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10.

Für Magister Sebald Achmiller brach eine Zeit an, wo er schier den ganzen Tag über zu laufen und zu rennen hatte. Frau Susels Befinden wollte sich trotz aller versuchten Mittel nicht ändern, geschweige denn zum Bessern wenden, beim Bräu hatte sich ein Lehrbub halb verbrüht, der alte Eigerschmied war liegschärig Bettlägerig. geworden und wollte trotz seiner etlichen achtzig Jahre noch allweg nicht versterben, und des Eberhardten Erstling machte den Eltern viele Sorgen. Da und dorthin wurde er gerufen, weil es not tat, weil man Vertrauen zu ihm gewonnen, und weil er merkbar etwas verstand und einen Ernst aufwandte.

Die Kagerin war schon wieder so leidlich beisammen, aber trotzdem ging er auch zu ihr noch alle Tage. Wäre nimmer notwendig gewesen, aber er tat es doch. In dem schönen, geräumigen Hause war es so anheimelnd und traulich, und öfter, denn ihm lieb war, fiel ihm der Rat ein, den ihm der Balthes einmal gegeben: Wäre so ein Hausübel für Euch, Magister. Ein schönes Haus, hübsch etliches Geld ... Das mit dem Gelde mochte vielleicht auch zutreffen, das Haus sah er selber Tag für Tag. Wäre wirklich etwas für ihn. Wenn einer all seiner Lebetage auf fremder Leute Bänken herumkugelt, derselbe sehnt sich nach einer eigenen Bank für seine älteren und alten Tage wie ein Hungriger nach einem Stücke Brot. Und er war seit seinen Knabenjahren wahrhaftig herumgekugelt. In die Lateinschule hatte ihn sein Vater ... der Herr tröste ihn und geb ihm die ewige Ruhe! ... noch gebracht, aber gesehen hatte er ihn von dieser Zeit ab nimmer. Er hatte seinen Donat Die das ganze Mittelalter hindurch am meisten gebrauchte lateinische Grammatik von Alius Donatus aus der Mitte des 4. Jahrhunderts nach Chr. gelernt, bis er mit Mühe einige alte Lateiner lesen gekonnt, und war dann mit etlichen anderen als Scholare auf die hohe Schule in der Pragerstadt gewandert. Doch kaum war er rechtschaffen dort gewesen, war der schon jahrelang beständig und mit viel Fleiß geschürte Deutschenhaß der Tschechen in hellen Flammen aufgelodert. Prag war beinahe eine deutsche Stadt zu nennen gewesen. Der Stadtrat war zum größten Teile deutsch gewesen, alle Schulen hatten deutsche Lehrer, und alle besseren Leute waren Deutsche gewesen. Einige Hetzer hatten das Volk aufgewiegelt. An allem Unglück wären die Deutschen schuld, die Deutschen stünden der evangelischen Wahrheit Christi entgegen, und die Deutschen saugten das böhmische Volk aus und zu Tode, wie ein Spinnentier eine gefangene Fliege. Daher brächten sie auch allen Reichtum an sich. Der solche Hetzereien am eifrigsten betrieben, war der Magister Hus gewesen, und die Folge war, daß die Deutschen weichen mußten und wichen. Im Maien 1409 waren die deutschen Lehrer und die deutschen Scholaren der Prager hohen Schule aufgebrochen und von dannen gezogen und er mit ihnen ... In exitu Israel de Aegypto ... hatte ein alter, rotbärtiger Scholare gescherzt. Wie eine verscheuchte Vogelschar sind sie durchs Land gezogen in die Sachsenstadt Leipzig, und einige Jahre nachher sind ihrer etliche wieder heimzu wie die Schwalben im Frühlinge, wenn sie zum Nestbaue rüsten wollen. Sie hatten ihre Studien beendet und den Grad des Magisters erworben und wollten auch über ... den Nestbau richten, der eine da, der andere dorten. Ob die anderen dazu gekommen, wußte er nicht und hatte auch von keinem weiter etwas erfahren. Er hatte sich in der Klattauer Stadt niedergelassen, wo er nach langem, unstätem Wandern zufällig erfahren, daß der alte Magister gestorben wäre. Hatte auch ganz guten Verdienst gehabt und schon ernstlich am Nestbaue und an der eigenen Bank gesonnen. Mittendrin war auch da der hussitische Deutschenhaß angefacht worden und aufgelodert, und er hatte sein Bündel schnüren und wieder den Wanderstecken in die Hand nehmen müssen.

Nach solch einem unstäten Vagantenleben sehnte er sich wirklich einmal nach einer eigenen Bank und einem geruhsamen Sitzenbleiben. Sitzenbleiben konnte er nun hier im Städtlein wohl, das kannte er, und auch Verdienst fand er, wie es sich anlassen wollte; aber die eigene Bank fehlte ihm alleweil noch.

Da konnte ihm wohl der Kagerin geräumig und anheimelnd Haus in die Augen stechen und des Balthes Rat des öfteren einfallen. Die Kagerin selber jedoch ... freilich: alles konnte einem nie völlig nach Wunsche geraten, und geriet dies auch keinem. Wer Rosen pflücken will, muß sich auch von etlichen Dornen stechen lassen ... Ein eigen Haus, eine eigene Bank ...! Schon der alte Horaz sang:

Beatus ille, qui procul negotiis ...
paterna rura bobus exercet suis,
solutus omni faenore ...

