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15.

Derselbe Tag schlich sich hin wie ein Jahr der Höllenpein. Alles zagte und fürchtete, und manche wähnten schon Spieße und Messer im Leibe zu fühlen. Vom Schneiderdavidl und von noch etlichen scherzten einige argmäulige Buben, denen die Not nicht so weit an den Leib mochte, sie hätten nicht genug Höslein zum Wechseln.

Jost Helmschmied ging einige Male zu des Magisters Herberge, seinen Tacitum in den vor Aufregung zitternden Händen. Konnte ihn aber nicht antreffen, weil der beständig im Stadthause und bei der Vorrüste zur Verteidigung zu tun hatte. Nicht einmal seinen Herbergvater, den Tagdieb, traf er. Nur dessen Weib schusserte wie ein Quecksilbertröpflein im ganzen Hause umher und suchte alles Geld und Geschmeide zusammen und alles, was ihrem Meinen nach einen Wert hatte. All das trug sie in den Keller und vergrub es dort in der finstersten Ecke. Im Vorbeikommen geriet ihm auch die Kagerin in den Weg, da sie ihr Kätzlein einfing und in den Gewahr des Hauses brachte.

»Wäre ich doch bei ruhiger Zeit gestorben!« jammerte sie. »Schon die Not vermöcht' eines umzubringen, und gar erst nachher ...! Aber das sage ich gleich: lebendig kriegen mich diese Unholde nicht in die Hände. Habe schon ein Strickel aufgeknüpft und eine Öse darangeschlungen.«

»Ist alles in guten Händen,« versuchte Herr Jost zu trösten. »Der junge Kühwolf, der Magister, alle ... Hätte ihm wollen noch den Tacitum bringen, wenn er nachlesen wollte, wie im gallischen Kriege die Vorrüsten und Ausfälle gemacht worden ...«

»Nicht daheim. Niemand ist mehr daheim. Alles ist wie ... wie im Rummel verödet. Keines kümmert sich mehr um das andere. Nicht einmal die Hillebrandtin graben sie ein, hört man.«

»Morgen halt, wenn ... etwer Zeit hat. Dürfen gerade nur über Nacht anrücken, die Hussen, gibt es morgen andere Arbeit.«

Auf dem flachen, mit kopfgroßen Steinen beschwerten Dache seines Häusels saß der Nagelschuster und schrie und deutete. Not und Schrecken hatten das Männlein etwas zerwirrt gemacht, und weder Nachbarn noch Angehörige konnten ihn wieder zurecht und vom Dache bringen. Immer dieselbe Rede: »Der Greuel der Verwüstung ... wie es geschrieben steht. Wer auf dem Dache ist, der steige nicht mehr herab, und wer auf dem Felde ist, kehre nicht zurück zu seinem Hause ... Aber um der Auserwählten willen ...«

Der Mann nötigte sogar Herrn Josten ein gelind Lächeln ab ...

Gegen Abend rückten die ersten Hussenhaufen an. Dumpfer, langgezogener Trummelschlag vom Walde herüber kündete ihr Kommen, und Schreien und Johlen hallte auf und über die Gefilde herein, als sie des Städtels und des dahinter ragenden Bärnsteins ansichtig wurden. In wirren Haufen über Wege, Wiesen und Felder, und hinterher mühte sich ein Wagentroß. Stadtknechte, Fähnleinsleute und wer sonst noch konnte, rannte den Mauern und Wehrgängen zu. Alles schaute und starrte nach den gefürchteten Gästen, und Weiber und Kinder fingen in den Gassen und Häusern wieder zu schreien und zu jammern an. Ging aber damit hübsch dem Ende zu und den Leuten wie etwa einem in der Baderstube, hinter der ein schmerzender Zahn jählings ruhig wird, so daß eines damit Steine beißen könnte. Nun man mitten in Gefahr und Not gestellt war, dachte jedwedes nur mehr ans Bestehen.

Wolf Kühwolf, der Magister und noch etliche standen im Torturme und schauten dem Anrücken zu.

»Wenn ihrer nicht mehr kommen, könnt' es gelingen,« sann der Magister.

»Etwa sind ihrer gar nicht mehr,« mutmaßte der Gürtler.

»Das können unmöglich alle sein,« zweifelte der Tobies, der nun nimmer von den Anführern wich, um überall mittun zu können wider dieses Mordgevölke.

»Wenn nicht mehr anrücken bis zur Nacht, wagen wir es,« entschloß sich auch Wolf Kühwolf. »Könnte nach Fürhaben gehen.«

»Frisch gewagt, ist halb ... verspielt,« scherzte der Heimbert.

»Warum halb verspielt?«

»Weil es auch erst halb gewonnen ist.«

»Also: wer mittun will von den behendesten und kräftigsten Leuten, der solle sich dazu rüsten. Die Rosse alle satteln und an einen Platz zusammentreiben. Etwa in den Bräustadel. Alles Gewaffen herzu und bereitrichten! Aber nichts ausschwatzen davon, auf daß nicht viel Geschrei entsteht. Alle anderen auf die Mauern und an die Tore! Wenn halt die Bärnsteiner ...«

»Ich renne hinauf«, erbot sich der Tobies. »Zum Bärnsteiner Tore kann ich etwa schon noch ungesehen hinaus.«

»Ja ... aber wenn sich die wirklich rüsteten und kämen, und es rückten derweil soviel Hussen nach, daß ein Überfall eine Tollheit wäre ...«

»Nachher geben wir ein Zeichen,« riet der Magister. »Nachher brennt in der Kirchturmluke auf der Bärnsteiner Seite ein Lichtlein.«

In der Eile wurde nun noch über wie und wann abgeraten, und dann machte sich der Tobies auf den Weg.

