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Siebentes Kapitel

Der Hammer erhält einen neuen Gast.

Die Nachricht von dem, was auf der Rheider Burg vorgefallen, konnte nicht anders als sich mit größter Schnelligkeit in der Gegend verbreiten, und nach dem Hammer war sie bereits vor Mittag gelangt. Welchen Eindruck sie hier machte, brauchen wir nicht zu schildern. Ritterhausen sprach sofort einen Verdacht gegen den unschuldigen Franz, den Reitknecht aus, als den, der allein die Nacht mit seinem unglücklichen Gebieter in der Burg zugebracht. Denn auf den alten hinkenden Claus konnte kein Verdacht fallen. – Völlig wie niedergeschmettert zeigte sich jedoch Sibylle; ihr erster Gedanke war natürlich der an den Deserteur, dem sie in der Rheider Burg ein Versteck angewiesen hatte ... und so empfand sie gleich im ersten Augenblick etwas wie einen Aufschrei des sich schuldig fühlenden Gewissens in sich. Sie war totenbleich geworden bei der Nachricht, sie hatte nur mühsam sich so weit beherrscht, um mit anscheinender Gemütsruhe an dem Hin- und Herreden, was darauf folgte, teilzunehmen – dann hatte sie sich entfernt und, unfähig, ihre Unruhe zu bezähmen, war sie, ohne jemand davon zu sagen, fortgeeilt, über den Fluß, die Bergwand zum Schlosse hinan. Sie wollte versuchen, den Hausmeister zu finden, von ihm zu erfahren, ob der Deserteur sich in der Tat noch während der letzten Nacht im Schlosse aufgehalten habe und ob Claus auch glaubte, was dann allerdings das Wahrscheinlichste, daß er der Täter sei.

Aber als Sibylle oben angekommen war, fand sie auf dem Raume vor der Rückseite des Gebäudes mehrere Neugierige versammelt, Menschen aus der nächsten Umgegend, die, auf den benachbarten Feldern arbeitend, bei der Nachricht von dem, was sich in der Rheider Burg ereignet, herbeigekommen waren. Der Eingang in das Gebäude durch den Turm auf der rechten Seite des Hauses, derselbe, durch den Sibylle unlängst den Deserteur hineingeführt hatte, war von innen verriegelt. Von den Leuten vernahm Sibylle, daß im Innern des Schlosses bereits Gerichtspersonen, der Friedensrichter des Kantons, der Maire eingetroffen seien und daß sie den Hausmeister im Verhöre hätten.

Sibylle beschloß deshalb unverrichteter Sache heimzukehren. In ihrem Schuldbewußtsein war es ihr, als ob es auffallen müsse, wenn sie von den untersuchenden Herren heute hier erblickt würde; und so ging sie denn so eilenden Schrittes wie sie gekommen zurück, mit dem Vorsatz, einen ihrer Hammerarbeiter, einen gewandten und zuverlässigen Menschen, in ihr Geheimnis zu ziehen und ihm den Auftrag zu geben, sich unter die neugierigen Gaffer vor der Burg zu mischen und zu harren, bis er eine Gelegenheit wahrnehme, den Hausmeister zu sprechen und ihn nach dem Deserteur zu fragen.

Als sie auf dem Hammer angekommen war, ließ sie den Menschen herausrufen.

Der rußige Kyklope, ein breitschulteriger Mann von riesiger Gestalt, hörte Sibyllens Mitteilung mit großer Spannung an und versprach ihr sodann, sein Bestes zu tun, um ihren Wunsch zu erfüllen.

Im Wohnzimmer Ritterhausens war eben das Mittagsmahl, von dem Sibylle sehr wenig berührt hatte, abgetragen, als die Kunde kam, daß der Großherzog selber auf der Rheider Burg eingetroffen sei, und ein paar Stunden später kamen zwei Fremde auf den Hammer, von denen der eine den Besitzer zu sprechen verlangte, während der andere in der Küche zurückblieb. Der, welcher bei Ritterhausen eingeführt wurde, war ein kleiner schmächtiger Mann, mit einem fahlen farblosen Gesicht, das von einem ergrauten Backenbart umrahmt war, während eine braune Atzel den Rest seines Haupthaares bedeckte. Er trug einen blauen Frack mit goldenen Knöpfen und eine goldene Brille – die ganze Erscheinung kündigte den Beamten an, der den größten Teil seines Lebens über Akten versessen. Seine Bewegungen hatten im Gegensatz zu seiner Gestalt nichts Rühriges, sondern etwas eigentümlich Phlegmatisches, Ruhiges, sein ganzes Wesen etwas Apathisches, das sich auch in feiner Art zu reden ausdrückte.

»Herr Ritterhausen,« sagte er in einem Dialekt, der den Elsässer verriet, »ich komme, Sie mit einer unbescheidenen Bitte zu belästigen. Allein der Dienst zwingt mich dazu. Was soll man da machen! Ich habe das Unglück, ein Polizeibeamter zu sein – nebenbei gesagt die miserabelste und geschorenste Art, sein Brot zu verdienen, welche es geben kann.«

»Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, mein Herr,« unterbrach ihn Ritterhausen, »holen Sie sich einen Stuhl herbei, denn ich selbst kann es leider nicht, wie Sie sehen – dann wollen wir davon reden, wie ich der Polizei zu Diensten sein kann.«

