Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13.

Kirchenfest im Städtel!

Weihnachten, Ostern und Pfingsten sind hohe Feste, die von der ganzen Christenheit gefeiert werden, doch das Kirchenfest im Städtel, das auf den Sonntag nach Sonnenwenden fiel, weil die Kirche Johannes dem Vorläufer geweiht, war da seit jeher noch festlicher begangen und noch höher gefeiert. Weihnacht, Ostern und Pfingsten kann jeglicher Christ feiern, wo und wie er will, das Kirchenfest im Städtel aber gehörte den Städtlern ganz allein und ungeteilt. Da wurde schier die halbe Woche vorher schon allenthalben geputzt und gescheuert, geschrien und gekeift, und die Schenken staken immer voll Gäste, die daheim im Wege gestanden.

Beteten die Hausfrauen schon lange vorher beharrlich um schön Wetter für die Putzwoche, so tat es das gesamte Frauenzimmer, das noch nicht zu den Hausfrauen zählte, um schön Wetter für den Sonntag. Da gab es wieder Tanz und Reigen auf dem Stadtanger draußen bis schier in die geschlagene Nacht hinein, und das wog ihm mehr als Johannes der Vorläufer und dessen ganzes Kirchenfest.

Sogar Frau Susel raffte sich die letzten Tage der Woche aus dem Bette und leitete den Aufruhr und die Putzarbeit im Hause. Wie lebenstärkender Balsam war ihr die Rede und Verheißung ihres Eheherrn ins Herz und in alle Lebensadern geträufelt, daß der in kommender Woche das Kind wieder heimholen wollte. Freilich wäre ihr dies heute lieber gewesen denn morgen, aber weil nur wenigstens einmal gewisse Hoffnung am Himmel hing! Die paar Tage würden ja auch noch zu überdauern sein, und wenigstens fand das Kind ein festlich geputztes Haus bei seiner Heimkehr.

Wirklich ein wie frisch aus dem Ei geschältes Haus. So wollte sie schon alles putzen und richten lassen. Und dann, wenn sie wieder da war, die Christel! Mochte ja sein, daß sie es dem Vater eine Zeitlang nachtragen wollte, wenn sie erfuhr oder gar schon wußte, daß sie dieser für eine Weil' aus dem Wege hat räumen wollen; aber ihr, der Mutter gegenüber, gab es keinen Verdacht. Sie hatte ja abgeredet und abgeredet, so viel sie vermocht. Ihr gegenüber mußte also das Verhältnis das alte sein, vielleicht gar noch ein innigeres. Wie wenn nach grausiger Wetternacht die Sonne wieder über die Waldberge emporlachte, mußte es sein, wenn das Kind wieder in die Stube trat, und wie ein Märchenschloß mußte das ganze Haus werden.

So sann und schwelgte sie in wachsendem Freudhoffen dahin, bis wieder ein paar Regentropfen in ihre Freudseligkeit fielen.

In der Nacht, da sie ein Weilchen munter und schlaflos gelegen und wieder so vor sich hingesonnen, hatte es dreimal an der Tür ihrer Kemenate gepocht, und dann war es gewesen, als schlürfelten leise Trittchen durchs Stübel. Sie war nicht das Leut, das sich vor jedem Mäuslein oder vor einem Nachteulenrufe fürchtete, es hätte schon etwas kommen dürfen, das einem beherzten Manne zu denken gab; das Pochen und Schlürfeln aber jagte ihr etliche Schauer über den Leib.

Ungefähr so hatte es damals auch gepocht, als ihr Vater jählings verschieden, und ein Zeitlein nachher hatte man ihr die Schreckensbotschaft gebracht.

Manche lachen und spötteln darüber, manche aber glauben baumfest daran, daß der Geist eines Verstorbenen noch zu dem und jenem seiner Lieben komme, von dem er sich als Lebendiger nicht mehr verabschieden und beurlauben hätte können. Die Leute nennen solches das Urlaubnehmen eines Toten und halten viel darauf.

Das kam ihr auch in das Sinnen, und die Sorgen wuchsen von neuem. Würde ja doch wohl um Gottes willen nicht etwa ...

Am andern Morgen ging sie den Mann sogleich wieder an, das Kind so bald als möglich wieder heimzuholen; das und jenes hätte sie in der Nacht vernommen.

»Montag in aller Herrgottsfrühe,« versprach der und schickte auch gleich einen der Handelsgesellen zum Heindl, sich und das Gefährte für Montag früh zur Landfahrt bereit zu halten. So es ihm für diesen Tag nicht ausginge, sollt' er es gleich zu wissen tun, auf daß man etwen anderen aufnehmen könnte.

