Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechzehntes Kapitel

Eine nächtliche Fahrt

Unterdes saß Richard von Huckarde in seiner Strafhaft. Er hatte um die Mittagszeit den Gefangenwärter gebeten, ihn in den allgemeinen Saal zurückzubringen, da er noch einmal den Spielmann zu sprechen wünsche; aber er hatte zur Antwort erhalten, daß der Spielmann am frühesten Morgen eine lange Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter und dem Herrn Ermanns habe bestehen müssen, und daß er sodann einen Gendarmeriebrigadier nach der roten Scheuer zu führen gehabt habe. Spielberend kehrte auch nicht wieder in das Polizeigefängnis zurück. Es schien, man hatte ihn entlassen.

Am folgenden Tage erhielt Richard Sibyllens Brief. Sie teilte ihm mit, daß ihr Vater und sie selbst außer Verfolgung gesetzt, sie dankte ihm in den wärmsten Herzensergüssen für die heroische Aufopferung, zu welcher er entschlossen gewesen. Dieser Brief Sibyllens, obwohl er in Richards persönlicher Lage nichts änderte, obwohl er keinerlei Lichtstrahl in das Dunkel seiner Zukunft warf, erfüllte ihn doch mit einer Freude, welche ihm den unaussprechlich trägen Gang der Stunden während der nächsten Tage erträglich machte. Aber freilich, allmählich kehrte die Schwermut, die ihn erfüllte, zurück; er hatte, wie wir schon erzählten, ja schon am ersten andern Morgen nach seiner Ankunft von seinem rechtskundigen Freunde erfahren, daß für ihn keine Aussicht da sei, das geringste von seinem Erbe wieder zu erlangen. Bei den neuen Gewalthabern im Lande hatte er sich keine Gunst erworben – sonst wäre er nicht in diesem Aufenthalte gewesen; und so war es die Frage, ob sie ihn, der seine Bürgerrechte im Vaterlande durch seine Auswanderung aufgegeben, den heimatlosen und besitzlosen Mann, nur überhaupt nach seiner Freilassung hier noch dulden und nicht über die Grenze weisen würden. Er mußte ihnen jedenfalls lästig sein!

Sollte Richard für einen solchen Fall noch einmal die Vermittlung der Gräfin von Epaville anrufen? Er ging mit sich zu Rate darüber. Konnte er es? Mußte nicht gerade ihr, der jetzigen Eigentümerin der Rheider Burg, sein Dasein, sein bleibender Aufenthalt im Lande am meisten unerwünscht und lästig sein?

Sieben Tage der Haft waren endlich vorübergegangen. Der achte kam: Der Gefangenwärter teilte Richard mit, daß er um dieselbe Stunde am Abende entlassen werde, um welche er eingeliefert sei. »Man wird kommen, Sie abzuholen,« setzte der Mann hinzu.

»Wer wird kommen?« fragte Richard.

»Ich weiß es nicht, Einer von den Herren von der Polizei, denke ich. Ich habe den Befehl, Sie nicht zu entlassen, bis man Sie abzuholen kommt.«

Diese Ankündigung war nicht geeignet, Richard zu beruhigen. Sein Herz schlug um so gespannter der Stunde der Freiheit entgegen. Der Nachmittag kam, die Dämmerung nahte – da hörte er hastige Schritte auf dem Korridor vor seiner Zelle. Die Tür öffnete sich und herein trat mit dem Wärter Monsieur Ermanns.

Monsieur Ermanns war äußerst höflich, äußerst gemütlich. Er hatte sich nicht versagen wollen, Richard selbst seiner Haft zu entledigen, die er ihm zu seinem größten Bedauern auferlegt hatte, nur um einem höhern Befehl zu gehorchen, Er bedauerte sehr, daß er ihn nicht jetzt sogleich auch von seiner polizeilichen Gegenwart befreien könne. »Allein,« schloß er, »was ist da zu machen? Es ist eben auch ein höherer Befehl!«

»Wie soll ich das verstehen,« fragte Richard, »Sie werden mich begleiten?«

»Dahin lautet mein Auftrag, Herr von Huckarde; so groß die Ehre ist, welche mir dadurch wird, so lebhaft ist mein Bedauern, daß Sie währenddes sich des vollen Gebrauchs Ihrer Freiheit noch beraubt fühlen müssen!«

»Und wohin begleiten Sie mich? Wohin bringt man mich? Will man mich hier nicht dulden und werde ich wie ein Vagabund zum Lande hinaustransportiert?«

»Ich bitte Sie, nehmen Sie es nicht so auf, Herr von Huckarde. Ich muß Ihnen allerdings gestehen, daß mein Auftrag lautet, Sie von hier fortzubringen ...«

»In Nacht und Nebel hinaus?«

Ermanns zuckte die Achseln.