Der Fremde setzte sich, wie es schien sehr ermüdet und sich lange ausstreckend, Ritterhausen gegenüber und fuhr, die Blicke matt im Zimmer umherirren lassend, als ob er dem, was er sagte, nur einen Teil seiner Aufmerksamkeit zuwende, zu reden fort: »Der Großherzog hat mich heute zu sich rufen lassen, um ihn zu begleiten, und oben auf der alten Burg dort hat er die Gnade gehabt, mich mit der genauen Untersuchung des Ereignisses zu beauftragen, welches daselbst in der verflossenen Nacht vorgefallen ist. Ein sehr angenehmes Kommissorium! Aber was soll man da machen! Nebenbei gesagt, ich glaube gar nicht an einen Mord. Die ganze Geschichte macht mir den Eindruck, als wenn der gute Mann, der Graf von Epaville, sich selber in die andere Welt befördert hätte ...«

»Sich selber?« fragte Ritterhausen, »Aber weshalb, um Gottes willen ...«

»Nun, wir von der Polizei erfahren so mancherlei, und was den Grafen angeht, so würde sich meine Ansicht aus unsern Kartons vielleicht gründlicher rechtfertigen lassen, als man gerade ahnt und voraussetzt!«

»Ja, dann freilich,« rief der Hammerbesitzer sehr lebhaft aus. »Es ist auch in aller Welt nicht zu erklären, wer den Mord begangen haben sollte, bei dem es doch offenbar nicht auf einen Raub abgesehen war. Feinde hat sich doch der Graf in den wenigen Tagen seines Hierseins noch nicht gemacht, und wenn auf den Reitknecht, der bei ihm war, nicht vielleicht ein Verdacht fällt ...«

»Der Reitknecht,« fiel der Polizeibeamte, wie müde das eine Bein über das andere schlagend, ein, »ist eine harmlose treue Seele!«

»Nun, dann bin ich ebenfalls sehr versucht, an einen Selbstmord zu glauben,« rief Ritterhausen laut aus.

»Nicht wahr?« sagte der Beamte mit einem langsamen, etwas lauernden Blick über seine goldene Brille fort, den aber der Hammerbesitzer bei der Aufregung, in welche ihn der Gegenstand der Gespräche versetzte, gar nicht bemerkte.

»Gewiß,« fuhr der letztere fort, »es käme nur darauf an, festzustellen, ob die Wunde, welche man an der Leiche gefunden hat, eine solche ist, wie man sie sich selbst beibringen kann. Ein Messer- oder Dolchstich in die Brust – davon redet man ja – scheint mir ganz der Art zu sein.«

»Freilich – aber nebenbei deuten auch Spuren auf eine Erdrosselung hin, die zu dem allein schon tödlichen Messerstich hinzugekommen.«

»Ein blaues Gesicht ...«

»Und geschwollen ...«

»Kann dies nicht auch natürliche Folge des Todeskampfes sein?« fuhr Ritterhausen in derselben Lebhaftigkeit wie bisher fort.

»Nun,« antwortete der Beamte langsam und kühl, »wir werden ja den ausführlichen Bericht der Aerzte erhalten.«

»Unterdes,« bemerkte Ritterhausen, »bitte ich um Ihre nähere Erklärung, worin oder womit ich Ihnen zu Diensten sein kann.«

»Ja, sehen Sie, mein Herr Ritterhausen,« versetzte der Beamte lächelnd, »es ist wohl ein wenig unverschämt, aber ich bin gezwungen, Ihnen so lästig zu fallen. Ich habe den Befehl, zur tätigsten Untersuchung der Angelegenheit an Ort und Stelle zu bleiben. An Ort und Stelle, das ist leicht gesagt! Aber wo soll ich essen, trinken und schlafen? Auf der Burg etwa? Soll ich mich diese Nacht in das Bett des Ermordeten legen? Gott stehe mir bei! Was ist da nun zu machen? Ihr Haus ist das nächste. Sie sehen, ich bin gezwungen, Ihre Gastlichkeit in Anspruch zu nehmen. Es ist gewiß sehr dreist von mir. Ich fühle es sehr wohl, wie unbescheiden meine Bitte ist. Eine Einquartierung, die nicht einmal ein Billett vorzuweisen hat!«

»O,« fiel Ritterhausen mit einer Zuvorkommenheit, die ihm nur eine so ungewöhnliche Veranlassung eingeben konnte, ein, »machen Sie nicht so viel Entschuldigungen, mein Herr. Betrachten Sie mein Haus ganz als das Ihrige. Bei einem solchen Vorkommnis hat jedermann die Pflicht, das Seinige zu tun, damit ...«

»Hoffentlich nur auf ein paar Nächte werde ich beschwerlich fallen,« unterbrach ihn der Beamte. »Ich bin ein sehr anspruchsloser Mensch, und für eine kleine Stube, nebst irgendeinem Dachkämmerchen für meinen Schreiber, der draußen in der Küche sitzt, werde ich Ihnen zeitlebens verpflichtet sein! Es sind eben, wie Sie ganz richtig bemerkten, die außerordentlichen Vorkommnisse, welche eine so außerordentliche Zumutung entschuldigen müssen ...«

Ritterhausen klingelte, und als eine Dienerin eintrat, gab er dieser den Befehl, sofort das Fremdenzimmer herzurichten und Erfrischungen zu bringen.