Die Wachen der Hussen sahen ihn von weitem, aber sie lachten nur dazu. Einer rannte schon, der Gescheiteste oder der ... Mutigste. Etwa nähmen die Nacht über noch mehr denselben Weg, und man könnte das Zeitlein nützen, da sich einem das Tor auftäte, und ... nicht wieder schnell genug zufiele.

Im Städtel wurde es nun allenthalben geschäftig, und in allen Gassen rannten Männerleute, ganz oder zum Teil gewaffnet, hin und wider und raunten heimlich miteinander: Nur keinen Lärm machen, auf daß die Schelme draußen kein Arg wittern!

Herrn Hillebrandt hinterbrachten es seine Handelsgesellen: es müßte etwas im Fürhaben hängen, weil alle Rosse in des Bräus Stadel kämen, weil alle Stadtknechte und Fähnleinsleute sich schwer waffneten und alles andere Mannsvolk an die Tore und auf die Mauern müßte ... Was? ... Ja, was müßten sie? Sie wären zum Reichstore aufgeboten worden.

Eine Weile stierte Herr Hillebrandt zum Fenster hinaus und ins Leere, und dann schritt er in der Stube auf und ab, daß die Bühne unter seinen Füßen ächzte und knarrte. Noch schwerer und ungefüger jedoch wälzten sich die Gedanken durch seinen Kopf zu manchmal wirrem und manchmal schnurgeradem Sinnen. Allerhand und alles fiel ihm ein und zog wie ein großer Heerhaufen des Weges, Gutes und Schlimmes. Zeiten wühlte sein Erinnern auf, die holder und sonniger gewesen als der lieblichste Maientag, die einem Kindermärlein glichen an Schönheit und Wonne. Wie er, des Höllebrandtpetern Bub, zu streben anfing und sich nach oben zu arbeiten, wie Erfolg um Erfolg erblühte, so daß sogar der alte Röderstefan nicht zurückhielt mit Lob und Anerkennen, als er um Jungfer Susel, das einzige Kind, freite. Wenn es ihm so weiter glückte, könnt' er einmal einer der reichsten und angesehensten Männer des Städtels werden. Das hatte er selber im Sinnen und Fürhaben, und danach zielte er Tag und Nacht. Mit der Heirat hatte er nicht nur eine umsichtige und tüchtige Hausfrau gewonnen, die sein Glück und sein alles gewesen, sondern auch ein eigen, geräumig Haus, darin das Geschäft wurzeln und wachsen gekonnt wie ein Rosenstöcklein in guter Gartenerde. Und es wuchs von Tag zu Tage und trieb Knöpflein Knospen. und Rosen in Menge. Die Maienzeit schien immer lieblicher werden zu wollen. Kinderlachen und Kinderlärmen hatte dann durch das große, geräumige Haus gehallt wie Engelsang aus Himmelshöhen, und am trübsten Tage hatten fünf, sechs Sonnen in jeden Winkel und aus jeder Ecke geleuchtet. Er hatte fürder Tag und Nacht gestrebt und gezielt, und einmal war es ihm heimlich und unvermerkt in den Sinn gekommen, der Knöpflein und Röslein könnten wohl mehr gedeihen am Rosenstöcklein, wenn ... er etwas nachhülfe. Zagschüchtern ist er an dieses Nachhelfen gegangen und hat es allmählich gewöhnt. Da etwas ab- und dort etwas zugetragen, wie es eben not tat, und der Reichtum wuchs und wuchs. Mit ihm das Ansehen, wie es schon Brauch und Weltlauf ist seit jeher. Doch wollte es ihm vorkommen, die Zeiten wären nimmer so maienlieblich gewesen denn früher, und etwas wie schattende Wölklein zogen am Himmel auf. Von Stufe zu Stufe hat ihn sein Streben getragen, und manchmal ist es ihm selber vorgekommen, als träte er beim Schreiten auf etwes andern Fuß. Ungedanks einmal ... nein, doch nach einigen vorsätzlichen Mühen ... ist er auf der obersten Stufe gestanden. Stadtrichter! Der erste Mann im Städtlein! Eine gute Weile ist es ihm vorgekommen, als stünde er da dem Himmel so nahe, daß ihn selber schon ein klein wenig dessen Scheins und Glastes umleuchtete ... Höher, noch höher! Die Gunde hat den kaiserlichen Ungelteinnehmer heiraten können. Noch etliche Stufen haben sich vor ihm aufgebaut: Die Salzniederlage, der Wieshof und dahinter hatte gar noch ... ein Krönlein gewinkt und gelockt ... Die Salzniederlage! Schier deuchte es ihn, als wäre mit dieser oder hinter dieser das Ungemach ins Haus geschlichen und hätte allmählich ... Ihn schauderte, wenn er nur daran dachte. Trutz wider Trutz hüben wie drüben, und ... Wenn ihm nur dieses Trutzstücklein nicht eingefallen wäre! Wenn er nur das nicht unternommen hätte! Die Gunde und der Eidam halt auch ... Wie wenn es ihm im letzten Augenblicke noch vorgegangen wäre, er müßte dem davonrollenden Gefährte nachrennen und es und das Unglück aufhalten. Ist nimmer gegangen. Wie wenn einer den Bolzen aus dem Armberüste schnellt: Nimmer aufzuhalten und nimmer einzufangen. Warum hatte er das Kind nicht gleich wieder zurückgeholt? Warum ... warum ...? Jetzt ... In Stücke könnt' er sich reißen ... Aufhängen läßt man ihn nicht. Was ...? Das Kind niedergemetzelt, die Susel tot, der Bub ... Wie ein rauchgeschwärzter, dem Einsturze naher Rauchfang aus wüster Brandstatt ragt er aus all dem Unglücke, das ... eigentlich er selber um sich gehäuft. Wie ein rauchgeschwärzter, wankender Rauchfang, den jeder flieht, auf daß er beim Niederbruche nicht auf ihn falle. Wer immer Kain tötet ... Unwillkürlich fiel ihm dieser Spruch ein. Kain, nochmals Kain! Kind und Lebensgefährtin! Er, der Stadtrichter! ... Was, Stadtrichter? Der Niemand war er heute mehr, kein Mensch achtete seiner, und jeder wich ihm aus. Nicht einmal die Gunde und der Eidam ließen sich im Hause sehen. Eine kurze Heimsuch nach dem Tode der Susel ... seither nimmer. Und die anderen? Die Hussen lagerten sich vor der Stadt, die ... Metzger seines Kindes; kein Mensch kam deswegen zu ihm, keiner fragte ihn, und keiner brauchte ihn ... den Stadtrichter. Der Niemand, ärger als der Niemand. Seine Handelsgesellen waren zum Reichstore aufgeboten, jegliches Mannsvolk mußte an seinen Platz und Ort; er ... war weniger und schlechter geachtet als der ärmste Wicht.

