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9.

Herr Hillebrandt war beim Baderweber gewesen wegen eines Stückes Tischgradels, den er für Herrn Meinrad, den Bärnsteiner Amtmann, brauchte, aber für einen Kunden in der Stadt zu brauchen vorgab; doch hatte es sich nicht gut geredet mit dem sonst so gefügigen und gefälligen Menschen. Der hatte wohl ein Stück im Webstuhl und in der Arbeit und bereits zwei, drei Ellen fertig gewebt, hatte aber erklärt, daß dies Herr Kühwolf bestellt hätte und schier das Dreifache dessen bezahlen wollte, was er, der Herr Hillebrandt gegeben, und daß auch das nächste Stück schon seinen Herrn und Käufer gefunden. War überhaupt kaum zu reden gewesen mit ihm. Es mußte etwas in ihn gefahren sein, das ihn aufrührerisch und widerborstig gemacht. Was aber? Eine gute Weile war nichts herauszubringen gewesen aus ihm, das einer Mutmaßung die Spur hätte weisen können, und selbst zuletzt war er nur mit ganz unbestimmten und kurzgehackten Brocken herausgekommen, die nach allen Seiten hin verstreut waren.

War also nichts zu machen gewesen mit ihm, und mißmutiger, als er gekommen, war er, der Hillebrandt, wieder von dannen gezogen, zum Tore hinaus und in seinen Wieshof hinüber.

Doch auch dorten litt es ihn weder im Hofe recht, noch draußen auf Wies' und Feldern. Er wähnte sich überall wie in einem Dornstaudicht, und bei jeder Bewegung stächen hundert Stacheln und Spieße wider ihn. Selbst seine Gedanken deuchten ihn in Igelbälge gehüllt. In- und auswendig stach es wider ihn, und daheim litt es ihn überhaupt nicht. Es ging ihm etwas ab, er wähnte vor jedem Tritte eine abgrundtiefe Lücke klaffen, und er fürchtete jeden kommenden Augenblick.

Aus den Ställen vertrieb ihn der Gedanke, daß die Christel allweg so eine Narrenfreude gehabt mit den Kälblein und den Kühen, und vom Anger scheuchte ihn eine Blendung der Augen. Er wähnte sie und diesen ... Leimsieder des Weges daherschlendern zu sehen, der vom Steffelgangerl herüberführte, und es war doch nicht so. Es konnte nimmer so sein, da das Kind um diese Zeit schon im Kloster sein mußte ... Im Kloster! Dieser unsäldige Unglücklich, davon nhd. unselig. Einfall! Schier der ledige Haß drängte sich ihm auf wider den Menschen, diesen Eidam, der den Rat gegeben ... Soweit war der wohl recht und notwendig, um die Gespunst der Kühwolfen zu zerreißen, aber ... was mochte sich das Kind denken, und was würde sein Weib sagen, wenn der Eidam ohne das Kind zurückkommt? Das fürchtete er am allermeisten.

Beim Kornfelde drüben traf er den Mentel, den Hofvogten.

»Am Montag beginnen wir die Heumahd«, schaffte er dem; doch der schüttelte den struppigen Kopf und schaute zweifelnd nach den Wiesengründen hinüber.

»Ist noch zu frühe für unsere Gegenden, Herr,« wendete er ein. »Im Gäulande draußen, wo das Gras um zwei, drei Wochen früher zum Wachsen kommt, mögen sie um diese Zeit zu mähen anfangen, bei uns in den Waldbergen ist es noch zu frühe. Das Korn will zeitig Reif. sein und auch das Gras.«

Er tat ein paar mißmutige Murrer und ging wieder von dannen. In währendem Gehen und Sinnen jedoch fiel ihm ein: Vorbauen daheim, auf daß der Schlag nicht zu jäh und unversehens käme. Ausweichen ließ sich dem Wetter nimmer, also mußte ihm entgegengeschaut und entgegengegangen werden.

In der Nähe des Rathauses trottete ihm der Tuchscherer über den Weg, die Ärmel aufgestülpt und den verknüllten Hut weit zurückgeschoben. Der warf ihm nur einen bitterbösen Blick zu und hatte weder Gruß noch Wunsch.

Im Augenblicke flog ihn der Zorn an. Das war offener Trutz und geflissentliche Nichtachtung seiner selbst und seines Amtes. Eine harte Rede zerrte an seiner Zunge, aber es wurde nur eine ohngefähre Frage daraus. In dem Manne mochte sicher noch der Ärger wegen des Ganges auf den Bärnstein und zum Amtmanne stecken und sich wider ihn, den Stadtrichter, kehren. Vielleicht hatte der auch den Weber bockbeinig und störrisch gemacht.

»Eilig?« grinste er ihm verlegen zu.

Der Tuchscherer schaute ein paar Augenblicke, als wüßte er nicht, sollte er schandenhalber Bescheid geben oder nicht.

»Kann wohl sein«, pfauchte er nachher zornwütig. »Unsereiner ... unsereiner ... muß zur Arbeit sehen ... kann nicht vom Handelsgewinne leben. Und wenn man unversehens wieder einmal auf den Bärnstein müßte und wieder ein Taglohn zum Dunner führe ...«

»Ich bin nicht schuld daran«, beschönigte er unwillkürlich. »Die Stadträte ... Ihr wisset: eine Schwalbe macht keinen Sommer. Ich habe ohnehin widerraten. Hat aber nichts gefruchtet.«

»Einer wie der andere«, prustete der Tuchscherer. »Hat aber auch nichts gefruchtet. Wider den Strich sträuben sich die Haare.« Und er trottete weiter.

