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Zweites Kapitel

Wie Mara die Sonne wohltut, und was die Pale-Bosche sagt. – Warum Zinna vom Boden aufspringt. – Von einer fürstlichen Patenschaft und einem neuen Kleid. – Die Jagdhütte, und warum Hanna die Hand der kleinen Komtesse festhält.

 

Am nächsten Tage wachte Winifred mit dem Gefühl auf, daß eine große Freude auf sie wartete. Als ihr klar wurde, daß Großmama wahrscheinlich noch vor Tisch mit ihr wieder in den Wald gehen und den Zigeunerleuten all das Herrliche verkünden werde, da sprang sie mit hellem Jubel aus ihrem Bett heraus, und die Babi hatte heute große Mühe mit dem Anziehen der feinen Strümpfe, dem Zuknöpfen der braunen Lederschuhe und dem Bürsten der langen, seidenweichen Haare. Eine große Enttäuschung aber gab es für Winifred, als beim Frühstück die Großmama, die heute etwas leidend aussah, ihr eröffnete, daß sie leider, leider nicht mit in den Wald könne, da sie sich erkältet fühle und sehr heftiges Kopfweh habe. Fast hätte Winifred angefangen zu weinen. Aber da die Sache, wenn man sie überhaupt ausführen wollte, doch auch Eile hatte, so erlaubte die alte Dame, daß Winifred in Begleitung von Babi und Hanna und dem Jäger ohne sie gehe, und daß sie, die ja schon ein großes verständiges Mädel sei, der Zigeunerfrau das Nötige sagen dürfe.

Welche Wonne für die kleine Komtesse, die nun kurz darauf mit sicherem Geleite, diesmal aber ohne die Hunde, in deren Gegenwart man ja kein vernünftiges Wort sprechen konnte, bepackt mit allerlei Gutem und Nützlichem, den Schloßberg hinunter durch den Wald dem Zigeunerlager zueilte.

»Ganz recht ist mir's nicht, daß man das Kind ohne eins von uns zu dem Pack hinunterschickt«, sagte der Fürst, als er etwas später zum Frühstück kam. Er beruhigte sich aber, als er hörte, daß sein Leibjäger auch dabei sei.

Im Zigeunerlager

Im Zigeunerlager unten sah es heute etwas anders aus. Das Laublager von Frau Mara war verschwunden, und sie selber saß auf dem Tritt des Reisewagens und sonnte sich daselbst, den Kleinen hatte sie in einem karierten Tuch um den Hals gebunden. Joseph und einige der andern Männer waren auf Roßhandel gegangen. Die Pale-Bosche kauerte wie immer am Boden auf einem alten Teppich und hatte Karten vor sich ausgebreitet, die sie aufmerksam betrachtete.

Zinna, die neben der Mutter saß, hatte einen Haufen zersprungenen irdenen Geschirrs von den Bauern vor sich liegen, um das sie geschickt Draht flocht, wodurch Töpfe und Schüsseln wieder eine Zeitlang hielten. Ihre braunen Finger machten das sehr flink und geschickt, und ebenso flink redete sie darauf los: »Sie sind nicht wieder gekommen, Daja, die Herrenleute, ich hab' mir's gleich gedacht. Versprechen und nicht halten, sagte die Bosche, das sei die Art von solchen Menschen!«

Dabei beugte sie sich über den kleinen Bruder, dessen Gesichtlein beständig zuckte, und der bis jetzt noch gar nicht recht die Äuglein aufgemacht hatte.

»Die Wärme tut gut«, sagte die Mutter. »Mich friert noch immer, und die Sonne belebt!« Indem sie einen Blick auf das Kindlein an der Brust warf, sagte sie bekümmert hinüber zu der Alten: »Bosche, das Tränklein hat noch nicht gut getan, – er hat Krämpfe, wie die andern!« Da stand die Bosche auf und kam langsam schlürfenden Schrittes herbei. Mit ihrer knöchernen Hand strich sie dem Kind über Stirn, Brust und Magen, und wirklich wurde der kleine Körper ruhiger, und die geballten Fingerchen streckten sich.

»Art läßt nicht von Art! Der Joseph ist stark und kräftig, aber wenn die Mutter ...« Wahrscheinlich wollte sie sagen: »zart und schwächlich ist«, aber in diesem Augenblick kam die kleine Komtesse den Waldweg herunter, an der Hand festgehalten von ihrer Babi, die gar nicht gern mit ihrem »Kleinod« diesen Gang machte, und die übrigen.

»Sie kommen doch!« sagte Zinna und stieß die Mutter mit dem Ellbogen an. Dabei warf sie ihren Drahtring auf die Erde, daß er klirrend zur Seite fiel, und sprang behende auf. Hei, was doch so ein Herrenkind fein aussah! Und unwillkürlich fuhr sie sich mit den Fingern durch ihr struppiges Haar und nestelte ein paar Knöpfe an ihrer Bluse zu.

Nun war Winifred da, und ein bißchen verlegen, aber doch ihrer Sache sicher, berichtete sie, was Großmama ihr aufgetragen hatte, und die gewandte Hanna erklärte, was aus dem Kindermund vielleicht etwas unverständlich klang, und unverständlich und merkwürdig klang ja das Ganze für die Zigeunerleute.