Aber nein! Zu allem Trutze nicht!

Wie ein Bär reckte er sich auf, der nimmer vor noch zurück kann ... Wer konnte ihm, dem Stadtrichter, das als Recht wehren, was jedwedem Wichte zur Pflicht gemacht wurde? Wer konnte ihn hindern, in der Not der Allgemeinheit ... hatte der Magister gesagt ... sich selbst in die Reihen der Schirmer zu drängen? Drängen mußte er heute schon sagen, er, den man ehedem zur höchsten Würde erkoren. Wer konnte ihn zurückdrängen wollen, wenn er wider die Mörder seines Kindes die Streitaxt zur Hand nehmen wollte, wenn er für sein und eines jeglichen Gut und Leben ...? So oder anders. Lieber anders ... am liebsten anders ...

Ein Weilchen stierte er wieder zum Fenster hinaus, dann wandte er sich jählings und ging in die Kammer, darin seine Susel als Tote lag. Dort kniete er vor dem Schragen nieder, darauf man ihren entseelten Leib gebettet, und streichelte mit leislich zitternder Hand über das todfahle, kalte Gesicht der Entschlafenen.

»Susel! Mein' Susel! Siehst mich? Weißt noch etwas von mir? Willst noch etwas wissen von ... deinem und des Kindes Mörder? Spucke mir ins Gesicht, schände mich, soviel du willst, aber ... verzeihe mir! So hab' ich es nicht gemeint, wie es geworden ist. Vielleicht weißt du es heut' eh' schon, was alles ich fürgehabt ... Das Beste habe ich gemeint. Daß es so geworden ... Susel, ich kann wahrlich nicht mehr dafür, als was ich vorgehabt. Wär' eh' noch recht geworden, wenn ... es nicht so gekommen, wieder recht. Und jetzt geh ich, Susel, geh' ich selber, da mich kein Mensch mehr aufdingt und ruft. So oder so. Und wenn es wäre, Susel, halte du allweg deine Hand über unseren Buben und führe und schirme ihn! Meine Hand ... hat nur Unheil gewirket. Gelt, Susel? Ist ja auch dein Kind ... Wenn ich daran sinne, wie wir zueinander gegangen sind, und wie wir auseinandergehen ... Susel ...!«

Da übermannten ihn Weichheit und Herzeleid. Schwer sank sein Kopf auf die regungslose Brust der Toten nieder, darin ehezeit und bis vor daumlanger Zeit noch ein so treugolden Herz geschlagen, und krampfhaftes Weinen schüttelte den trutzigstolzen Mann wie ein kleines, verlassenes Kind.

*

Wolf Kühwolf stand noch immer im Torturme oben und beobachtete durch die Turmluke das Treiben der Hussen. Es rückten nicht mehr an, und der Vorrüste nach, wie sie die Troßwagen zur Wagenburg zusammenfuhren, mochten sie selber vielleicht für derweil auf nicht mehr zählen, als sie ohnehin waren. Da konnt' es also gelingen, wie man es vorhatte. Wenn nur die Bärnsteiner mithalfen!

»Wäre doch am besten gewesen, wenn ich selber gegangen wäre,« sann der Magister. »Ich hätte nimmer locker gelassen, und wenigstens wüßte man sicher ... Wenn sich nichts ändert, renne ich trotzdem noch hinauf. Die Unseren müssen von der Stadtseite angreifen und die Bärnsteiner von der anderen ...«

Da stapfte Herr Hillebrandt schwer und müde die Stiege herauf und auf Wolf Kühwolf zu.

