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Erster Teil

Erstes Kapitel

Der Rheider Hammer

Diejenigen unserer Leser, welche einen längern Aufenthalt in der alten heiligen dreigekrönten Stadt Köln am Rhein gemacht haben, unterließen sicherlich nicht, einen oder den andern ihrer freien Tage zu Ausflügen auf das Gebiet zu benutzen, welches sich diesseits, auf dem rechten Ufer des schönen deutschen Stromes ausdehnt. Von der Höhe des die weitgedehnte Ebene im Osten umschließenden Hügelzugs herab hat sie Schloß Bensberg gelockt, das man allabendlich in Köln mit seinen purpurn flammenden Fensterreihen weithin über das Land leuchten sieht. Sie haben diese Schöpfung der schönen und anmutigen Kurfürstin Anna von der Pfalz, der Tochter Cosimos des Dritten von Toskana, besucht, die hier sich eine Villa gründete, wo sie beim Anblick des zu ihren Füßen liegenden Landes, des fernabziehenden Stromes und der hochragenden Stadt sich in Erinnerungen an ihr schönes, villenübersätes Arnotal und die Zauberstadt Florenz erging, aus der die Tochter der Medicis so weit entführt war, hierher in den kalten Norden ihres belgischen Herzogtums.

Oder sie haben sich in Höhenzüge hineingewagt, welche den östlichen Horizont Kölns schließen; sie haben die merkwürdige Talschlucht aufgesucht, wo in tiefer Gebirgseinsamkeit, umringt von Wiesenmatten und schattigem Gehölz, die ein schmaler, hastig über Steingeröll daherschießender Bach durchschlängelt, sich plötzlich und überraschend der schöne Dom von Altenberge vor dem Wanderer erhebt – die prächtige gotische Grabeskirche der alten Grafen und Herzoge von Berg, der verkleinerte Maßstab für die große Kölner Kathedrale.

Jedenfalls haben diejenigen unserer Leser, von denen wir reden, ein Stück des bergischen Landes gesehen und stimmen uns, während ihre Augen über diese Zeilen fliegen, mit freundlichem Kopfnicken bei, wenn wir sagen, daß es ein hübsches und sehenswertes Land ist; sie glauben uns auch, wenn wir hinzusetzen, daß es bewohnt wird von einem braven, betriebsamen Volke, welches sich in nationaler Besonderheit scharf von den linksrheinischen Stämmen unterscheidet; daß es reich ist an ererbten Überlieferungen und Gebräuchen und treu an den Sagen und Geschichten hängt, welche sich auch hier zumeist an die alten Schlösser, Klöster und Burgen oder Edelhöfe knüpfen ... wie ein letzter Rest von angestammten Privilegien, nachdem die andern Herrenrechte und feudalistischen Auszeichnungen den Weg alles Fleisches gegangen sind.

Namentlich schön, und wie man es nennt, »romantisch« ist im alten Lande der Berge das schmale waldreiche Tal, welches die Wupper durchströmt. Dieser Fluß entspringt in den Gebirgen des Süderlandes oder des Herzogtums Westfalen, wo man ihn Wipper nennt, und durchzieht das dichtbewohnte und wegen seines Gewerbefleißes merkwürdige Tal von Barmen und Elberfeld; und nachdem er hier unzählige Mühlen und Räder getrieben, unter eben so unzählbaren Brücken und Stegen sich durchgedrängt und endlich eine nicht minder unzählbare Anzahl von Bleichen, Färbereien und Fabrikkanälen mit dem nötigen Wasser versehen hat, nimmt er müdegehetzt mit einem Schwunge nach Südwesten Reißaus vor all dem industriellen Lärm. Er sucht die schwere Arbeitsnot und die tausend Hemmnisse, die der listige Fleiß der Menschen ihm bereitete, und die hundertfältigen Plackereien, mit denen man ihn heimsuchte, in der stillen, schattigen Einsamkeit der Gehölze und Bergschluchten zu vergessen, die ihn tröstend empfangen und geleiten, bis er in das offene Rheintal eintritt und sich dann endlich mit dem mächtigen Strome vereint.

