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11.

Sonnwendabend!

Am Abendhimmel tat sich wohl glattes, rußfarbes Gewölke zusammen wie eine wachsende Essenwand, hinter der die glutrote Sonnenscheibe matt und glanzlos versank, aber kein Mensch im Städtlein achtete dessen. Sonnwendabend war, und draußen auf dem Anger vor dem Bärnsteiner Tore schichteten müßige Buben den Holzstoß auf für das Sonnwendfeuer, der größer werden sollte wie ein ... Schneiderhäusel.

Aus den Bärnsteiner Wäldern herunter hatte man schon vor etlichen Tagen eine halbe Klafter Holz zugefahren, und überdies war die übermütige Bubenschar auch noch im Städtchen mit einem Wagen von Haus zu Haus gezogen und hatte Holz gesammelt.

»Sonnwendnacht kommt ins Land.
Wir richten und schüren den heiligen Brand.
Der heilige Toni und Sankt Veit
Ließen euch bitten um ein Scheit.«

Solches Sprüchlein hatte sie vor jedem Hause geschrien, und überall hatte man auch ein Scheit Holz gespendet zum Sonnenwendfeuer.

Nach altem Brauch und Glauben ist die Sonnwendnacht eine heilige Nacht, die gleich nach der Christnacht kommt. Die Sonne, die Spenderin des Lichtes und Förderin des Wuchses und Lebens, hat ihren höchsten Jahresstand erreicht und beginnt nun wieder der öden Winterszeit zuzusinken. Die ganze Welt spürt und fühlt solches, und der Erde geheimnisvolle und verborgene Kräfte werden lebendig und wirksam. Die Tore zu verborgenen Schätzen öffnen sich manchem Suchenden, und Gras und Gekraute werden heilkräftig und zauberwirkend. Johanniskraut und Himmelbrand Königskerze, Verbascum., Lattich und Farnkraut, in dieser Nacht gesammelt, sind für mancherlei Übel die allerbesten Heilmittel, und so eines gar die vielbegehrte und viel, aber vergebens gesuchte blaue Blume fände, deren unscheinbares Blütlein ein mondscheinartiger, milder und bläulicher Schein umstrahlen soll, wäre er zeitlebens wider alle Not und wider jegliches Übel gefeit. Das Geld in seinem Säckel würde nicht weniger, geschweige denn gar, kein Krank und kein Übel wagten sich an ihn heran, jeglicher Mensch würde ihm freund und gut, und selber das Himmelstörlein sollte sich vor der Zauberkraft dieses Kräutleins von selber öffnen und den Weg freigeben in die Gefilde der Seligen.

Des roten Balthes kränkelnde Anne wünschte sich nicht einmal dieses blaue Zauberblümchen; lediglich ein Büschel Himmelbrand und ein Büschel Bibernell, so in dieser Nacht gesammelt worden. Sie brauchte keine Geldbunge Geldbeutel, gotisch: buggs: Beutel, Tasche., die niemals leer wurde, ihr war es genug, wenn der Balthes ihr freund und gut war, und das Aufgehen des Himmelstörleins wollte sie sich selber verdienen; nur gesund wollte sie wieder werden, leben wollte sie noch ein Zeitlein, leben ... Deswegen hatte sie die Gertraud schon am Nachmittage fortgeschickt, zu erspähen und zu erkunden, wo solches Gekraute wüchse, damit sie am Abend nur hinzugehen brauchte, es während des Lohens des Sonnwendfeuers zu reißen.

Die Gertraud kannte schier alles heilkräftige Kraut, da sie als Kind schon mit dem Vater gelaufen, wenn der solches zum Trocknen gesammelt, und sie hatte auch bald einen Angerrain gefunden, wo Bibernell in Menge stand, und ein Örtlein davon wuchsen unter Steingerölle etliche mannshohe Himmelbrandstämme.