»Habe Euch schon im Stadthause gesucht, aber nicht gefunden,« preßte er mit steinharter Stimme und merklich verlegen heraus. »Da bin ich. Wenn jeder seinen Mann stellt ...«

Wolf Kühwolfen überlief es heiß und kalt in einem Gusse, als er diesen ... Menschen vor sich stehen sah. Alles Leid lohte wieder hell auf in ihm und dazwischen glühender Haß ... Ein Stoß, und er läge und zerschellte unten auf der Gerüstbühne. Wenn der nicht ist, oder nicht so ist, dann ...

»Wir haben Euch nicht aufgeboten, weil Ihr ... in diesen Tagen eh' schwer genug zu tragen habt,« suchte der Magister zu ebnen.

»Und weil Ihr es selber mit ... den Hussen innerhalb unserer Mauern haltet,« preßte Wolf Kühwolf messerscharf und absichtlich höhnend heraus.

»Wer sagt das? Wer kann das sagen?«

»Wer ist mit ihnen zum Pfarrherrn gegangen?«

»Ich. Weil sie mich darum angingen, und weil jeder das Recht hat zu verlangen, und der andere das Recht abzuschlagen oder zu gewähren. Weiter ... Doch wozu der Schwatz? Da bin ich jetzt und heische als Recht, was Ihr anderen zur Pflicht macht. Ihr seid nach Ratsbeschluß heute Stadthauptmann, und ich frage: Wohin und zu welchem Haufen stellt Ihr mich? Meine Rüst und Waffen habe ich selber.«

»Ein Wort, Herr Hillebrandt! Ist auf Mannesehr' ein ... ein Bauen auf Euch?«

Ein paar Augenblicke starrte Herr Hillebrandt den Menschen an wie etwa ein giftig Gewürme, das den Kopf hebt zum Angriffe.

»Jungherr!« pfauchte er dann in wallender Wut, »Die Frage zu anderer Zeit, und ... ich weiß nicht ...«

»Herr Hillebrandt!« legte sich der Magister rasch ins Mittel. »In diesen Stunden wägt man Reden nicht so genau, Eure nicht und auch Herrn Kühwolfens nicht. Harte Zeiten, harte Reden. Und Jungherrn Wolf legt sich eben auch ... ein Leid auf die Zunge.«

»Legt sich auch,« bekräftigte der und haschte nach der Handhabe, diesem Wichte noch ein paar undeutelbarer Worte unter die Nase zu reiben. »Euch wird jetzt viel leichter sein ums Herz, Herr Hillebrandt, daß Ihr mir die Christel und mit ihr all mein Glück genommen habt. Nicht wahr ...?«

»Jungherr Wolf!« stöhnte Herr Hillebrandt nun auf wie einer, dem man den notdürftig angetrockneten Verband von einer Todeswunde reißt. »Schlagt mich ins Gesicht, spuckt mich an oder tut, was Ihr wollet, aber seid still davon! Ich ... weiß selber, was ich angerichtet habe. Ich ...«

Unwillkürlich streiften Wolf Kühwolfs Blicke das von Leid und Selbstfeindschaft entstellte Gesicht dieses Mannes, aus dem die Augen wie glutglimmende Zunderbätzlein stachen, und ein neues Schaudern überlief ihn. Der hatte nach ihm gezielt und gehauen und sich dabei selber das Herz im Leibe auseinandergekloben. Er fand im Augenblicke keinen anderen Vergleich, und es schlich ihn gelindes Mitleid an.

»Als Stadtrichter möget Ihr Euch wohl aus eigenem den Platz wählen, an dem Ihr in diesen Stunden der allgemeinen Not stehen wollet,« lenkte er kurzweg ein. »Vielleicht die Führung der Brandwache und des ... Ordnungsdienstes«, umschrieb er. »Wir Jüngeren ...«

»Mir ist es gleich. Nur dorthin, wo ich ... dreinhauen kann.«

»So übernehmet einstweilen die Verteidigung der Mauern und Tore, bis wir ... Es hängt nämlich ein Fürhaben für uns Jüngere, an dem viel gelegen ist ... Da hat man es ... da hat man es!« kreischte er mittendrin mühsam heraus und deutete durch die Fensterluke auf die mählich dämmernden Gefilde hinaus. Brandrauch und Brandröte wallte auf, und deren Schein drang durch die Luke und färbte langsam die grauen Innenwände des Turmes.

»Feuer – jo!« hallte es von den Gassen herauf.

»Allem Anschein nach das Zechelhaus. So schonen diese Unmenschen wehrlose Hütten und Orte! So ging' es wohl auch, wenn sich das Städtel willig gäbe.«

»Wo? Wo?« rief man von den Gassen zu den Mauern und zum Turme empor, da von unten kein Ausblick und nur der Brandrauch zu sehen war.