»Ich bitte nur ja, daß Sie sich, ohne sich zu genieren, hier einrichten,« sagte er dann zu dem Beamten; »wie Sie sehen, bin ich ein kranker, von der Welt verlassener und einsamer Mann; was kann mir erwünschter sein als ein Gast und dazu,« fügte er lächelnd bei, »einer von den Herren aus der Stadt, vom Hofe, die am meisten zur Unterhaltung eines von der Welt abgeschnittenen Menschen beitragen können.«

»Nun, ich bin nicht gerade vom Hofe,« antwortete der Beamte, »ich heiße Ermanns und bin nichts als ein einfacher Employé – und ich hoffe, wie gesagt, daß ich nur sehr kurze Zeit werde lästig zu fallen brauchen! Denn was diese Untersuchung angeht, so muß ich Ihnen offen gestehen, daß ich eigentlich gar nicht weiß, was da viel zu untersuchen ist. Wir haben den Hausmeister vernommen – man braucht diesen Menschen nur einmal zu sehen und zu hören, um überzeugt zu sein, daß auf ihn kein Verdacht fallen kann. Dasselbe ist mit dem Reitknecht der Fall. Es ist ein Mensch, der schon seit zwei oder drei Jahren im Dienste des Grafen war. Er hat einen guten Lohn bekommen, ist vom Grafen gut behandelt worden, ja, hat dessen besondere Gunst genossen, wie schon daraus hervorgeht, daß der Graf ihn ausgewählt hat, seinen Begleiter hierher zu machen und seine einzige Bedienung zu bilden. Er hat nur Nachteil vom Tode seines Herrn. Auch liest man die deutlichsten Spuren des Schreckens und aufrichtigsten Bedauerns im ganzen Wesen und der ganzen Haltung des Menschen. Nun ist aber dieser Reitknecht der einzige, der diese Tat verübt haben könnte. Die Haustüren der Rheider Burg wurden, so hat der Hausmeister eidlich ausgesagt, von letzterm selber am gestrigen Abende verschlossen; der Reitknecht war der einzige, welcher wieder in die Burg konnte; denn bevor er hinausgegangen, um sich im Nebengebäude, in einer Kammer über dem Pferdestall, zur Ruhe zu begeben, hat er sich einen Schlüssel zur vordern Haustür geben lassen, um am Morgen in der Frühe zu seinem Herrn kommen zu können und nicht von des Hausmeisters längerm oder kürzerm Schlaf abhängig zu sein. Den Reitknecht aber, sahen wir, trifft kein Verdacht; irgendeine Spur, daß ein dritter durch Fenster oder Türen eingedrungen, ist nicht aufzufinden. Geraubt ist nicht das mindeste. Wer also, ums Himmels willen, sollte der Täter sein, wenn nicht der Graf selber? Was ist da nun zu machen? Ich weiß in der Tat nicht, was ich noch lange untersuchen soll! Die nötigsten Vernehmungen sind bereits geschehen; ich denke, um zu zeigen, daß man nicht gleichgültig gegen die Sache ist, läßt man eine Belohnung von tausend Frank für jeden, der etwas Erhebliches und die Untersuchung Förderndes beibringen kann, ausschreiben. Vielleicht fällt aber auch der Bericht der Aerzte so aus, daß nicht einmal dies nötig ist.«

Während der Beamte so sprach und dabei es sich jetzt sehr gemütlich auf dem Kanapee bequem machte, um den Erfrischungen zuzusprechen, die eben von der Dienerin auf den runden davorstehenden Tisch aufgetragen wurden, hatte Ritterhausen mit etwas wie einem spöttischen Lächeln zugehört. Dies verschwand jedoch, als Monsieur Ermanns die Bemerkung machte: »Das alte Schloß dort oben – nebenbei gesagt, es macht sich recht stattlich und malerisch, hier von Ihren Fenstern aus betrachtet – ist ein unheimliches altes Kastell. Der frühere Besitzer, hat man mir mitgeteilt, ist ja ebenfalls auf eine rätselhafte Weise ums Leben gekommen. Ist dem so? Erzählen Sie mir doch davon. Ich bin ein großer Liebhaber von dergleichen alten Geschichten, Ich finde sie viel unterhaltender als die empfindsamen Rittergeschichten und Sagen, die man bei uns im Elsaß – ich bin aus dem Elsaß gebürtig – von jedem alten Schutt- und Steinhaufen auf den Bergen sich erzählt; es ist das albernes Spinnstubengewäsche; Märchen von Heiligen, Legenden und Wunder, welche die faulen Bäuche, die Mönche, in ihren Klöstern erfunden haben, weil sie nichts anderes zu tun hatten. Kein Mensch kann sich daran ergötzen, wenn er nicht einen Köhlerglauben hat. Aber Geschichten aus der neuern Zeit, wo man weiß, die Sache ist wahr, wo man es mit richtigen Leuten zu tun hat, nicht mit Feen oder verrückten Kobolden, die höre ich gern. Besonders Mordgeschichten. Sie nicht auch?«

»Sie haben recht,« erwiderte Ritterhausen ein wenig gedehnt; »ich bitte, unterlassen Sie jedoch nicht, sich von dem Weine einzuschenken, der vor Ihnen steht. Sie werden ihn gut finden.«

»Ganz vortrefflich,« sagte der Beamte, sich einschenkend und ein Glas auf einen Zug leerend und dann wieder sich einschenkend; »darf ich Ihnen nicht auch dorthin zu Ihrem Sorgenstuhl ein Glas bringen?«

»Ich danke, der Wein ist mir untersagt!« versetzte der Hammerbesitzer.