In jenen Bergschluchten, deren Wände mit dichtem Buchen-, Eichen- und anderm Laubholz bestanden sind, herrscht nun freilich Ruhe, Kühlung und Frieden. Aber der kleine Fluß hat sich dennoch vergebene Hoffnungen gemacht, wenn er wähnte, er würde hier seinen Verfolgern für immer entronnen sein. Da, wo die Talenge sich erweitert, wo Raum zu grünen, leise anschwellenden Matten zu kleinen Ansiedlungen gegeben ist, da erheben sich die Dächer zerstreuter Gehöfte, die oft den ganzen schmalen Raum zwischen dem das Tal aufwärts ziehenden Fahrwege und dem Flußufer füllen; Gehöfte, deren Eigentümer dann nicht selten heimtückisch genug große Schwungräder in den Fluß hineingestellt haben, in der stillschweigenden Voraussetzung, daß er im Vorübergehen ihnen den Gefallen tun würde, sie umzudrehen. Und in der Tat, so unbescheiden dieses Verlangen sein mag, gestellt an einen unglücklichen Fluß, der unlängst durch Barmen und Elberfeld lief und dort dem einen seine schmutzige Wolle wusch, dem andern seine Garnstränge bleichen half, dem dritten die roten, blauen und grünen Laugen seiner Färbereibottiche wegspülte – unser gefälliges Gewässer täuscht keine dieser egoistischen Voraussetzungen. Aber er tut es mit Zorn und Ingrimm, und indem er sich auf die Räder stürzt, welche man ihm in sein reines kiesiges Bett gebaut hat, erhebt er dabei ein Brausen, Rauschen und Schäumen, das hinreichend andeutet, mit welchen Gefühlen tiefer Entrüstung er abermals die Arbeit auf sich nimmt; und noch eine lange Strecke weit kollert und schäumt er dann zornig weiter, wenn er die schweren Mühlräder hinter sich hat.

Eins dieser Werke oder Gehöfte, das ein sehr sauberes blank angestrichenes und stattliches Vordergebäude und sehr schwarze, rußige, das Ufer entlang gestellte Hintergebäude zeigt, ist der Rheider »Osemund«-Hammer.

Dieses Werk war vor etwa einem halben Jahrhundert das bedeutendste im Tale; es hatte sich die schönste und malerischste Strecke, welche der Fluß durchströmt, ausgesucht, um sie mit seinem Räderrauschen und dem Getöse seiner Hämmer zu erfüllen, und hatte weit über ein Jahrhundert lang bereits mit seinem »Osemund«- oder seinen Rohstahlprodukten die »Drahtrollen« der Nachbarschaft versorgt. Und seit über hundert Jahren hatten damals von Vater auf Sohn die Ritterhausen auf dem Werke wie Erbherren gesessen, und wie feudalistische Erbherren hatten sie über eine Schar wenn nicht reisiger, doch jedenfalls rußiger und auch riesiger Knechte geboten, Menschen von breitschulterigem Wuchs, in deren gewaltigen Fäusten die lange Eisenstange, welche sie schwangen, sicherlich eine nicht minder gefährliche Waffe war, als die Hellebarde in der Hand des ritterlichen Knappen oder Landsknechts. Zur Osemund-Schmiederei nämlich gehörten die allerkräftigsten Leute. Niemand anders war einer Arbeit gewachsen, welche darin bestand, mit der gewaltigen Anlaufstange auf dem Herde zu arbeiten, das Eisen im Feuer vor dem Winde hin und her zu drehen, das geschmolzene Metall an der Stange aufzuwickeln und unter den Hammer zu bringen. Um solche Männer dem Gewerbe zu erhalten, waren deshalb ehemals auch die Osemundschmiede »kantonfrei«, das heißt, sie waren der Militärpflicht nicht unterworfen.