Käme ihm eh' ganz gelegen, meldete der zurück. Nach dem Festesrummel am Sonntage wäre so eine Landfahrt eine Ausheiterung.

Um halben Vormittag herum kamen die Säumer wieder und brachten Salz. Sie hatten sich's so eingerichtet, daß sie den Kirchenfestsonntag im Städtel verbringen konnten. Stand weit und breit im Rufe, derselbe, und aus der ganzen Gegend kamen die Leute zusammen, insonderheit das junge Gevölke.

Herr Hillebrandt erinnerte sich, daß sie das letzte Mal und in dem damals herrschenden Rummel nichts eingekauft bei ihm, und er ließ nun den Liendl nicht früher aus, als bis dieser seinen Einkauf bei ihm gemacht. Setzte auch allen anderen und der halben Welt zum Trutze einen Preis, den kaum ein anderer hätte nennen können. Trutz wider Trutz! Und wenn es schon einmal in beinhartem Ernste ging, so sollte auch ein Ernst aufgewendet werden, um ... etliche dieser Neidvögel vom Ästlein zu schütteln. Er hielt es noch immer aus.

Denselben Tag stolperte auch der Honso, der Zwiebelböhm, wieder durchs Tor.

»Bin ich auch wieder einmol do. Auf Kirchenfest sogar.«

War immer und allweg die erste Rede, die der Böhm durchs Tor hereingrinste: Bin ich auch wieder einmol do.

Dem Amschel zuckte beinah' ein Lächeln über das bärbeißige Wächtergesicht. Der alte Gottvater selber mußte vielleicht in seinen schneeweißen Urahnenbart lachen, wenn er einmal so all seine Kostgänger der Reihe nach besah und betrachtete. Gar erst ob dieses Zwiebelwichtes, der obendrein noch so nützlich war wie ... Es fiel ihm im Augenblicke kein Vieh ein, das ebenso spaßig anzuschauen und ebenso nützlich war.

»Bist gewiß beim Stadtrichter oder gar beim Ungelteinehmer zu Gaste geladen für das Fest?«

»Nu gerade nicht, aber ... nicht ungern gesehen. Frauen brauchen Zwiebel, Anis, Knoblauch, wenn wollen sie gut kochen ...«

»Wird sich aufhören, der Handel,« neckte der Wärtel, um sich eine billige Kurzweil zu schaffen und den Wicht ein wenig ins Grausen zu treiben.

»Wieso? Mein Zwiebelhandel ...«

»Sind erst darauf gekommen, daß der Fürkauf Betrügerischer Zwischenhandel. In den alten Stadtrechten gemeiniglich: fraus, quae Fürkauf dicitur. hart verboten ist in der Stadt und im ganzen Umbezirke.«

»Was? Mein Handel ist Handel, nicht Fürkauf,« ereiferte sich der Honso. »Wenn man nicht brauchte Zwiebel, Anis, Knoblauch wie Stück Brot, hätte mich Richter schon längst zum Tschert Tschechisch: Teufel. gejagt.«

»Frage nur nach beim Stadtschreiber!«

Der Gauch schnappte den breiten Mund etliche Male auf und zu, fand aber augenscheinlich nicht die richtige deutsche Rede als Antwort. Schließlich knurrte er etwas völlig Unverständliches vor sich hin und humpelte und stolperte mit seinem Zwiebelsacke seines Weges weiter und ins Städtel. Im ersten Hause neben dem Tore bot er schon seine Ware feil, und bis er zum Steffelhannes kam, war der Sack beinahe zur Halbscheid geleert.

Auch der Pfeifer-Haug zog denselben Tag schon mit zweien seiner Gesellen durchs Tor und ins Städtlein und ließ sich gleich am Brunnen hören, damit ja jegliches um seinen Einzug wußte. Hatte aber in etlichen Augenblicken schon die halbe Stadtjugend um sich, die die Kunde in jedes Gäßlein trug.

Gegend Abend kamen auch noch etliche Gaukler, Eisenfresser, Gliederverrenker und Seiltänzer, die sich da etliches Geld verdienen wollten.

Jost Helmschmied plagte sich den halben Nachmittag über mit seinen Sängern, und als diese bis auf den Magister Achmiller fort und aus der Stube waren, sank er schier völlig erschöpft und ermattet auf einen Schragen am Tische nieder und wischte sich mit Hand und Ärmel den perlenden Schweiß aus dem Gesichte.

