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Zwölftes Kapitel

Erinnerungen und Enthüllungen

Sibylle war, nachdem Richard durch Ermanns und die Gendarmen von ihr getrennt und abgeführt worden, wankenden Schritts in das Haus zu ihrem Vater zurückgekehrt.

»Sibylle ... was war das? – was bedeutet das?« fragte Ritterhausen erschrocken seine Tochter, »du bist so außer dir, als ob Richard von Huckarde dir gestanden hätte ...«

»O nein, nein,« fiel Sibylle ein, indem sie außer sich vor Bewegung ihre Arme um die Schultern ihres Vaters schlang und wie an einer Brust Zuflucht suchte, an der sie sich nicht erinnerte geruht zu haben, seit sie aufgehört hatte, ein Kind zu sein; denn Ritterhausen war nicht der Mann, dessen Wesen ein weichfühlendes Frauenherz, und wenn es auch das seiner einzigen Tochter war, seinem Herzen nahe zog.

»Richard hat mir gestanden,« schluchzte sie, »daß er sich als Schuldigen bekannt habe, nur um mich, um uns zu retten!«

»Wirklich?« fragte Ritterhausen, indem seine Stimme ein leises Zittern annahm, welches verriet, daß doch Rührung auch den Weg zu seiner Seele gefunden ... »das hätte ihn bestimmt?«

Er legte seinen Arm um die Gestalt seiner weinenden Tochter und blickte eine Weile stumm in ihre bleichen, schmerzentstellten Züge.

»Ich habe deine Neigung für Richard von Huckarde wohl gekannt,« sagte er, »ich habe aber für eine Torheit gehalten, daß du sie im stillen forthegtest. Ich habe nicht geglaubt, daß Richard zurückkehren werde. Noch weniger, daß er seine Neigung für dich nicht drüben, jenseit des Meeres, längst vergessen habe.«

»Nein, nein,« rief sie leidenschaftlich aus, »seiner Treue war ich sicher und gewiß! Aber daß seine Liebe so weit gehen, so weit sich verirren könnte, daß er für mich, für uns in den Tod gehen würde ...«

»Beruhige dich, Kind ... du ängstigst dich ohne Grund um ihn!«

»Ohne Grund ... wenn er sich diesen Menschen als Mörder bekennt?«

»Das reicht allerdings hin, ihn eine längere oder kürzere Zeit in eine höchst unangenehme Situation zu bringen ... und man wird ihn gefangen halten, inquirieren, peinigen ... jedoch dazu reicht es nicht hin, einen Menschen zum Tode zu verurteilen, wenn er unschuldig ist!«

»Aber wenn er selbst sich schuldig nennt ...«

»So hört damit die Tätigkeit der Gerichte nicht auf. Sie untersuchen dennoch und die Untersuchung muß bald zu dem Ergebnis führen, daß er die Tat ja gar nicht begangen haben konnte!«

»Wie leicht kommen scheinbare Verdachtsgründe, unglückliche Umstände, die sein Geständnis zu bekräftigen scheinen, hinzu ...«

Ritterhausen schüttelte den Kopf.

»Es ist das möglich,« sagte er, »auch wider den Unschuldigen, der nicht gesteht, kann sich der Zufall verschworen zu haben scheinen, um ihn zu verderben. Aber das sind seltene und ungewöhnliche Fälle. Weshalb sollen wir einen solchen Fall hier fürchten? Wir haben gar keinen Grund dazu!«

Sibylle war durch diese Rede ihres Vaters nicht beruhigt, und Ritterhausen selbst war nicht so ruhig und zuversichtlich, wie er den Schein annahm, um seiner Tochter Kummer zu mildern.

»Bei Gott,« fuhr er nach einer Pause fort, »es wäre doch ein zu bitterer Hohn des Schicksal«, wenn Richard von Huckarde um unsertwillen, um des Mannes willen ins Verderben geschickt wurde, der seinen Vater ins Verderben trieb!«

Sibylle sah ihren Vater groß an. Sie war von diesen Worten aufs äußerste überrascht. Niemals war früher über Ritterhausens Lippen ein ähnliches Wort gekommen, welches ein Schuldbewußtsein in ihm verriet.

