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Zehntes Kapitel

Richard von Huckarde

Die schwarzäugige Provenzalin hatte sich durch einen sehr langen Schlummer für die Mühseligkeiten ihrer Reise entschädigt. Es war vielleicht zehn Uhr, als sie am andern Morgen, in ihrem Zimmer in den »Drei Reichskronen« vor dem Spiegel sitzend, damit beschäftigt war, durch alle Künste der Toilette ihrer, wie gesagt, nicht mehr ganz blühenden Schönheit die möglichste Frische der Jugendlichkeit zu geben, um ihrem Gatten einen blendenden Eindruck zu machen, wenn sie vor ihm erscheine. Ihren kleinen Husaren hatte sie ebenfalls möglichst herausgeputzt, mit eigenen hohen Händen gewaschen, gekämmt und gestriegelt – einen dienstbaren Geist, eine Kammerjungfer auf der weiten Reise mit sich zu führen, darauf hatte die kleine Gräfin ihrer finanziellen Umstände wegen ja leider verzichten müssen. So saß der kleine Bursche denn mit den Füßen vor Ungeduld zappelnd auf dem Sofa und verlangte ungestüm, daß der Weg zu dem Papa angetreten werde, während ihn die Gräfin mit der Herzählung aller der schönen Dinge zu beschäftigen suchte, welche er von seinem Papa jetzt unfehlbar geschenkt erhalten werde, namentlich ein kleines Pferd, nach welchem der Husar verlangte, und einen allerliebsten kleinen Reitknecht in blauer Livree dazu. Sie war endlich im Begriff, sich zu erheben und die Klingel zu ziehen, um sich einen Lohnbedienten heraufsenden zu lassen, der sie zu der Wohnung ihres Mannes führen sollte, als plötzlich rasch an ihre Tür geklopft wurde und im nächsten Augenblick, bevor noch von ihr herein! gerufen worden, ihr Reisegefährte von gestern hereintrat.

Sein Wesen und seine Züge verrieten eine Aufregung, welche in schroffem Kontrast zu der kaltblütigen Zurückhaltung stand, die er am gestrigen Tage gezeigt hatte.

»Ah, Monsieur,« rief ihm die kleine Gräfin entgegen, »Sie sehen aus, als ob Sie mir eine Neuigkeit bringen wollten!«

»Madame, verzeihen Sie, daß ich so ohne Zeremonien bei Ihnen eindringe,« versetzte der Fremde. »Ihr Mann ist der Graf von Epaville ...«

»Mein Mann heißt Antoine d'Anglure, Graf von Epaville!« antwortete die Dame. »Was ist, was haben Sie?«

Der Fremde befand sich augenscheinlich in einer tiefen Gemütsbewegung; sein dunkler trauriger Blick haftete auf dem Antlitz der kleinen Frau, und während er soeben noch voll Hast geredet hatte, schien er jetzt nach Worten zu suchen, um fortzufahren.

»Was kommen Sie mir anzukündigen?« lief die Gräfin beunruhigt und erschrocken durch dies Benehmen aus.

Statt auf diese Frage zu antworten, fuhr der Fremde fort: »Sie wollen zu ihm – Sie haben zu ihm geschickt?«

»Ich will eben zu ihm, ich habe nicht geschickt, weil ich ihn überraschen wollte.«

»O, bleiben Sie, bleiben Sie,« rief der Fremde aus, »setzen Sie sich wieder, ich habe Ihnen eine Mitteilung zu machen, die ...«

»Um des Himmels willen – wie erschrecken Sie mich! Was ist mit meinem Manne?«

»Es ist ein unglückliches Ereignis eingetreten ...«

»Ein Unglück ist ihm zugestoßen?«

»Ja – ein Unglück – machen Sie sich auf eine traurige Nachricht gefaßt ...«

»Aber mein Gott, wie können Sie mich so auf die Folter spannen – sprechen Sie doch, reden Sie ... ist er krank, verwundet – ist er tot?« schrie die entsetzte kleine Frau.

»Madame, werden Sie Ihre Fassung behaupten, wenn ich Ihnen sage, daß Sie ihn nicht wiedersehen werden?«

»Er ist tot?«

»Sie sagen es!«

»Tot – aber um Himmels willen, so plötzlich – in seinen besten Jahren... o, mein Gott, mein armes Kind, das ist ja entsetzlich!«

Die kleine Frau sprang auf und drückte, laut schluchzend, ihren Knaben an ihr Herz, der nun, den Jammer der Mutter sehend, auch zu weinen begann.

Der Fremde ließ schweigend diesen ersten Ausbruch des Schmerzes vorübergehen. Als er zu bemerken glaubte, daß die Gräfin, schneller als er es erwartete, ihre Fassung wieder gewonnen, sagte er ihr alles, was er soeben vernommen. Er hatte am Morgen einen Jugendfreund in der Stadt, einen Rechtsgelehrten, mit dem er seine Verhältnisse besprechen wollte, besucht und aus dessen Munde gehört, daß der Graf von Epaville, auf der Rheider Burg, welche der Großherzog ihm geschenkt, am gestrigen Morgen ermordet in seinem Bette gefunden worden.

