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Fünfzehntes Kapitel

Was aus der Waldhütte geworden ist, und warum die Krugwirtin Kuchen bäckt und Braten richtet. – Von einem, der sich allein fühlt, und was die Schwester Martha zustande bringt. – Von zweien, die ›heimgehen‹, und einem fürstlichen Besuch. – »Heiner, mein Goldbub!« – Vom Büchlein der kleinen Herrin, und warum Zinna nun weiß, daß ein Gott ist.

 

Aber es sollte doch noch ein Wiedersehen kommen. Noch einmal waren etliche Jahre vorübergegangen, als unten bei der Waldhütte Arbeiter erschienen, die sägten und hobelten, die die Wände der Hütte fest und undurchlässig machten, die das morsch gewordene Schindeldach wegnahmen und ein festes, gutes Ziegeldach aufsetzten, unter dem zwei weitere nette kleine Stuben ausgebaut waren. Rückwärts gab's etwas wie eine Werkstätte. Das Ganze wurde hübsch freundlich getüncht, man brachte grüne Läden an, und die inneren Räume wurden hell gestrichen und mit freundlichen Tapeten versehen. Als die einstige Jagdhütte, die nun zum stattlichen kleinen Häuschen geworden war, fertig dastand, da hielt eines Tages ein Leiterwagen vom Dorf davor, mit einfachen Möbeln bepackt, die der dortige Schreiner gemacht hatte. Es wurden zwei Bettstellen abgeladen, ein einfaches Sofa und sonstiger Hausrat für einfache Leute. Als Unterkunft für den Jäger war rückwärts wieder ein gut zu erwärmender Raum angebracht worden, fest und solid, dessen Entstehen dieser mit Befriedigung beobachtete, denn der alte Raum war nachgerade doch recht unbehaglich geworden.

Ein junges Mädchen vom Dorf – war's denn nicht das einstige Evle, die Jüngste von der Frau Klenk? – kam von Zeit zu Zeit mit irgendeinem von den Ihrigen, und das frische, runde Gesicht strahlte, wenn dann das eine oder das andere sagte: »Du kannst lachen – du hast's gut, in so etwas Neues, Schönes nur so ohne weiteres hineinsitzen zu dürfen!« Und das Evle lachte auch wirklich mit dem ganzen Gesicht.

Es kamen auf ihren Spaziergängen auch die Herrschaften vom Schloß, besahen sich die Sache, und die Fürstin ordnete da und dort praktisch und sachverständig allerlei an. Und als das Ganze – es mochte etwa im Monat Juni sein – zum Einzug fertig dastand und auch der Fürst eines Tages alles wohlgefällig betrachtet hatte, da drückte ihm die Fürstin die Hand und sagte leise: »Ich danke dir, daß du mir eine solch große Freude gemacht hast!«

Das Wiedersehen

Und dann kam ein Tag, wo die Wirtin im Krug in ihrer Küche stand, eifrig anordnete, Kuchen buk und Braten zu einer Hochzeit richtete. Es war keine von den großen, aber nichtsdestoweniger eine sehr wichtige, denn die hohen Herrschaften vom Schlosse interessierten sich besonders für das Brautpaar und wollten sogar zu der Traufeier in die Kirche kommen.

Was war das für ein Ereignis gewesen, als im vorigen Herbst im Krug ein junger Mann abstieg, dem man die Zigeunerabkunft ansah, begleitet von einer Art Wärter, denn es stellte sich bald heraus, daß der hübsche junge Mensch blind war.

Und noch mehr steigerte sich das Erstaunen, als die beiden für den andern Tag zum Essen auf das Schloß befohlen wurden.

»Es ist der Heiner, wahrhaftig, der Heiner Reinhardt, das elende, braune Büblein, das damals mit unserem Prinzen getauft wurde!« sagte die Wirtin zu ihrem Mann, und bald verbreitete es sich im ganzen Dorf, daß das Patenkind von der Fürstin hier sei, und daß dieser blinde junge Mensch besonders geschickte Hände habe für allerlei Schnitzerei und sonstige Arbeiten. Aber was tat er eigentlich hier?