»Du siehst mich überrascht an, daß ich das sage, Sibylle,« fuhr er fort, das Gesicht von ihr abwendend, als ob ihre Blicke ihn drückten ... »du wirst wissen, was ich meine!«

»Was Sie meinen, weiß ich, Vater,« versetzte sie, »obwohl Sie mir nie etwas gesagt haben von dem, was an dem Unglückstage vorgefallen ist, an welchem Richards Vater seinem Leben ein Ende machte!«

»Habe ich dir nie davon gesprochen?« sagte Ritterhausen, »ja es mag sein. Du warst damals ein Kind noch ...«

»Ich war achtzehn Jahre, Vater.«

»Nun, so schienst du mir ein Kind. Und jedenfalls war die ganze Angelegenheit der Art, daß ich keine Befriedigung darin finden konnte, viel von ihr zu reden.«

»Und wollen Sie mir jetzt nicht anvertrauen, was vorgefallen ist zwischen Ihnen und ihm an jenem Abende ...«

»Ich will es – setze dich zu mir, schieb dir den Sessel dort her.«

Sibylle rückte den Sessel zur Seite des Sitzes ihres Vaters, und indem sie ihren Arm auf die Lehne stützte, sah sie voll kindlicher Innigkeit und voll Vertrauen, daß sie wohl Trauriges und Erschütterndes, aber daß sie nichts hören werde, was ihre Liebe zu ihrem Vater mindern könne, zu ihm auf.

»Ich ging an jenem Tage hinauf zur Burg,« begann Ritterhausen, »mit den besten Vorsätzen. Ich kam in einer Absicht des Friedens und der Versöhnung. Aber ich hatte mich mit einem Dinge nicht gerüstet, das ich hätte mitbringen sollen, und vielleicht wäre alles gut geworden ...«

»Und das war Nachsicht und Geduld mit einem Manne in unglücklicher Lage!« sagte Sibylle vor sich hinflüsternd.

»Nein, Sibylle, das war es nicht, was mir fehlte,« entgegnete Ritterhausen. »Was ich nicht mitbrachte, das war – Mut!«

»Mut?«

»Ja, Mut! Den Mut, meine innerste Meinung auszusprechen, meine eigentlichen Gedanken.«

»Und wo hätte der Ihnen je gefehlt?«

»An jenem Tage fehlte er mir. Ich hatte nicht den Mut, einem falschen Scheine zu trotzen. Nicht den Mut, mich nicht darum zu kümmern, wenn ich verkannt würde; wenn man mir als niedrige Berechnung auslegte, was der aufrichtige, durchaus uneigennützige Wunsch meiner Seele war ...«

Ritterhausen schien bei diesen Worten einen seiner Schmerzanfälle zu empfinden; er zog wenigstens sein Gesicht in düstere Falten und stützte, die Stirn auf seine Hand.

»Sprechen Sie weiter, mein Vater,« sagte Sibylle nach einer Pause. »Sie hatten den aufrichtigen Wunsch, mit dem alten Baron in Frieden und Freundschaft zu leben und Sie würden auch nicht Opfer gescheut haben, um dahin zu gelangen ...«

»Was ich wünschte und wollte, das war, zum Frieden zu kommen durch euch, Sibylle, durch dich und Richard von Huckarde. Ich hatte wohl bemerkt, wie sehr ihr aneinander hinget; so wie ihr als Kinder alle Tage zusammen waret und gemeinschaftliche Spiele triebet, suchtet ihr als junge Leute euch auf und spannet einen Verkehr fort, dessen eigentliche Bedeutung mir keineswegs entging, so wenig ich es dir zeigte, daß ich euch beobachtete. Ich sagte mir, daß niemals ein Paar Leute mehr füreinander geschaffen seien, als ihr es waret. Eure Neigungen und eure Charaktere paßten zueinander. Ihr waret beide geneigt, das Leben von der ernstern Seite zu fassen und beide kräftige Naturen, die mit dieser ernsten Seite fertig zu werden wußten. War er ein Edelmann, so warst du eine stolze, aristokratische Natur. Stand er inmitten zerrütteter Verhältnisse, so warst du wohlhabend, wirtlich, besonnen. Du hättest das Glück zurückgebracht in dieses verwaiste, verwahrloste Haus der Huckarde.«

»Fahren Sie fort, mein Vater,« sagte Sibylle mit einem tiefen schmerzlichen Seufzer.