»Das Zechelhaus in der Öden,« beschied einer vom Wehrgange der Mauer. »Der Wilhalmhof auch ...«

»Landräuber! Mordbrenner! So ging es ... wenn wir ...«

Das dämpfte des letzten Kelchnerfreundes im Städtel Hoffen und Ersehnen wie ein Guß Wasser ein Häuflein lauernder Glut. Wenn diese Wichte verlassene Häuser anschürten, aus denen unmöglich Widerstand geleistet worden, wie mochten sie erst im Städtel hausen, wo sie solchen vorschützen konnten, auch wenn ihnen die Tore willig geöffnet wurden?

»Aus ist's ... aus ist's!« knirschte der Tuchscherer in aufwallendem Grimmwüten. »Ein Schelm, der ... mir noch ein Wort sagt. Nur dreinhauen und dreindreschen!«

»Erschlagen wie die Waldochsen!« hetzten einige Weiber. »Alle ... alle ...!«

*

Zur selben Zeit packte endlich die Gertraud ihre Habseligkeiten in ein Leintuch und rüstete zum Heimgehen. Der rote Balthes schimpfte und zeterte, und seine Anne, die Base, bat, soviel sie vermochte, aber keines Art fruchtete. Sie wollte gehen und ging.

»Nach dem Rummel komm' ich eh' wieder,« versprach sie. »Aber jetzt werden sie mich brauchen, jetzt brauchen sie jede Hand. Viel werden verwundet werden, und wer kann gleich richtig umgehen mit dem Verbinden? Der Magister ist beim Stadtfähnlein, der Tobies auch wohl, der Dikel ... Und sonst ist im ganzen Städtel niemand, der es recht verstünde. Nach dem Rummel komm' ich wieder, Base.«

Und sie nahm den Weg ins Baderhäusel.

Dort sagte man ihr schon, daß etwas im Fürhaben hinge, von dem man weder so recht wußte noch anders, und daß der Tobies kaum etliche Stunden daheim gewesen und geschlafen. Es wäre nicht unrecht, daß sie solchen Entschluß gefaßt; denn morgen oder etwann könnte es der Verletzten schon genug geben, die der Pflege bedürften.

»Ein Raubgewilde!« zeterte die Nandl, die Schwägerin. »Häuser anschüren, die ihnen gar nicht im Wege stehen und ... so etwer darinnen wäre, den täten sie halt ab. Und da haben unsere Haubenstöcke noch gemeint ... noch gemeint ... Auch der Dikel selber. In den Turm hätte sie der Amtmann werfen sollen, in den Bock spannen ...«

»Wenn es alleweil heißt ... heißt ...« gackerte der verlegen und beschämt herum und prüfte mit dem Daumennagel seines Messers und Beiles Schärfe, da er gerade fort wollte und auch auf die Mauern.

Etwas im Fürhaben hinge! ... Wie eine eiskalte Natter kroch die Sorge in der Gertraud Herz und Sinnen ... Es mußte ja wohl sein, aber ... wenn dabei ... einem etwas Arges widerführe oder gar ... der Tod bevorstünde! Kann vielleicht manchem zuteil werden, aber ... jedes fürchtet eben nur um ... die Seinen, um die, an denen das Herz hanget.

Als sie zufällig einmal vor die Türe kam, stolperte gerade der Honso vorbei.

»Ja ... bist denn du auch ...?« wunderte sie.

»Auch, auch ...« gackerte und stotterte er. »Wo werde ich sonst hin, wenn will ich nicht laufen den Hussen in Messer und Spieß? Auch alle Luken zu, daß könnte man nicht fort. Aber ... weißt du nicht, was wird sein im ... im Fürnehmen, weil rennen alles mit Spieß und Hackel ...?«

»Ja, was werde ich wissen? Werden sich halt vorsehen wider einen Angriff.«

»Wollen etwa gar schon angreifen, Hussen ...? Muß ich sehen und schauen ...« Und er stolperte und humpelte davon und städteleinwärts, humpelte, daß er manche schier erbarmte. Wo etliche beisammenstanden, fragte und forschte er herum, auch wenn er wundersselten einen Bescheid oder eine Antwort bekam. Wer kümmerte sich zu solch fiebernder Zeit um den Zwiebelböhm, dem allem Scheine nach die Tore zu früh zugemacht worden, oder der sich nicht mehr hinausgetraut? Nur ein paar halbschüssige Buben, die auch schon mit Wehr und Hacken des Weges zogen und sich vermaßen, wieviel sie erschlagen wollten, lachten und scherzten ihm in ihrer Bubensorglosigkeit zu.

»Jetzt geht's an Koller und Kragen, Honso.«

»Hätten gerade um dich schicken wollen, wenn du nicht eh' schon kämest.« So ein anderer. »Brauchen noch einen zum Glückwünschen, wenn's eh' gut geht.«

Wie schwärmende Mücken schossen seine Augen und Blicke umher, und er merkte alles. Er sah, wie man die gesattelten und aufgezäumten Rosse zusammentrieb, sah, wie die Gewaffneten sich zusammentaten und zusammenscharten, und er riet richtig, daß man die gesattelten Rosse nicht zur Verteidigung wider den anstürmenden Feind und auf den Wehrgängen der Mauern brauchen konnte. Mußte also ein Ausfall und Angriff im Fürhaben sein.

Im Kirchengäßlein stand er etlichen im Wege, und sie verjagten ihn kurzerhand. »Schau, daß du dich etwo verkriechen kannst! Heute ist keine Zeit zum Schauen und Gaffen.«

Er stolperte weiter, aber er verkroch sich nicht ...

