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Neuntes Kapitel

Wie ein kleines Weihnachtsbäumchen heller strahlen kann als ein großer Baum. – Warum die kleine Komtesse ihren Schaukelstuhl streichelt und Mara sagt: »Sorg' für den Dade!« – Eine schwarze Gestalt im Frühlingssturm. – »Er hat ein anderes Weib genommen!« – Zinna hat keine Zeit zum Sitzen.

 

Am Heiligen Abend selbst, als es dämmerte, war die kleine Komtesse aufs eifrigste beschäftigt. Sie hielt in ihrem Zimmer eine ganz eigene Bescherung für alle im Schlosse ab. Das ganze Jahr sparte sie dazu von ihrem Taschengelde, merkte sich genau schon im Sommer die etwaigen Wünsche, und Hanna und Babi besorgten ihr vieles dazu in der Stadt. Was aber irgendwie im Dorfe bei der Krämerin zu haben war, das wurde da gekauft, seitdem Winifred einmal gehört hatte, daß diese klagte, man hole alles anderswo, und sie habe doch so viele Auslagen mit ihrem Laden und mit ihrer Familie.

Eine Stunde später war die große allgemeine Bescherung im hell erleuchteten Festsaal, und ein jedes, vom Erbprinzen bis zu dem Stalljungen herab, wurde aufs reichste beschenkt. Zwei riesige Bäume brannten in der Halle, und vom Gewächshaus waren die schönsten Pflanzen herausgebracht worden. Die alten Kronleuchter mit den mächtigen Hirschgeweihen hatten einen Kranz von bunten elektrischen Lämpchen, und die mit glänzendem Damast gedeckten Tische waren übersät von den schönsten Gaben. Aber wenn man nachher beim festlichen Mahle in der Gesindestube hinhorchte, was die Leute alles untereinander sprachen, so konnte man immer wieder hören: »Unten im Saal ist's ja prachtvoll, und nirgends wird man leicht seine Gaben so reichlich und schön bekommen, aber am heimeligsten war's doch beim Komteßchen unter dem kleinen Baum mit den Wachslichtchen. Das hat einen an daheim erinnert. Und woher sie nur gewußt hat, was wir gerade brauchen und uns wünschen?«

Der Koch zog ein hübsches Messer mit Schildkrotplatten heraus und ließ es auf- und zuschnappen. Der Kammerdiener zeigte einen geschnitzten Doppelrahmen für die Bilder seiner zwei Kinder. Die Küchen- und die Hausmädchen hatten praktische Unterröcke bekommen, Babi und Hanna aber waren ganz selig über eine schöne, große, neue Photographie ihrer Komtesse. Babi sagte immer wieder: »Nein, daß ich auch gar nichts davon gemerkt habe! Das ist geschehen damals, in der Stadt, auf dem Rückweg von dem Blindenasyl, in dem die Herrschaften den kleinen Zigeuner besuchten, und als ich mir gar nicht erklären konnte, wo alle so lange blieben!«

Wolf-Dieter hatte richtig trotz nicht ganz glänzenden Zeugnissen den kleinen Motor bekommen nebst sehr vielen Soldaten, und den ganzen Abend ließ er alle seine Räder und Rädchen schwirren und surren. Das Ganze konnte auch mit seiner großen Eisenbahn in Verbindung gebracht werden, und auch der Fürst und Herr Binder, der hilfreiche Hand leistete, ergötzten sich an dieser ganzen kleinen, elektrischen, lebendigen Welt.