Herr Hillebrandt kam sich unwillkürlich vor wie ein Büblein, das auf schwankem Stege überlings die Zagheit angegangen. Das war kaum weniger, als wäre ihm der Fehdehandschuh vor die Füße geworfen worden ... »Hat auch nichts gefruchtet,« sagte er. Also brüteten diese Schelme allem Kennen nach Trutz und Empörung. Seinetwegen wohl; ihn konnte das nicht anfechten. Er war und blieb der Stadtrichter, und wenn sich ihnen die Haare wider den Strich sträubten, so konnte das auch bei ihm der Fall sein. Doch ... das Geschäft! Geschäfte sind wie Frühjahrswetter, sagt man, eines wie das andere. Eine lose Rede kann da mehr schaden, als zehn gute nützen. Und wenn das Geschäft Schaden litte, frommte ihm die ganze Richterherrlichkeit nicht viel.

Sein Mißmut wuchs wie ein Riesenbüblein, und das Dornstaudicht um ihn her wurde nur noch spießiger. Wie ein Schwarm krabbelnder Ameisen jagte sein Blut durch die Adern, um plötzlich wieder einmal zu stocken, wenn ihm der Gedanke durch das Sinnen huschte, was die Susel wohl sagen würde.

Und vorgebaut mußte nun werden ... mußte werden. Morgen konnte der Eidam zurückkommen, und ... dann schlug es zu jähe ein.

Ganz totschlächtig sank er daheim auf einen Schragen nieder und stierte eine Weile unschlüssig umher.

»Hat dich auch«, mutmaßte Frau Susel beinahe schadenfroh. »Weil unsereines Rede und Rat nie etwas gilt ... Wie ausgestorben das ganze Haus, wie halb verödet, und ... Scheinst es ja selber zu spüren.«

»Wenn ich gleich so besonnen gewesen wäre ...«, drückte er verlegen und zage herum und suchte schier krampfhaft nach einem Anlaufe. »Trotzdem es hat sein müssen ... trotzdem es hat sein müssen ...«

»Sein müssen? Möcht' wissen, warum? Alles muß man den Kindern nicht hingehen lassen, wenn man es zehnmal tun könnte. Ob sie gesehen hätte, wie es in der Welt draußen aussieht, oder nicht ...«

»Das wohl; aber ... wie ich sage: wenn es nicht hätte sein müssen ... Heute wär' ich eh' schon anders besonnen. Dieser Schelm, dieser Kühwolf ...,« nahm er nun wirklich den Anlauf. »Wie ein wahrhaftiger Werwolf trachtete er nach dem Kinde und nach seinem Gelde. Die Türe habe ich ihm gewiesen, wie du selber gehört hast. Ein anderer kehrte sich daran; der nicht in seiner Gier. Im Wieshofe draußen hat er sie wieder angeschlichen, auf daß ja kein Ende hergeht und kein Riß in die Gespunst kommt. Und zu Trutze nicht, sage ich ...«

»Wie man nur so sein kann! Was hättest du denn gesagt, wenn meine Eltern so gewesen wären? Und wegen diesen leidigen Fingerlein ...«

»Ich weiß, was der Alte gesagt hat. Und nein sage ich ... Daher ... soll sie ein Zeitlein fort und diesem Wichte aus den Augen. Etwa kommt ihr selber der richtige Verstand. Daher ... hat sie der Simon in ein Kloster gebracht ... für ein paar Wochen ... Wird es gut haben dorten, weil ich genug zahle ... wie für ein Edelfräulein ...«

Fort ... in ein Kloster ...! Frau Susel wähnte diese Worte hinter Torerschlägen hervorhallen zu hören. Rot und grün flimmerte und flunkerte es vor ihren Augen, und es deuchte sie schier, als wankte die Stubenbühne unter ihren Füßen. Mit weitaufgerissenen Augen und halboffenem Munde starrte sie diesen ... Menschen an, und nachher tappten und tasteten ihre Hände nach irgendeinem Halte.

»Heute wär ich eh' schon anders besonnen«, suchte Herr Hillebrandt zu begütigen. »Im ersten Ärger eben ... Wer weiß, ob ich nicht schon die nächsten Tage um sie fahre. Ich misse sie ja selber mehr als genug ...«

Ein paar Male schnappte Frau Susel den Mund auf und zu, als wollte sie etwas sagen, das nicht recht taugte oder das nicht herfür wollte. Dann kam ein kiesharter, schütternder Seufzer aus ihrer Brust, und nachher wandte sie sich und taumelte der Türe zu.

»Das wird mein Tod sein«, keuchte sie unter dieser und taumelte an den Türpfosten.

»Susel! Aber Susel!« preßte er ganz erschreckt und erkommen heraus und hastete ihr nach. »Wenn ich aber schon sage, in den nächsten Tagen ... Mußt doch einen Verstand haben ...«

»Ich ...?« schrie sie gellend heraus, und dann schlug sie die Türe ihrer Kemenate hinter sich zu und schob den Riegel davor.

Ein Weilchen nachher drang herzbrechendes Weinen und Wimmern daraus, und alles Rufen und Bitten blieb ohne Antwort.