Die Dunkelheit brach herein und legte sich über das Städtel und über das Gelände davor, über das Hussenlager und um den gegen den erkaltenden und verdämmernden Himmel ragenden Bärnstein. Da gab sich Magister Achmiller auf den Weg. Der Lutz aber, der Wärtel am Bärnsteiner Tore, schüttelte den struppigen Kopf und deutete durch die Lugluke hinaus.

»Geht nimmer, Magister. Liegen schon draußen wie lauernde Katzen, und Ihr liefet ihnen geradewegs in die Spieße. Habe sie schon anschleichen gesehen.«

Was also nun?

»Wenn es gerade sein muß, und wenn Ihr es ... wagen wollet, es könnte doch noch gelingen,« meldete sich der Weberdikel und drängte sich herzu. »Aber die Mauer hinab! Den Weg hat der Tobies genommen, wie er geflüchtet ist, und derselbe Weg stünd' etwa noch offen.«

Also Seile her und auf die Mauer!

»Etwa würden sie da oben doch selber soviel Einsehen haben,« riet Wolf Kühwolf nochmals ab. »Und Ihr gebet Euch unnötig in die Gefahr, wo wir Euch sonst überall brauchen. Steht ab davon!«

»Es muß so werden, wie wir es ausgeredet,« bestand der Magister. Und darauf seilte ihn der Dikel an, und er schwang sich über die Brüstung und in die Tiefe. Nach einem Weilchen wurde das Seil leer, und jeglicher strengte Aug' und Ohren an, zu sehen und zu hören, wie es glücken mochte. Schier den Atem hielten die Leute an. Dann atmete einer einmal wieder erleichtert auf.

»Rennt schon ... rennt schon dahin ...«

Dichter und dichter wurde die Dunkelheit über dem Erdboden, und am Abendhimmel schob sich in das letzte Grau der schwindenden Mittsommerdämmerung rußfarben Gewölke empor, in dem es von Zeit zu Zeit zu flunkern und zu zucken begann. Ein Wetter also im Kommen. Aber keines achtete dessen. Was sollte auch ein Wetter am Himmel, wenn es auf Erden auf Tod und Leben gehen wollte?

In den Gassen und Gäßlein wurde es fast unheimlich ruhig. Die Stille vor dem Sturme. Aller Herzen pochten heftiger, doch die Mäuler schloß die Aufregung zu. Wie kohlschwarze Schatten huschten hier und dorten einige dahin, und wie kohlschwarze Schatten schlenderten die Männer der Brandwache von Haus zu Haus, in jeden Winkel und in jede Ecke spähend. An den Bettlein der sorglos schlafenden Kinder saßen die Mütter und beteten für diese und für deren Väter, und da und dorten lispelte ein Kindermündchen noch im Traum und Schlafe.

»Herre Gott, du unser Schutz,
schirm' uns gen der Bösen Trutz! ...«

Ungefähr so betete und bat auch die Nandl, des Dikels Weib, da sie im Finstern der Stube auf der Ofenbank saß und das Kind in der Wiege hin und wider schaukelte. War des Herrgotts Schutz und Hilfe zu jeglicher Zeit und Weile so nötig im armseligen Leben wie ein Bissen Brot, so jetzt erst recht, wo der grimme und erbarmungslose Feind vor den Mauern lag und Leben und Gut nur an einem Spinnewebfaden hingen. Wenn es schon glücken sollte, daß man sich der Unholde erwehren konnte, so dräute doch den Mannsleuten auf den Wehrgängen jeden Augenblick das Unheil, wenn nicht gar der Tod. Und wenn dem Dikel etwas zustieße! Jetzt, wo es doch besser gehen wollte denn alle die mühselige Notzeit her; jetzt, wo es schien, daß des Mannes Streben ein bissel Wohlstand und Glück herbeizuzwingen vermochte ...

Am Haustürpfosten draußen lehnte die Gertraud und bat und betete auch: um gut Gelingen des aufgezwungenen Wehrens um Gut und Leben, für die Brüder und ... für den Magister. Sollte sich den die Kagerin einfangen oder einfangen können, wie sie wollte, nur nichts geschehen und widerfahren sollte ihm. Sie ... Es gab mehr Leute, die nicht haben konnten, was sie wollten; wer konnte es anders machen, wenn auch sie zu denen gehören mußte? Mit gefalteten Händen stand sie und schaute zum nachtdunklen Himmel empor, wo immer mehr und mehr Sternlein aufleuchteten, als ob Engelshändchen Löchlein bohrten in das Himmelszelt, durch die nachher der Glanz und Glast der Himmelsherrlichkeit zur Erde niederstrahlte, und durch die der Schutzengel Äuglein zur Erden lugten und spähten nach ihren Schutzbefohlenen. Wie viele dieser Schutzengel mochten da wohl heute herniederschauen auf das Städtlein und ihre Menschenschützlinge in Not und Ängsten sehen? Ob sie helfen durften und auch halfen? Ob sie traurig zusehen mußten wie so vieler Orten, wie Hunderte und vielleicht gar noch mehr elendiglich hingemetzelt wurden? Wie es zum Beispiel in der Stadt geschehen ist nach dem Erzählen des Bruders.

Da fiel ihr ein, was in der Schrift zu lesen stand: Was ihr den Vater in meinem Namen bitten werdet ... Und sie hub zu bitten an.