»Wir werden einen Wagen haben,« sagte er beschwichtigend, »Sie werden in einer guten Postchaise fortgebracht. Gefangenwärter, tragen Sie den Koffer des Herrn in Wagen.«

Der Gefangenwärter gehorchte und Ermanns bat Richard, dem Manne zu folgen. Er trieb die Höflichkeit so weit, mit einer tiefen Verbeugung anzudeuten, daß er Richard den Vortritt lasse. An der äußern Tür des Gefängnisses stand ein Gendarm, der Richard in den bereit stehenden Wagen hob. Ermanns stieg nach ihm ein und setzte sich neben ihn. Der Postillon trieb seine Pferde an, und bald rollte der Wagen im gestrecktesten Trab durch die Straßen der Stadt dahin. Es war unterdes völlig dunkel geworden. Die Wagenfenster waren geschlossen. Richard konnte nicht erkennen, zu welchem Tore man ihn hinauskutschierte. Es war ihm auch völlig gleichgültig, an welchem Punkte der Grenze man ihn aussetzen wollte. Zorn, Wut und Hoffnungslosigkeit im Herzen warf er sich schweigend in seine Wagenecke und schloß die Augen, um der Unterhaltung mit Monsieur Ermanns zu entgehen, der große Lust zu haben schien, trotz des Rädergerassels und Fenstergeklirres die Konversation wieder anzuknüpfen und sie nicht ausgehen zu lassen.

Der Postillon trieb seine Klepper zu gewaltiger Eile an. Rechts und links flogen die dunkeln am Nachthimmel sich abzeichnenden Umrisse von Gesträuchen, Wallhecken, Bäumen, Bauernhütten wie ein flüchtiges Schattenspiel über die Scheiben der Wagenfenster. Ueber die einzeln aufglimmenden Steine am Himmel zogen lange Wolkengebilde und erhöhten die nächtliche Dunkelheit. Nach und nach wurde die Straße, welche man fuhr, hügelig. Richard nahm diesen Umstand anfangs nicht wahr; als sich endlich die Strecken, wo der Wagen langsamer hügelan fuhr, vermehrten und verlängerten, bemerkte er es und wollte Ermanns fragen, nach welcher Himmelsgegend hinaus man ihn denn bringe; aber er schloß stolz die Lippen wieder und warf sich in seine Ecke zurück.

»Nur noch eine kleine halbe Stunde,« sagte Monsieur Ermanns, »und wir sind an dem Punkte angelangt, wo ich Auftrag habe, sie abzuliefern.«

Richard fuhr fort zu schweigen. Der Wagen rollte jetzt mit rasender Eile in ein Tal hinab; die Hufe der Pferde klapperten dann über die Bohlen einer Brücke, rechts und links dämmerte der eisengraue Spiegel eines schmalen Flusses auf. Dann hob sich der Weg wieder bergan; die Pferde pusteten und schnaubten, langsam weiter keuchend. Zuletzt schien die Spitze der Höhe erreicht und auf steinigem, hartem Boden ging es rasch weiter. Die gehetzten Postgäule fielen endlich in einen rasenden Galopp, der den Wagen hin und her schleuderte; blitzschnell flog man durch ein geöffnetes Tor, auf einen Hof und vor ein hellerleuchtetes Gebäude, vor dem eine Reihe Fackeln stammten; der Wagen hielt.

»Wo sind wir?« rief Richard voll Erstaunen aus.

Bevor Monsieur Ermanns antwortete, wurde der Schlag aufgerissen, Richard sprang heraus. Von dem plötzlichen Lichtschimmer geblendet, starrte er auf zwei Reihen riesiger, unbeweglich dastehender Männergestalten, die rechts und links auf den Stufen einer Portaltreppe standen und, flammende Fackeln in den Händen, in diesem Augenblick mit Baßstimmen, welche die grell beleuchteten grauen Mauern hinter ihnen schienen zittern machen zu können, in donnernde »Vivat« und »Hurra« ausbrachen und ihre Mützen dabei schwangen.

So überrascht, so geblendet Richard von diesem Anblick war, er erkannte dennoch in dem hohen, mit grellem roten Lichtschein übergossenen Gebäude den Edelsitz seiner Väter, die Rheider Burg, und in diesen, mit so lautem Jubel ihn bewillkommnenden Männern die derben Schmiede des Eisenhammers.

»Was bedeutet das? Hierher sollten Sie mich bringen?« rief er aus ... aber Ermanns nahm seinen Arm und, indem er ihn die Treppe hinaufzog, sagte er lachend: »Noch einige Schritte weiter soll ich Sie bringen, mein verehrter Baron, bis ins Innere Ihres Schlosses, dort werden Sie offizielle Aufklärung erhalten.«

Oben, unter dem Portal, standen Claus, der Hausmeister, in festtäglichem Anzug und neben ihm der Spielmann, beide nickend, sich verbeugend, lachend und dem Anschein nach sehr geneigt, Richard nicht vorüberzulassen ohne Gruß und Gespräch; aber Ermanns schob sie beiseite und führte Richard die Treppe in den obern Stock hinan. Das ganze Gebäude war reich erleuchtet, mit duftenden Eichenkränzen geschmückt; die Tür des großen Saals stand weit offen; ihre Einfassung war von Blumen umrahmt, und unter diesem Blumenbogen stand Sibylle, in hellen Gewändern, in ihrem reichsten Schmuck, zitternd vor Aufregung, bleich von ihrer tiefen Erschütterung. So streckte sie Richard beide Hände entgegen.