Winifred hingegen war aufs äußerste überrascht worden mit einer gänzlich neuen Zimmereinrichtung von ausgesuchter Schönheit. Wunderhübsch war der mit zweierlei Holz ausgelegte Schreibtisch, Nippschrank und Tisch. Sofa, Lehnsessel und Stühle, überzogen mit dem rosig geblümten Seidenstoff auf lichtblauem Grunde, wirkten geradezu reizend. Winifred dankte sehr herzlich, aber ganz im Hintergrund ihres Herzens konnte sie sich doch nicht so vollauf freuen über dies Geschenk, denn sie mußte sich ja dadurch von ihrer lieben, weiß und blauen Kinderstube trennen. Und als ein paar Tage später ein Tapezier aus der Stadt kam und alles aufs schönste stellte und einrichtete, da gab's ihr fast einen Stich ins Herz, als der Fürst sagte: »Die alten Möbel kann man auf den Speicher bringen, vielleicht braucht man sie später einmal für ein Gastzimmer.«

Winifred hatte das dumme Gefühl, daß Möbel, die man lange benützt hat, fast mit einem fühlen können, und ordentlich liebkosend strich sie mit der Hand über ihre Gitterkommode, ihren Kindertisch und den kleinen, weißen Schaukelstuhl, als man sie wegtrug.

Am Christfest fuhr die ganze fürstliche Familie zum Gottesdienst in das Dorf hinab, wo sich der alte herrschaftliche Stuhl befand, in dem seit Jahrhunderten die Grafen und Fürsten von Alten-Leien gesessen und dem Gotteswort gelauscht hatten. An den Wänden waren Engel mit goldigen Flügeln befestigt, darunter auch der, welcher einst bei der Taufe von dem Zigeunermädchen mit der blonden Komtesse verglichen worden war. Zwischen ihnen hingen altersdunkle Ölgemälde von Mitgliedern der fürstlichen Familie. Unter diesen, gerade gegenüber von der fürstlichen Loge, befand sich das Bild eines kleinen Mädchens im Reifrock, das eine Tulpe in der Hand hielt. Darunter standen die Worte: »Sibylla von Alten-Leien wurde in ihrem zehnten Lebensjahr von den heiligen Engeln in den Himmel getragen. Um sie weinen ihre Eltern und Geschwister und viele, denen sie wohlgetan.«

Für gewöhnlich horchte Winifred andächtig zu, was der Geistliche sagte. Aber doch wunderten ihre Augen dazwischen immer wieder auf dieses Bild. Sie hatte sich eine ganze Geschichte ausgedacht, von dem Schmerz der Angehörigen, und wie schwer dieses kleine Mädchen wohl auch von ihnen geschieden sei. Aber »sie war von den heiligen Engeln in den Himmel getragen worden«. Dies Wort prägte sich ihr heute ganz besonders ein, vielleicht auch, weil es mit dem Engelsgesang auf dem Hirtenfelde übereinstimmte, von dem heute – am Weihnachtstag – die Rede war.

An den Feiertagen mußte Winifred des schlechten Wetters wegen zu Hause bleiben. Bei Witterungswechsel empfand sie so leicht wieder das Unbehagliche am Herzen.

Wie schön war's aber auch daheim im lieben, alten Schloß bei all den vielen prächtigen Sachen im Saal, so wie heute nachmittag, wo man vereint im Wintergarten saß, las, Bilder ansah und plauderte. Auf den Wunsch der kleinen Komtesse war ihr alter Schaukelstuhl hierher gebracht worden, und sich so recht behaglich in ihm hin und her bewegend, las sie in einem Buche über Indien, das ihr der Onkel geschenkt hatte, über das Land, wo ihre Eltern geweilt hatten, konnte sie ja nie genug erfahren.

Als sie über die dortigen braunen Menschen las, fielen ihr plötzlich ihre Zigeunerschützlinge ein, und sie sagte zu der Fürstin: »Es ist doch schon recht lange her, daß wir nichts mehr von Zinna gehört haben!«

Der Fürst warf über seine Zeitung herüber ein: »Je älter sie wird, desto weniger wird sie Lust zum Schreiben bekommen!« Dann aber interessierte er sich doch, als die Fürstin von einem neu eingetroffenen Bericht über das Heinerle aus dem Blindenasyl sprach, und sie beauftragte den Diener, ihr den betreffenden Brief, der auf ihrem Schreibtisch lag, zu bringen. Der Inspektor schrieb:

»Euer Durchlaucht

hab' ich recht herzlich zu danken für das schöne Christgeschenk für unsere Anstalt, sowie für die praktischen, reizenden Sachen, die Eure Durchlaucht dem kleinen Heiner Reinhardt zu Weihnachten schenkten. Schwester Martha läßt sagen, daß die rote Wolljacke mit der Mütze ihrem Zigeunerle ganz ausgezeichnet stehe. Das Büblein selber aber ist glückselig über die Schachtel, mit deren Inhalt er statt aus Lehm seine Wachsfiguren kneten kann, und wir bringen ihn kaum mehr zu den Mahlzeiten von seiner Arbeit weg. Wir lassen ihn nun auch seit einiger Zeit ganz einfache, kleine Gegenstände aus Holz schnitzen, und der Lehrmeister meint, so geschickt habe noch keiner die Sache angefaßt wie der Heiner.

Auf den von Eurer Durchlaucht angekündigten Besuch der Schwester des Heiner haben wir bis jetzt vergeblich gewartet, und ich gestehe, daß es uns nicht gerade leid tut, wenn dieses unternehmungslustige Frauenzimmer ihm fernbleibt. So gewissenhaft wir sonst den Kindern ihre Familie und Heimat durch Erzählen warm zu erhalten suchen, so ist es in diesem Falle vielleicht doch besser, wenn unser Zigeunerle sein Volk und sein Herkommen vergißt, – so dachten wir wenigstens. Aber als vorige Woche die Mutter des Kindes, eine abgezehrte, jämmerlich hustende Frauensperson, an der Pforte Eingang verlangte, und als wir Zeugen waren von dem herzergreifenden Wiedersehen der beiden, da wurden wir doch anderer Ansicht. Die Frau scheint wirklich ordentlich zu sein und hat uns wahrlich nicht überlaufen. Die beiden wußten sich eine Stunde lang so viel zu sagen, – merkwürdigerweise verstand der Kleine die Zigeunersprache noch, – da überkam's uns: Mutterliebe bleibt Mutterliebe, und sie darf nicht unterdrückt werden! Wir luden deshalb die Frau ein, wie wir's immer bei den auswärtigen Angehörigen unserer Pfleglinge tun, sie solle den Tag und eine Nacht dableiben. Darauf ging sie aber zu unserem Erstaunen nicht ein, was uns leid tat, denn ich fürchte, die Arme wird nicht mehr oft ihr Kind hienieden sehen. Nach einer Stunde etwa ließ sie den Heiner, den sie eng umschlungen hatte, mit einer plötzlichen, heftigen Gebärde los, stand auf und sagte: ›Jetzt geh' ich!‹ und mit ein paar Zeichen gegen das Kind, die wohl ein Segen waren, die uns aber unheimlich dünkten, war sie dann draußen.

Ich bin so weitläufig geworden, weil ich weiß, daß Euer Durchlaucht diese Sache interessiert.

Mit nochmaligem ehrerbietigem Dank
H. Köster, Inspektor des Blindenasyls.«

Wie diese Geschichte alle, besonders aber Winifred, interessierte! Aber immer wieder hätte sie gern gewußt, warum denn nur die Zinna ihr geliebtes Heinerle nie besuchte.

Mitten in diesen Reden kam die neue Post. Weber überbrachte sie dem Fürsten auf einer silbernen Platte, und dieser reichte, nachdem er die eingelaufenen Briefe durchgesehen hatte, einen mit einer fremden Marke versehenen und mit eigenartiger Handschrift geschriebenen Brief seiner Frau. »Da, ich glaube wahrhaftig, hier ist gerade ein Schreiben von euerm Zigeunermädchen!«

Und richtig, es war so, und recht begierig, weiteres zu erfahren, öffnete die Fürstin den Umschlag. Aber nur ein kleiner, dünner Zettel fiel aus ihm heraus und auf dem stand:

»Herrin!

Meine Mutter ist tot! Sie hat gehustet und gehustet, aber sie wollte nicht liegen bleiben und ist immer mit uns gezogen. Dann kam das viele Blut, und dann war es zu Ende. Sie sagte: ›Sorg' für den Dade!‹, und ich will's tun. Aber sie hat mich verstanden, und beim Dade bin ich allein. Einmal, beim Sternenschein, hab' ich in dem Büchlein von der kleinen Komtesse gelesen und da stand was von einem Himmel und Wiedersehen. Aber ich kann's nicht glauben, denn tot ist tot!