Von solchen Gesellen umgeben hatten also die Ritterhausen mit einer gewissen Erbweisheit fleißig und betriebsam ihr Besitztum ausgebeutet, alle günstigen Verhältnisse wohl benutzt, alle ungünstigen geschickt und wohlvorbereitet bekämpft; und so kam es, daß sie wohlhabende Leute geworden. Man sah das dem Hammer auch schon von fern an. Das Haus, lang, einstöckig, über einem massiven Kellergeschoß von Fachwerk erbaut, zeigte eine glänzende Fensterreihe und an allem Holzwerke frisch blanke Farben. Die lange Vorderseite war dem Wege zugekehrt, der durch das Tal führte, aber durch einen großen Rasenplatz, auf dem einzelne uralte Linden und Buchen sich erhoben, von diesem Wege getrennt. Die Bäume ersetzten dem Hause zugleich die Jalousien, sie gaben ihm hinreichenden Schatten vor den Strahlen der Abendsonne, welche allein diese Hauptfront trafen. Die Nebenfront des Hauses rechts zeigte eine Glastür, welche über fünf oder sechs Stufen hinab in einen großen, reich mit Obstbäumen und Gesträuchen besetzten und am untern Ende in ein schattiges Boskett sich verlaufenden Garten führte. Die Hammergebäude erblickte man nicht von dem Standpunkte, von welchem aus wir das Gehöfte betrachten, das heißt von dem vorüberziehenden Wege her; sie bargen sich mit ihren geschwärzten Dächern und rußigen Essen hinter dem Wohnhause. Aber der Rauch ihrer Kohlenfeuer wirbelte qualmig an der steil ansteigenden, grünen und buschigen Bergseite empor, welche jenseits des Flusses das Tal schloß.

Eine weite Aussicht hatte man von der Nebenseite des Hauses aus, wenn man sich auf die Schwelle der Gartentür über der erwähnten Treppe stellte. Hier blickte man über die Wipfel der Obstbäume fort, den Windungen des Flusses, der sich durch Grasmatten schlängelte, nach, bis ein vorspringender Berg, der dem Gewässer in den Weg trat, das Tal so dicht abschloß, daß es schien, es gäbe gar keinen Ausweg daraus, und wer sich einmal in diesen freundlichen Erdwinkel verloren, der sei für immer gefangen darin, wenn er nicht etwa den Mut habe, die steilen Bergseiten hinan durch das Gestrüpp sich einen Weg zu bahnen und so zu entkommen aus dem stillen Reiche Pans und der Najaden der Wupper.

Jener Berg, welcher mit abschüssiger felsiger Wand in den Fluß vortrat und das Gewässer zwang, sich erst rechts zu schlagen und dann wieder links gewandt einen Durchgang zu suchen, trug, ungefähr anderthalbhundert Fuß hoch über dem Wasserspiegel, ein Bauwerk, welches einen von den Hammergebäuden durchaus verschiedenen Charakter zeigte. Waren diese einstöckig und aus Fachwerk errichtet, so erhob sich der Bau auf der Berghöhe desto stattlicher in zwei oder drei Stockwerken – es war in der Tat schwer zu sagen, in wie vielen, denn die Fenster waren unregelmäßig und symmetrielos angebracht und wie von reiner Willkür in das alte schwere Mauerwerk gebrochen. Ein breiter Erker, der auf schweren Kragsteinen ruhte, trat aus dieser stattlichen Mauerfront hervor, und an den Ecken erhob sich an der einen Seite ein viereckiger Turm, bis zu der Höhe des übrigen Gebäudes von Bruchsteinen und sodann, noch ein Stockwerk höher, von Fachwerk aufgeführt. An der andern Ecke, dem viereckigen Turm zum Seitenstück, stieg ein schlankes rundes Türmlein empor, zu schmal, als daß es für einen andern Zweck als etwa um das Gehäuse einer Wendelstiege zu bilden errichtet sein konnte. So war das Ganze, wie es stolz ans der Bergesstirn erhöht dastand und seine hohen Essen, seine spitzen Dächer und Wetterhähne unten im Flusse spiegelte, ein bedeutsamer, malerischer Punkt, ein Point de Vue, der dem ganzen Tale Leben und Charakter gab und die Blicke jedes Wanderers auf sich zog.

