Annemarie Schwarzenbach
Das glückliche Tal
Annemarie Schwarzenbach

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IX.

Das Fieber vorbei –, ich habe geweint, bis mein Herz erschöpft, mein Kopf ganz leer geworden war. – Als ich dann aufstand, um meinen Weg fortzusetzen, sah ich die leeren Horizonte in einem unnachsichtig klaren Licht. – Ja, um den gleichen Weg fortzusetzen –, was anderes bliebe mir zu tun übrig? »Aber Du kannst Halt machen, kein Gesetz zwingt dich, du hast niemandem dein Wort gegeben, bist an kein Ziel und an keine Zeit gebunden –, warum so eilig? – Zehre ein wenig vom Reichtum deiner Erinnerungen, gönne dir ein wenig Beschaulichkeit, erlaube dir den Umweg zu grünen Oasen, nimm in ihren lauschigen Gärten teil an den einfachen Freuden des Mahls: du wirst satt werden und eine angenehme Ermüdung verspüren. Lockt es dich nicht, in den aufgeschlagenen Büchern Heldengedichte und Liebeslieder zu lesen? Die Lust goldroter und persischblauer Miniaturen zu entdecken? – Aeussere einen Wunsch –, aber lass ihn erfüllbar sein –, stell dir neue Aufgaben, aber sei sicher, sie zu lösen, 136 nenne einen Feind, den du besiegen wirst in ritterlichem Spiel. Wieviel Zerstreuungen leichten Herzens einzutauschen gegen die Mühsal des einförmigen Weges –, lockt dich der Vorteil nicht? Losgelöst vom starren Brand mittäglicher Wüsten, werden sich deine Augen ergötzen an der unverhohlenen Lieblichkeit unserer zahmen Gazellen in der Waldlichtung. Dein Trotz ist besorgniserregend: was erwartet dich am Rand eisiger Nächte?«

Lasst mich! – Mich ergreift, ich weiss nicht, welche Verzweiflung beim Anblick eurer frischgefärbten Teppiche. Ich bin nicht trotzig, sondern ratlos. Entlasst mich aus eurer Sorge!

Meine Pferde sind nicht schnell genug? Meine Waffen nicht geschliffen, mein Schild nicht gehärtet? Die ungezähmten Falken, die ich aussandte, werden nicht zurückkehren? – Ach, ich rühme mich keines besonderen Schutzes! Mein Mut reicht nicht besonders weit, manchmal halte ich kaum meine fünf Sinne beieinander, ein Rauschen in den Zweigen macht mich zittern. Die Windmühlen des Don Quichote sind noch greifbar gegen die 137 Schrecknisse, denen ich ausgesetzt bin, meinen Zweifeln drohen täglich neue Bestätigungen. Und die Furcht hat mich angerührt –, die Furcht ohne Antlitz, ohne Namen. Sie geht manchmal vor mir her wie ein Todesengel, dann erlöschen die Fluren, und die weisskrustigen Ufer der Salzseen breiten sich aus. Was bleibt mir? – Der Abdruck zierlicher Hufe, Muscheln, Gräser, versteinerte Salamander, der Trauerruf ziehender Vögel. Ich weine –, niemand hört mich. Schreckliche Vergeblichkeit jeder Auflehnung? Die lastende Schwermut fremder Zonen! Die Furcht, das einsame Verlangen . . .

Ich muss die Bilder wiederfinden, die meine Seele liebt. Weiss ich, an welchen Horizonten sie suchen?

Ich erhielt das Geschenk einer fürchterlichen Freiheit . . . 138

 


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