»Es wäre an Richard, an seinem Vater gewesen, davon zu beginnen,« hub Ritterhausen wieder an. »Er tat es nicht. Nun, es konnte sein, daß sie meine Gedanken verkannten und daß sie keine abschlägige Antwort holen wollten von dem, den sie für ihren Feind hielten und der es doch so wenig war. Aber die Zeit verging, der Augenblick rückte immer näher, wo es sich entscheiden mußte, wie wir zueinander standen, und so faßte ich meinen Entschluß. Ich wollte beginnen von der Sache. Es schien mir unmöglich, daß ich von dem adelstolzen Manne als ein Spekulant betrachtet würde, der die Lage eines edlen Hauses benutzt, um ehrsüchtige Zwecke zu erreichen. Die Verhältnisse lagen ja so klar und einfach vor uns, daß es mir gelingen mußte, ihn bald zu derselben Ansicht zu bringen, die ich von ihnen hatte.

»So ging ich an jenem verhängnisvollen Abende zur Burg hinauf. Ich machte mich dabei auf einen rauhen Empfang gefaßt, der mir in derber Weise ehrlich und offen andeutete, wie man gegen mich gesinnt sei. Ich war vorbereitet, ebenso offen und ehrlich auszusprechen, wie ich dachte und fühlte. So glaubte ich, müsse eine Verständigung bei zwei redlichen Männern, mochten sie immerhin in Span und Unfrieden über das leidige Mein und Dein geraten sein, sich leicht erzielen lassen.

»Aber es kam ganz, ganz anders. Nicht widerwillig, abwehrend, rauh, empfing mich der alte Huckarde – nein, er war höflich! Ja höflich, höhnisch höflich möchte ich es nennen, dies kalte abgemessene Wesen, das mir in jeder Bewegung, jeder Silbe zu sagen schien: sieh', du bist ein brutaler, gemeiner, niedrig geborener Mensch, der den Frevel so weit treibt, sich aufzulehnen gegen seinen adligen Erb- und Grundherrn; aber nichtsdestoweniger empfange ich dich mit der herablassenden Seelenruhe und der Höflichkeit des vornehmen Mannes, der nicht um deinetwillen, sondern um seiner selbst willen, aus Achtung vor sich selber, nicht in den Ton und die Weise niedersteigt, in welchen Leute deines Schlages mit groben Worten und ungeschliffenem Wesen ihre Streitigkeiten verhandeln. Ich will dich fühlen lassen, daß du vor einem Höhern stehst!

»Mochte ich nun recht haben oder unrecht, es so zu deuten – aber ich fühlte von diesem Betragen mir die Lippen zu offener rückhaltloser Rede geschlossen. Ich fühlte mich davon zu einem Zorn gereizt, der innerlich noch mehr aufkochte, als Huckarde sofort seinen Sohn herbeirufen ließ. Was sollte Richard bei dem, was wir zunächst zu verhandeln hatten? Was sollte er anders als eine Lektion erhalten – eine Lektion darin, wie ein Edelmann sich in Verhältnissen und Situationen gleich der unsern zu betragen habe? Wie er unter keiner Bedingung, in keiner noch so drückenden und verzweifelten Lage vor einem Roturier einen Finger breit von seiner Würde nachgebe? Und Richard kam; er hielt sich still und gedrückt im Hintergrunde, während ich mit dem Baron unterhandelte.«

»Der arme alte Mann!« sagte Sibylle halblaut, während ihre Brust sich unter einer Reihe tiefschmerzlicher Gedanken hob.