Schon nach einiger Zeit, als der Blinde merkwürdig rasch in seinem Stübchen, im ganzen Hause und sogar in der nächsten Umgebung des Krugs Bescheid wußte, war der Begleiter wieder fortgegangen. Die Neugierde der Dorfleute sollte zuerst gesteigert, dann aber befriedigt werden, als die Frau Fürstin selber sich mit verschiedenen Handwerksleuten im Dorfe besprach und schließlich mit dem Schreinermeister, einem geschickten Mann, ausmachte, daß der Heiner, vorerst einmal zur Probe, bei ihm arbeiten solle, das Weitere werde man ja dann sehen.

Der Meister war in Not, er sollte den modernen Ansprüchen gerecht werden und mancherlei seine Zierschnitzereien an seinen Möbeln anbringen, wozu er aber selber nicht mehr ganz fähig war. Freilich, einen Blinden zum Gehilfen haben, das wollte ihm anfangs gar nicht einleuchten, und wenn es nicht die Frau Fürstin gewesen wäre, die ihn darum gebeten hatte, für keinen andern hätte er's getan. So mußte man es nun eben einmal probieren, und es ging. Es ging bald so merkwürdig gut, daß Heiner Taglohn bekam, und davon die Wirtin im Krug selber bezahlen konnte.

Aber auf die Dauer ließ sich die Sache doch nicht durchführen, was der Fürstin eine Sorge war. Der junge Mann saß Abend für Abend allein in der Stube. In die Wirtsstube hinunterzugehen, war er nicht zu bewegen, er war zu wenig an Menschen gewöhnt. Wohl hatte er einzelne Schriften aus der Blindenanstalt mitgebracht, wohl bastelte und verfertigte er allerlei niedliche Sachen, aber er fühlte sich doch furchtbar allein, und das Heimweh nach den Genossen in der Anstalt und auch nach seiner alten einstigen Pflegerin, der Schwester Martha, die jetzt dort im Ruhestand in ihrem Schwesternstübchen lebte, und die ihm in allem noch Ratgeberin war, packte ihn manchmal gewaltig. Er war zu jung zum Alleinsein.

Die Mahlzeiten nahm er mit der Wirtsfamilie ein, aber unter der rauhen Art der Knechte und Mägde und der nicht viel feineren Redeweise des Wirtspaares fühlte er sich fremd. Da tat ihm immer wieder eine Stimme wohl, die unter den andern sich anhörte wie das fröhliche Gezwitscher eines Vogels. Es war die Jungmagd der Wirtin, das Evle, wie Heiner sie nennen hörte, und er lauschte beständig, bis er ihr fröhliches Lachen oder etwas von ihrem netten, bescheidenen Sprechen vernahm. Sehen konnte er ja das frische, fröhliche Gesicht nicht, aber in seinem Innern machte er sich ein Bild davon. Und wenn das Evle manchmal des Abends mit irgend einer Anfrage oder Botschaft noch heraufgeschickt wurde, so gab's auch zwischen den beiden jungen Menschenkindern ab und zu ein Gespräch, und einmal hatte sogar die Wirtin rufen müssen: »Ja Evle, wo steckst du denn so lange?« und die zwei waren furchtbar darüber erschrocken, denn keines von ihnen wollte seine Pflicht versäumen.

Heiner Reinhardt wurde da und dort einmal im Wagen aufs Schloß geholt, oder die Fürstin suchte ihn bei ihren Fahrten ins Dorf in der Werkstatt auf und besah sich das, was er gearbeitet hatte, wobei sie auch Bestellungen für sich und ihre Bekannten machte.

Einmal war ganz unerwartet Schwester Martha gekommen, um nach ihrem Schützling zu sehen, und war auf Wunsch der Fürstin ein paar Tage geblieben. Sie hatte da mancherlei gefunden, was in Ordnung zu bringen war, und wobei ihr das Evle treulich half. Sie hatte dann am nächsten Tage eine längere Unterredung mit der Fürstin über Heiners Zukunft. Man mußte natürlich für einen Blinden mehr sorgen als für einen sehenden jungen Menschen in diesem Alter, und so war es gekommen, daß die Fürstin durch Schwester Martha das Evle fragen ließ, ob sie sich wohl entschließen könnte, diese Sorge für den Heiner Reinhardt zu übernehmen – mit anderen Worten, ob sie sich entschließen könnte, seine Frau zu werden.