»Da sind Sie zu bedauern,« meinte Monsieur Ermanns. »Wenn ich mich den Morgen mit meinen Akten herumgeschlagen habe und endlich die Stunde da ist, wo wir schließen, so daß man ›gottlob!‹ ausruft und die ekelhaften Schmieralien unter den Tisch werfen kann, dann habe ich das dringende Bedürfnis, mich mit einem Glase Wein zu erfrischen. Aber ich trinke nie viel. Höchstens zwei Flaschen täglich. Leider habe ich solchen, wie den Ihrigen, nicht in meinem Keller. Dazu reicht unser jämmerliches Gehalt nicht. Sie glauben nicht, wie erbärmlich schlecht wir armen Employés gestellt sind! Wenn man uns zweitausend Frank gibt, so glaubt man wunder, was man für uns getan hat und stellt Anforderungen an unsere Arbeitskraft, welche wahrhaft lächerlich sind! Man verschwendet das Geld an das Militär und für uns bleibt nichts übrig; die Zivilverwaltung kann hungern.«

»Das ist nun einmal überall die Klage,« fiel Ritterhausen eifrig zustimmend ein, »Ich fürchte auch, daß unsere Staaten samt und sonders an dieser unverständigen Politik zugrunde gehen. Was ist unsere ganze Kultur, unsere christliche Zivilisation wert, wenn die Enderrungenschaft derselben nicht ein friedliches Zusammenleben der Völker ist? Unsere Regierungen aber richten den Staat ein, als wäre der Kriegszustand das Bleibende, die Regel in der Welt und der Frieden die Ausnahme. Sie verwenden alle Kräfte der Länder auf Kanonen, Musketen, Pferde und Kriegsknechte. Nun wahrhaftig, dann sind wir ja weiter nichts als Türken, die nach dem Koran nie Frieden, sondern nur Waffenstillstand schließen dürfen – wozu ist dann das Christentum und die Bildung da!«

»Ganz meine Meinung,« sagte Monsieur Ermanns; »aber nun bitte ich, erzählen Sie mir doch die Geschichte von dem alten Herrn, der in der Rheider Burg umgekommen ist!«

»Nun,« begann Ritterhausen, auf dessen Gesicht man deutliche Spuren wahrnahm, wie wenig bereitwillig er eigentlich war, auf diese Angelegenheit einzugehen, in gedehntem Tone, »der alte Herr von Huckarde war in sehr übeln Verhältnissen.«

»Schulden?«

»Er hatte sehr viele Schulden.«

»Da sind Sie auch wohl mit einigen Pöstchen zu kurz gekommen?« fragte mit dem harmlosesten Tone von der Welt und gleich als ob er den Hammerbesitzer damit aufziehen wolle, Monsieur Ermanns.

»Ich – o nicht bedeutend! Ich hatte allerdings eine Forderung. Doch habe ich auch später aus dem Nachlaß eine Zahlung erhalten.«

»Es würde mich auch wundernehmen,« fiel der Employé ein, »wenn Sie nicht hätten einiges Blut lassen müssen. Diese Herren Cidevants in der guten alten Zeit waren im Geldborgen bei ihren wohlhabenden Nachbarn nicht blöde. Sie waren dann höchst herablassend gegen den ersten besten Noturier, wenn er nur Mosen hatte und die Propheten.«

»Ich stand nicht auf gutem Fuße mit dem alten Herrn. Wir führten einen Prozeß miteinander.«

»Den er verlor – oder gewann?«

»Gewann!« sagte Ritterhausen.

»Und doch verloren Sie einen Posten an ihn?« fragte Monsieur Ermanns in seiner unbefangenen Harmlosigkeit und sein Glas zum Munde führend weiter.

»Es war eine Summe, die er ursprünglich einem andern schuldete und welche mir übertragen worden war.«

»Ach, ich verstehe,« lachte der Employé. »Sie hatten sie sich übertragen lassen, um ihm damit ein Paroli zu bieten, wenn er über seinen gewonnenen Prozeß zu laut triumphieren würde!«

»Nicht doch,« erwiderte Ritterhausen, sein Gesicht abwendend, »ich hatte mir die Forderung von einem Freunde, der auf der Stelle Geld bedurfte, aufschwätzen lassen.«

»Nun und dann?«

»Dann starb der alte Huckarde und ich habe für meine Forderung erst lange nachher von der bergischen Domänenkammer eine teilweise Zahlung erhalten.«

»Forderten Sie denn die Summe nicht schon von dem alten Schuldenmacher selber ein?«

»Das wohl, er konnte aber eben nicht zahlen.«

»Und gewiß war er ganz unverschämt ruhig und gleichgültig dabei, als er Ihnen erklärte, Sie würden nicht das mindeste von ihm erhalten? Diese alten Junker von ehemals hatten einen neidenswerten Gleichmut, wenn sie die Leute prellten!«

Ritterhausens Gesicht hatte sich immer mehr verdüstert bei den Erinnerungen, in welche die Fragen des Employés ihn versetzten. Doch waren die Ansichten, welche dieser Mann äußerte, im ganzen so übereinstimmend mit den seinigen, daß er keinen Grund fand, sich nicht auszusprechen; im Gegenteil, er fand nach und nach eine gewisse Genugtuung und Befriedigung darin, mit einem Fremden, der im allgemeinen dachte wie er selbst, einmal über Dinge zu sprechen, welche auf seiner Seele lasteten und von denen er mit Bekannten niemals redete.