Als der Tag und die Sonne sanken, machte sie sich auf den Weg zum Angerraine hinauf, der gegen das Bärnsteiner Felsenschloß hin lag und sich waldzu in eine Öde verlor. Dort schaute sie sich nochmals nach den gesuchten Kräutern um und setzte sich nachher am Wegufer nieder, um abzuwarten, bis die erste Lohe aus dem Sonnwendhaufen emporloderte.

Zur selben Zeit stieg und stolperte Magister Achmiller den holprigen, ausgeschwemmten und steinigen Weg von den Berghöhen nieder und gen Tal. Er war wieder einmal bei dem Buben gewesen, der sich den Fuß gebrochen, hatte den Verband zum letzten Male gewechselt und den Fuß mit der heilkräftigen Mischung eingerieben und gefunden, daß alles in bestem Heilen wäre. In zwei, drei Wochen würde der Unband schon mit einer Krücke humpeln und in Jahresfrist wieder laufen und springen können wie ein Wiesel. Die armen Leute hatten ihm etliche Pfennige als Lohn anbieten wollen, aber er hatte sie abgelehnt, da er ohnehin verdiente und armen Häutern nicht auch noch von der Brotrinde zwacken wollte. So hatten sie ihm um Gottes willen gedankt und alles Gute gewunschen.

Machte es nun dies, oder betat ihn der Sonnwendabend mit seinem Märchenzauber, er wurde auf dem Heimwege so guten Mutes und so aufgeräumt, daß er manchmal sogar ein schon halbvergessen Liedel aus der herbschönen Scholarenzeit in die mählich dämmernden Lüfte jubelte.

An einem schrundigen Fichtenstamme kroch und rankte sich schlankstämmiges Ilaub Epheu. empor. Übermütig riß er eine Ranke los und steckte sie auf sein Barett wie ehedem vor Jahren einmal, und nachher löste er noch zwei, drei Ranken von dem Stamme und zog damit von dannen. Die wollte er daheim um ein Bild winden.

»Ich bin ein loser Goliard Ein Vaganten- und Scholarenorden des Mittelalters.
auf meiner Land- und Wanderfahrt
durch aller Herren Gaue.
Den besten Tropfen spür' ich aus,
den besten Fraß im Bauernhaus,
im Ort die schönste Fraue.
Dieweil kein Geld im Sack mich sticht,
lach' ich dem Räuber ins Gesicht,
will Hoch und Nieder necken.
Und sogar noch vor'm Büttelhaus
rupf' ich dem Hahn die Federn aus,
sie auf den Hut zu stecken.«

Dieses Lied jubelte er auch in die Abendstille hinaus, da er des Weges zog, der am Angerraine und neben der Ödheide vorbeiging, wo die Gertraud saß und des Aufflammens des Sonnwendfeuers wartete.

Die kannt' ihn schon von weitem an der Stimme, doch er hatte kein Ahnen, daß zu solcher Zeit noch etwer um die Wege sein möchte und erkam schier, als er ihrer im verblassenden Zwielichte ansichtig wurde.

»Ihr, Jungfer Gertraud? Was tut Ihr noch um solche Zeit in der Ödheide heroben in den Bergen?« Ein ungerader Gedanke schoß neben und während der Frage in seinem Sinnen auf, und er vermeinte plötzlich schon auf nachtfinsterer Flur zu stehen ... Ob sie nicht etwa auf den ... Spießgesellen wartete, den Bärnsteiner Troßknecht, mit dem sie den Tanz um die Pfingstelstange gemacht? Wenn, dann ... dann ... Er dachte und wußte im Augenblicke nicht, was dann sein sollte, doch daß ihm jede Torheit gelegen käme, traute er sich zu.

»Seid Ihr etwa gar erschrocken?« lachte sie.