Es ist keine leichte Sache, einen, der nichts sieht, zu heiraten. Aber das Evle hatte mit tausend Freuden Ja gesagt. Sie hatte von Haus aus so etwas Mütterliches, Fürsorgliches. Und wenn die Leute ihr in verschiedener Hinsicht Angst machen wollten, so sagte sie vergnügt und getrost: »Wenn man jemand lieb hat, so ist's ganz gleichgültig, ob seine Haut etwas heller oder dunkler ist. Und daß der Heiner blind ist, das macht ihn mir noch tausendmal lieber, weil ich für ihn sorgen darf!«

Den beglückten Bräutigam nahm die Schwester noch für ein Vierteljahr mit sich in die Stadt, wo er bei einem Dreher weiter lernte. Nun war er zurückgekehrt, und nun sollte heute die Hochzeit sein.

Eine beständige Sorge war es, für Heiner eine Wohnung zu finden. Die Bauern brauchten meist ihre Räume selber und vermieteten nicht. Auf sein wiederholtes Fragen antwortete Evle immer nur: »Es wird sich schon etwas finden«, und im letzten Brief hatte sie ganz kurz geschrieben: »Es hat sich etwas gefunden, sei nur getrost, mein Heiner, wir kriegen ein schönes Heim!«

Daß es in jeder Hinsicht gut bei dem Evle sein würde, das wußte der Heiner jetzt schon genau, und so vertraute er sich eben auch hier ganz ihrer Leitung an. Aber was war nur das, daß sie selbst am Hochzeitstage noch so geheimnisvoll tat und sagte: »Wirst schon sehen, wirst schon sehen«, was sie aber dann schnell verbesserte in: »Wirst's schon merken«, denn ihr Heiner konnte ja doch mit seinen armen Augen nichts sehen.

Das Fürstenpaar hatte wirklich der Trauung beigewohnt, auch die Babi und was sonst von den Leuten im Schloß abkommen konnte. Es war eine gar vornehme Gesellschaft, die andächtig in der Kirche der heiligen Handlung folgte und nachher das junge Paar beglückwünschte. Beim Essen im Krug saß obenan gleichsam als Pflegemutter neben Evles Verwandten Schwester Martha. Aber eine fehlte, und daß die nicht an seinem Ehrentage da war, das tat dem Heiner im Innersten weh – seine Zinna. Es hieß im Dorf, irgend einer habe von irgend einem gehört, die Zigeuner von damals seien wieder in der Nähe, aber niemand wußte etwas Gewisses, und so blieb der Platz Zinnas, der Heinerle einst ihr ein und alles gewesen war, eben leer.

Es war gegen Abend, als der Heiner sein Evle an der Hand nahm und sagte: »Jetzt wollen wir nach Hause gehen – jetzt endlich werde ich doch einmal erfahren, wo das ist!«

Da aber faßte ihn diese noch fester am Arm und sagte: »So ganz nahe ist es nicht, wir müssen einen kleinen Gang machen, aber dann paß auf, was kommt! Vielleicht, wer weiß, kriegen wir heute abend gleich auch noch hohen Besuch, die Frau Fürstin hat gesagt, es könne sein, daß sie noch bei uns vorbeikomme.«

Das war dem Heiner aber gar nicht recht, und er sagte: »Sieht's denn auch schon ein bißchen ordentlich bei uns aus? Es wäre mir lieber gewesen, die Fürstin hätte noch ein paar Tage gewartet!« Dann aber ließ er sich vertrauensvoll von Evle und auf der andern Seite von Schwester Martha, die auch mitging, führen. Bei der war's etwas anderes, die gehörte, beim Einzug wenigstens, zu ihnen.

Heiner hatte ein gar feines Gefühl, und nach kurzer Zeit schon sagte er: »Ich spüre keine Häuser mehr, wo sind wir denn?« Und gleich darauf: »Hier riecht's ja nach Wald – o wie köstlich, nach lauter Tannen!«