»Sibylle ... du hier!« rief Richard aus, ihre Hände selig mit den seinen umschließend.

Sie war zu bewegt, um reden zu können. Mit Mühe hielt sie sich aufrecht, indem sie ihre Rechte ihm entzog und damit seinen Arm umspannte. So zog sie ihn in den Saal hinein, in welchem der alte Kristallüster flammte und mit seinem Glanz das eigentümlich gespannte, von einer Art spöttischer Heiterkeit leuchtende Gesicht Ritterhausens beschien, der unter dem Kronleuchter stand und mit stoischer Selbstbeherrschung sich an der Rückenlehne seines Armsessels aufrecht erhielt.

Er reichte die linke Hand, die ihm freiblieb, dem Ankommenden hin und sagte»: »Herr von Huckarde, Sie werden uns zugute halten, daß wir uns einige Eigenmächtigkeiten hier in Ihrem Eigentum erlaubt haben ...«

»In meinem Eigentum?« rief Richard mit zitternden Lippen aus, »o mein Gott ... Sie werden in diesem Augenblick nicht meiner spotten, Herr Ritterhausen!«

»In Ihrem Eigentum, Herr von Huckarde – und darum sagt' ich, Sie sollten uns die kleinen Eigenmächtigkeiten verzeihen, welche wir uns haben zuschulden kommen lassen, in der guten Absicht, Ihnen diesen Saal hier und ein paar Zimmer nebenan gleich ein wenig wohnlich zu machen. Sibylle tat es nicht anders, und so hat sie auch zustande gebracht, mich in einer Sänfte auf den Schultern meiner stärksten Hammelgesellen hier herauf zu transportieren. Nun, es ist gottlob! gut gegangen und ich bin froh, daß ich Sie hier begrüßen kann, an der Stelle, wo Sie hingehören, Herr von Huckarde, von Gottes und Rechts wegen, als Herr und Gebieter!«

»Aber erklären Sie mir um des Himmels willen ...«

»Erklärt ist es bald,« sagte Ritterhausen. »Ich habe Burg und Hammer von der Gräfin von Epaville für 150 000 Frank gekauft – in Ihrem Namen, Herr von Huckarde, nur für Sie und in Ihrem Namen. Was die Bezahlung angeht, so lassen Sie sich keine grauen Haare darüber wachsen. Ich biete Ihnen 100 000 Frank an, wenn Sie mir den Hammer überlassen, und 50 000 Frank ist die Aussteuer meiner Tochter, worüber ich ihr die Verfügung immer freigelassen habe; und da Sibylle sich in den Kopf gesetzt hat, es könnte diese Summe vorläufig nicht besser und sicherer angelegt werden als in einer Hypothek auf die Rheider Burg, so stände das Geld zu Ihrer Verfügung! Was meinen Sie zu dem Vorschlag!«

Huckarde wußte nicht, was antworten.

»Ritterhausen, was tun Sie an mir?« sagte er mit gepreßter Brust.

»Danken Sie mir nicht, Herr von Huckarde, nur das nicht,« fiel Ritterhausen ein. »Was ich an Ihnen tue? Nichts, gar nichts – Sie wissen, ich bin ein alter eingefleischter Egoist. Ich habe eine Schuld gegen Ihren Vater auf dem Herzen, Richard, eine Schuld der Härte und der Rücksichtslosigkeit ... und nun will es das Schicksal, daß ich Gelegenheit finde, etwas davon abzuschütteln, das heißt, wenn Sie gegen mich alten Mann die Güte haben, es sich so gefallen zu lassen... Glauben Sie mir, Herr von Huckarde, zu danken brauchen Sie mir nicht!«

Ritterhausen sprach dies mit einer ungewöhnlichen Feierlichkeit, so daß man sah, es kam ihm tief aus seinem Herzen.

»Nicht mit Worten ... wie könnt' ich danken mit Worten,« sagte Richard, »aber,« fuhr er fort, Sibyllens Hand ergreifend, »durch die Tat, durch ein Leben, das ich Ihrem Kinde weihe.«

»Den Dank nehme ich an,« fiel Ritterhausen ein. »Und wahrhaftig, Sibylle hat es ein wenig um Sie verdient. Sie hat gespart und gesorgt und ihr Auge hat diese Burg umkreist wie ein Falke seine Beute, bis der Augenblick gekommen, diese Beute zu erfassen.«

Und damit legte Ritterhausen seine Tochter in Richards Arme, der sie mit feuchtschimmernden Wimpern an sein Herz preßte.