Procul negotiis ... Fern von Geschäften konnte und wollte er wohl nicht bleiben, nachdem sich diese so gut anließen, und nachdem eigentlich jeder Mensch irgendein Geschäft haben und treiben muß, um nicht völlig zu verkümmern wie ein Glied, das nicht gerührt wird; aber völlig unabhängig würde er werden und sein vom Wechsel der Zeiten und Zeitläufte ... Die Kagerin jedoch ... Jung war sie wohl nimmer, doch ein Alter sah man ihr auch nicht an. Man mochte sie vielleicht für jünger halten, als sie war, für so jung noch, daß man neben dem geräumigen und anheimelnden Hause gar nicht nach dem Alter fragte. Wäre schon auszukommen mit ihr, mußte auszukommen sein, denn wer A sagt, muß allerwegen auch B sagen.

So und ähnlich sann er oft langmächtig dahin, aber wenn er dann wieder heimkam oder in des Balthes Schankstube und die Gertraud sah, kriegte dieses Sinnen einen derben Stoß zur Seiten. Wäre vielleicht doch nichts, und früher oder später mußten einem andere Gedanken und die Reue kommen. Etwa kämen diese auch, wenn es ... anders würde. Der Mensch kann niemals klug genug sein, und gewöhnlich wird es so, wie man es nicht sinnt und nicht haben möchte.

Ach was! Jetzt ließ er es gerade kommen und werden, wie es von selber kam und wurde. Derweilen hatte er gut sein und sitzen in des Balthes Hause. Der Verdienst wuchs und mehrte sich, und er versäumte noch nichts. Würde schon etwie werden. Vorläufig saß und lebte er als echter Scholare in des Balthes Schankhause und hatte es da so gut wie der Spärvling im Hanffelde, und in übermütiger Laune sang er einmal, da ihrer etliche zu schier mitternächtiger Zeit in der Schankstube saßen, ein alt Scholaren- und Vagantenliedel, das er in früheren Zeiten in der Runde der Genossen häufig gesungen:

» Meum est propositum in taberna mori,
ubi vina proxima morientis ori,
tunc cantabunt laetius angelorum chori:
›deus sit propitius isti potatori!‹
« »Mein Begehr und Bitten ist: in der Schenke sterben,
wo der Wein die Lippen netzt, bis sie sich entfärben.
Und der Engel Jubelchor wird dann für mich werben:
›Laß den frohen Zecher da, Herr, dein Reich erwerben!‹«

Die anderen verstanden das Liedel nicht und vermeinten, er sänge wohl einen Psalm oder ähnliches nach neuer Weise, die Gertraud mochte wohl das Rechte ahnen und lächelte dazu, lächelte wie ein Kind, das die Sprache noch nicht voll versteht, aber bei der Gespielen Liedern lacht und strampelt.

War aber auch ein trügerisch Fürnehmen dasselbe und ging wie schier jedes andere so aus, wie man es nicht verhoffte. In des Balthes Schankhause saß er ruhig und lebte wie der Sperling im Hanffelde, hatte er gemeint, doch überlings und ungedanks einmal wurde er aus diesem Wahne aufgescheucht. War eine Nichtigkeit, die den Anlaß gab, aber sie gab einen. Irgendein Geschirr war auf der Stiege stehen gelassen worden und unten am Steinpflaster des Hausflures zerschellt, und man hatte den Magister im Verdachte, daß er im Finstern darangestoßen und es ins Rollen gebracht. Der Balthes war ungut gelaunt, daß der Magister allen und jeglichen wieder auf die Füße half, lediglich seiner Anne nicht, wo er doch im Hause und auf der Bank saß und es wahrlich gut genug hatte. Es schien und deuchte ihn schier, als ob er sich da gar keine rechte Mühe nehmen wollte.

Mit dem Geschirre fing der Schwatz in aller Ruhe an, und mit dem Schemel vor der Türe endete er. Dem Balthes überkam der schon einige Zeit verhaltene Ärger, und der Magister ging ob der Vorwürfe auch in die Hitze. Was er vermocht, hätte er ohnehin mit allem Fleiße und aller Gewissenhaftigkeit angewendet, und daß nichts helfen und nichts wirken wollte, wäre daher nicht seine Schuld. Wenn ein Arzt überall helfen könnte, stürbe überhaupt niemand mehr.

Die Gertraud vernahm das Gewörtel der beiden und versuchte in gutem zu vermitteln und auszuebnen, aber bis sie rechtschaffen dazu kam, war dem Magister die Herberg' aufgesagt und der Schemel vor die Türe gewiesen.

Daraufhin gingen in der Kuchel zwei Häfen in Trümmer, und zu Mittag war die Suppe elendiglich angebrannt. Nach Mittag aber lief sie in aller Hast zum Dikel hinüber. Das und jenes wäre beim Balthes vorgefallen; ob er, der Dikel, nicht etwa den Magister in die Herberg' nehmen wollte? Die Stube, wo der Tobies gewesen, die Baderstube, stünde nun leer, und ... ihr wäre auch gelegen, daß der Mensch nicht völlig unter fremde Leute käme oder noch einen schlimmeren Einfall kriegte. Angeraten wäre ihm der ohnehin schon vor einiger Zeit geworden, und wenn der Mensch in Nöten wäre ...