Herrn Hillebrandt wurde, als müßte er überlings springen und bersten wie ein übervoll Faß. Alles wallte und fieberte in ihm. Wenn sie aufgeschrien hätte und gezetert, wenn sie ihn Rabenvater und so ähnlich genannt und gescholten hätte, es wäre ihm beinahe leichter geworden ums Herz und in seinem Sinnen. Diese Weise packte ihn wie mit glühenden Zangen. Das wird ihr Tod sein ... Töricht genug wäre sie dazu.

Eine Weile hastete er ziel- und zwecklos von Raum zu Raum, und dann rüstete er sich und ging zum Ochsenwirt. Dort gab es bekanntermaßen das schlechteste Bier im ganzen Städtlein, und dort war er beinahe sicher, keinen der Ratsherren zu treffen. Heute war er nicht aufgelegt, mit dem oder jenem zu schwatzen, heute wollte er nur trinken und trinken und sich für eine Weile hinübernarren über diese leidige ... Geschichte. Vielleicht war es morgen schon anders; vielleicht fiel ihm irgend ein Ausweg ein, oder es kam über Nacht die Susel zu besserem Verstande und über die erste Aufregung hinweg.

Trank auch für ihrer drei oder viere, und der alte Marx, der Nachtwächter, fand ihn zu später Stunde an einem Hauseck lehnen und brachte ihn heim und in seine Stube.

Des anderen Tages weckte ihn Pali, der Handelsgesell. Die Säumer wären wieder da, und er sollte ins Gewölbe kommen.

Mühsam raffte er sich auf, und sein erster Weg war zu seiner Susel Kemenatentüre. Doch alles Rufen und Bitten war umsonst. Klein-Hänslein weinte untrost vor sich hin, und die Magd berichtete, die Frau wäre krank.

Ein Ärger wallte in ihm auf, prallte aber an seiner Zerfahrenheit ab. Wenn einer das Wetter selbst gemacht, kann er sich nicht beklagen, wenn es Fluren und Gefilde vergießt und verhagelt.

Die Säumer luden das Salz ab und brachten es ins Vorratsgewölbe, und mißmutig schrieb er die Anzahl der Säcke in sein Salzbuch. Trotz allen Zwanges brachte er kein überflüssig Wort aus dem Munde, und der Liendl merkte, daß dem Gestrengen etwas über die Leber gelaufen sein mußte, und daß daher heute nicht gut Kirschen zu essen wäre mit ihm, so auch nicht gut zu handeln. Deswegen nahm er sich im Willen vor, was er für den Rückweg einzukaufen hatte, anderswo, etwa beim Kühwolfen oder bei sonst einem, aufzuladen.

Kam aber nicht einmal zu einer Frage danach.

Als man die letzten Säcke ins Vorratsgewölbe trug, kam der Ungelteinnehmer daher und winkte ihn beiseite. Nachher gingen beide die Stiege hinauf.

»Wenn Ihr sie zu Rechtem bringen könnt, versucht es!« raunte Herr Hillebrandt in währendem Gehen. »Ich nicht. Weder so noch so.«

»Wird sich dreingeben müssen,« knurrte der Einnehmer etwas verlegen zurück. »Ein paar Tage halt. – Hat sich die Jungfer Christel auch gleich dreingefunden. Hat beinahe von selber eingewilligt. Kriegt es nirgends schöner als sie es dort hat ...«

»Selber eingewilligt?« unterbrach ihn Herr Hillebrandt hastig. »Weiß sie, warum ...?«

»Kein Wort. Aber als sie gesehen, welche Absicht ist, hat sie ... gelacht dazu. Eine Klosternunn spielen für ein Zeitlein ...«

»Das sagt Ihr der Mutter!«

»Ist auch nicht anders ...«

Als Frau Susel den Eidam in der Stube reden hörte, kreischte der Türriegel schon nach ein paar Augenblicken zurück. Wie eine tollwütige Katze kam sie aus der Kemenate.

»Judas! Judas!« schrillte sie ihn mit schier überschnappender Stimme an. »Mein Kind will ich. Wo habt Ihr es?«

»Aber Frau Mutter!« suchte Herr Simon zu beruhigen und zu beschwichtigen. »Das Ganze ...«

»Meine Christel will ich. Mit List und Falschheit habt Ihr sie fortgelockt, und ... und ... Pfui Teufel vor so einem Eidam!« schrie sie wieder kirrend auf. »Meine Christel bringt mir wieder zurück, und ... dann geht mir nimmer unter die Augen!«

»Aber sie war ja selbst nimmer wegzubringen, als sie gesehen hat, wie schön es im Kloster ist ...«

»Lügner!«

»Gewiß. Beinahe lauter Edelfrauen darin, und etliche Wochen Klosternunn spielen, meinte sie lachend ...«

»Lügner ...«

Dann übermannte sie plötzlich ein Wutgrimmen, und ehe sich eines versah, schlug sie dem Meintäter zwei Häfen an den Kopf. Als sie nach einem dritten greifen wollte, fing sie zu taumeln an und sank zusammen. Das Leid hatte sie überwältigt.

»Mutter! Mutter!« kirrte Klein-Hänschen auf, aber Herr Hillebrandt schob ihn zur Seite und mühte sich, die Unmächtige wieder aufzurichten und zu sich zu bringen. Die Magd kam herbei und starrte ein Weilchen ganz entsetzt vor sich hin.

»Bringt sie ins Bett!« riet Herr Simon. »Und nachher gleich den Bader! Etwa ist ihr gar die Gall' übergelaufen ...«

Als man sie endlich wieder im Bette hatte und sie nach langem Waschen mit Wasser und zuletzt sogar mit Essig doch wieder die Augen aufschlug, schob und drängte Herr Hillebrandt den Eidam zur Türe hinaus.