»So unverschämt ruhig war der alte Huckarde nun doch nicht,« versetzte Ritterhausen darum offen auf des Employés letzte Frage, »Im Gegenteil, er war sehr betroffen. Infolge seines gewonnenen Prozesses glaubte er das Recht zu haben, mir die Pachtung dieses Hammers zu nehmen. Ich ging zu ihm, um ihm begreiflich zu machen, daß es nicht politisch von ihm gehandelt sein würde, nach der ganzen Strenge des Rechts gegen mich zu verfahren, weil ich alsdann auch mein Recht gegen ihn würde zu verfolgen wissen.«

»Sie hätten ihn wegen Ihrer Forderung eingeklagt und exekutieren lassen,« fiel Monsieur Ermanns spöttisch lachend ein. »Sehr gut das – die Geschichte gefällt mir; ich hätte es gerade so gemacht – wahrhaftig! Er hütete sich doch jetzt, mit Ihnen weiter anzubinden?«

»Jeder andere Mann hätte zurückgehalten – aber dieser Huckarde war ein Mensch voll all der Vorurteile seines Standes. Er erklärte mir, er müsse mir die Pachtung des Hammers dennoch nehmen, denn daß er es tun werde, das habe er seit langem schon auf seine Ehre versichert, jedem, der es hören wollte; seine – Ehre dulde es nun nicht anders!«

»Sieh, sieh, sieh! Kann man auf verrücktere Weise sich betragen! Es war ein unverbesserliches Geschlecht, diese Menschen! Er wollte also darauf bestehen, Sie von Ihrer Hammerpachtung zu vertreiben? Welche abscheuliche Rücksichtslosigkeit! Sie hatten gewiß ganz außerordentlich viel in die Besitzung gesteckt, sie verbessert, vergrößert – und trotzdem wollte der unsinnige Tyrann sie Ihnen nehmen?«

»Meine Voreltern haben den Hammer seit undenklichen Zeiten innegehabt. Wir haben ihn nicht allein verbessert und vergrößert, sondern wir haben ihn, darf ich sagen, eigentlich erst geschaffen und gebaut. Vor hundert Jahren mag es ein winziges Ding, eine jämmerliche Anlage gewesen sein!«

»Aber was geschah dann?« fragte Ermanns.

»Der Alte starb eben.«

»Der Teufel holte ihn! Nun, das war das Beste für Sie, denn nun hielten Sie den Hammer!«

»Ich hielt ihn!« antwortete Ritterhausen trocken.

Der Polizeibeamte warf abermals einen eigentümlich forschenden Seitenblick auf den Hammerbesitzer. Dann sagte er gähnend: »Jetzt will ich Sie aber nicht länger belästigen. Da Sie so freundlich waren, mir ein kleines Zimmer einräumen zu lassen, erlauben Sie mir, daß ich mich dorthin zurückziehe. Ich weiß nicht, tut es die außergewöhnliche Anstrengung, die ich mir habe heute zumuten müssen oder ist es Ihr Wein – ich fühle das Bedürfnis, ein wenig zu ruhen.«

»Ganz wie es Ihnen beliebt,« versetzte Ritterhausen, indem er die Klingel rührte und der eintretenden Dienerin befahl, den Herrn auf sein Zimmer zu führen.

Als Sibylle nach einer Weile in die Wohnstube trat und den Vater nach dem neuen Gaste fragte, antwortete dieser: »Es ist ein Monsieur Ermanns, Angestellter bei der Polizei, der sich hier einquartiert, um von hier aus Untersuchungen über die Mordtat vorzunehmen; aber was der ans Tageslicht bringt, wird wahrhaftig blutwenig sein! Ein gemütlicherer Polizeimensch ist mir nie vorgekommen. Trinken und Schwatzen scheinen ihm viel angenehmere Beschäftigungen, als sich mit Morduntersuchungen zu plagen. Er ist überzeugt, daß der Graf Epaville sich selbst ums Leben gebracht hat – diese Annahme hat auch viel für sich; aber es machte mir doch einen beinahe komischen Eindruck, ihn seine Ansicht verteidigen zu hören, denn er war sicherlich nur deshalb dafür, weil ihm die Sache auf diese Weise die wenigste Schererei macht. Er ist nach oben gegangen und hat sich aufs Ohr gelegt, um zu schlafen. Du liebe Zeit! Welche Menschen drängen sich heutzutage in Stellen und Aemter, zehren von unsern sauer aufgebrachten Steuern und stehlen dem lieben Herrgott den Tag ab!«

»Wird er den Abend mit uns speisen?« fragte Sibylle.

»Ganz ohne Zweifel, Er wird sicher mit uns speisen und auch trinken! Du kannst deine Anstalten danach treffen!«

Sibylle hatte von dem Hammerschmied, den sie auf die Burg gesendet, noch immer keine Nachricht erhalten. Sie ging bald wieder hinaus und in den Garten, wohin ihr Bote kommen wollte, um ihr Bericht abzustatten, sobald er von der Rheider Burg zurück sei. Nachdem sie eine Weile im Garten auf und ab gegangen, sah sie den sehnlich Erwarteten denn auch auf dem Fußwege jenseits des Flusses endlich daherkommen und dann über den Steg schreiten, der über dem Gewässer lag. Unruhig bewegt eilte sie ihm durch das kleine Gartentür entgegen und begegnete ihm auf dem Grasrain, der zwischen dem Garten und dem Flußufer lag.

»Hast du Claus sprechen können?« fragte sie in beinahe atemloser Hast.