Der Dikel schaute ein Weilchen wie aus jähem Schlafe gerüttelt.

Leer gestanden, müßte man sagen. Die Baderstube wäre leer gestanden, aber seit gestern oder vorgestern wären dort zwei Webstühle aufgeschlagen, und am Montage käme ein Webergesell. Aber das könnte er, der Dikel, tun, daß er ein wenig herumfragte nach einer taugenden Herberge.

»Ist's nachher doch so, wie wir am Pfingstmontage gemutmaßt haben?« frug die Nandl dazwischen.

Die Gertraud färbte sich wie eine überzeitige Kirsche. »Wie ... gemutmaßt?«

»Nun, daß ein Ernst herschaute. Wäre die gelegenste Heirat für dich.«

»Was weiß ich?« stotterte das Mägdlein nun verschämt und verwirrt heraus. »Was geht es mich an, was ... andere Leute mutmaßen. Wird sich wohl einer verheiraten wollen mit Haus und Geld.«

Und sie hastete wieder von dannen.

Trotzdem aber ging der Dikel auf die Umfrage nach einer Herberge für den Magister.

»Zunft läßt nicht von Zunft,« schmunzelte der Bürstenbinder, da er den Weber traf. »Schinder nicht, Schleifersleute nicht und Bader auch nicht. Nur die Bürstenbinder lassen einander verdürsten.«

Als der Magister ins Städtel gekommen, war keine Herberge für ihn zu erfragen. Einen wildfremden, Gott weiß woher gelaufenen Menschen mochte niemand ins Haus nehmen. Jetzt hielt es nicht schwer. Beim Landfried war eine sonnseitige Stube zu erfragen. Der Fischer hatte eine solche mit einer Kuchel dazu, und in dem Haus neben dem Seileranger, dessen Eigner gemeinhin der Tagdieb genannt wurde, bot man sogar eine Kuchel mit zwei Stuben an. Überdies versprach der Tagdieb dem Dikel noch etliche Pfennige fürs Zubringen.

Mit solchem Bescheide ging der Dikel nun zum Bader. Die Gertraud hätte ihn in ihrer Sorge um den Magister angegangen, eine taugende Herberge zu suchen, und er hätte deren gleich drei oder vier erfragt. Wenn ihm, dem Magister, keine davon gefallen sollte, triebe er sicherlich noch ein halbes oder gar ganzes Dutzend auf.

Der Magister war völlig überrascht. Eine – drei oder vier Herbergen schon, wo er selber noch kein Wort als Frage darnach verloren?

Ja, die Gertraud eben! Ein so sorglich und vorsorglich Leut wie sie wäre nicht so bald wieder zu finden, und wer die einmal heimführte als Ehegesponsin, der könnte von Glück reden in allen Stücken.

Der Magister nickte nur zu solchen Lobpreisen, und daran vermochte sich der Dikel nicht auszukennen, wäre auch auf dieser Seite ein Ernst bei der Sache oder nicht.

Hierauf ging man, die Herbergen zu beschauen, und ehe es völlig Abend wurde, brachte der Dikel des Magisters Habseligkeiten in die Herberge beim Tagdieb. Diese schaute aber nachher beinahe noch genau so leer und öde aus wie vorher.

»Da müsset Ihr halt dazusehen, daß Ihr bald noch die Hauptsache herbeibringt,« neckte die Tagdiebin. »Eine handsame Hauswirtin, die hübsch etlichen Hausrat mitbringt.«

»Wird alles noch werden,« stellte der Dikel schmunzelnd dahin. Nun der Wicht eine so geräumige Herberge hatte, in der er sich wie in einer Wildöde fühlen mußte, würde es ihn schon selber dazu treiben, sich einen Ernst fürzunehmen. Überdies würde er nun auch beim buckligen Jobsten, dem nächsten Wirte beim Seileranger, wo er fürder seine Kost nehmen wollte, weitaus nicht dasselbe gute Futter bekommen, das ihm die Gertraud geflissentlich auf den Tisch gestellt. Würde ihn also schon selber dazu treiben ...

*

Denselben Abend kam der Gertraud die schier volle Schankstube im Sonnenwirtshause fast vor wie ausgestorben und verödet, und alle daumlang suchten ihre Augen nach dem Platze, wo sonst immer der Magister gesessen, und wo heute ein wirrbärtiger Schuster hockte und über die schlechten Zeiten schimpfte.

Nach Torsperre sann sie lange hin und wider, da sie sich schlaflos auf ihrem Lager herumwälzte, und am anderen Morgen trachtete sie geflissentlich, den ... Grausling von einem Vetter zu erzürnen und einen Vorwand zu abermaliger Dienstaufsage herbeizuzwingen. Gelang ihr auch bald.

Die beste Schüssel im Hause brach in ihren Händen entzwei, und das erboste den Balthes. Einige harte Worte des Tadels, und sie fuhr auch schon mit der Dienstaufsage heraus ... In vierzehn Tagen ginge sie. Das eine Mal wäre sie über Zureden und Bitten der Base wieder geblieben, aber nun sollte man das nimmer verhoffen. So wie hier könnte sie es leichtlich überall haben, und wenn sie nicht alleweil wegen der kränkelnden Base ausgehalten, wäre sie schon längst auf und davon.