»Es wird besser sein, sie sieht Euch eine Zeitlang nimmer ... Wenn ich das hätte ahnen können. Ihr hättet mir hundert Male das Kloster anraten können ...«

»Ich?« brauste der Einnehmer auf. »Jetzt fiele mir von allen Seiten die Schuld zu. Wer ist mit dem Fürnehmen gekommen, sie eine Weile fortzubringen? Ich? Was geht mich Eure Jungfer an ...?«

*

Magister Achmiller war im Winkel hinter dem Bärnstein hinten gewesen und hatte nach dem Buben gesehen, der sich den Fuß gebrochen. Der Tag war schön, und überall gab es zu sehen und zu schauen. So brauchte er schon geraume Weile bis er hinter kam, und nachdem er den Schienenverband geöffnet, den Fuß untersucht, ob auch die Knochen an der Bruchstelle richtig aneinander stoßen, mit einer heilwirkenden Mixtur eingerieben und den Verband neu angelegt, hatte er sich heimzu noch mehr Zeit genommen. Die Neugier hatte ihn zur Bärnsteiner Feste hinaufgeführt, wo er Steilfelsen, Mauern und Brückengraben eine gute Weile bewundert, und dann war er wieder gegen das Städtlein hinabgeschlendert.

Jählings aber war ihm ein seltsamer Gedanke gekommen. Wenn wirklich einmal die Hussen vor das Städtlein rücken sollten, könnten sie da leichtlich den kürzeren Halm ziehen, falls alles wohl eingefädelt würde. Von der Einnahme des Bärnsteines dürften sie sich wohl kaum etwas träumen lassen; aber wenn die Bärnsteiner die Zeit nutzten und den Schelmen heimlich in den Rücken fielen, derweil die Städtler einen Ausfall machten, konnte es ihnen schlimm ergehen.

Diesen Einfall wollte er daheim dem jungen Kühwolfen mitteilen, kam aber nicht dazu.

Schon im Hausflure meldete ihm der Balthes, des Stadtrichters Magd wäre dagewesen und hätte ihn rufen wollen. Die Frau hätte der Schlag getroffen oder so etwas, und es sähe nicht sonderlich gut aus. Wenn er, der Magister, heimkäme, sollt' er ohne Verzug und Weilen zu ihnen trachten.

»Kann halt gleich etwas sein«, nickte er vor sich hin. »Im Handumdrehen kann es etwas geben. Alleweil so ein gesundes Leut gewesen, die Hillebrandtin, wie aus Bein und Eisen, und auf einmal kriegt sie's auch. Unter uns gesagt, Magister: Ich bin nicht schadenfroh und vergunne keinem Übles, aber gerade wohl tut es mir manchmal, wenn ich höre, daß andere auch ein Kreuzlein zu tragen haben, nicht gerade ich allein.«

Da kam auch die Gertraud herbei und drängte ihn zum Essen. Sie hätte gleich ein etliche Bissen gerichtet, weil eines nicht wüßte, wie lange er dorten zu tun hätte. Und Arzeneien sollte er auch mitnehmen, hätte die Magd gesagt, so er deren hätte. Der Ungelteinnehmer wäre gar der Meinung gewesen, es wäre ihr die Gall' übergelaufen.

Magister Achmiller aß also zuerst und ging nachher in des Stadtrichters Haus.

Mittlerweile war auch Frau Fama, so man in bodenwüchsigem und ungeziertem Deutsch den Leutschwatz nennt oder gar die Tratschsucht und mit einer geschwätzigen Agalster Elster, ahd. agalster. vergleicht, gerührig geworden und hatte schon Fädlein um Fädlein von Haus zu Haus und von Mund zu Ohre gesponnen ... Im Hillebrandthause ginge etwas vor, das derweilen noch einem Rätsel gliche. Der Ungelteinnehmer wäre mit der Jungfer Christel fortgefahren, aber allein zurückgekommen, und Frau Susel wäre die Gall' übergelaufen, oder es hätte sie sogar der Schlag getroffen. All das müßte irgendeinen Zusammenhang haben, und da man vorläufig keinen solchen wusste, suchte man alle möglichen Zusammenhänge. In den Torwinkeln standen die Leute und raunten und tuschelten, durch die Fenster flüsterte man sich allerhand zu, und als der Magister des Weges kam, folgten ihm aller Augen.

Herr Hillebrandt wartete auf den Menschen schon mit fiebernder Ungeduld. Der sonst so selbstbewußte, auf dem breiten und schier felsenfesten Boden selbsterworbenen Reichtumes errungener Machtstellung stehende Mann, den kaum etwas aus seiner Ruhe und aus seinem Gleichmute bringen konnte, bebte fast wie eine knorrige Bergbuche, wenn der erste Anprall des kommenden Wettersturmes in ihr Geäste fährt.

»Habt Ihr Arzeneien mit?« Das war seine erste Frage.