»Ja, Mamsell Ritterhausen.«

»Und was sagte er?«

»Er sah mich verstört und ängstlich an; der ganze Mensch ist verstört und spricht unsinniges Zeug durcheinander. Als ich von einem Deserteur anfing, rief er, er wisse nichts von einem Deserteur, und ob ich ihn auch ausfragen und ins Verhör nehmen wolle, er sei heute schon genug kujoniert; ich hatte Mühe, ihm verständlich zu machen, daß ich von Ihnen komme und nicht daran denke, ihn zu verraten. Da sagte er endlich, der Deserteur sei ein wunderlicher Gast gewesen, bald sei er im Schloß versteckt, bald fort, draußen im Wald oder der Himmel wisse wo, gewesen und nicht zu Mittag noch zu Abend erschienen. Gestern und heute habe er nichts von ihm gesehen, aber am vorgestrigen Tage habe er ihn gesehen und ihm Abendessen gegeben.«

»Also doch!« sagte Sibylle schwer aufatmend, denn diese Mitteilung war nicht geeignet, die Last zu erleichtern, welche auf ihrem Herzen lag. Ich danke dir, Heinrich, und hier hast du etwas zu einem frischen Trunke. Daß du schweigst, brauche ich dir nicht zu empfehlen!«

Damit wandte sie sich und schlüpfte wieder durch das Gittertörchen in den Garten zurück, wurde aber nicht wenig betroffen, als ihr hier, ganz nahe der Umfassungshecke, der Polizeibeamte, Monsieur Ermanns, begegnete. Er begrüßte sie äußerst höflich und sagte: »Mademoiselle Ritterhausen, wenn ich nicht irre ...«

»Die bin ich,« antwortete Sibylle mit einer kurzen Verbeugung.

»Ich nehme mir die Freiheit, Ihre reizende Besitzung zu besichtigen,« sagte der Employé, »ich finde die Lage ganz ausgezeichnet. Wie schön ist dies kleine Flußtal! Wie malerisch! Und wie romantisch blickt das alte Kastell dort von seiner Höhe herab! Wirklich ein beneidenswerter Aufenthalt hier. Wer hier ruhig seine Tage verleben könnte, frei von all den vermaledeiten Amtsplackereien und Dienstscherereien ...«

»Sie würden es den Winter doch nicht aushalten in solcher Einsamkeit,« versetzte Sibylle, um auf des höflichen Mannes Reden etwas zu antworten.

»Es käme dann freilich ein wenig auf die Gesellschaft an,« erwiderte Monsieur Ermanns lächelnd, »in so guter, wie ich sie hier finde, würde ich einen isländischen Winter hindurch vergnügt sein. Ich liebe das Landleben über alles. Sie erlauben mir ja, daß ich mich ein wenig hier umsehe? Und das Hammerwerk darf ich ja auch wohl betreten? Sie können ganz sicher sein, daß ich keine indiskreten Blicke in Ihre Fabrikationsgeheimnisse werfen werde – ich verstehe nichts davon – aber es interessiert mich, ich habe niemals ein solches Eisenwerk gesehen – und dieser Mann da,« fuhr der Fremde auf den Arbeiter deutend fort, der noch immer im Hintergrunde stand, weil er sich scheute, an den Redenden in dem schmalen Gartenpfade vorüberzugehen, »dieser Mann hat wohl die Gefälligkeit mich zu führen!«

»Geh mit dem Herrn, Heinrich,« wandte sich Sibylle an diesen, »und zeige ihm den Hammer! und dann machte sie dem Employé abermals eine Verbeugung und ging an ihm vorüber dem Hause zu.

»Liebe Leute – die Ritterhausen,« wandte sich der Polizeibeamte nun an den Arbeiter mit einem äußerst freundlichen Gesicht, »man freut sich ordentlich, eine so biedere, solide, wohlhabende Familie zu sehen. Es gibt ihrer wenig solche, mein guter Freund, das kann ich Ihm versichern; unsereins hat Gelegenheit, das zu erfahren. Es ist gar viel Schwindel in der Welt, namentlich in Eurer Hauptstadt Düsseldorf, das ist ein gewaltiges Schwindlervölkchen.«

»Ja,« antwortete der große Hammerschmied gutmütig lachend, indem er neben dem gesprächigen Beamten weiter ging und an der Hecke des Gartens hin den Schmiedegebäuden zuschritt, »das rührt noch aus der Pfälzer Zeit her – die Leute in der Pfalz sind ein lustig Volk und die haben's mit herübergebracht!. Und nun die Franzosen drin sind ...«

»Wird es nicht besser werden, meint Er, ehrlicher Mann? – Nun, Er kann wohl recht haben!« versetzte Monsieur Ermanns. – »Ah, da ist ja wohl der Hammer, lauter solide, tüchtig in stand gehaltene Gebäulichkeiten – das macht einen andern Eindruck, alles was man hier sieht, als das verkommene alte Haus, die Burg wie man hier sagt, da droben!«

»Ja, gottlob!« erwiderte Heinrich.

»Ihr waret wohl schon oben, auch im Innern des alten Kastells?«

»Schon manchmal!«

»Wenn ich recht sah, kamt Ihr eben von da herunter. Mamsell Sibylle hatte Euch einen Auftrag gegeben?«

»O das nicht gerade,« versetzte der Arbeiter ein wenig verlegen.