»So geh' zu!« prustete nun der Balthes in seinem Ärger heraus, hoffte aber doch, daß es seiner Anne wieder gelingen möchte, das sonst so handsame Ding abermals zum Bleiben zu bewegen.

In seinem Ärger ging er fort und zum Drachenwirt hinüber.

Saßen etliche landfremde Leute dort, die Geschäfte oder dergleichen im Städtel zu verrichten hatten und auch von lauter Handel und Geschäften redeten. Das alles ging ihn nichts an, und sein Ärger hatte daher Zeit zum Wachsen. Er lehnte sich in eine Ecke und haderte mit sich selber. Er ärgerte sich darüber, daß er dem Magister die Herberge aufgesagt, er ärgerte sich, daß ihm die Gertraud den Dienst gekündigt, und er ärgerte sich, daß in diesem Wirtshause so viel Fremde einkehrten und ihr Geld zutrugen. Er ärgerte sich über alles und über sich selbst nicht am wenigsten. Dieser Ärger vertrieb ihn daher auch bald wieder aus diesem Wirtshause.

Vor dem Reichstore übten sich einige junge Leute zu müßiger Zeit im Bolzenschießen. Und denen schaute er nun ein Weilchen zu. Ein etliche schossen schon so gut, daß jeder Bolzen wie am Schnürlein zum Ziele schwirrte und in die Scheibe traf. Aber auch das ärgerte ihn. Wozu mit solchem Spiele den Tag und die Zeit vertun, wo es allenthalben und für jeden ehrsamen Bürger Arbeit gab? Der Hussen wegen? Zum Lachen! Nicht einmal geredet wurde mehr von ihnen, geschweige denn, daß sie sich in der Nähe zeigen wollten. Murrend zog er wieder durchs Tor zurück und durch etliche Gassen, bis ihn Geschrei und Gerufe zum Wassertor lockte. Dort hatte es einen Auflauf gegeben.

Der braune Mirt, der Lederergesell, hatte sich ein etliche Handwerker gedungen, der Torwagnerin Haus zur Lederei umzurichten. Sein Ehewillen mit dem Weibe war bereits zweimal in der Kirche aufgeboten und verkündet worden, und in nächster Woche sollte die Hochzeit sein. Nach dieser war er eingesessener und begüterter Bürger des Städtleins, und man konnte ihm füglich nimmer verwehren, in seinem Besitztume das rechtlich erlernte Gewerbe auszuüben. Der Stadtrat mußte seinen Willen dazu geben. So hatte ihm der alte Kühwolf gesagt, und das hatte ihm auch der Stadtmüller geraten. Nachdem überdies auch noch der Stadtrichter versprochen, sich für ihn einzusetzen, konnte es nicht fehlen, zumal er das Recht auf seiner Seite hatte.

Das aber war dem Gerber wider den Strich gegangen. Der war daher zum Stadtrichter gelaufen und hatte diesem so lang angelegen, bis der sich seinem Begehren fügte und den Büttel mitschickte, dem Mirten das Bauen zu untersagen und zu wehren.

Der Mirt jedoch hatte sich nicht irremachen lassen. Vorläufig wäre der Bau weder dies noch jenes, und was er würde und werden sollte, müßte man erst sehen. Überdies wäre es so und so, und darüber könnten fünfzehn Gerber nicht hinaus.

Auch sie, die Torwagnerin, hatte sich in den Handel gemengt mit ihrem leicht beweglichen Mundwerke und den Gerber nebenher dies und jenes genannt. Das und der grimme Ärger ob der neu erstehenden Gerberei hatten Herrn Heini derart in die Hitze gebracht, daß er dem Weibe einen derben Maulschlag gegeben. Dies wiederum hatte des Mirten Fasse den Boden durchgeschlagen, und wie ein grimmwütiger Bär war er auf den Missetäter losgegangen. Nur dem raschen Hindern des Büttels und der Handwerksleute war es gelungen, ein Übel hintanzuhalten.

Das Geschrei und Gerüfte hatte die ganze Nachbarschaft angelockt, und schier jegliches hatte Stellung genommen wider den Gerber. Erstlich war der Geschäftsneid offenkundig, und nachher war es auch nicht Brauch und Herkommen, ein Weibsleut zu schlagen. Wenn es lästerte und schändete, konnte es verklagt werden. Überdies stak in allen der Widerwillen gegen die schwerreichen Ratsherren und Geschlechter, die solchen Reichtum und solche Stellung und Bevorzugung nur übermäßigem Wucher Handel, Gewinn, später auch Gewinnsucht. zu danken hatten, und der geringste Anlaß weckte diesen Widerwillen aus seinem gleichmütigen Schlummer.

Um Weiteres und Übleres zu verhindern, drängte der Büttel den Gerber nun davon und durch den Auflauf.

Das sah der Balthes noch. Alles andere klaubte er sich aus dem Gerede und Geschimpfe der Leute zusammen und legte es sich nach Gutdünken zurecht. Doch sagte er weislich nicht so dazu noch anders. Der Gerber war Stadtrat und schier täglicher Gast bei ihm, also konnte und wollte er nicht wider ihn zetern mit den anderen, und der Mirt war allem Anschein nach im Rechte und ... konnte auch einmal etwer werden.

