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1.

Herr Hans Hillebrandt, der Richter eines Grenzstädtleins an der böhmischen Markung und einer der größten Kaufherren um und um, schrieb mit etwas ungelenker Hand das laufende Datum auf die erste bis auf die Überschrift »Saltz, so von den Säumern an die hiesige kays. Saltzniederlage abgeliefert worden ...« noch leere Seite eines daumendicken Buches: »Am 20. Maji 1424 ...«

Dann stellte er sich breitspurig vor das Pult, darauf das neue Buch lag, und schaute zu, wie die derbschlächtigen, wetterharten Säumerknechte Sack um Sack herbeischleppten und in eine Ecke des Gewölbes zum Haufen schichteten. Ein paar Male kraute er sich mit den Fingern durch den sorgsam eben geschnittenen, fahlrötlichen Bart, und nachher steckte er beide Hände tief in die Taschen des weiten Mantels. Kein Zucken verriet in seinem wie aus hartem Buchenholze geschnittenen Gesichte die Freude, die in seiner Brust krabbelte wie ein Haufen Ameisen im ersten warmen Sonnenscheine, und beinahe gleichgültig verfolgten seine Blicke das Tun und Treiben der wildbärtigen Gesellen ... Das erste Salz in seinem Gewölbe und das erreichte Ziel jahrelangen Trachtens und Mühens! Salz! Eine Ware wohl wie jede andere, eine Ware, die nicht mehr Gewinn abwirft wie jedwede, ja, bei der er nicht einmal selbst den Preis bestimmen kann, die aber durch den großen Absatz den Gewinn häuft und auch den Absatz anderer Waren mit fortreißen muß. Die Säumer ziehen nicht mit leeren Rossen zurück, und was sie aus dem Städtlein fortführen, werden sie nun bei ihm kaufen und aufladen. Wer bei ihm Salz kauft oder holt, wird auch das bei ihm kaufen, was er sonst noch braucht, oder bei ihm abladen, was er zu verkaufen oder zu vertauschen hat. Solches ist schon lange sein Wunsch und sein Trachten gewesen, und nach diesem haben weislich auch andere gestrebt. Den Halm jedoch hat er gezogen, nachdem ihm nach jahrelangem Mühen sein Eidam und Tochtermann, der Zoll- und Ungelteinnehmer, hat ... ziehen helfen. Jetzt plumpsten die so lang ersehnten Salzsäcke einer um den anderen in seinem Gewölbe nieder, und hinter ihnen wähnte er schon den Gewinn rieseln zu hören wie ein ständig laufend Bächlein. Wie sich die Salzsäcke zum Haufen fügten, reihte sich in seinem Sinnen Plan an Plan, bis einmal einer der Säumerknechte meldete: »Herr Hillebrandt ... der letzte für diesmal.«

»Dreißig?«

»Ja, dreißig.«

»Ist richtig. Und ... was werdet ihr heimzu aufladen?« trug er gleich an, um den Leuten nicht Zeit zu lassen, etwa erst lange hier oder dort herumzufragen oder gar einzukaufen.

»Das hat alles der Liendl über, der Vorsäumer.«

Hastig schrieb er unter das vorhin eingetragene Datum: »Dreißig Säck« und suchte nachher den Liendl, der im Hofe stand und seine Knechte anwies, die Rosse zum Drachenwirt zu treiben und gut zu versorgen. »Sauber trocknen und putzen und dann ausgiebig füttern ...!«

»Was kriegt Ihr also Säumerlohn, Liendl?« ging er den an. »So, daß ein jeder darauskommt, Ihr und ich.«

»Habe schon seit jeher mein festes Gesatze für das Salz«, bedeutete der und gab seiner abgegriffenen und verschmierten Lederhaube einen Stoß zur Seite. »Salz ist Salz; da gibt es nichts. Für den Sack soundsoviel. Macht für dreißig Säcke dreißigmal soviel. Und wenn Ihr den Knechten eine Kleinigkeit ...«