Die Nachricht, daß ihr Gatte ermordet, auf gewaltsame Weise ums Leben gekommen sei, konnte nur dazu dienen, den Schmerz und den Schrecken der armen, so plötzlich verwitweten und jetzt ganz verlassenen Frau zu erhöhen. Auch brach sie in der Tat in neues Jammern und Wehklagen aus. Der Fremde suchte nach einer Weile ihren Schmerz dadurch zu lindern, daß er ihre Gedanken zu den Schritten hinüberleitete, welche sie unter diesen Umständen in ihrem und ihres Knaben Interesse zu tun habe. Er teilte ihr mit, daß sein Jugendfreund ein Rechtskundiger sei, daß er, wenn sie es wünsche, denselben zu ihr senden wolle, damit sie mit ihm sich berate, daß er selbst immer mit allem, was er für sie tun könne, ihr zu Diensten stehe.

Die Gräfin bezwang denn auch bald ihren Schmerz insoweit, um diesen Worten ihre Aufmerksamkeit schenken zu können. Der Fremde gestand sich nach kurzer Frist, daß sie überhaupt sich schwerlich unter jene Kategorie untröstlicher Witwen einreihen werde, die bis an ihr Lebensende in Schwarz gehen und beharrlich bei dem Entschlüsse bleiben, den Rest ihrer Tage als eine Zeit unverjährbarer Trauer zu betrachten. Sie erwiderte ihm auf seine Anerbietungen, daß sie zunächst bei dem Großherzoge um eine Audienz bitten, daß sie seinen Schutz anflehen und daß sie dann nach dem Orte sich begeben werde, wo ihr unglücklicher Gemahl so schrecklich geendet habe. Der Fremde, welcher nun den Pflichten genügt zu haben glaubte, die ihm die Menschlichkeit gegen seine verlassene und alleinstehende Reisegefährtin auferlegt, nahm endlich Abschied von ihr.

»Und Sie,« sagte die unglückliche Frau, »wann sehe ich Sie wieder? Sie werden mich nicht verlassen in der fremden Stadt, wo ich keinen Menschen kenne, wo ich ganz allem dastehe, niedergeschmettert von solch einem entsetzlichen Unglück!«

»Ich würde nicht daran denken, Sie zu verlassen,« sagte er, »wenn nicht der Tod Ihres Mannes in eigentümlicher Weise meine eigenen Angelegenheiten berührte. Ich kann Ihnen das jetzt nicht näher erklären – aber ich bin veranlaßt, mich ebenfalls auf den Schauplatz des Verbrechens zu begeben. Vielleicht sehen wir uns dort!«

»Nun, so gehen Sie,« sagte die Gräfin weinend, »tun Sie dort alles, was in meinem Interesse ist und was dazu dienen kann, dem Verbrecher auf die Spur zu kommen, der diese entsetzliche Tat begangen hat!«

Dabei reichte sie ihm die Hand und fügte hinzu: »Ich muß dem Himmel danken, daß ich in Ihnen einen Freund in dieser schrecklichen Lage gefunden habe. Ohne Sie wäre ich jetzt ganz ratlos und verlassen. Wollen Sie mir nicht sagen, wie ich Sie nennen muß? Noch weiß ich nicht, wie der einzige Beschützer, den ich in diesem Augenblick habe, sich nennt!«

»Ich bin gern bereit,« versetzte der Fremde, »Ihnen meinen Namen zu sagen. Ich heiße Richard von Huckarde. Aber ich habe Gründe, zu wünschen, daß meine Anwesenheit fürs erste unbekannt bleibe.«

»Ihr Name soll nicht über meine Lippen kommen,« versetzte die Gräfin und dabei reichte sie ihm zum zweitenmal die Hand zum Abschied.

Richard von Huckarde – den unsere Leser längst in dem Reisegefährten der hübschen Gräfin vermutet haben – eilte, nachdem er die Pflicht der Nächstenliebe, welche er zu haben glaubte, erfüllt, auf sein Zimmer im Gasthofe; von hier ließ er sein Gepäck durch einen dienstbaren Geist zu dem Jugendfreunde bringen, von dem er der Gräfin von Epaville gesprochen, und dann schritt er durch die Straßen der Stadt raschen Ganges dem Tore zu, das nach den Grafenbergen hinausliegt; es war der Weg, der nach der Rheider Burg führte. Richard bedurfte keines Führers, um die kürzesten Fußpfade durch die Gehölze zu finden, welche die genannten Höhen bedecken. Er ging so rasch, daß bald die Schweißperlen auf seine Stirn traten; wie auf unermüdlichen Sohlen eilte er bergauf, bergab, ohne einen Augenblick zu rasten oder seine Schritte langsamer zu machen.