»Vielleicht wäre es im Laufe des Gesprächs möglich gewesen, daß wir uns dennoch in einer ruhigern Stimmung gefunden, daß sich mein vom Zorn verschlossenes Herz überwunden und daß ich meine eigentliche Absicht rundheraus erklärt hätte, obwohl man mich auf die bitterste Weise empfinden ließ, wie hoch und erhaben sich ein Huckarde über einen bürgerlichen Hammerbesitzer dünkte. Aber es trat bald etwas zwischen uns, was jede Brücke zur Verständigung abbrach. Der alte Huckarde erklärte mir im bestimmtesten Tone, daß seine Ehre es nicht dulde, mich auf dem Hammer zu lassen; daß er mit mir nur verhandeln könne, wenn mein Abzug von dem Hammer als ausgemacht vorausgesetzt werde. Denn er habe sein Wort dafür verpfändet, und nichts auf Erden werde ihn vermögen das zurückzunehmen!

»Auch die Zukunft, die Existenz Ihres Hauses, das Glück Ihres einzigen Sohnes nicht, mein Herr Baron? fragte ich ihn.

»Nein! antwortete er bestimmt und fest und sich von mir abwendend.

»Nun, dann bleibt mir nichts übrig, entgegnete ich, als ohne den Friedensschluß heimzukehren, den ich zu erhalten hoffte, als ich kam. Ich muß den Dingen ihren Lauf lassen. Sie wollen die Strenge Ihres Rechts wider mich gebrauchen: ich werde mich verteidigen mit der Strenge meines Rechts.

»Sie haben kein Recht! entgegnete er. Die Gerichte haben es Ihnen aberkannt. Sie haben einige Forderungen auf Entschädigungen für Bauten und dergleichen. Diese liegen den Gerichten vor, welche darüber ebenfalls in diesen Tagen erkennen werden.

»Ich habe größere Forderungen an Sie, Herr von Huckarde, erwiderte ich nun mit derselben eisigen Kälte, zu der ich mich gefaßt hatte.

»Ich wüßte von keiner, versetzte er betroffen.

»Doch ist es so, fuhr ich fort. Es ist eine Schuldverschreibung von neuntausend Talern Ihnen vor mehr als Jahresfrist gekündigt. Hier ist diese Schuldverschreibung. Sie ist in meinen Händen. Ihr Gläubiger hat sie mir zum Ankauf angetragen – ich habe sie genommen! Treiben Sie mich aus meinem Hause, so treibe ich Sie mit diesem Papiere aus dem Ihren. Sie haben den Termin, wo Sie hätten zahlen müssen, verstreichen lassen. Ich kann jeden Tag Ihr Besitztum sequestrieren lassen.

»Der Baron erbleichte, als ich so sprach. Er hatte diesen Schlag nicht erwartet. Er verlor einen Augenblick die Fassung. Wie niedergeschmettert sank er in seinen Stuhl zurück.

»Ich hatte Mitleiden mit ihm,« fuhr Ritterhausen in seiner Erzählung fort. »Wahrhaftig, so männlich und entschieden meine Aeußerungen gewesen sein mochten, so bin ich mir doch bewußt, daß, wer mich hätte verstehen wollen, den aufrichtigen Wunsch, nicht zu quälen und zu vernichten, sondern zu helfen und zu vermitteln, auf dem Grunde meiner Worte erkennen mußte. Ich blickte forschend, fragend in das Auge des Sohnes und des Vaters. Aber ich sah nicht in ihnen, was ich suchte. Es war kein Nachgeben darin. Das Schicksal wollte es so. Ich konnte nur die Achseln zucken und gehen. Auch habe ich es nie bereuen können, daß ich jetzt ging, ohne viel hinzuzufügen; oder wenn ich es auch bereute, so habe ich mir doch keine Vorwürfe darüber gemacht. Jeder Mann in meiner Lage hätte gehandelt, wie ich handelte.«

Ritterhausen sah bei diesen Worten beinahe wie fragend in das Antlitz seiner Tochter. Es war, als sei er gefaßt darauf, von ihr einen Vorwurf zu hören, und er wünschte es, um ihn widerlegen zu können.