»Auf das hin, was mir Herr Balthes gesagt, habe ich wohl das Allererste mitgenommen. Schlaganfall oder Galle, sagte er. Zu allererst aber muß erforschet werden, welcher Art die Krankheit ist. Zu solchem Erforschen gehört auch, daß man um Anfall und mutmaßliche Ursache weiß. Wie ...?«

»Ursachen!« drückte Herr Hillebrandt verlegen heraus. »Was gehen etwen die Ursachen an? Ich habe um Euch geschickt, daß Ihr die Krankheit heilet.«

»Glaub ich. Aber zur genauen diagnosis ist es notwendig, die Ursache zu wissen, weil vielfach schon daraus zu ermessen, wohin sich die Krankheit verschlagen hätte.«

Etliche Augenblicke überlegte Herr Hillebrandt noch, ob er ausschwatzen sollte oder nicht, aber dann kam er doch halbwegs zu einer Erklärung ... Das Kind, die Christel, wäre mit dem Eidam über Land gefahren, um sich die Welt ein wenig anzusehen, und in der Stadt hätte es ihr in einem Weiberkloster so gut gefallen, daß sie das Gelüsten angewandelt, ein Zeitlein dort zu bleiben ... bis es sie nimmer freute. Der Eidam hätte ihr unklugerweise nachgegeben, und über solches hätte sich die Mutter, die schon anfänglich wider eine solch unnötige Landfahrt war, dermaßen geärgert, daß sie wie ein Stück toten Holzes umgefallen und langmächtig nimmer zu sich selbst zu bringen gewesen wäre. Redete auch jetzt noch irre und alles Mögliche durcheinander. Würde wohl so sein, wie der Eidam gleich gemutmaßet: vor jähem Ärger die Gall' übergelaufen.

Der Magister nickte einige Male vor sich hin und ließ sich hernach zu der Kranken führen. Er untersuchte Puls und Herz und da und dorten, gab aber zum Schlusse keine der mitgebrachten Arzeneien. Es hätte die Frau weder der Schlag getroffen, urteilte er, noch wäre die Gall' übergelaufen. Das Übel säße im Gemüte, und das beste Heilmittel wäre wohl, wenn die Ursache beseitigt würde. Er wolle aber vorläufig ein beruhigend Tränklein brauen, das man nach einer Stunde holen und der Kranken löffel- und stundenweise verabreichen solle. Gefahr wäre zur Zeit keine vorhanden, und morgen käme er wieder.

»Das hätte mir ein Narr auch sagen können«, knurrte Herr Hillebrandt enttäuscht, als der Magister fort war. »Das hätte der Schneiderdavidl auch herausgackern können.« Trotzdem aber setzte er sich an das Krankenbett seiner Susel und streichelte beruhigend deren schweißfeuchte, fieberheiße Hand. »In den nächsten Tagen fahre ich selbst wieder um die Christel«, versprach er. »Muß nicht sein ... muß gar nicht sein ...«

Als die Leute den Magister wieder heimgehen sahen, lief ihm dies und jenes in den Weg.

»Wie geht es der Frau Stadtrichter? ... Wo fehlt es? ... Wie schaut es aus? ...«

»Keine Gefahr vorläufig ...« Das war überall und gegenüber jedem seine einzige Auskunft. Mehr brachten auch weder der Balthes noch die Gertraud aus ihm heraus. Da er jedoch das Tränklein mischte und braute, sann er über den Fall hin und wider, und allerhand Gedanken zogen allerhand Wege durch seinen Kopf ... Entweder war diese Christel ein derart fürwitzig und unbesonnen Leut, das in seiner sündhaften Neugier und unweibischen Abenteurerlust nicht bedachte, welche Sorge es der Mutter mit solchem Eigenwillen aufhalsen konnte, oder ... es steckte etwas anderes dahinter. Was aber ...?

Um dieselbe Zeit ungefähr aber wurde auch im Städtlein schon lautmärig, daß die Jungfer Christel wohl mit dem Ungelteinnehmer über Land gefahren, doch nimmer mit diesem heimgekommen. Heindl, der Fuhrknecht, hatte solches von ohngefähr da und dorten erzählt, und die Märe hatte den Weg von Haus zu Hause und von einem zum anderen genommen. Der Jungfer hätte es in der fremden Stadt und insonderheit bei einem Bekannten des Einnehmers so gut gefallen, daß sie etliche Wochen dort bleiben wollte.

Einige spöttelten über solches Fürnehmen, andere urteilten abfällig darüber, und wieder andere schüttelten zweifelnd die Köpfe. Warum? Das Jüngferlein hatte doch daheim der Kurzweile genug und wohl auch der Arbeit im Hause, und wenn es beider nicht achten wollte ... Auch eines Stadtrichters, Handelsherren und Herrschaftshofbesitzers Tochter dürfte der Arbeit nicht geflissentlich aus dem Wege gehen, da sie und niemand anderer im voraus wissen könnten, wie die Zeit sich oftmals wenden und verkehren könnte, und ob nicht auch eine solche Tochter der Arbeit noch die Magd machen müßte.

Vom Hillebrandthause aus aber schlich eine andere Mär ins Städtlein und in die Gassen, die ein andersgefärbet Mäntelchen umgehangen hatte. Ob diese die Magd aus dem Haustore gelassen oder einer der Handelsgesellen, wußte niemand, und es fragte auch keines danach ... Das Jungfräulein wäre eigenwillig ins Kloster gegangen oder wenigstens im Kloster geblieben für eine Weile, und darob hätte sich Frau Susel derart entsetzt und geärgert, daß ihr die Gall' übergelaufen.

Im Hafnergäßlein begegneten beide Mären einander.