Sibylle löste sich nach einer stummen Pause sanft von Richard los; sie faßte in jede ihrer Hände eine der seinen und indem sie ihm tief und klar in die Augen schaute, sagte sie mit vor Rührung bebender Lippe: »Und nun, Richard, wer von uns zweien hat nun recht gehabt: wer ist an das Ziel gekommen, nach dem wir beide strebten? Du mit deiner stürmischen und verwegenen, sich selbst allein vertrauenden Kraft – oder ich mit meiner stillen Ergebenheit in Gottes Fügungen, mit meinem vertrauenden Fleiße? Du hast das Gemüt von dir gestoßen und ich habe es in mir gehegt. Ist es nun nicht gut, daß ich es gehegt habe, und daß du in dieser Stunde es wiederfindest, ganz und unversehrt?«

»Brauch' ich dir zu antworten, Sibylle ... in diesem Augenblick, wo ich fühle, wie wunderbar die Hand Gottes über mir gewesen ...«

»Kinder,« fiel hier Ritterhausen ein, der dieser Rührung ein Ende zu machen wünschte und auch das Aufrechtstehen nicht mehr aushielt, »bedenkt, daß ihr, so Gott will, eine lange Ehe vor euch habt, um diese Streitfrage gründlich zu erörtern. Für jetzt, denke ich, begeben wir uns ins Nebenzimmer, denn ich sehne mich nach dem kleinen Bankett, welches Sibyllens Fürsorge darin bereit hält, und namentlich nach dem Toast, den unser beredter Freund, Herr Ermanns, dabei auf euch ausbringen wird. Aber wo ist er denn? Er hat sich bescheidentlich zurückgezogen – hole ihn herbei, Sibylle, er darf nicht fehlen, er hat viel zu prompt deine Aufträge ausgeführt, als daß wir nicht ihn herbeizögen zu unserm Versöhnungsmahl zwischen Kraft und Gemüt, zwischen uns und unserm Gewissen und der großherzoglich belgischen Polizei!«

» Me voilà.« rief hier Monsieur Ermanns aus, der die letzten Worte Ritterhausens vernommen hatte und eben eintrat – und Ritterhausen unter den Arm fassend, um ihn in das anstoßende Gemach zu führen, flüsterte er diesem ins Ohr: »Nach einem Versöhnungsmahl zwischen mir und meinem Gewissen sehne ich mich auch, mein verehrter Herr Ritterhausen.«

»Und weshalb liegen Sie mit Ihrem Gewissen im Streit, bester Herr?« fragte der Hammerbesitzer.

»Deshalb, weil ich der Gräfin geraten habe, Ihnen den Handel so leicht zu machen. Sie hätten 100 000 Frank mehr zahlen können.«

»Glauben Sie?« versetzte Ritterhausen spöttisch lächelnd.

»Die Besitzung wäre es wert gewesen! Hätte ich nur gewußt, wie sehr Sie danach verlangten!«

»Ja, aber Sie wußten es nicht!«

»Freilich! Was soll man da machen?« sagte Monsieur Ermanns.

»Auch,« fuhr der Hammerbesitzer fort, »ist Wert ein relativer Begriff. Ist die Besitzung für mich vielleicht einige tausend Frank mehr wert, als ich dafür zahle, so ist damit nicht gesagt, daß sie es für die Gräfin ebenfalls sei.«

»Freilich, damit will ich mich trösten,« entgegnete Monsieur Ermanns, indem er den Platz einnahm, welchen Sibylle ihm andeutete – denn sie waren jetzt in dem hellerleuchteten Zimmer angekommen, worin das junge Mädchen ihr kleines Festmahl mit dem schönsten alten Porzellan, den prächtigsten alten geschliffenen Gläsern und den blendendsten Gedecken angerichtet hatte, das alles überströmt von dem Lichte der Kerzen auf den gewundenen silbernen Leuchtern, die ein wahrer Ausbund von kuriosem Rokoko waren. – »Damit will ich mich trösten,« entgegnete Ermanns, »denn ich wüßte wirklich nicht, was die gute kleine Gräfin mit diesem verwunschenen Schlosse gemacht hätte – es wäre denn, sie hätte die Absicht gehabt, es aus reinem Edelmut fortzuschenken ...«

»Fortzuschenken? dazu schien sie mir nicht gerade in der Lage,« fiel hier Richard ein, der eben seinen Platz neben Sibylle genommen hatte.

»Wer weiß, was sie dennoch imstande gewesen wäre zu tun,« versetzte Ermanns mit einem schlauen Lächeln, »es wäre vielleicht ganz allein nur darauf angekommen, daß Sie ihr etwas mehr den Hof gemacht hätten, Herr von Huckarde!«

»Ich?« fragte Richard verwundert.

»Und das haben Sie nicht geahnt?«

Richard zuckte die Achseln.

»Sie hatte außerordentlich gütige Absichten für Sie,« fuhr der Polizeibeamte fort, »sie wollte Ihnen die ganze Verwaltung ihres Vermögens übergeben ... ich glaube, sie sah in Ihnen das künftige Faktotum ihres ganzen Lebens!«