So kam es, daß er noch vor der Mittagstunde eine Erhöhung des Wegs erreichte, von welcher herab er den Blick auf das Tal der Wupper frei bekam. Das Gewässer schlängelte sich zu seinen Füßen durch die mattgrüne Talschlucht; vom andern Ufer winkte von ihrer Höhe herab die Rheider Burg und eine Strecke weit links, unten am Wasser, von seinen Gärten und grünen Wiesen umgeben, lag der Rheider Hammer.

Bei diesem Anblick hemmte Richard seine Schritte. Wie tieferschüttert warf er den Wanderstab aus seiner Hand und ließ sich auf einem vermodernden Baumstamm nieder, der zur Seite des Weges lag. Hier stützte er den Arm auf das Knie, das Haupt auf seine Hand, und so hinüberstarrend auf das Haus seiner Väter, das er seit so vielen Jahren nicht erblickt, das er mit so schwerem Herzen verlassen und jetzt mit so kummerbelastetem Herzen wieder erblickte, trübten sich seine Augen, bis er seine Wimpern feucht werden fühlte und dann plötzlich sein Antlitz mit seinen Händen bedeckte als ob er den Ausdruck der Empfindung, die ihn übermannte, selbst vor den Gräsern zu seinen Füßen verbergen wollte.

Die Hoffnungen, mit welchen er noch gestern sich getragen, waren verflogen. Sein Rechtsfreund hatte ihm auseinandergesetzt, wie wenig Aussicht für ihn da sei, von der belgischen Domänenadministration auch nur eine kleine Entschädigung für seine Ansprüche zu erstreiten!

Ein unnennbarer Schmerz und ein Gefühl unsäglicher Beklommenheit überfiel ihn. Es war ihm zumute, als werde ihm offenbar, daß dennoch eine höhere Macht über ihm walte; eine Macht, die er geleugnet und nicht anerkannt hatte, wenn ihm, wie einst so oft, Sibylle von ihr geredet. Aber diese Macht, unter deren Zauber stehend er jetzt sich fühlte, war keine gütige, väterlich waltende, an schützender Hand zu Zielen des Heils und des Friedens führende; nein, es war eine feindliche, boshafte, quälende, die in ihrer Feindseligkeit sich stets gleichblieb, die unbeugsam und unerweichlich ihn verfolgte und sein Leben mit mehr Schmerz belud, als er zu tragen vermochte; eine Gewalt, die er länger nicht bekämpfen konnte und vor deren Streichen es am weisesten sein mußte, sich zu beugen. Es lag etwas so tief Entmutigendes in diesen Gedanken Richards, daß er in diesem Augenblicke sich den Tod herbeiwünschte, sich nach der Vernichtung sehnte, in welcher allein eine Zuflucht zu liegen schien wider die dunkeln Unheilsgöttinnen, die er von seinem Schicksal wider sich losgekettet wähnte, die er immer aufs neue ihre dunkeln Schwingen über seinem dem Unglück geweihten Haupte regen fühlte.

»Ja, der Tod,« sagte er endlich tief aufatmend, »der ist's, der mir übrig bleibt. Was könnte ich besseres tun, als dem Beispiele meines armen Vaters folgen! Armer, armer Vater! Gut, daß du in deinem Leid nicht ahntest, wie einst dein Sohn auf dasselbe Gewässer blicken würde, auf welches du blicktest, dieselbe Verzweiflung im Herzen, welche du darin trugst, dieselben Entschlüsse in der Seele wälzend, die in deiner Seele mit den Schauern des Todes rangen! – Bei Gott!« rief er dann aufspringend aus, »wenn dies alles so ist, wie man es mir in der Stadt erzählt hat – wenn Sibyllens Leben auch für ewig vergiftet ist, trotz ihres rührenden Vertrauens auf diesen Dämon, den sie ihre Vorsehung nannte, dann, ja dann weiß ich den Weg zu finden, den mein Vater fand.«

Mit diesen Worten sprang er auf, ergriff wieder seinen Stab und eilte nun hinab in das Flußtal einer Fähre zu, die ihn übersetzte – nach einer starken Viertelstunde stand er auf dem Hofe seines väterlichen Hauses.

Die große Portaltür, welche über einer hohen Treppe ins Innere führte, wich, als er den Drücker des Schlosses ergriffen, seiner Hand. Er trat in den Gang ein, der nach rechts der Fensterwand entlang lief. Zu gleicher Zeit öffnete sich am untern Ende dieses Ganges die Tür, welche in das Zimmer des Hausmeisters führte. Claus Fettzünsler trat auf die Schwelle und kam, nachdem er den Eintretenden einen Augenblick betrachtet, langsam herangehumpelt, um zu fragen, was er wolle?

»Ihr seid alt geworden, Claus!« sagte Richard von Huckarde, ihm die Hand entgegenstreckend, »wie geht es Euch, alte Seele!«

Claus blickte ihn verwundert an, ohne die Hand zu nehmen.

»Wer sind Sie, was wollen Sie?« fragte er mürrisch.

»Claus, kennt Ihr mich nicht mehr?«

»Nein,« sagte Claus, offenbar heute nicht im entferntesten geneigt, sein Gedächtnis anzustrengen, um den Fremden wiederzuerkennen.