»Im Schweiße deines Angesichtes ... steht geschrieben,« seufzte er hart auf. »Im Schweiße deines Angesichtes ... Und dabei war der Adam noch gar nicht Schulmeister und Kantor.«

»Hat eben jeder Stand seine Beschwer und auch sein Gutes,« tröstete der. »Mühe und Freuden wechseln ab wie Sonnenschein und Regenzeit, und wenn solches nicht wäre, würde das schönste Leben langweilig und öde.«

»Mag sein, mag wohl sein, aber ...«

»Wenn morgen alles gut geht, steht Ihr gewiß wieder im Sonnenglaste.«

»Nun ja, das wohl; aber bis man diese Wichte so weit bringt, daß alles gut geht! Diese Mühe, Magister! Dieser Ärger! Ich habe schon oft gesonnen, ein halbwegs weicher Brot, wenn ich nur wüßte, ich hängte den Schulmeister und den Kantor auf den höchsten Nagel.«

»Ihr könntet ja doch das Grübeln und Schreiben nicht lassen,« lächelte der Magister.

»Nun ja: das wär' es ja ... das ist's ja. Und was sollte ich sonst anfangen?«

»Wenn Ihr wollt, gehen wir noch ein wenig vors Tor hinaus. Ein wenig Ausschnauben wird Euch wohl tun nach diesem Mühen und Ärgern.«

Also gingen sie noch für ein Zeitlein vors Tor hinaus.

»Das Törlein lasse ich euch angelehnt,« knurrte der Wärtel verdrossen, daß er dieser zwei wegen auch noch eine Weile verziehen mußte. »Das Tor riegle ich zu.«

Ein milder Sommerabend lagerte um und über dem Städtel, und Herr Jost fand, daß der Rat recht gut gemeint war. Würziger und süßlicher Heuduft zog über die Wiesengründe, und durch das Dämmern schwebten in trägem Fluge die Sonnwendwürmchen wie kleine Sternchen. Von Gott weiß wo herüber sang eine Abendglocke, und in den Heuschobern zirpten die Heuschrickel.

»Und er sah, daß es gut war.« In diese Worte der Schrift faßte Herr Jost sein Verwundern und sein Behagen zusammen.

»Wenn man es richtig und ernstlich betrachtet, ist alles gut und schön. Nur von den Leuten gilt das nicht allemal.«

»Da habt Ihr aber recht. Bösewichter, Aufrührer, Irrgläuber und so weiter. Denkt Euch: Sogar der Stadtrichter ist mit den Aufrührern zum Pfarrherrn gegangen, er sollte den kelchnerischen modum einführen oder doch gestatten. Was sagt Ihr dazu? Hussen sogar im Städtel, innerhalb der Mauern? Wozu sind diese ausgebessert und hergerichtet worden? Und der Stadtrichter selber ...?«

»An dem Manne kenne ich mich überhaupt nicht aus. Sobald ich das denke von ihm, drängt er sicher schon wieder zu einer anderen Meinung. Ein guter Handelsherr mag er sein, aber ...«

»Ich weiß nicht: ich habe auch schon so gesonnen, aber mir kommt er hin und wider doch wieder für wie ein Bub, der im Moorgestrüpp einem jungen Hasen nachläuft und sich zu allem Ende pfadlos jagt. Mir kommt es eben so für ... Und wenn wir jetzt die Hussen inner den Mauern haben, und es kämen die wirklichen von außen, und der Stadtrichter hielte mit ihnen allen und täte Tor und Brücken aufreißen, auf daß sie uns totmetzeln könnten, wie man alleweil von ihnen hört ...«

»Dazu käme er nimmer,« nickte der Magister. »Wie sich ein Feind zeigte, wäre der junge Kühwolf der Stadthauptmann, und ... da hätte keiner mehr Zeit zu Wank und Verrat. Doch dazu wird es hoffentlich nicht kommen. Was wollten die Hussen auch in unserem armen Waldwinkel, der ihnen nicht im Wege liegt und ihnen auch keine Beute verheißt?«

Sie kamen wieder zum Tore und zum Törlein, und der Wärtel ward versöhnt, da ihm der Magister zwei Pfennige in die Hand drückte.

