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8.

Wolf Kühwolf und Magister Achmiller hatten mit den Leuten des Stadtfähnleins ein Zeitlein geübt, wie die oder jene Waffe zu gebrauchen und wie man am besten täte, wenn ein Feind mit der oder jener List oder Gewalt käme. Manche der kecksten jungen Leute hatten sogar vom Wehrgange aus ihre mit Fleiß in guten Stand gesetzten Armberüste Armbrüste, richtig: Armberüste, das Rüstzeug, das mit beiden Armen zu handhaben. versucht und damit nach dem oder jenem geschossen, als ob dies ein Husse wäre. Manche hatten getroffen, als ob sie den schwirrenden Pfeil oder Bolzen lediglich mit sicherer Faust ins Ziel schlagen könnten, und manche waren weitmächtig vom Ziele abgekommen.

»Könnt' gerade dort auch einer stehen,« hatte der Zinngießer gemeint, als man ihn wegen eines hausweit verfehlten Schusses geneckt, »müßte nicht gerade der eine sein.«

Gutding ein Dutzend Steinschleudern standen in den Türmen und auf den Wehrgängen, und jede war in guten Stand gesetzt und versucht worden. Die große Schleuder beim Wassertore warf sogar einen bei zwei Zentner schweren Stein beinahe tausend Schritte weit.

»So etliche Feuerschlangen wären halt recht,« hatte der Waffenschmied gemeint und gewünscht, »die führen unter solche Wichte wie Dunner und Blitz.«

Wären recht! Freilich; aber wo solche hernehmen?

»Wird so auch gehen«, hatte darauf Wolf Kühwolf gehofft. »Muß gehen. Wenn jeglicher auf seinem Platze ist und sich denkt, daß es um Haut und Haare geht, kann nichts fehlen. Wunder können die Hussen auch nicht wirken. Nur im Ernstfalle nicht von den Wehrgängen rennen, wenn es eine Verwirrung gäbe! Kopf kalt und Händ' und Füße warm! ...«

Hernach hatte der Bräu einen Banzen Dickes, rundes Faß. Vergl. Wanst, Banst usw. Bier aufkugeln lassen, und das machte manchem den Kopf etwas wärmer. War ja der Husse noch nicht vor den Mauern und der kalte Kopf nicht vonnöten.

Wolf Kühwolf und der Magister gingen zum roten Balthes. Sie wollten den Leuten keinen Tropfen des Freibieres wegtrinken und lediglich noch ein wenig schwatzen über dies und jenes. Wolf Kühwolf war so aufgeräumt wie ein freudfroh Kind, das von heiterem Spiele kommt, und Scherz und Lachen lagen ihm allerwegen zur Hand. Was sollte auch seine Jugendfreude schmälern? Der Zwist zwischen ihnen und Hillebrandt war nun allem Anscheine nach so gut wie vorüber, und alles schien wie vor und ehedem. Wenn ihnen Herr Hillebrandt noch etwas nachtrüge, hätte er ihn sicherlich nicht eingeladen, gelegentlich den Wieshof von innen zu beschauen. Die Führung des Stadtfähnleins hatte er anfänglich gefürchtet, aber die Sache ließ sich ganz gut an, zumal der Magister viel verstand von solchen Dingen und ihm treulich zu Rate war.

»Gott behüte uns vor solchen Zeiten!« meinte er. »Aber wenn es wäre und wenn nicht ihrer zu viel anrückten, könnten wir uns wohl halten, hoffe ich.«

In des Balthes Schankstube saß der Baderweber und zeterte schon wieder über Blutsauger und ähnliche Leute.

»Den Tag und die Arbeit versäumen, wo einer lediglich von der Arbeit leben muß, und nachher ...«

»Sei froh, daß der Seiler nicht etliche Stricke mehr verkauft hat!« scherzte der Balthes.

»Hat es eh' angedroht, der Gestrenge, aber ... soll nur zuerst andere aufhängen. Stadtväter, den und jenen um Geschäft und Arbeit bringen, andern fünfzehn Kreuzer zahlen für eine Elle und sie nachher verkaufen um zwei Pfund Pfennige ... davon redet keiner.«

»Wer?« fragte einer heftig.

»Wer? Unser Oberster, der Stadtrichter selbst.«

»Der gehörte schon lange weg«, forderte ein anderer. »Wenn einer ... wenn einer ...«, drückte er vorsichtig herum.

»Deswegen alleweil noch nicht,« legte sich Wolf Kühwolf für den angehenden Schwäher ein. »Im Stadtrichteramte kann ihm kein Mensch etwas Unrechtes nachsagen, und wie er seinen Handel treibt, ist seine Sache.«

»Ganz wohl, meint man ... meint man. Wenn ein gemeiner Schelm ein Schelm ist, sagt man soweit auch nichts. Wer hintergangen wird, wenn er mit ihm handelt, dem geschieht recht. Warum handelt er mit ihm? Aber wenn einer der Erste und Oberste sein will im Städtel oder sonstwo, derselbe soll ohne ... Flecken sein. So meine wieder ich!«

»Wie geht es der Kagerin?« fragte ein dürrhagerer Spengler den Magister, um die zuwideren Nörgelreden aus dem Geleise zu drängen.