»Ist bei mir der Brauch, Liendl. Fehlt nichts. Und ... was Ihr heimzu aufzuladen habet: bei mir könnt Ihr alles haben. Die beste und billigste Ware, wo jeder noch verdienen kann. Leben und leben lassen. Nicht wahr?«

»Ist ein güldenes Sprüchwort.«

»Was brauchtet Ihr?«

»Wenn Ihr mich auch verdienen lasset, Herr Hillebrandt ...« Des wildbärtigen Säumers Augen blinzelten bedeutsam hinter den buschigen, dächleinförmigen Brauen hervor. »Der Kühwolf hat schon gesagt, wie wir vorbeigekommen sind ...«

»Ach was, Kühwolf!« stieß Herr Hillebrandt kurz heraus und machte mit der Hand einen wegwerfenden Schleuderer. »Was Euch der in den Sack spielen kann, vermag ich auch, und es wäre eine Torheit, anderswo zu kaufen, wo wir so schon ... Und dann meine Ware!«

»Wird ja wohl sein. Und wenn der Preis danach ist ... Acht Stücke Leinewand zu sechzig Ellen sollte ich einem bringen, ein Stück Häusel Gehäuseltes, d. h. farbig längs- und quergestreiftes Leinenzeug für Weiberkittel. zu dreißig Ellen, einen Sack Federn für ein fürnehmes Haus und ein Schock Fingerlein Fingerringe. für ... unterwegs ...«

»Was Ihr brauchet, Liendl. Suchet Euch aus, was Euch taugt, und einen Preis setze ich Euch, den im Städtel keiner setzet, ... keiner setzen kann. Ihr werdet schwer verdienen.«

»Werden sehen, Herr. Wäre zu wünschen. Ist ein bluthart Geschäft dieses Säumen, und fristet gerade das leidige Leben. Ross' und Knechte fressen, und umsonst will keine Henne scharren.«

»Gewiß, Liendl. Aber Ihr werdet zufrieden sein. Kommet mit in das Verkaufsgewölb und suchet aus, was Euch taugt! Die beste Ware, weil ich meine gewissen Leute habe und auf sie schaue.«

Im Verkaufsgewölbe stand und wartete einer, dem auf den ersten Blick anzusehen, daß er kein Käufer war. Machte schon gar nicht das Gesicht darnach und stak in der brauchmäßigen Herrentracht: enganliegende Hosen, über der Brust oben ausgeschnittene Sammetjoppe, die die gefältelte Pfaid Hemd, von gotisch paida = Leibrock. mit der Halskrause freiließ, weiter Faltenmantel und Sammetbarett. Doch trug er ein gehäbig Bündel auf dem Rücken und einen festen, schwerbeschlagenen Wanderstecken in der Hand. Die hellen Augen aber streiften und schweiften beobachtend und forschend überall herum und von einem zum andern.

»Mmm?« knurrte Herr Hillebrandt einen seiner Geschäftsgesellen fragend an und deutete mit dem Kopfe und über die Schulter nach dem Wartenden. Wer nichts kaufte und ihm daher auch keinen Gewinn zutrug, für den hatte er schon all' seiner Lebetage nicht viel übrige Worte.

»Ein Magister, sagt er,« bedeutete der Geselle raunend. »Von den Kelchnern aus Klattau vertrieben, sagt er. Will mit Euch reden, ob er sich im Städtel niederlassen dürfte. Badergeschäft oder so etwas.«

»Jetzt zeigt und richtet dem Liendl alles, was er braucht und mitnehmen will!« schaffte er den herumstehenden Gesellen. »Nur gute und richtige Ware! Preise? Ihr könnt sie ihm gleich sagen, aber den Zielpreis nenne ich nachher selber. Wird gewiß zufrieden sein damit ... Nachher alles gut und wetterfest einpacken ... Und Ihr?« wandte er sich darauf dem Wartenden zu, der ein Magister sein wollte.