Aber Sibylle schwieg eine lange Zeit und dann sagte sie: »Ich kann darüber nicht urteilen und darf es nicht. Aber es ist mir immer eine tiefe Beruhigung gewesen, daß auch Richard keinen Vorwurf gegen dich laut werden ließ, als ich ihn nach dem Tode seines unglücklichen Vaters wiedersah. Hätte er geglaubt, daß eine Schuld an diesem Tode auf dir ruhte, so würde er schwerlich zu mir gekommen sein; und sicherer noch ist, daß er dann nicht hierher zurückgekehrt wäre aus der Fremde und heute das für uns getan hätte, was er getan hat!«

»Er sprach schon damals keinen Vorwurf wider mich aus?« fragte Ritterhausen.

»Nein! Er kam damals, von mir Abschied zu nehmen. Ich versuchte, ihm seinen Entschluß, in die Fremde zu ziehen, auszureden. Ich verwies ihn auf die Hoffnungen, welche das Vertrauen auf Gottes Vorsehung uns in jeder Lebenslage läßt. Er trug kein solches Vertrauen in seiner Seele. Es war früher schon oft Gegenstand des Gesprächs zwischen uns gewesen. Wir dachten völlig verschieden in diesem Punkte. Er wähnte, keinen Glauben zu haben. Er wähnte es. Denn er verstand die leisen Stimmen des Gemüts in der Tiefe seiner eigenen Seele nicht. Ich versuchte es, sie ihn verstehen zu lehren. Aber ich brachte es nicht dahin. Ich war zu jung, zu unerfahren, zu wenig beredt, um es zu können. Es bedurfte eines andern Lehrers – des Lebens, des Schicksals. Und so mußte ich ihn ziehen lassen. Es war eine Art Wette zwischen ihm und mir. Wir nahmen uns vor, das Schicksal über den Gegenstand unserer Meinungsverschiedenheit entscheiden zu lassen. Unser beider Ziel sollte dasselbe sein. Das Haus seiner Väter sollte ihm wieder errungen werden – er wollte es durch seinen eigenen Fleiß, durch seine Kraft allein; ich wollte es hier still abwarten, durch welche Wendung der Ereignisse die Vorsehung das felsenfeste Vertrauen meines Gemüts lohnen werde!«

Ritterhausen schüttelte den Kopf.

»Du bist sonst so klug und klarsehend, Sibylle,« sagte er. »In einem solchen Vorsatze erkenne ich meine vernünftige Tochter nicht wieder.«

»Und doch,« sagte sie mit traurigem Tone, »hat mir der Erfolg noch nicht unrecht gegeben.«

»Da hast du recht,« versetzte Ritterhausen bitter lächelnd. »Er ist wiedergekehrt, aber es hat nicht den Anschein, als sei er wiedergekehrt mit viel Früchten seiner Kraft und seines Fleißes. Er sieht nicht aus wie ein Mann, der reich und schätzebeladen aus einem Lande heimkommt, wo ihm das Glück hold war.«

»Gewiß nicht!« flüsterte sie halblaut.

»Aber du – bist du deinem Ziele näher?« fragte er in seiner scharfen Weise.

Ritterhausen bereute im nächsten Augenblicke diese Worte gesprochen zu haben. Denn helle Zähren schossen plötzlich unter den Wimpern des jungen Mädchens hervor.

»Sibylle,« sagte er beruhigend, »gib dich nicht so deinem Schmerze hin – sei meine starke, entschlossene Tochter, wie du es warest all diese bittern, angsterfüllten Tage her. Es kann ja alles noch gut werden. Du hörtest, wie dieser verdammte hinterlistige Franzose es offen erklärte, daß er uns für nicht schuldig halte!«

»Um Richard schuldig zu halten!« fiel Sibylle ein.

»Allerdings – aber Richards Schuldlosigkeit muß und wird sich herausstellen, und dann ...«

»Wird der Verdacht auf uns zurückfallen!« sagte Sibylle.