»Gibt halt überall etwas, auf daß der Leutschwatz nicht völlig verdürstet,« meinte er leichthin, als ihm ein dicklicher Gabelschmied den Hergang erzählen wollte.

»Ich habe meine Zeugen«, prustete grimmwütig der Mirt und schickte sich an, von der Stelle weg ins Stadthaus zu laufen und wider den Missetäter zu klagen. »Ich habe meine Zeugen, und ich leide das nicht.«

»Brauchst auch nicht«, ermutigten einige. »Recht muß Recht bleiben.«

Mathes Schwarzschädel, der Stadtschreiber, rechnete gerade zusammen, wieviel trotz allen Scharwerkes die Ausbesserung der Mauern und Tore dem Stadtsäckel gekostet, als der Lederergesell daherpolterte und daherschnaubte.

Das und jenes wäre gerade auf frischer Tat vorgefallen. Er verlangte daher das Stadtgericht und die Ahndung solcher Missetat.

Der Stadtschreiber kraute sich etliche Augenblicke in seinen Bartstummeln herum und begann nachher geärgert mit dem Kopfe zu wackeln.

»Wie stößige Schafböcke,« knurrte er vorerst ... »Ledig wie stößige Schafböcke. Keinen Frieden halten können! Und nachher sagt man von den Hussen ... von den Hussen. Muß einer lästern und schänden? Muß einer gleich mit der Faust dreschen? Müssen ehrsame Stadtbürger Unfrieden zetten? Anstiften, verursachen, legen.«

»Ich habe keinen gezettet.«

»Wird zu erweisen sein. Ich werde die Sache vorbringen, und wann der Gerichtstag ist, wird der Büttel einsagen ...«

*

Seit Jahren schon, seit undenklichen Zeiten, sagten manche, war es nie vorkommen, daß eine Klage vorgebracht worden wäre wider einen der Stadtväter. So lange Herr Hillebrandt Stadtrichter war, schon gar nicht. Gewöhnliche Streite und Zwiste der Bürger untereinander hatte immer der Stadtschreiber kurzerhand geschlichtet. Nach Stadtrecht und altem Brauch und Herkommen wäre dies oder jenes so oder anders zu büßen und zu sühnen, und damit war der Handel ans Ende gebracht. Untaten, deren Ahndung dem Bärnsteiner Amtmanne vorbehalten waren, hatte es gottlob auch schon lange nimmer gegeben. Also gab es darüber allenthalben zu reden.

Eine Sache wider einen Stadtrat! Wie würden da die Stadtväter entscheiden, wenn sie recht urteln wollten?

Wie wird da zu urteln sein? Das fragte sich auch Herr Hillebrandt, und das fragte er auch den Stadtschreiber.

»So der Mirt die Missetat durch rechte Zeugen erweisen kann, ist der casus klar«, beschied der. »Im Stadtrechte steht: Pro laesione, quae Mulslach dicitur, talentum Augustense et 60 denarii persolvantur ... Ein Talent sind 6000 Pfennige, also fünfundzwanzig Pfund.«

»Reißet dem Heini kein Loch in den Beutel,« scherzte Herr Hillebrandt ob dieser Belehrung.

»Freilich nicht. Gebührte ihm mehr, so er es getan. Und die Wagnerin, so sie gelästert und geschändet hat mit bösem Maule, sollt' einer Stunde Weile an den Pranger. Ist also leicht geurtelt nach Stadtrecht und altem Herkommen.«

Das war wohl leichter, als es Herr Hillebrandt schier gefürchtet. Der Wagnerin würde eine Stunde Pranger nicht schaden, und dem Gerber möchten die fünfundzwanzig Pfunde nichts tun, die er ja doch wieder anderen Leuten vom Leibe schund. War also wirklich leicht geurteilt und geschlichtet.

Kam aber nicht dazu, daß er so urteilte und schlichten konnte.

Ein Zeitlein nachher führte ... der Dunner den Gerber zu ihm, der den Vorfall wieder anders erzählte, aber in Anbetracht der nun einmal nicht wegzuräumenden Zeugen und Schuldbeweise zugab, daß er dieser bösmäuligen Valentine Euphemismus für Teufelin. eine auf das Lästermaul gedroschen; ob schon geklagt worden wäre, und welche Straf' und Buße ihm daraus erwachsen könnte?

Herr Hillebrandt hatte es von jeher in Brauch und Achtung, weder in fürhabenden noch in abgetanen Handelssachen ein Wort aus der Schule zu schwatzen und irgendeinen ins Spiel oder gar in den Geldbeutel sehen zu lassen, aber er dachte nicht daran, daß solche Gewohnheit auch einem Stadtrichter geziemte. Es ging ihn sogar das Gelüsten an, mit dem Stadtrechte ein wenig zu prunken.