Aus dem Gesichte schwand der leichte Anhauch zuvorkommenden Lächelns, das er stets für seine Kunden und Käufer hatte, und die Züge wurden wieder so hart wie aus Buchenholz geschnitten.

Der Fremde lüpfte leichthin das Barett und kam etliche Schritte näher. Gab sich ansonsten auch gutding so steif und gesetzt wie Herr Hillebrandt. Einem leidigen Leinenkrämer und Würzsacke stand er, der auf der hohen Schule zu Leipzig graduierte Magister Damals gleichbedeutend mit Doktor. zumindest in nichts nach, auch wenn er jetzt wie ein nestsuchender Spärvling Sperling. Vom gotischen sparva. durch Land und Gegend zog.

»Seid Ihr Herr Hillebrandt, der Stadtrichter?« gegenfragte er.

»Allemal. Schon über vier Jahre.«

»Ich heiße Magister Sebald Achmiller und bin Arzt ... Arzt, nicht Bader,« wiederholte er mit Nachdruck.

»So ja ... Und Ihr wollt ...?«

»Hatte in Klattau recht guten Verdienst. Weither kamen die Kranken zu mir. Aber ich bin kein Utraquist und noch dazu ein Deutscher. Also hat man mich ausgewiesen, und ich mußte fort und wandern ...«

»Nun ja: die Kelchner! Und in Klattau, scheint mir, sind ihrer genug. Sind lästerliche Wichte, was man so hört von ihnen. Im geheimen, deucht mich, wollen sie sich auch bei uns einschleichen, werden aber damit auf keinen grünen Anger kommen.«

»Da hat man mir geraten, mich hierher zu wenden. Es wäre nur ein Mann hier, der Bart scheren, Zähne reißen und schröpfen könnte ...«

»Mehr kaum,« gab Herr Hillebrandt leichthin zu. »Sein Vater war Bader und nicht der dümmste Mensch. Hat viel verstanden und vielen geholfen. Aber der Tobies! Mein', daß halt einer im Städtel ist, der die Bärte schert und Zähne reißt.«

»Ich habe meine Sache nach Brauch studiert und verstehe auch etwas, ohne mich selber zu loben ... Könnte ich mich da wohl hier niederlassen?«

»Meinethalben schon,« nickte Herr Hillebrandt herablassend und gewährend. »Dem Magistrate kann es nur recht sein, wenn etwer zur Hand ist, den man im Notfall auch brauchen kann. Was – – – habt Ihr sonst noch für ein Geschäft?«

Der Magister sah den Kaufherrn ganz überrascht an ob dieser Frage.

»Geschäft? Aus der hohen Schule lernt einer nur seine Wissenschaft. Mehr braucht er nicht ...«

»Nun ja, das ist Eure Sache. Und ... habt Ihr auch Euren gültigen Abschied Entlassung. vom Klattauer Magistrate? Ich meine, daß wir nicht etwa hintennach ...«

»Ich brauche doch keinen Abschied. Als Magister bin ich eigenfrei und niemandem hörig und kann sonach jedes Weges wandern.«

»So ja, ... Ist gut, und ich wünsche Euch recht gute Geschäfte. Wird auch notwendig sein, wenn Ihr nicht noch ein ander Geschäft betreibt ... Den besseren Häusel wohl?« wandte er sich gleich darauf wieder dem Geschäfte zu, während der Magister zurücktrat und sich mit leichtem Lüpfen des Baretts verabschiedete. »Im Preise nicht arg viel Unterschied, aber schon etwas recht Gutes ... Fingerlein, sagtet Ihr auch?«

»Ja, ein Schock und hübsch gemischt.«

Ein klapperdürrer Gesell suchte nach Fingerlein, fand aber keine. Jedes Kästlein leer, in dem sonst diese Ware zur Hand lag.