»Daß halt morgen alles nach Willen und Gefallen geht!« wünschte der Magister noch beim Auseinandergehen. »Die Freude daran wird Mühe und Ärger weitaus überwiegen.«

»Morgen noch nicht. Der Tag ist verdorben. Andere haben Festeszeit, ich habe Misseweile. Zuerst die ... Aufregung während des Chorgesanges, dann soll ich zu Mittag beim Pfarrherrn zu Gaste sitzen. Und ich mag das nicht und kann auch nicht widerneinen. Trockene Brotrinde auf dem eigenen Tische schmeckt mir besser wie ein Braten auf einem fremden. Ich bin eben so.«

»Mir wäre auch so; aber was kann man wider Brauch und guten Willen? Ich bin auch bei der Frau Kagerin zu Gaste geladen und finde nicht die größte Freude daran.«

»Um die sollt Ihr Euch mühen, Magister!«

»Mmmm! ...« Und er schupfte die Schultern, um weder so noch anders sagen zu müssen.

An einer offenen Fensterluke sang ein Mägdlein seine überwallende Festesfreude und sein Hoffen hinaus in den versinkenden Tag:

»Morgen ist Kirchenfest;
kommen viel liebe Gäst',
kommt der Gürg und der Veit
und mein Hans, der mich freit.«

*

Am Sonntagmorgen knarrten schon bald nach der ersten Hahnenkraht die Schlagbrücken nieder, und die Wärtel rissen die Tore sperrangelweit auf, damit ja jedweder, der ins Städtel und zum Feste wollte, ungehindert seines Weges kommen konnte. Je mehr ihrer kamen, desto mehr Geld wurde im Städtel gelassen, und das war dem hohen Rate und den Geschäftsleuten die Hauptsache. Daher brauchten sie heute auch nicht jedem ins Gesicht zu sehen und zu forschen, ob er ein Schelm wäre oder ein ehrsamer Christenmensch, und daher konnten sie den Festtag auch halbwegs als solchen genießen und mitfeiern. Feierliches Glockengeläute rief den Tag wach, und bald nach aufgehender Sonne zogen auch schon die ersten Fremden durch die Tore, Bauernleute aus dem näheren oder weiteren Umbezirk, zusammengeschundene und zusammengerackerte Knorren und leichtblütiges Jungvolk, das es manchmal den Städtlern oder gar den fürnehmen Edlingen in Tracht und Gehaben gleichtun wollte in seiner dörperhaften Unbeholfenheit.

Das Plätzlein vor der Kirche wurde bald so voll, daß sich die Herren und Frauen des Städtels kaum durchzuzwängen wußten, als es Zeit zum Gottesdienst wurde, und daß manches der Prunkgewänder arg verdrückt und verknüllt wurde. Nur den Bärnsteinern machte man notgedrungen Platz, da sowohl Herr Gangolf und Frau Gerlint wie auch der Amtmann und seine Frau Hadwig hoch zu Rosse kamen, und Roßhufe so wahllos auf Vorfüße und Zehen traten wie auf Schotter und Pflastersteine.

Gleich hinterdrein aber hastete Jost Helmschmied mit seiner Sängerschar, um so zur Kirche gelangen zu können. Der ganze Mann stak voll Unruhe und Angst, daß es trotz allen Mühen und Ärgerns doch noch mißraten könnte, und er wurde erst nach der Wandlung etwas ruhiger, da bis dorthin alles wohl vor sich gegangen. Lief aber auch fürderhin in trefflicher Weise ab, so daß er nach dem letzten Amen wirklich freudselig aufatmen konnte wie einer, der knapp unter dem Galgen durchgeschlüpft.

Nun strebte die Leutmenge auseinander und zumeist in die Schankhäuser, und ein halb Stündlein darnach konnte man allenthalben schon rauhen Bauerngesang bis auf die Gassen hören.

Jungfer Gertraud schwatzte vor dem Brunnen so lange mit etlichen Altersgenossinnen und Bekannten, bis der Magister des Weges kam. Da schützte sie die viele Arbeit im Hause des Vetters vor und fing zu hasten und zu laufen an. Geriet aber dabei auf Umwege und an die Ecke des Seilerangers, wo sie wie unschlüssig stehenblieb und wartete, bis der Magister vorbeikam.

»Wäre der Brauch heute, daß man sich Gäste zusammenladet,« scherzte sie leichthin, um eine Ansprache zu haben. »Unsereines kann nicht einmal sagen: Komme zu mir zum Festtagsimbiß!«

»Geht mir auch nicht anders,« lächelte er.

»Aber wisset was? Kommt zum Vetter ins Essen! Es reut ihn eh' schon hundert Male, daß er sich von seinem Notgrämen hat übermannen und zu harten Worten hat hinreißen lassen. Ich stelle Euch schon etliche gute Brocken vor. So könntet Ihr wohl mein Gast sein.«

Es war Scherz und Ernst in einem Atem. Doch er wiegte und schüttelte den Kopf.

