mich eine sterbliche Seele hören könnte.

Die Krankheiten, die mich befielen, gehören zu diesem Land wie der gelbe Staub und die weisse Mohnblüte, darum hielt ich sie zuerst für harmlos. – Malariafieber, Dreitagefieber, Fieber der blauen Wanzen von Firuskuh –, meiner Schwäche waren alle Namen willkommen. Ich lernte 151 Schüttelfröste und taumelnde Nächte kennen, am Tag traute ich mich nicht mehr aus dem Dunkel des Gartens, in dessen Büschen grosse Falter schliefen. Wasserspinnen kämpften träge mit Taranteln, die Moskitoschwärme sanken wie Schleier auf die schwarze Fläche faulender Teiche. Kein Luftzug drang durch die Lehmmauern, die Platanen erstickten im dichten Unterholz. In einer Lichtung wartete eine Koppel persischer Windhunde, vor Hunger winselnd. Abends liessen wir sie vor unseren Pferden herjagen, die Ebene war in der Dunkelheit beinahe weiss und traurig wie eine Winterlandschaft in Mondlicht und Nebel. Die Hunde trieben Hasen, Antilopen und Schakale auf; sie spannten den gewaltigen Brustkorb wie eine Bogensehne und schossen davon, hinter ihnen – wie der Schweif eines Kometen – eine schimmernde Staubbahn. Die Pferde stürzten sich begierig in den Kampf, der Boden dröhnte unter ihren Hufen, aber die Beute, in vier Teile zerrissen, verendete, ehe wir sie erreichen konnten. Auf dem Rückweg bogen wir in einen Garten ein, der keine Mauern hatte und aus einem einzigen, von 152 der Allee durchschnittenen Feld weisser Blüten bestand. Ihr berühmter, in der Nacht geborener Duft wehte mich an und war trostlos. Ich wagte nicht mehr zu atmen und trug den Strauss auf dem Arm mit mir fort, den mir der Gartenbesitzer, ein Alter im Seidenmantel, zum Geschenk gemacht hatte. Wieder in der Ebene, fanden die trabenden Pferde den Weg allein. Die Windhunde neben uns waren folgsam und befriedigt. Endlich schlossen Diener hinter uns das Tor und fingen mich auf, als ich aus dem Sattel glitt. Am Teich sitzend, überliess ich mich der Erschöpfung. Schwüle ging um, die Sterne waren unbeweglich. – In anderen Ländern verschwendet jetzt die Nacht ihre Wohltaten –. Aber ich werde diese Länder nicht erreichen. Es ist unnütz, ich werde nicht einmal einen Blick tun. Wem war die Erde versprochen? – Ich erwarte immer nur den Tagesanbruch und koste seine bleischwere Enttäuschung. Dann vergehen die Stunden mit Rätselraten auf dem roten Teppich; denn im Garten ist es zu heiss. Dieser Teppich ist vollgesogen mit Tränen! Gegen Abend putzen die Diener den 153 Samowar und tragen Wein und Früchte auf. Die Gäste kommen, um mich zu zerstreuen, die neugierigen Windspiele drängen sich schmeichelnd an meine Knie. Plaudernd versichern wir uns unserer gegenseitigen Freundschaft; aber unter den Platanen breitet sich ein fürchterliches Schweigen aus.