Nun begannen die Leute mit den Köpfen zu wackeln und die Schultern zu schupfen ... Das wäre wohl etwas anderes und wenigstens vom Stuhle der Frau Hillebrandt aus gesehen mehr glaubhaft. Solche Torheit könnte manch' anderer Mutter auch die Gall' aus dem Näpflein rütteln, so daß sie überliefe. Daher brauchte man sich nimmer weiter zu wundern über die plötzliche Erkrankung. Aber das Törlein, diese Christel! Warum wollte sie ins Kloster? Aus ledigem Fürwitz oder Mutwillen oder ... aus einem anderen Grunde? Darüber wurde nun gemutmaßt und geraten, und jedes verfiel auf einen anderen Einfall.

»Da muß das Häfen wohl anderswo einen Sprung haben«, sann und urteilte der Hafnergürg. »Da taugt dieser Model nicht; da ist der Lehm nichts nutz, oder es hat die Ofenhitze die Schuld ... Wenn ich der Einnehmer bin, und wenn ich das Jüngferlein mitnehme auf eine Landfahrt, so weiß ich, daß ich es wieder heimbringen muß. Da kommt es mir nicht aus, und da nutzet ihm kein Fürwitz. Und in ein Kloster ist nicht so leicht hineinzurennen wie in einen offenen Heustadel. Wie ich sage: Da muß etwas anderes dahinterstecken.«

Und nun wurde geraten, was wohl dahinterstecken könnte, das den Einnehmer zur lässigen Hut oder gar zur Beihilfe bewogen. Allerhand kam den Leuten in den Sinn und aus den Mäulern, Gutes und Übles; aber das Rätsel wurde dadurch nicht gelöst. Weiter kam man nicht als bis zu Mutmaßungen und zur Erkenntnis, daß im Hillebrandthause ein Geheimnis sich ein Nest gebaut, und, wie es hersah, daran ging, böse Eier auszubrüten. Im Kühwolfengeschäfte erzählte diese Mär des Sattlerwenzen Eheweib ... Das und jenes liefe wie die Windsbraut durch alle Gassen und Mäuler; was sie, die Kühwolfen, wohl dazu meinten?

Der alte Kühwolf wurde schier lederbraun im Gesichte, und der junge erbleichte bis in den Mund hinein ... Ja, was denn nicht gar?

Gewiß. Überall würde es schon geredet und erzählt, und baumfest wahr wäre, daß die Christel nimmer zurückgekommen mit dem Einnehmer, und daß der neue Bader zur Hillebrandtin geholt worden. Keine Gefahr vorläufig, hätte er denen und jenen gesagt.

Wolf Kühwolf mußte aus dem Verkaufsgewölbe gehen. Alles um ihn her begann lebendig zu werden und um ihn zu kreisen, und der Schweiß drängte aus all seinen Poren. Im Hofe draußen wusch er sich den Kopf am Ziehbrunnen, und erst, als er die Sattlerin wieder fort wähnte, ging er ins Gewölbe zurück.

»Wenn es ist, nachher ist es ein gemachtes Wetter«, mutmaßte er sofort. »Anders kann ich mir nicht denken. Die Christel hat keine Ursach', ins Kloster zu gehen, und wenn sie dieses Sinnes würde, hätte sie es wohl verlauten lassen. Der Alte, mein' ich ... oder wie ...«

»Der Schelm wäre er groß genug und räumte sie dir solcherart aus dem Wege«, stimmte der alte Kühwolf halb und halb zu. »Wo er ein Trutzstücklein verüben kann ...«

»Hinter das muß ich kommen.«

»Nicht offenkundig! Sonst wirbelt der Schwatz auch uns in den Knäuel.«

»Beileibe nicht. Aber dahinter muß ich kommen. Und wenn ich alles herausgefädelt habe, was herauszufädeln ist, nachher ... hole ich mir sie selber. Wenn der Schelm meint, daß ... O, da wird er sich irren. Und jetzt gerade nicht. Trutz wider Trutz. Einer muß den kürzeren Halm ziehen, er oder ich.«

»In deinen Schuhen wäre mir auch so,« billigte und schürte in einem Atem der Alte. »Die Kühwolfen sind auch etwer, sind schon etwer gewesen, als der Höllebrandtpeter noch von Tür zu Tür gehandelt hat. Die Christel ist recht, soviel man von ihr weiß, und ... wie du sagst: nicht zurückstehen, vor dem Wichte schon gar nicht. Und wenn er ihr nachher nichts gibt, so brauchst du nichts. Wir sind gottlob selber etwer.«

Der rote Balthes hatte denselben Abend schier nochmals so viel Gäste wie sonst. Neun Zehnteile derselben trieb die Neugier hin. Der Bader war gerufen worden, und der konnte sicher allerhand wissen, das einen festen Anhalt zu weiteren Mutmaßungen gab. Doch der lehnte jede Frage kurzweg ab.

»Ich weiß nichts. Ein Arzt soll alles wissen und gar nichts.«

Da ließ man ab von weiteren Fragen, bis der Heindl und der Baderdikel kamen. Der Heindl war auf dem Wege, seine Grüße vom Tobiesen auszurichten.

»Ist und bleibt der Tobies all seiner Lebetage,« meinte die Gertraud. »Wenn ihn eines nicht kännte und sich recht ängstigte um ihn, könnte es längst des Todes sein, bis es etwas erführe, was es mit ihm ist.«

»Unkraut verdirbt nicht«, schmunzelte der Dikel. »Soll ihm recht gut gehen, sagt der Heindl. Genug Verdienst.«

»Etwan auch genug Räusche.« So die Gertraud darauf.

»Kann eh' sein«, ließ der Heindl dahingestellt. »Als ich ihn gefunden, hatte er keinen. Ja, und noch einen Gruß wollte er aufgeben, hat er gesagt, aber mittendrin keinen Namen mehr genannt.«

»Ich kann ihn so auch an Ort und Leut' bringen«, lächelte die Gertraud und hastete mit einer Hand voll Gläser davon.