»Recht fleißigen Dank, Jungfer Gertraud; aber ... es geht nicht. Hätte ein sonderbar Gesicht, wenn ich gerade heute zum Balthes käme, wo ich seit meinem Auszuge nimmer war, und nachher hat mich die Frau Kagerin zu Gaste geladen ...«

Etliche Augenblicke entfärbte sich ihr Gesicht, um nachher wie mit eitel Blut überschüttet zu werden, und um ihren Mund zuckte es ein paar Male.

»Ja so? ... Ja so ...?«

Und kurzweg wandte sie sich ab und hastete weiter. Brauchte aber keinen Umweg mehr bis zu des Balthes Hause ... Die Kagerin also zu Gaste geladen! Kann eh' sein ... wird eh' sein.

Wie eine stechwütige Wespe kam sie heim, und während der Arbeit war ihr Geschau so finster wie die Herdkuchel, in der sie werkte und mit Pfannen und Bechern herumklapperte und herumpolterte.

Hie und da brannte etwas an, aber Frau Anne und die Gäste schoben dies der Eile zu, mit der alles verrichtet werden mußte, wenn das Essen zur Zeit auf dem Tische sein sollte. Und nach dem Essen lief sie rasch zu des Schweikers Weibe hinüber, daß es für sie aushelfen möchte in Schank und Kuchel den Nachmittag über. Sie, die Gertraud, möcht' auch etwas haben von der Festeszeit und zahlte daher den Lohn für den Gefallen aus eigenem. Die Schweikerin wußte, wie einem jungen Blut zumute ist, wenn auf dem Stadtanger draußen die Pfeifer zum Reigen aufspielen und daheim diese und jene Arbeit zurückhält, und daher sagte sie nicht ab. Soll sich jedes seiner Jugend freuen, solang diese vorhält!

Der Tausch war aber dem roten Balthes nicht sonderlich nach Wunsche getan. Wo ein jungfrisch Maidlein die Kannen füllt und vor die Gäste stellt, bleiben diese viel lieber und viel länger hocken als wo solches ein alter, knurriger Drach' besorgt, und deswegen murrte er. Sie könnte wohl auch noch gegen Abend, wo es im Geschäfte müßiger würde, sich den Fürwitz aus dem Leibe tollen und hüpfen; er wollte auch ein wenig mitrupfen können, wenn Weizenschnitt ist für die Geschäftsleute. Etliche Augenblicke schaute sie drein wie eines, das etwas herausplappern möchte, dem es aber jählings die Rede verschlagen. Dann drehte sie sich kurz und trutzig herum und ... blieb daheim. Doch im jäh wallenden Trutze nahm sie sich vor, morgen in aller Frühe ihre Habseligkeiten zusammenzuraffen und aus dem Hause zu gehen. Vorerst für ein, zwei Tage heim zum Dikel, und nachher etwa ... dem Tobies nach und in die Stadt. Sollte gehen, wie es wollte. Mochte sich die Kagerin den ... Vogel einfangen, wenn es ihr gelang! Sie raufte nicht darum, sie nicht. Müßte sich vor sich selber schämen, wenn sie nicht auf ehrliche Weise zu ihrem Glücke kommen konnte. Sie also nicht; doch unter die Nase wollte sie ihr's noch reiben und ... nachher gehen.

So huschte sie rasch auf den Kirchenplatz hinüber, als sie die Nachmittagsandacht zu Ende wähnte und lauerte der Kagerin auf.

»Nun, hast du deinen Gast recht gut abgefüttert?« hämte und höhnte sie der unters Gesicht.

Die schaute ein Weilchen an dem Leute wie an einer Zerwirrten.

»Dumme Urschel!« knurrte sie nachher entrüstet. »Möcht' wissen, was ich oder mein Gast dich angingen.«

»Eh' nichts ... eh' gar nichts ...«

»Was fragst denn nachher so närrisch ...?«

*

Nach der Nachmittagsandacht wurde es in allen Gassen und Gäßlein lebendig. Das junge Gevölke zog lachend und scherzend vors Tor hinaus und auf den Stadtanger, hier und dorten stolperten und taumelten einige berauschte Bauern johlend und lärmend dahin, und hie und da brachten der Büttel und seine Stadtknechte einen oder den anderen Friedensstörer vor das Tor und schupften ihn über die Schlagbrücke hinaus. War der kürzeste Weg mit solchen Gästen.