»Ich bin ja Richard, Richard von Huckarde – der Sohn Eures alten Herrn.«

»So?!« versetzte der Hausmeister, »Seid Ihr Herr Richard? Ja, es ist richtig! Ihr seid es. Ihr seid schmäler und brauner geworden. Ja, es ist richtig, wahrhaftig, Ihr seid es. Wollt Ihr eintreten?«

Und damit hinkte Claus zu seiner Stube zurück, allem Anschein nach nicht im mindesten überrascht und erstaunt über die plötzliche Wiederkehr seines jungen Herrn – Claus gehörte nicht zu den Menschen, welche zwei Dinge von bedeutender Tragweite zugleich zu bewältigen verstehen – er war von der schrecklichen Geschichte, die sich in seinen vier Wänden ereignet, so vollständig in Anspruch genommen, erfüllt und überwältigt, daß er für etwas anderes keine Sinne und kein Gefühl hatte – und wäre dies andere auch gewesen etwa ein kleines Erdbeben, verbunden mit Verfinsterung von Sonne, Mond und Sternen, Oeffnung der Gräber und dem Präludium der Engel auf den himmlischen Posaunen zum großen Endhalali des Jüngsten Tages.

Als er in seiner Stube und Richard ihm gefolgt war, warf Claus sich auf einen seiner Strohstühle, überließ seinem Gast sich einen andern zu nehmen und sagte: »Wer hätte das gedacht – ich glaubte, Ihr wäret tot, Herr Richard – also Ihr seid nicht tot? Der andere ist tot. Er, liegt oben tot, Herr Richard. Morgen soll er begraben werden. Gott steh' einem bei! In welche Geschichten kann man geraten, ehe man sich's versieht. Aber anhaben können sie mir nichts. Ich bin so unschuldig wie ein neugeboren Kind. Der Franz hat den Hausschlüssel bei sich gehabt. Die Hintertür in dem Turm habe ich verriegelt, ehe ich zu Bette gegangen bin. Und gehört habe ich nichts, gar nichts. Ich habe die ganze Nacht durch ruhig geschlafen. Mir können sie nichts anhaben, sie mögen schreiben und protokollieren, was sie wollen.«

»Claus, ist es denn wahr, daß man Herrn Ritterhausen und seine Tochter in Verdacht hat?« fragte Richard.

»In Verdacht? Gewiß hat man sie in Verdacht. Alle Welt hat sie in Verdacht. Sie sollen auch nach Düsseldorf ins Gefängnis gebracht werden. Sie haben Gendarmen vor ihrer Tür ...«

»Ich werde sie also nicht sprechen können?«

»Sprechen? Niemand kann sie sprechen. Es wird niemand zu ihnen gelassen. Der Ritterhausen darf sein eigenes Kind und Mamsell Sibylle ihren eigenen Vater nicht sprechen. Sie haben Gendarmen vor ihrer Tür!«

»Und Ihr, Claus, was denkt Ihr denn davon? Haltet Ihr es denn für möglich, daß Ritterhausen ...«

»Möglich! Was sollte nicht möglich sein auf dieser schlechten Welt? Wenn einer abends ruhig zu Bette geht in seinem eigenen Haus und denkt an nichts, an gar nichts und schläft ruhig ein und hat treue redliche Leute um sich und die Türen sind wohl verschlossen und am andern Morgen ist ei umgebracht – Herr Richard, dann ist alles möglich, just alles!«

»Aber Claus,« warf Richard, düster vor sich hinstarrend, ein, »wenn man doch die Leute seit vielen Jahren so kennt, wie Ihr die Ritterhausen, so hütet man sich doch ...«

»O, ich hüte mich auch, Herr Richard,« fiel Claus ein, »ich hüte mich wohl, etwas zu sagen. Ich weiß nichts, gar nichts. Ich habe die ganze Nacht durch ruhig geschlafen. Und deshalb können sie mir nichts anhaben, sie mögen schreiben, was sie wollen.«

Aber von einem Deserteur spricht man.

»Ja, der Deserteur,« wiederholte Claus kleinlaut und auf seinem Stuhle völlig wie sorgenüberbürdet zusammensinkend. »Ich weiß nichts von ihm. Johannes heißt er, das hat er mir gesagt. Das ist alles. Mich geht er nichts an. Gar nichts, Mamsell Sibylle hat ihn hergebracht; sie hat ihm oben im Hause ein Versteck gezeigt, das ich nicht kenne. Mamsell Sibylle hat ihn da verborgen. Ich bin unschuldig daran. Es soll strenge Strafe darauf stehen, wenn man einen Deserteur verbirgt. Ich hab' auch nichts davon gesagt. Die Polizei- und Gerichtsherren haben's aber doch erfahren. Ob's Mamsell Sibylle ihnen bekannt hat oder ob's ihnen von einem andern gesteckt ist, ich weiß es nicht. Aber diesen Morgen war einer hier, der hat mich ins Gebet genommen, und da hab' ich sagen müssen, was ich wußte.«

»Und weil Sibylle Ritterhausen dem Deserteur ein Versteck hier in der Burg angewiesen hat, glaubt man, Ritterhausen habe durch diesen Menschen den Grafen von Epaville ermorden lassen?«

»So glaubt man, Herr Richard, und so muß man glauben.«

»Weshalb denn hätte Ritterhausen eine so entsetzliche Tat begehen sollen?«

»Weil ihm der Graf den Hammer hat nehmen wollen.«

Richard schüttelte den Kopf.