»Wird wieder,« nickte der selbstzufrieden, »das Ärgste ist vorbei und vorüber, und in acht, vierzehn Tagen hoffe ich ...«

»Ein Übel ist nicht aus der Welt zu bringen, auch wenn derweilen keiner gepeinigt ist damit«, scherzte ein Wagner. »Weiberleut' und Katzen sind kaum umzubringen.«

»Wäre so ein Hausübel für Euch, Magister,« neckte der Balthes, »ein handsam Leut, das keines vertadeln kann, ein schönes Haus, hübsch etliches Geld ... Habt eh' keine Herberg ...«

Die Gertraud stellte gerade zwei, drei frischgefüllte Kannen auf den Tisch, da der Vetter diese Rede tat. Die letzte aber hielt sie etliche Augenblicke unschlüssig in der Hand, und ihre Augen warfen dem Vetter einen Blick zu, an dem sich eins im Augenblick nicht gleich auszukennen vermochte. Jäh schossen ihr Blut und Hitze zu Kopfe, und jäh wurde ihr zu Mute, als müßte sie diesem Menschen die Kanne an den Kopf schlagen, wie dies der Tobies dem Schneiderdavidl getan ... Wenn ein anderer solchen Meinrat Bösen Rat. gäbe, ein Feind oder ... etwer halt, wunderte sie sich nicht so arg; aber ... ein Vetter, in dessen Hause sie schon so lange den Narren macht ...

Wuchtig setzte sie die Kanne auf den Tisch.

»Übel und Krankheit soll sich einer nicht selber zuziehen«, wich der Magister aus. »Kommen früh genug, wenn sie Zeit und Schicksal bringen.«

»Mögen jedem von oben bestimmt sein.« So der Wagner.

Die Gertraud trittelte noch ein klein Weilchen unschlüssig und unnötig in der Schankstube umher und verzog sich nachher. Kam aber denselben Abend nimmer und keinem zu Gesichte.

Der leidige Ärger krabbelte in ihr wie in einem Ameisenhaufen, und zeitenweise wurde ihr, als müßte sie etwas zerbrechen und in Trümmer schlagen. So arg sie selber allweg voll Jungübermut und Schalkheiten steckte und soviel Scherz und Neckereien sie für andere bereit hatte, was sie selbst anging, vermochte sie nur ernst zu nehmen. Und wenn noch dazu ein ... Vetter solchen Rat gab! Mochte ja sein, daß er es nicht unrecht und falsch meinte, weil weder er noch etwer anderer um ihr Sehnen und Hoffen wissen konnte, aber ... was gingen ihn der Magister oder die Kagerin an? Was hatte er da zu meinraten?

Sie schützte Kopf- und alles mögliche andere Weh vor und ging denselben Abend nimmer in die Schankstube.

»Etwa übersehen Von bösem Blicke betan. ...« mutmaßte die Base Anne. »Mit der äbischen Handrücken, verkehrte Hand, ahd. abahe. Hand dreimal ums Gesicht fahren und ausspucken! Wird hernach bald besser sein.«

Übersehen! Das mag wohl schon ein Zeitlein früher gewesen sein; aber heute hatte sie sich überhört, und dawider nutzte kein Gegenzauber. Die dumme Rede brachte sie nicht aus dem Sinnen, und alle daumlang wallte der Ärger von neuem auf.

Als der Balthes, der Vetter, einmal daherkam und eine verärgerte Rede verlor wegen solcher Wehleidigkeit, schoß ihr wieder das Blut jählings zu Kopfe, und auch ihr wurde eine verärgerte Rede locker.

»Da ist uns all' zweien leicht geholfen«, stieß sie in schlecht verhaltenem Zornfieber heraus. »Ihr schaut Euch um eine andere Magd, und ich suche mir einen anderen Dienst. Haben nicht zusammen geheiratet.«

»Was für ein Dunner ist denn heute so jäh in dich gefahren?« wunderte der Balthes und sann nach Grund und Ursache solcher Zerrüttung.

»Heiß' er, wie er heiß', einer wird es wohl gewesen sein!«

»Übersehen halt,« nickte die Base Anne wieder. »Kommt leicht an. Oftmals eines hat schon so einen scharfen Blick. Wird aber bald vorüber sein.«

Doch das ... Überhören hielt den ganzen Abend und mehr als die halbe Nacht vor ... Der arge Rat war gegeben; wenn sich der Magister nun daran kehrte? Manches Übel wird erst lebendig, wenn es mit dem Namen genannt wird.

Das dachte sie vom Magister, jedoch nicht von sich selber. Der Magister war ein recht leutseliger und lieber Mann; aber wie viele der leutseligen und lieben Männer gibt es auf der Welt, von denen einen keiner mehr angeht als alle die anderen. Des ungefügen Zimmergesellen Rat und Rede hatte einen Namen genannt und damit ein ... Übel in ihrem Sinnen lebendig gerufen, das soweit kein Übel war ... Bader, das wäre so ein Weiblein für Euch ... Möchte wohl eines sein, wie er es zu seinem Geschäft und Handwerke brauchen könnte, hat sie selber darauf gesonnen, und dieses Sinnen hat das Sehnen und Hoffen geweckt. Der Meinrat dieses roten Vetters aber hat ein Übel aufgerüttelt, das sich zwischen Sehnen und Hoffen eingeschlichen haben mochte wie ein heimlicher Diebsgesell, und das sich so sorgsam vor ihr selber verputzberget, daß sie es nicht einmal rechtschaffen geahnt. Sie merkte nun, daß ihr dieser Mensch tiefmächtig in Herz und Sinnen lag, und daß sie das unglücklichste Leut in weitem Umkreise werden mußte, wollte der sich an den üblen Rat kehren. Sie hatte im ersten Ärger wohl dem Vetter Dienst und Bleiben aufgesagt, aber sie merkte bald, daß dieses nicht viel fruchten und ändern würde, daß es das Übel sogar noch ärger machen müßte.