Wäre eine hart unüberlegte und unbesonnene Tat gewesen, meinte er gewichtig, insonderheit für einen, der selber im Stadtrate säße. Doch geschehen wäre eben geschehen, und man würde mit der kürzesten Elle messen. Im Stadtrechte stünde als Buße für solches Vergehen ein Talent und sechzig Pfennige, heißt das: fünfundzwanzig Pfund und sechzig Pfennige. Der Wagnerin stünde ein Stündlein Prangerstehen zu. Könnte sein, daß sich nach Anhörung der Zeugen auf der einen Seite noch etwas abzwacken und auf der anderen zulegen ließe.

Der Gerber schnitt ein etliche essigsaure Gesichter, als er von fünfundzwanzig Pfunden vernahm, doch ein Stündlein nachher schupfte er schon wieder die Schultern dazu. Wenn er gewußt hätte, daß es nicht zu härterer Buße käme als lediglich zu fünfundzwanzig Pfunden, hätte er noch etliche Male auf denselben Fleck geschlagen. Die Lästerin hätte dann wenigstens mit zerschlagenem Maule vor allem Volke am Pranger stehen können.

Waren nur einer oder zweie dort und in der Schankstube des Balthes, da er mit dieser Rede heraushämte, aber denselben Abend noch raunte und tuschelte man darüber und wunderte sich, daß der Gerber schon sein Urteil wissen konnte, nachdem noch gar kein Gerichtsding Gerichtsverhandlung. oder Tageding gewesen. Auch beim Abendtrunke der Bürger in den Schenken wurde schon darüber geredet.

Herr Egyd Kühwolf schüttelte den Kopf, als er solches Geraune vernahm ... Altweibergewäsche! Noch hatte der Stadtrat nicht geraten und geschöfft, und so konnte auch kein Mensch wissen und sagen, wie das Urteil lauten möchte. Im geheimen aber wurde ihm wie einem Jagdgesellen, der auf der Wildbahn unversehens die Fährte eines Wildes erspäht.

Woher mochte der Gerber solche Wissenschaft haben? Er selber war nicht der Mensch, der mehr verstand als sein Handwerk und zuzeiten etliches Großtun, geschweige denn, daß er wußte, was im Stadtrechte stand, und welche Buße der oder jener verdient hätte für ein Verfehlen. Er konnte nicht einmal seinen Namen schreiben und setzte unter die Schriften des Stadtrates nur sein Handzeichen. Woher konnte er also wissen, daß er fünfundzwanzig Pfunde zu büßen hatte, und daß die Wagnerin an den Pranger sollte? Das konnten lediglich zwei aus der Schule geschwatzt haben: der Stadtschreiber, der das ganze Stadtrecht auswendig wußte wie ein Schulbub das kleine Einmaleins, oder der Stadtrichter, der sich darüber erkundet haben mochte.

Anfänglich nahm er sich vor, die Sache auf weitem Umwege und von ohngefähr zu erforschen, aber dann schlug er den kürzeren Weg ein. Wenn der Gerber schon das wußte, mußte er auch wissen, von wem er es erfahren.

Daher ging er des anderen Tages geradewegs zum Gerber. Er brauchte kein Leder, aber er gab vor, solches zu benötigen und kaufte auch einen Fleck. Von weitem herum brachte er die Rede auf den Streithandel und frug so und so, und der Gerber plapperte es in seiner Ahnungslosigkeit und im Vertrauen darauf, es ohnehin lediglich einem Stadtrate zu sagen, ohne Umschweife heraus: der Hillebrandt hätte ihm so und so gesagt.

Der Hillebrandt! Freilich, der konnte sich darüber erkundet haben, denn selbst traute er ihm nicht so viel Wissen zu; aber ... er sollte vor gefälltem Urteil nichts sagen, durfte nichts sagen, weil er ja gar nicht wissen konnte, wie die Zeugen erwiesen und wie die übrigen Räte schöfften.

Er trug das Leder heim, warf es in einen Winkel und ging darauf sogleich ins Stadthaus. Er war Stadtrat wie jeder andere, und wider einen solchen oder selbst wider den Richter zu klagen, hatte er so gut ein Recht wie jeder. Ein Gefallen aber war immer des anderen wert.

»Habt Ihr dem Richter Bescheid gegeben, welche Buße dem Gerber für sein Verfehlen blühen könnte?« frug er den Schreiber.

»Ja,« gestand der. »Er hat mich gefragt, und ich habe Bescheid gegeben, wie es meines Amtes ist.«

»Das ist wohl und recht. Aber der Richter hätte nichts ausschwatzen sollen davon, insonderheit nicht zum Missetäter und Angeschuldigten, wenn der auch fünfzehnmal Ratsherr wäre. Daher klage ich nun wider den Richter, weil er ...«

»Herr Kühwolf!« entsetzte sich der Schreiber baß und starrte den Menschen mit weitaufgerissenen Augen an wie etwa einen Unholdsspuk. »Ist denn nun der leibhaftige Dunner ins Städtlein gefahren, um ... um alles übereinander zu hetzen? Ein Ratsherr der Angeschuldigte, der Richter angeschuldigt ...! Was sollen sich die Leute denken, und was werden sie reden?«

»Ist nicht unsere Schuld, Herr Schwarzschädel. Ich klage wider den Richter und verlange in kurzer Weile den Theiding in der Sache. Der Gerber soll als Zeuge vorgerufen werden, und Herr Hillebrandt möge sich verteidingen Vor dem Theiding, der Gerichtsversammlung, rechtfertigen; davon: verteidigen.