»Könnt Ihr's anders auslegen?« fragte Claus.

»Sibylle – sie – sie hätte um diese Tat gewußt!« rief der junge Mann aufspringend aus. »Alter Mensch, du weißt nicht, was du sprichst! Es ist Blödsinn, es ist Wahnwitz!«

»Meinethalb,« antwortete Claus der Hausmeister, »meinethalb! Mag es getan haben, wer will – ich weiß von nichts, von gar nichts. Mir können sie nichts anhaben!«

»Der Deserteur hieß Johannes? Und wie weiter?«

»Das sagte er nicht,«

»Woher kam er?«

»Er schwieg auch darüber,«

»Hat er denn nicht den Grafen ermorden können auf seine eigene Faust, um ihn auszuplündern?«

»Er hat aber nicht geplündert; er hat nicht einen Pfennig genommen, nichts, gar nichts von den Sachen des Grafen.«

»Vielleicht ist er an dem Raube gehindert worden. Vielleicht hat er irgendein Geräusch gehört und hat geglaubt, Ihr kämet oder der Reitknecht und die Flucht genommen zur hintern Turmtür hinaus.«

»Ja, zur hintern Turmtür hinaus ist er verschwunden. Sie war offen gestern morgen. Ein Geräusch sollte ihn vertrieben haben? Ich weiß es nicht. Ich habe kein Geräusch gehört. Der Mensch sah nicht aus, als ob er sich vor bloßen Geräuschen fürchte und davor die Flucht nähme. Es war ein verwegener Bursche. Er war mit allen Hunden gehetzt; das hab' ich ihm angemerkt so duckmäuserig er sich anstellte. Johannes nannte er sich. So sagte er mir. Im Vertrauen, sagte er. Nun, ich hütete mich wohl, davon zu reden. Man bindet es nicht jedermann auf, wenn man einen Deserteur im Haus versteckt hat!« Richard von Huckarde schritt eine Weile, die Arme auf der Brust verschlungen, in des Hausmeisters Stube auf und ab. Seine Züge waren so tödlich bleich, wie sie es werden konnten unter der braunen Farbe, womit die Sonne entlegener Länder sie überzogen hatte. Sein Blick blieb starr und düster auf den Boden geheftet. Nach einer Weile sah er auf und sich zu Claus wendend, sagte er: »Ich will doch einmal hinaufgehen und die alten Räume wiedersehen – bleibt nur hier, Claus, ich finde meinen Weg allein!«

»Ich darf Euch nicht hinauf lassen,« versetzte Claus, aufstehend, »ich darf niemand nach oben zu der Leiche lassen; es sind Herren aus der Stadt dagewesen, die haben mir befohlen, über sie zu wachen.«

»Sei ruhig, Claus, du weißt, daß ich sie nicht wegtrage,« erwiderte Richard von Huckarde und verließ die Kammer, während der Hausmeister apathisch auf seinen Stuhl zurücksank.

Richard schritt durch den Korridor die Treppe ins obere Stockwerk hinauf und betrat dann die Reihe der Zimmer, welche er einst mit seinem Vater bewohnt hatte. Bei jedem Schritte fesselten ihn Erinnerungen, die in überwältigender Fülle auf sein kummerschweres Herz eindrangen. Lange verweilte er in einem der mittlern Zimmer; es war das Wohnzimmer seines Vaters gewesen. Dann öffnete er eins der Fenster und sandte seine Blicke hinaus auf den fern unter ihm sichtbaren Hammer, der so friedlich auf grünen Matten in seiner Busch- und Wipfelumhüllung, von der Sonne beschienen, von Bergwänden geschützt, vom klaren Gewässer bespült, wie ein Asyl des Friedens und der Ruhe dalag. Und doch, welche Schmerzen, welche Angst, welche Entschlüsse und welche Sorgen wohnten unter diesem unglückseligen Dach, zu dem Richards Gedanken aus der weiten Ferne, über den Ozean herüber, so oft geflohen waren, wie zu einer Art Heimat seines Herzens, wie zu dem Punkte, dem einzigen in der Welt, von dem aus zu ihm Ermutigung und Lebenskraft strömte, der mit der magnetischen Kraft der Liebe an unsichtbaren Fäden sein Leben allein noch an Welt und Menschen kettete. Wie oft hatten sich seine Gedanken hoffnungsträumend an den Augenblick geheftet, wenn er einst, wohlhabend und unabhängig geworden durch eigene Kraft und selbstverdientes Glück, aufs neue Herr seiner väterlichen Burg, unter jenes Dach treten und zu Sibylle sprechen würde: ich habe die schwere Aufgabe, welche mir ein hartes Schicksal aufbürdete, gelöst; ich habe das Haus meiner Väter mir neu erobert mit diesen meinen Armen, und diese Arme öffnen sich jetzt dir und wollen dich über die Schwelle meines Hauses sowie durchs Leben tragen ... Und jetzt! Mit welcher Bitterkeit mußte er sich zurufen: alle deine Hoffnungen sind zu Wasser geworden, du hast umsonst gerungen und gelitten – du bist arm heimgekehrt wie du auszogst – und Sibylle – Sibyllens Leben ist ruchlos zerstört – ist so bodenlos elend gemacht wie das deine! Er wandte sich endlich ab und setzte in Kummer verloren seinen Weg fort durch die andern Gemächer. Er kam in das Wohnzimmer des Grafen von Epaville; er blickte durch die halb offenstehende Tür in das Schlafzimmer desselben; sein Auge heftete sich auf das Bett in der Ecke; die Umrisse der Decke verrieten die darunter liegende Leiche; der Bettvorhang verbarg den obern Teil und den Kopf des Toten.