Zinna.«

Was war das für ein ergreifendes Brieflein, und nicht nur Winifred, sondern auch die Großmama und Tante mußten weinen, als sie es lasen.

»Armes, armes Zigeunerkind!« sagte die Großmama, und Winifred wollte beständig wissen, was die Zinna nun wohl tue, wie sie lebe, und ob ihr Vater wohl nicht mehr so finster und böse sei wie früher, aber niemand vermochte darauf Antwort zu geben. Zur wirklichen Betrübnis aller hatte Zinna diesmal wieder vergessen, ihre Anschrift anzugeben, und es gab keinen Weg, ihr zu sagen, wie warmen Anteil man an ihrem Leid nehme.

»Das Mädchen hat ja doch ihre Verwandten und Freunde in der Bande, und sie halten alle fest zusammen, die Zigeuner!« versuchte der Fürst, den dieser kleine, schlichte Zettel wirklich auch gepackt hatte, zu trösten. Aber Winifred wußte, daß sich Zinna schwer anschloß. Und dann war ja dieses Mädchen doch auch von ganz anderer Art als ihre Genossen, was sie gerade so anziehend machte.

Winifred hatte mit noch nassen Augen ihrer Babi alles erzählt, und selbst in der Dienerschaftsstube nahmen etliche Anteil an dem Schicksal der jungen Zigeunerin. Es war deshalb ein Ereignis, als der Stallbursche ein paar Tage später erzählte, er habe einen von der bekannten Bande gestern im Dorf gesprochen. Es sei der Tetia, der so schön geige, und der auf dem Weg zum Volksfeste in der fernen Hauptstadt sei, wohin die andern auf anderm Wege nachkämen.

»Ach, kann man denn den nicht fragen, wohin ich der Zinna schreiben könnte?« sagte Winifred, als sie davon hörte. Der Stallbursche mußte sofort ins Dorf hinab und den Zigeuner suchen, der ihm auch richtig den gegenwärtigen Aufenthalt der Gesellschaft sagen konnte. Winifred schrieb sofort, und die Fürstin legte einige teilnehmende Worte bei, aber es vergingen Monate, ohne daß eine Antwort kam, und wieder schien es, als habe man die Spur des Zigeunermädchens verloren.

Es war Ende März, und die Frühlingsstürme brausten durch das Land, die alte Wetterfahne auf dem Schloß knirschte und krachte, und die Pappeln hinten im Park bogen sich gegeneinander, als wollten sie gegenseitig Schutz aneinander suchen. Schwere, schwarze Regenwolken flogen wie Ungeheuer dahin, um wieder für kurze Augenblicke den blauen Himmel sehen zu lassen, und Regenschauer wechselten mit kurzem Sonnenschein und Graupeln.

Es war gegen Abend, und Winifred stand am Fenster ihrer wohldurchwärmten und behaglichen Turmstube und schaute in den Aufruhr hinaus. Sie liebte es, hier von ihrem Lieblingsplätzchen an dem Bogenfenster aus, wo ihr kleiner Arbeitstisch stand, hinunterzuschauen auf den Fahrweg, der sich nach dem Dorf zu schlängelte und über den Wald hinauf nach dem weiten Horizont. Wie gern sah sie auch zu, wenn Holzfuhrwerke den Berg herauf oder hinab fuhren, wenn Frauen aus dem Dorf in ihren Körben Eßwaren brachten, wenn Kinder der Bediensteten auf und ab liefen, oder wenn der Onkel mit Wolf-Dieter ausritt und Großmama und die Tante in ihren vornehmen Wagen mit den mutigen Rossen spazierenfuhren.