Ob der Edelhof da droben, die Rheider Burg genannt, so anziehend für die Blicke der Bewohner des Hammers sich darstellte wie für die der Fremden, deren Weg durch das Tal führte, ist eine andere Frage. Die laute bürgerliche Industrieanlage mit ihren reichgewordenen Besitzern und der alte stille Herrensitz mit seinen augenscheinlich zerfallenen Mauern lagen sich zu nahe, um nicht in mancherlei Berührungen gekommen zu sein. Diese Berührungen waren in der Tat nicht ausgeblieben, und sie waren nicht immer freundlicher Natur gewesen.

Ein wechselseitiges juristisches Verhältnis, welches die beiden Sitze aneinander knüpfte, war namentlich die Grundlage zu einer erbitterten Stimmung der beiderseitigen Bewohner in den letzten zwanzig Jahren gewesen, welche den Ereignissen vorausgehen, die wir hier mit unserer dem Leser bekannten Wahrheitstreue berichten wollen; und die Reibungen zwischen Hammer und Burg hatten damit geendet, daß der Hammer in der Tat »Hammer« geblieben, die Burg aber »Amboß« geworden und von Schlägen getroffen war, denen zufolge sie heute leer und verödet stand.

Aber bevor wir die Verhältnisse und die Tatsachen ins Auge fassen, sehen wir uns nach den Menschen um, die jetzt den Hammer bewohnen.

Die Glastür an der Nebenseite des Hammergebäudes steht geöffnet und läßt die frische, reine Luft eines Herbsttages, der sonnig glänzend über dem Tale liegt, einströmen in einen Gartensalon von anständiger Größe, in welchem eine gewisse bürgerliche Eleganz herrscht. Die Wände sind bedeckt mit einer grün und lila gestreiften Tapete, unten mit Holzgetäfel überkleidet, und man hat den guten Geschmack gehabt, dieses Holzgetäfel sowie die Türen, die Fensterrahmen und die Blendläden unbesudelt zu lassen mit dem entstellenden Oelanstrich, den die Mode des Tages eingeführt hat; alles zeigt die ursprüngliche reine braune Naturfarbe des Eichenholzes. Ueber dem Kamin hängt ein schön gemaltes Bild in Form eines Medaillons, das zwei Profilköpfe übereinander, einen männlichen und einen weiblichen darstellt. Das männliche Haupt ist das des im Lande der Berge unvergeßlichen Kurfürsten Johann Wilhelm; es zeigt seine geistreichen, markierten Züge, seine klugen großen Augen, die dicke aufgeworfene Unterlippe, über welche die dem guten Herrn eigentümlichen großen Zähne, welche das Volk des Kurfürsten Hauer nannte, hervorschauen. Ein kleiner schwarzer Schnauzbart ziert die Oberlippe, über Scheitel und Nacken aber fließt die mächtige Allongeperücke herab, welche der Maler braun und ungepudert gelassen hat, sicherlich, damit das Profil seiner Gemahlin sich auf diesem Hintergrunde desto besser absetzte. Dieses Profil ist von großer Schönheit; es hat etwas klassisch Edles, und auf den ersten Blick erkennt man darin die Tochter des Südens; die Stirn ist hoch, die Nase fein gebogen und der Mund von einer seltenen Lieblichkeit, wie umspielt von den Genien der Heiterkeit und der Güte; stark gezeichnet und dunkel aber sind die Brauen und ebenso dunkel die ausdrucksvollen lebhaften Augen der italienischen Fürstin.