»Nichts mehr da, Herr.«

»Kann fast nicht sein; aber wenn es so wäre: diese Kleinigkeit haben wir bald ... Lenz, gehe hinüber zum Kühwolfen!« schaffte er einem der Gesellen. »Er möge uns aushelfen mit einem Schock Fingerlein ... oder was er halt hat. Und bis Ihr wiederkommet, Liendl, ist neue Ware da. Wenn Ihr dann fünf und zehn Schock brauchtet ...«

»Ist alleweil Nachfrage nach solchem Zeug. Das junge Gevölket! Daß Gott erbarm'! Oft keine gute Pfaid am Leibe und keinen rechtschaffenen Flanken Gewand, aber Fingerlein müssen sein, gleich zwei und drei an einer Hand. Ist ein böser Geist, der Putzteufel.«

»Ist einer; doch wer kann ihn austreiben? Muß eben fleißig gefüttert werden, wenn er schreit,« versuchte er zu scherzen.

Derweil auch ein Sack Federn gewählt und gewogen worden, kam der Lenz vom Kühwolfen zurück ... Nicht ein Fingerlein im ganzen Geschäfte, vermeldete er. Alles verkauft und verrissen, hätte der Kühwolf beteuert.

Doch Herr Hillebrandt zweifelte. »Kann sein und auch nicht. Oftmals helfen die besten Nachbarn nicht aus, wenn sie der Neid plagt ... Zufleiß soll einer von Euren Knechten hingehen und ein Fingerlein kaufen wollen. Da wird man daraufkommen. Wie ich sage: kann sein und auch nicht.«

Zufleiß also schickte der Liendl seinen Säumerknecht Jocherl zum Kühwolfen wegen Fingerlein. Er wollte sich gern eines kaufen für sich oder seine Herzgespännin, wie er eben sagen wollte. Und das Fingerlein zahlte nachher er, der Liendl. Nur, daß man die Leute kennen lernte.

Und der Jocherl ging zum Kühwolfen und verlangte ein Fingerlein ... Eines? Hunderte, wenn er wollte und brauchte. Das allerschönste könnt' er sich aussuchen. Man stellte ihm gleich ein ganzes Kästlein voll vor, und er kaufte sich eines, wie es ihm aufgetragen ward.

»Ist ein Gesakert, diese Menschheit,« meinte der Liendl in seiner allweg etwas grübelnden und rauhschaligen Weise. »Ein bissel spottschlechte Haut und gefüllt mit Neid und Untugenden. Keinem einzigen ist mehr ein Wort zu glauben.«

Da jedoch die Fingerlein schön und wohlfeil waren, ging er trotz seines Mißfallens selber hin und kaufte davon ein Schock. Aufträge muß ein Säumer allezeit ausführen, sonst verdient er nichts und verliert mit der Zeit jegliche Kundschaft. Da kann er dem Herrn Hillebrandt schon nicht helfen.

Als er mit Rossen und Knechten wieder vor dessen Gewölbe kam, um aufzupacken, was er dorten gekauft, fragte Herr Hillebrandt gleich nach, ob er zum Kühwolfen geschickt.

Ja, freilich. Wenn er Hunderte so Dinger hätte brauchen können, sie wären zu haben gewesen. Schön und wohlfeil. Hätte aber nur dies eine Schock brauchen können und dieses auch gekauft.

Herrn Hillebrandts Gesicht verlor für etliche Augenblicke alle Farbe, um gleich danach so rotblau zu werden wie eine unzeitige Zwetschke.

»Da habt Ihr es! Da seht Ihr es nun selber, wie falsch dieser Wicht sein kann!« stotterte er in jäh überwallendem Ärger heraus. »Mir schickt er so eine Botschaft, und Euch böte er Hunderte an! Da ... da ...« Für den Augenblick wußte er nicht gleich, was er herausbringen sollte, das nicht zu grobschlächtig war, ein Lob aber schon gar nicht.