Da Ermanns bei dieser Mitteilung spöttisch auflachte, so blickten ihn Richard und Sibylle mit großer Verwunderung an; Ritterhausen aber fiel mit seinem ganzen Ernst ein: »Wenn sie so gute Absichten hatte, diese arme Gräfin, so wollen wir nicht darüber spotten, daß dieselben fehlschlugen. Wir wollen lieber darauf zurückkommen, daß die Gräfin doch einen guten Handel machte, indem sie einen Besitz losschlug, der ihr wenig eingebracht und sehr viel Kosten gemacht hätte; denn wer glaubt, er könne sich hier bequem niederlassen und sein Tagewerk werde darin bestehen, daß er die von allen Aeckern, Wiesen und Wäldern zuströmenden Einkünfte einstreiche, der irrt ganz gewaltig. Es wird Geld, Mühe, Sorge genug kosten, bis die Rheider Burg in dem Zustande ist, daß sie wieder namhafte Einkünfte abwirft. Es gehört ein Mann dazu, der eine volle Arbeitskraft, Ausdauer und einen guten Verstand von solchen Angelegenheiten mitbringt. Und so, meine ich, haben sich die Dinge ganz vortrefflich gefügt, daß mein teurer Sohn Richard für einige Jahre übers Weltmeer gegangen und von den Wellen des Lebens gleichsam an einen ganz fremden Strand geworfen ist, um da sich umzutun und zu lernen, wie ein Mann seine Arme gebraucht. Denn wenn es Ihnen da drüben auch nicht gelungen ist, das Haus Ihrer Väter wiederzuerobern, hier werden Sie noch immer Gelegenheit haben, es sich im rechten und besten Sinne neu zu erobern. Und was Sie drüben lernten, wird Ihnen dabei verdammt gut zustatten kommen, Richard!«

»Ich hoffe es,« entgegnete Richard.

»Hier hätten Sie es nicht gelernt,« fuhr Ritterhausen fort. »Sie lebten hier befangen von einer gewissen überlieferten Art und Weise, solch ein Gut zu bewirtschaften und mit dieser Art und Weise wären Sie keinesfalls lange fortgekommen. Ein bedeutender Besitz wird nur erhalten durch dieselben Mittel, wodurch er erlangt wird. Es ist nicht zu leugnen, daß solche Besitzungen wie diese in alten Zeiten von den Vorfahren meist durch große Anstrengungen, kluge Benutzung der Umstände und zähe Sparsamkeit errungen sind. Wenn nachfolgende Geschlechter dies aus den Augen lassen und vergessen, daß uns Menschenkindern nichts im Schlafe geschenkt wird, sondern daß wir für die Güter des Lebens unsere Lebenskräfte einzusetzen haben, so kommt eine Zeit, wo irgendein armer Enkel dafür büßen und alles aufbieten muß, um nicht den Untergang über das hereinbrechen zu lassen, was einst groß und glänzend war.«

»Da haben Sie sehr recht,« fiel hier Richard ein, »nur in dem kann ich Ihnen nicht beistimmen, daß Sie diesen Enkel arm nennen. Wenn es ihm gelingt, zu behaupten, was ihm bestritten wird, wenn er wie ein tapferer Ritter den Angriff und Sturm der Widerwärtigkeiten und Gefahren auf seine Mauern abschlägt, so ist er jedenfalls um seines Bewußtseins willen mehr zu beneiden als der, welcher in ewigem Frieden ohne Verdienst seine Tage verschlummert.«

»Richtig,« versetzte Ritterhausen, »und um solche Art Ritterschaft zu erlernen, mag just Ihr Amerika das rechte Land sein, obwohl es sonst von allem Ritterwesen wenig hält und wenig wissen will.«

»Und so wäre es denn eine Art von Waffenwache gewesen,« bemerkte hier Sibylle, »eine Waffenwache, um den Ritterschlag zu erhalten, wenn Richard in den Urwäldern sich ein Blockhaus baute, hundertjährige Stämme ausrodete und Mais und Weizen säete.«

»Gewiß,« sagte der Hammerbesitzer, »wenn er jetzt den alten Besitz seiner Familie neu antritt und neu in Blüte zu bringen sucht, wird er erfahren, wie vortrefflich diese Vorschule für ihn war.«

»Und,« fiel hier Sibylle ein, »soll man da nun nicht glauben, daß es die Vorsehung war, welche ihn in eine Schule sandte, deren er bedurfte?«

Richard zog bei diesen Worten zärtlich seine Braut an sich und blickte, ihr gerührt lächelnd in das feuchte Auge – Ritterhausen aber erwiderte nickend: »Du hast wenigstens keinen Grund, es nicht zu glauben, mein Kind – um so mehr, da man auch etwas Providentielles darin sehen könnte, daß Richard seine Farmerlehrjahre in der Nähe eines zur Wachsamkeit herausfordernden Stammes von Rothäuten durchmachen mußte.«

Ritterhausen blickte bei diesen Worten sehr sarkastisch auf seinen Nachbar, Monsieur Ermanns.

»Ich sehe, daß sich darunter eine kleine Bosheit gegen mich verbirgt,« sagte der Polizeibeamte, »aber auf Ehre, ich habe keine Ahnung, was es sein kann!«

»Nun, ich bin weit entfernt,« versetzte der Hammerbesitzer, »die liebenswürdige Nation, welcher Sie sich angeschlossen haben und die durch ihre ausgezeichnete Zivilisation uns arme Deutsche so weit übertrifft, wilden Indianern zu vergleichen; aber ich bin doch der Ansicht, wenn Sie es nicht übel deuten werden, daß sie doch so ungefähr wie raubsüchtige Wilde über uns gekommen ist, weil wir eben nicht wachsam und auf der Hut waren; daß zwischen uns und ihnen kein Friede sein wird, so wenig wie zwischen Rothäuten und Weißen und daß wir eines schönen Tages wieder mit ihnen einen hübschen Strauß bekommen werden, wo es einem deutschen Manne von Nutzen sein wird, wenn er gelernt hat, mit Büchse und Messer sein Haus und seinen Herd wider Räuber und Wilde zu verteidigen!«