Heute bei dem häßlichen Wetter war niemand zu sehen, und Winifred wollte sich eben abwenden, um sich auf ihren bequemen Stuhl niederzulassen und ein Geschichtenbuch zu ergreifen, als unten, wo der Wald aufhörte, eine schwarze Gestalt auftauchte. Sie hatte ein Tuch über den Kopf gebunden, trug ein Bündel in der Hand und kämpfte sichtlich gegen den Sturm.

Wer mochte das wohl sein? Für jemand, der betteln wollte, war es wohl zu spät. Näher und näher kam die Fremde, und plötzlich durchzuckte es Winifred, als ob ihr diese biegsame, schlanke Gestalt, dieser eigenartige Gang bekannt wäre.

Das war Zinna! – Ja, bei Gott, das konnte niemand anderes sein als sie! Hastig drückte Winifred auf den Knopf ihrer elektrischen Klingel, und als gleich darauf, fast erschreckt, Babi eintrat, da zog sie diese ans Fenster, deutete mit dem Finger hinab und sagte: »Babi, Babi, schau hin, – aber ganz genau, – und sag' mir, ob das wirklich Zinna sein kann.«

Die Herbeigerufene, gar nicht so sehr erfreut, sagte: »Ja, wahrhaftig, die ist's! Wo mag dieses Mädel nur auch so allein bei Nacht und Nebel herkommen und einem so ins Haus fallen?«

Da lief Winifred, so rasch sie konnte, die Treppe hinab in die Gemächer von Großmama und Tante und rief mit heller Stimme: »Großmama, Tante, denkt euch nur, die Zinna kommt eben den Schloßberg herauf und wird gleich bei uns sein!«

Und so war's. Vor dem Schloßtore stand tief aufatmend das junge Geschöpf, sichtlich unschlüssig und wartend. Da rief von dem Fenster der Fürstin aus eine helle Stimme von oben herab: »Zinna, – so komm doch herauf und bleib nicht in dem fürchterlichen Regen stehen, ich komm dir entgegen!«

Winifred fühlte sich liebreich an der Schulter gefaßt, und die Fürstin sagte: »Es ist doch wohl besser, das Mädchen trocknet sich vorher unten, und dann kann die Babi sie heraufführen. Gar zu freudig, Herzenskind, wollen wir diese Zigeunerfreundschaft doch nicht pflegen, wenn ich auch selber gewiß viel für das arme Mädel übrig habe.«

Winifred kribbelte es in allen Gliedern, daß sie bleiben mußte.

Weber wurde hinabgeschickt, um die Fremde einzulassen und sie an den warmen Ofen des Dienstbotenzimmers zu führen.

Dem Diener war es gerade keine sehr große Freude, in den Regen hinauszugehen und das Schloßtor zu öffnen. In nicht sehr liebenswürdigem Tone sagte er deshalb: »Wo kommst du denn her, wo's doch fast schon dunkel ist? Da komm herein, du sollst dich trocknen, und dann wollen dich die Herrschaften empfangen!«

Aber Zinna maß ihn mit einem stolzen Blick und sagte: »Ich komme nicht, um mich zu wärmen, sondern ich will und muß die Herrin sprechen – gleich – ich habe keinen Augenblick zu verlieren!«

Weber schüttelte unwillig den Kopf, ließ das Mädchen an der Treppe stehen und meldete den Herrschaften, was sie gesagt hatte.

»Das muß wirklich etwas Wichtiges sein, denn aufdringlich ist die Zinna nie gewesen«, meinte die Fürstin und befahl, die Zigeunerin heraufzuführen.

Die Großmama, in ihrem bequemen Armstuhl sitzend und strickend, meinte wohlwollend: »Vielleicht ist's nur, weil das arme Ding recht fror und nicht wußte, wohin, und nun will sie um ein Nachtlager bitten.«

Aber die Fürstin wußte, daß bei einer Zigeunerin dieser Wunsch nicht so leicht eintritt, und Winifred war in fieberhafter Aufregung, wie sich die Sache weiter gestalten würde.

Zinna trat ein, sie hatte das Tuch abgenommen, und das Wasser lief ihr an den schwarzen Haaren herunter, die wie Strähnen um ihr Gesicht hingen. Vorgehend faßte sie der Fürstin und der Großmama Rockzipfel und küßte sie hastig. Die dargebotene Hand Winifreds übersah sie.