Da hielt das Evle auch schon an und sagte: »Ja, mein Heiner, wir sind im Wald, das heißt am Waldesrand, ganz nahe beim Dorf. Ein guter Weg führt geradeaus ins Meisterhaus, so daß du's allein finden kannst. Und jetzt will ich dir alles sagen, wo wir sind, und was für ein Heim wir haben.« Nun erzählte sie mit kurzen Worten von dem Hochzeitsgeschenk für sie beide, das die Frau Fürstin sich ausgedacht hatte. Sie beschrieb ihm das Häuslein, vor dem sie standen, das rote Dach, die weißen Wände und die herzigen Schiebfensterlein. Sie ließ ihn die Bank befühlen, die vor dem Haus war, und die Läden mit den eingeschnittenen Herzen. Und dann, und dann faßte das Evle die eine Hand und Schwester Martha die andere, und sie führten den wie im Traum befindlichen Heiner ein paar Stufen hinauf in die Wohnstube, wo sie ihm auch wieder alles beschrieben und ihn befühlen ließen. Und dann ging's in die kleine Küche hinaus und dann in die Werkstatt, wo es schon herrlich nach Holzvorräten roch, dann die Stiege hinauf in die oberen Stüblein.

Als eine halbe Stunde nachher der Wagen der Fürstin vorfuhr und sie in die untere Wohnstube eintrat, da fand sie drinnen so glückselige Menschenkinder beisammen, wie man sie selten im Leben trifft. Der Heiner, der doch ein baumstarker Mensch und innerlich gefestigt war, der weinte wie ein Kind, als er die Hände seiner fürstlichen Wohltäterin erfaßte und nur sagen konnte: »Ich danke eben tausendmal!«

Als sie aber dann auch mit der Fürstin einen Rundgang durchs neue Heim machten und der Heiner beim Treppenhinaufgehen meinte: »Es ist zu viel, da unten hätten wir ja genügend Platz gehabt!« da sagte die Fürstin: »Das eine von den Stübchen da oben habe ich für Zinna einrichten lassen, die soll hier eine Heimat haben, wenn der Vogel sich einmal wandermüde fühlen wird. Die Einrichtung aber, Heiner, verdankst du außer der Großmut des Fürsten unserer lieben entschlafenen Winifred, deren hinterlassene Sparpfennige ich dazu verwendete. Babi hat mir erzählt, daß noch in den letzten Tagen das Kind zu ihr gesagt habe: ›Das, was von meinem Geld noch da ist, gehört einmal meiner Zinna!‹« ...

 

Und diese kam. Ebenso wie der Zigeuner spurlos verschwinden kann, wenn er will, so hat er auch Mittel und Wege, etwas von der Außenwelt zu erfahren, wenn es ihn danach gelüstet. Zinna war all die Jahre her über das Leben und Treiben ihres Heiner genau unterrichtet gewesen, und nun wußte sie auch von seinem Glück. Hatte sie sich bis jetzt vor den alten Beziehungen gefürchtet, weil sie sich selbst nicht traute, so zog es sie doch nun gewaltig zu dem Bruder. Dort in dem Waldhause würde sie keinem andern Menschen begegnen, da würde wohl auch niemand ihren Heiner wegen der Verwandtschaft mit einer fahrenden Zigeunerin scheel ansehen. Und nun konnte sie endlich den, an dem ihre Seele noch mit allen Fasern hing, wiedersehen und die, die nun mit ihm lebte und für ihn sorgte, begrüßen.

Und sie führte es aus. Nicht zu weit war der Weg gewesen, den sie zu machen hatte, und eines Abends stand sie unter dem Schatten der Tannen am Waldesrand und schaute mit Staunen auf das liebliche Heim. Eine junge Frauensperson schaffte im Gärtchen, das vor dem Hause angelegt war, sie steckte Bohnen und wandte Zinna den Rücken zu.

Als sie sich aber aufrichtete, da fühlte Zinna aus ihrem lieben, treuherzigen Gesicht heraus, daß der Heiner in keinen schlechten Händen war.

Und da trat er selber unter die Haustüre. Was war aus dem schlanken Büblein für ein großer, kräftiger Mann geworden! Sie hörte ihn sagen: »Evle, nun ist's aber genug geschafft, komm nur herein, wir wollen jetzt endlich Feierabend machen!«

Da konnte sich Zinna nicht mehr halten. Mit ein paar Schritten stand sie am Zaun des Gartens und rief in der alten, zärtlichen Weise: »Heiner, – mein Heinerle!«

Jäh wandte sich Evle um und sah erschreckt auf die schwarze Gestalt. Als aber ihr Heiner mit jubelnder Stimme rief: »Zinna, ja ist's denn möglich? Wo bist du?« und die Arme ausbreitete, da wußte sie, daß es die von ihm so schmerzlich vermißte Schwester sei, und sie eilte, ihr die Gartentür zu öffnen, um sie an der Hand hereinzuführen. Das Evle verschwand sofort in der Küche, um zu dem einfachen Abendessen rasch noch Eier einzuschlagen und Salat aus dem Gärtlein zu holen. Sie ließ, nachdem sie die Schwägerin an den Ehrenplatz auf dem Sofa geleitet hatte und der Heiner ihr gegenübersaß, die beiden mit Absicht ein wenig allein.