»Still, still,« lief hier Ermanns aus, »ich darf solche ethnographische Betrachtungen nicht anhören, mein Herr Ritterhausen – lassen Sie uns lieber in Frieden jetzt den Festtoast auf unser vortreffliches junges Paar ausbringen!« –

Während so die Herrschaft oben in den Räumen der Rheider Burg sich unterhielt und, da der Ernst dessen, was alle in der jüngsten Zeit erfahren, doch zu groß war, um eine scherzende Heiterkeit aufkommen zu lassen, bald dazu überging, Richard zum Erzählen seiner transatlantischen Erfahrungen aufzufordern – währenddessen waren unten in Claus Fettzünslers braungeräucherter Stube Berend der Spielmann, der Lügenschuster Mathias von Hebborn und der Hausmeister nebst einigen der Hammergesellen um den runden Tisch versammelt, der in der Mitte stand und von den Flammen des brennenden Kamins so malerisch beleuchtet wurde, wie es ein Liebhaber greller Nachtstücke nur wünschen konnte. Der Schein des Feuers spiegelte sich in den runden Bäuchen einiger umfangreichen Krüge und hellen Deckelgläser, welche Claus Fettzünsler nicht säumig war, aus einem kleinen Fasse voll vortrefflichen Bieres zu füllen, das im Hintergrunde auf zwei zusammengeschobenen Stühlen ruhte; und da des Hausmeisters nicht gewöhnliche Geschicklichkeit im Herstellen schmackhafter Pfannkuchen und anderer einfacher und landesüblicher, aber sehr nahrhafter Gerichte sich heute in vollem Maße betätigt hatte, so fehlte dem Kreise dieser wackern Männer nichts, um sie in den Zustand einer Heiterkeit zu versetzen, auf welche bei Berend und Mathias selbst die noch sehr frische Erinnerung an das Düsseldorfer Polizeigefängnis keinen trüben Schatten werfen konnte. Die Worte flogen hinüber und herüber und es war, als ob sie über dem Tische sich begegneten und aneinander anprallten wie lustig aneinandergeschlagene metallene Becken; es war in der Tat ein Lärm, wie ihn nur eine tolle Beckenmusik jemals hervorbrachte. Jeder erzählte, was er jüngst erlebt und was sein Anteil gewesen an den merkwürdigen Geschichten der letzten Tage. Heinrich, der wackere Hammergesell, war reich an Verwünschungen des sakrischen Franzosen, den er den hinterlistigsten, heimtückischsten aller Sterblichen nannte, dieses Polizisten, welcher ihn auf eine unchristliche und teuflische Weise zum Zeugen wider seine eigene Herrschaft gepreßt hatte; auch bezeugte er eine mit den Quantitäten Flüssigkeit, die er zu sich nahm, wachsende Lust, diesem verräterischen Menschen auf seinem Heimwege aufzulauern und ihn die ganze schreckbare Wucht bergischer Hammerschmiedsfäuste fühlen zu lassen. Mathias von Hebborn unterhielt die Gesellschaft von einigen höchst fabelhaften Ereignissen, welche dem jungen Herrn von Huckarde in den Urwäldern Amerikas begegnet sein sollten, wie er aus dessen eigenem Munde vernommen haben wollte, und suchte die falschen Vorstellungen Claus Fettzünslers über die wilde Kultur einiger Indianerstämme zu belehren, von denen er behauptete, daß sie mit Vorliebe ihre eigenen Großeltern in einer Sauce von Krokodilhirn und Seehundstran äßen; sowie ferner, daß nichts über die Seltsamkeit ihrer Hochzeitsgebräuche gehe, welche darin beständen, daß der Bräutigam die sämtlichen Kohlen des Feuers verschlucke, auf welchem die Braut ihm das erste Süpplein gekocht habe. Nur Berend der Spielmann saß ziemlich schweigsam mit seinem bleichen Kopf und den wasserblauen Augen zwischen den geröteten und erhitzten Gesichtern der Männer, bis der Lügenschuster begann ihn zu necken.

»Spielberend,« sagte er, ihn an den Arm stoßend, »bist du etwa damit beschäftigt, Geister zu sehen, daß du so still über den Tisch weg in die Flamme blickst?«

Der Spielmann schüttelte den Kopf.

»Es ist nur schade, daß die Geister dir immer nur kommen, wenn es ihnen gefällt,« fuhr Mathias von Hebborn fort, »und nicht, wenn es dir gefällt. Sonst ...«

»Sonst ... was wäre sonst?« fragte Berend fast wie mechanisch und ohne seinen Blicken eine andere Richtung zu geben.