So sann und grübelte sie dahin und wog dazwischen den und jenen Weg, und als vom Torturme drüben einmal eine Nachteule zu juchzen anfing und zu lachen, als wollte sie ihrer und ihrer Zerfahrenheit spotten, drängte ihr der unmächtige Ärger Zähren in die Augen ...

*

Denselben Abend war von den Ratsherren und Stadtvätern keiner in der Schankstube des roten Balthes; trotzdem aber erfuhr Herr Hillebrandt schon am anderen Vormittage, was der Baderweber über ihn gelästert und geschändet Schimpfen, zur Schande reden. und wie sich der junge Kühwolf für ihn eingelegt. Im Zusammenhange wurde auch erzählt, daß wegen des Tischgradelpreises eigentlich der Bärnsteiner Amtmann so eine unüberlegte Rede getan. Vom Weber ärgerte ihn das Greinen weniger, weil der seines Vor- und Nachteiles wegen geredet, aber vom Amtmann war es eine Torheit, daß er den Leuten so Sachen erzählte, statt sie für ein Zeitlein in den Turm zu legen. Wenn der also einmal den Tischgradel kaufen wollte, dem er dieser Tage nachgefragt, kann wohl sein, daß er schwer zahlte! Und der junge Kühwolf ...? War soweit ganz schön von ihm, wenn er also getan, und war auch nicht zu verwundern, daß er es getan. Wer so ... gute Absichten hat, muß wohl trachten, Stein um Stein aufs Brett zu bringen. Wird ihm aber trotz allem nicht viel frommen. Er kriegt die Pfennige des Hillebrandt ja doch nicht, dessen Vater ehedem mit Schuhriemen und Pfaidknöpflein von Tür zu Türe gehandelt, zu einer Zeit, wo die Kühwolfen schon angesehene Kaufherren gewesen. Dem ... Wolfen wird das Lämmlein beizeiten aus den Krallen gezogen werden und gezogen werden müssen, ob es nun der Mutter recht ist oder nicht. Wird sich schon eine Weis' und Gelegenheit schicken.

Wenn der Eidam, der Ungelteinnehmer, etwo richtige Verwandte hätte, zu denen man das Kind für ein Weilchen bringen könnte, bis ... sich das Wetter ändert, und bis die ganze Gespunst an einem oder gar an all' beiden Enden mürbe wird und zerreißt! Oder der Einnehmer wüßte sonst einen Rat ... Eine Frage eben; man wird ja hören.

Und er ging nach Mittag zum Eidam und tat diese Frage.

Dies und jenes wäre unterlaufen, und das müßte sich wandeln und ändern. Dieser Wicht kriegte das Kind nicht, und wenn er sich auf den Kopf stellte.

»Kann wohl sein, daß er sich mühete«, lachte Frau Gunde steinhart heraus. »Die Christel nennt er, und ihr Geld meint er. Jetzt gar erst, wo auch noch der Wieshof lockete? Und das Urschelein ist so einfältig wie ein junges Hündlein, das jedem nachläuft, der es lockt.«

»Ich täte es auch nicht, daß ich meine Tochter in so eine Sippe gäbe, wenn ich deren fünfzehn hätte«, billigte der Einnehmer. »Schimpfen und lästern und dann wieder ...«

»Ich werde einmal deutlich reden mit ihr«, nahm sich Frau Gunde vor. »Sie hat noch nichts versäumt und versäumt noch lange nichts ...«

»Ich meine, nicht viel reden und gleich fest zugreifen«, widerriet Herr Hillebrandt. »Reden fruchtet nicht. Heute redet man sich an ihr atemlos, und morgen kommt der Wicht wieder zu ihr, sauset ihr den Kopf voll, und es ist dieselbe Weise.«

»Meine ich auch.« So Herr Simon.

»Ich habe schon gesonnen, sie für einige Zeit fortzuschicken und ihm aus den Krallen zu räumen. Wenn man nur wüßte, wohin?«

Herr Simon und Frau Gunde warfen sich gegenseitig einen Blick zu, der hüben wie drüben gleich war, und aus dem alles mögliche schillerte, wie alle Farben aus einem Regenbogen: Staunen und Billigen, Freuen und Zweifel.

»Das Beste«, nickte Herr Simon, der Einnehmer.

»Was sagt denn die Mutter?«

»Nicht um alles ...! Mit Händen und Füßen ... und aufhängen täte sie sich oder ins Wasser gehen ...«

»Weiberreden.«

»Hat ihren eigenen Kopf, das Leut, aber ... es wird nicht anders gehen. Vielleicht bringt Ihr sie auf einen richtigen Weg, eines oder das andere. Wenn man nur wüßte, wohin? Habt Ihr keine richtige Verwandtschaft, Simon, wo wir sie für eine Zeit unterbringen könnten? Zahle alles.«

»Verwandtschaft!« stieß der Einnehmer fast beleidigt heraus. »Die Föder! Altgeachtete Geschlechter, die dem Herrenstande nichts nachgeben, aber wenig und ... weit weg. Wäre bei den bösen Zeiten nicht zu raten, die Christel zu dem einen oder zum anderen zu bringen. Wenn man bedenkt: Hussen und Landräuber unterwegs ...«

»Da weiß ich dann nicht ...«

»Gebt sie für ein Weilchen in ein Kloster!« riet Frau Gunde. »Sind hier und dorten solche, und dort wird sie es nicht schlecht haben! Muß ja nicht darin bleiben, wenn man es den Leuten gleich sagt.«

»Ja, in ein Kloster«, billigte Herr Simon den guten Rat seiner Eheliebsten. »Muß durchaus nicht darin bleiben. Kann ja früher ausgemacht werden.«

»Dem würde sich vielleicht auch die Mutter nicht so arg widersetzen. Redet einmal von außen herum mit ihr.«

Die beiden aber redeten und rieten zu allererst mit sich herum und rieten so und anders. Recht weit wichen ihre Meinungen, die ansonsten weitaus nicht immer dieselben waren, diesmal nicht voneinander ab, und beide konnten ihre Freude ob solchen Zufalles gar nicht meistern. Brauchten es auch nicht, denn in diesem Stücke dachte eines wie das andere: Der Wieshof und wieder der Wieshof.