Nun rückten die Fragen an den Heindl heran ... Er hätte den Einnehmer gefahren: wie es denn eigentlich zugegangen, daß die Stadtrichterstochter nimmer mit heimgekommen? Der aber konnte auch nicht mehr bescheiden und erzählen, als was er schon vorher unter die Leute gebracht. Wäre bei Bekannten des Einnehmers für etliche Wochen geblieben.

»In großen Häusern sind auch Mäuse«, ließ der Bürstenbinder sein Licht leuchten. »Mehr oftmals wie in kleinen.«

Mittlerweile rückte der Weberdikel an den Magister heran.

»Jetzt werde ich auch eine andere Weise vor meinen Karren spannen«, erzählte er. »Wäre nichts und würde nichts, wie ich es jetzt im Zeuge habe. Gerade daß man das leidige Leben damit fortmühet. Haben andere mit Nichts angefangen und es zu etwas gebracht, kann es mir auch glücken. Der Stadtrichter zum Beispiele. Einen Gesellen stelle ich mir ein und nachher ihrer zwei und dreie. Und nach ein zehn, zwölf Jahren etwa kann ich zehn und fünfzehn haben. Mein Tischgradel gefällt überall, und der Säumerliendl hat gesagt, vier, fünf Stücke könnt' er mir jedesmal abnehmen, wenn er ins Städtel kommt. Wär ein Geschäft! Wenn einer da nicht in etlichen Jahren reich wäre, müßte der Dunner das Geld fressen.«

»Ja, viele haben mit Nichts angefangen und es zu reichem Stande gebracht«, gab der Magister zu. »Wie es eben einer anzupacken versteht, und wie er Glück hat.«

»Nachher kriegt die Gertraud auch einen schönen Batzen Geld«, deutete er von weitem herum als Lockung an. »Wißt, wie unsere Gertraud eine ist, findet man wenige. Einen Verstand und einen Fleiß für ihrer dreie, und nachher ihr Wissen in der Baderei! Wenn das der Tobies hätte ...!«

*

Am nächsten Tage war Wolf Kühwolf wenig im Verkaufsgewölbe zu finden. In fiebernder Unrast trieb es ihn umher im Städtlein, bald hierhin, bald dorthin. Überall fragte und forschte er von weitem herum nach ... der neuesten Mär im Städtlein, und nachher suchte er einmal den Heindl auf.

Wo er den Ungelteinnehmer hingefahren und ... was eigentlich an dem ganzen Schwatze Wahres wäre?

Und der Fuhrknecht erzählte zum soundsovielten Male, was er wußte und was er schon zwei oder drei Dutzend Fragern berichtet. Mehr wüßte er nicht, aber zu einem Geheimnisse langte auch das.

Dem Wolfen langte es weiter. Er wußte nun, wo die Christel war und er nahm sich baumfest vor, sie in der nächsten Zeit aufzusuchen oder vielleicht gar heimzuholen, wenn es ihr nicht recht gut ging. Würde lediglich der Rummel noch größer, aber für den Hillebrandten, und es mußte ein Ende herauswachsen. Vorläufig jedoch stille sein und keinen Verdacht wecken!

Allmählich wurde ihm über solchem Sinnen und Fürnehmen etwas leichter, und es ging ihm zuzeiten sogar etwas wie jungübermütiger Trutz an, wie wenn ein loser Bub irgendeine Schalkheit ausgeheckt und im vorhinein sich deren schon freute.

Auch Herr Hillebrandt nahm sich vor, in der nächsten Zeit eine Landfahrt in die Stadt zu unternehmen und das Kind wieder heimzubringen. Es würde wohl eine gute Weile dauern bis auf allen Seiten Gras über diese ganz daneben geratene Geschichte wüchse, aber es war immer besser als so. Frau Susel wendete sich der Wand zu, wenn er in ihre Kemenate kam; sie schaute ihn nicht einmal an, geschweige denn, daß sie ein Wort redete mit ihm. Auf allen Wegen starrten ihn die Leute an wie ... einen Wildfremden und schwatzten und tuschelten, wenn er vorüber war. Was ...? Was wußte er? Das Schönste und Rühmlichste sicher nicht. Wie sie einander die Rücken abkehrten, wenn sich ein Flecklein darauf zeigte, so kehrten sie nun auch den seinen ab, da sich Gelegenheit hierzu geboten. Sollten und mochten! Er konnte es nimmer ändern und es ihnen verwehren auch nicht. Aber vorher wäre es zu vermeiden gewesen, wenn er über alles besonnen gewesen ... Scheint aber schon so eingerichtet zu sein vor- und nachher, daß einem alles das, was ihm vorher in Sinn und Rechnung kommen sollte, immer erst hinterdrein in den Kopf torkelt.

Da blieb nun wohl nichts anderes übrig, als Augen und Ohren zuzuzwicken für eine Weile und in der nächsten Zeit das Kind wieder heimzuholen. Außer dem Hause konnte es dann immer heißen so und so, und innerhalb desselben ... mußte er eben auslöffeln, was er unbesonnenerweise sich selber eingekocht. Auch die Gunde und der Einnehmer mochten zusehen, wie sie sich allmählich selbst wieder in die Gunst der Mutter rücken konnten. Derweil ging es denen genau so wie ihm.