»Ich warte nur,« entgegnete der Lügenschuster flüsternd, »bis Claus dort aus der Ecke vom Fasse mit den Krügen, die er füllt, zurückkommt und uns hört – wir wollen ihm etwas mit Geistergeschichten einheizen – er tut dann die ganze Nacht kein Auge zu vor Angst. Seit der Mordgeschichte, die er hier erlebt hat, ist der Mann ganz schwach im Hirn geworden.«

Berend gab kein Zeichen, daß er in der Stimmung sei, auf diesen Scherz einzugehen; aber der Lügenschuster ließ sich nicht stören und da Claus Fettzünsler in diesem Augenblicke zurückkam, um zwei frischgefüllte Krüge auf den Tisch zu setzen, fuhr er laut fort: »Sonst, Berend, solltest du einmal alle die Geister hier in die Kammer rufen, die in diesem alten Bauwerk spuken gehn – den Mann im roten Rock, der seinen Kopf unter dem Arm trägt, und die Nonne in der grauen Kutte, die kein Gesicht hat; und den dreibeinigen Hasen nicht zu vergessen, der auf dem Bergweg zwischen der Burg und dem Hammer den Leuten, die um Mitternacht daherkommen, zwischen den Füßen durchrennt ...«

»Larifari,« rief hier Claus Fettzünsler mit einiger Heftigkeit aus, »es ist alles dummes Zeug; ich habe eine hübsche Reihe von Jahren in diesen alten Mauern gewohnt; aber ich habe weder bei Tag- noch bei Nachtzeit jemals etwas darin gesehen, was einem Geist ähnlich sah!«

»Gesehen, Claus, gesehen ... das will nichts sagen,« schrie der Lügenschuster dagegen, »das mag an deinen Augen liegen und würde wohl ganz verdammt anders sein, wenn du Spielberends Augen hättest; aber daß du dafür nicht desto mehr gehört hast – das wirst du uns nicht aufbinden wollen!«

»Gehört? Was soll ich gehört haben,« rief Claus mit einer Wärme und einem Eifer, die hinreichend andeuteten, wie sehr seine ganze Seele bei diesen Gesprächen beteiligt war, »ich habe den Wind in den Kaminen und Schornsteinen heulen, ich habe alte, aus den Angeln gerissene Fensterläden klappern oder die Eulen draußen von den Dächern schreien hören ...«

»So,« fiel Mathias ein, »die Eulen von den Dächern schreien? ... Das wäre alles? Es ist eine verflucht unheimliche Musik, bei der es einem kalt über den Rücken läuft, wenn solch ein Kauz sein ›Uhu!‹ durch den Nachtwind schreit ... aber ich will es zehnmal lieber anhören, als wenn mitten in der Nacht schwere Schritte die Treppe nach oben hinaufgehen, langsam und wuchtig, daß man's bis in den fernsten Winkel des Hauses vernimmt; während man doch weiß, daß es nichts Sichtbares und nichts Greifbares ist, was da hinaufwandelt und ebenso wieder hinabkommt, sobald die Turmuhr eins schlägt!« – Claus Fettzünsler wollte etwas erwidern, aber der Spielmann machte eine abwehrende, gebieterische Bewegung mit der Hand.

»Sprecht mir nicht von euern Geistern,« sagte er, »ich könnte versucht werden, euch mehr von Geistern zu erzählen, als genug wäre, euch den Spaß dieses Abends zu verderben – mehr als ihr hören wolltet und mehr jedenfalls, als ihr mit euerm dummen Verstande fassen könnt!«

Der ernste Ton, worin der Spielmann diese Worte sprach, machte die Gesellschaft umher stille aufhorchen, nur Mathias, der Skeptiker, antwortete lächelnd: »Nun, Spielberend, ich denke, darauf könntest du's wagen. Wenn ich zwischen einem guten kräftig gebrauten Trunk – die gehörige Quantität vorausgesetzt – auf der einen Seite und einem Geist auf der andern Seite sitze und beide streiten sich um mich, so daß mich der eine lustig und der andere betrübt machen will – ich meine der Krug mit dem Bier wird immer die Oberhand behalten. Also heraus mit deinen Geistern! Wo sind sie?«

»Sie sind überall,« versetzte der Spielmann, starr in die Flamme blickend, während seine Züge sich zu verlängern, seine Augen mit dem feuchten Glänze sich zu vergrößern schienen, »sie sind überall; sie ziehen draußen über die Heide daher und über die Felder, über Abgründe und über Flüsse da, wo keine Brücken, und durch die Mauern der Städte, wo keine Tore sind. Sie wallen, wie die feuchten Nebel, die über den Wiesen stehen, daherwallen, wenn der Wind sie erfaßt; sie flattern dicht über den Boden des Blachfeldes und hoch über die Wipfel des Waldes fort. Sie ziehen in großen langen Scharen; es dauert stunden-, es dauert tagelang, bis sie vorübergezogen; es sind böse Geister, Geister, die furchtbare Waffen schwingen, mit denen sie unterdrücken und töten, vernichten und verderben wollen. Sie ziehen aus von Niedergang und stürmen weit, weithin gen Aufgang, immer weiter und weiter in unabsehbare Fernen, die weiß sind von Schnee und rot werden vom Blut, das sie färbt, und von den Flammen, die an ihrem Horizont lodern. Und es werden Schlachten geschlagen und Tausende und Abertausende bedecken die weißen Ebenen, gemordet, zerfleischt, erwürgt und zerrissen. Von der Hand des Rächers getroffen, wie dürre Blätter, die der Sturmwind peitscht, kommen sie zurück; die zahlreich waren wie der Sand am Meere, kommen heim in einzelnen gelichteten Haufen; die auszogen zu vertilgen, fliehen vor den Vertilgern; die stolz waren auf den Sieg, jammern unter den Streichen des Siegers!«

»Und das siehst du alles in der Flamme vor dir tanzen,« rief hier Mathias aus, indem er die tiefe Stille, welche eingetreten war, mit einem etwas erzwungen lautenden Gelächter zu verscheuchen suchte.