»Herr Kühwolf!«

»Ich klage wider ihn, und solches ist genug,« bestand Herr Kühwolf und ging wieder von dannen.

Der Stadtschreiber jedoch stand eine gute Weile wie ein lebloser Holzstock am nämlichen Flecke und stierte entsetzt und unschlüssig vor sich hin ... Eine Klage wider ... den Richter selbst! Unglaublich sollte man meinen, und doch war es so. Das mußte wirken, wie wenn man eine Maß Hefe in einen Trog Mehl schüttete. Alles mußte in Aufruhr und in Auflauf kommen und wider einander treiben, der Stadtrat, die Leute, alles. Wie stößige Schafböcke hatte er geurtelt, als ihm der Lederergesell den Streithandel klagte, und jetzt war es erst recht so. Wie stößige Schafböcke, die Herrn vom Rate selber. Wie wenn wirklich der leibhaftige Dunner ins Städtlein gefahren wäre, um da Unfrieden und Unheil zu zetten ...

Dann schrieb er mit merklich unsicherer Hand in das Klagebuch und knapp unter den Vermerk, daß der Lederergeselle Mirt wider den Ratsherrn Heini Vöst klagte wegen Mißhandlung seiner Braut: »Item: der Ratsherr Egyd Kühwolf wider den Stadtrichter, Herrn Hans Hillebrandt wegen ...«

Er ließ den Namen des delicti vorläufig noch aus, weil zu verhoffen stand, daß sich die Sache unter gütlicher Zurede noch werde schlichten und ebnen lassen, und weil Spätere gar nicht zu lesen und zu erfahren brauchten, wessen einmal ein Stadtrichter angeschuldigt worden.

Hierauf schickte er den Büttel um und ließ einen Theiding für abends ansagen. Der Ratsherr Heini Vöst sollte lediglich als Zeuge kommen, und der Stadtrichter gehörte diesmal nicht zum Theiding, weil er diesem ... auf ein etliche Fragen zu antworten hätte.

Herr Hillebrandt aber fragte denselben Vormittag noch nach, auf was er ... zu antworten hätte.

Mathes Schwarzschädel wurde so verlegen wie ein Kind, das etwas gestehen sollte und sich nicht getraut. Doch schupfte er nur die Schultern ... Herr Kühwolf hätte nur gesagt, daß er klagte wider den Richter. Er, der Stadtschreiber, mischte sich nicht in die Anliegen der Ratsherren.

Den ganzen Tag über sann und riet Herr Hillebrandt nun hin und wider, was wohl dieser Wicht wider ihn zu klagen haben könnte, doch kam er damit nie in die Nähe des Zieles. Dazwischen aber nahm er sich in wachsendem Ärger und Grimme vor, diesem Menschen in öffentlicher Ratsstube und vor allen Ratsherren einmal ordentlich übers Maul zu fahren.

Um halben Nachmittag herum ging er in den Wieshof hinaus, wo man das Heuet angehen wollte. Die Gunde und ihr Mann, der Einnehmer, waren auch wieder dort. Sie hielten sich beinahe die meiste Zeit da draußen auf, wo es ihnen allem Anscheine nach ebenfalls ganz gut gefiel. Doch diesmal stieß man sich aneinander. Frau Gunde fragte nach dem Ergehen der Mutter und klagte, daß es ihr so leid und wehe täte, weil sie diese nun nicht mehr einlassen und sehen wollte, und Herr Hillebrandt gab in seiner verärgerten Zerfahrenheit einen Bescheid, den die Tochter krumm nahm. Über Ja und Nein gab es hüben und drüben ein paar harter Worte, und Herr Hillebrandt stapfte zornwütig auf die Wiese hinaus und von dorten wieder stadtwärts.

Beim Balthes trank er noch eine große Kanne Bieres in den Durst und Ärger hinein, und nachher machte er sich auf den Weg ins Stadthaus.

Die meisten der Ratsherren waren schon versammelt, und Mathes Schwarzschädel, der Stadtschreiber, rückte auf seinem Stuhle umher, als wäre der mit einer Igelhaut überzogen.

»Na, was soll's denn heute, daß ihr mich gar nicht mittun lassen wollet?« versuchte er dem Bräu gegenüber zu scherzen und auf Umwegen den anderen zu Gehör zu reden.

Doch die Antwort wurde ihm bald.

Der alte Kühwolf warf ihm einen kiesharten Blick zu wie einem missetätigen Schelme, den man einmal auf frischer Fährte ertappt, und stand nachher auf.

»Würdiger Ratstheiding! Ich klage ... Ich klage wider Herrn Hillebrandt, den Stadtrichter, weil er vor geschehenem Theiding und gesprochenem Urtel dem angeschuldigten Ratsherren Heini Vöst Mitteilung gemacht über die wider ihn vorgebrachte Klage und über die Buße, die ihm zugemessen werden würde ...«

Ein paar Augenblicke war Herr Hillebrandt beinahe erkommen. An das hatte er nicht gedacht, soviel er auch herumgesonnen. Dann warf er dem Kläger einen stechenden Blick zu, und gleich nachher zwängte sich ein kurzes, spöttelndes Lachen aus seinem Munde.