Herrgott, war das eine Freude für den Heiner, aber sie selber fürchtete sich fast noch ein bißchen vor der ihr so ganz fremden Frau.

Zinna wollte eigentlich noch heute spät in der Nacht wieder fort, aber diesmal wurde ihr Wille nicht beachtet. Saßen sie doch nach dem Nachtessen so still und ungestört auf der Bank vor dem Häuslein, öffneten sich doch die Herzen unter dem funkelnden Sternenhimmel weit und immer weiter, so daß ein jedes erzählen konnte, was es innerlich und äußerlich erlebt hatte. Und dazwischen zeigte Zinna dem Evle das ganz nahe gelegene Plätzchen, wo einst das winzige Heinerle zur Welt gekommen war, wo die Daja ihr Lager gehabt hatte, und wo der Vater so unglücklich über das kleine, wimmernde Würmlein gewesen war.

Der Dade! Zinna wußte gar viel von ihm zu erzählen, daß es ihm nun doch wieder so weit gut gehe, daß er am Stock gehen könne, und daß er ohne Schmerzen sei. Erst als die Nachtluft recht kühl durch die Waldbäume rauschte, dachten die drei an Ruhe, und im Triumph ward Zinna in das ihr gehörende obere Stüblein geleitet und ihr dabei erzählt, welche Bewandtnis es damit habe.

Zinna lag nach langer Zeit wieder einmal in einem regelrechten Bett. Aber es waren nicht nur die ungewohnten Federn, die sie lange nicht einschlafen ließen, es war ein großes Wallen und Wogen in ihrem Innern, daß der Bub, ihr Heiner, von dem sie gemeint hatte, er werde ohne ihre Fürsorge zugrunde gehen, nun so geborgen und glücklich war. Hatte er doch noch heute abend zu ihr gesagt: »Zinna, wenn's auch dunkel um mich her ist und ich nicht sehen kann, so ist doch in mir lauter hellleuchtendes Licht, und ich kann unserem Herrgott nicht genug danken, wie wunderbar er mich führte!«

Die Fremde und nun doch hier Heimatberechtigte litt es nicht auf ihrem Lager. Sie stand nochmals auf, öffnete das Fenster, und als sie lange zum Himmel hinaufgeschaut hatte, an dem sich ein Stern immer heller als der andere entzündete, da murmelten ihre Lippen: »Liebe kleine Herrin, die du bei dem Gott wohnst, den ich nie verstanden habe, – ich danke dir, denn nun weiß auch ich, daß er ist!«

Es kostete Zinna einen großen Entschluß am nächsten Tage, den sie noch dablieb, sich nicht in den hintersten Raum zu flüchten, als sie, wie einst vor Jahren, wieder Hundegebell hörte und die Herrschaften vom Schloß kommen sah.

»Ich will und kann sie nicht sehen!«

»Doch, Zinna, bleib, du mußt!«

»Nein, ach nein!«

Aber der Heiner hatte sie fest an der Hand gefaßt, und schon waren die Herrschaften hinter den Bäumen hervorgetreten. Da wandte sich Zinna um und sagte: »Nun denn!«

Mit der ihr eigenen Würde und Hoheit machte sie sich von des Bruders Hand los und ging von selbst den Herbeigekommenen ein paar Schritte entgegen.

»Zinna, – ja Zinna? – Ist's denn aber auch möglich, daß du es bist? Endlich sieht man dich wieder!« rief die Fürstin, halb erfreut, halb mischte sich doch auch in den Ton ihrer Stimme das Gekränktsein über eine jahrelange Vernachlässigung.