Nach sotaner Gelegenheit war also die Christel eine gute Weile aus dem Spiele, und wenn sich eine Gelegenheit gab, konnte sich unversehens und unverhofft einmal eine andere geben. Überlings aber kam Frau Gunde ein weitabliegender Einfall.

»Wäre eigentlich das allernächste, wenn wir zur Heirat mit dem Kühwolfen rieten. Sie kriegte ihr Geld, und wenn er sie hätte, so hätt' er sie. Könnte so ausgeredet werden, daß er nicht mehr verlangte.«

»Ausgeredet wohl; aber ... sie ist dasselbe Kind wie ihr ein jedes. Besser ist allemal besser als gut. Und wenn ... Man kann ja nicht wissen. Daheim kann eins versterben und im Kloster auch. Dann gäbe es ein viel einfacher Teilen: Hänslein das Geschäft und wir den Wieshof.«

»Das wohl ...«

Also riet man auf diesem Wege weiter, und das Ende davon war, daß Herr Simon am übernächsten Tage einspannen ließ und fortfuhr ... »In Amtsgeschäften«, erzählte Frau Gunde der Mutter. Verlor aber keine Silbe von dem, was im geheimen Fürhaben war. Wohl ging sie ein etliche Male schier so etwas an wie linde Vorwürfe und anschleichende Reue, doch arbeitete sie sich allemal tapfer darüber hinweg. Was frommten solche Anwandlungen? Mit denen brachte man es zu nichts, und in diesem Stücke war sie die Tochter ihres Vaters. Zu etwas bringen und von etwas zu mehr.

»Hätte sollen mitfahren«, baute sie klüglich vor. »Wäre ja schön gewesen, ein Trumm Welt zu sehen, von dem man bislange nichts gewußt, aber wenn man einmal verheiratet ist und ein Hauswesen hat, geht es nimmer.«

»Eine Hausfrau gehört ins Haus, nicht in die Welt«, bestätigte auch Frau Susel, und das sollte ein Lob sein für den Sinn der Tochter. »Ist wohl grob, dasselbe Sprichwort, aber es ist wahr: Der Ofen, der Hund und die Hausfrau gehören ins Haus. Ich habe es auch allemal so gehalten, seit wir verheiratet sind. Wo die Frau nicht überall zum Rechten sieht, kann der Mann nicht genug verdienen, und es will trotzdem kein Pfennig in den Sparkasten.«

»Da gehörte sonach ich noch nicht ins Haus?« scherzte Jungfer Christel in ihrer Frohlaune.

»Noch lange nicht«, ging Frau Gunde auf dieselbe Weise ein. »Du könntest und kannst noch aller Welt ein Ende laufen, wenn du wolltest.«

»Täte es auch, wenn ich ... dürfte.«

»Meinst du, ich nicht? Was der Simon nur oftmals erzählt von allerhand Gegenden und Leuten, von Städten und Schlössern! Da ist man wie ein leidig Närrlein, wenn man nie etwas gesehen hat.«

»Wenn der Vater wieder einmal eine Landfahrt macht und mich mitnimmt, fahre ich einmal«, nahm sich Jungfer Christel daraufhin vor. »Mein bissel Zehrung wird er wohl noch erschwingen können.«

»Oder fahre einmal mit dem Simon, wenn er wieder ...!«

»Wenn der mich mitnimmt.«

»Aber freilich ...«

»Daheim ist Daheim«, winkte und lenkte Frau Susel ab. »Die Männer mögen fahren und reisen, wenn sie Geschäfte haben; das Frauenzimmer hat seine Welt daheim; klein, aber groß genug für es ...«

Daraufhin lenkte Frau Gunde die Reden nach einer anderen Seite ... Des Gürtlers Gangerl und des Metzgers Josel Tochter wollten doch einmal Ernst machen, hörte man, und sogar von Jost Helmschmied, dem Schullehrer, der schon etliche Jahre verwitwert, und von dem man behauptete, er vergrübele sich völlig, erzählte man solche Absicht. Nur würde noch allerwegen kein Namen genannt.

»Glaube ich fürs erstemal noch nicht«, zweifelte Frau Susel. »Möchte auch die kennen, die Gefallen fände an seinen Grübeleien.«

Warum nicht? Gescheit wäre er, eine kleinere oder größere Untugend hätte jeder, und es gäbe der Weiber genug, die lediglich einen Mann haben wollten, um nicht als alte Jungfern in die Grube fahren zu müssen. Ob der Mann nun grübele oder sänge, söff oder sparte, danach fragten sie nicht. Die Schusterveitlin hätte ihren völlig scheintot gesoffenen Mann vor unlanger Zeit sogar auf dem Schubkarren heimgebracht. Und der neue Bader, der hochnasige Magister, heilte sich, wie man hörte, die Kagerin zur Braut zusammen, um so zu einem der schönsten Häuser des Städtleins zu kommen und vielleicht gar einmal Ratsherr werden zu können ...

So ging es dahin, bis es Zeit wurde zum Aufbruch. Und auf dem Heimwege nickte Frau Gunde alle daumlang vor sich hin.