»Herrin, Fürstin, ich bin den Meinen davongelaufen. Ein paar Stunden von hier werden sie nächtigen. Ich lief und lief und muß sofort wieder zurück, sonst werde ich geschlagen, wenn man mich vermißt ... Herrin, ich ertrage das Leben nicht mehr, seit meine Daja tot ist und der Vater ein neues Weib genommen hat, das ich hasse! Was soll ich tun? Ich kann diese nicht auf Mutters Teppich sehen und ihr gehorsam sein, denn sie ist schlecht und keine brawi Dschuwel (brave Zigeunerfrau)! Zinna hat niemand auf der Welt außer dem Goldkind, das hinter Mauern ist, und dir, Herrin!« ...

Das Mädchen war auf die Knie gesunken, und ihr ganzer Körper bebte vor Erregung. Dieses lautlose Schluchzen war viel ärger, als wenn sie hellauf geweint hätte. »Was soll ich tun? Was soll ich tun?« ...

Winifred schluchzte bitterlich ob solchem Jammer, und die beiden Frauen waren wirklich ratlos. »Setz dich, Kind, setz dich!« sagte die Fürstin gütig und deutete auf einen Stuhl. Aber Zinna blieb stehen. »Ich habe keine Zeit zum Sitzen!«

Die Fürstin besprach sich flüsternd mit der Großmutter. Und als diese schließlich zustimmend nickte und leise sagte: »Ein Wagnis ist's, und jedenfalls mußt du vorher deinen Mann fragen«, da ging die Fürstin rasch zu dem Fürsten in dessen Arbeitszimmer.

Eilig eintretend sagte sie: »Nicolo, ich bitte dich, hör' mir einen Augenblick aufmerksam zu.« Und nun schilderte sie den Jammer des armen Geschöpfes, und daß die Großmutter und sie als einzigen Ausweg gefunden hätten, das Mädchen für einige Zeit dazubehalten. »Es kam uns die Idee, sie unter Hannas und der Babi Anleitung etwas lernen zu lassen, und wer weiß, ob wir nicht dieses arme Ding, das sich in seiner Herzensnot an uns gewandt hat, retten und zu einem anständigen, brauchbaren Menschenkind heranbilden können!«

Der Fürst schüttelte den Kopf, und wieder sprach er seine großen Bedenken aus, sich mit Zigeunern einzulassen. Schließlich aber sagte er: »Euer barmherziges Werk hat damals in der Waldhütte angefangen. Mit dem Buben scheint's ja gut zu gehen. Also in Gottes Namen, wenn ihr keinen anderen Ausweg seht, so probiert's einmal mit dem Mädel, und es soll mich freuen, wenn sie euch keine Schwierigkeiten bereitet!«

Erleichtert und erfreut überbrachte die Fürstin in geflüstertem Ton der Großmutter diese Botschaft, und dann wandte sie sich zu Zinna, von der Winifred inzwischen manches Schwere und Traurige aus ihrem seitherigen Leben erfahren hatte: »Wir haben Mitleid mit dir, Kind, und möchten dir gern helfen, aber es braucht dazu eines guten, festen Willens deinerseits!« Und mit kurzen Worten teilte ihr die Fürstin ihre vorläufige Absicht mit. »Was später dann mit dir geschehen soll, wenn du, wie ich hoffe, tüchtig und brauchbar geworden bist, das wird sich zeigen. Vorerst werde ich nun Anweisung geben, daß man dir das Stübchen, in dem du schon einmal geschlafen hast, herrichtet, und die Weißzeugverwalterin wird für trockene Wäsche und Kleider sorgen.«

Winifred jubelte hell auf über diesen Plan, aber alle waren enttäuscht, als Zinna erwiderte: »Herrin, ich muß heute wieder fort, gleich! Dem Stamm entlaufen tut nur eine schlechte Zigeunerin. Was ich weiter tue, das hat der Dade zu entscheiden. Das, was die Herrin sagt, ist, wie wenn ein Himmelsspalt sich öffnen würde. Aber glaubt die Herrin auch, ob die schwarze Zinna es im Lichte aushalten wird?«

Wie an sich selber zweifelnd klangen diese Worte. Und dann band Zinna rasch ihr Tuch wieder über den Kopf und faßte ihr Bündel: »Ich gebe Antwort, ehe dreimal die Sonne untergegangen ist!« und damit wandte sie sich zum Gehen.