Ich blicke verstohlen auf die Uhr. Ich fülle die Gläser. – Hatten die Zeiger sich bewegt? – Um einen Stundenschlag! Um das Ende dieser Heimsuchung! – Morgen werde ich ein Lamm schlachten und Weihrauch verbrennen, ich werde Busse tun, opfern, bereuen, ich werde wallfahren, Gesänge anstimmen, Totenwache halten, ich verspreche alles, ich werde alles erfüllen! Ich werde abschwören! – Wenn nur diese Stunde an mir vorübergeht – Morgen, arme Seele, werden wir alles vergessen haben, alle Schmerzen überstanden, und werden im Schatten schlafen. Wir werden uns nie mehr erinnern, nie mehr! – Meine Armut schreit zum Himmel . . . Gäste, Goldsucher, Glücksritter, wer machte euch trinkfest? Brave Leute, wer gab euch genug zum Leben? – Wer lehrte euch die 154 Gebärde des Mutes, des Unmutes, des gerechten Zornes? Wer hiess euch für eine gerechte Sache fechten, den Einsatz wagen, Lorbeeren ernten? – Und die Früchte eures Fleisses? Die Kinder eurer Liebe? – Eure Tränen? – Denn ihr vergiesst Tränen, sagt, ihr kennt Trauer, Freude, herbe Entsagungen, Versöhnungen, Prüfungen aller Art? – Welcher Glaube stärkt euch? – Im Schweisse eures Angesichts verdient ihr euer Brot, im Glauben des Herrn besiegt ihr eure Feinde, in seiner Demut überdauert ihr Niederlagen und wartet, dass die Saaten aufgehen –, Herren und Knechte, macht euch die verlorene Unschuld nicht weinen? Wer hiess euch eurem guten Tagewerk nachgehen und das Böse meiden, wer schrieb die Verträge, die Gebote, die ihr treulich erfüllt, wer gab euch Waffen und Fahnen? – Die Fahne in Ehren! – Das Unrecht rächt sich auf Erden! – Den Kindlein gehört das Himmelreich. Wie ertragt ihr, was euch beschieden wurde? – Krankheit, Alter, Tod –, und leben um jeden Preis? Mit himmlischen Erbauungen, in Höllenfeuern, zwischen Himmel und Hölle euer Platz?

155 Und seid ihr eures Schicksals Schmied und findet euren Meister und lasst euch taufen, Gottes Kinder, aus dem Paradies vertrieben, ohne Liebe aufgewachsen? Genährt mit Blutsuppe, gefeit gegen Gifte, im Unrecht watend bis zu den Hüften, und unbeirrt? Welcher Abhärtung, welcher Abstumpfung bedurfte es, um die Herrschaft über die Erde anzutreten?

– Freund, auf ein Wort! – Aber ich weiss das Wort nicht, ich habe keine Fragen mehr zu stellen, ich habe nichts mehr zu sagen, ich verliere mich in unerklärlichen Schmerzen . . . Unerklärlich? – Wo drückt der Schuh? – Ach lasst, ich habe mich geirrt: es ist nur Herzklopfen und Angstschweiss, die bleiche Hitze. Nichts zu lachen: vielleicht habe ich Heimweh. Denn ich kannte bessere Tage und werde wieder bessere Tage sehen. – Da krümme ich mich: Höllenpein! Gigantischer Betrug! Falschmünzerei! – Spürt es Keiner? Begreift Keiner? – Erschlagt diese Nacht! Reisst mir diese Stunde vom Hals! Haltet diese Erde an, löscht diesen Himmel! Löscht! Schweigt! Ich flehe . . .

156 Damit rührt man kein Herz und erwirbt sich keinen Dank.

Meine Fragen klingen wie ebenso viele Flüche. Die Antworten sind sprichwörtlich und höhnen meiner Ohnmacht. Namenlose Anfechtungen muss man verschweigen können wie ruhmlose Niederlagen. Und ich habe keinen Feind! Auf den Wegen der Fremdheit erkannte mich niemand, und die Wege Gottes sind unerforschlich –, was beklage ich mich also? – Vielleicht bin ich meinem Schicksal nicht begegnet, es könnte der Preis sein, den man für die Freiheit zahlt. Ich glaubte mich ausserhalb des Gesetzes, ich vergass die Erbsünde, den Fluch – und auch das Kainsmahl. Oh, vermeintliche Unschuld des Narren! Frevelspiele! Geflügelte Sohlen! 157

 


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