Noch andere Bilder hingen in dem Gartensalon, Frauen und Männer verschiedenen Alters und verschiedener Zeiten darstellend. Die Frauen waren meist im Reifrock dargestellt und blickten lächelnd, über eine schöne Rose oder eine Orangenblüte fort, den Beschauer an; die Männer in roten Mänteln oder in bequemen, malerisch drapierten Schlafröcken von feinen Stoffen – es lag darin eine kleine Kriegslist, welche auf eine gewisse erbliche Eitelkeit in der Familie Ritterhausen deutet. Denn wären sie Edelleute gewesen, die würdigen hier im Bildnisse verewigten Herren, so würden sie sich ohne Zweifel haben malen lassen in voller Puderfrisur, im seidenen oder samtenen Bratenrock und darunter mit einem Brustharnisch statt der Weste. Denn wo du, mein geneigter Leser, Bilder von Männern findest, die bei seidenen oder brokatenen Röcken, bei spitzenbesetzten Halsbinden und Manschetten eiserne Westen tragen, so kannst du mit Sicherheit aussprechen, daß derartige Bilder Edelleute darstellen. Da nun aber die alten Ritterhausen, die einst als nachgeborene jüngere Brüder der Hammerbesitzer studiert hatten und in den Staatsdienst getreten waren, es wohl zu Hofräten, Hofkammerräten und Amtskellnern, nicht aber zum Adelsbrief gebracht, so hatten sich diejenigen, welche nicht den roten Doktormantel tragen konnten, in Schlafröcken abkonterfeien lassen – bei einem Mann im Schlafrock ist es nicht zu verwundern, daß er keine eiserne Weste trägt!

Außer der offenstehenden Glastür hat das Gemach noch ein Fenster, ebenfalls mit der Aussicht auf den Garten und darüberhin auf die alte hochthronende Rheider Burg. Vor diesem Fenster sitzt oder besser liegt, in einem bequemen Lehnstuhl ausgestreckt, ein hochgewachsener, breitschulteriger Mann, dessen Gestalt jedoch auffallend mit seinen Zügen kontrastiert; denn diese Züge sind tief gegraben und wie von Schmerzen ausgeprägt. Zwischen den dichten Brauen, welche tiefliegende, dunkle Augen beschatten, ist eine mächtige Falte eingeschnitten, die, wenn sie sich finster zusammenzieht, dem ganzen Gesicht einen drohenden bösen Ausdruck gibt. Die einzelnen borstengleichen Haare, welche ergraut aus den Brauen hervorspringen, die kleinen Finnen in dem braunen, etwas fahlen Gesicht tragen nicht dazu bei, dies Antlitz anziehender zu machen. Denn obwohl Nase, Mund und das breite, energisch vortretende Kinn wohlgestaltet und sehr männlich ausgebildet sind, so wird sich doch niemand finden, der behauptet, daß dieser Mann, Johann Wilderich Ritterhausen, der Besitzer des Hammers, ein anziehendes und gewinnendes Aeußere habe.

Freilich wäre es auch sehr unbillig, milde, heitere und wohlwollende Züge zu verlangen von jemand, der so leidend ist wie er. Er trägt die Füße, trotz des warmen Wetters, dicht umhüllt und läßt sie auf einen vor ihm stehenden Taburett ruhen. Zuweilen gleitet über sein Gesicht ein Zucken, das auf einen plötzlichen grausamen Schmerz deutet. Man braucht kein Arzt zu sein, um wahrzunehmen, daß hier das böseste aller Uebel, die Hyäne Gicht waltet.

Ritterhausen gegenüber sitzt seine Tochter, ein junges Mädchen in einem grün und weiß gestreiften Kleide von einfachem Schnitt, das ihre schöne Gestalt nach der Mode der Zeit – ich habe vergessen, dir zu sagen, lieber Leser, daß wir im Jahre des Heils 1807 stehen – knapp umschließt. Sie beugt das von hängenden braunen Locken umrahmte Gesicht über Papiere und ein dickes Buch, welche vor ihr auf dem runden Tisch liegen.

Nachdem sie eine Zeitlang Notizen in das Buch eingetragen, dabei bald das eine, bald das andere Papier genommen und verglichen hat, wirft sie die Feder weg, und indem sie sich in das Sofa, auf dem sie ruht, zurücklehnt, erhalten wir Gelegenheit, ihre Züge zu betrachten.