»Zinna, du wirst doch nicht in dieser pechschwarzen Nacht mutterseelenallein ein paar Stunden weit durch den Wald wandern?« rief die Fürstin wirklich ängstlich, und Winifred flehte: »Bleib doch nur diese Nacht hier und werde trocken, du muht dich ja schrecklich erkälten!«

Wie oft ward dieser Satz zu Winifred gesagt, und von wie viel sorgenden Händen wurde sie von schützender Wärme umgeben!

Aber Zinna sagte nur noch fast verächtlich: »Der Wald tut mir nichts und der Sturm und Regen auch nichts!« Und damit war sie die Treppe hinabgeeilt. Ehe die Zurückbleibenden ihr noch einmal zureden konnten, erblickten sie schon vom Fenster aus die dunkle Gestalt wieder den Schloßberg hinabeilen.

Das war eine schwierige Geschichte, und mit größter Spannung sahen die Schloßbewohner ihrer weiteren Entwicklung entgegen.

So ganz behaglich fühlte sich die Fürstin nicht, als sie mit Babi und Hanna über ihr Vorhaben sprach. Diese beiden treuen, anständigen und rechtdenkenden Menschen äußerten ihre großen Bedenken, im Fall die Zigeunerin zurückkäme, »'s ist ja gewiß nicht wegen der Mühe, die wir mit ihr hätten«, sagte Babi, und Hanna fügte hinzu: »Wir wollten gewiß versuchen, ihr Arbeit und Ordnung beizubringen!« Aber beide fürchteten die andern Dienstboten im Haus.

Und daß diese eine Zigeunerin nicht gerade mit Achtung aufnehmen würden, das zeigte sich jetzt schon, denn von dem Plan der Schloßherrschaft war bereits einiges durchgesickert, und es gab ein ordentliches Durcheinanderreden in den nächsten Tagen, wenn die Dienerschaft beisammen war. Der Koch sagte: »Daß die mit ihren schwarzen Fingern mir aber nur nie an mein Geschirr oder gar an meine Eßwaren kommt!« Der Kammerdiener meinte spöttisch: »Das wird ja lustig werden, wenn das Hexlein hier bei uns am Tische sitzt und mit ihren scharfen Zähnen Knochen abnagt!« Die Hausmädchen kicherten, sie lachten pflichtschuldigst über jeden Witz des Herrn Kammerdieners, und untereinander machten sie aus, daß, wenn die Schwarze je käme, keine ganz nahe zu ihr hinsitzen würde; man wisse doch nicht, was die in ihren Kleidern mitbringe. Babi und Hanna wehrten, wo sie konnten, aber ihnen selber war's auch gar nicht wohl bei dem Plan der Herrschaft. Nun, vielleicht kam's nicht so weit, fahrendes Volk wird nicht gern seßhaft.

Die kleine Komtesse aber sprach von gar nichts anderem mehr, als wie es wäre, wenn die Zinna käme. Sie machte allerlei Pläne, was man sie lehren, und wie sie sich glücklich fühlen könne. Dabei versprach sie aber dem Onkel auf dessen Bitten hin, daß sie gewiß vernünftig sein und das Zigeunermädchen nicht verwöhnen wolle. »Denn«, sagte er, »du mußt immer daran denken, daß das Mädel später wieder einmal zu den Ihrigen zurückkehrt. Und auch das mußt du dir klar machen, daß diese Zinna doch auch etwas ganz anderes ist als zum Beispiel deine Babi! Deine Mutter hätte in Indien auch ganz gewiß nicht irgend ein braunes, armes Pariamädchen als ihresgleichen behandelt!«


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