»Ich? Nein. Unsereiner schrickt nicht leicht zusammen. Aber: was tut Ihr jetzt noch da heroben?«

»Auf den Sonnwendzauber warten«, scherzte sie. »Nein, ehrlich gesagt: ich soll der Base etlich heilkräftig Gekraute zusammenrupfen für ihr Siechtum, derweil der Sonnwendstoß brennt. Am Nachmittag habe ich mir schon welches ausgespähet ...«

»So ...?« dehnte er wie aufatmend heraus. »Gekraut zusammenrupfen?«

»Ja, was meintet Ihr denn?«

»Da nutzt auch kein Sonnwendkraut«, wich er aus. »Gibt kein Heilmittel wider dieses Siechtum. Die Lunge ist hin, und niemand kann ihr eine neue hineinhängen in die Brust. Dürfet ihr aber nichts sagen von solchem ... Troste. Wenn eines auch keine Hoffnung mehr hat, ist es ohnehin schon halb im Grabe ... Was rupfet Ihr ab?«

»Himmelbrand und Bibernell, hat sie gemeint.«

»Nun ja, wenn sie meint ... Unter dem Gestäude dort habe ich im Heraufgehen auch Lungenkraut gesehen. Wenn es Euch recht ist, rupfe ich es zusammen, derweil Ihr das andere Gekraute abreißt.«

»Wenn Ihr so gut sein wollet und ... nichts versäumet ... Ehevor nicht der Holzhaufen brennt, hat das Kraut die Heilwirkung nicht, sagt man. Und die Leute da unten lassen sich Zeit.«

»Ist ja auch noch an der Zeit. Sonnwendfeuer gehören in die Dunkelheit.«

»Aber das Gekraute! Den Himmelbrand finde ich wohl auch im Finstern, aber die Bibernellen ...«

»Rupfet sie jetzt ab! Sie können nach einer Weile von Spannlänge weder mehr noch weniger Wirkung haben. Und für der Frau Balthes Lungen ist kein Kraut mehr gewachsen. Was hin ist, das ist hin.«

Ein Weilchen überlegte sie, dann rupfte sie die Bibernellen zusammen. Mochte wohl richtig sein: wenn das Gekraute die Kraft jetzt nicht hatte, konnte es ihm auch in spannlanger Weile nicht anwachsen. Daher streifte sie auch gleich nachher Blätter und Blumen von den Himmelbrandstengeln. Dabei lispelte sie heimlich den alten Segensspruch:

»Uns're Liebefrau geht übers Land,
trägt den Himmelbrand in der Hand,
Himmelbrand, den gelven.
Der mag wider Krank und Übel helfen.«

Derweil rupfte der Magister das Lungenkraut zusammen, das er im Heraufgehen bemerkt.

»Das Ilaub auch?« fragte die Gertraud, als sie von ohngefähr die Ranken ersah.

»Nein. Ich habe gemeint ... Aber wißt Ihr was?« Er knotete zwei Ranken aneinander und summte ein alt Scholarenliedel vor sich hin.

»Blond Ürschlein ist hold Ürschelein,
doch eine Zauberinne,
die des Scholaren leichten Sinn
betan mit ihrer Minne ...«

Dann schlang er in hell aufloderndem Jungübermute diese Doppelranke wie einen Kranz um ihren Kopf und auf ihr Haar, trat etwas zurück und nickte lachend vor sich hin. »Wundersschön, Jungfer Gertraud. Wie eine Märchenfei. Schade, daß kein Spiegelein zur Hand ist. Wie eine Braut, wahrhaftig, wie eine Braut.«

Ihr wallte das Blut siedendheiß zu Kopfe ... Wie eine Braut ... Unwillkürlich suchten ihre Blicke zu Tal und nach dem Anger vor dem Bärnsteiner Tore des Städtleins, ob der Holzstoß noch nicht aufflammte zum Sonnwendfeuer und diesem Worte Zauberkraft verliehe, auf daß es in des Jahres Lauf und Runde sich zur unwandelbaren Wahrheit gestalte. Doch nicht ein Fünkchen war dort zu erspähen. Aber in dem rußfarbenen Gewölk am Abendhimmel zuckte das erste Blitzen des werdenden Wetters auf. Einige Augenblicke legte sich das Enttäuschen steinschwer auf ihre Freudseligkeit, aber gleich darauf brach das Hoffen wieder durch ... Wenn das etwa gar ein Zeichen vom Himmel wäre?