Der Magister hatte bei der Nachmittagsandacht noch singen helfen; doch dann schlenderte er vor ein Tor hinaus und rund um das Städtel herum dem Stadtanger zu. Ein Zeitlein wollte er sich das Treiben dort anschauen, vielleicht auch ein oder den anderen Reigen mit der Gertraud machen, so sie vom Geschäfte abkommen konnte und draußen war, und nachher wieder heimgehen. Man hatte ihm geraten, sich nicht allzuweit fortzuwagen, da es in dem Rummel leichtlich vorkommen könnte, daß man ihn brauchte und holte.

Auf dem Stadtanger hatte der Bräu seinen Weizenschnitt. Über große und kleine Fässer waren Bretter gelegt, und das gab Tisch' und Bänke, darauf sich alles nur so drängte, und alle daumlang klopfte der Holzschlägel an ein frisches Faß.

Wenn Könige bauen, haben die Kärrner zu tun, und wenn man den Heiligen zu Ehren Feste feiert, halten die Unheiligen Weizenschnitt.

An einem der so hergerichteten Tische saßen und lärmten Bärnsteiners Troßknechte, und nicht weit davon hatten sich Jungleute des Stadtfähnleins niedergelassen. Neckreden schwirrten hin und wider, und der Wenz, der Bärnsteiner, dem eine breite Schmarre über die Hakennase lief, stand überlings einmal auf und hämte den Fähnleinsleuten zu.

»Stadtknechte! Unter Wochen Elle und Kerbholz in der Hand und am Sonntage Spieß und Armberüst. Weiß ja oft einer nicht einmal wie er die Plempe in die Hand nehmen soll.«

Der Magister ging zu den Fähnleinsleuten.

»Zettet keinen Unfrieden!« mahnte er ab. »Wer nachgeben kann, ist auch etwer, und man müßte erst sehen, wer im Ernste das Gewaffen besser zu handhaben weiß.«

»Höhnen lassen wir uns auch nicht lange,« ärgerte sich ein Zimmerer, doch ein Schmied lachte nur dazu.

»Maulwerker! Die reden uns kein Loch in die Haut. Gibt nichts, Herr Magister.«

»Ist der junge Kühwolf nicht da?«

»Nein. Keine Zeit, sagt er, und auch nicht viel Gefallen an dem Rummel. Kann auch etwo anders hinken.«

Auf schmalem Brettergerüste saßen die Pfeifer und bliesen mit vollen Backen, derweil das junge Volk um sie herumtollte. War aber keine Gertraud zu sehen um und um, nicht unter den Reigenden und nicht unter den Umstehenden. Wahrscheinlich fand sie keine Zeit bis gegen Abend, bis sich die Fremden aus den Schenken verlaufen haben mochten.

Also verzog auch er sich bald wieder. Was gingen ihn all' diese andern an, die er weder kannte noch zum Tanze haben wollte?

Am Tore tollten ihm Hänslein Hillebrandt und einige seiner Gespielen entgegen.

»Wie geht es der Frau Mutter?« frug er von ungefähr den Buben.

»Ist schon wieder gesund,« nickte der. »Lauter Freude schon, wenn morgen der Vater um die Christel fährt. Ich aber auch.«

Ob sich der Bub freute, daß die Schwester heimkam, oder darüber, daß er vielleicht gar mitfahren dürfte, war aus der Rede nicht zu entnehmen. Aber das hatte er ja gleich gesagt, daß die Heimkehr der Tochter das beste Heilmittel für die Mutter sein würde ... Ein Mensch, dieser Hillebrandt, dieser Stadtrichter, wie es deren im Städtlein nicht allzuviele geben mochte. Wie er, der Magister, halt allweg urtelte: ein guter Handelsherr, der sich von angeblich nichts zum reichsten und angesehensten Manne des Städtels emporgerungen, dem aber der Weg zu dieser Höhe und auch weiterhin auf dieser Höhe so hübsch gleich war, wenn er nur seinen Zielen zuführte. Aber seinetwegen! Er hing weder von dem ab noch von jenem und hatte sich daher auch weder um den noch um jenen zu kümmern. Wer ihn brauchte, mußte ihn entlohnen, und damit war der Handel wieder am Ende.

Am Bänkchen unter dem Tore saßen der Wärtel und der alte Seiler.