Diese Züge sind so auffallend wohlgebildet, wie das Antlitz des Hammerbesitzers auffallend düster und uneinnehmend ist. Sie haben etwas von der südlichen Schönheit des lieblichen Frauenantlitzes über dem Kamin, das wir vorhin schilderten – dieselbe Regelmäßigkeit, dieselbe edle Stirn, dasselbe Feuer der großen dunkeln Augen; nur daß ein gewisser schwärmerischer Glanz in ihnen ist, der sie zu charakteristisch deutschen Frauenaugen macht. Die Farbe des Gesichts ist ein feines gedämpftes Inkarnat, mehr gleichmäßig verbreitet, als daß man hätte sagen können, es sei zu Rosen auf den Wangen aufgeblüht; »Rosenwangen« und »milchweißen Teint« hat das junge Mädchen nicht, aber sie ist nur desto schöner, ihre Erscheinung nur desto ungewöhnlicher darum; ihre Züge bilden kein ausdrucksloses Aquarellgesicht, sie haben Charakter und Geist.

Eine Zeitlang heftet sie jetzt ihre Augen mit großem, festem Blick auf ihren Vater, dem das unbequem zu sein scheint, denn er wendet seine rastlos beweglichen Augen von ihr ab, bald hierhin und dorthin und sagt endlich: »Was siehst du mich an, Sibylle, was hast du?«

Sibylle wacht wie aus Gedanken auf.

»Ich dachte nur, Vater ...«

»Wenn du denkst, so jag' mir deine Gedanken nicht so ins Gesicht, du weißt, daß mir das nicht lieb und angenehm ist!«

Sibylle wendet ihre Blicke wieder ihrem Buche zu. Dann sagt sie: »Also das Geld, die dreitausend Taler, die uns zurückbezahlt sind, soll ich dem Solinger auf seine angebotene Hypothek herleihen, Vater?«

»Mach's wie du willst. Der Mann ist in großer Not darum. Woher soll er's sonst nehmen!«

»Freilich, andere Leute denken eben, wie wir auch denken sollten. Es ist nicht klug, sich auf Hypotheken zu verlassen, solange man nicht weiß, welches Gesetz und welches Recht über Hypotheken gelten wird. Die Franzosen werfen alles um, und niemand kann voraussehen, wie gesichert sein Kapital ist, wenn sie einmal unser gutes altes bergisches Recht ganz ausgekehrt haben.«

»Du bist ein weises Huhn,« versetzte Johann Wilderich Ritterhausen mit einem anmutigen Lächeln.

»Sie müssen mir dennoch recht geben, Vater. Es ist sicherer, das Geld zu behalten.«

»Und zu vergraben,« fällt der Hammerbesitzer ein – »vielleicht schlägt es im Keller aus wie überwinterte Kartoffeln und trägt Früchte statt der Zinsen!«

»Der Zinsen bedürfen wir nicht; aber es kann ein Augenblick kommen, wo wir dringend bares Geld und zwar viel bares Geld bedürfen!«

Der Hammerbesitzer zuckte die Achseln.

»Es kann solch ein Augenblick kommen,« sagte er; »unser gnädigster Großherzog, Herr Joachim Murat, der schon daheim in Lahors, in seines Vaters Wirtschaft, nicht guttun wollte, hat hier zu wirtschaften begonnen, daß es nicht ausbleiben kann: es wird der Tag kommen, wo er nach barem Gelde lechzt wie ein dürstender Hirsch nach Wasser!«

»Und wo seine Domänen wohlfeil werden!« sagte, das junge Mädchen halblaut, aber mit einem gewissen bittern Ausdruck.

Johann Wilderich Ritterhausen fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht; darauf ließ er, wie matt und abgespannt, die Hand wieder auf die Lehne seines Sessels zurücksinken.