Die Herrschaften hielten manchmal kurze Rast auf der Bank am Hause, und so auch diesmal. Die Fürstin forderte Zinna auf, sich zu ihr zu setzen, aufrecht aber blieb diese vor ihr stehen. »Herrin«, sagte sie, »ich habe mich schuldig gemacht, daß ich damals davongegangen bin und niemals mehr etwas von mir habe hören lassen. Schuldig bin ich, aber nicht undankbar! Ich mußte fort, Herrin, – du weißt es ja! – Weil mein Herz doch immer noch bei euch weilte, die ihr mir Gutes getan, so mußte ich es zum Schweigen bringen, denn wer unter dem Zwiespalt lebt, der geht zugrunde. Zinna hat deshalb auch zurückgelassen, was nicht zu ihr gehörte. Aber alles das, was man mir gesagt, und alle die Worte von meiner lieben kleinen Herrin, die gehörten mir, die hab' ich mit mir genommen, und sie haben mir aushalten geholfen, wenn mich der Zwiespalt auch dort manchmal zu packen drohte. Herrin, lieb haben und Liebe geben, – das hat mein Komteßchen gesagt, und so hat es gelebt, und das hab' ich von ihr geschrieben auf dem Zettel! Ich habe versucht, danach zu handeln, und wenn ich nicht wußte, wie ich's machen sollte, dann habe ich in meinem Büchlein gelesen, und so bin ich wieder heimisch geworden in meinem Volke.«

Nach diesen Worten bückte sich Zinna und küßte den Rockzipfel der Fürstin. Und dann konnte sie niemand mehr zurückhalten, – sie war ebenso rasch verschwunden, wie sie tags zuvor gekommen war.

 

Es war nicht zum letzten Male, daß Zinna dagewesen war. Öfter und öfter kam sie, besonders als Kinderlein in der Wiege lagen und ihr später mit Jubel entgegensprangen, wenn sie auf das Häuschen zukam: »Die Tante, – Vater, Mutter, kommt schnell, – die Zinnatante, die liebe!«

Einmal war auch der Dade mitgekommen, aber es war ihm wind und weh in dem geordneten Haushalt seiner Kinder gewesen.

»Bleib' doch, wir wollen dich hegen und pflegen«, hatten Heiner und auch sein Evle gesagt, aber er schüttelte den Kopf mit dem nun grauen Haar und sagte: »Ich würde zugrunde gehen, wenn ich da immer auf einem Flecke sitzen müßte.« Aber für kurze Zeit erschien er doch manchmal wieder, gewöhnlich mit Zinna, und sie holten sich aus Heiners Werkstatt allerlei Holzgerätschaften, mit denen der Dade dann da, wo die Bande sich gerade aufhielt, hausieren ging. »Was kann ich anders machen?« sagte er. »Mit dem Pferdehandel ist's bei mir vorbei. Und dann hat das Mädel mich und die andern ja so in der Gewalt, daß jeder, der in ihrer Umgebung weilt, weder tschorawa (stehlen) noch wahrsagen darf wie früher, und das hat doch am meisten eingebracht. Will man's doch tun, so wird die Falte zwischen ihren Augen, wie gerade jetzt, zum Fürchten finster, und sie sagt, ordentlich drohend: ›Wenn ihr nicht tut, was ich will, und was recht ist, so geh' ich wieder fort!‹ ... Da tun die Frauen und Männer halt ihren Willen, denn seit die Bosche tot ist, holt man eben die Zinna, wenn es etwas zu raten, zu schlichten oder zu pflegen gibt!« – Der alte Zigeuner hielt in seinem Erzählen einen Augenblick inne und nahm einen Schluck von dem selbstbereiteten Wacholderwein, den Evle ihm vorgesetzt hatte. Dann fuhr er, trotz Zinnas Wehren, er solle doch nicht immer von ihr sprechen, fort: »Und die Kinder, die hat sie erst ganz in der Gewalt. Sie weiß sie zu leiten wie ein Schäfer seine Schafe, und ohne Stock und Schläge, ohne Drohen und ohne Schimpfworte, nur allein durch das, was sie aus ihrem Büchlein herausliest ... Ob's ein Zauberbuch sei, haben der Tetia und ich sie oft gefragt, denn sie hat's stets sorgsam in ein seidenes Tuch gebunden. Aber sie ist zu stolz, darauf zu antworten. Doch die Schellata, die Wadomer und die anderen Frauen sagen: ›Die Zinna will lieber durch ihr Leben zeigen, was sie aus ihrem Buche lernt, als daß sie darüber redet.‹« –

Ja, die Zinna!


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