»Möcht' wissen! Unsereins eine Braut!« stotterte sie in seliger Verwirrung heraus. »Wo ... es nichts hat wie das leidige Leben.«

»Habt Ihr Zeit, daß wir uns das Sonnwendfeuer ein wenig ansehen? Es ist gerade nur ein paar Schritte um, und ... ich bin heute wieder einmal so frohgemut wie schon viele Jahre her nimmer.«

»Auf ein Weilchen kommt es ja nicht an«, nickte sie und langte nach dem Ilaubkranze, ihn wieder vom Kopfe zu nehmen. Doch er wehrte.

»Lasset ihn ...! Wenigstens bis wir in die Nähe der Leute kommen. Wie eine Braut ... wie wirklich eine Märchenfei ...«

Also ließ sie das Kranzgeranke auf dem Kopfe, packte das zusammengerupfte Krautwerk in das mitgenommene Tüchel und schaute dann wieder gegen das Gewölke hinüber am Abendhimmel, in dem nun alle daumlang schon das Flammen der Blitze zuckte.

»Es wird ein Wetter kommen. Ein Wetter in der Sonnwendnacht bedeutet böse Zeiten, hat der Vater allemal gesagt.«

Dann stiegen sie zu Tale.

Drückend schwül lag die Luft über der Erden, und süßlicher Blütenduft wälzte sich träg über die Hänge. Hier und dorten schwebte ein leuchtend Sonnwendwürmchen durch das Abenddüster, oder es saß flugmüde auf einem Staudenblatt oder einem Gräslein. Dann lohte das erste Sonnwendfeuer auf, drüben im jenseitigen Gehänge.

»Habt Ihr Euch etwas recht Schönes gedacht?« scherzte der Magister.

»Wüßte nicht«, log sie ausweichend. »Mir ist gerade der Schimmel ohne Kopf eingefallen, der in früheren Zeiten in der Sonnwendnacht auf der Tratt Trift, Weidegrund. vor dem Städtel umhergelaufen sein soll und männiglich erschreckt hat. Ist aber schon jahrelang nimmer gesehen worden.«

Als sie hinunterkamen auf den Anger vor dem Bärnsteiner Tore, züngelten und leckten gerade die ersten Flämmchen im schneiderhausgroßen Holzstoße auf, und der alte Torschmied sprach den althergebrachten Sonnwendsegen. In weitem Kreise herum standen dichtgedrängt Städtler und Bauernvolk aus der nächsten Umgebung, alt und jung, und zwischen Holzstoß und Zuschauerkreis tollte die liebe Jugend umher.

Des Stadtmüllers Magd stieß des Eberhardten Kathel mit dem Ellbogen an und raunte ihr zu: »Da schau die an! Das Baderdirndel! Hat gar ein Kränzel aufgesetzt, weil sie mit dem neuen Bader daherlaufen darf. Wird sie eh' nur zum Narren halten.«

»Kann eh' sein. Aber wer weiß, warum sie das Kränzel trägt? So Leute kennen jedes Kraut, und unsere Nachbarin sogar hat eines aufgesetzt aus Beifuß wegen ihrer schlechten Augen.«

»Die nicht wegen schlechter Augen ...«

»Wird ein erschrecklich großer Brand werden«, fürchtete der allweg unruhige Stadtschreiber und schaute ganz entsetzt an den unheimlich in die Höhe wachsenden Flammen. »So viel Holz zusammenschichten! Ich habe es dem Richter gleich gesagt, er sollt' es verbieten, aber in solchen Sachen ... und gar jetzt ...«

»Ist auch unnötig«, pflichtete der Schullehrer bei. »Ganz unnötig. Wenn er für den Winter eine Klafter mehr zur Schule geben müßte, wär' es ein Gejammer sondergleichen. Die Bürger hätten eh' schon so viel und noch mehr zu zahlen und dies und jenes. Und da verbrennt so viel Gehölze ganz unnötig. Ein Holzstoß, wie er sonst der Brauch ist ...«