Richard stand zögernd auf der Schwelle dieses Raumes, halb versucht, näherzutreten, um die Leiche anzuschauen, und auch wieder sich scheuend vor dem Anblick. Hätte seine Reisegefährtin von gestern ihm nicht gesagt, daß sie selbst kommen würde, zum letztenmal ihren unglücklichen Gatten zu sehen, so würde er es für eine Art Pflicht gegen diese gehalten haben, sich um den Zustand der Leiche und um das, was für die Beerdigung derselben vorgerichtet und bestimmt war, zu kümmern, so aber konnte er sich abwenden von dem unheimlichen Anblick – und eben war er im Begriff, dieses zu tun, als er Schritte Herankommender auf der Treppe und gleich darauf in den vordern Zimmern vernahm. Richard konnte nicht zurück, ohne den Kommenden zu begegnen, denn die Räume, in welchen er sich befand, boten keinen Seiteneingang. Er wollte jedoch um jeden Preis vermeiden, hier gesehen zu werden. Nicht gerade aus Rücksicht für den Hausmeister, der ihm gesagt, daß er niemand nach oben lassen dürfe. Aber er war in einer Gemütsverfassung, in welcher man nicht in fremde Gesichter zu blicken liebt. Er mußte erwarten, daß die Kommenden ihn nach dem Grunde seines Hierseins fragen würden; nichts aber lag weniger in seiner Absicht, als sich heute hier als den Stammerben dieses Hauses zu erkennen zu geben. Unterdes hörte er die Schritte immer näher kommen. Wollte er nicht in den nächsten Augenblicken den Nahenden gegenüberstehen, ihren verwunderten Fragen ausgesetzt sein, so blieb ihm nichts übrig als das eine – in das ihm wohlbekannte Versteck, in dessen Geheimnis niemand anders als er einst Sibyllen eingeweiht hatte, zu schlüpfen. In der Tat war Richard rasch dazu entschlossen. Er drückte in den Lambris das bewegliche Einsatzstück zur Seite. Es gehorchte seiner Hand. Die dunkle Oeffnung nahm ihn auf. Das Holzwerk schob sich zurück – Richard war für die Kommenden verschwunden.

In dem engen Raume, in welchem er sich jetzt befand, herrschte ein mattes Licht; die kleinen Scheiben in dem Fenster, welches auf das Innere des Turmes ging und hier unter vorspringendem Gebälk verborgen lag, waren mit Staub bedeckt, mit Spinnengeweben überzogen; in dem Innern des Turms selbst, aus welchem das Licht kommen sollte, war des Lichtes nicht übermäßig viel, wenn, wie es jetzt der Fall, unten die nach außen führende Hintertür geschlossen war. Trotzdem erkannte Richards Auge sofort bei seinem Eintreten mehrere am Boden liegende Gegenstände, die darauf deuteten, daß dieser kleine Raum kurz vorher einen Bewohner gehabt hatte, welcher eine beschleunigte Abreise gemacht und deshalb nicht Zeit gefunden, seine sämtlichen Habseligkeiten mitzunehmen. Ein blauer Kittel lag auf dem Boden, ein aus Maser geschnitzter Pfeifenkopf, ein Päckchen Tabak, erst zur Hälfte konsumiert, dann ein Geflecht aus Weidenzweigen, das sich zu einem Korbe zu gestalten verhieß, aber noch sehr weit von seiner Vollendung entfernt war.

Richard war im Begriffe, sich nach diesen Gegenständen zu bücken, um sie näher zu betrachten, als er die Schritte, vor denen er geflohen war, ganz in seiner Nähe hörte; sie kamen eben in das Schlafzimmer, wo die Leiche lag, und Richard vernahm eine unangenehme, etwas schrille Stimme, die sagte: »Da liegt er! Ich habe nie eine große Meinung von den Tugenden und der moralischen Seelengröße dieses Monsieur d'Epaville gehabt – aber daß ihn der Teufel so früh holte, ist doch ein klein wenig hart!«

Diese Worte wurden in einem sehr akzentuierten und sehr mißlautenden deutschen Dialekte gesprochen, den Richard sich erinnerte, bei Elsässern gehört zu haben.