»So hatte sie Euch eine Botschaft aufgetragen,« fuhr Ermanns fort, »Ihr habt wohl einmal zuhören sollen, welche Wendung die Untersuchung nehme und was die Herren, die heute oben waren, zu dem Fall gesagt haben? Man weiß ja, die Damen sind ein wenig neugierig.«

»Es ist aber doch nicht so,« sagte der Arbeiter, »ich war bloß oben, um dem Hausmeister Claus etwas zu sagen.«

»So, dem Hausmeister Claus – von der Mamsell Ritterhausen? Und was solltet Ihr ihm sagen?« fragte Monsieur Ermanns plötzlich mit einem außerordentlich scharfen Tone.

»Was Mamsell Sibylle mir aufgetragen hat.«

»Was sie Euch aufgetragen hat! Etwa eine Erkundigung, wie Claus geschlafen habe?«

»Das nicht gerade!«

»Kennt Mamsell Sibylle den Claus?«

»Ja, Herr, sicherlich.«

»Kennt sie das Innere der Burg?«

»Gewiß; früher, als Mamsell Sibylle noch ein Kind war und die Huckarde noch auf der Burg wohnten, da ist sie fast alle Tage droben gewesen und hat mit dem jungen Herrn Richard gespielt – dazumal war der Prozeß noch nicht im Gange, und von da her kennt sie die Burg und den Claus gar wohl.«

»Und weil sie so gut und schön ist, geht der alte Claus durch Feuer und Wasser für Mamsell Sibylle?« fragte der Polizeibeamte.

»So wird es wohl sein!« versetzte lächelnd Heinrich. »Besonders, wenn er ein ordentliches Trinkgeld dabei verdient.«

»Also,« fuhr Monsieur Ermanns fort, indem er sich auf dem Platze, wo sie sich befanden, einem zwischen der hintern Seite des Wohngebäudes und den Hammerwerkstätten versteckt liegenden Winkel gemütlich auf einen Haufen Bauholz setzte, welches hier aufgeschichtet lag, »also, nun brauchten wir bloß noch zu hören, was Ihr im Auftrage der Demoiselle dem Hausmeister habt ausrichten müssen, und dann könnten wir weiter gehen, um uns die Hammerschmiede anzuschauen. Ich muß das aber vorher wissen, mein guter Freund, denn dies zu erfahren, bin ich so begierig, daß ich gar kein Vergnügen an dem Beschauen Eurer famosen Eisenfabrik haben würde, ehe ich es nicht gehört!«

»Aber, mein Gott, was geht es Euch denn an?« platzte der Hammerschmied heraus.

»Ja, was geht es mich an! Eigentlich nichts, gar nichts. Da habt Ihr völlig recht. Aber seht, Heinrich – Heinrich heißt Ihr, nicht wahr? – seht, Heinrich, ich bin nun einmal von unserm Herrgott so neugierig geschaffen ...«

»Kann Euch aber doch nicht helfen,« brummte der rußige Mensch, dem des Ausfragens zuviel wurde, »Geht und fragt Mamsell Sibylle selbst, und wenn Ihr's gehört habt, so könnt Ihr nachkommen und in der Schmiede nur nach dem Heinrich fragen, ich will dann schon zur Hand sein und Euch alles zeigen.«

Und damit wendete der Arbeiter dem Employé den Rücken und machte Miene, ihn auf seinem Bauholz sitzen zu lassen, solange er Lust habe.

»Halt, mein Freund,« rief aber jetzt der Beamte in einem sehr schneidenden Tone, »ich muß Euch darauf aufmerksam machen, daß Ihr in einem kleinen Irrtum befangen seid, wenn Ihr nämlich glaubt, ich plaudere mit Euch, um die Zeit gemütlich totzuschlagen. Ihr müßt wissen, daß Ihr vor einer obrigkeitlichen Person steht, welche alle Vollmachten hat, zu tun und zu verfügen, was ihr irgend notwendig scheint, um dem in der Rheider Burg begangenen Verbrechen auf die Spur zu kommen. Wir haben uns bis jetzt ganz freundschaftlich über den Fall unterhalten, und wenn Ihr es wünscht, Meister Heinrich, so fahren wir in dem Tone fort und Ihr erzählt mir nun ganz aufrichtig, zu welchem Ende die Demoiselle Euch soeben da hinaufgesandt hat. Wenn Ihr aber noch länger den Verstockten spielt, dann arretiere ich Euch, lasse Euch geschlossen nach Düsseldorf transportieren, allwo man Euch in ein finsteres Loch wirft, und dort lasse ich Euch einen Tag hungern und den andern mit Wasser und Brot regalieren und den dritten Tag wieder hungern – Ihr habt dann eine kleine Abwechselung, damit Euch das ewige Wasser und Brot nicht gar zu langweilig wird. Das geht so fort bis Ihr schwarz werdet oder bekennt. Ueberlegt Euch deshalb die Sache! Was meint Ihr, wie lange hält ein Mensch, der Eure Leibesgestalt, Eure Knochen und Euern Magen hat, es mit Wasser und Brot in einem dunkeln Loche aus? Acht Tage? Vielleicht. Aber rechnen wir zehn. Länger gewiß nicht. Oder meint Ihr vierzehn? Gut, lassen wir's vierzehn sein. Dann aber seid Ihr mürbe, Freund, das schwöre ich Euch, und kriecht zu Kreuz und küßt dem Teufel den Schwanz, wenn man's von Euch verlangt. Nun, also – wie soll es sein? Wollt Ihr gleich sprechen oder erst solch eine kleine Kur durchmachen?«

Der große Mensch war blaß geworden unter dem Rußüberzug, der sein Gesicht bedeckte, und seine ungelenken Glieder schlotterten vor Schrecken vor dem kleinen schmächtigen Employé, der vor ihm saß und in so freundlich gemütlichem Tone von so haarsträubenden Dingen sprechen konnte.