»Und nicht ohne Gefahr. Ein böser Zufall, ein Flammenflug, und ... die ganze Stadt geht in Flammen auf. Aber wie ich sage: in solchen Sachen ist er ... Und gar jetzt, wo ...« deutete er fürsichtig nur an. »Ich meine, die Frau wird zu tun haben, wenn sie wieder auf die Füße kommen will.«

»Hörst es?« raunte dahinter der Hafner einem Bauern zu. »In solchen Sachen ist er ... ist er ... In allen Sachen ist er ... sage ich. Weg gehört er, sage ich. Uns hat er auf den Bärnstein treiben lassen; er selbst gehörte vor den Amtmann. Wenn über einen schon die Ratsherren zu Gerichte sitzen müssen ...«

»Gehörten mehr weg«, nickte der Bauer. »Der Bärnsteiner und viel mehr noch ...«

»Den möcht ich sehen, der über das heurige Sonnwendfeuer springt,« lachte einer der Handelsgesellen aus Herrn Hillebrandts Geschäfte.

»Ich da«, vermaß und brüstete sich ein baumlanger Kerl. »Wie ein Bolzen schnell ich darüber, wenn es einmal etwas niedergebrannt ist.«

Den Stadtschreiber riß es jählings herum.

»Wer? Wer will über diesen Sonnwendhaufen springen? Unterstehen, sage ich. Morgen geht er auf eine Woche in den Stadtturm, so er noch lebt ... Jakel! Büttel!«

Die Gertraud hatte sich selbst mit dem Gedanken getragen, altem Brauch und Herkommen gemäß an der Hand des Magisters den Sprung über das verglimmende Sonnwendfeuer zu wagen, ohne zu bedenken, was heuer ein etwas zu kurzer Satz bedeuten möchte. Da sie aber das Verbot des Stadtschreibers vernahm, stieß sie den Magister leichthin an.

»Ich meine, wir gehen.«

»Wie Ihr wollt ...«

Langsam schlenderten sie nun nebeneinander dem Bärnsteiner Tore zu, und unversehens einmal gingen sie Hand in Hand dahin. Erst unter dem Tore, wo der Wärtel verdrossen und mit wuchtig schweren Tritten hin und wider stapfte, lösten sich die Hände. Zwei Gassen weiter aber summte der Magister sinnend und übermütig vor sich hin:

»Blond Ürschlein ist hold Ürschelein,
doch eine Zauberinne ...«

In seiner Stube lehnte er sich dann ans offene Fenster und starrte traumversonnen hinaus in die linde Mittsommernacht, in die immer dichter werdende Dunkelheit, die wie Ofenruß in die Gassen und Gäßchen niedersank, und in das Geflunker und Flammen der Blitze. Einige zogen schwatzend und lachend vorbei, die ebenfalls vom Sonnwendfeuer zurückkommen mochten, und in die Reden mischte sich schon das Sumsen und Rollen der Torerschläge. Nun mochte es bald auch die andern vertreiben und heimzu jagen.

Ein ander Trumm desselben Liedes gaukelte durch sein Traumsinnen wie ein fauler Falter.

Grüßt mir das holde Ürschelein
und sagt, es soll nicht trauern ...

Wie eine Braut! Wirklich, wie eine Braut ... Und warum sollt' eine Braut trauern ...? Nichts hat wie das leidige Leben ... Wie lange ist es her, da auch er um kein Stäublein mehr gehabt? Freilich: ein geräumig und anheimelnd Haus, wenn einer noch dazu sein eigen nennen könnte ... Wie Kraut und Geblume auf Flur und Anger wucherte sein Sinnen bunt und wirr durcheinander dahin, und dazwischen zwängte sich auch mancher Gedanke, der stacheligen Dornen und Disteln glich.