Wollte alles gehen wie am Schnürlein. Die Christel fände Gefallen an einer Landfahrt, und so der Simon die rechte Botschaft brächte, könnte diese nächstens gemacht werden. Die Mutter würde trotz ihres Widerwillens gegen solches Fürnehmen schon zu beschwatzen sein, zumal ja der Vater desselben Willens war.

Dann ... Es gruselte ihr immer wieder, wenn sie dieser Heimtücke gedachte, aber es ließ sich eben nicht anders machen. In einem Kloster würde es die Schwester ja gar nicht schlecht haben, besonders wenn der Vater erklecklich zahlte. Daheim aber konnte alles der Wege gehen, die man gern hatte.

*

Herr Simon, der Föder, war von seiner Fahrt ... in Amtsgeschäften zurückgekommen und konnte nicht genug erzählen, wie schön es draußen in der weiten Welt wäre, und wie gesegnet Flur und Feld allenthalben stünden. Von den Hussen sähe und hörte man auch nichts mehr; es hieße, daß sie sich gegen Mähren hinüber gewendet. Er freute sich schon, wenn er wieder so eine Fahrt unternehmen müßte.

Darüber hinaus verlor er kein überflüssig Wörtlein. Nur Herrn Hillebrandt verriet er im geheimen, daß er alles wohl eingeleitet und geordnet, und daß soundsoviel zu zahlen wäre.

»Ist gut«, nickte der kurz und bündig, ließ aber auch den Eidam weiter nichts merken. Das Kind tat ihm wohl leid, aber was nicht anders ging, das ging eben nicht anders. Und wenn er soviel zahlen mußte, konnte es ihm nicht schlecht gehen. Zur gelegenen Zeit war es allemal wieder zurückzuholen.

Das alles hatte er sich schon ein dutzendmal vorgesagt, aber da der Ernst anrücken gewollt, war ihm noch etwas anderes eingefallen. Was wird sich das Kind denken, wenn es sich einmal auskennt, um welche Weile es ist, und daß es mit Listen von daheim fortgebracht worden wie ... ein junges Kätzlein, deren man zuviel im Hause wähnt, und ... was wird es sagen, wenn es wieder heimkommt?

Dieser Einfall rannte so wider ihn an, daß er fast sein ganzes Sinnen und Fürnehmen umgeworfen hätte wie ein Steinhäuslein, das spielende Kinder aufgerichtet. Er hatte sogar etliche Zeiten, wo er das ganze Fürnehmen in den Kehrichtwinkel werfen und allem seinen Lauf lassen wollte.

In solch zwiespältiger Weile nahm er einmal ein kinderfaustgroßes Beutelchen voll blanker Pfennige und dritthalb Ellen mittleren Tuches und ging damit zu Herrn Helmschmied, dem Schullehrer. Das wöchentliche Schulgeld war ihm reichlich genug, wenn nicht zuviel, den Schlußlohn, der freiwillig war, gab er gut gemessen. In solchen Stücken ließ er sich nie spotten oder gar schelten; da zeigte er sich bei jeder Gelegenheit als den reichen Kaufherrn und den Stadtrichter.

Der Bub hätte wohl noch weitaus nicht genug, geschweige denn gar zuviel gelernt, aber einmal müßte er doch zum Geschäfte kommen, weil einem solches beizeiten anwachsen müßte. Dann brauchte er ihn wirklich schon, zumal er als Stadtrichter vielfach anderswo zu tun hätte. Er müßte daher der Schulzeit ein Ende machen und dankte ihm, dem Schullehrer, aufrichtig für alles, was er dem Buben gelehrt. Als bescheidenen Dank möge er Pfennige und Tuch betrachten, die wohl weitaus zu wenig und der Dank zu geringe wären, aber allweg zu brauchen sind.

Zu brauchen ... für ihn, den karg entlohnten Schullehrer und Kantor! Konnte wohl sein. Das Tuch reichte für einen neuen Rock, und von den Pfennigen mochten allem Hersehen nach noch etliche übrigbleiben vom Schneiderlohne.

Nun kam das Danken an ihn, den Schullehrer. Rasch räumte er Schriften und Hefte vom Tische und klappte ein gut zwei Finger dickes, sorgsam in Schweinsleder gebundenes Buch zu, an dem er zu müßiger Zeit beinahe schon ein volles Jahr schrieb und malte, eine »Chronica unserer Stadt, untermenget mit Sentenzen des ehrsamen Schullehrers Jost Helmschmied«.

»Nur ein Weilchen!« lud er den hochmögenden Stadtgewaltigen zum Niedersitzen ein. »Ist wohl alles, wie es in einem Kobel fürkommt, darin keine Frauenhand Ordnung schaffet. Aber wer kann es anders machen? Der Herr hat schon zu Adam gesagt, es wäre nicht gut, daß der Mensch allein sei, aber wenn er ihn nachher doch wieder alleinsetzet, muß sich dieser damit zufriedengeben.«

»Wieder heiraten, Herr Helmschmied!« riet Herr Hillebrandt leichthin, da er sich schandenhalber auf eine Bank niederließ.