»Es bleibt bei allem, was Sie mir gesagt haben, doch ein höchst merkwürdiger Fall, Herr Polizeirat, der mir noch immer große Dunkelheiten hat!«

Tiefe Antwort wurde im Dialekt der Landessprache gegeben.

»Dunkelheiten? Was kann da noch dunkel sein ...«

»Ein Mann wie dieser Hammerbesitzer – und gar ein junges Mädchen wie Sibylle Ritterhausen! Ist es nicht unglaublich ...«

»Mein lieber Untersuchungsrichter,« antwortete der Elsässer, »unglaublich ist nichts. Dies Wort müssen Sie streichen aus Ihrem Geschäftsstil. Wenn Inzichten vorhanden sind, daß ich, der Polizeirat Ermanns, das Licht aller Behörden der öffentlichen Sicherheit im Großherzogtum, falsche Wechsel gemacht oder silberne Löffel gestohlen habe, so sagen Sie nicht: unglaublich! Untersuchen Sie. Was kann Sie bei dieser Angelegenheit in Verwunderung setzen? Das Verhältnis des Monsieur Ritterhausen zu diesem Gute hier haben Sie mir gestern selbst auseinandergesetzt. Den Entwurf des Briefs, welchen der Graf von Epaville an Ritterhausen geschrieben, haben wir hier gefunden. In Angst und Schrecken versetzt durch diese Eröffnung, hat der Herr Ritterhausen seine Tochter abgeschickt, um zu parlamentieren mit dem Grafen. Er kannte diesen Herrn Grafen nicht. Er wußte nicht, was ich heute aus Seiner Hoheit eigenem Munde weiß, daß der Graf in einem kleinen vertraulichen Kreise dem Großherzog gegenüber sein Wort verpfändet hatte, er würde dieses Mädchen verführen. Sie können sich nun denken, welchen Charakter das Tete-a-tete der Demoiselle Ritterhausen und des Grafen angenommen haben wird. Der Herr Graf werden alle Vorteile ihrer Lage den Ritterhausen gegenüber haben ausbeuten wollen; er hat dem jungen Mädchen Zumutungen gemacht, welche diese tödlich beleidigt haben; und nun haben beide, Vater und Tochter ohne viel Gewissensbisse diesen vermaledeiten Franzosen, der dem Vater Haus und Hof und der Tochter ihre Ehre rauben wollte, daran glauben lassen. Sie haben ihn beseitigt, mon ami, oder besser, stumm gemacht, wie Sie ihn da sehen. – Mir ist dabei gar nichts dunkel, nicht einmal, was die Reiseroute des Grafen von Epaville in der andern Welt angeht. Ich bin ganz überzeugt, der Zeremonienmeister der Unterwelt hat ihn längst zur Cour bei Seiner diabolischen Majestät vorgestellt, und der Satan hat seine Freude ausgedrückt, endlich eine längstgehoffte Bekanntschaft zu machen!«

»Aber sie leugnen stolz und zornig, die Ritterhausen,« fiel der andere ein.

»Man kennt das,« versetzte der mit dem elsässer Dialekt. »Es wird sie nicht retten vor der Guillotine. Der Großherzog war bra dessus bras dessous mit dem Epaville.«

Wir brauchen nicht zu sagen, mit welcher Aufregung und wie erschüttert Richard diese Unterredung belauschte, die deutlich und so, daß ihm kein Wort entging, in seinen Winkel drang. Trotz allem, was er vernahm, und trotz allem, was irgend hatte gesagt werden können, um Sibylle Ritterhausen zu einer Mörderin zu stempeln, stand der Glaube an ihre Unschuld felsenfest in seiner Seele. Aber ebenso klar wurde ihm aus diesen Reden, wie hoffnungslos und verzweifelt ihre Lage den Untersuchungsbeamten und den Gerichten gegenüber sein mußte. Das Wort Guillotine, welches bald darauf von den Lippen des einen der Sprechenden fiel, traf ihn vollends wie ein Stich ins Herz.

Er sollte noch ein zweites Wort vernehmen, das beinahe eine ähnliche Wirkung auf ihn übte. Und dies Wort wurde wieder von dem, der sich das Licht aller Behörden der öffentlichen Sicherheit genannt hatte, gesprochen und hieß: Versteck!

»Wo ist nun das Versteck?« sagte Monsieur Ermanns, »ich denke, es muß hier dieses Füllstück in den Lambris sein!«

Er trat in diesem Augenblick an die bezeichnete Stelle heran. Richard hatte rasch und instinktartig seine Hände an das bewegliche Holzstück gelegt und suchte es durch das höchste Aufgebot seiner Kraft fest an seiner Stelle zu halten. Aber er fand zu seiner Unterstützung dabei keinen Vorsprung, nichts, was ihm als Handhabe gedient hätte. Draußen war jetzt auch der Untersuchungsrichter herangetreten und drückte aus Leibeskräften – das Füllstück bewegte sich und – schoß wieder in seine alte Lage zurück ...