In dem Gäßchen wurde es mählich leer und stille. Doch näher und näher zog das Wetter. Zeitenweise ward alles ein ununterbrochen Feuergeflunker, und Torerschlag folgte Torerschlag auf der Ferse.

Ein paar pfeifender, brechsender Kracher hallten durch das beständige dumpfe Rollen, und dann scholl von irgendwoher überlings das Gerüfte: »Feuer – jo! Feuer – jo!«

Über den spitzen Giebeldächern des Gäßleins drängte glutroter Feuerschein am rußschwarzen, blitzedurchzuckten Himmel empor.

In wirrem Durcheinander fingen die Glocken zu rufen an: Sturm ... Feuer – jo ... Feuer – jo ...

Nun wurde es im Gäßlein abermals lebendig, so lebendig wie in einem Ameisenhaufen, den ein loser Bub aufgestört. Niemand wußte noch, wo und wer; doch das eine genügte allen und jedem: Eingeschlagen; Feuer im Orte. Mit dem Helfen und Löschen rettete jeglicher auch sein eigen Dach.

Auch der Magister drückte rasch die Mütze auf den Kopf und lief aus Stube und Haus ... Wo?

Niemand konnte ihm Bescheid geben. Alles lief der Brandröte zu, und einige schleppten Leitern, Reißhacken und Eimer mit. Durch die Lüfte aber rollten und sumseten die Torerschläge und heulten die Glocken: Feuerjo, Feuerjo!

Das Laufen und Hasten ging dem Bärnsteiner Tore zu, wo der Wärtel das kaum rechtschaffen geschlossene Tor wieder sperrangelweit aufgerissen.

»Der Wieshof! Der Wieshof!« schrie er alle daumlang in den Rummel hinein.

Vor dem Tore sah es jeglicher selbst. Turmhoch lohten die Feuergarben empor, um gleich darauf wieder, vom Wettersturme gepeitscht, erdeben dahinzufahren.

»Wie ich das Törlein zugezogen habe, ist der Himmelslichtser Blitz. niedergefahren wie eine glühende Schlange,« erzählte der Wärtel dem jungen Kühwolfen, da dieser auch des Weges hastete. »Und bis ich nachher nochmals hinausschaue durch die Torluke, steigt auch der Brand schon auf. Wird schon hübsch alles Heu im Stadel haben, der Richter.«

»Jetzt gibt es sonst nichts mehr wie ausräumen und retten, was noch zu erlangen ist ... Magister, Ihr ...?« rief Wolf Kühwolf gleich nachher den durchs Tor strebenden Magister an. »Ich bin auch schon des Weges.«

Der Wieshof! Weitaus die meisten stellten sich vor dem Tore draußen ans Wegufer und schauten nur eine Weile an der wallenden Brandröte und an dem Flammenspiel. Für das Städtel bestand nicht die geringste Gefahr, und was sollten sie alle da draußen tun? Überdies konnte es derweil auch im Städtel etwo einschlagen, und wenn kein Mannsleut daheim war ... Die Pfaiden liegt jeglichem näher denn die Joppe.

Als der Wettersturm die ersten daumgroßen Regentropfen dahertrieb, kehrten sie um und liefen so hastig heim, als sie aus dem Hause gestrebt.

Als der junge Kühwolf und der Magister zur Brandstatt kamen, gingen die zuerst Angekommenen gerade daran, die Stalltüren aufzusprengen und das Vieh loszuketten und auszujagen.

»Nichts übereilen und nichts übersehen!« mahnte sie Wolf Kühwolf. »Daß alles gerettet wird! Für das Haus ist noch keine Gefahr. Aber der Stadel! Die Wagen und das sonstige Zeug! Wer geht mit?«

Der Stadel brannte lichterloh, und sengende Hitze und Rauch und Flammen schlugen nieder. Trotzdem aber sprangen etliche mit ihren Hacken herbei und stießen die Tore auf.