»Hat auch keine Formam, Herr Richter. Da müßte einer vergessen können, und so er es nicht kann, ist er noch übler daran, meine ich. So denke ich, daß meine Selige allerwegen um mich ist, wenn sie mir auch den Kobel nicht in Ordnung bringt, aber wenn eine andere noch dazu um mich ist und mir etwa auch nicht Ordnung schaffet im Kobel ... Ist allemal eine Rechnung mit einer Unbekannten, eine Ehe, die man manchmal als rationale Zahl findet und manchmal auch nicht. Daher meine ich, Herr Richter, es ist wohlgetan, wenn ich fürder bleibe, wie mich Gott gesetzet. Meine Selige räumt mir nimmer den Kobel auf, aber ansonsten kommen wir recht wohl aus miteinander.«

Jeder Schriftgelehrte hat seinen glimmenden Span im Kopfe, der zumindest etwas raucht, sagt man gemeinhin, und das dachte sich auch Herr Hillebrandt vom Schullehrer, da er wieder heimwärts schritt. Solche Leute haben keinen Sinn für das Leben um sie her, und sie bringen es daher über lauter unnötigen Grübeleien zu nichts anderem als höchstens zu einer wüsten Unordnung in ihrem Kobel. Aber es muß ihrer auch geben, sonst könnten die anderen nichts lernen.

Im Kirchengäßlein lief ihm Wolf Kühwolf über den Weg, und das brachte sein Sinnen wieder auf andere Wege ... War nichts, das leidige Weichsinnen, das ihn da zeitenweise anlaufen wollte. Diesem Wichte mußte die Beute noch zwischen den Zähnen fortgezogen werden, und daher mußte die Christel für ein Zeitlein fort und aus Weg und Sinnen. Wenn sie zu richtigem Verstande kam, mußte sie selber einsehen, daß man es nur zu ihrem Besten getan.

Als dann der Ungelteinnehmer wieder einmal nachfragte, wann er sich wohl zur Landfahrt rüsten dürfte, gab er kurzweg den Bescheid, seinethalben zu jeder Weile, wenn er das Kind zur Mitfahrt bewogen.

Daher machte sich Herr Simon ans Bereden.

Schon wieder müßte er für etliche Tage fort und über Land, und wenn die Jungfer Christel, die Schwägerin, mitfahren wollte ... Das Wetter wäre gut, die Landschaft, durch die solche Reise gehen sollte, märchenschön, und es würde sie sicherlich nicht gereuen.

»Darf ich, Mutter?« fragte die um den elterlichen Beiwillen.

Frau Susel schaute ein paar Augenblicke an dem Verführer wie an einem über und über mit Erde und Wegeschmutz besudelten Wildfange, der ihr frischgewandet Kind zu seinem Spiele locken möchte.

»Ich hab' es schon einmal gesagt: für das Frauenzimmer schickt sich dieses Landfahren nicht«, wandte sie ein. »Seine Welt ist das Haus, und was außerhalb ist, geht die Mannsleute an. Wäre dazu nicht einmal ein Geschäft, sondern lediglich eitle Lustfahrt.«

Doch Herr Hillebrandt entschied anders.

»Soll sie, wenn sie gerade will. Schadet ihr nicht, wenn sie sieht, wie es in der Welt draußen zugeht. Sitzt nachher geruhiger auf der Ofenbank. Und wenn Herr Simon mitfährt ...«

Also rüstete man sich zur Landfahrt. Frau Susel packte dem Kinde an Wegebrot und Wäschezeug zusammen, als gält' es die Gesellenfahrt eines Buben, der seine Wanderjahre beginnen wollte. Und an Ratschlägen und Lehren konnte sie sich überhaupt kaum genug tun.

Ein wonniglicher Morgen war's, da Herrn Simons Wagengefährte vor das Hillebrandthaus fuhr.

Also ging es los. Ein besser Wetter könnte man sich nicht wünschen, und in zwei, drei Tagen wäre man wieder zurück.

»Ich sag's Euch: wenn dem Kinde etwas zustoßet ...!« drohte Frau Susel dem Eidam, da sie die Bündel in den Wagen reichte.

»Mich läßt niemand mitfahren«, zeterte Klein-Hänslein. »Hätte auch noch Platz, und in die Schule brauche ich auch nimmer zu gehen.«

»Wird auch einmal werden«, vertröstete Herr Simon. »Alles zu seiner Zeit ... So jetzt: Behüt' Gott!«

Frau Susel drängten schier die Zähren in die Augen, und Herr Hillebrandt stand abseits und wechselte alle Augenblicke die Farbe. Als eben das Gefährte von dannen klapperte und zwei, drei gute Steinwürfe weg war, wurde er lebendig und wollte etliche Schritte mit ungelenken Schritten nachlaufen.

»Herr Simon ... Herr Simon ...!« keuchte er. Doch der wandte sich nimmer.

Jählings und ... zu spät war ihm eingefallen, was wohl Frau Susel sagen und tun werde, wenn ... der Eidam ohne die Christel wiederkehrte.

»Wir hätten sie sollen doch nicht fortlassen,« stotterte er ganz verwirrt und verleidet, als er wieder umkehrte.

»Was habe ich gesagt!« erinnerte Frau Susel beinahe schadenfroh. »Ob eine in die Welt hinauskommt oder nicht, macht sie weder schöner noch klüger. Und man lebt geradeso, vielleicht sogar zufriedener. Aber mein Rat soll alleweil nichts gelten.«

Der Torwärtel Amschel riß die Augen angelweit auf, als der Ungelteinnehmer mit solcher Ladung daherfuhr und zum Tore hinausstrebte. Wird ihm wohl schon zu langweilig, das Alleinfahren.

Jungfer Christel war noch nie weiter gekommen als bis zum nächsten Dorfe. Hinter diesem hub für sie die Fremde an, und sie schaute daher an jedem Häuslein, an jedem Baum und an Berg und Tal wie an ledigen Wundern. Sie kam aus dem Schauen, Fragen und Schwatzen kaum mehr heraus. Im Straßenwirtshause einer Dorfschaft, hinter der eine trutzige, vieltürmige Burg ragte, hielt man Mittagsrast.