»So? Deswegen? Ist auch ein turmhoch Vergehen, wenn man einem sagt, was er selber als Ratsherr wissen kann, weil es schwarz auf weiß im Stadtrechte steht.«

»Ja, im Stadtrechte steht,« nickte der Bräu. »Kann's jeder lesen.«

»Der Latein kann,« hämte Herr Kühwolf. »Habt Ihr es gewußt oder lesen können, Gerber?«

Der drückte eine Weile verlegen herum.

»Geht mir mühsam mit dem Lesen,« meinte er nachher.

»Und Latein schon gar nicht. Der Stadtschreiber war im Rechte, da er dem Stadtrichter Bescheid und Aufschluß gegeben. Er hätte es auch uns einem jeden erklären müssen, weil wir beim Theiding danach zu schöffen gehabt hätten; doch weder wir ein jeder noch insonderheit der Stadtrichter hätten nach altem Brauch und Herkommen dem Angeschuldigten vor offenem Theiding etwas über den Stand seiner Sache verraten dürfen. Der Herr Stadtrichter hat es erwiesenermaßen getan und so das Vertrauen gebrochen und verwirket, das man billig in so ein Amt und so einen Amtswalter setzen kann. Wenn es in dem einen Stücke so ist, kann es leichtlich in einem anderen auch wieder so sein. Deswegen klage ich, und deswegen frage ich die würdigen Ratsherren im offenen Theiding, ob so ein Mann fürder noch das Vertrauen als Stadtrichter haben kann ...«

Fragend und heischend glitten des Alten Augen von einem der verlegen dasitzenden Ratsherren zum andern.

Ein Weilchen war es mäuschenstille in der schon dämmernden Ratsstube, aus deren Ecken und Winkelchen die Abendschatten leise krochen.

»Müsset Euch halt ein andermal besser besinnen, Herr Hillebrandt«, suchte endlich der Bräu nach einem ebenen Auswege. »Sein sollt' es ja nicht nach altem Brauch und Herkommen, aber wegen dem einen Male, meine ich ... Hätt' es ebensogut selber wissen können, der Gerber. Und nachher muß man erst hören, wie der Theiding schöfft und urtelt, wenn der Maulschlag in Rede steht.«

Herr Hillebrandt fühlte sich wie in einer Dornstaude, in die ihn der überlegene Gegner gedrückt und zu Boden gerungen ... Sein sollt' es ja nicht ... Also sah man die Klage für berechtigt an.

»Ich tät überhaupt nicht mit«, prustete und trumpfte er heraus und dawider. »Schöfft und urtelt, wie ihr wollet! Und wenn ich euch zum Stadtrichter nimmer tauge: sagt es! Saget es spießgerade heraus! Meint ihr, ich hätte einen Gefallen an dem tagtäglichen Gescherre und einen Nutzen von den Versäumnissen in meinem Geschäfte? Ein, zwei Gesellen muß ich mir mehr halten, und was habe ich davon? Ärger, Verdruß und zuletzt auch noch eine Klage. Könnte mir ...«

»So müßt Ihr den Stiel nicht in die Hand nehmen«, beschwichtigte auch der Stadtmüller. »Sein hätt' es nicht sollen, das ist wahr, aber ... deswegen geht die Welt noch nicht zugrunde. Nehmt die Klage als Mahnung für ein andermal, und ... der Schragen steht wieder auf allen vier Füßen. Herr Kühwolf wird sich damit zufrieden geben, und der Theiding ist aus ... Nicht wahr, Herr Kühwolf ...?«

Recht viel mehr hatte sich der vom Theiding nicht verhofft, weil ja auch hier wie überall das Sprichwort von den Krähen und vom Augenaushacken galt. Die Hauptsache war erreicht: der Richter hatte einen Tritt bekommen wie ein Hund, der etwas verfehlt ... Sein hätt' es nicht sollen ... Wenn die Ratsherren neunmal abtrugen und abebneten, um keinen unnötigen Aufruhr zu machen, jeder sagte: sein hätt' es nicht sollen. Und das langte derweilen auch. Es war ein ... Fußtritt für den hochmächtigen Herrn, und es war eine Handhabe für ein ander Mal.

Mathes Schwarzschädel atmete auf wie aus druddrückendem Traume erwacht ... Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus ... Dieser Ausspruch des alten Horaz fiel ihm unwillkürlich ein, und er freute sich, daß die bösesten Wetter sich oftmals in einen leichten Regen und etwas Blitzgeflunker lösen. Der Rummel war somit wieder glücklich vorüber, und er konnte in das Klagebuch schreiben: Gütlich beigelegt.

Die Herren Stadträte brachen nach solchem glücklich abgefertigten Theiding auf und gingen zum roten Balthes. Nur der Stadtrichter und Herr Kühwolf gingen nicht mit, sondern ihrer eigenen Wege, der eine rechts, der andere links. Herr Kühwolf wähnte, der Richter würde mit den anderen gehen und wollte diesem ausweichen, und der ... wollte allen ausweichen. Wenn auch alles scheinbar wieder beim alten blieb und der ganze Klagshandel im Sande verlaufen war, den kürzeren Halm hatte doch er gezogen, und das mochte er keinem dieser ... Spießbürger vergessen ...


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