Der Vorsäumer kam mit Preisen davon, bei denen er reichlich verdienen konnte, und in Herrn Hillebrandts Sinnen wallte der Ärger immer höher ... Mag ja sein, daß er in einem ähnlichen Falle dem Geschäftsnachbarn auch nicht geflissentlich zu einem Gewinn verholfen hätte, aber nicht so offenkundig hätte er seine Mißgunst gezeigt. Ein etliche Stücklein hätte er schandenhalber gegeben und ein paar wohlfeiler Ausreden dazu. Wäre etwas gewesen und auch nichts, und niemand hätte es ihm richtig verübeln können. Aber fredigweg Kurzweg. abschlagen ...! Noch dazu die Kühwolfen, deren strohborstiger Lümmel sich um seine Christel müht und auf beiden Seiten ein Ernst in der Sache steckt! In diesem Falle ärgerte ihn die Falschheit am meisten.

Als die Säumer aufgepackt und wieder vondannengezogen, ging er in seine im Stockwerke gelegene Stuben. Dorten konnte er doch seinem Ärger nach Gelüsten Luft machen. Im weitgewölbten Hausflure jedoch tollte ihm sein Jüngster, das Hänslein, entgegen, ein dicker, rotwangiger Kerl, dem schon wieder die Joppenärmel zu kurz wurden und das Höslein zu enge, so daß daraus ein nackend Knie hervorlugte und rückwärts ein gut Stück der Pfaiden.

»Wie schaust denn du wieder aus?«

Unwirsch und scheltend sollte die Frage herauspoltern, aber es gelang ihm nicht. Der Bub war trotz aller Unbändigkeit sein Liebling, der einstens das Geschäft übernehmen und weiterführen sollte. Wenn die andern dreie auch gelebt hätten, die zwischen den beiden Dirndeln und diesem Nesthäkchen hinausgestorben, hätte man nicht sagen können, wie sich das Blatt im entscheidenden Augenblicke gewendet; so gab es eben keine Wahl, und Bub und Geschäft gehörten zusammen.

»Z' wegen was?«

»Die ganze Hose zerrissen. Eine Schande vor den Leuten. Der Richterbub!«

»Ach was!« meinte der Junge geringschätzig. »Alle Buben haben zerrissene Hosen, weil das Zeug nichts nutz ist. Der Bräuersepp hat gleich das ganze Knie abgesprengt ... rundum. Und der Schulmeister hat gesagt, wenn wir das Wurzelziehen auch noch lernen wollen – ein Batzen die Woche. Wißt Ihr: das Ausziehen der Wurzel aus einer Zahl ...«

»Zu was?«

Der Bub schupfte die Schultern: »Das weiß ich auch nicht.«

»Na also. Wir werden Schluß machen mit dem Schulgehen. Im Sommer mußt du ins Geschäft, und da heißt es von neuem lernen. Die Hauptsache: gut rechnen, daß allemal etwas übrigbleibt. Was nutzet mir das Wurzelziehen, wenn mir derweil ein anderer die Haut abzieht?«

»Des Bäcken Gürg lernt es auch.«

»Werden ja sehen,« gab er zum Scheine nach. »Darüber rede ich selber noch mit dem Schulmeister. – Daß dir die Mutter gleich eine andere Hose sucht! Eine Schande, wenn dich einer so sähe ... die ... die Kühwolfen zum Exempel. Nicht einmal eine gute Hose können sie dem Buben erhausen, wäre sicher die erste Spottrede ...«

Der Bub hastete die Stiege vorauf, und in der Küchenstube schrie er sogleich: »Hunger hab' ich.«

Frau Susel Hillebrandt, ein etwas dicklich und knollig Weiberleut mit gutmütigem und allweg behaglich vor sich hinlächelndem Gesichte, schlug vorerst die polsterdicken Hände klatschend ineinander und suchte daraus im Ofenrohre nach irgendeinem, noch halbwegs warmen Essen für den Unband.

»Der Bub! Der Bub! Wenn der so weiter gerät, frißt er das Geschäft auf.«

Herr Hillebrandt räusperte sich einige Male prustend und kraggelnd.

»So lernt man die Leute kennen. Viel Freunde, viel Hundszagel, sagt man.«

»Was ... ist's denn?« forschte Frau Susel und wandte sich von dem Buben.