»Im Namen unseres Herrn und Heilandes tu ich Dich bitten, Herre Gott ...«

Kam aber mit dem Gebete nicht weiter. Jählings kam ihr in die Augen, daß etwas wie ein kohlschwarzer Schatten an der Holzwand des Nachbarhäusels dahinschlich, und unwillkürlich hielt sie im Beten inne und schaute ... Ein wirklicher Schatten, wo doch die Finsternis keinen Schatten werfen konnte? Vielleicht gar eine Weiz Gespenst; Gotisch: vaiths = Wicht, Unhold.? Der Nachbar Sibot, der von der Wacht heimkam? Der brauchte aber nicht zu schleichen ... Bei der Holzschar hinten an der Stadtmauer stand er still. Ein leises Klopfen ... ein paar sprühender Funken ... und ...

Herrgott! Der Wicht schlug etwa Feuer und ... wollte vielleicht gar einen Brand zetten! Die Holzschar, das Nachbarhaus, ... ihr Haus daneben ...

Mehr dachte sie nimmer. Ohne Besinnen sprang sie herfür und den Wicht an, da er gerade den glimmenden Zunder in die Holzschar stecken wollte. Mit all ihren Kräften stieß sie ihn weg, riß den Zunder aus der Holzschar und trat ihn ab, und nachher ... Wie sie eines der Holzscheite erwischte und in ihrem Schrecken blindlings zuschlug, wußte sie gar nimmer.

»Wicht! Wicht!« gellte sie in die schier ängstige Stille hinaus und im Widerschein eines Blitzzuckens meinte sie, ein Messer oder so etwas blinzeln zu sehen. »Hilfio!«

Da wurde es gerührig auf der Mauer. Ihrer zwei, drein polterten mit ihren derben Schuhen die Bretterbühne des Wehrganges herbei und sprangen gleich kurzweg herunter ... »Was da? Was gibt es?«

Den Augenblick wollte der Brandleger nutzen und sich flüchtig geben. Wie eine schwarze Katze schoß und schnellte er aus der Ecke und dem Gäßlein zu.

»Feuer hat er zetten wollen,« keuchte die Gertraud, beinah schon von Atem ob des Schreckens und des ungestümen Schlagens.

»So?«

Nun fuhren die nach, wie der leibhaftige Valentin nach einer armen Seele, und etliche Augenblicke darauf hörte man auch schon ihr Zetergerüft.

»Da seh' eines! Der Honso ... der Honso! ... Her da, Weib!« rief dazwischen einer und kam eilends zurück. »Her da, zur Zeugenschaft!«

Das Zetergerüfte schreckte die Leute im Gäßchen aus ihrer dumpfen, gefürchtigen Ruhe. Überall knarrten die Türen in den Angeln, und Kinder und Weibsgevölke drängte hervor. Was es wäre? Ob es vielleicht schon ... losginge?

Auch die Nandl rief heraus: »Gertraud! Was ist's?«

Da fiel es dieser jählings ein: vom Feuer durfte sie im Augenblicke nichts sagen, um das Weibsgevölke nicht völlig außer sich zu bringen.

»Einen Wicht hab' ich gestellet,« beschied sie und folgte dem Rufen. Wurde aber trotzdem bald ruchbar. Die drei kamen zurück mit dem Meintäter und Brandzetter, um sich erstlich zu vergewissern, ob nicht doch noch ein gefährdend Zunderstücklein steckte, und nachher den herausgerissenen Zunder als Schuldbeweis zu suchen.

Nun ging es erst los. Nun wollten auch alle anderen Weiber noch über den Unhold herfallen und ihn zu Tode schlagen. Wo so schon die Not bergehoch vor dem Städtel und vor ihnen stand, ihnen auch noch die Häuser niederbrennen! Und dazu ein Wicht, dem alleweil aus ledigem Erbarmen und um Gottes willen Unterschlupf gewährt worden im Gäßlein, und der Verdienst und Brot gefunden im Städtel.

Als die drei den abgetöteten Zunder gefunden und sich vergewissert, daß nichts mehr glomm in der Holzschar, mußten sie trachten, daß sie fortkamen mit ihm. Doch Sorge und neue Aufregung ließen sie zurück. Die Weiber fürchteten allweg noch das Aufzüngeln eines Brandes und wichen nicht vom Flecke.

Zum Stadthauptmanne! ... Nun erst wuchs dem Honso das Grausen am Leibe empor. Da mochte man wohl kurze Kreuze machen mit ihm. So dumm und dörperhaft diese Deutschen auch waren, das mochten sie etwa doch herausschnüffeln, wie die Tat gemeint war. Einen Brand zetten, auf daß ein Rummel entstünde, und alles Volk dem Feuer zuliefe und zu retten versuchte, auf daß nicht zur Ausführung gelangen konnte, was man etwa im geheimen Fürhaben trug, und während des Rummels die Hussen die Tore einrennen und das Städtel überrumpeln konnten. War so wohl ersonnen und ausgemacht, und wenn nicht diese ruchlose Hexe mit ihrem Zetergerüfte dazwischen gefahren wäre ... Jetzt gab es kein Entrinnen mehr, und jetzt fühlte er schon den Strick um den Hals. Etliche Steinwürfe weit vor den Toren lagerten seine Genossen, die ihn zu solcher Hinterhilfe gedungen, und alle mitsammen konnten ihm im Augenblicke nicht helfen ... Er fing wieder erbärmlich zu humpeln und zu stolpern an und verlegte sich aufs Bitten und Betteln.