Etliche Spießknechte aus der Burg saßen dort an einem der Tische, knöchelten Mit Beinwürfeln spielen. um ihre Schnedderlinge und schauten neidisch zu den zweien hinüber, die ihr Wegebrot verzehrten. Einer summte ein Liedel vor sich hin.

»Ritter, Reiter und Pfer Pferd.,
der Sattel ist leer.
Der Wein, der ist sauer,
den saufet der Bauer.
Das Bier, das ist bitter,
das trinken die Ritter.
Tralala, trala,
juheisassa.«

»Ob uns die nicht ...«, fürchtete Jungfer Christel schier. »Gröber Volk wie dem Bärensteiner seines.«

Doch Herr Simon lächelte beruhigend. Wären froh, daß sie lebten und ihre paar Schnedderlinge Sold in Ruhe und Frieden vertrinken und verknöcheln könnten. Von solchen Leuten wäre nichts zu fürchten. Doch sie war wirklich froh, als der Fuhrknecht wieder anschirrte und die Fahrt weiterging.

Neben dem Wege hüteten ein paar Buben eine Herde Vieh, und einer dieser Wichte stieß zur Kurzweile und zum Lachen der anderen mit einem jungen Böcklein, daß beider Köpfe wie Holzschlägel aneinanderprallten. Das zwang auch ihr das Lachen wieder auf und scheuchte alles Fürchten aus ihrem Gemüte.

Nachtruhe hielt man ebenfalls in einer Dorfschenke am Wege, und sie mußte mit einigen Mägden auf dem Dachboden schlafen. Das ärgerte sie anfänglich, nachher jedoch lachte sie darüber. Deswegen tat sie ja die Landfahrt, um allerhand zu sehen und zu erleben.

Am nächsten Tage gegen Mittagszeit wuchsen in der Weite ein etliche Türme aus der Erde, Kirchtürme und andere. Mußte also eine größere Stadt sein, der man entgegenfuhr und darin der Einnehmer zu tun hatte. War auch eine. Ein Ring halbverwitterter Mauern schloß sich darum, aber die Tore waren offen, und der Wärtel machte auf einer schattigen Bank sein Mittagsschläfchen.

»Da wäre es den Hussen leichtgemacht«, scherzte der Einnehmer. »Brauchen sich nur ein etliche in die Stadt zu schleichen ...«

Heindl, der Fuhrknecht, schlug mit seinem Geißelstecken zuerst einmal klatschend in den Wagen, und dann deutete er damit nach einem, der quer über das enge Gäßlein hastete.

»Wenn der nicht der Badertobies ist, nachher ... bin ich es«, vermaß er sich.

»Wirklich«, bestätigte Jungfer Christel. »Ist nicht dafür gestanden, daß er sich wegen dem Schneiderdavidl flüchtig gegeben. Wenn wir zu ihm kämen ...«

»Was geht uns der an?« knurrte Herr Simon verdrießlich. »Hat er hergefunden, wird er auch wieder zurückfinden, wenn er es will.«

In der Schenke eines Winkelgäßchens stellte man zur Mittagsrast ein, und Herr Simon kaufte sogar Wein zum Trunke. Nach dem Essen wollte man sich die Stadt ein wenig ansehen. War aber alles hübsch dasselbe wie daheim: Gassen und Winkelgäßchen, Kaufgewölbe und Handwerkerhäuser und dazwischen hier und dort eine Schenke. Die Kirche war daheim schier größer und schöner, und alle die anderen waren nur so Kapellen. Neben einem dieser Kirchlein stand ein graues, düsteres Haus, dessen Fenster fest vergittert waren, und darin weder Veigel- noch Nelkenstöcklein noch auch Menschengesichter zu sehen. Wie verödet und ausgestorben lag dieses Haus im ringsum quecken Lebendig, frisch, beweglich. Getriebe der Stadt.

Ein Weiberkloster! Wenn sie sich's anschauen wollte?

Ein Weiberkloster! Jungfer Christel hatte schon des öfteren von solchen gehört, und die Neugier wurde lebendig in ihr. Wenn man dürfte ...

Herr Simon ließ den schweren Torhammer etliche Male wider die feste Eisenplatte fallen. Nach einer Weile schob sich in einer eng vergitterten Luke neben dem Tor ein plumper Holzladen zurück, und ein steinhart Altweibergesicht wurde hinter dem kinderarmdicken Eisengitter sichtbar. Was es gäbe, und was man wollte, frug diese Nunn Nonne, auch soviel wie Jungfrau. verdrossen heraus.

Ob man sich das Haus etwas anschauen dürfte. Die Oberin wüßte schon darum.

Eine gute Weile verstrich wieder, und Jungfer Christel schüttelte sich im Scherz etliche Male. »Brrr! Ist das eine ... ist das eine!«

Dann schob sich der Holzladen wieder zurück, und dasselbe Altweibergesicht lugte durch das Eisengatter.

Man dürfte. Heißt das: das Jüngferlein dürfte herein, er aber, das Mannsleut, dürfte lediglich in den Flur zwischen äußerem und innerem Tore.

»Mir gruselt«, meinte Jungfer Christel zage, doch Herr Simon nötigte und lachte. Nicht übel! Diese Weibsvölker hätten sicherlich noch keine gefressen, wie die Sagmären von Drachen berichten, und er wartete ja, bis sie wieder herauskäme. Wenn man schon einmal da wäre und sich allerhand anschauen wollte ...

Das Tor öffnete sich ein wenig, und man ging hinein in den öden Flur, in dem nur ein großes Kreuz hing.

Durch ein Lugloch des inneren Tores frug eine andere Nunn, ob dies etwa das Jungfräulein wäre, das ein Zeitlein hierbleiben sollte.