»Ist ein Narrenturm die ganze Welt,« kreißte der Seiler in seiner mühselig schnaubenden Weise. »Und wir alle sind die Narren. Hüpfen und springen wie junge Geißböcke, solange uns die Jugend im Leibe steckt, und knurren und murren nachher, wenn uns das Alter auf die Ofenbank wirft wie einen zerrissenen Gewandfetzen. Üben jede Torheit aus, solange wir können, und wollen uns nachher den Himmel erbeten, um den wir uns zur Zeit der Torheit nicht geschert und gekümmert.«

»Ist eh' wahr,« nickte der Wärtel. »Wie du sagst: ein Narrenturm. Wie die Narrheit am Schnürlein zieht, so strampeln wir mit Händ' und Füßen, und oftmals zieht auch die Bosheit mit. Kannst nichts machen wider den Weltlauf als ... am Tore sitzen und jeden Fremden anbellen,« setzte er scherzend hinzu. »Schon wieder heimzu, Magister?« frug er dazwischen den, als er vorüber kam. »Die Richtige nicht gefunden, oder ...?«

»Nein, nicht gefunden,« ging der auf dieselbe Weise ein. »Vielleicht noch gar nicht herangewachsen.«

Da jagte ein Reiter des Weges daher, der aus dem Flachgaue und aus der ... Welt hereinführte in den abgelegenen Waldwinkel, jagte, als ob alle Höllenhunde hinter ihm her wären, und schrie und deutete wie ein völlig Närrischer, als er am Stadtanger vorbeijagte.

Wer ...?

Der Wärtel mühte sich schläfrig empor und legte schon die Hand an den Schubriegel, um den Wicht aufzufangen, so daß er ihn nach wer, wie und woher fragen konnte. Auch am Kirchenfeste war ein daherjagender Reiter ein Mensch, der Rede und Bescheid geben mußte. Der Magister jedoch schob ihm die Hand zurück.

»Winket lieber ab! Am Riegel prallt das etwa scheugewordene Roß mit aller Wucht auf, und Roß und Reiter können verunglücken.«

»Wenn das Roß scheu geworden ist, verunglücken sie auch so und noch etliche dazu, wenn sie in die Stadt hereinkommen und in die Gassen,« urtelte der Seiler. »Draußen abwinken und abscheuen, so daß das Vieh einen anderen Lauf nimmt!«

Also stellten sie sich auf die Schlagbrücke und winkten und scheuchten all' dreie.

Blieb aber von selber vor ihnen stehen, die Mähre, und der Reiter fiel schier von dem schaumbedeckten und nun an allen Gliedern zitternden Viehe.

Du ... rotgoldenes Ringlein! Der ... Tobies, der Badertobies!

»Ja ... wo ... wie ...?« stotterte der Wärtel in Wundern und kleinweisem Entsetzen heraus.

»Die Hussen! Die Hussen!« keuchte ganz heiser der Tobies und schaute wie ein völlig Zerwirrter. Ohne Hut und Jöppel und mit bloßen Füßen stand er da und zitterte schier ebensoviel wie das Roß.

»Wer ... sagst?«

»Die Hussen! Die Stadt haben sie vorgestern erstürmet ... gesengt und geplündert ... schier alles niedergemetzelt ... die Pfaffen ... das ganze Nunnenkloster, ... alles ... und sind schon auf dem Wege daher ... Mit knapper Not habe ich ... das Roß noch erwischt und ... bin ausgeschlupft ...«

Mit weitaufgerissenen Augen und Mäulern starrten die drei den Menschen an, der solche Märe als ... Festesgruß daherbrachte.

»Wie ... sagst ...? Die Stadt erstürmet und ... auf dem Wege daher ...?«

Das Roß schickte sich an, vor Müden und Überhetzung zu Boden zu fallen. Der Magister packte es rasch bei dem Stricke, der als Zaum und Lenkseil diente und brachte es in den nächsten Stall ... Die Hussen in der Nähe? Der Mann schaute nicht danach aus, als daß er den Leuten einen Schelmenstreich in die Festtagsfreude spielen wollte. Wenn es aber Ernst war, dann durfte man auf der Hut sein und sich rüsten ... Kaum hatte er das Roß einem Knechte übergeben, hastete er auch schon wieder zum Tore zurück, wo sich schon ein Haufen Neugieriger um den Tobies sammelte.