Zu dieser Zeit hielt er sich in seinen Stuben nur auf, wenn dies nicht zu umgehen war. Alle andere Weile verbrachte er im Geschäfte, wo er Klein-Hänslein in Lehre und Abricht nahm, oder im Rathause.

Mathes Schwarzschädel, der Stadtschreiber, war durch Jahrzehnte her gewohnt, sich in der Amtsstube des Stadthauses als Alleinherrscher zu fühlen. Alle laufenden Amtsgeschäfte besorgte und verrichtete er nach Brauch und Recht, und er übertrieb nicht, wenn er ab und zu einmal vertraulich und verstohlen rühmte, Ratsherr und Stadtrichter vermöchte der Dümmste zu sein, wenn er einen erfahrenen und verläßlichen Stadtschreiber hätte. Daß nun der Stadtrichter anfangen wollte, oftmals beinahe halbe Tage lang in der Amtsstube zu hocken, wo er nichts zu tun hatte, machte ihn beinahe fiebernd. Er konnte manchmal sogar kaum schreiben, und heimlich sann er, wie er diesen Menschen, der sich wie ein bleischwer Trumm Holz auf sein Gemüt legte, fortzubringen und gewohntermaßen fernzuhalten vermöchte.

Einmal aber kam Herr Hillebrandt von selber nimmer.

Auf dem Wege zum Rathause lief ihn Wolf Kühwolf an.

»Herr Hillebrandt, eine kleine Frage!«

Er, der Hillebrandt, dächte im Augenblicke an alles andere früher denn das, was ihn dieser ... Leimsieder nun fragen wollte.

»Das und jenes wird allüberall geredet; ist etwas Wahres daran?«

Ein paar Augenblicke starrte er den Menschen nun an wie ... einen ruppigen Rüden, der sich ihm knurrend in den Weg stellen wollte.

»Geht das Euch etwas an, wenn man fragen darf?« ließ er ihn kiesrauh an.

»Ein klein wenig wohl,« vermaß sich der und mühte sich, seine wachsende Aufregung geziemend in Zaum und Zügel zu halten. »Ihr wisset, wie es bis vor kurzer Weile gewesen und im beiderseitigen Billigen gestanden ist, und daran haben einige kleine Unterläufe nichts geändert. Daher meine ich ...«

»Nichts geändert, meint Ihr?« ging nun Herr Hillebrandt in seiner Zerfahrenheit jäh in die Hitze. »Da werdet Ihr wohl irren. Oder meint Ihr, ich ... lasse mir jeden Schimpf ins Gesicht sagen und gefallen und mein Kind nachher in ... so eine Sippe ...?«

»Von mir aus wohl nicht.«

»Mir ganz einerlei. Geschehen ist es, und das vergesse ich nicht. Und ... daß Ihr reinen Trunk habet,« trumpfte Herr Hillebrandt nun in überwallendem Ärger heraus. »Weil ich gemerkt habe, daß Ihr die Beute um keinen Preis aus dem Wolfsrachen lassen wollet, daß Ihr ... Euch nicht an Schimpf und Türeweisen kehret, wie Ihr mein Geld zu erklappern vermeinet, habe ich Euch das Kind aus den Zähnen gerissen und verräumet. Versteht Ihr mich? ... So! Und jetzt geht und erzählet es, wenn ... Ihr Euch auch dessen nicht schämet!«

Wolf Kühwolf wurde wie mit eitel Blut überschüttet, und in seinem Gesichte zuckte es etliche Augenblicke wie der ledige Krampf. Wäre der Mensch und Lästerer nicht der Vater der Christel gewesen, er hätte ihm müssen an Hals und Kragen fahren. So aber und weil er nun geflissentlich zeigen wollte, daß ein Kühwolf, ein Sprosse einer alten, allseits geachteten Bürgersippe, allweg in guter Bürgersitte erzogen worden, meisterte er sich, soviel er noch vermochte.

»Ist deutlich genug«, preßte er mühsam heraus.

»Das will ich meinen«, lachte Herr Hillebrandt grimmwütig und hämisch auf.

»Ja ... und jetzt habt Ihr geredet; jetzt sage ich Euch auch etwas ... Wird Euch wenig genutzt haben, das Verräumen. Wir haben Zeit vor uns, und wir werden die Zeit abwarten können. Das aber wisset, Herr Hillebrandt: Ich lasse nicht von der Jungfer Christel, geh' es, wie es gehen möge. Ich brauche Euer Geld nicht und habe nie danach getrachtet; ich will nur das Leut, sonst nichts. Und ich werde es mir auch zu gewinnen wissen. Wir Kühwolfen haben nicht so viel Geld und Gut wie Ihr, aber wir reichen an dem, was wir haben, und ich brauche Euch keinen Schnedderling ... keinen Schnedderling. Wir haben selber, was wir brauchen«, wiederholte er nochmals und rüstete allem Kennen nach zum letzten entscheidenden Wurfe. »Und jeder Pfennig ehrlich verdient, jeder Pfennig. So! Das könnt auch Ihr erzählen, wenn Ihr wollt.«

Nachher grüßte er, als wenn man die traulichsten Reden gewechselt hätte, und ging seines Weges weiter.

Herr Hillebrandt aber stand noch ein gutes Weilchen am selben Flecke und starrte dem ... sackgroben Wichte nach.

»Jetzt nimmer, jetzt gerade nimmer!« pfauchte er nachher wie eine gereizte Wildkatze und schlug den Weg gegen den Wieshof ein. »Um keinen Preis mehr ...«


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