»Die Wagen! Anpacken!«

Und er und der Magister packten den erstbesten und zogen ihn aus der Tenne und auf den Anger hinaus. Hinterdrein polterte gleich ein anderer. Bis die ersten Sparren des Daches brachen und zu stürzen begannen, waren Tenne und Zeugschupfe leer geräumt. Mittlerweile aber hatte das Dach des Hauses Feuer gefangen. Es waren wohl gleich etliche hinauf, und die Eimer gingen Leiter auf und ab. Doch Rauch und Flammen hatten die Leute bald wieder vertrieben.

Also ging auch das Haus mit den Ställen mit.

Des Hofvogten Weib und Kinder hockten auf dem Anger draußen unter einem Baume und jammerten und kirrten, derweil die Mannsleute Stück um Stück des Hausrates herausbrachten und um sie aufhäuften.

Unter demselben Baume saß auch Herr Hillebrandt auf einer ausgebrachten Truhe und starrte auf die Brandstatt und das wüste Treiben auf derselben. Als ob ihm alle Flechsen der Füße abgehackt worden, war er herausgewankt, als ihm die Unheilsbotschaft ins Ohr gerufen worden, und da saß er nun wie ein hilflos Kind.

Der jähe Schrecken und die Not um sein Eigen hatten ihn völlig ertattert. Er sah die Leute arbeiten wie die Bären, doch er selber wußte nicht, wo anzupacken, und seine sonst ganz kräftigen Hände vermochten auch nichts zu fassen. Er sah, wie der Magister und ... dieser Kühwolf schier überall waren und selbst nicht zum schlechtesten mithalfen. Von dem einen wunderte es ihn nicht. Der hatte nichts zu verlieren als sein leidig Leben, und er schuldete ihm gewissermaßen Dank, daß er ihm das Verweilen in der Stadt verwilligt. Der andere jedoch ... Einige Augenblicke ging ihm die Reue hart nahe, daß er ... so gehandelt, während der andere desungeachtet seines Widersachers Eigen ... rettete. Er, der Hans Hillebrandt, hätte vielleicht in jungen ... törichten Jahren dieselbe Anwandlung bekommen, Gesund und Leben für einen andern oder eines anderen Sache aufs Spiel zu setzen, wenn der in Not war, in späteren Jahren, nachdem er seinem Ziele nachzujagen begonnen, wäre ihm solches nie mehr eingefallen. Daher verstand er auch in seiner Zerrüttung diese Anwandlung nimmer, und daher hielt auch die Reue nicht vor. Auch von dem wunderte es ihn nach einigen Augenblicken nimmer. Seine, des Hillebrandts Sache mochte ihn unter anderen Verhältnissen blutwenig kümmern. Nachdem er ihm aber ins Gesicht gesagt, daß er von dem Kinde nicht ließe, und des Vaters Sache doch allweg auch der Kinder Sache ist, war es ihm eigentlich um seine ... eingebildete Sache zu tun. Solche Vögel kennt man schon am Gefieder, auch wenn sie anders pfeifen. Aber da wird er sich doch umsonst plagen, völlig umsonst.

Dazwischen wunderte er sich auch, wie all diese Leute den zweien folgten, wenn sie hier oder dorthin deuteten. Ihn, den Richter, schaute nicht einmal einer an, geschweige denn, daß ihm einer ... folgte ...

Das letztere war nun nicht so, aber es deuchte ihn eben. Derweil einer fest auf seinen Füßen steht, hält er manchen Puff und Stoß aus, wie er aber ausrutscht und ins Taumeln kommt, wähnt er allen Boden unter sich gewichen. Das eine war richtig: all' diese hilfbereiten und helfenden Leute folgten dem Magister und dem jungen Kühwolfen auf Wort und Wink, weil bei allem ein Zusammenwirken sein mußte, und weil sie unwillkürlich deren Überlegenheit merkten. Sich um den Stadtrichter zu kümmern hatte keiner Zeit, solange etwas auszubringen und zu retten war, selbst nicht dessen Handlungsgesellen. Erst als der Regen wie aus gestürzten Kübeln fiel, kamen etliche herbei und drängten ihn fort und heim. Hier stünde er nutzlos herum und könnte sich leichtlich auch noch eine Krankheit zuziehen.