»Ist es nachher wirklich Ernst?« fragte er. »Ein solcher Scherz wäre doch etwas toll.«

»Wenn ich es selber mit erlebte!« beteuerte der Tobies. »Vier Tage belagert, und als es inner den Mauern einmal zu brennen anfing, hatten die Hussen gewonnen Spiel. Alles rannte dem Brande zu und von den Mauern, und die Feinde brachen ein. Wie wildes Vieh, sage ich, wie ein Marder, wenn er in den Taubenschlag kommt. Alles niedergemacht, was ihnen in die Hände gefallen. Im Pfarrhause alles, alles und im Nunnenkloster auch. Wenn ich nicht etwa noch auf dem Galgen enden müßte, lebte ich vielleicht auch nimmer, wäre vielleicht gar nicht ausgekommen. Sind aber auch schon Kriegshaufen herwärts auf halbem Wege. Morgen, übermorgen können sie da sein ...«

»Gott sei uns gnädig!« kreischte einer der Neugierigen auf. »Wenn sie bei uns auch so hausen ...«

»Sind noch nicht da«, tröstete ein Wildbart.

»Und sind auch noch gar nicht inner den Mauern.« So der Magister. »Wenn nur uns alle gut halten ...«

»Das meine ich auch ...«

»Jetzt kommt gleich mit zum Kühwolfen!« wandte er sich zum Tobiesen.

»Doch zuerst zum Stadtrichter!« warf einer ein.

»Zum Kühwolfen, sage ich. Von jetzt ab wird der Wolf Stadthauptmann sein und alles in die Hand nehmen. So ist es Ratsbeschluß. Und ... der Rummel da draußen muß gleich aufhören!« ging er den Wärtel an. »Wer hereingehört, herein, und die Fremden sollen ihrer Wege gehen. Nachher Schlagbrücken und Tore zu!« Dann ging er mit dem Tobiesen davon.

Der Wärtel stolperte auf den Anger hinaus und vermeldete dorten die Schaudermär und den Auftrag.

Die meisten lachten ihm hellauf ins Gesicht. Husseneinfall, wo Festeszeit ist und Tanz auf dem Stadtanger! Warum nicht gar ... sonst etwas?

»Das Holderholz, die Buchenkann',
ein Liedel und ein Trunk ...«

schrie und johlte der Bärnsteiner Wenz. »Hussen her oder hin! Den Bärnstein rennen sie nicht um.«

Aber die Jungmannen des Stadtfähnleins tranken mit einem Zuge ihre Kannen leer und standen auf.

»Aus ist's!« schrie der Schmiedgesell in den Rummel ringsumher. »Haug, herunter von der Spielbrucken! Aus ist's! Der Huss' ist im Anritt. Alles heim, was hineingehört!«

»Nachher gehen Brucken auf und Tore zu«, bedeutete der Wärtel.

Nun kam doch eine andere Bewegung in den Wirbel. Alles drängte auseinander und torwärts, voraus das Weibsgevölke. Doch ein übermütiger Schalkgesell konnte auch jetzt noch nicht seines losen Maules Herr werden. Ein altes Kinderspielsprüchel rief und lachte er dem fliehenden Frauenzimmer nach.

»Der Fuchs ist da. Alle meine Gäns' geht heim!«

Die Fremden stoben und eilten nach allen Richtungen auseinander, und Weibergekreische wurde ringsum laut.

»Gott sei uns gnädig, wenn diese ... Vieher kommen!«

Wie Lauffeuer ging die Mär im Städtel auseinander, von Haus zu Haus und von Schenke zu Schenke. Alles stürzte und stürmte aus diesen fort, und die wenigsten zahlten mehr. Die Wirte schrien und fluchten und drohten mit Büttel und Turm, aber niemand achtete dessen mehr.

Nur beim roten Balthes mühte und rückte sich der Bürstenbinder nicht aus dem Tischeck.

»Wär' es nachher besser, wenn uns die Hussen das gute Bier wegsaufen?« gröhlte er. »Nicht weichen und nicht wanken. Ich nicht. Da nicht und auf der Mauer nachher auch nicht.«

Die Gertraud gab in der Eile noch einem Taumelnden, der die Haustür nicht mehr finden konnte, einen kräftigen Ruck nach rechts und drängte ihn fort. Nachher lehnte sie eine Weile sinnend am Türpfosten, und endlich rüstete sie zum Fortgehen.

»Werden gleich hinter die Sache kommen. Wenn der Tobies diese Mär gebracht haben soll, ist er jetzt beim Dikel zu finden, und ich gehe hinüber. Wird sich schon herausstellen. Der Schalk wäre er groß genug, die Leute nur zu schrecken.«

»Nachher soll er aber seinen Balg wohl in acht nehmen,« drohte der Balthes grimmwütig. »So einen Schaden stiften ... mir wie allen anderen! Wie Sohlenleder klopfen wir ihn, so er uns in die Hände fällt.«


 << zurück weiter >>