»Um Gottes willen, wer seid Ihr denn?« stammelte er.

»Ich bin Beamter der großherzoglich bergischen Polizeiverwaltung, mein Freund. Als solcher befehle ich Euch nun zu reden. Und zwar die Wahrheit. Denn das merkt Euch wohl, Ihr werdet das, was Ihr sagt, später beschwören müssen. Darum lügt nicht.«

»Aber, Herrgott im Himmel, was soll ich denn aussagen?« versetzte der Arbeiter und warf die Blicke um sich, wie wenn er sehen wolle, ob er nicht vor dem fürchterlichen Menschen Reißaus nehmen und in irgendein nahes Versteck schlüpfen könne.

»Ihr wollt entspringen? Das würde Euch nichts helfen, Heinrich,« sagte der Polizeibeamte, »wir würden Euch schon fangen; der Hammer ist bewacht von allen Seiten. Nun aber heraus mit der Sprache,« fuhr er, wieder in seinen gebieterischen und drohenden Ton fallend, fort, »meine Geduld ist zu Ende und ich will eine Antwort. Was habt Ihr auf der Burg ausrichten sollen?«

»Ich habe,« stammelte der Arbeiter so gedrängt und eingeschüchtert, »den Claus aufsuchen sollen, um ihn zu fragen ...«

»Nun, was?«

»Ob ... ob der Fremde noch in der Burg sei!«

»Der Fremde? Welcher Fremde?«

»Ja, das weiß ich nicht! – der Fremde,«

»Also der Fremde – ob der noch in der Burg sei?«

»So ist es.«

»Und was hat der Hausmeister – Ihr habt ihn aufgefunden und mit ihm gesprochen?«

»Ja.«

»Was hat er geantwortet?«

»Er hat gesagt, er wüßte es nicht. Vorgestern habe er ihn zum letztenmal gesehen, jetzt werde er sich wohl aus dem Staube gemacht haben.«

»So, das sagte er? Der Fremde werde sich wohl aus dem Staube gemacht haben?«

»Das waren seine Worte.«

»Nun brauche ich von Euch nur noch etwas Näheres zu hören, was das denn eigentlich für ein Fremder ist, und dann könnt Ihr frei Eures Weges gehen, Meister Heinrich. Ihr werdet mir nicht aufbinden wollen, Ihr hättet Euch bei der Demoiselle Ritterhausen oder bei dem Hausmeister Claus nicht ein wenig danach erkundigt, nach dem Fremden!«

»Ich weiß aber doch nichts von ihm!«

»So? – Da oben in der Burg ist in verflossener Nacht ein Mord vorgefallen. Bei solchen Vorkommnissen pflegt der Mensch sich zu fragen: Wer hat das getan, wer kann das Verbrechen begangen haben? Und wenn man alsdann von einem Fremden hört, der in dem Hause gesteckt hat, wo so etwas vorgegangen ist, so werden alle Geister der Neugierde wach und rufen: Wer ist der Fremde? Wolltet Ihr mir aufbinden, Ihr hättet nicht so gefragt? Nein, Ihr seid nicht so dumm! Also heraus mit der Sprache!«

»Herr, ich kann bei meiner Seligkeit schwören, daß ich nichts davon weiß – ich habe den Auftrag bekommen, nach dem Deserteur zu fragen und Claus hat mir darauf geantwortet, wie ich gesagt habe; keine Silbe mehr, denn er war verdrießlich und wollte mir kaum Rede stehen.«

»Nach dem Deserteur – also nach einem Deserteur solltet Ihr fragen? Der Fremde war also ein Deserteur?«

»So nannte ihn Claus.«

»Nun, Meister Heinrich, werdet Ihr beschwören können, daß dies alles ist, was Ihr oben getan habt und was Ihr wißt?«

»Ja, Herr, jeden Augenblick.«

Der Polizeibeamte fixierte den Menschen mit seinen schärfsten Blicken und dann sagte er: »Es freut mich, daß Ihr so vernünftig gewesen seid, endlich mit der Sprache herauszurücken. Ich verlange jetzt nichts weiter von Euch, als daß Ihr mit keiner Silbe und keiner Miene irgend jemand verratet, worüber wir uns eben freundschaftlich unterhalten haben. Wenn Ihr das Maul nicht hieltet, so würde ich das sehr bald merken, und wenn Ihr mir dadurch das Spiel verderbt, so lasse ich Euch krumm schließen und lasse Euch auf Lebenszeit nach Cayenne schicken, wißt Ihr, wo der Pfeffer wächst. Adieu, Meister Heinrich – Ihr könnt jetzt schmieden gehen! Bis auf Wiedersehen!«

Der Arbeiter machte eilig von dieser Erlaubnis Gebrauch; mit langen Schritten hub er sich von dannen, wie in der Furcht, daß der entsetzliche Polizeimensch, solange er noch von diesem gesehen werde, ihn noch einmal zurückrufen und in den Schraubstock seiner verzweifelten Fragen nehmen könne.

Als er in den Hammergebäuden verschwunden war, blieb Monsieur Ermanns noch eine Weile nachdenklich auf seinem Bauholz sitzen.

Dann stand er auf, schlenderte lässig in das Wohngebäude zurück und nachdem er hier seinen Schreiber aufgesucht und ihm einige Befehle gegeben, ließ er Demoiselle Ritterhausen um die Gunst einer Unterredung unter vier Augen bitten.


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