Jungfer Christel kam diese Frage vor wie ein Rätsel, und da sie etliche Augenblicke darüber sann, öffnete sich nun das innere Tor, und mit jähem Rucke schob sie der Einnehmer herein. Polternd fiel das Tor hinter ihr zu und ins Gesperre, und gleich darauf kreischten die Riegel. Ein paar unverständliche Reden noch hinter dem Tore, und dann gellte ein schriller Aufschrei durch die bleischwere Totenstille des Hauses und hinterher das Gezeter der Christel.

»Simon, das merkst du dir ... Nein, ich bleibe nicht da ... ich ... ich ...«

Da hastete er von dannen wie ein Brandstifter, dem die Häscher auf den Fersen sind ... Das Beutelchen mit dem Gelde und das Wäschezeug, das Frau Susel dem Kinde mitgegeben auf die Landfahrt, brachte er später und langte beides nur so flüchtig durch das Tor.

»Das Jüngferlein ist völlig von sich und flennet zum Steinerweichen«, berichtete die alte Nunn. Ob er es doch nicht lieber mit heimnehmen wollte?

»Muß leider sein«, beharrte er. »Muß zu anderem Sinnen kommen. In kurzer Weile wird sie wieder abgeholt.«

Dann hastete er abermals davon.

Die Nunn aber schaute dem Menschen eine Weile kopfschüttelnd nach. Sie war in jungen Jahren nach eigenem Willen durch dieses Tor und in dieses Haus gegangen, um ihr leidig Leben dem Dienste des Höchsten zu weihen, und sie wußte nicht, was draußen vor den Toren des stillen, einsamen Hauses, in der Unrast und Unruhe der Welt und des Menschengetriebes vorkommen könne, das trotz der Größe der Welt der Menschen Wege so verschlänge, daß eines das andere zu irren vermöchte. Und sie konnte auch nicht begreifen, warum es wohl sein müßte, ein so lieb Menschenkind wider seinen Willen und zu seiner Trauer ins Kloster zu stecken.

*

Mittlerweile hatte der Fuhrknecht Heindl den Badertobies gesucht und in einer der nächsten Schenken gefunden. War hier wie dorten derselbe Gesell, dem die Schenke lieber war als seine Baderstube. Er jauchzte beinahe hell auf vor lauter Freude, als er des Jugendgenossen so jäh und unvermutet ansichtig wurde.

Ob auch er vielleicht ...?

Nein, nur den Ungelteinnehmer hätte er hierhergefahren und des Herrn Hillebrandts Jüngste. Er, der Einnehmer, hätte wohl Amtsgeschäfte oder so etwas, und das Jüngferlein reiste mit, um sich die weite Welt anzusehen. Ob er, der Tobies, nicht etwa wieder mit heimkäme? Wäre übrigens schon gleich eine Torheit gewesen, daß er flüchtiggegangen, ohne zuerst abzuwarten, ob sich der kleine Schneider wirklich auf die Himmelfahrt machte oder nicht. Wäre in daumlanger Weile derselbe Wicht gewesen wie vor und ehe, und heute krähte schon längst kein Hahn mehr nach dieser Geschichte.

Er, der Tobies, heim? Derweil noch nicht. Später vielleicht einmal, doch derweil noch nicht. Hier in der Stadt gäbe es mehr Leute als daheim im Städtlein und sonach auch mehr Bärte, die geschoren sein wollten, und mehr Zähne, die er reißen müßte. Würde auch mehr Aderlaß verlangt, und weil weniger Bader ansässig wären, käme auch auf jeglichen mehr Verdienst. Er stünde sich hier ganz gut, und das möchte er, der Heindl, dem Dikel und der Gertraud sagen, wenn er wieder zurückkäme. Übrigens könnte auch er des Städtleins Staub von den Schuhen schütteln und einen Dienst in der Stadt suchen. Wäre ein ganz anderes Leben hier wie dorten, und ihn, den Tobies, würde es über alle Maßen freuen, einen Bekannten innerhalb derselben Mauern zu wissen. Schier wie ein gut Stück der alten Heimat mutete ein bekannt Gesicht an, auch wenn man es besser hätte und mehr verdiente. Ja, und ein Gruß könnte er auch bestellen der ...

Gleich darauf aber tat er einen schlenkernden Schneller mit der Hand und brach jählings ab ... Mußte nicht sein. Den Gruß trüge er selbst einmal dorthin, wo er hingehörte, und wenn das Ziefer nicht mehr anstünde darauf, täte er, der Tobies, keiner Fliege ein Leid an, geschweige denn sich selber ...

Herr Simon der Föder fluchte schon wie ein Landsknecht, als der Heindl einmal dahergestolpert kam.

Anschirren und heimfahren!

Ja ... wäre ja die Jungfer Christel auch noch gar nicht da und sonach zur Heimfahrt gerüstet ... Die führe nimmer mit heim. Der hätte es in der Stadt und insonderheit bei einem seiner Bekannten so gut gefallen, daß sie ein Zeitlein, etliche Wochen vielleicht, hierbleiben wollte. Um diese führe man daher später wieder her, wenn es sich nicht etwa schicken sollte, daß er abermals in Amtsgeschäften hierher müßte und sie auf der Rückfahrt mit heimnähme.

So ja, so wohl! Die fährt also diesmal nicht wieder mit heim. Mag vielleicht von vornherein schon so eingefädelt gewesen sein; denn solche Leute lassen sich nicht auf die Finger sehen, wenn ... sie einfädeln. Vielleicht gar ... eine Heirat im Fürhaben.

Daher schirrte er nun in aller Eile an, und bald klapperte das Gefährte wieder zum Tore hinaus und heimzu ...


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