Aber die Gesellen lachten nur kiesrauh dazu. Wer so behend laufen und flüchten konnte, mußte allweg gute Füße haben, und was es für das Brandstiften für eine Buße gäbe, würde ihm schon bald der Wolf Kühwolf sagen.

Der war mit seinen Leuten im Hofe des Bräuhauses nahe am Wassertore und wartete mit Ungeduld, bis die Ausluger im Bärnsteiner Torturme Botschaft brächten, daß sie das verabredete Zeichen wahrgenommen und erspäht: ein dreimalig ringrund Schwingen eines Feuerbrandes.

»Führt ihn ins Stadthaus! « schaffte der kurz. »Sollen ihm sein Recht sprechen. Ich ... mit einem wehrlosen Schelme ... Nein, ich nicht.«

»Aufhängen!« forderten die Stadtknechte und die Mannen des Stadtfähnleins. »Wenn jetzt ein Brand entstände, wer weiß ...? Aufhängen!«

»Wird ihm kaum anderes blühen.«

»Werft ihn nur in den Turm, wo er nichts mehr anstiften kann!« bat die Gertraud. »Und wenn der Feind fort ist, haut ihn aus! Etwa hat er auch etwen daheim, der um ihn banget ...« Dann schaute sie in die Runde, als ob sie jemanden suchte, und im Fortgehen noch wandte sie sich um und an den Zunächststehenden: »Ist der ... Magister nicht da?«

»Hat anderswo zu tun.«

Das war das ganze, was sie erfahren konnte. An der ganzen Vorrüste jedoch merkte sie, daß diese nicht einer Verteidigung der Mauern und Tore galt, sondern ... einem Ausfalle, einem Angriffe des Feindes. Wozu sonst Rosse und das viele Gewaffen?

»Im Namen unseres Herrn und Heilandes tu ich Dich wieder bitten, Herre Gott ...« hub sie in währendem Gehen wieder zu lispeln und zu beten an, und Gebet und Sinnen mischten und mengten sich in ihrem Kopfe wieder wirr und wahllos durcheinander wie eine Handvoll blindlings zum Strauße zusammengerupfter Feldblumen.

Wolf Kühwolf sah ihr sinnend nach ... Ein mannhaft Leut, das durch raschen Rat ein groß Unglück abgewendet vom Städtlein, das den Missetäter so kräftig verhauen wie manch' Männerleut, und das trotzdem wieder bat für ihn. Mag sich da einer auskennen und zurechtfinden an einem Menschenherzen, insonderheit an einem Weiberherzen! Mag da einer ... Ah was! Mag es seinethalben sein, wie es mochte: jetzt war keine Zeit zu solchem Grübeln. Jetzt mußte er mehr denn jeder andere seine Gedanken bei der Wagenburg der Hussen draußen haben und an deren Vernichtung sinnen. Aug' um Auge! Ging nicht anders. Sie taten es auch, und jeder wehrt sich um das Seine. Wenn die in der Stadt draußen ... Doch wer weiß denn, wie es dort gewesen und zugegangen. Vielleicht der Feinde zuviel, daß sie sich ihrer nicht haben erwehren können, vielleicht auch Verrat oder Hinterlisten. Wer weiß es denn? ... Seine Christel! Sein Herzschlag stockte allemal etliche Augenblicke, wenn er daran dachte, wie man sie abgemetzelt haben mochte, und siedendheiß wallte das Grimmwüten dahinter in ihm auf. Kann sein, daß es dieselben Schelme waren, die nun vor dem Städtlein lagen, kann sein auch nicht; aber Hussen waren sie alle, und Hunderte von unschuldigen Menschenleben mochte jeder Haufen auf seinem Gewissen haben. Gewissen? ... Er hätte schier auflachen können bei diesem Worte. Solche Werwölfe und Mordgesellen ein Gewissen?

*

Im Stadthause saßen der alte Kühwolf und der Stadtmüller, da es ausgemacht worden, daß während der Belagerung immer etwer von den Räten dort weilen sollte. Der Stadtschreiber war kurz vorher weggegangen, um womöglich ein Zeitlein der Ruhe zu pflegen, wenn sich diese einstellen wollte. Um Mitternacht sollte der Ausfall unternommen werden, und da mußte er wieder am Platze und in der Amtsstube sein, dem Herzen der Stadt, wo alle Adern zusammenliefen und wieder auseinandergingen. Auch sollten knapp vor Mitternacht die Räte in ihrer Wache wechseln.

»Aufhängen!« schrie Herr Egyd Kühwolf in Entrüstung und übermannendem Zorne heraus, als man den Honso in die Amtsstube brachte und erzählte, was er verschuldet. »Aufhängen! Ist sogar jedem Bürger angedroht worden, so er eine Meintat zettete.«

Und ein Viertelstündlein nachher hing der Brandleger auch schon an einem Balken neben dem Reichstore. In währendem Hinaufschleppen auf die Leiter jedoch hatte er noch alle Deutschen in den tiefsten und finstersten Höllengrund verwünscht und verflucht ...


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