»Was es ist? Eine grundfalsche Falschheit, ein ... eine Schelmensippe ... So muß man die Leute kennenlernen ... Das und jenes kommt vor im Geschäfte, und anstatt daß sie aushülfen, schicken sie so einen Bescheid ... Haben nichts, und dem Liendl bieten sie die Sachen hundertweise an ...«

»Ja, da wüßte ich wirklich nicht ...« staunte und entrüstete sich Frau Susel und starrte den verärgerten Mann mit Aug' und Munde an.

»Ich auch nicht; aber ... so etwas merkt man sich. Ledig Neid und Bosheit und die Sorge, wir könnten einige Pfennige zuviel gewinnen.«

»Muß man halt ein andermal auch so sein«, riet Frau Susel. »Für alles kommt ein Zahltag.«

»Wird auch kommen. Und wie ich wieder mit ihm zusammenkomme, da oder dorten, reibe ich ihm die Gefälligkeit unter seine rote Pfundnase.«

»Gar nichts sagen dazu! Tun als ob man nicht wüßte darum! So kommt eines am schönsten durch. Und wie es sich schickt, abzahlen! Eilt ein und dasselbe Gröschlein.« Sie war schon all ihrer Lebetage so: nur allweg ohne Zwist und Hader und schön im Ebenen dahin! Macht das Leben um vieles ringer und läuft derselben Wege.

»Wahr wär's eh',« gab er zu. »Wenn man es allemal übers Herz brächte ... käme für alles der beraumte Tag von selber ...«

Am Fenstertischlein saß ein flachszopfig Jungfräulein und nähte: Christel, die Tochter des Hauses, die trotz ihrer jungen Jahre vermuten ließ, sie würde in späteren Zeiten der Mutter nicht zurückstehen an wohlgerundeter Leibesgestalt. Langsam sanken die Hände mit der Näharbeit in den Schoß, und langsam hob sich das rosenrote, flachszopfige Köpfchen.

»Wer weiß, ob es so gemeint war, wenn es wirklich so gewesen sein sollte«, suchte sie zu mildern. »Wird oftmals etwas ganz anders gedeutet ... Ich werde den Wolfen darüber fragen, wenn er wiederkommt.«

»Nicht unterstehen!« verbot Herr Hillebrandt. »Das ist Geschäft, und ins Geschäft lasse ich mir von keinem darein reden. Keinen Muck!«

Damit war die Sache derweilen abgetan. Herr Hillebrandt wußte, daß seine Susel selten den schlechtesten Rat fand und gab, und es kam ihm selber mählich für, es wäre das Beste, den Ärger hinunterzudrücken und den beraumten Zahltag abzuwarten. In Geschäften muß einer manchmal mehr schlucken können, als er beißen kann, sonst spießt es sich hier oder dorten. Und ein Geschäftsmensch war er allerwegen.

Er tat daher nur noch ein paar ungefüge Schnaufer, gab der geschäftsneidigen Nachbarsippe ein kindgrob Geheiße und trottete wieder ins Verkaufsgewölbe hinunter.

Dort stand ein dürrhagerer, bleichgesichtiger Mensch am Verkaufstische und schlug von einem dicken Stücke wundervoll gemusterten Tischgradels eine Armeslänge auf: der Baderdikel, des ehemaligen Baders Bub und der beste Weber um und um.