»Mein Gott, das ist ja als ob jemand von innen festhielt!« rief der Untersuchungsrichter aus.

»Fast so in der Tat!«

»Versuchen wir's noch einmal mit aller Kraft!« fuhr der Richter fort.

Jetzt gab das Holzstück soweit den vereinten Anstrengungen der beiden Männer nach, um einer Hand Raum zu gewähren, sich einzuschieben; im nächsten Augenblick fuhr eine starke Männerfaust – es war die des Untersuchungsrichters – in den Spalt herein, und nun flog das Holz zur Seite – die ganze Oeffnung klaffte auf.

Noch eine Hoffnung blieb dem Eingeschlossenen. Vielleicht begnügten sich die beiden Männer damit, in das Versteck nur hineinzublicken. Wenn Richard sich ganz dicht an die Mauer drückte, in die dunkelste Ecke, so war es möglich, daß sie ihn übersahen.

Während er diese Stellung einnahm, sah er den Kopf des einen der Männer in die Oeffnung lugen.

»Ich sehe niemand,« sagte dieser dabei ... es war der, den er hatte Untersuchungsrichter nennen hören.

Der andere, der mit dem fremdartigen Dialekt, erwiderte lachend: »So kriechen Sie hinein, Untersuchungsrichter. Es ist Sache der Justiz, ihre Nase da hineinzustecken,«

»Ich meine, es wäre mehr Sache der Polizei, ihre Nase in alles zu stecken,« versetzte scherzend der andere Beamte, »jedenfalls ist die Polizei der Vorläufer der Justiz, also en avant, Monsieur

»Aber da muß man ja kriechen auf allen vieren!«

»Das können Sie sans déroger immer noch eher als ein Priester der Themis,« lachte der Untersuchungsrichter.

»Was ist da nun zu machen!« sagte Monsieur Ermann«, ließ sich auf die Knie nieder und steckte den Kopf durch die Oeffnung.

Er schaute eine Weile hinein, wie um seine Augen erst an die größere Dunkelheit zu gewöhnen, welche in dem kleinen Raum herrschte. Dann sagte er: »Es liegen da allerlei Gegenstände auf dem Boden. Die Inspektion aus der Ferne wird nicht hinreichen – man wird sich bequemen müssen, hineinzuschlüpfen ... und dann fuhr er in der Tat mit dem Oberkörper in die Lambrisöffnung – aber viel schneller kam er erschrocken wieder heraus.

»Alle Teufel!« rief er halblaut und sehr blaß geworben.

»Was ist?« fragte der Untersuchungsrichter, »was haben Sie?«

»Es steht ein Mann drin!« flüsterte Monsieur Ermanns, die Zeichen des Schreckens noch in allen Zügen.

»Pest,« rief der andere Beamte, »der Mörder! und dabei blickte er angsterfüllt umher, ob nicht irgendeine Waffe in der Nähe sei.

»Was ist da nun zu machen?« sagte Monsieur Ermanns, »Wir müssen unsere Leute herbeirufen,«

»Ich will hinunter ..,« erwiderte der Untersuchungsrichter.

»Ich danke schön,« versetzte Monsieur Ermanns, »damit der Mensch unterdes Zeit gewinnt, über mich herzufallen und sich zu retten. Bleiben Sie ruhig bei mir – ich will schon selbst die Leute rufen und zwar so!«

Bei diesen Worten zog er ein Terzerol mit zwei Läufen aus der Tasche und spannte die Hähne; er war just im Begriff es abzuschießen, um auf diese Weise seine Leute, die unten harren mochten, herbeizurufen, als ihm der Untersuchungsrichter in den Arm fiel.

»Aber zum Henker, wenn Sie abschießen, so sind wir ja ganz ohne Waffe wider den Verbrecher, der jeden Augenblick hervorkommen und sich auf uns stürzen kann!«

»Nur ruhig, ich habe immer noch einen Schuß in Reserve,« sagte Monsieur Ermanns, der seine Fassung so ziemlich wieder erlangt hatte.

Jetzt aber fand Richard von Huckarde für gut, dieser Szene ein Ende zu machen. Er tauchte plötzlich aus der Lambrisöffnung auf und mit den Worten: »Seien Sie ganz unbesorgt, meine Herren, ich glaube es ist das beste, ich komme Ihnen friedlich entgegen und wir verständigen uns ohne Pistolenschüsse!« kroch er aus der Wandöffnung hervor.

Die beiden Beamten traten scheu ein paar Schritte weit zurück und starrten ihn an. Richard stand nach wenigen Augenblicken ruhig vor ihnen und stäubte die Spinnengewebe und den Kalkschmutz ab, der an seinem Rocke haften geblieben war.


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