»Ja, ja,« fuhr er dann fort, »und darauf hätte ich so ungefähr alles erreicht, was ich gewollt habe auf dieser schönen Welt, und« – ein Zucken des Schmerzes flog eben über seine Züge und unterbrach ihn – »und dann werden wir merkwürdig glücklich sein – ein Paar höchst glückliche Leute. Sibylle! Meinst du nicht auch?«

»Sie sagen das so spöttisch bitter, als ob es nicht Ihr Ernst wäre, Vater,« versetzte Sibylle, nachdem sie eine Weile ihren Vater fixiert hatte. »Ob wir merkwürdig glücklich sein werden, wenn wir die Rheider Burg gekauft haben und ihre Eigentümer sind, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß das alte Schloß, mit allem, was dazu gehört, unser werden muß; und weshalb es unser werden muß, das wissen auch Sie zu gut, als daß wir davon zu reden brauchten.«

»Ach Gott,« antwortete Johann Wilderich Ritterhausen verdrießlich, »es muß unser werden ... Das sagst du, damit ich in meinem Marterstuhl einen Gedanken habe, mit dem ich mir die langweiligen Tage vertreibe und über dem ich brüte, damit ich nicht verrückt werde vor Pein und Ungeduld; es ist der Knochen, dem man einem Hunde zum Benagen hinwirft, damit er was zu tun habe und nicht belle und beiße. Nun, ich tue dir den Gefallen und arbeite mit allen Zähnen daran. Meinethalb aber mag der Teufel noch heute nacht die ganze Rheider Burg holen, die sämtliche Umgegend dazu, und wenn der Rheider Hammer dann nachbröckelte in das große Loch hinein, das dadurch entstände – wahrhaftig, ich hätte auch nichts dagegen!«

Und damit schloß der Hammerbesitzer die Augen und legte den Kopf, als ob er schlafen wolle, in seinen Armsessel zurück.

Das junge Mädchen ordnete schweigend und ohne sich durch diesen Ausbruch des Unmuts, der ihr nichts Ungewöhnliches haben mochte, stören zu lassen, ihre Papiere, und nachdem sie noch einige Notizen in das große Buch eingetragen, schlug sie es zu. Als sie aufblickte, nahm sie wahr, daß ihr Vater die Augen wieder geöffnet hatte und mit seinen Blicken ihren Bewegungen folgte.

»Unser Lenneper Schuldner,« sagte Sibylle jetzt, »hat seinen Wechsel nicht in Schutz genommen. Er gibt als Grund des Protestes vor, unsere letzte Sendung Rohstahl sei nicht akkordmäßig gewesen.«

»Er ist ein Lügner,« antwortete Ritterhausen mürrisch, »Wenn er nicht zahlen kann, schiebt er's auf unsere Ware und macht sie schlecht.«

»So will ich ihn einklagen lassen und ohne weiteres Personalarrest beantragen,« sagte Sibylle mit einer so kaltblutigen Ruhe, wie es die eines Advokaten oder Gerichtsvollziehers bei solchen Vorkommnissen ist.

Dann erhob sie sich und ging in ein Nebenzimmer. Gleich darauf kehrte sie daraus zurück, einen leichten weißen Schal um die Schultern geschlagen und einen Strohhut mit herabhängenden weißen Bändern auf ihren braunen Locken. Dieser einfache Kopfputz stand ihr außerordentlich gut. Der kranke Vater im Lehnsessel, der gleichgültig und gallig schien gegen die ganze übrige Welt, konnte sich dem Zauber nicht entziehen, den die eigentümliche Schönheit dieser schlanken elastischen Gestalt, diese ernsten und gedankenvollen Züge auf ihn übten. Er folgte mit seinen Blicken allen ihren Bewegungen und sagte dann freundlichem Tons: »Bleib' nicht zu lange, Sibylle!«

Sie brachte eine Schelle und stellte sie neben dem Vater auf die Fensterbank, damit sie ihm zur Hand sei, während er allein war.

»Ich geh' durch den Hammer und mache dann einen kurzen Spaziergang,« sagte sie, »In einer kleinen Stunde bin ich zurück.«

»Laß den Hund von der Kette und nimm ihn mit dir!«

Sibylle nickte ihrem Vater zu, und ohne weitern Abschied trat sie durch die Glastür und stieg die Stufen, die in den Garten führten, hinab.


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