»Eine Arbeit!« lobte und klagte er in einem Atem. »Wie gemalt. Nicht wahr? Das ganze Eßzeug eingewebt und darüber der Vogel mit dem Kränzel in den Krallen! Ein Linnen, das auf die Tafel eines Königs oder gar eines Kaisers tauget. Selber zusammengestellt das Muster. Zweiunddreißig Schäften ... schier der ganze Webstuhl voller Schäften und Schemmel. Die Tritthebel am Webstuhle, welche die Schäften senken oder heben. Gibt eine Arbeit; ist aber auch eine Arbeit ...«

»Wunderschön!« nickte ein stämmiger Ladengesell und wiegte wundernd den Kopf hin und wider. »Wahrhaftig wie gemalt.«

»Wie du nur das so zusammenbringen kannst?« staunte ein anderer. »Fäden längs und Fäden quer ... da sollte man meinen ...«

»Muß eben alles gelernt sein. Muß alles mit einem verwachsen wie die Blühe mit dem Ästlein. Muß einer sich ganz hineinleben können in sein Handwerk. Sonst bringt er es zu nichts Rechtem. Aber ein Geschinde, sage ich.«

Herr Hillebrandt wiegte auch den Kopf hin und wider und musterte mit Kennerblicken die wahrhaft wunderschöne Arbeit.

»Läßt sich überall sehen,« lobte er zurückhaltend. Ein größer Lob würde den Weber leichtlich zu höherer Lohnforderung verlocken.

»Das meine ich halt auch, Herr,« bekräftigte dieser. »Wie ich gesagt habe: Tauget auf die Tafel jedes Königs und Kaisers.«

»Das etwa nicht, aber sonst in jedes gute Haus. Alles, was wahr ist, Dikel. Der Zeug Soviel wie Stoff, Ware. Mundartlich heute noch gebräuchlich. ist schön, recht schön, muß man sagen, und er taugt überall hin. Aber eine Frage: Wer ihn auch kauft?«

»Jeder, der ein besseres Hauswesen hat und das Geld dazu.«

»So Sachen gehen heute schwer. Schlechte Zeiten, unsichere Zeiten ... Wer legt heute Geld für schönen Hausrat aus, wenn er oft nicht einmal seines Lebens einen Tag sicher ist? ... Heute erst einer gekommen, ein Bader, ein Magister sogar. Aus Klattau vertrieben worden. Trägt sein ganzes Um und Auf im Bündel auf dem Rücken daher. Wird sonst sicherlich mehr gehabt haben. Also wie ich sage: Wozu kauft einer heutigentages teures Zeug? ... Abnehmen? Gewiß, Dikel. Ich habe Euch noch alles abgenommen. Und wenn ich es nicht weiterbringe, bringt es keiner aus seinem Gewölbe. Käme auch nicht an den Bettelstecken, wenn mir wirklich einmal ein Stück liegenbliebe und verdürbe ...«

»Das glaube ich, Herr, aber bei solcher Arbeit gibt es das nicht.«

»Hoffen wir. Und der Preis?«

»Preis?« Der Weber schupfte die eckigen Schultern. »Vom Preise kann man da kaum reden. Das Garn habe ich ohnehin von Euch auf Borge ... Ich meinte halt: Fünfzehn Kreuzer die Elle, dreißig Pfennige alles in allem ...«

»Ein Schilling? Mann ...!« entsetzte sich Herr Hillebrandt geflissentlich und gewohnheitsmäßig. »Was soll ich mit einer Ware: ein Schilling die Elle? Und verdienen möchte ich auch einen Pfennig oder zweie.«

»So rechnet! Das Garn kostet mir von Euch selber soundsoviel. Wenn ich dann von der Elle fünf Kreuzer Arbeitslohn rechne ...«

»Fünf Kreuzer von der Elle?«

»Wäre denn das auch noch etwas? Von gemeinem, glattem Linnen werden zwei Kreuzer Webelohn gezahlt für die Elle, und da mache ich, wenn ich fleißig dazusehe, fünfzehn, sechzehn Ellen den Tag; bei so einem Zeuge nicht die Halbscheid, weil man zuviel aufmerken und unter den Schemmeln herumtreten muß. Leben möchte man doch auch ...«

»Aber ein Schilling die Elle!«

Nun raffte sich der Weber zu einem Gegenzuge auf. »Ich habe halt gemeint, Herr Hillebrandt. Weil wir alleweil in Geschäften sind. Wenn Euch der Zeug zu teuer ist: ich kriege den Schilling dafür, etwa noch mehr.«