Aber die wuchtige Faust Heinrichs, des Hammergesellen, legte sich auf seine Schulter und Heinrich flüsterte mit großem Gleichmut aber ebensoviel Bestimmtheit: »Wenn du nicht ruhig bist und still zuhörst, was er reden wird, werf' ich dich vor die Tür, Schuster!«

Mathias von Hebborn schien nicht für tätlich zu finden, diese Erklärung als casus belli aufzunehmen; er schwieg gleich den andern.

»Ich sehe noch mehr,« fuhr der Spielmann fort. »Ich seh' sie gen Niedergang fliehen, die von der Hand Gottes gezüchtigt sind; sie sind verweht und verschollen, und die Zeit des Friedens kommt, wo der Mensch das Feuer zu seinem Diener macht und es an seinen Webstuhl, an seinen Wagen, an seine Schiffe spannt; wo die Herzen enge werden und die Gewissen weiter als die ausgespannten Flügel des Geiers. Es ist Frieden allüberall; aber in den Menschen ist kein Frieden, und der Satan säet seinen Samen in die Furchen, die der Pflug durch fruchtbare Aecker zieht, da wo jetzt Sand ist und Wald und die weite wilde Heide. Das Unkraut wuchert auf und schießt in Blüte und reift; und der Satan kommt zu ernten, was er gesäet hat, die reife Frucht des Hochmuts, der Empörung und der Habgier; er kommt zur Ernte mit hunderttausend Sicheln, die in den Händen grimmiger Feinde blinken, ihre Mordgewehre und Waffen, Die Enkel der Gezüchtigten haben das Strafgericht Gottes vergessen. In Scharen, zahllos wie die ihrer Väter, kommen sie abermals dahergezogen, die Welt zu unterjochen und den Menschen ihr Gesetz zu bringen; wieder wälzt sich der Westen einher über Berge und Täler und Ströme. Der Rauch und der Staub und der Dampf der Schlacht umhüllt sie: es ist ein grausames Morden und ein Geruch von Blut weithin über das Land; aber nicht weiße Felder färbt das Blut, sondern die grünen Hügellande von Berg und die rote Erde, die zwischen den Flüssen liegt. Drei Tage dauert das Morden, drei Tage lang strömt das Blut und die Bäche treten über, von dem roten Lebenssaft geschwellt, der dahinströmt aus den brechenden Herzen der Tapfern. Wer der Sieger sein wird, ob der Herr wird herrschen auf Erden oder der Dämon, ob der große Adler der Gerechtigkeit oder der Hahn des Hochmuts – wer kann es sagen? Nur der Seher sieht es: er sieht, wie aus den Lüften das rächende Schwert Gideons blitzt, mit dem der Würgengel Asrael aus den Wolken niedersteigt – er sieht, wie die Stolzen fallen und die Lügner gezüchtigt werden, und wie ihre Leiber den Raben zur Sättigung, den Würmern zum Fraß und den Menschen zum Abscheu werden, und wie die Guten auf Erden sich freuen und sich die Hände reichen zum festen Bund der Einheit und auf ihrem Schild erhöhen den starken Monarchen, den großen Kaiser der Zukunft und des Völkerfriedens.« – –

Der Spielmann schwieg; er sank wie ermattet in sich zusammen, stützte das Kinn auf beide Arme, die er auf seine heraufgezogenen Knie stemmte, und so sah er vor sich hin, als ob er noch immer in die Phantasmagorie versunken sei, die er vor sich entrollt gesehen zu haben behauptete. Hatte er beabsichtigt, auf seine Umgebung einen tiefen Eindruck hervorzubringen, so war ihm dies augenscheinlich gelungen; die Männer sahen sich eine Weile schweigend und mit einem mehr verlegenen als vom Herzen kommenden Lächeln an, das inneres Betroffensein und jenes stille Grauen nicht verdecken konnte, welches jedesmal den Menschen ergreift, wenn eine kühne Prophetenstimme mit dem Tone voller Zuversicht vor seinem Auge die Gestalten und Ereignisse heraufbeschwört, von denen sie behauptet, daß sie aus der fernen Dämmerung der Zukunft drohend auf uns zuschreiten. Sie saßen still umher, die eben noch so lauten und lärmenden Gäste Claus Fettzünslers; man hörte jetzt das Knistern der Flamme, welche den hastig bewegten Schein auf ihre kräftig geschnittenen und ausdrucksvollen Zuge warf, und so die charakteristische Schlußgruppe unserer Erzählung beleuchtete, vor der wir langsam den verhüllenden Vorhang niederrollen lassen.

 

Ende


 << zurück