Zinna hatte zuerst erfaßt, um was es sich handelte. »Daja«, rief sie und schüttelte die Mutter an der Schulter, »Daja, wir dürfen in die Jagdhütte ziehen, weißt du, in die gleich da drüben, in der ein Herd ist und eine Bank! (Woher Zinna dies wußte, blieb vorderhand unerörtert.) Daja, und du und ich und der Tschawo (Knabe) sollen ein paar Tage dort bleiben dürfen! Und Essen kriegen wir vom Schloß, und ein Doktor soll kommen, und er gibt dir und dem Kinde Wein, daß ihr kräftig werdet.«

Die Bosche, die wieder an ihrem alten Platz vor den Karten saß und sich bisher nicht gerührt hatte, lachte geringschätzig über diesen letzten Satz, aber dabei flogen ihre Augen lauernd von den Besuchern zu Mara und von dieser wieder zurück. Als aber das Komteßchen mit ihrem lieben, vor freudiger Aufregung zitternden Stimmlein weiter sagte: »Und ich soll sagen, daß meine Tante, die Fürstin, sehr gern Patin werden möchte bei Ihrem kleinen Büblein, und ich soll sagen, daß der Kleine dann auch mit meinem Brüderchen, dem Erbprinzen, in der Kirche zur selben Zeit getauft werden könnte!« da funkelten die Augen der Pale-Bosche, und sie stand langsam auf und schlich zu ihrer Schwiegertochter hin, die unschlüssig über all dem Gehörten dasaß und nicht wußte, was sie sagen sollte. In einer fremden Sprache tuschelte die Alte ihr allerlei ins Ohr, und als Mara mit dem Kopfe nickte, da ging die Bosche zu den Besuchern und sprach mit einer tiefen Verbeugung allerlei von großer Ehre und vieler Freude, und wieviel Glück und Segen über das ganze fürstliche Haus kommen werde dafür, daß sie den armen Ziganys so viel Gutes täten. Dabei nahm sie grinsend und sich immer wieder verbeugend die Lebensmittel in Empfang, welche die Begleiterinnen mitgebracht hatten, und pries mit vielen Worten das schöne Haar der beiden, ihre schönen Wangen, ihre Jugend usw., was die Babi, die wirklich nicht mehr in der ersten Blüte ihrer Jahre stand, mit Würde und verächtlicher Gebärde von sich wies.

Das Komteßchen aber hatte sich inzwischen Zinna genähert und sie gefragt, wie sie heiße, und dann hatte sie schüchtern gefragt, ob sie sich über ein neues Kleid zur Taufe freuen würde. Die Hanna hier würde ihr gern das Maß dazu nehmen. Und sie solle fragen, ob sie denn wirklich auch schon den Kleinen pflegen und für die Mutter sorgen könne.

Da aber brach die Mutter ihr Schweigen und sagte fast inbrünstig: »Zinna ist wie ein Altes: was sie will, das kann sie, und wenn die Herrschaften verlangen, daß sie ihnen aus der Hand wahrsagt, so tut sie's sofort.«

Zinna war bei diesen Worten im Handumdrehen bei der kleinen Komtesse und ergriff deren zarte, feine Hand, die ihr aber in demselben Augenblick von Babi wieder entrissen wurde.

»Daß du dich nicht unterstehst!« sagte sie mit funkelndem Blick zu dem Zigeunermädchen, den dieses sofort mit einem noch funkelnderen, fast haßerfüllten erwiderte. Hanna aber sagte: »Das will ich euch nur gleich sagen, daß derartige Künste bei uns im Schlosse nicht geduldet werden!«

Der Jäger aber kam gleich darauf in ein Gespräch mit Joseph und ein paar andern, die eben zum Mittagsmahl zurückgekehrt waren, und setzte diesem, als dem Vater, auseinander, um was es sich handle. Er sagte ihm auch genau, was des Fürsten Wunsch und Befehl sei: daß seine Frau und Kinder wohl eine Zeitlang Unterkunft auf fürstliche Kosten in der Jagdhütte hätten, daß aber die Bande, die sich schon länger, als eigentlich erlaubt sei, hier in der Gegend herumtreibe, von heute ab weiterziehen solle. Er selber, als Vater, sei zu der in vierzehn Tagen stattfindenden Taufe eingeladen, und dann könne er seine Familie wieder mit sich fortnehmen.

Joseph versprach alles heilig und teuer, während ein halberwachsenes Zigeunermädchen, das in immer engeren Kreisen die Redenden umschlich, die Gelegenheit benützte, ein rotes Taschentuch, dessen Zipfel ein wenig heraussah, dem Manne aus seiner Tasche herauszupraktizieren. Zinna, die das mit angesehen hatte, schien nichts Unrechtes darin zu finden, denn sie nickte ihr mit zwinkernden Augen zustimmend zu.

Als aber das kleine Komteßchen ihr gleich darauf zum Abschied freiwillig die Hand wieder hinstreckte und sagte: »Wir werden euch recht oft dort besuchen, Zinna, und wenn dir's recht ist, mußt du auch einmal zu mir aufs Schloß kommen und meine Puppen sehen«, da sagte nachher das Zigeunermädchen zu ihrer Mutter: »Der kleinen Goldhaarigen stehle ich nichts, wenn sie mich wirklich dort oben hereinlassen. Aber die Alte, die mich so schroff abgewiesen hat, die hasse ich!«

Hanna nahm geschwind das Maß des Kleides, und es kostete sie eine große Überwindung dabei, mit dem schmutzigen Gewand der jungen Zigeunerin in Berührung zu kommen.

Das Komteßchen hatte noch schnell einen Blick nach dem armen, mageren kleinen Kindchen getan, und die Babi hatte mit ihren klugen, forschenden Augen aus den Wunsch der Frau Fürstin sich das Zigeunerweib angesehen, dem man so viel Gutes erweisen wollte. Ihre Prüfung schien nicht übel auszufallen, denn sie trat nachher noch zu ihr hin und sagte freundlich ermunternd: »Ihr seht schwach und elend aus. Gebt acht, die Ruhe und das gute Essen werden Euch und dem Kindlein gut tun.«


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