»Von wem?«

»Wird sich schon etwer finden.«

»Und ... mein Garn?«

»Wie ich das Geld auf der Hand habe, trage ich es her und zahle das Garn.«

»Nicht schlecht! Von mir das Garn auf Borge nehmen und die War' etwem anderem verkaufen! Dikel, das sind böse Fürnahmen.«

»So gebet, was recht ist!«

»Achtundzwanzig Pfennige zahle ich dir für die Elle. Leben und leben lassen. Wieviel Ellen sind es?«

»Vierundfünfzig.«

»Also, schaut den Haufen Geldes an! Und Ihr könnt gleich wieder das Garn mitnehmen für ein zweites Stück desselben Musters. Kein Pfennig Angabe. Bleibt Euch also das ganze Geld voll. Dreizehneinhalb Pfund Pfennige! Mann!«

Ein paar Augenblicke besann sich der Weber. »Meinethalben!« nickte er dann wie einer, der nur die Wahl hat zwischen Sterben und Gehängtwerden. »Da habt es. Aber diese Mühe tu' ich mir nimmer an. Hab' eh' noch genug Bauerngarn zum Wegarbeiten. Und schier völlig umsonst? Nein, nimmer.«

Herr Hillebrandt schaute ein Weilchen ganz verdutzt an dem Kunden, der überlings anfangen wollte bockbeinig zu werden.

»So zahle ich Euch den Schilling voll. Aber noch ein Stück von diesem Muster müsset Ihr mir arbeiten.«

»Nein, Herr, nimmer. Habe mir's im Augenblicke vorgenommen: Nimmer. Rechnet die Schuld ab. Bis zum Sommer hin wird man ja sehen. Jetzt muß ich doch auch die Bauern zufriedenstellen.«

Herr Hillebrandt öffnete und schloß den Mund ein etliche Male, als drängte dahinter eine Rede und verspießte sich allenthalben. Dann langte er in die schwer beschlagene Geldtruhe und zahlte dem Weber, was der noch herausbekam. Als der jedoch fort war, besah er das Stück Tischgradel noch einmal um und um und seine Augen sprühten immer mehr.

»Arbeiten kann er, der Schelm; das muß man ihm lassen.«

»Das Stück ist in zwei, drei Tagen weg«, verhoffte einer der Ladengesellen. »Nur sehen lassen! Die Bräuerin, die Bärnsteiner Schloßfrau ...«

»Unter drei Schillingen nicht, schätze ich.« So ein anderer.

»Kommt nicht zum Verkaufe,« entschied Herr Hillebrandt. »Gehört ins Haus, und wenn er doch wieder ein solches Stück macht, geht es fort.«

»Wenn ...« stellte ein Dritter dahin. »Er will bockbeinig werden. Etwa nimmt ihn gar ein anderer in den Zaum.«

Da gab es Herrn Hillebrandt jählings einen Ruck herum ... Ein ... anderer! Wäre noch schöner; wäre aber gar nicht unmöglich. Genau so gut wie er, muß jeder Kaufmann kennen und verstehen, was sich an so einem Zeug verdienen läßt, und wenn einer um ein etliche Pfennige mehr zahlt für die Elle und ihn vielleicht sonst besser mitkommen läßt ...

Der Ärger, den Frau Susels bewährter Rat beinahe völlig niedergedämpft, begann wieder zu wachsen wie ein Häuflein Glut, in das ein Luftzug weht ... Der Kühwolf, dieser Neidhammel ... jeder andere Kaufmann ... Nein, so weit kann er, der Hans Hillebrandt, es nicht kommen lassen. Heute schickt es sich nicht, und heute schaute die Geschichte auch ganz eigen aus, aber morgen gleich beizeiten nimmt er den Dikel wieder ins Gebet und ... in den Zaum. So ein Geschäft läßt er nicht mutwillig und wegen ein paar Pfennigen aus der Hand und einem anderen zu Gewinne.


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