Unter dem Tore stand der Ungelteinnehmer und schaute aus dem Trockenen nach der auf- und niederwallenden Brandröte. Anfänglich hatte er sich wenig gekümmert um Lärm und Feuergerüfte, und als er vernommen, wo es brannte, setzte schon der Regen ein, und er wagte sich nimmer weiter als bis unters Stadttor.

»Wie steht's?« fragte er merklich stotternd den Schwäher. »Habe gerade vorhin erst gehört ... Wäre auch des Weges ...«

»Alles niedergebrannt,« keuchte der mühsam heraus. »Alles ... hin ... das ganze Heu ...«

»Wird auch wieder recht werden,« versuchte der Wärtel zu trösten. »Ein wenig Zusammenhilfe bei den Leuten, ein bissel Beihilfe wie überall in so einem Falle ... Recht schön wird es sich wieder ausgehen. Noch dazu, wo Ihr ... noch ein gutes Dach über dem Kopfe habt. Ein anderer, der in solcher Unglückszeit nicht weiß, wohin er sich verkriechen soll über Nacht ...«

Das war ja alles wahr, und das dachte er sich selber, als er wieder in trockenem Gewande stak und in der Susel Kemenate ging, dieser das Unheil so schonend wie möglich zu melden.

»Dawider gibt's nichts, und es wird sich schon wieder ausgehen ... ausgehen müssen.«

Frau Susel krampfte die von Tag zu Tage magerer werdenden Hände ineinander und stierte wie im Irrwahne vor sich hin.

»Nun ja: das wäre noch das wenigste. Wenn nur ... wenn nur ...!«

»Sei wieder gut, Susel! Nächste Woche fahre ich um das Kind. Soll nachher seinen Lauf nehmen, wie es will,« versprach er in einer jähen Anwandlung von Weichheit. »Soll gerade werden, wie es mag. Ich ... pfeife schon auf alles.«

»Ich bitte dich, Hans, um Gottes willen. Nur das Kind wieder! Wenn ich aus dem Bette könnte, ich wäre schon längst durch Feuer und Wasser gerannt um es. Ich bitte dich: bring' mir sie endlich wieder heim!«

»Nächste Wochen, Susel. Dieser Tage geht es nimmer. Der Brand auch noch. Bis mit den Handwerkern alles abgemacht und gerichtet ist ... Die Geldtruhen werden hübsch leer geräumt werden. Aber nächste Woche gewiß.«

Sie wendete sich wieder der Wand zu, und er setzte sich ans Fenster und stierte und sann in die stockfinstere Mitternacht hinaus, durch die aus der Weite noch die letzten Blitze flunkerten ... Nächste Woche also, wie er gesagt. Sollte nachher alles seinen Lauf nehmen, wie es wollte, heißt das: so weit es eben recht war. Die Hauptsache war, wenn die Susel wieder ins gleiche kam mit ihrem Gesunde. Mit dem Kinde konnte es immerhin noch anders werden, als ... dieser Leimsieder hoffte. Standen oftmals schon zweie knapp vor dem Altare, und es wurde noch anders, wurde ganz anders, als jegliches verhofft. So konnte sich wohl da auch noch ein Abweg finden, wenn der Wille dazu nicht einschlief. Und bei ihm war solches nicht zu vermuten. Wenn man einem alles antat, was man ihm antun konnte, lästern, schänden und zuletzt noch ... verklagen! Nein, das vergaß er nicht, und wenn er noch hundert Jahre lebte. Dazu noch den kürzeren Halm ziehen müssen, diese ganzen ... Spießbürger wider sich haben, so daß ihn kaum einer mehr anschaute ... Nein, er nicht, und ... gerade nicht. Er war der Stadtrichter und blieb es ... blieb es zu all dieser Wichte Trutz.


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