»Nein, nein,« entgegnete Ritterhausen, »dem ist die Spitze abgebrochen ... wir werden rein aus dieser Sache hervortreten; vertraue mir und fasse dich, mein Kind. Was gegen uns vorliegt, ist viel zu schwacher Natur, als daß es nicht auch alsdann unzulänglich wäre, eine Anklage gegen uns darauf zu bauen, wenn sich zeigt, daß Richard an allem so wenig teil hat wie das erste beste Kind. Hast du dem Deserteur ein Versteck in der Burg gezeigt, so ist das geschehen noch bevor du ahnen konntest, daß diese Burg einen neuen Herrn bekommen würde. Hatte ich Gründe, diesen neuen Herrn zu hassen, so hatte ich ganz und gar keine, ihn ermorden zu lassen, denn ob er da oben wohnt oder seine Erben, das mußte mir völlig gleichgültig sein!«

Ritterhausen suchte auf diese Weise seine Tochter zu beruhigen ... es war lange her, daß Johann Wilderich Ritterhausen sich soviel Mühe gegeben hatte um irgendeinen Menschen auf Erden willen!

Aber die Tatsachen waren über sein düsteres, menschenfeindliches Haupt nicht fortgegangen, ohne einen tiefen Eindruck zu hinterlassen. Sie hatten ihn gedemütigt und milder gestimmt.

»Ich weiß, daß du Briefe erhieltest von Richard von Huckarde,« sagte er nach einer Pause.

»Ich erhielt im Anfange Briefe von ihm,« entgegnete sie, »aber wenige; in den letzten Jahren erhielt ich keinen mehr. Ich durfte daraus schließen, daß er nichts zu schreiben haben werde, was geeignet sei, mir Freude zu machen.«

»Und die Briefe, welche im Anfange kamen – enthielten sie freudige Nachrichten?«

»Auch sie nicht: aber sie waren voll der besten Hoffnungen!«

»Und was erweckte diese Hoffnungen? Welche Erfolge begleiteten seine ersten Schritte in dem fremden Lande?«

»Er kam ohne Freunde, ohne irgendeinen Anhaltspunkt auf dem Boden dieser eigentümlichen Welt voll neuer Entwicklungen und gärender Elemente und voll Verhältnisse an, für die weder seine Erziehung, noch sein Charakter, noch die Art der Kenntnisse, welche er besaß, eingerichtet waren. Kein Wunder, daß er sich innerlich abgestoßen und aufs tiefste niedergeschlagen in ihr fühlte. Aber mit der Elastizität der Jugend suchte er diesen ersten Eindruck zu überwinden und den Gegenstand einer Arbeit aufzufinden, die seine Hoffnungen verwirklichen konnte. Leider erfuhr er bald, daß die Arbeit, der er sich gewachsen fühlte, nicht die sei, welche man in der transatlantischen Welt begehrte, lohnte und achtete. Indem er stufenweise seine Ansprüche herabstimmte, wurde er endlich Gehilfe eines Gärtners; dann Musikdirigent und Lehrer in einer kleinen, eben im Entstehen begriffenen Stadt: darauf Teilnehmer am Geschäft eines Orgelbauunternehmers; endlich Hauslehrer bei einem Plantagenbesitzer im Süden der Union, eine Lage, in welcher sich seine Ansichten aufzuhellen schienen. Aber das Gelbe Fieber und der unerträgliche Anblick der Sklavenbehandlung um ihn her scheuchte ihn von da fort. Mit den Ersparnissen, welche er in seiner letzten Stellung hatte machen können, erkaufte er sich ein Stück Landes und begann es zu einer Farm umzugestalten. Die angestrengteste Arbeit förderte ihn bei diesem Unternehmen so, daß im zweiten Jahre eine erträglich eingerichtete Blockhütte inmitten eines urbar gemachten Terrains dastand, welches eine reiche Mais- und Weizenernte versprach. Da kam in einer stürmischen Gewitternacht eine Indianerhorde und brannte Hütte und Saaten nieder, und Richard entkam nur durch die Schnelligkeit seines Pferdes ihren vergifteten Pfeilen und Tomahawks. Ein deutscher Genosse, der sein Farmerleben geteilt hatte, wurde von ihnen erschlagen.«

»Weiß Gott – das sind der Wechselfälle genug,« rief Ritterhausen aus. »Der arme Mensch! Und dann?«

»Dann kehrte er in eine der größern Städte im Norden der Union zurück,« antwortete Sibylle. »Dort nahm er seine frühere Beschäftigung, Unterricht in der Musik zu erteilen, wieder auf. Und aus dieser Zeit hatte ich den letzten Brief von ihm ... seitdem keinen mehr!«


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